Starke Kinder- und
Jugendparlamente.
Kommunale Erfahrungen
und Qualitätsmerkmale
Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit mehr als 45 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein.
Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein initiiert und
unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen
bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten
gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.
Die hier vorgestellten Qualitätsmerkmale wurden im Rahmen des vom BMFSFJ initiierten Projektes „Starke Kinderund Jugendparlamente“ maßgeblich auf der Basis einer Studie von Prof. Dr. Roland Roth und Prof. Dr. Waldemar
Stange entwickelt und aus dem Programm Demokratie leben! gefördert. Das Gesamtprojekt haben in unterschiedlichen Phasen Sebastian Schiller, Jan Stange, Tim Stegemann und Ellen Windmüller unterstützt. Im ersten, quantitativen Teil wurde eine Online-Befragung der Betreuungspersonen dieser repräsentativen Beteiligungsformate durchgeführt. Im zweiten Teil wurden die aktiven Kinder und Jugendlichen im Rahmen einer qualitativen Studie (Interviews
und Gruppendiskussionen) befragt. Im dritten Teil wurden die Ergebnisse der beiden ersten Teilstudien durch lokale
Fallstudien komplettiert. Auf der Grundlage dieser drei Teilstudien haben wir Qualitätsmerkmale für kommunale
Kinder- und Jugendparlamente formuliert. Alle Ergebnisse werden detailliert in dem Ende des Jahres 2020 im BeltzVerlag erscheinenden Buch Roth, Roland / Stange, Waldemar: Kommunale Kinder- und Jugendparlamente. Empirie
und Perspektiven einer unterschätzten Form der Beteiligung junger Menschen. Weinheim: Beltz/Juventa publiziert.
Um den vielen interessierten Nachfragen zu den Ergebnissen der Untersuchung gerecht werden zu können, publizieren wir mit dieser Broschüre vorab einen Teil der Gesamtergebnisse: exemplarische deskriptive Befunde aus der
quantitativen Online-Befragung und die abgeleiteten Qualitätsmerkmale. Beides gibt einen guten ersten Überblick.
Im Hinblick auf die Ergebnisse zu den bivariaten Zusammenhängen (Korrelationen), zur Interviewstudie mit den Jugendlichen selbst und zu den Fallstudien verweisen wir auf die Buchveröffentlichung. Die dort festgestellten Befunde
bestätigen im Wesentlichen die Ergebnisse der hier vorgestellten Online-Befragung der Betreuerinnen und Betreuer.
IMPRESSUM
Herausgeber:
Deutsches Kinderhilfswerk e. V.
Leipziger Straße 116–118
10117 Berlin
Fon: +49 30 308693-0
Fax: +49 30 308693-93
E-Mail: dkhw@dkhw.de
www.dkhw.de
Autoren:
Prof. Dr. Roland Roth, Prof. Dr. Waldemar Stange
Redaktion:
Sylvia Kohn
Layout:
Florence Baret
Titelbild:
© besser18/Julian Schulz
© 2020 Deutsches Kinderhilfswerk e. V.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
3
Anstelle eines Grußwortes
4
1. K
ommunen als politische Lernorte für junge Menschen und die Bedeutung von kommunalen
Kinder- und Jugendparlamenten
7
2. Kommunen mit Kinder- und Jugendparlamenten in Deutschland
11
3. Online-Befragung von Betreuerinnen und Betreuern kommunaler
Kinder- und Jugendparlamente
16
3.1 Ziele und Design der Online-Befragung
3.2 M
erkmale der befragten Kommunen und Repräsentativität des Datensatzes
16
17
3.3 Die Finanzsituation der Kommunen im Sample
20
4. Zentrale Befunde
4.1 B
eteiligungslandschaften: Vielfalt der Formen von Kinder- und Jugendbeteiligung
4.2 Stabile Kinder- und Jugendparlamente
4.3 Initiativen und Akteure bei der Gründung
4.4 Anzahl der Mitglieder und Wahlen
4.5 W
ie schätzen die Betreuerinnen und Betreuer die Zusammensetzung
ihrer Kinder- und Jugendparlamente ein?
4.6 Strukturelle Verankerung und Rechte der Kinder- und Jugend-vertretungen
4.7 Arbeitsweise und Arbeitsklima der Kinder- und Jugendparlamente
4.8 Themen der Kinder- und Jugendparlamente
4.9 Budget – Aufwandsentschädigung – Sitzungsgeld
4.10 Die Rolle der Erwachsenen
4.11 Selbstverständnis der Kinder- und Jugendparlamente
4.12 Resonanz in der Kommunalpolitik
4.13 Einstellungen und Haltungen der kommunalen Politik und Verwaltung –
Bewertung der Unterstützung
4.14 Lerneffekte
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5. Q
ualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente auf kommunaler Ebene
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A. Die Kernmerkmale
1. S
tarkes Mandat – politischer Wille
2. Strukturelle Verankerung: Ratsbeschluss und Fixierung in Satzungen
3. B
etreuende, unterstützende, moderierende und ermöglichende Fachkräfte
4. E
igenes Budget – eigene Gestaltungsmöglichkeiten
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51
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52
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
1
5. Repräsentativität und Diversität
6. K
ooperative Haltung von Politik und Verwaltung
7. Selbstwirksamkeit/Wirksamkeit – politischer Einfluss
B. Ergänzende Merkmale
8. Kultur der Anerkennung
9. Fehlerfreundlichkeit
10. N
utzung vielfältiger Beteiligungsformate
11. Kinder- und jugendgemäße Arbeitsformen nach innen –
Parlamente mit Diskussionskultur und Spaßfaktor
12. R
ahmenbedingungen kinder- und jugendfreundlich gestalten
13. Lokale Vernetzung und Kooperation: Starke KiJuPa als Kern einer kommunalen
Beteiligungslandschaft
14. Vernetzung mit der staatlichen Ebene der kommunalen Jugendpolitik
15. Vernetzung über die Kommune hinaus
16. U
nterstützung aus der Zivilgesellschaft
17. Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit
18. Kontinuität
19. Unterstützende Länderregelungen
20. O
ffenheit für Lernprozesse bei allen Beteiligten – Chancen sehen und wahrnehmen
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6. Literatur
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2
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Vorwort
Holger Hofmann
Bundesgeschäftsführer Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Liebe Leserin, lieber Leser,
eine lebendige Demokratie lebt von aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Dies gilt es von Anfang
an zu fördern. Eine besondere Bedeutung bei
der Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung kommt der Kommune zu. Von allen politischen Ebenen ist sie der jungen Generation am
nächsten. Gerade hier sollten Jugendbeteiligungsprozesse initiiert werden. Ein möglicher
Ansatzpunkt, um Jugendbeteiligung nachhaltig
in den Kommunen zu verankern, sind Kinder- und
Jugendparlamente. Im Idealfall sind sie eingebettet in unterschiedliche Beteiligungsformen,
in Schule, Verein, Jugendverband oder Einzelveranstaltungen. Alle zusammen bilden eine „Beteiligungslandschaft“, in der sich die einzelnen
Projekte gegenseitig verstärken.
Seit einiger Zeit hat sich das Deutsche Kinderhilfswerk die Zusammenarbeit mit Kinder- und
Jugendgremien und insbesondere Kinder- und
Jugendparlamenten auf die Fahne geschrieben.
Auf Initiative des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sind nun in
dem Vorhaben „Starke Kinder- und Jugendparlamente“ die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, die Beratung, Vernetzung und Fortbildung der kommunalen Projekte verstärkt zu
unterstützen. Dabei gehen wir nicht nur der Frage
nach, was starke Kinder- und Jugendparlamente
sind und wie sie arbeiten. Vor allem wollen wir
identifizieren, welche Faktoren – in dieser Broschüre Gelingensbedingungen genannt – notwendig sind, um Kinder- und Jugendparlamente
und andere Kinder- und Jugendgremien stark zu
machen. Die Erkenntnisse werden in die Beratung und Förderung von Kommunen mit einem
Gründungsinteresse sowie Kinder- und Jugendparlamenten mit Herausforderungen fließen.
Übergeordnetes Ziel ist die Förderung und Stärkung von Beteiligungslandschaften auf kommunaler Ebene in Deutschland und die Kompetenzentwicklung aller beteiligten Akteure: Kinder und
Jugendliche, Fachkräfte sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.
Zu Beginn des Projektes war es uns wichtig, eine
umfassende empirische Untersuchung zur Situation der kommunalen Kinder- und Jugendparlamente in Deutschland durchzuführen, deren
Ergebnisse wir hier vorstellen. Wir danken dem
BMFSFJ, insbesondere Rainer Wiebusch, für die
finanzielle und fachliche Unterstützung sowie
den Forschungsleitern Prof. Dr. Roland Roth und
Prof. Dr. Waldemar Stange für ihre versierte und
engagierte Arbeit. Die von ihnen vorgelegten
Ergebnisse haben das Potenzial, die über 500
Kinder-und Jugendparlamente sowie die ca. 300
Jugendforen in Deutschland aus ihrem Schattendasein zu befreien und ihnen Anerkennung für
ihren so überaus wesentlichen Beitrag für eine
lebendige und nachhaltige Demokratie zukommen zu lassen.
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
3
Anstelle eines Grußwortes
Eine KiJuPa-Geschichte, die sich so im wirklichen kommunalen Leben
durchaus ereignen könnte …
von Rainer Wiebusch, Leiter des Referates
„Jugendstrategie, eigenständige Jugendpolitik“
im Bundesjugendministerium und zuständig für
die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“
Lina (14) und Finn (15) sind seit über zwei Jahren
Mitglieder im Kinder- und Jugendparlament Neustadt, kurz KJN. Sie freuen sich auf die nächste
Sitzung, die vom Oberbürgermeister der Stadt
geleitet wird. Das hat das KJN gleich bei seiner
Gründung im Jahre 2007 so beschlossen: Die Sitzungen werden im Wechsel von den beiden Vorsitzenden und dem Oberbürgermeister geleitet.
Manchmal muss der Oberbürgermeister schon
mal früher los, das KJN tagt immer so zwischen
drei und vier Stunden, da übernehmen dann die
beiden Vorsitzenden Constanze (17) und Metin
(16) die Sitzungsleitung. Oberbürgermeister Borghorst erklärt den 25 Mitgliedern des KJN genau,
warum er früher gehen muss – bisher war das nie
ein Problem, und der OB hat für die jungen Leute auch zwischen den Sitzungen ein offenes Ohr.
Und zu Beginn der Sitzungen ist er immer pünktlich.
Wenn Constanze sich im nächsten Jahr auf das
Abitur konzentrieren muss, möchte Lina sich
zur Wahl stellen und Vorsitzende des KJN werden. Sie hat in den letzten zwei Jahren so einiges gelernt: wie Anträge geschrieben werden,
wie Kompromisse ausgehandelt werden – und
sie hat auch keine Probleme mehr, vor größeren Gruppen zu sprechen. Und vor allem hat sie
total viel Spaß bei der Arbeit im KJN, weil sie da
mit Gleichaltrigen zusammen ist und weil sie
gemeinsam etwas bewirken können. Natürlich
werden nicht alle Beschlüsse des KJN umgesetzt
und auch nicht sofort. Aber eigentlich sind sie
schon stolz darauf, dass sie im Stadtrat und den
Ausschüssen Rederecht haben und Anträge stel-
4
len können. Wenn etwas nicht umgesetzt wird,
dann müssen die verantwortlichen Erwachsenen
das begründen.
Als das KJN im Jahr 2007 gegründet wurde,
war das noch fast eine Sensation. Die damalige Oberbürgermeisterin Königshaus fand, dass
Kinder und Jugendliche Expertinnen und Experten in eigener Sache sind und deshalb auch die
Möglichkeit bekommen müssen, ihre Wünsche
und Ideen den erwachsenen Politikerinnen und
Politikern vorzustellen. Weil sie das wollen und
können und weil die meisten nicht wählen dürfen, altersbedingt.
Die 25 Mitglieder des heutigen KJN waren da
noch nicht dabei, aber Sandra Michaelis, die
damals als Mitarbeiterin des Jugendamtes den
Gründungsprozess mit begleitet hat, erzählt
gern über die ersten Jahre. Heute ist sie in der
Jugendhilfeplanung tätig und kann das KJN mit
20 Wochenstunden unterstützen. Das ist gut so,
denn es gab schon mal Zeiten, da wäre das KJN
fast eingeschlafen – Ältere hatten andere Interessen und Jüngere waren noch nicht so weit.
Zurück zu Königshaus. Die war der Meinung, dass
Kinder- und Jugendbeteiligung sich nicht nur auf
Spielplätze und Skateranlagen konzentrieren
dürfe. Darum wollte sie ein allgemeinpolitisches
Mandat für das Kinder- und Jugendparlament:
Kinder und Jugendliche sollten sich einmischen
in alle Politikbereiche, die für sie relevant sind.
Also in alle. Und dann hat sie zu einer öffentlichen Veranstaltung eingeladen; da haben dann
Jugendliche aus anderen Kinder- und Jugendparlamenten über ihre Arbeit berichtet, ein Professor hat einen bundesweiten Überblick gegeben
und eine Vertreterin des Landesjugendringes hat
was zur Wirksamkeit vorgetragen.
Dann ging die Diskussion erst richtig los. Die
Einen wollten alles perfekt machen, den Anderen
ging das viel zu weit. Es hatte Monate gedauert,
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
bis das Konzept stand. Und das Ergebnis kann
sich wirklich sehen lassen. Die Oberbürgermeisterin hat sich durchgesetzt und einfach erklärt,
dass das Kinder- und Jugendparlament „Chefinsache“ ist. 25 Mitglieder sollte das KJN haben
– 12 wurden in den Schulen, in allen Schulen
gewählt. 13 wurden durch Verbände und Vereine
delegiert, moderiert vom Stadtjugendring.
Die Oberbürgermeisterin hat dem Stadtrat dann
eine Satzung, an der wirklich viele Leute mitgewirkt hatten, vorgelegt: einstimmig beschlossen. Sandra Michaelis hat mit den Mitgliedern
des KJN eine Geschäftsordnung ausgearbeitet.
Das klingt vielleicht ziemlich technisch, ist aber
ganz einfach und regelt, wie die Zusammenarbeit funktioniert. Das wirklich Sensationelle war
dann, dass die Oberbürgermeisterin eine Dienstanweisung an ihre Dezernentinnen und Dezernenten unterschrieben hat, in der steht, dass
die Beschlüsse des KJN umgesetzt werden müssen – es sei denn, es wird begründet, warum das
nicht geht. Die Kinder und Jugendlichen fanden
das ganz normal, die Erwachsenen meinten aber,
dass sowas echt sehr weitreichende Konsequenzen haben könnte …
Natürlich hat das KJN auch ein eigenes Budget
bekommen. Das waren am Anfang 5.000 €. Und
weil die Projekte und Veranstaltungen so toll
waren, die in Eigenregie durchgeführt wurden,
wurde der Betrag immer weiter erhöht. Jetzt sind
50.000 € im Budget.
Die Oberbürgermeisterin ist jetzt Ministerin in
einem anderen Bundesland. Und ihr Nachfolger
steht auch voll hinter dem KJN. Bei der letzten
Kommunalwahl hatte das KJN Wahlprüfsteine
ausgearbeitet. Und die Antworten sind nach der
Wahl nicht einfach in die Schublade gelegt worden, sondern der neue Oberbürgermeister macht
einfach dort weiter, wo seine Vorgängerin aufgehört hat.
Aus dem ersten KJN sind drei Mitglieder auch
parteipolitisch aktiv geworden und sitzen jetzt
im Stadtrat. Sie sind immer ansprechbar für die
Mitglieder des KJN. Manchmal müssen sie aber
auch sehr deutlich darauf hingewiesen werden,
dass sie früher oder besser vor einigen Jahren
selber im KJN waren.
Fortsetzung folgt …
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
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6
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
1. Kommunen als politische Lernorte für
junge Menschen und die Bedeutung
von kommunalen Kinder- und
Jugendparlamenten
Überblick:
Neben Familien, Freundschaften und Bildungseinrichtungen prägen Kommunen, ihre Einrichtungen und Dienste die Lebenswelt von jungen Menschen. Diese alltägliche Nähe bietet niedrigschwellige Zugänge zu Mitsprache und Gestaltung. Kinder- und Jugendbeteiligung ist eine wichtige kommunale Angelegenheit.
Kinder- und Jugendparlamente zielen als institutionalisierte und kontinuierliche Form der kommunalen Interessenvertretung mit einem breiten thematischen Mandat zur Gestaltung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen auf garantierte Zugänge zu Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung.
Dennoch gelten kommunale Kinder- und Jugendparlamente in der öffentlichen Debatte oft als
wenig zeitgemäße oder kinder- und jugendgerechte Form der Beteiligung.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen ein anderes Bild: Kinder- und Jugendparlamente bieten viele positive Lerngelegenheiten für die nachwachsende Generation und machen sie fit für eine vielfältiger gewordene Demokratie. Kinder- und Jugendparlamente tragen zur Stärkung kommunaler Demokratie bei. Sie können Kommunen kinderfreundlicher machen und so das Wohlbefinden
aller Einwohnerinnen und Einwohner steigern. Deshalb haben repräsentative Beteiligungsformate, wie Kinder- und Jugendparlamente, mehr jugendpolitische Aufmerksamkeit und öffentliche
Förderung verdient!
Das Handeln der Menschen vollzieht sich stets
in lokalen Kontexten. Auch wenn in diesem weiten Sinne alles Handeln „lokal“ ist, liegen einige
Einschränkungen und Präzisierungen nahe, die
das lokale Engagement von Kindern und Jugendlichen in der Kommune beeinflussen:
•
Die Ortsbindung von Kindern und Jugendlichen ist deutlich größer als die von Erwachsenen, die meist durch Beruf, Lehre und Studium
erhöhten räumlichen Mobilitätszwängen und
-chancen ausgesetzt sind. Die Lebenswelt von
Kindern und Jugendlichen ist dagegen wesentlich durch ihren Wohnort geprägt. Dort befinden sich zumeist ihre Bildungs- und Freizeiteinrichtungen. Ihre selbstständige Mobilität wird
durch die kommunale Verkehrsinfrastruktur
und den öffentlichen Nahverkehr geprägt.
