Volksbildungsvereinen (Handwerker-, Arbeiter-, Gewerk-, Bezirks- und
anderen Vereinen) irgendwie Konkurrenz machen. Sie erstrebt vielmehr eine
durchaus selbständige und eigenartige Stellung im deutschen und besonders
im Berliner Bildungswesen, sie will, wie schon die Denkschrift von 1878
sagt, ihre Art „als nothwendige Entwicklungsstufe im modernen
Bildungssystem“ betrachtet wissen, Den Volksbildungsvereinen gebührt
die hochwichtige Fortbildung der grossen nur elementar vorgebildeten
Klassen*) — den staatlichen Hochschulen, als oberster Spitze, im Wesentlichen
die wissenschaftliche Fachbildung der künftigen Staatsdiener und An-
gehörigen der gelehrten Berufe. Zwischen diesen beiden Klassen und
Bildungssphären steht aber eine zahl- und bedentungsreiche dritte, haupt-
sächlich modernen Ursprungs, welche den höheren leitenden Stellungen in
dem gewaltigen Wirthschaftsgetriebe und der Selbstverwaltung entspricht,
für deren schulmässige Vorbildung Staat und Stadt mehr und mehr
durch mittlere und höhere Lehranstalten gesorgt haben, für deren litte-
rarische Bedürfnisse ein erheblicher Theil der Presse und des Buchhandels
arbeitet, deren Weiterbildung durch die in ihrer Unmittelbarkeit und
Frische unersetzliche mündliche Lehre aber bisher bei uns fast gänzlich
fehlte. Diese Lehre in systematischer, ernster, echt wissenschaftlicher,
aber zugleich anregender Weise zu bieten, eine Akademie in alt-athenischem
Vir wissen sehr wohl, dass die Volksbildungsvereine auch in Deutsch-
and diese allerdings äusserst schwierige Aufgabe bisher durch Einzelvorträge.
Unterrichtskurse, vereinzelt auch cyklische Vorlesungen, nur sehr unzureichend
erfüllt haben. Allein das schliesst doch nicht aus, dass es in Zukunft anders
und weit besser wird, was zu erstreben und anzubahnen vor allem Sache der
bewährten Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung sein würde. Andrer-
seits ist auch nicht ausgeschlossen, dass bestehende oder neu zu gründende
Vereinigungen und Lehranstalten, wie gerade der Wissenschaftliche Central-
verein und die Humboldt-Akademie, neben der für die höher vorgebildeten
Klassen hestimmten Fortbildung auch eine solche, auf gleichartigen Grundlagen
beruhende, für die nur elementar vorgebildeten Klassen erstreben. In ein-
zelnen Fächern und für besonders begabte und strebsame Individuen ist. sogar
eine Betheiligung der letzteren Klassen an den höheren Cyklen möglich und
wünschenswerth; speciell die Humboldt-Akademie hat, wie später dargelegt
wird, von Anfang an auch den Handwerkern und Arbeitern den Besuch auf
jede Weise erleichtert. Wir stehen überhaupt noch am ersten Anfang einer
zewaltigen, unabsehbaren geistigen Entwicklung, so dass ein absprechendes
Urtheil über das Erreichbare und die richtigen Wege dazu verfrüht sein würde,
Aher im Grossen und Ganzen dürfte es unmöglich sein, Personen mit durchaus
verschiedener Vorbildung in denselben Cyklen erspriesslich fortzubilden. Auch
in den „Volkshochschulen“ Englands, Nordamerikas u. a. Länder bilden Hand-
werker und Arbeiter thatsächlich meist nur einen kleinen Bruchtheil der Hörer; nur
einzelne Arbeiterbezirke, vor allem ein Bergwerksgebiet von Northumberland.
machen eine rühmliche Ausnahme. Vergl. Dr. James Russell, Die Volks-
Hochschulen in England und Amerika, deutsch mit Anmerkungen von Otto
Wilhelm Beyer (Leipzig 1895) S. 84 ff., und Handbuch des Volksbildungswesens
von Dr. Eduard Reyer. a. 0. Professor a. Ad. Universität Wien (Stuttg. 1896)
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