• Kommunen, ihre Einrichtungen und Dienstleistungen, aber auch die lokale Zivilgesellschaft,
wie z.B. Vereine, Kirchengemeinden und Initiativen sind mitentscheidend für das Wohlbefinden und die Lebenschancen von jungen Menschen – jenseits der Prägekraft von Familien
und Schulen. Kinder- und Familienfreundlichkeit gehören seit Jahren zu den Leitbildern, mit
denen Kommunen um Investoren sowie neue
Bürgerinnen und Bürger werben.
•
In der föderalen Verfassung der Bundesrepublik kommt den Kommunen eine besondere Bedeutung zu. Das Grundgesetz (Art. 28,
Abs. 2) garantiert ihnen kommunale Selbstverwaltung, d.h., ihnen wird die Möglichkeit
garantiert, im Rahmen der Gesetze und ihrer
finanziellen Ausstattung ihre örtlichen Angelegenheiten eigensinnig zu gestalten. In diesem
Sinne kommen ihnen eine „Allzuständigkeit“
und ein „Aufgabenfindungsrecht“ zu. Kommunen setzen den Löwenanteil der Gesetze von
Bund und Ländern um und können dabei durch-
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
7
aus unterschiedliche Wege gehen. Gleichzeitig
verfügen sie über einen eigenen Bereich „freiwilliger Aufgaben“, d.h., sie können sich um
Belange der „örtlichen Gemeinschaft“ kümmern, die bislang nicht von höheren staatlichen
Ebenen aufgegriffen und reguliert wurden.
Dies war rückblickend z.B. im Umweltbereich,
in Sachen Gleichstellung oder der Integration
von Zugewanderten der Fall. Aktuell gehen z.B.
zahlreiche Kommunen mit eigenen Leitlinien
und Beauftragten in der institutionell garantierten Bürgerbeteiligung voran oder definieren sich als „Bürgerkommune“, die neben der
Bürgerbeteiligung auch das freiwillige Engagement fördert und zentrale Handlungsfelder
gemeinsam mit der Bürgerschaft bzw. zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt – wie z.B.
in der Energiewende und der Integration von
Geflüchteten.
• Auch international lässt sich eine Aufwertung
lokaler Politik beobachten. Kommunen erscheinen zunehmend als Orte, an denen zukunftsfähige Lösungen für zentrale gesellschaftliche
Problemlagen erprobt werden und dabei nationalen Regierungen den Rang ablaufen (Bréville 2020). Dies gilt vor allem für große Städte und ihre transnationalen Netzwerke (etwa
„Welcoming Cities“ oder „Cities for Children“),
aber auch zunehmend für kleinere Kommunen,
wenn es z.B. um den sozialen Zusammenhalt in
strukturschwachen ländlichen Räumen geht.
Das alte Bild einer nachrangigen, verwaltungsgeprägten politischen Ebene ohne eigene politische Gestaltungsspielräume und in ständiger
Finanznot scheint zu verblassen.
•
Kommunen sind ein zentraler Akteur in der
politischen Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen sowie der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention geworden, der die Bundesrepublik 1992 beigetreten ist. Dort findet
sich z.B. in Artikel 12 die Norm, Kinder an allen
sie betreffenden Angelegenheiten zu beteiligen, ihre Meinung zu hören und diese angemessen zu berücksichtigen. Eine ganze Reihe
von Kommunen hat sich diesen gesetzlichen
Auftrag zu eigen gemacht und vielfältige Formen der Beteiligung entwickelt. Die mit dem
Zertifikat „Kinderfreundliche Kommune“1 versehenen Gemeinden und Städte kümmern sich
intensiv darum, Kinderrechten umfassend zur
Geltung zu verhelfen. Da sich diese Praxis in
der Regel am Motto der Kinderrechtsbewegung
„Nichts für uns, ohne uns!“ orientiert, bieten
sich für Kinder und Jugendliche an diesen Orten
besondere Lern- und Gestaltungschancen in
vielfältigen Beteiligungsprozessen. Sie zu verbreiten ist ein Anliegen dieser Kommunen, die
international durch die „Child-Friendly Cities“Initiative von UNICEF unterstützt werden.
Vor diesem Hintergrund können Kommunen auch
für Kinder und Jugendliche zu einem attraktiven
politischen Lernort werden:
• Neben Familien, Freundschaften und Bildungseinrichtungen prägen Kommunen, ihre Einrichtungen und Dienste die Lebenswelt von
jungen Menschen. Die alltägliche Nähe bietet
niedrigschwellige Zugänge zu Mitsprache und
Gestaltung. Kinder- und Jugendbeteiligung ist
in erster Linie eine kommunale Angelegenheit,
ihre Erfolge und Wirkungen sind nachvollziehbar und können zur Verbesserung der eigenen
Lebenssituation beitragen. Gleichzeitig bieten
Kommunen die Gelegenheit, globale Herausforderungen zu thematisieren und praktisch
„im Kleinen“ anzugehen. Dies gilt vor allem
dann, wenn Kommunen eine eigene Beteiligungskultur entwickelt haben, die offen für die
Impulse der nachwachsenden Generation ist.
• Projektorientierte und offene Formen prägen
weitgehend die Beteiligungsangebote von
Kommunen an Kinder- und Jugendliche. Die
damit verbundenen Lernchancen und Selbstwirksamkeitserfahrungen sind hinlänglich
bekannt und nicht zu unterschätzen. Sie entsprechen in ihren zeitlichen und thematischen
Beschränkungen zudem auch dem verstärkten Zeitdruck, dem sich junge Menschen nicht
zuletzt durch die Verdichtung und Ausweitung
der Bildungsangebote (Ganztag) ausgesetzt
1
Zu dieser Praxis vgl. Kinderfreundliche Kommunen (2019); einen systematischen Überblick zur Umsetzung der Kinderrechte in kommunalen Handlungsfeldern bieten in Kürze Bär/Roth/Csaki 2021
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Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
sehen. Die Vorteile dieser Beteiligungsformate
liegen darin, dass sie auch mit überschaubarem Ressourcenaufwand an Personal und professionellem Know-how in aller Regel sehr gut
funktionieren. Gleichzeitig können die vielfältigen offenen und projektorientierten Formate
auch nicht alles leisten. Sie bieten manchmal
nicht genügend Raum für längerfristige und
kumulative Lernprozesse, sind oft neben den
Regelstrukturen angesiedelt und lassen diese meist unverändert. Auch wenn die große
Bedeutung der offenen und projektorientierten
Beteiligungsformate für die engagierten Kinder
und Jugendlichen unverändert gilt, bedürfen
sie doch der Ergänzung durch Formate wie die
kommunalen Kinder- und Jugendparlamente,
die in der Regel die Einbettung in eine verlässliche kommunale Beteiligungskultur gezielter
angehen können.
•
Repräsentative Beteiligungsformate wie die
Kinder- und Jugendparlamente verfügen hier
über eine Reihe von Vorteilen: Sie zielen als
institutionalisierte und kontinuierliche Form
der Interessenvertretung mit einem breiten thematischen Mandat auf garantierte Zugänge zur
Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung
ab. Sie haben den Auftrag und die institutionelle Legitimation, die vielfältigen Interessen
von Kindern und Jugendlichen zu bündeln und
dabei zwischen den unterschiedlichen und
zuweilen divergierenden Interessen zu vermitteln. Auch wenn der Grad der Einbindung in die
Arbeit von Kommunalparlamenten oder Kinderund Jugendhilfeausschüssen unterschiedlich
ausfällt, bieten Kinder- und Jugendparlamente die Chance, Kommunalpolitik in ihrer Breite kennenzulernen und zu beeinflussen. Dass
dieses Beteiligungsformat wesentlich höhere
Ansprüche an alle Beteiligten stellt und deutlich mehr dauerhafte professionelle Unterstützung benötigt, um erfolgreich zu sein, liegt auf
der Hand.
• Leider ist die Begriffsbildung zu diesem Format
der Partizipation in den Ländern traditionell
sehr heterogen und stark von den jeweiligen
2
Kommunalverfassungen der Länder geprägt.
Zum Beispiel spricht Baden-Württemberg von
„Jugendgemeinderäten“, in Schleswig-Holstein ist dagegen von „Kinder- und Jugendvertretungen“ die Rede, um einer Fülle von lokal
sehr unterschiedlichen Formaten und Bezeichnungen gerecht zu werden. Oft ist auch von
Jugendbeiräten die Rede, um ihre beratende Aufgabe für die Kommunalvertretungen,
Gemeinde- oder Stadträte zu betonen. Gemeinsam ist ihnen bei aller begrifflichen Vielfalt der
repräsentative Anspruch. Sie wollen und sollen
möglichst umfassend die Anliegen und Interessen junger Menschen vor Ort aufgreifen und in
die Kommunalpolitik einbringen.
•
Angesichts der Vielfalt an Bezeichnungen
haben wir uns für den Arbeitsbegriff (kommunale) „Kinder- und Jugendparlamente“2 entschieden, wenn Kinder und Jugendliche eigene
Gremien bilden, die im kommunalen Kontext
repräsentativ für ihre Altersgruppe handeln.
Die entsprechende Förderlinie des BMFSFJ
nutzt den erweiterten Programmbegriff „Starke Kinder- und Jugendparlamente“, um ihre
Zielsetzung zu verdeutlichen, die durch unsere
Forschung Unterstützung findet.
In Zeiten vielfältiger Krisenerscheinungen parlamentarischen Regierens dürften „Starke Kinderund Jugendparlamente auf kommunaler Ebene“
den unbestreitbaren Vorteil haben, dass sie die
größte Nähe zu den parlamentarischen Strukturen der Erwachsenen haben. Hier können Parlamentarismus gelernt und das Verständnis für
parlamentarische Prozesse und Kompromisse
gestärkt werden.
Die nachfolgend näher vorgestellte Befragung
von Betreuerinnen und Betreuern repräsentativer Kinder- und Jugendvertretungen bestätigen
diese Erwartungen. Sie vergleichen ihr Format
mit einer Reihe von Merkmalen konkurrierender
Beteiligungsformate. Dabei sehen sie durchaus
die Vorteile projektbezogener Beteiligung, die
„griffiger“ und kurzweiliger sein kann. Zudem
Der Begriff hat eine Reihe von Vorzügen: Er ist allgemeinverständlich und nahezu selbsterklärend – eine nicht zu unterschätzende
Eigenschaft, wenn es um die Unterstützung dieses Beteiligungsformates auch außerhalb der engeren sozialpädagogischen und politischen Fachzirkel auf lokaler Ebene in der Kommunalpolitik und der Erwachsenen-Bürgerschaft geht.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
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würden sie schnelle Bestätigung und unmittelbare Selbstwirksamkeit fördern. Außerdem bemängeln einige Betreuerinnen und Betreuer, dass die
repräsentativen Beteiligungsformate nicht alle
Kinder und Jugendlichen vertreten könnten und
außerdem erwachsenenzentriert und -abhängig
seien.
Andererseits werden auch die Vorteile der repräsentativen
Beteiligungsformate
gegenüber
anderen Formaten mit ihren jeweiligen Qualitäten betont: die Möglichkeit, größere Projekte über einen längeren Zeitraum zu verfolgen;
ihre Beachtung eines größeren lokalen Zusammenhangs als bei kurzfristiger projektbezogener Arbeit; die deutlich bessere Absicherung
durch eigene Rechte und eine strukturelle Verankerung; den hohen Grad an Legitimation; die
Vorteile in Bezug auf Nachhaltigkeit (Kontinuität und Langfristigkeit statt temporärer Orien-
10
tierung) und die Verlässlichkeit dieses Formats.
Weiterhin werden das hohe Ansehen und die
Reputation in der Öffentlichkeit hervorgehoben,
der deutlich größere Einfluss auf die kommunale Politik und Verwaltung (verbesserte Gestaltungsmöglichkeiten) und nicht zuletzt die Vorteile für die Kinder und Jugendlichen selbst (eigene
Interessenvertretung, verbesserte Chancen zur
Umsetzung von Projekten, Kompetenzerwerb –
z.B. politische Bildung, Erlernen von Demokratie
usw.).
Allerdings plädieren auch die allermeisten
Betreuerinnen und Betreuer von Kinder- und
Jugendparlamenten für eine Vielfalt von Beteiligungsformaten, also letztlich für einen Beteiligungsmix und reichhaltige Beteiligungslandschaften – in etwa so, wie wir sie in den
quantitativen Ergebnissen dieser Untersuchung
an vielen Stellen gefunden haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
2. Kommunen mit Kinder- und
Jugendparlamenten in Deutschland
Überblick:
Es gibt 520 Kinder- und Jugendparlamente in Deutschland. Damit sind nur in ca. 5 % aller deutschen 11.059 Kommunen repräsentative Kinder- und Jugendvertretungen vorhanden. Das liegt
aber auch daran, dass von den kleinen Gemeinden unter 5.000 Einwohnern, die 73 % aller Kommunen ausmachen, nur 0,6 % über ein Kinder- und Jugendparlament verfügen. In den anderen
Größenklassen sind die Kinder- und Jugendparlamente stärker vertreten.
Verbreitung von Kinder- und Jugendparlamenten
In einem aufwendigen Verfahren – Abfragen bei
Landesvereinigungen, bei zuständigen Landesministerien, bei landesweiten Treffen von Kinderund Jugendparlamenten (KiJuPa), Einzelrecherchen etc. – konnten vor Beginn der Befragung
bundesweit 520 repräsentative Formen der kommunalen Interessenvertretung von Kindern und
Jugendlichen (inklusive Kontaktadressen in der
Verwaltung bzw. der Betreuenden) identifiziert
werden.3
Angesichts der erheblichen Fluktuation und der
Vielfalt vorhandener repräsentativer Formate
(inklusive der Benennungen) ist davon auszugehen, dass nicht alle Anfang des Jahres 2018 existierenden KiJuPa erfasst werden konnten. Da nur
eine vergleichsweise geringe Zahl zusätzlicher
Gremien erst im Rahmen des Forschungsprozesses bekannt wurde, dürfte die Anzahl der nicht
erfassten Gremien im einstelligen Prozentbereich
liegen. Trotz der vergleichsweise guten Resonanz
und einigen Versuchen, die Existenz der Gremien
durch Anrufe bei den Stadt- und Gemeindeverwaltungen zu überprüfen, ist davon auszugehen,
dass es in nahezu vergleichbarer Anzahl Kommunen im bereinigten Datensatz gibt, in denen
die gemeldeten KiJuPa nicht mehr existieren. Die
angestrebte Grundgesamtheit (alle kommunalen
KiJuPa in Deutschland) und die Auswahlgesamtheit (die erfassten und angeschriebenen Kommunen) dürften – wägt man „Undercoverage“ (nicht
alle KiJuPa sind bekannt) und „Overcoverage“
(nicht alle angeschriebenen KiJuPa existieren
noch) ab – somit nahe beieinanderliegen. Wir halten deshalb vor dem Hintergrund unserer intensiven Recherchearbeiten eine Gesamtzahl von 520
repräsentativen Vertretungen von Kindern und
Jugendlichen in deutschen Kommunen für Anfang
2018 für plausibel4. Damit gibt es in knapp 5 %
aller deutschen 11.059 Kommunen eine repräsentative Kinder- und Jugendvertretung5.
Allerdings variiert der Anteil nach Gemeindegröße erheblich:
•
Während 73 % (8.136) aller Gemeinden in
Deutschland weniger als 5.000 Einwohner
haben, finden wir dort nur ca. 9 % (45) sämtlicher Kinder- und Jugendparlamente. Nur 0,6 %
(45) der Kommunen in dieser Größenklasse
haben ein Kinder- und Jugendparlament.
• Bei den Gemeinden unter 1.000 Einwohnern,
die immerhin 36 % (4.031) aller Gemeinden
ausmachen, haben sogar nur 0,17 % (7 Kommunen) ein KiJuPa.
• Kleinstädte (5.000 bis unter 20.000 Einwohner) stellen 20 % (2.228) aller Gemeinden sind
3
Dass es auch in etwa der Hälfte der Bundesländer Ansätze zur Interessenvertretung auf Landesebene, etwa in Form von Jugendlandtagen gibt, bleibt hier unberücksichtigt – s. detailliert Roth/Wenzl 2019.
4
Die erfassten kommunalen Kinder- und Jugendparlamente werden in Kürze auf der Beteiligungslandkarte des Deutschen Kinderhilfswerkes dokumentiert werden.
5
Die Zahlen- und Prozentangaben beziehen sich auf die 2018 verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
11
mit 38 % (196) sämtlicher Kinder- und Jugendparlamente deutlich stärker vertreten. 8,8 %
aller Kleinstädte verfügen über ein Kinder- und
Jugendparlament.
• Noch größer ist der Anteil der kleinen Mittelstädte (20.000 bis unter 50.000 Einwohner),
die 32 % (162) aller repräsentativen Vertretungsformen stellen, aber nur 5 % (505) aller
Kommunen ausmachen. Damit verfügt nahezu
jede dritte kleine Mittelstadt (32,1 %) über ein
Kinder- und Jugendparlament.
• Von den 110 großen Mittelstädten (50.000 bis
unter 100.000 Einwohner) Deutschlands verfü-
gen 48 über ein Kinder- und Jugendparlament
– das sind 43,6 %.
• Bei den Großstädten sind Kinder- und Jugendparlamente noch häufiger anzutreffen. Von
den 66 Großstädten mit 100.000 bis zu einer
halben Million Einwohnern haben 45, d.h.
mehr als zwei Drittel (68,2 %) ein Kinder- und
Jugendparlament.
• In den 14 Großstädten mit über 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern finden wir 10
Kinder- und Jugendparlamente6 (also in 71 %).
• In 14 von 294 Landkreisen gibt es Kreis-Jugendparlamente (also in knapp 5 %).
Abb. 1: Verteilung der KiJuPa nach Gemeindegrößen in Deutschland
und Anzahl der KiJuPa in diesen Größenklassen7
0
Gemeinde
(unter 1.000)
Gemeinde
(1.000 bis 5.000)
500
Großstadt
(über 500.000)
2.000
2.500
3.000
3.500
4.000
4.500
4.031
4.105
38
2.228
196
Kleine Mittelstadt
(20.000 bis
unter 50.000)
Großstadt
(100.000 bis
unter 500.000)
1.500
7
Kleinstadt
(5.000 bis
unter 20.000)
Große Mittelstadt
(50.000 bis
unter 100.000)
1.000
505
162
110
48
66
45
14
10
Deutschland
N gesamt
Lesebeispiel: D
eutschlandweit gibt es 4.031 Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sieben Kinder- und Jugendparlamente sind in solchen Gemeinden angesiedelt.
6
Bei einer differenzierten Betrachtung der Großstädte und Stadtstaaten ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nicht immer um stadtweite,
sondern auch um stadtteil- oder bezirksbezogene Vertretungen handelt. So gibt es in Berlin in zwei von insgesamt zwölf Bezirken Jugendvertretungen. In Stuttgart sind 2020 auf bezirklicher Ebene 15 Jugendräte gewählt worden, in acht Stadtbezirken wurden Projektgruppen gebildet.
Ihre Vertreter bilden gemeinsam den gesamtstädtischen AK Stuttgarter Jugendrat (https://jugendrat.stuttgart.de/ letzter Zugriff 5.8.2020).
7
Die Gesamtzahl der KJP beträft hier 506. In Tabelle 1, 3 und 4 sind es aber 520, weil dort die 14 Landkreisparlamente mitgezählt werden.
12
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Der Befund ist eindeutig: Die Verbreitung repräsentativer Beteiligungsformate für Kinder und
Jugendliche steigt mit der Gemeindegröße
erheblich an8. Immerhin zwei von drei Großstädten verfügen über ein Kinder- und Jugendparlament.
Diese Verteilung lässt unterschiedliche Deutungen zu. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass
in keinem Bundesland die Einrichtung von KiJuPa oder anderen repräsentativen kommunalen
Vertretungen für Kinder und Jugendliche eine
kommunale Pflichtaufgabe darstellt. Nur drei
Flächenländer haben in ihren Kommunalverfassungen eine verpflichtende allgemeine Kinderund Jugendbeteiligung (Schleswig-Holstein seit
2003; Baden-Württemberg seit Dezember 2015
– allerdings nur für Jugendliche, Brandenburg
seit 2018)9, ohne jedoch ein bestimmtes Beteiligungsformat vorzugeben10.
An erster Stelle dürfte das Größenargument eine
Rolle spielen. In kleineren Gemeinden kennt
man sich und begegnet sich alltäglich (so auch
Bruner u.a. 1999: 20). Je größer das Gemeinwesen, desto geringer ist die Reichweite direkter Kommunikation. Damit steigt zugleich der
Bedarf an repräsentativen Vertretungen. Dieses
klassische Argument der „großen Zahl“ für die
Wahl repräsentativer Formate hat mit Blick auf
die vorhandenen Kinder- und Jugendparlamente
nur eingeschränkte Gültigkeit, denn es gibt sie
in allen Gemeindegrößen-Klassen. Selbst bei
den Großstädten verzichtet eine größere Zahl
auf diese Option. Zudem kann mit dieser Studie
nicht gezeigt werden, ob in kleineren Gemeinden direkte Formen der Beteiligung intensiver
genutzt werden, weil sie sich auf repräsentative
Formate konzentriert.
Bei der Verteilung der Kommunen mit repräsentativer Kinder- und Jugendbeteiligung auf die
Bundesländer (nur Flächenländer) zeigen sich
deutliche Unterschiede. In absoluten Zahlen
dominiert Baden-Württemberg mit 101 Kommunen, es folgen Nordrhein-Westfalen mit 79,
Bayern mit 68 und Schleswig-Holstein mit 55
Kommunen, in denen es eine Kinder- und Jugendvertretung gibt. In den anderen Bundesländern –
vor allem in Ostdeutschland – liegen die Zahlen
deutlich darunter.
Mit Blick auf die Gesamtzahl der Kommunen in
den einzelnen Bundesländern ergibt sich ein
deutlich anderes Bild. Danach verfügen knapp
20 % aller Kommunen in Nordrhein-Westfalen
über ein Kinder- und Jugendparlament. In größerem Abstand folgen Baden-Württemberg (9,2 %),
Hessen (8,5 %), Saarland (7,7 %), SachsenAnhalt (6,5 %), Sachsen (6,3 %), Brandenburg
(5,5 %), Schleswig-Holstein (5 %), Niedersachsen (4 %), Bayern (3,3 %), Thüringen (2,2 %) und
Mecklenburg-Vorpommern (1,6 %). Das Schlusslicht bildet Rheinland-Pfalz mit 1,4 %, wenn man
diese Kategorisierung wählt.
Bei diesen Prozentzahlen ist allerdings der
bereits dargestellte Befund zur Gemeindegröße zu berücksichtigen. Kleinere Kommunen
machen deutlich weniger vom Format der Kinder- und Jugendparlamente Gebrauch. So haben
in Rheinland-Pfalz von 2.305 Kommunen insgesamt allein 2.178 weniger als 5.000 Einwohner, in Bayern sind es von 2.056 Kommunen insgesamt 1.492, in Schleswig-Holstein von 1.110
allein 1.012 und in Baden-Württemberg weisen von 1.101 Kommunen noch 581 Kommunen
weniger als 5.000 Einwohner auf. Der Kontrast
zu Nordrhein-Westfalen, dem einwohnerreichs-
8
Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der DJI-Untersuchung von 1998 (Bruner u.a. 1999: 18-22).
9
Hinzu kommt noch der Stadtstaat Hamburg (Bezirksverwaltungsgesetz). Allerdings muss angemerkt werden, dass die in den meisten
anderen Ländern übliche Soll-Vorschrift rechtlich eine durchaus harte Formulierung ist („Müssen, wenn man kann!“). Ob die Brandenburger Regelung eine echte Muss-Vorschrift darstellt, wird sich in der kommunalen Praxis erst noch erweisen. Wir schließen uns hier
der hoffnungsvollen Bewertung des Deutschen Kinderhilfswerkes (2019: 19ff.) an.
10
Bundesländer mit verpflichtender Kinder- und Jugendbeteiligung (SH, HH, BaWü, Brandenburg) schreiben in ihren Gemeindeordnungen
bzw. im Bezirksverwaltungsgesetz (HH) keine repräsentativen Formate vor. Gefordert sind „geeignete Verfahren“. Am deutlichsten
spricht sich noch die Gemeindeordnung von BaWü (41a in der seit 12/2015 gültigen Fassung) für repräsentative Formate aus. Dort
können Jugendliche mit niedrigem Quorum die Einrichtung einer Jugendvertretung beantragen. Nur dort finden sich auch detailliertere
Aussagen zur Ausgestaltung der Jugendgemeinderäte (Geschäftsordnung mit Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht, Bereitstellung
„angemessener finanzieller Mittel“).
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
13
ten Bundesland, könnte nicht größer sein. Dort
haben von insgesamt 396 Kommunen lediglich
3 weniger als 5.000 Einwohner. Ein Teil der bisher erwähnten länderspezifischen Unterschiede
geht somit auf Größeneffekte zurück11.
Wichtiger für die Bedeutung und den Stellenwert
der repräsentativen Beteiligungsformate im Ländervergleich könnte der Hinweis auf die Repräsentationsdichte sein, die sich aus der Relation
von Kinder- und Jugendparlamenten pro Einwohner eines Bundeslandes ergibt. Danach entfallen
in Schleswig-Holstein auf ein repräsentatives
Kinder- und Jugendparlament rund 52.000 Einwohner, gefolgt von rund 108.000 Einwohnern in
Baden-Württemberg und Brandenburg, während
sich in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
jeweils über 200.000 Einwohner ein Kinder- und
Jugendparlament teilen.
Tab. 1: Einwohner pro Kinder- und Jugendparlament nach Bundesland
Bundesland
Kommunen mit KiJuPa
Einwohner im Bundesland
Einwohner pro KiJuPa
Schleswig-Holstein
55
2.881.926
52.398,7
Bremen
8
678.753
84.844,1
Baden-Württemberg
101
10.951.893
108.434,6
Brandenburg
23
2.494.648
108.463,0
Thüringen
19
2.158.128
113.585,7
Mecklenburg-Vorpommern
12
1.610.674
123.898,0
Rheinland-Pfalz
32
4.066.053
127.064,2
Sachsen
27
4.081.783
151.177,1
Sachsen-Anhalt
14
2.236.252
159.732,3
Hessen
36
6.213.088
172.585,8
Bayern
68
12.930.751
190.158,1
Niedersachsen
38
7.945.685
209.097,0
Nordrhein-Westfalen
79
17.890.100
226.457,0
Saarland
4
996.651
249.162,8
Hamburg
2
1.810.438
905.219,0
Berlin
2
3.574.830
1.787.415,0
520
82.521.653
Insgesamt
Lesebeispiel: D
ie Dichte der Kinder- und Jugendparlamente in Schleswig-Holstein liegt bei ca. 52.000 Einwohnerinnen und Einwohnern pro
KiJuPa, in Bayern bei ca.190.000 Einwohnerinnen und Einwohnern pro KiJuPa und in Berlin bei ca. 1.787.000 Einwohnerinnen
und Einwohnern pro KiJuPa.
11
14
Wir gehen davon aus, dass die Regelungen in Kommunalverfassungen ebenfalls einen Einfluss auf die Verbreitung von Kinder- und
Jugendparlamenten haben. Dies gilt auch für die Finanzausstattung der Kommunen und Förderprogramme der einzelnen Bundesländer
in diesem Bereich. Jedenfalls hat sich dies bei der Einführung des § 47f. in die Gemeindeordnung und einem entsprechenden Begleitprogramm der Landesregierung in Schleswig-Holstein beobachten lassen. Der Erfolg dieser Bemühungen zeigt sich in der vergleichsweise großen Zahl von Gemeinden mit Kinder- und Jugendparlamenten. Mit der Neufassung des 41a. in der Gemeindeordnung BadenWürttembergs im Dezember 2015 lässt sich dort eine ähnliche Dynamik feststellen. Allerdings lassen sich solche Annahmen erst durch
einen detaillierten Ländervergleich, auf den wir hier verzichten müssen, bestätigen oder zurückweisen.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Abb. 2: Einwohner pro Kinder- und Jugendparlament nach Bundesland
Schleswig-Holstein
Bremen
Baden-Württemberg
Brandenburg
Thüringen
Mecklenburg-Vorpommern
Rheinland-Pfalz
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Hessen
Bayern
Niedersachsen
Nordrhein-Wesfalen
Saarland
Hamburg
Berlin
500.000
1.000.000
1.500.000
2.000.000
Lesebeispiel: D
ie Dichte der Kinder- und Jugendparlamente in Schleswig-Holstein liegt bei etwa 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern pro
KiJuPa, in Bayern bei ca.190.000 Einwohnerinnen und Einwohnern pro KiJuPa.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
15
3. Online-Befragung von Betreuerinnen
und Betreuern kommunaler Kinder- und
Jugendparlamente
Die hier vorgestellten Ergebnisse der bislang
umfassendsten Erhebung zu kommunalen Kinderund Jugendparlamenten sind Teil einer kinderund jugendpolitischen Strategie des Bundes, die
– ausdrücklich ohne jede Geringschätzung anderer Beteiligungsformate – repräsentative Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene unterstützen und verbreiten will. Die Online-Befragung
von Betreuerinnen und Betreuern solcher Partizipationsformen und die anschließende qualitative Befragung von Kindern und Jugendlichen
sollen eine empirisch gesicherte Grundlage für
die Debatte über Qualitätsmerkmale repräsentativer Kinder- und Jugendbeteiligung in Kommunen bieten, die förderpolitische Anstrengungen
auf allen politischen Ebenen begründen können.
Die hier präsentierten Daten der bekannten Kinderund Jugendparlamente und die Auswertung der
Online-Befragung bieten dafür erste Erkenntnisse,
die weit über die bekannten – deutlich begrenzten
und zum Teil veralteten – Studien hinausgehen,
einige frühere Befunde bestätigen, andere verbreitete Einschätzungen jedoch infrage stellen.
3.1 Ziele und Design der Online-Befragung
Aus Kosten- und Zeitgründen haben sich alle
Beteiligten für eine Online-Befragung der Betreuerinnen und Betreuer von Kinder- und Jugendparlamenten in Form einer Vollerhebung entschieden. In einer zweiten Untersuchungsphase
wurden 2019 die Kinder und Jugendlichen selber
befragt, die in diesen repräsentativen Gremien
kommunal aktiv sind (per Interview). Aus mehreren Gründen wurde der Fragebogen explorativ
und entsprechend umfangreich angelegt:
• Die letzte bundesweite Studie zu kommunalen
Beteiligungsformaten für Kinder und Jugendliche wurde vor rund 20 Jahren durchgeführt
(Bruner u.a. 1999). Da diese Untersuchung
repräsentativ angelegt war und in einer Stichprobe von 1.003 Kommunen (Rücklauf: 400)
nur 153 Kommunen umfasste, die überhaupt
Beteiligungsangebote vorhielten, waren lediglich 30 Kinder- und Jugendparlamente im Sample. Der Befund lautete, dass 20 % der Kommunen, die in der Kinder- und Jugendbeteiligung
aktiv sind, repräsentative Formate nutzen (Bruner u.a. 1999: 30). Wir konnten davon aus-
16
gehen, dass die damaligen, auf einer schmalen empirischen Basis gewonnen Aussagen auf
einer breiteren Grundlage zu überprüfen sind.
Zudem gilt gerade für den Jugendbereich, dass
sich über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten
in der Regel einiges verändert.
•
Zahlreiche Vorgespräche mit Betreuerinnen
und Betreuern von Kinder- und Jugend-parlamenten (meist bei Vernetzungstreffen auf Landesebene) ergaben ein äußerst vielfältiges
Bild. Struktur und Arbeitsweise repräsentativer Formate variieren in der kommunalen Praxis offensichtlich erheblich. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass es bislang keine allgemein
geteilten Standards oder gar rechtliche Vorgaben für diese Praxis gibt, sondern jede Kommune ihren eigenen Weg beschreitet. Dies gilt
auch für die Gemeinden der vier Bundesländer
(Schleswig-Holstein, Hamburg, Baden-Württemberg und Brandenburg), die eine verpflichtende Kinder- und Jugendbeteiligung in ihren
Kommunalverfassungen verankert haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
• Neben erheblichen empirischen Wissenslücken
und einer großen Vielfalt spricht auch ein doppeltes Anerkennungsdefizit für eine breit angelegte Studie. (1) In der wissenschaftlichen und
fachpolitischen Debatte werden repräsentative Formate zwar allgemein begrüßt, aber in der
Regel (nur) als eine (nachrangige) Beteiligungsmöglichkeit von vielen angesehen (s. Zentrum
Eigenständige Jugendpolitik 2013; Kinderfreundliche Kommunen 2013; BAG 2015; AGJ
2015; Europarat 2016)12. Gelegentlich werden sie sogar fast vergessen (BMFSFJ 2015).
Projektorientierte und offene Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung sind nicht nur weiter verbreitet, sondern genießen auch höhere
Wertschätzung13. (2) Viele der im Vorfeld angesprochenen Betreuerinnen und Betreuer von
Kinder und Jugendparlamenten wünschen sich
einen verstärkten Austausch, bessere Unterstützung und mehr öffentliche Anerkennung
ihrer Tätigkeit.
Vor diesem Hintergrund haben wir einen
anspruchsvollen und sehr umfangreichen Fragebogen entworfen, um eine möglichst differenzierte und wertschätzende Sicht auf dieses
Beteiligungsfeld zu gewinnen. Auf eine Strukturierung des Fragebogens entlang zu prüfender
Hypothesen wurde bewusst verzichtet. Mehr als
ein Dutzend Gespräche und ein Pretest haben
uns überzeugt, dass das für Online-Befragungen
eher ungewöhnliche Design auf positive Resonanz treffen könnte. Bei einem sehr guten Rücklauf von knapp 40 % sehen wir uns in diesem
Vorgehen bestätigt.14
3.2 M
erkmale der befragten Kommunen und Repräsentativität
des Datensatzes
Überblick:
Der Rücklauf ist gut (fast 40 %). Mit Ausnahme des Stadtstaats Hamburg sind alle Bundesländer
bei den Rückläufen vertreten. Größere Kommunen sind deutlich überrepräsentiert, während sich
kleinere Kommunen weniger stark beteiligt haben. Während sich von den Großstädten und großen Mittelstädten etwa die Hälfte aller bekannten Kommunen mit Kinder- und Jugendparlamenten
an der Befragung beteiligt haben, sinkt die Zahl bei den kleinen Mittelstädten und Kleinstädten
auf rund ein Drittel (siehe Tab. 3).
Bewertung des Rücklaufs (n)
Im Rahmen der angestrebten Vollerhebung wurden alle bekannten Betreuungs- und Begleitpersonen Betreuer*innen und Begleiter*innen 2018
per E-Mail angeschrieben und zur Beteiligung an
der Online-Befragung eingeladen. Im Kontext
der Befragung sind wir auf weitere 57 repräsentative Gremien gestoßen. Davon konnten noch
31 um ihre Teilnahme an der Befragung gebe-
ten werden. Gleichzeitig haben Rückmeldungen
zur Befragung ergeben, dass 12 Gremien nicht
(mehr) existieren.
Auswertungsgrundlage ist deshalb eine durch
die Befragung erreichte Grundgesamtheit (N)
von 520 repräsentativen Gremien. Vollständige und auswertbare Fragebögen (n) liegen aus
202 Kommunen vor. Dieser für eine umfang-
12
Eine Ausnahme bildet z.B. ein „Handbuch zur Entwicklung kommunaler Strukturen für die Jugendbeteiligung“, das systematisch repräsentative Formate aufgreift (Bertelsmann Stiftung 2008b).
13
Die DJI-Studie von 1998 weist aus, dass 70 % der beteiligungsorientierten Kommunen projektorientierte Formen, 35 % offene Formen
praktizieren (Bruner u.a. 1999: 30). Die Studie verweist zustimmend auf ein Expertenstatement, das für die Debatte charakteristisch
ist: „Wir halten eigentlich projektorientiertes Arbeiten für sehr kinder- und jugendgemäß und auch für sehr zukunftsträchtig“ (Bruner
u.a. 1999: 31).
14
Zur positiven Resonanz hat auch beigetragen, dass die Online-Fragebogen-Untersuchung durch ein motivierendes Begleitschreiben der
drei kommunalen Spitzenverbände unterstützt wurde.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
17
Tab. 2: Art der Kommunen in der Stichprobe
Art der Kommune
n
Kreisangehörige Gemeinde
(Samtgemeinde, Amt u.Ä.)
Kreisangehörige Stadt mit
eigenem Jugendamt
Kreisfreie Stadt
Landkreis/Kreis15
Absolut
99
44
33
21
Prozent
50 %
22 %
17 %
11 %
19716
Lesebeispiel: I nsgesamt 99 der untersuchten Kinder- und Jugendparlamente sind einer Kreisangehörigen Gemeinde (Samtgemeinde, Amt
u.Ä.) zugehörig. Dies entspricht 50 % der untersuchten Vertretungen.
Frage 1.a: „In welcher Art von Kommune ist die von Ihnen betreute Kinder- und Jugendvertretung aktiv?“
Tab. 3: Verteilung des Rücklaufs nach Gemeindegröße bzw. -typ
Gemeindegröße bzw. -typ
Stichprobe17
Grundgesamtheit
Absolut
Prozent
Absolut
Prozent
Großstadt (über 500.000 Einwohner)
7
4%
10
2%
Großstadt (100.000 bis unter 500.000 Einwohner)
21
11 %
45
9%
Große Mittelstadt (50.000 bis unter 100.000 Einwohner)
27
14 %
48
9%
Kleine Mittelstadt (20.000 bis unter 50.000 Einwohner)
63
32 %
162
31 %
Kleinstadt (5.000 bis unter 20.000 Einwohner)
62
32 %
196
38 %
Gemeinde (1.000 bis unter 5.000 Einwohner)
4
2%
38
7%
Gemeinde (unter 1.000 Einwohner)
3
2%
7
1%
Landkreis (über 150.000 Einwohner)
1
1%
4
1%
Landkreis (unter 150.000 Einwohner)
9
5%
10
2%
19718
520
Lesebeispiel: Sieben der befragten Betreuerinnen und Betreuer geben an, dass das von ihnen betreute Kinder- und Jugendparlament einer
Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern zugehörig ist. Das entspricht 4 % der Stichprobe. Bezogen auf die Grundgesamtheit aller in Deutschland vorhandenen Kinder- und Jugendparlamente (N) sind es zehn, die in Großstädten mit mehr als
500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegen. Das entspricht 2 % der Grundgesamtheit.
Frage 1.b: „Gemeindegröße bzw. -typ“
reiche Online-Befragung mit 55 geschlossenen
und fünf offenen Fragen erstaunlich gute Rücklauf
von 38,8 % konnte durch mehrmalige schriftliche
Erinnerung und telefonische Nachfragen erreicht
werden. Eine solche Ausschöpfungsquote von
knapp 40 % der Grundgesamtheit kann gerade
für die aus Zeit- und Kostengründen gewählte
Methode der Online-Befragung als sehr gutes
Ergebnis gewertet werden. 1516 1718
15
In der Stichprobe gibt es zwar 21 Landkreise, aber nur 14 Kreis-Jugendparlamente. Dies ist aber kein Widerspruch, weil z.T. auch Kreisjugendämter für kreisangehörige Gemeinden geantwortet haben.
16
Das n schwankt – auch im Folgenden – manchmal geringfügig (in diesem Fall statt der zu erwartenden 202 der gesamten Stichprobe
nur 197), weil es vorkommt, dass Befragte auch einmal eine einzelne Frage nicht vollständig beantworten.
17
n = Rücklauf (202), N = 520: Zahl sämtlicher zum Untersuchungszeitraum bekannter Kommunen mit KiJuPa (repräsentativen Formaten)
18
Die Zahlen zu n unterscheiden sich in Tabelle 3 und 4 geringfügig, weil hier unterschiedliche Fragen beantwortet wurden (1b und 2)
und die Befragten auch einmal eine Frage nicht beantwortet haben. Deshalb erreicht das n hin und wieder nicht das vollständige n der
Stichprobe von 202. So geschieht es gelegentlich auch in den folgenden Kapiteln, dass das n hin und wieder geringfügig schwankt.
18
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Diese positive Haltung gegenüber der Untersuchung hatte sich bereits in Vorgesprächen und
im Pretest des Fragebogens mit rund einem Dutzend Betreuungspersonen von KiJuPa gezeigt.
Dort wurde schon früh deutlich, dass es bei den
Beteiligten ein großes Interesse an der Präsentation, Reflexion und Anerkennung von Kinder- und
Jugendparlamenten auf kommunaler Ebene gibt
und die Befragung als Chance gesehen wurde,
endlich belastbare Daten für die weitere Entwicklung zu erhalten.
Angesichts der Datenlage zur Grundgesamtheit
soll die Repräsentativität des Samples in einem
zweiten Analyseschritt in zwei Dimensionen
geprüft werden. (vgl. Tab 2 und Tab. 3)
Ein Vergleich der Gemeindegrößen zwischen
der Gesamtzahl der Kommunen mit Kinder- und
Jugendparlamenten (N) einerseits und andererseits den Kommunen, die an der Online-Befragung teilgenommen haben (n), zeigt einige
für Kommunalbefragungen charakteristische
Abweichungen. Größere Kommunen sind deutlich überrepräsentiert, während sich kleinere Kommunen weniger stark beteiligen, weil es
ihnen oft an dem notwendigen hauptamtlichen
Personal fehlt, um an Befragungen mitzuwirken.
Während sich von den Großstädten und großen
Mittelstädten etwa die Hälfte aller bekannten
Kommunen mit Kinder- und Jugendparlamenten
an der Befragung beteiligt haben, sinkt die Zahl
bei den kleinen Mittelstädten und Kleinstädten
auf rund ein Drittel. Am geringsten fiel der Rück-
Tab. 4: Bundesland
Bundesland
Stichprobe
Grundgesamtheit
Absolut
Prozent
Absolut
Prozent
Baden-Württemberg
39
20 %
101
19 %
Bayern
19
10 %
68
13 %
Berlin
1
1%
2
0,4 %
Brandenburg
8
4%
23
4%
Bremen
4
2%
8
2%
Hamburg
0
0%
2
0,4 %
Hessen
12
6%
36
7%
Niedersachsen
21
11 %
38
7%
Nordrhein-Westfalen
28
14 %
79
15 %
Mecklenburg-Vorpommern
4
2%
12
2%
Rheinland-Pfalz
10
5%
32
6%
Saarland
1
1%
4
1%
Sachsen
10
5%
27
5%
Sachsen-Anhalt
7
4%
14
3%
Schleswig-Holstein
25
13 %
55
11 %
Thüringen
9
5%
19
4%
n/N
198
520
Lesebeispiel: I nsgesamt 39 der untersuchten Kinder- und Jugendparlamente liegen in Baden-Württemberg. Das entspricht 20 % der untersuchten Vertretungen. In Baden-Württemberg liegen 101 aller in Deutschland bekannten Kinder- und Jugendparlamente. Das
entspricht 19 % aller in Deutschland bekannten Kinder- und Jugendparlamente.
Frage 2: „Bundesland“
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
19
lauf bei den Gemeinden mit unter 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern aus. Immerhin sind
alle Gemeindegrößen besetzt. (vgl Tab. 4)
Mit Ausnahme des Stadtstaats Hamburg sind
alle Bundesländer bei den Rückläufen vertreten.
Bei einem durchschnittlichen Anteil von knapp
40 % an der Grundgesamtheit fällt die Zusam-
mensetzung sehr befriedigend aus. Niedersachsen (11 % statt 7 %) und Schleswig-Holstein (13
statt 11 %) sind leicht überrepräsentiert, Bayern
(10 % statt 13 %) ist leicht unterrepräsentiert.
Die Abweichungen sind jedoch nicht so gravierend, dass verallgemeinernde Aussagen, soweit
sie überhaupt getroffen werden, nicht möglich
wären.
3.3 Die Finanzsituation der Kommunen im Sample
Überblick:
Fast die Hälfte der Kommunen mit repräsentativen Kinder- und Jugendvertretungen in unserer
Befragung verfügt nach Auskunft der Betreuerinnen und Betreuer nicht über einen ausgeglichenen Haushalt.
Tab. 5: Aktuelle kommunale Finanzsituation
Aktuelle kommunale Finanzsituation
n
Positiver bzw.
ausgeglichener Haushalt
Leicht defizitärer Haushalt
(negativer Saldo bis
2 % Gesamthaushalt)
Defizitärer Haushalt
(negativer Saldo über
2 % Gesamthaushalt)
Haushaltsnotlage
Absolut
96
45
41
9
Prozent
50 %
24 %
21 %
5%
191
Lesebeispiel: 9
6 der befragten Betreuungspersonen geben an, dass die Kommune, in der ihr jeweiliges Kinder- und Jugendparlament verortet
ist, einen positiven bzw. ausgeglichenen Haushalt hat. Dies entspricht 50 % aller untersuchten Kommunen.
Frage 3: „Einschätzung der aktuellen kommunalen Finanzsituation (Haushalt 2017/18)“
Die Einschätzungen zur kommunalen Finanzsituation machen deutlich, dass Kinder- und Jugendparlamente keine Schönwettererscheinung sind.
Immerhin verfügt fast die Hälfte der Kommunen
mit repräsentativen Kinder- und Jugendvertretungen in unserer Befragung nach Auskunft der
Betreuerinnen und Betreuer nicht über einen ausgeglichenen Haushalt oder einen Haushaltsüberschuss. Damit dürften sie sich in das Gesamtbild
der Kommunalfinanzen einfügen. Nach Daten
des KfW-Kommunalpanels von 2018 (Difu 2018:
21) erwarteten in der 2. Hälfte 2017 insgesamt
36 % der befragten Kommunen, dass sie keinen ausgeglichenen Haushalt erreichen werden,
17 % davon rechnen sogar mit (weiterer) Kommunalaufsicht. Bei den Kommunen mit 20.000
bis 50.000 Einwohnern (die in unserem Sample
20
auch stark vertreten sind) sieht die finanzielle
Lage noch kritischer aus, denn von ihnen rechneten 2017 rund 55 %, dass sie im kommenden
Jahr keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen
können.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
4. Zentrale Befunde
4.1 Beteiligungslandschaften: Vielfalt der Formen von Kinder- und
Jugendbeteiligung
Überblick:
Kinder-und Jugendparlamente verdrängen oder ersetzen andere Beteiligungsmöglichkeiten
nicht. Sie sind vielmehr in der Regel integraler Bestandteil und Pfeiler einer viel breiteren kommunalen Beteiligungslandschaft für junge Menschen. Die Kommunen mit KiJuPa sind nicht nur von
der Breite und Anzahl der Formen her, sondern auch in Bezug auf eine Vielfalt von Formen und
Handlungsfeldern hoch entwickelt.
Wie die Tabelle 6 und die offenen Antworten
zeigen, bieten Kommunen mit repräsentativen
Beteiligungsformen viele weitere offene, projektorientierte, vereins- und verbandsförmige
Beteiligungs- und Engagementformen für junge Menschen an. Repräsentative Formate ersetzen oder verdrängen solche Beteiligungsmöglichkeiten nicht, sondern sind Bestandteil einer
breiteren kommunalen Beteiligungslandschaft
für junge Menschen. Dabei ist die Verbreitung
und Bedeutung dieser anderen Formate unterschiedlich. Einzelveranstaltungen, Konsultationen zu kommunalen Vorhaben, politische
Jugendorganisationen, Einzelaktionen, Projekte, sowie Kinder- und Jugendverbände haben die
stärkste Verbreitung. Eine separate Auswertung
zur Bedeutung, die den einzelnen Formen zugeschrieben wird, ergibt, dass ihnen auch die größte Bedeutung zugeschrieben wird. In der Bedeutungszuweisung schneiden die repräsentativen
Formate ebenfalls gut ab.
Im Kontrast zu vielen öffentlichen Debatten
spielt E-Partizipation 2018 keine prominente
Rolle im kommunalen Beteiligungsgeschehen für
junge Menschen. Nur 16 % der Kommunen verfügen über solche Formate der Partizipation von
Kindern und Jugendlichen. Das bedeutet allerdings nicht, dass soziale Medien nicht intensiv
im Bereich der Kommunikation und Öffentlich-
keitsarbeit der Kinder- und Jugendvertretungen
genutzt würde.
Bei den repräsentativen Formaten überwiegen in
den Kommunen mit etwa 35 % reine Jugendparlamente, gefolgt von Kinder- und Jugendparlamenten mit etwa 22 %. Reine Kinderparlamente
gibt es nur in 6 % der Kommunen. Schülerparlamente sowie Stadtschülerräte und Stadtschülervertretungen gibt es in 12 % bzw. 32 % der
Kommunen19.
Offene Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung erfreuen sich auch in Kommunen mit repräsentativen Formaten großer Beliebtheit. 54 %
der befragten Kommunen verweisen auf Einzelveranstaltungen (Zukunftswerkstatt, Planungszelle, Open Space, World Café usw.). Ähnlich
verbreitet sind Konsultationen bei kommunalen
Vorhaben (Freizeit, Spiel, Verkehr, Stadtentwicklung usw.). Zwei Drittel der Kommunen bieten
punktuelle Einzelaktionen (Stadtteilerkundungen, Modellbauaktionen etc.) und Arbeitsgruppen an. Rund 28 % bzw. 27 % der Kommunen
bieten Kinder- und Jugendforen bzw. Jugendeinwohnerversammlungen (und Kinder- und Jugendkonferenzen) an. Diese Prozentzahlen sprechen
dafür, dass Kommunen mit Kinder- und Jugendparlamenten vermutlich deutlich mehr offene
Formate anbieten als beteiligungsorientierte
Vergleichskommunen20.
19
In Bundesländern wie Sachsen-Anhalt ist die Bildung von Stadtschülerräten ab einer bestimmten Gemeindegröße verpflichtend.
20
Die DJI-Studie (Bruner u.a. 1999: 30) weist bei den beteiligungsorientierten Kommunen für offene Formen einen Anteil von 35 % aus.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
21
Tab. 6: Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung in den Kommunen mit KiJuPa
(Verbreitung und Bedeutung)
Beteiligungsform
Verbreitung (in %)
Einzelveranstaltungen (Zukunftswerkstatt, Planungszelle, Open Space, World Café usw.)
54 %
Jugendorganisationen der politischen Parteien
53 %
Konsultationen bei kommunalen Vorhaben (Freizeit, Spiel, Verkehr, Stadtentwicklung usw.)
53 %
Kinder- und Jugendverbände
49 %
Einzelaktionen (z.B. Stadteilerkundung, Modellbau)
42 %
Projekte, Projektemessen
41 %
Arbeitsgruppen
40 %
Jugendparlament
35 %
Stadtschülerrat/-vertretung
32 %
Jugendbeirat
28 %
Kinder- und Jugendforum
28 %
Offene Formen (Jugend-Einwohnerversammlung, Kinder- und Jugendkonferenz usw.)
27 %
Kinder- und Jugendparlament
22 %
Beteiligung an der Stadtteilkonferenz
21 %
Bürgerhaushalte, Schülerhaushalte, Projektbudgets usw.
20 %
Mitarbeit in Ortsbeiräten
17 %
E-Partizipation
16 %
Kinder- und Jugendbeirat
14 %
Kinder- und Jugendsprechstunde (Hauptverwaltungsbeamter)
14 %
Schüler/innenparlament
12 %
Kinder- und Jugendbürgermeister/in (auch Kinder- und Jugendsprecher usw.)
9%
Kinderparlament
6%
Kinderbeirat
3%
Junior-Kinderbeirat
3%
Weitere Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung
25 %
Lesebeispiel: I n 54 % der Kommunen gibt es Einzelveranstaltungen als Beteiligungsformat, in 28 % Kinder und Jugendforen.
Frage 8.a: „Welche Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung gibt es in Ihrer Kommune…?“ und Frage 8.b: „Weitere Formen der Kinder- und
Jugendbeteiligung“
Mehrfachnennungen; n = 19821
21
41 % der Kommunen verweisen auf Projekte und
Projektemessen. Da der Begriff „Projekt“ nicht
geschützt ist, dürften auch einige der genannten offenen Formate projektorientiert arbeiten.
21
22
Hinzu kommen Bürgerhaushalte, Projektbudgets
und Schülerhaushalte, die überwiegend Projekte
demokratisch auswählen und finanzieren.
Berechnung bezogen auf n = 198. Die fehlenden Prozentwerte enthalten die Antworten „nicht vorhanden“ plus diejenigen, die keine
Angaben gemacht haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Aus der Sicht der befragten Betreuerinnen und
Betreuer kommt in der kommunalen Beteiligungslandschaft von Kindern und Jugendlichen der verbandlichen Interessenvertretung ein erhebliches
Gewicht zu, was in der allgemeinen Beteiligungsdebatte häufig vernachlässigt wird (so z.B. in der
Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) von
1998). Jugendorganisationen der politischen Par-
teien gibt es nach Aussagen der Befragten in 53 %
der Kommunen, in 49 % der Gemeinden existieren
Kinder- und Jugendverbände.
Kinder und Jugendliche beteiligen sich nicht nur
an altersspezifischen Partizipationsangeboten.
Stadtteilkonferenzen, Bürgerhaushalte oder die
Mitarbeit in Ortsbeiräten stehen in rund 20 %
der Kommunen jungen Menschen offen.
Zusätzliche Formen der stellvertretenden Wahrnehmung von Kinder- und Jugendinteressen durch Erwachsene
Überblick:
Kinder- und Jugendparlamente sind meistens nicht die einzige Form der Interessenvertretung. Sie
werden häufig kombiniert mit stellvertretenden und anwaltschaftlichen Interessenvertretungen
durch Erwachsene, Initiativen und Organisationen.
Tab. 7: Formen der stellvertretenden Wahrnehmung von Kinder- und Jugendinteressen
durch Erwachsene
Vertretungsform
Verbreitung (in %)
Ehrenamtlich tätige Erwachsene
54 %
Kinder- und Jugendbeauftragte/r (hauptamtlich tätig)
50 %
Kinder- und Jugendbüro
33 %
Patenschaften für Kinder- und Jugendprojekte
26 %
Sonstige Beschwerdestellen für Kinder und Jugendliche
24 %
Ombudsstelle der Kinder- und Jugendhilfe
5%
Kinder- und Jugendkommission
4%
Kinder- und Jugendanwältin/-anwalt
4%
Sonstige
29 %
Lesebeispiel: I n 54 % der Kommunen gibt es ehrenamtlich tätige Erwachsene, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen vertreten.
Frage 9.a: „ Welche Formen der Vertretung von Kinder- und Jugendinteressen durch Erwachsene gibt es in Ihrer Kommune…?“
Mehrfachnennungen; n = 184
Zahlreiche Kommunen verfügen also auch noch
über eine anwaltliche Interessenvertretung durch
Erwachsene, Initiativen und Organisationen. Die
stärkste Verbreitung haben ehrenamtlich tätige
Erwachsene, die in 54 % der Kommunen genannt
werden. Stark verbreitet sind auch hauptamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte, die in 50 %
der Kommunen eingerichtet wurden. In 33 % der
Kommunen gibt es Kinder- und Jugendbüros, in
26 bzw. 24 % Patenschaften und Beschwerde-
stellen. Deutlich weniger verbreitet sind dagegen Ombudsstellen, Kinder- und Jugendkommissionen oder Kinder- und Jugendanwälte (4-5 %).
Auch diese Befunde illustrieren sehr deutlich den
Tatbestand, dass die Kommunen mit repräsentativen Beteiligungsformaten sich nicht allein auf
dieses eine Format verlassen, sondern dieses –
ganz im Gegenteil – als Teil einer sehr reichhaltigen Beteiligungslandschaft organisieren!
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
23
4.2 Stabile Kinder- und Jugendparlamente
Überblick:
Kinder- und Jugendparlamente sind in der Regel keine kurzlebigen Veranstaltungen. Sie sind auf
Dauer angelegt und haben oft eine lange Tradition und Geschichte.
Tab. 8: Alter des Gremiums
Gründung
n
vor mehr als 20 Jahren
vor 11 bis 20 Jahren
vor 5 bis 10 Jahren
vor weniger als 5 Jahren
Absolut
45
63
36
53
Prozent
23 %
32 %
18 %
27 %
197
Lesebeispiel: 4
5 der untersuchten Kinder- und Jugendgremien wurden vor mehr als 20 Jahren gegründet, das entspricht 23 % der Gremien.
Frage 11: „Wann wurde das durch Sie betreute Gremium gegründet?“
Kinder- und Jugendparlamente sind heute überwiegend keine kurzlebige Veranstaltung. Ein
knappes Viertel von ihnen wurde vor mehr als
20 Jahren gegründet, vor 11 bis 20 Jahren wurde rund ein Drittel gegründet. Damit sind mehr
als die Hälfte (55 %) der Kinder- und Jugendparla-mente älter als zehn Jahre. Immerhin ist auch
gut ein Viertel der Kinder- und Jugendparlamente
weniger als fünf Jahre alt.
Damit ergibt sich ein deutlich anderes Bild als
noch vor 20 Jahren. Damals existierten 78 % aller
repräsentativen Formen höchstens seit vier Jahren
(Bruner u.a. 1999: 35). Offensichtlich ist es in der
Zwischenzeit gelungen, eine beachtliche Zahl der
22
24
Kinder- und Jugendparlamente zu stabilisieren.
Wenn deutlich mehr als die Hälfte aller aktuellen
Vertretungen älter als zehn Jahre ist, spricht dies
für die Möglichkeit, das Bestehen solcher Vertretungsformen über mehrere Kinder- und Jugendgenerationen und auf Dauer sicherzustellen. Damit
scheint sich eine Einschätzung einer Zwischenbilanz von 2008 zu bestätigen: „Die Kinder und
Jugendlichen legen Wert auf Kontinuität, sie streben langfristige Mitbestimmungsmöglichkeiten
an und fordern entsprechend von den Erwachsenen genügend Zeit für die kinder- und jugendgerechte Erarbeitung von Lösungen“ (Hafeneger/
Niebling 2008: 130).22
Ob sich die jungen, neu gegründeten KiJuPa stabilisieren werden, lässt sich in einer Befragung, die an einem einzigen Zeitpunkt stattfindet, nicht beantworten. Auch über die „Sterberate“ dieses Beteiligungsformats sind keine Aussagen möglich, da sich die Befragung
ausschließlich an Kommunen mit einem aktiven KiJuPa gerichtet hat.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
4.3 Initiativen und Akteure bei der Gründung
Überblick:
Die Gründung von Kinder- und Jugendparlamenten geht häufig auf eine Erwachseneninitiative
zurück.
Tab. 9: Gründungsinitiative
Die Initiative lag bei…
Verbreitungsgrad (in %)
Verwaltungsspitze/Bürgermeister/in
39 %
politischen Parteien
36 %
pädagogischen Fachkräften
35 %
dem Rat
28 %
lokalen Jugendgruppen
25 %
engagierten Einzelpersonen aus der Zivilgesellschaft
16 %
Stadtjugendring
14 %
zivilgesellschaftlichen Organisationen (z.B. Kinderrechtsgruppen)
2%
Sonstigen
10 %
Lesebeispiel: I n 39 % der Fälle ging die Initiative zur Gründung der Vertretung von der Verwaltungsspitze/dem/der Bürgermeister*in aus.
Frage 12.a: „Wer hatte die Initiative zur Gründung der Vertretung?“ und Frage 12.b: „Sonstige:“
Mehrfachnennungen; n = 200
Die Gründungsinitiative für lokale Kinder- und
Jugendparlamente geht – wenn wir auf die Zahlen schauen – überwiegend von der politischen
Spitze, den politischen Parteien und dem Rat
aus, also von den institutionellen politisch-administrativen Akteuren. Auch pädagogische Fachkräfte werden prominent von einem guten Drittel
der Kommunen als Initiatoren gesehen. Zivilgesellschaftliche Akteure, wie lokale Jugendgruppen oder engagierte Einzelne, der Stadtjugendring oder Kinderrechtsgruppen werden deutlich
weniger genannt, können aber auch eine Rolle
als Impulsgeber spielen.
Aus der Perspektive der wissenschaftlichen
Beteiligungsdebatte handelt es sich bei den
repräsentativen Formaten von Kindern und
Jugendlichen auf lokaler Ebene mit deutlicher
Mehrheit um „invited spaces“, d.h. jungen Men-
23
schen wird von der lokalen Politik und Verwaltung ein partizipativer Ort angeboten. In höchstens einem Viertel der Fälle kommt die Initiative
„von unten“, d.h. von lokalen Jugendgruppen
und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die Kinder- und Jugendparlamente zu einem „invented
space“ machen, d.h. einem Ort, den sie erfunden
und erstritten haben23. Der bereits beschriebene
hohe Grad an Institutionalisierung repräsentativer Formen durch Satzungen etc. scheint nach
diesen Aussagen der Betreuerinnen und Betreuer weniger ein Ergebnis von „Kämpfen“ um Beteiligung zu sein, sondern Ausdruck eines „von
oben“ zugestandenen, institutionell gesicherten
und eingehegten Beteiligungsortes.
Zu dieser Unterscheidung vgl. Kersting 2008, 11 ff; 107 ff
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
25
4.4 Anzahl der Mitglieder und Wahlen
Überblick:
Die Anzahl der gewählten oder delegierten Mitglieder von kommunalen Kinder- und Jugendparlamenten liegt überwiegend bei 10 bis 20 Personen.
Tab. 10: Aktuelle Anzahl gewählter oder delegierter Mitglieder in den KiJuPa
Anzahl der gewählten oder delegierten Mitglieder
n
Keine gewählten oder
delegierten Mitglieder
1 bis 10
11 bis 20
21 bis 30
31 bis 40
41 bis 50
51 bis 100
über 100
10 %
27 %
43 %
10 %
3%
2%
3%
2%
194
Lesebeispiel: 4
3 % aller Kinder- und Jugendgremien in Deutschland haben eine Mitgliederzahl von 11 bis 20 gemeldet.
Frage 13: „Wie viele gewählte oder delegierte Mitglieder hat das Vertretungsorgan aktuell?“
Die Gesamtzahl der gewählten oder delegierten
Mitglieder von kommunalen Kinder- und Jugendvertretungen liegt im Durchschnitt bei 11 bis 20
Personen (43 %). Auffällig sind die große Zahl
kleinerer Gremien (27 %) und die erhebliche
Streuung bei den größeren Vertretungsorganen.
Immerhin liegt in rund 10 % der befragten Kom-
munen die Zahl der gewählten und delegierten
Mitglieder über 30. Entscheidender Faktor dürfte dabei die Gemeindegröße sein. Mehr als 100
Mitglieder weisen z.B. die Kinder- und Jugendparlamente in zwei Berliner Bezirken mit jeweils
mehr als 300.000 Einwohnern auf.
Zugänge: Wie wird man Mitglied?
Überblick:
Wahlen spielen beim Zugang zu Kinder- und Jugendparlamenten eine zentrale Rolle. Die meisten
der Gremien nutzen – zumindest anteilig – diesen Modus.
Bemerkenswert ist der Anteil von Kinder- und
Jugendgremien, deren Mitglieder weder delegiert noch gewählt worden sind, sondern durch
Eigeninitiative und Selbstbenennung (41 %) ins
Gremium gelangen. Dies verweist auf eine Praxis, Kinder- und Jugendvertretungen als offene
Foren für Interessierte zu organisieren: Mitmachen kann, wer will und sich engagiert. Diese
Form der Selbstrekrutierung dürfte, wie sich in
Vorgesprächen gezeigt hat, vor allem in kleineren Kommunen eine Rolle spielen. Im strikten
Sinne handelt es nicht mehr um repräsentative
Formen, wenn sich die Mitglieder solcher Gremien selbst rekrutieren. (vgl Tab. 11)
26
Manchmal werden bei freien Sitzen sogenannte
assoziierte Mitglieder nach dreimonatiger aktiver Mitarbeit durch das amtierende Parlament
ernannt.
Häufig – insbesondere bei Kinderparlamenten
und Foren – kann sich jedermann vollkommen
freiwillig und ohne Wahl engagieren. Das gilt
insbesondere für die Konstituierung von JugendArbeitsgruppen.
Gelegentlich heißt es in den offenen Antworten
auch, dass die Mitgliedschaft „durch kontinuierliches Engagement“ erworben wird. Es gibt auch
den Sonderfall, dass bei stadtweiten Wahlen in
einigen Stadtbezirken mangels Kandidaten keine Jugendratswahl stattfinden kann. Dann können sich die Jugendlichen ersatzweise in einer
Projektgruppe engagieren.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 11: Zugänge: Wie wird man Mitglied?
Form
Als Zugang Vorhanden
Nicht als Zugang
Vorhanden
Auf Eigeninitiative der Kinder bzw. Jugendlichen
41 %
59 %
Urwahl bei der letzten Wahl mit geringer Wahlbeteiligung (unter 30 %)
29 %
71 %
Wahlen in Schulen bei der letzten Wahl mit hoher Wahlbeteiligung (über 50 %)
26 %
74 %
Urwahl bei der letzten Wahl mit hoher Wahlbeteiligung (über 30 %)
24 %
76 %
Wahlen in Schulen bei der letzten Wahl mit geringer Wahlbeteiligung (unter 50 %)
21 %
79 %
Delegation durch Schulen
19 %
81 %
Delegation durch Kinder- und Jugendeinrichtungen
18 %
82 %
Ernennung/Berufung, z.B. durch den Rat, durch Parteien
17 %
83 %
Delegation durch Vereine
15 %
85 %
Delegation durch Kinder- und Jugendverbände, Jugendringe usw.
12 %
88 %
Delegation durch Initiativen
11 %
89 %
Lesebeispiel: I n 41 % der Kommunen werden Kinder und Jugendliche auf Grund ihrer Eigeninitiative Mitglieder des Vertretungsorgans.
Frage 11: „Wie werden Kinder und Jugendliche Mitglieder des Vertretungsorgans?“
Mehrfachnennungen; n = 185
Die Zugänge zu den repräsentativen Formen sind
also vielfältig, wobei der Eigeninitiative der Kinder und Jugendlichen24 eine erstaunlich große
Bedeutung zukommt, wenn mehr als ein Drittel
der Befragten diese Option hervorheben. Dies
spricht gegen die naheliegende Vermutung,
dass nicht nur die Initiierung und Institutionalisierung, sondern auch die Teilnahme handverlesen „top down“ geregelt sei.
Wie bei repräsentativen Gremien üblich, kommt
Wahlen – seien es nun Urwahlen oder Wahlen in
Schulen – eine zentrale Rolle zu, wenn es um den
Zugang zu diesen Gremien geht. Aggregiert nutzen die meisten der Gremien diesen Modus. Entgegen verbreiteter Annahmen scheint es sowohl
bei Urwahlen wie bei Wahlen in Schulen möglich,
eine hohe Wahlbeteiligung von über 30 % bzw.
50 % zu erzielen25 – offensichtlich gelingt dies in
Schulen leichter.
Die Delegation durch Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Vereine, Jugendverbände und Initiativen dürfte insgesamt an zweiter Stelle stehen,
wenn es um die Besetzung der Gremien geht.
Die Ernennung bzw. Berufung durch den Rat
oder Ratsparteien wird nur bei 17 % der Gremien genutzt. Dies unterstreicht noch einmal den
Umstand, dass die repräsentativen Formate
schon in der Auswahl der Mitglieder überwiegend keine durch Rat und Verwaltung dominierte Veranstaltungen sind. Angesichts der zahlreichen Mehrfachnennung ist davon auszugehen,
dass zahlreiche Kommunen verschiedene Wege
ins Parlament anbieten.
24
Diese Kategorie darf nicht verwechselt werden mit der Kategorie „Keine gewählten oder delegierten Mitglieder“ in Tab. 10, denn die Eigeninitiative der Kinder und Jugendlichen kann ja auch darin bestehen, dass sie sich bewerben, selber vorschlagen, um Delegation bemühen
usw. Bei den Einzelkategorien der Tabelle 11 handelt es sich ja auch um Mehrfachnennungen, sodass Überschneidungen möglich sind.
25
In einer Auswertung für das Hessische Sozialministerium wird 2003 die Möglichkeit beteiligungsstarker Urwahlen nicht gesehen: „Die
Wahlbeteiligung ist abhängig vom Wahlmodus. Erfolgt eine Urwahl in der Kommune, so beteiligen sich mit etwa 10 bis 20 % deutlich
weniger Kinder und Jugendliche als an Wahlen, die an Schulen organisiert werden und die zum Teil eine Beteiligung von mehr als 80 %
haben“ (Hessisches Sozialministerium 2003: 56, 67). Wie Urwahlen zu organisieren sind, um eine breite Beteiligung zu sichern, gehört
sicherlich zu den spannenden demokratiepolitischen Fragen dieses Formats.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
27
Überblick:
Bei 70 % der Kinder- und Jugendparlamente gibt es eine Wahlperiode von zwei Jahren.
Tab. 12: Wahlperiode
Zeitraum
n
ein Jahr
zwei Jahre
mehr als zwei Jahre
Absolut
18
122
34
Prozent
10 %
70 %
20 %
174
Lesebeispiel: In 18 Kommunen werden die Mitglieder des Vertretungsorgans auf ein Jahr gewählt/delegiert. Dies entspricht 10 % der
Kommunen.
Frage 15.a: „Die Mitglieder des Vertretungsorgans werden für folgenden Zeitraum gewählt/delegiert?“
Mit Blick auf die Wahlperiode dominiert mit 70 %
ein Zeitraum von zwei Jahren, aber es gibt auch
kürzere (rund 10 %) und längere Arbeitsperioden
(knapp 20 %), wobei längere Wahlperioden doppelt so häufig sind wie kürzere.
4.5 W
ie schätzen die Betreuerinnen und Betreuer die Zusammensetzung
ihrer Kinder- und Jugendparlamente ein?
Überblick:
Kinder- und Jugendvertretungen repräsentieren heute offenbar in den Dimensionen Alter,
Geschlecht, Bildung, soziale Zusammensetzung usw. weit stärker den Querschnitt der jungen
Bevölkerung, als dies noch vor Jahren der Fall war. Aber die Vertretung verschiedener benachteiligter Gruppen von jungen Menschen ist immer noch unzulänglich.
Wir haben – in explorativer Absicht – die Betreuungspersonen um eine grobe Einschätzung der
sozialen Zusammensetzung ihrer Kinder- und
Jugendparlamente gebeten. Dabei handelt es
sich nicht um eine strenge sozialstatistische
Auszählung von Teilnehmerlisten, sondern um
eine Einschätzung. Exakte Zahlen müssten in
einer vertiefenden Untersuchung separat erhoben werden. Dennoch sind die Einschätzungen
der Betreuerinnen und Betreuer wertvoll – zumal
sie sich mit den Ergebnissen der Befragung der
Kinder und Jugendlichen (Interview-Studie) und
den exemplarisch durchgeführten lokalen Fallstudien (Dokumentenanalysen, teilnehmenden
Beobachtungen) decken. (vgl Tab. 13)
28
Überraschend ist die nach Meinung der Betreuungspersonen weitgehend gendergerechte
Zusammensetzung der repräsentativen Beteiligungsformate. Knapp 70 % der Befragten
berichten von einer ausgewogenen Verteilung
nach Geschlecht. Überwiegend oder gar ausschließlich männlich dominiert sind knapp 20 %
der Gremien, 10 % sind überwiegend oder ausschließlich weiblich.
Die DJI-Studie von 1998 konstatiert dagegen,
dass damals in repräsentativen Formen der
männliche Anteil in mehr als der Hälfte der Fälle (52 %) überwog (Bruner u.a. 1999: 45). In
einer 1996 veröffentlichten Untersuchung von
17 Jugendgemeinderäten in Baden-Württemberg
waren Mädchen sogar in 64 % der Projekte in der
Minderheit. Durchschnittlich kamen 10 Mädchen
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
auf 16 Jungen (vgl. Hermann 1996: 172). Hier hat
sich also unter dem Gesichtspunkt der Gendergerechtigkeit eine positive Entwicklung vollzogen. Das oft kolportierte Bild männlich dominierter Jugendvertretungen scheint in dieser
allgemeinen Form nicht mehr zuzutreffen. (vgl.
Tab. 14)
Im Einklang mit den noch folgenden Aussagen zur
schulischen und beruflichen Situation steht der
Befund, dass eine – wenn auch knappe – Mehrheit der Vertretungsgremien mit Blick auf deren
soziale Zusammensetzung der jungen Bevölkerung vor Ort als repräsentativ eingeschätzt
wird. Dies ist ein bemerkenswert guter Wert für
repräsentative Formate, die in der Regel besondere Kompetenzen, einen erhöhten Zeitaufwand
Tab. 13: Zusammensetzung der Vertretung nach Geschlecht
Zusammensetzung
n
ausschließlich weiblich
überwiegend weiblich
ausgewogen
überwiegend männlich
ausschließlich männlich
1%
10 %
70 %
18 %
2%
192
Lesebeispiel: 7
0 % aller Vertretungen sind nach Einschätzung der Betreuungspersonen in Bezug auf das Geschlecht ausgewogen zusammengesetzt.
Frage 17: „Wie sieht die aktuelle Zusammensetzung nach Geschlecht aus?“
Tab. 14: Spiegelt die aktuelle Zusammensetzung der Kinder- und Jugendvertretung nach sozialen
Milieus und Herkunft die Zusammensetzung der jungen Bevölkerung vor Ort wieder?
Einschätzung
n
Ja
Nein
55 %
45 %
189
Lesebeispiel: I n 45 % der Fälle spiegelt nach Einschätzung der Betreuungspersonen die aktuelle Zusammensetzung der Kinder- und Jugendvertretungen nach sozialen Milieus und Herkunft die Zusammensetzung der jungen Bevölkerung vor Ort nicht wieder.
Frage 19.a: „Wie sehen Sie die aktuelle Zusammensetzung der Kinder- und Jugendvertretung nach sozialen Milieus und Herkunft – spiegelt
sie die Zusammensetzung der jungen Bevölkerung vor Ort wieder?“
Tab. 15: Zusammensetzung der Kinder- und Jugendvertretung nach sozialen Milieus und Herkunft
Soziales Milieu und Herkunft
Anteil (Grad der Vertretung)
n
gar nicht vertreten
weniger stark vertreten
proportional vertreten
überrepräsentiert
mit Migrationshintergrund
27 %
39 %
30 %
4%
191
aus benachteiligten Sozialräumen
23 %
51 %
25 %
1%
189
aus bildungsfernen Schichten
33 %
46 %
21 %
0%
190
mit Beeinträchtigungen/Behinderungen
60 %
34 %
6%
0%
189
Lesebeispiel: I n 27 % der Kinder- und Jugendvertretungen sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund gar nicht vertreten, in 39 %
weniger stark vertreten, in 30 % proportional vertreten und in 4 % überrepräsentiert.
Frage 19.b: „Wie sehen Sie die Zusammensetzung der Kinder- und Jugendvertretung nach sozialen Milieus und Herkunft?“
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
29
und damit größere Abkömmlichkeit verlangen.
Gleichzeitig erfordern sie breitere Kompetenzen
und vielfältigere Interessen, als dies bei offenen und projektorientierten Beteiligungsformaten der Fall ist. Deshalb sind alle Formen repräsentativer Interessenvertretungen – selbst bei
freien und gleichen Wahlen – mit Formen politischer Ungleichheit verbunden. Gemessen an den
Ungleichheiten in der Dimension der deskriptiven (d.h. sozial proportionalen) Repräsentation, wie sie Parlamente von Erwachsenen aufweisen (vgl. Schäfer 2015; Schlozman u.a. 2012),
schneiden repräsentative Formate von Kindern
und Jugendlichen nach dieser Datenlage besser
ab. (vgl. Tab. 15)
Die ungleiche Vertretung verschiedener benachteiligter Gruppen von jungen Menschen ist –
nach Einschätzung der Betreuungspersonen
– noch immer ausgeprägt. Von einer proportionalen Vertretung von Kindern und Jugendlichen
mit Migrationshintergrund berichten rund 30 %
der Befragten, aus benachteiligten Sozialräumen 25 %, aus bildungsfernen Schichten 21 %,
bei jungen Menschen mit Behinderungen lediglich 6 %. Immerhin deutet sich ein positiver
Trend zumindest für junge Menschen mit Migrationshintergrund an. Die DJI-Studie von 1998
berichtete, dass in fast der Hälfte der repräsen-
tativen Modelle keine Kinder und Jugendliche mit
Migrationsgeschichte anzutreffen waren. Dieser
Anteil liegt in der aktuellen Untersuchung bei
etwas mehr als einem Viertel.
Hier liegen politische Gestaltungsaufgaben im
Sinne der Förderung und Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe. Auch wenn dieses Ideal nur in Annäherungen und mit Empowerment
erreicht werden kann, ist es gerade für Kinder
und Jugendliche wichtig, dass sie bereits zu
Beginn ihrer Engagementbiografie gleichberechtigte Erfahrungen in einer anspruchsvollen Form
der politischen Beteiligung machen können.
Interessant sind die Einschätzungen der Betreuungspersonen, wenn man sie bittet, etwas differenzierter eine Alterseinstufung ihrer KiJuPaMitglieder oder eine genauere Zuordnung zu den
Schulformen vorzunehmen. Hier wird zwar eine
ähnliche Tendenz wie bei den vorangegangenen
Einschätzungen sichtbar, es fällt aber auf, dass
relativ hohe Anteile von Betreuungspersonen zu
einigen Punkten keine Angaben machen konnten
(z.T. 20 oder 30 %).26 (vgl Tab. 16)
In den Kinder- und Jugendparlamenten werden nach Einschätzung der Betreuerinnen und
Betreuer die 16- bis 18-Jährigen als stärkste
Gruppe hervorgehoben. Sie überwiegen in einem
Tab. 16: Zusammensetzung der Vertretung nach Alter
Altersgruppen
Anteil (Grad der Vertretung)
nicht vertreten
wenige
anteilig
überwiegend
keine Angabe
unter 10 Jahren
59 %
5%
3%
1%
32 %
10 bis 11 Jahre
52 %
10 %
9%
3%
27 %
12 bis 13 Jahre
27 %
29 %
20 %
7%
17 %
14 bis 15 Jahre
5%
21 %
48 %
20 %
6%
16 bis 18 Jahre
1%
12 %
51 %
32 %
4%
über 18 Jahre
13 %
31 %
28 %
13 %
16 %
Lesebeispiel: I n 20 % der Kinder- und Jugendvertretungen sind 14- bis 15-Jährige überwiegend vertreten, in 48 % anteilig vertreten, in 21 %
wenig vertreten und zu 5 % nicht vertreten. 6 % der Befragten machten keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 16: „Welches Alter haben die Mitglieder der Vertretung zurzeit?“
n = 192
26
30
Das ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass etliche Betreuungspersonen nur sehr wenige Stundenanteile für die Betreuung
der Kinder- und Jugendparlamente zur Verfügung und somit wenig Zeit für aufwendigere sozialstatistische Datenerhebungen haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Drittel der repräsentativen Formate und sind in
etwas mehr als der Hälfte anteilig vertreten. An
zweiter Stelle rangieren die 14- bis 15-Jährigen.
Sie sind in gut der Hälfte der Kinder- und Jugendvertretungen anteilig vertreten und dominieren
in 20 % der Kinder- und Jugendparlamente. Es
folgen die über 18-Jährigen, die in 13 % der Vertretungen überwiegen und in 28 % anteilig präsent sind. Eine starke Gruppe bilden noch die
12- bis 13-Jährigen, die in 20 % der Vertretungen
anteilig präsent sind und in 7 % sogar überwiegen. Jüngere unter 12 Jahren sind deutlich unterrepräsentiert oder gar nicht vertreten.
12-Jährigen und unter 10-Jährigen. Sie werden
in der Praxis der Kinder- und Jugendparlamente
offenbar nur in kleiner Zahl erreicht. In 52 % bzw.
59 % der Vertretungen sind sie gar nicht anzutreffen.
Die repräsentative DJI-Studie von 1998 verweist
auf eine ähnliche Altersverteilung. Vorschulkinder (unter 6-Jährige) werden demnach fast ausschließlich mit projektorientierten Formaten
angesprochen, bei den 6- bis 9-Jährigen kommt
noch ein kleinerer Anteil offener Formate hinzu. Erst bei den über 10-Jährigen erreichen nach
dieser Studie repräsentative Formate überhaupt
einen nennenswerten Anteil (Bruner u.a. 1999:
43). (vgl. Tab. 17)
Aus soziologischer Perspektive handelt es sich
bei den Kinder- und Jugendparlamenten weit
überwiegend um Jugendvertretungen, während
es sich aus kinderrechtlicher Sicht (für die UNKinderrechtskonvention sind alle Menschen
unter 18 Jahren „Kinder“) vor allem um Kindervertretungen handelt, da die unter 18-Jährigen
weit stärker vertreten sind. In etwa der Hälfte der Kinder- und Jugendparlamente sind über
18-Jährige gar nicht oder kaum vertreten. Auffällig ist das Repräsentationsdefizit bei den unter
Mit Blick auf die Einbindung von jungen Menschen in Schule, Ausbildung und Beruf ergibt sich
insgesamt ein deutliches Übergewicht von Schülerinnen und Schülern. Dies kann angesichts des
anhaltenden Trends in Richtung höherer Bildung
und mit Blick auf die dominante Altersstruktur
(14- bis 18-Jährige) nicht verwundern. Letzteres
dürfte auch den vergleichsweise geringen Anteil von Grundschülern erklären, die in 70 % der
Tab. 17: Zusammensetzung der Vertretung nach schulischem Kontext und Ausbildungsstatus
Schulischer Kontext
und Ausbildungsstatus
Anteil (Grad der Vertretung)
nicht vertreten
wenige
anteilig
überwiegend
ausschließlich
keine Angabe
2%
10 %
48 %
34 %
2%
4%
Haupt- und Realschule, Oberschule
7%
19 %
52 %
13 %
1%
8%
Ausbildung/Lehre
30 %
32 %
20 %
2%
1%
15 %
Gesamtschule
38 %
8%
28 %
6%
1%
19 %
Fachschule
44 %
19 %
14 %
0%
1%
23 %
Studium
49 %
18 %
12 %
2%
1%
19 %
Förderschule
55 %
15 %
10 %
0%
1%
20 %
Arbeit/Beruf
54 %
16 %
6%
1%
1%
21 %
Freiwilligendienst
61 %
10 %
4%
1%
1%
24 %
Grundschule
70 %
3%
8%
2%
1%
17 %
Gymnasium, Fachoberschule
Lesebeispiel: I n 38 % der Kinder- und Jugendvertretungen sind Mitglieder, die eine Gesamtschule besuchen, nicht vertreten, in 8 % wenig
vertreten, in 28 % anteilig vertreten, in 6 % überwiegend vertreten und in 1 % ausschließlich vertreten. 19 % der Befragten
machten keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 18: „Wie sieht die aktuelle Zusammensetzung nach schulischem Kontext und Ausbildungsstatus aus?“
n = 191
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
31
Kinder- und Jugendparlamente nicht vertreten
sind. Der Anteil von Förderschülerinnen und
-schülern ist zwar gering, aber sie sind in 26 %
der Kinder- und Jugendparlamente vertreten, in
rund 10 % der Gremien sogar anteilig.
Jugendliche in Ausbildung und Lehre bzw. Arbeit
und Beruf sind deutlich weniger in Kinder- und
Jugendvertretungen präsent. Immerhin sind
Jugendliche in Ausbildung und Lehre in 55 %
der Gremien vertreten, in 20 % sogar anteilig. Jugendliche, die bereits in Arbeit und Beruf
sind, wirken in 24 % der Vertretungen mit, in 6 %
anteilig.
Allerdings bestätigen die Daten auch die für
die meisten anderen Formen der Beteiligung
beobachtete Bildungsabhängigkeit, wenn z.B.
Jugendliche, die Gymnasien oder Fachoberschulen besuchen, in deutlich über 30 % der Gremien überwiegen oder sogar ausschließlich vertreten sind27. Diese Daten belegen eine noch immer
gegebene Privilegierung dieser Gruppe, aber
sie widersprechen gleichzeitig dem verbreiteten
Vorurteil, Kinder- und Jugendvertretungen seien
ausschließlich eine Sache von Gymnasiasten28.
Kinder- und Jugendvertretungen repräsentieren
heute in den Dimensionen Bildung, Berufsbildung und Beschäftigung weit stärker den Querschnitt der jungen Bevölkerung, als dies noch
vor Jahren der Fall war. Dies hat auch mit der
wachsenden Bildungsbeteiligung der nachwachsenden Generation zu tun.
4.6 S
trukturelle Verankerung und Rechte der Kinder- und Jugendvertretungen
Überblick:
Die Mehrzahl der Kinder- und Jugendparlamente ist strukturell verankert und institutionell und
rechtlich mit der Ratsarbeit verknüpft. Die meisten Gremien verfügen über ausgewiesene Rechte
(z.B. Rede- und Antragsrechte) auf unterschiedlichen Ebenen.
Wie bei repräsentativen Formaten eigentlich zu
erwarten, sind Kinder- und Jugendparlamente weit überwiegend (rund 95 %) und oft auch
in mehreren Kontexten institutionell verankert.
(vgl. Tab. 18) Nur in 5 % der Kommunen gibt es
keine besondere institutionelle Verankerung.
Dabei gehen die Kommunen bei der institutionellen Ausgestaltung unterschiedliche Wege.
Zur schwächsten Variante („Dienstanweisung“)
greifen lediglich 7 % der Kommunen. Vielmehr
dominieren die in ihrer Verbindlichkeit bei wechselnden politischen Mehrheiten leicht zu revidierenden Varianten des Ratsbeschlusses bzw. des
Beschlusses eines Fachausschusses (zusammen
85 %). Auch stärkere Formen der kommunalen
Verankerung sind populär. So berichten 17 %
der Befragten von einer Verankerung der repräsentativen Beteiligung in der Hauptsatzung der
Gemeinde, rund 28 % verfügen über eine Leitlinie bzw. strategische Konzeption für die Kinder-
27
Bei der Interpretation dieser Daten sind jedoch allgemeine Trends in Richtung höherer Bildung zu berücksichtigen. Von den Absolventinnen und Absolventen aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland verfügten 2016 bereits 41 % über eine
allgemeine Hochschulreife und 11 % über eine Fachhochschulreife, 54 % hatten einen mittleren Schulabschluss erreicht und der Anteil
der jungen Menschen mit bzw. ohne Hauptschulabschluss betrug lediglich 21 % bzw. 6 %. „Zwischen 2006 und 2016 stieg der Anteil
der Jugendlichen mit mittlerem Abschluss von 46 auf 54 % und derjenigen mit Abitur von 30 auf 41 %“ (Autorengruppe 2018:120). Im
gleichen Zeitraum ist der Anteil der Schüler mit Hauptschulabschluss von 27 auf 21 % zurückgegangen (ebd.).
28
Im Anschluss an die Studie von Hermann, der Mitglieder und Nichtmitglieder von Kinder- und Jugendparlamenten befragt hat, kommen
Hafeneger und Niebling noch zu dem Ergebnis: „Kinder- und Jugendparlamente bieten insgesamt nur einem kleinen Kreis von gewählten
Kindern und Jugendlichen Gelegenheit aktiv mitzuarbeiten. In ihrer Zusammensetzung unterscheiden sie sich vom gesellschaftlichen
Querschnitt der jungen Generation; Parlamente sind eine mittelschichtorientierte und eher männlich dominierte Beteiligungsform, die
mehr ältere Altersgruppen und vor allem Jugendliche anspricht, die bereits politisch interessiert und auch in anderen Zusammenhängen engagiert sind“ (Hafeneger/Niebling 2008: 133).
32
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 18: Verankerung der Kinder- und Jugendbeteiligung
Dokument, Konzept bzw. Leitlinie
Verankert
Absolut
Prozent
Ratsbeschlüsse
106
53 %
Kommunale Satzungen speziell für die repräsentative Kinder- und Jugendvertretung
87
44 %
Beschlüsse von Fachausschüssen
64
32 %
Eigene Leitlinie / strategische Konzeption „Kinder- und Jugendbeteiligung“
55
28 %
Kommunales Leitbild (z.B. „Bürgerfreundliche Kommune“)
33
17 %
Verankerung in der Hauptsatzung der Gemeinde
33
17 %
Spezielle Programme und Konzepte, wie z.B. „Kinderfreundliche Kommune“, „Jugendgerechte Kommune“, Kinderverträglichkeitsprüfung/Kinderfreundlichkeitsprüfung
23
12 %
Dienstanweisungen
14
7%
Bund-Länder-Kommunen-Programm „Soziale Stadt“
8
4%
Lokale Agenda 21
6
3%
Keine besondere Verankerung
10
5%
Lesebeispiel: I n 106 Kommunen ist die Kinder- und Jugendbeteiligung durch Ratsbeschlüsse rechtlich verankert. Dies entspricht 53 % der
Kommunen.
Frage 7.a: „ In welchen Dokumenten, Konzepten und Leitlinien ist in Ihrer Kommune die Kinder- und Jugendbeteiligung (ggf. auch die Kinderund Jugendvertretung) verankert?“
Mehrfachnennungen; n = 200
und Jugendbeteiligung, in der das Kinder- und
Jugendparlament verankert ist, in 44 % der Kommunen wurde eine Kommunale Satzung für die
Kinder- und Jugendvertretung verabschiedet.
Institutionelle Impulse gehen auch von kinderund jugendspezifischen Fachprogrammen und
Initiativen aus. Knapp 12 % der Kinder- und
Jugendparlamente verweisen auf die Impulse von
Initiativen wie „Kinderfreundliche Kommunen“,
„Jugendgerechte Kommunen“, sowie politischen
Initiativen zur Kinderfreundlichkeit bzw. Kinderverträglichkeit. Einen kleinen Beitrag zur Institutionalisierung von Kinder- und Jugendparlamenten
leisten auch beteiligungsorientierte Programme
ohne jugendspezifische Ausrichtung (Bund-Länder-Programm Soziale Stadt, Lokale Agenda 21).
Ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit, mit der die
Kinder- und Jugendvertretungen in die kommunalpolitische Landschaft eingebunden werden,
ist ihre rechtlich-strukturelle Verankerung. Es
macht einen großen Unterschied, ob Kinder und
Jugendliche einen – in letzter Instanz einklagbaren – Anspruch auf ihre Kinder- und Jugendver-
tretung haben oder vom Goodwill der Erwachsenen vor dem Hintergrund wechselnder politischer
Mehrheiten abhängig sind. Durch Ratsbeschlüsse und kommunale Satzungen ist immerhin die
Hälfte der repräsentativen Gremien schon gut
institutionalisiert und rechtlich-strukturell verankert (Ratsbeschluss: 53 %, kommunale Satzung: 44 %). (vgl. Tab. 19)
Verbindliche Regelungen über Art und Umfang
der Beteiligung und der Grad an Mitwirkungsund Beteiligungsrechten und der wahrgenommene Einfluss sind entscheidend für die Beurteilung
von Kinder- und Jugendparlamenten. Dabei spielt
die Mitwirkung in der etablierten Politik, besonders in den Gremien des Gemeinderats eine
wichtige Rolle. Geben die Erwachsenen in diesen Institutionen (etwas) von ihrer Macht ab und
billigen den Vertretungen der jungen Menschen
Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte zu? So lautet eine zentrale Frage, wenn es um die Qualität repräsentativer Formen geht (vgl. auch Hafeneger/Niebling 2008: 125). Offen bleibt dabei
jedoch, ob und wie diese Rechte genutzt werden.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
33
Tab. 19: Rechte der Mitglieder der Kinder- und Jugendvertretung in der Kommune
Art der Rechte
Vorhanden (in %)
Rederecht in Ausschüssen
67 %
Antragsrecht in Ausschüssen
52 %
verbindliche Wahlordnung
45 %
Antragsrecht im Rat
44 %
Rederecht im Rat
43 %
Stimmrecht in Ausschüssen
8%
Stimmrecht in Ausschüssen nur bei eigenen Angelegenheiten
6%
Lesebeispiel: I n 67 % der Fälle haben die Mitglieder der Kinder- und Jugendvertretung das Rederecht in Ausschüssen.
Frage 20: „Wie sehen die Verankerung und die Rechte des Vertretungsgremiums aktuell aus?“
Mehrfachnennungen; n = 200
Weit verbreitet ist das Rede- und Antragsrecht
in Ausschüssen. Spitzenreiter ist mit 67 % das
Rederecht in Ausschüssen. Mehr als 40 % der Vertreterinnen und Vertreter von Kinder- und Jugendparlamenten haben ein Rede- und Antragsrecht
im Rat. Dies zeigt, wie sehr in vielen Kommunen
Kinder- und Jugendvertretungen ernst genommen werden und wie gut die Verzahnung zwischen Jugend- und Erwachsenengremien geregelt
werden kann. Aber andersherum betrachtet gilt
auch: In über der Hälfte der Kinder- und Jugendvertretungen existieren genau diese grundlegenden Rechte noch nicht. Es gibt im Bereich dieser
Beteiligungsrechte von Kinder- und Jugendparlamenten also durchaus noch Entwicklungsbedarf
– zumal wenn man berücksichtigt, dass nur eine
Minderheit von 8 % Stimmrechte in Ausschüssen
hat. Verglichen mit den (auf einer kleinen Fallzahl beruhenden) Befunden der DJI-Studie von
1998 lassen sich keine Fortschritte erkennen. Das
Ergebnis damals: „Drei Viertel der Modelle verfügen über ein Antragsrecht und 44 % über ein
Rederecht im Stadt- oder Gemeinderat“ (Bruner
u.a. 1999: 68). Offensichtlich hält sich die Bereitschaft der Erwachsenenvertretungen, Macht
abzugeben, noch immer in engen Grenzen.
4.7 Arbeitsweise und Arbeitsklima der Kinder- und Jugendparlamente
Überblick:
Die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen in repräsentativen Formaten ist in der Regel
arbeits- und zeitintensiv. Drei von vier Kinder- und Jugendparlamenten haben zusätzliche
Arbeitsgruppen und informelle Treffs eingerichtet.
Die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen
in repräsentativen Formaten ist in der Regel
arbeits- und zeitintensiv. Üblich sind in der Mehrzahl monatliche Sitzungen (Ferienzeiten ausgenommen). Drei von vier Kinder- und Jugendparlamenten haben zusätzliche Arbeitsgruppen und
informelle Treffs eingerichtet. Dabei variiert der
Arbeitsaufwand von Ort zu Ort erheblich, wenn
34
z.B. rund ein Viertel der Kinder- und Jugendparlamente maximal zu vier Sitzungen jährlich zusammenkommen, keine Arbeitsgruppen eingerichtet
haben und auch keine informellen Treffs nutzen.
(vgl. Tab. 20, Tab. 21 und Tab.22)
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 20: Häufigkeit der Sitzungen
Häufigkeit der Sitzungen
n
bei Bedarf
2-mal im Jahr
3- bis 4-mal im
Jahr
5- bis 8-mal im
Jahr
9- bis 12-mal
im Jahr
14-tägig oder
häufiger
Absolut
9
8
37
43
75
21
Prozent
5%
4%
19 %
22 %
39 %
11 %
193
Lesebeispiel: In 9 Kommunen finden reguläre Sitzungen des Vertretungsorgans nur bei Bedarf statt. Dies entspricht 5 % der Kommunen.
Frage 21.a: „Wie oft finden die regulären Sitzungen des Vertretungsorgans statt?“
Tab. 21: Tagung zusätzlicher Arbeitsgruppen
n
ja
nein
Absolut
149
43
Prozent
78 %
22 %
192
Lesebeispiel: I n 149 Kommunen tagen neben den regulären Sitzungen des Vertretungsorgans auch themen- und projektbezogene Arbeitsgruppen. Dies entspricht 78 % der Kommunen.
Frage 21.c: „Tagen neben den regulären Sitzungen themen- und projektbezogene Arbeitsgruppen?“
Tab. 22: Informelle Treffs
n
ja
nein
Absolut
143
49
Prozent
74 %
26 %
192
Lesebeispiel: I n 143 Kommunen gibt es neben den regulären Sitzungen des Vertretungsorgans auch informelle Treffs. Dies entspricht 74 %
der Kommunen.
Frage 21.d: „Gibt es neben den Terminen informelle Treffs?“
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
35
Arbeitsweise
Überblick:
Die Ergebnisse zur Arbeitsweise und den Arbeitsschwerpunkten in lokalen Kinder- und Jugendparlamenten überraschen. Sie bescheinigen diesen repräsentativen Formaten ein hohes Maß an
Professionalität und an Projektorientierung, das man nicht von vornherein den repräsentativen
Beteiligungsformaten zuschreibt.
Tab. 23: Arbeitsweise
Arbeitsweise
Zustimmungsgrad
trifft zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger / nicht zu
keine Angabe
Eigene Projekte spielen eine zentrale Rolle.
92 %
7%
1%
Das Gremium hat eine/n gewählte/n Vorsitzende/n bzw. Sprecher/in.
85 %
11 %
4%
Das Gremium verfügt über eine eigene Strategie für Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Soziale Medien, öffentliche Aktionen, Wettbewerbe, Events und Konzerte, Ausstellungen usw.).
67 %
30 %
3%
Die Arbeit ist weitgehend in themenspezifischen Arbeitsgruppen
organisiert.
52 %
44 %
4%
Die Kinder- und Jugendvertretung orientiert sich weitgehend an der
Arbeitsweise von Parlamenten.
52 %
41 %
7%
Es werden Online-Tools zur Erweiterung der Beteiligung genutzt
(Öffnung zu Gruppen außerhalb des Gremiums).
37 %
59 %
4%
Überwiegend geht es um Kooperationsprojekte.
35 %
60 %
5%
Die Förderung externer Projekte von Kindern und Jugendlichen
steht im Zentrum.
31 %
63 %
6%
Lesebeispiel: N
ach Aussage von 92 % der befragten Betreuungspersonen spielen eigene Projekte eine zentrale Rolle (trifft zu oder
weitgehend zu). 7 % sagen, dass dies weniger bzw. nicht zu trifft. 1 % der Befragten machte keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 23: „Die aktuelle Arbeitsweise des Vertretungsgremiums lässt sich wie folgt beschreiben“
n = 193
Für die Selbstständigkeit dieser Gremien spricht,
dass 85 % ihre Vorsitzenden sowie Sprecherinnen und Sprecher aus ihrer Mitte wählen29.
Knapp 70 % der Gremien verfügen über eine
eigene Öffentlichkeitsarbeit und knapp 40 %
nutzen dazu auch Online-Tools.
Es geben 52 % der befragten Betreuerinnen und
Betreuer an, dass sich ihre Gremien weitgehend
an der Arbeitsweise der Kommunalparlamente orientieren. Dass die Prägekraft parlamentarischer
Praxis dennoch vergleichsweise gering ist, ergibt
29
36
sich aus dem Umstand, dass 92 % der Befragten
der Projektarbeit eine zentrale Rolle beimessen.
Hier hat sich offensichtlich in den letzten Jahrzehnten ein Wandel vollzogen, denn noch Mitte
der 1990er-Jahre hatte eine Studie zu Jugendgemeinderäten in Baden-Württemberg eine stärkere
Hinwendung zur Projektarbeit empfohlen, um sie
jugendgerechter auszugestalten. Ideal wäre ein
„halboffenes Parlament mit Projektbezug“ (Hermann 1996: 294). Es scheint, als sei dieses Ideal
inzwischen weitgehend verwirklicht.
Hermann berichtet 1996 über die 16 Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg, dass in 14 die Bürgermeisterin / der Bürgermeister –
als „geborene/r“ Vorsitzende/r – regelmäßig den Vorsitz führte, vier kannten eine/n zusätzliche/n jugendliche/n Sprecher/in und nur
zwei hatten eine/n Vorsitzende/n aus der Mitte des Jugendparlaments (Hermann 1996: 287).
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Arbeitsklima
Überblick:
Die Bewertungen des Arbeitsklimas in den Kinder- und Jugendgremien durch die Betreuerinnen
und Betreuer fällt insgesamt sehr positiv aus.
Tab. 24: Arbeitsklima in der Kinder- und Jugendvertretung
Art des Klimas
Zustimmungsgrad
trifft vollständig zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger / nicht zu
keine Angabe
freundschaftlich und wertschätzend
98 %
1%
1%
kooperativ
97 %
3%
0%
gleichberechtigt
95 %
4%
1%
fokussiert, auf das jeweilige Thema konzentriert
85 %
14 %
1%
verbindlich und verlässlich
78 %
21 %
2%
konflikthaft
8%
88 %
4%
Lesebeispiel: 9
8 % der Betreuungspersonen geben an, dass es vollständig oder weitgehend zutrifft, dass das Arbeitsklima in der Kinder- und
Jugendvertretung freundschaftlich und wertschätzend ist. 1 % der Betreuungspersonen gibt an, dass dies weniger oder nicht
zutrifft. 1 % der Befragten machte keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 42: „Wie schätzen Sie das Arbeitsklima in der Kinder- und Jugendvertretung ein?“
n = 190
Die Bewertungen des Arbeitsklimas in den Kinder- und Jugendgremien durch die Betreuerinnen
und Betreuer fällt insgesamt sehr positiv aus.
Das gilt vor allem für einen wertschätzenden,
kooperativen und gleichberechtigten Umgang
der Kinder und Jugendlichen untereinander.
Leichte Abstriche (14 %) gibt es bei der Fokussierung auf das jeweilige Thema, und nur ein Fünftel
der Gremien sieht Mängel in Sachen Verbindlichkeit und Verlässlichkeit.
Nur in 8 % der Gremien ist das Arbeitsklima
durch Konflikte geprägt.
4.8 Themen der Kinder- und Jugendparlamente
Überblick:
Kinder- und Jugendparlamente wählen ihre Themen weitgehend selbst. Sie beschränken sich
dabei nicht allein auf lebensweltliche kinder- und jugendspezifische Themen (z.B. Jugendprojekte
und Freizeitveranstaltungen), sondern nehmen auch ein allgemeinpolitisches Mandat wahr, greifen selektiv Themen des Kommunalparlaments auf und beteiligen sich an wichtigen kommunalen
Planungsprozessen (Verkehrsplanung, Stadtteilsanierung, Bauleitplanung usw.).
Die Befunde zur Arbeitsweise und zur Auswahl
der Arbeitsschwerpunkte in lokalen Kinder- und
Jugendparlamenten überraschen. (vgl. Tab. 25)
Sie bescheinigen diesen repräsentativen Formaten eine Selbstständigkeit und Fähigkeit zur
Selbstgestaltung, die üblicherweise eher mit
projekt-orientierten und offenen Formaten verbunden wird. Dieser Aussage entspricht, dass die
Wahl der Themen und Arbeitsschwerpunkte weit
überwiegend (94 %) bei den Kindern und Jugendlichen liegt. Nur 15 % sagen, dass bei der Wahl der
Arbeitsschwerpunkte und Themen Vorgaben des
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
37
Tab. 25: Auswahl der Arbeitsschwerpunkte und Themen der Gremien
Art der Themenauswahl
Zustimmungsgrad
trifft vollständig zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger / nicht zu
keine Angabe
weitgehend selbst gewählt
94 %
6%
0%
werden bei den Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde durch
die Jugendvertretung abgefragt
40 %
57 %
3%
durch Anregungen von Einzelpersonen aus dem kommunalen
Umfeld, aus der Zivilgesellschaft oder pädagogischen
Einrichtungen beeinflusst
37 %
61 %
2%
stark von Vorgaben und Vorhaben der Kommune und des Rates
bestimmt
15 %
82 %
3%
Lesebeispiel: 9
4 % der Befragten gaben an, dass es vollständig oder weitgehend zutrifft, dass die Themen und Arbeitsschwerpunkte ihres
Kinder- und Jugendgremiums weitgehend selbstgewählt werden und 6 % gaben an, dass dies weniger oder gar nicht zutrifft.
Frage 24: „Die Themen und Vorhaben des Gremiums sind…“
n = 191
Rates prägend wirken. Hier billigt man ihnen offenbar einen hohen Grad an Selbstbestimmung zu.
Anregungen kommen eher aus dem kommunalen Umfeld als aus dem Gemeinderat. Das widerspricht dem gelegentlich gegenüber den repräsentativen Kinder- und Jugendgremien geäußerten
Verdacht, dass sie doch nur ein ferngesteuertes
Erwachsenenprojekt seien. Anregungen aus dem
kommunalen Umfeld spielen eine deutlich größere Rolle als die Themen des Rates. Zu diesem
Befund passt auch der beachtliche Anteil (37 %)
von Kooperationsprojekten mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Bei einem Drittel der Kinder- und
Jugendparlamente steht sogar die Förderung von
externen Projekten im Vordergrund.
Die Befunde machen auch deutlich, dass die
Gegenüberstellung projektorientierter und offener Formate einerseits und repräsentativer Formate andererseits, wie sie noch für die DJIUntersuchung von 1998 prägend war, der Praxis
kommunaler Kinder- und Jugendvertretungen
nicht mehr gerecht wird. Die Dominanz projektorientierter Praxis und der hohe Anteil themenspezifischer Arbeitsgruppen macht Kinder- und
Jugendparlamente in der lokalen Praxis zu Foren
für unterschiedliche Beteiligungsformate mit
einem geregelten Zugang zu kommunalen Entscheidungsträgerinnen und -trägern. (vgl. Tab.
26)
38
Die freien Antworten ergaben eine interessante
Erweiterung der Themenpalette: Alkohol- und Drogenprävention, Verkehr (Verkehrsverbindungen,
Schülerbeförderung, ÖPNV), Kultur-kampagnen,
auch das Thema Demokratie und Partizipation
(Landtagswahlen, Bürgermeister-wahlen, U-18Wahl, Juniorwahl usw.), Projekte zur barrierefreien
Stadt usw. Auch der Aspekt „Politische Bildung“,
der ja in 49,2 % der Kinder- und Jugendparlamente
Thema ist, wurde detaillierter ausbuchstabiert. Es
ging dabei um Veranstaltungen zu Menschenrechten und Antisemitismus, um Extremismusprävention und Gedenkveranstaltungen.
Repräsentative Kinder- und Jugendvertretungen
sind demnach wirklich zu einer breiten Palette von Themen aktiv. Bei der Frage nach den
Arbeitsschwerpunkten der letzten beiden Jahre
ergibt sich folgendes Bild:
Wenig verwunderlich stehen allgemeine kinderund jugendspezifische Themen mit 60 % an erster
Stelle. Das Spektrum reicht von der Gestaltung
von Sport- und Freizeitanlagen (57 %) über Spielplätze (37 %) und die Gestaltung von Jugendräumen sowie ihres Programms (jeweils 27 %) bis
zum Engagement für eine kinder- und jugendgerechte Kommune (26 %) und zur Bekanntmachung der Kinderrechte, die sich immerhin 16 %
der Gremien auf die Fahnen geschrieben haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 26: Arbeitsschwerpunkte des Gremiums in den letzten zwei Jahren
Arbeitsschwerpunkte
Wie stark vertreten? ( %)
allgemeine kinder- und jugendspezifische Themen
60 %
Planung von Freizeitangeboten
59 %
Ausgestaltung von Sport- und Freizeitanlagen
57 %
Politische Bildung
49 %
Integration von Geflüchteten vor Ort
43 %
Musikevents
42 %
Verkehrsplanung (Gestaltung von Straßen, Rad- oder Fußwegen, Schulweggestaltung)
39 %
Spielplätze
37 %
Kommunalwahlen
35 %
Sportveranstaltungen
32 %
räumliche Gestaltung von Jugendeinrichtungen
27 %
Angebotsplanung im Jugendzentrum, Jugendtreff oder Jugendclub
27 %
Kinder- und jugendgerechte Kommune
26 %
Umwelt- und Naturschutz
23 %
Dorf- oder Stadtentwicklung, Stadtteilsanierung
22 %
Zusammenleben von jungen und alten Menschen
21 %
Bildungspolitik
21 %
Verbesserung des Wohnumfeldes
18 %
Bekanntmachung der Kinderrechte
16 %
Gewaltprävention, Umgang mit Konflikten
16 %
Schulentwicklungsplanung
15 %
übergreifende politische Themen (z.B. weltpolitische Themen wie Kriege, Globalisierung)
10 %
Hilfe für Menschen in Not
10 %
Spielleitplanung
10 %
Bauleitplanung (Bebauungspläne)
8%
Tierschutz
4%
Lesebeispiel: I n 57 % der Kinder- und Jugendvertretungen stand in den letzten zwei Jahren die Planung von Freizeitangeboten im Mittelpunkt,
in 39 % waren dies Themen der Verkehrsplanung.
Frage 25: „In den letzten beiden Jahren hatte das Vertretungsgremium folgende Arbeitsschwerpunkte:“
Mehrfachnennungen; n = 201
Bildungspolitik (21 %) und Schulentwicklungsplanung (15 %) sind weitere Dimensionen dieses Schwerpunkts, der allerdings nicht – wie das
Thema Bildungspolitik zeigt – an den Grenzen
kommunaler Zuständigkeit haltmacht.
Allgemeine politische Themen und politische Bildung (fast 50 %) nehmen ebenfalls einen pro-
minenten Platz in der Arbeit von Kinder- und
Jugendparlamenten ein. Die Integration von
Geflüchteten steht bei 43 % der Gremien auf der
Tagesordnung, 23 % engagieren sich im Umweltund Naturschutz und 10 % sind mit weltpolitischen Themen wie Krieg und Globalisierung
unterwegs. Der Tierschutz rangiert mit 4 % an
letzter Stelle.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
39
Das Gewicht kommunalpolitischer Themen lässt
sich nur schwer bestimmen, weil die kommunalen Bezüge nur schwer abzugrenzen sind. 57 %
der Gremien befassen sich mit der Ausgestaltung
von Sport- und Freizeitanlagen, mit Verkehrsplanung (39 %), mit der Dorf- bzw. Stadtentwicklung
(22 %), mit dem Zusammenleben von Jung und
Alt (21 %) mit der Verbesserung des Wohnumfelds (18 %) oder mit Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung (16 %).
Dieser breite Themenmix bestätigt den vielfältigen,
nicht auf repräsentative Aufgaben beschränkten
Charakter von kommunalen Kinder- und Jugendparlamenten. Sie sind thematisch nicht auf kinderund jugendspezifische kommunale Themen bzw.
die des Kommunalparlaments beschränkt, sondern in gleicher Weise in Projekten und der Planung und Gestaltung von Freizeitveranstaltungen
aktiv, nehmen ein allgemein- und kommunalpolitisches Mandat wahr und tragen zur Beteiligung an
kommunalen Planungsprozessen bei.
4.9 Budget – Aufwandsentschädigung – Sitzungsgeld
Überblick:
Vier von fünf Kinder- und Jugendparlamenten verfügen über ein eigenes Budget, über das sie entweder unabhängig oder in Absprache mit Zuständigen entscheiden können. Es werden auch Sitzungsgelder und Aufwandsentschädigungen in gut der Hälfte der Kommunen gezahlt.
Tab. 27: Jährliches Budget der Kinder- und Jugendvertretungen
Höhe des jährlichen Budgets
n
Kein festes Budget
bis zu 500 €
501 bis 1.000 €
1.001 bis 2.000 €
2.001 bis 5.000 €
über 5.000 €
15 %
3%
9%
17 %
27 %
28 %
190
Lesebeispiel: 9
% der Kinder- und Jugendvertretungen haben ein jährliches Budget von 501 € bis zu 1.000 € und 27 % der Kinder- und
Jugendvertretungen haben ein jährliches Budget von 2.001 € bis zu 5.000 €.
Frage 28.a: „Das Vertretungsorgan verfügt über ein festes jährliches Budget in einer Höhe von…“
Vier von fünf Kinder- und Jugendparlamenten
verfügen über ein eigenes Budget. Bei 27 % der
Kommunen liegt es zwischen 2.001 und 5.000 €
jährlich, bei rund 28 % liegt der Betrag darüber.
Auch dies darf als Ernstnehmen von Kinder- und
Jugendvertretungen interpretiert werden. Allerdings verfügen ca. 15 % der Kinder- und Jugendvertretungen über kein eigenes Budget. In dieser
Dimension der Unterstützung scheint die Dynamik gering zu sein. Bereits vor einem Jahrzehnt
wurde mit Verweis auf die DJI-Studie und eine
Untersuchung des Hessischen Sozialministeriums berichtet: „Die Mehrzahl (87 %) der Parlamente verfügt zur Organisation der eigenen
Arbeit über ein eigenes Budget, das ihnen von
der Kommune zugewiesen wird. Der Etat liegt
40
zwischen 4.000 und 10.000 Euro“ (Hafeneger/
Niebling 2008: 133). (vgl. Tab. 28)
Dass die Kinder und Jugendlichen über die Ausgaben und Mittel des Kinder- und Jugendparlaments nicht mitentscheiden können, kommt faktisch nicht vor (nur in 2 % der Kommunen). Die
Entscheidungsgewalt über die zur Verfügung
stehenden Mittel liegt entweder ganz allein
bei den Kindern und Jugendlichen (49 %) oder
wird gemeinsam („in Absprache“) entschieden
(49 %). Dies ist mit Blick auf die Selbstverantwortung und Selbsttätigkeit von jungen Menschen positiv hervorzuheben, weil wir hier ja
durchaus einen wichtigen und „harten“ Bereich
der Entscheidungen haben.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 28: Entscheidungsbefugnis über die Verwendung der Mittel der Kinder- und Jugendgremien
Entscheidungsbefugnis
n
unabhängig entscheiden
in Absprache mit Zuständigen entscheiden
nicht mitentscheiden
49 %
49 %
2%
181
Lesebeispiel: I n 49 % der Kinder- und Jugendgremien können die Mitglieder unabhängig entscheiden, wie die Mittel des Gremiums verwendet
werden.
Frage 28.b: „Über die Verwendung der Mittel können die Mitglieder des Gremiums…“
Tab. 29: Sitzungsgeld, Kosten- und Aufwandserstattung
Art der Aufwandserstattung
n
ein Sitzungsgeld
eine Kostenerstattung gegen Vorlage
der Belege (z.B. für Fahrtkosten)
nichts von alledem
Absolut
77
25
90
Prozent
40 %
13 %
47 %
192
Lesebeispiel: I n 77 der Kommunen erhalten die Mitglieder des Vertretungsorgans für ihre Tätigkeit ein Sitzungsgeld. Dies entspricht 40 % der
Kommunen.
Frage 27.a: „Die Mitglieder des Vertretungsorgans erhalten für ihre Tätigkeit …“
Tab. 30: Höhe des Sitzungsgeldes30
Das Sitzungsgeld in Euro beträgt
n
0€
1 € bis 5 €
6 € bis 10 €
11 € bis 15 €
16 € bis 20 €
21 € bis 25 €
mehr als 25 €
Absolut
17
7
18
10
2
3
13
Prozent
24 %
10 %
26 %
14 %
3%
4%
19 %
70
Lesebeispiel: I n 18 Fällen liegt das Sitzungsgeld über 5 € und reicht bis 10 €. Das entspricht 26 % der Fälle.
Frage 27.b: „Das Sitzungsgeld in Euro beträgt …“
In Analogie zu Erwachsenenparlamenten zahlen 40 % der Kinder- und Jugendparlamente ein
Sitzungsgeld aus, das überwiegend bescheiden
ausfällt: bei 10 % bis zu 5 €, bei 40 % von über
5 € bis 15 €. Aber immerhin gibt es 19 % der Sitzungsgeld zahlenden Gremien, die sogar mehr
als 25 € zahlen. 13 % der Gremien gewähren
30
eine Kostenerstattung für Fahrtkosten etc. und
47 % nichts von alledem. 30
Diese Zahlen beziehen sich auf die 40 % der Gremien, in denen ein Sitzungsgeld gezahlt wird (Tab. 29). Das abweichende n (77 und 70)
erklärt sich dadurch, dass hier einige Befragte die Frage 27.b nicht beantwortet haben. Interessant ist vielleicht noch der Hinweis, dass
nur in insgesamt zehn Fällen von der Zahlung einer pauschalen Aufwandsentschädigung (gemeint ist nicht das Sitzungsgeld) berichtet
wird.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
41
4.10 Die Rolle der Erwachsenen
Überblick:
Erwachsene spielen eine wichtige Rolle in Kinder und Jugendparlamenten – überwiegend in beratender Funktion.
Tab. 31: Rolle der beteiligten Erwachsenen
Rolle der Erwachsenen
Verbreitungsgrad ( %)
an den Sitzungen wirken Erwachsenen mit
98 %
Betreuer/in
49 %
bei Bedarf erwachsene Unterstützer/innen und Expert/innen
42 %
Verwaltungsmitarbeiter/innen (z.B. Jugendamtsleitung)
42 %
Kinder- und Jugendbeauftragte
36 %
Ratsmitglieder
29 %
Bürgermeister/in
28 %
Gäste aus anderen Beiräten (z.B. Senioren-, Familien- oder Integrationsbeirat)
18 %
Die Rolle der Erwachsenen ist beratend.
64 %
Erwachsene leiten die Sitzung.
10 %
Lesebeispiel: In 49 % der Kinder- und Jugendgremien wirken Erwachsene in der Rolle als Betreuungspersonen an den Sitzungen mit.
Frage 26: „Wirken an den Sitzungen Erwachsene mit?“
Mehrfachnennungen; n = 201
Erwachsene spielen offensichtlich in der Praxis
von Kinder- und Jugendparlamenten eine wichtige Rolle. Nimmt man den Anteil der Gremien
mit Betreuungspersonen (knapp 50 %), Verwaltungsmit-arbeitende (42 %) bzw. Kinder- und
Jugendbeauftragten (36 %) zusammen, können
wir von einer intensiven professionellen Unterstützung ausgehen31, die – nach Angaben der
31
42
Betreuungspersonen – überwiegend (64 %) eine
beratende Funktion ausüben. Nur in 10 % der
Kinder- und Jugendparlamente leiten sie die Sitzung. Erwachsene Expertinnen und Experten,
Ratsmitglieder sowie Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister wirken ebenfalls mit und sind
Teil dieses Beratungs- und Unterstützungsnetzwerks.
Diese Prozentangaben sprechen dafür, dass die hauptamtliche und professionelle Unterstützung von Kinder- und Jugendparlamenten
in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Noch für 1998 lautet die Diagnose: „Von den repräsentativen Formen sind 52 % mit
hauptamtlichen Stellen versehen und 48 % werden nicht durch hauptamtliches Personal begleitet (vgl. Bruner u.a. 1999: 64).
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
4.11 Selbstverständnis der Kinder- und Jugendparlamente
Überblick:
Das Selbstverständnis der Kinder- und Jugendparlamente ist sehr differenziert, vielfältig und
anspruchsvoll. Es entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen, die vor Ort gleichzeitig nebeneinander bestehen können.
Tab. 32: Selbstverständnis der Kinder- und Jugendvertretung
Art des Selbstverständnisses
Zustimmungsgrad
trifft vollständig zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger / nicht zu
keine Angabe
eigene Projekte, Aktionen und Initiativen entwickeln
94 %
5%
1%
Ansprechpartner, Interessenswahrnehmung und Sprachrohr
für die Kinder und Jugendlichen der Kommune
88 %
9%
3%
bei kommunalen Vorhaben und Planungen auch die Sichtweise
von Kindern und Jugendlichen in der Kommune einbringen
78 %
21 %
1%
Verständnis als unabhängige Instanz mit freiem Mandat für
Kinder- und Jugendthemen
57 %
36 %
8%
Verständnis als Initiativgruppe
45 %
44 %
11 %
Stellungnahmen abgeben und Diskussionsimpulse setzen zu
allgemeinen politischen Themen, z.B. zu Flucht und Migration,
Bildung oder Fremdenfeindlichkeit
42 %
55 %
3%
im Auftrag von Politik und Verwaltung in eigener Regie Aufgaben
für Kinder und Jugendliche der Kommune übernehmen
35 %
59 %
6%
Lesebeispiel: I n 88 % der Kommunen ist das Selbstverständnis der Kinder- und Jugendvertretung, dass sie (unter anderem) als Ansprechpartner, Interessenwahrnehmung und Sprachrohr für die Kinder und Jugendlichen in der Kommune fungiert. In 9 % der Kommunen
ist dies nicht der Fall. 3 % der Befragten machten keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 34: „Welches Selbstverständnis hat die Kinder- und Jugendvertretung?“
n = 194
Diese in verschiedene Richtungen weisenden
Antworten machen deutlich, dass aktuell mit Kinder- und Jugendvertretungen unterschiedliche,
durchaus konfligierende Erwartungen verbunden werden. Das Leitbild einer selbstbewussten
und selbstbestimmten „Initiativgruppe“ junger
Menschen steht neben der Vorstellung, lokale
Kinder- und Jugendinteressen zu repräsentieren
und der Aufgabe, beratend bei der Gestaltung
der kommunalen Kinder- und Jugendangebote
mitzuwirken.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
43
4.12 Resonanz in der Kommunalpolitik
Überblick:
Kinder- und Jugendparlamente werden allenfalls gelegentlich in Ratsentscheidungen einbezogen.
Im Jugendhilfeausschuss gestaltet sich diese Einbeziehung etwas positiver, auch wenn formale
Mitwirkungsrechte dort nur zum Teil gegeben sind.
Der Einfluss der Kinder und Jugendlichen ist in den verschiedenen Phasen des politischen Prozesses
unterschiedlich ausgeprägt – bei der Ideensammlung groß, bei Entscheidungen deutlich geringer.
Tab. 33: Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen beim Zustandekommen von Ratsbeschlüssen
Häufigkeit
Stichprobe
Absolut
Prozent
sehr oft
3
2%
oft
24
12 %
gelegentlich
81
42 %
selten
34
18 %
sehr selten
33
17 %
gar nicht
18
9%
n
193
Lesebeispiel: I n 24 Kommunen werden aus Sicht der Betreuungspersonen die Ansichten der Kinder und Jugendlichen beim Zustandekommen
von Ratsbeschlüssen oft mit einbezogen. Dies entspricht 12 % der Kommunen.
Frage 37: „ Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen: Wie oft bezieht Ihre Kommune die Ansichten der Kinder und Jugendlichen beim Zustandekommen von Ratsbeschlüssen mit ein?“
Der überwiegend deliberative und beratende
Charakter von Kinder- und Jugendvertretungen
wird in den Aussagen zur Einbeziehung in Ratsentscheidungen bekräftigt. Oft oder sehr oft
geschieht dies lediglich in 14 % der Kommunen,
während sich die Werte von selten bis gar nicht
auf 44 % summieren. Das Schwergewicht der
Nennungen liegt mit 42 % bei gelegentlich.
Diese schwache Einbindung in Ratsentscheidungen kann Folge einer überwiegend projekt- und
themenorientierten Arbeitsweise von Kinderund Jugendparlamenten sein, die sich nur sehr
eingeschränkt am parlamentarischen Prozess
des Gemeinde- oder Stadtrats orientiert. Freilich bleibt offen, ob diese Distanz selbstgewählt
ist oder auf die Statuszuweisung durch den Rat
zurückgeht. (vgl. Tab. 34)
Kommunen mit einem Jugendhilfeausschuss
bewegen sich bei der Ausgestaltung der Betei-
44
ligungsrechte von Kinder- und Jugendparlamenten kaum über den allgemeinen kommunalpolitischen Rahmen hinaus. Rede- und Antragsrechte
sind nicht besser ausgestaltet, das Stimmrecht
liegt sogar deutlich darunter. Dass in zwei von
fünf Kommunen mit einem Jugendhilfeausschuss
Kinder und Jugendvertretungen keinen festen
Sitz haben, ist nur schwer nachvollziehbar.
Dieser Befund ist ärgerlich, weil das SGB VIII in §
8 (1) folgende „Muss-Vorschrift“ vorgibt: „Kinder
und Jugendliche sind entsprechend ihrem
Entwicklungsstand an allen sie betreffenden
Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu
beteiligen.“ Und die Bestimmungen des § 71
SGB VIII zum Jugendhilfeausschuss erlauben
schließlich Vertretungskörperschaft (Landkreis,
Stadt) in den von ihr bestimmten drei Fünfteln
der Sitze „von ihr gewählte Frauen und Männer,
die in der Jugendhilfe erfahren sind“ zu bestim-
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Tab. 34: Arten der Einbeziehung im Jugendhilfeausschuss
Arten der Einbeziehung
Verbreitungsgrad ( %)
haben Rederecht im JHA
70 %
werden im JHA zum Thema angehört
65 %
haben einen festen Sitz im JHA
60 %
haben Antragsrecht im JHA
44 %
haben Stimmrecht im JHA
5%
werden im JHA mittels Fragebogen zum Thema befragt
2%
bilden einen Unterausschuss des JHA
0%
werden auf andere Weise in die Arbeit des JHA einbezogen
21 %
Lesebeispiel: I n 70 % der Kommunen mit Jugendamt haben die Mitglieder der Kinder- und Jugendvertretung Rederecht im Jugendhilfeausschuss. In 30 % der Kommunen ist dies nicht der Fall.
Frage 38: „Wie wird die Kinder- und Jugendvertretung bei Entscheidungen des Jugendhilfeausschusses einbezogen?“
Mehrfachnennungen; n = 6332
men. Und „erfahren“ können im Grunde Jugendliche aus Jugendvertretungen sein, zumal in einer
wachsenden Zahl von Bundesländern das Wahlrecht ab 16 Jahren eingeführt ist. 32
Beim Jugendhilfeausschuss handelt es sich um
einen kommunalen Ausschuss (des Landkreises
oder der kreisfreien Stadt), für den deshalb selbstverständlich die Kommunalverfassungen und
Landkreisordnungen gelten und damit auch die
Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen
(meistens als vergleichsweise strenge „Soll-Vorschrift“, in vier Fällen sogar als „Muss-Vorschrift“).
Für Unterausschüsse des Jugendhilfeausschusses (und dies könnte durchaus ein Kinder- und
Jugendparlament sein) gibt es ohnehin keine
fixierten Normen, die Partizipation einschränken
oder verbieten könnten.
Zu den Aufgaben des Jugendhilfeausschusses zählt im Übrigen nach § 71 (2) SGB VIII die
Jugendhilfeplanung, die zwingend „den Bedarf
unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen …“
32
ermitteln muss (SGB VIII § 80 [2]). Dabei könnte eine repräsentative Kinder- und Jugendvertretung sicher unterstützen. (vgl. Tab. 35)
Wenn es um das Verhältnis der Kinder- und
Jugendvertretung zur Kommunalpolitik und verwaltung geht, trifft man auf widersprüchliche
Aussagen. Einerseits wird von 82 % der Befragten auf ein wertschätzendes und kooperatives
Verhältnis verwiesen. Andererseits erhalten nur
54 % der Kinder- und Jugendvertretungen die
dazu notwendigen Informationen, nur die Hälfte erhält regelmäßige Rückmeldungen zu ihren
Vorschlägen und Empfehlungen und nur zu 38 %
wird die Praxis der Kinder- und Jugendparlamente mit Blick auf das kommunale Geschehen als
einflussreich angesehen. Es gibt offenbar eine
Diskrepanz zwischen Atmosphäre und realem
Einfluss. (vgl. Tab. 36)
Ein Blick auf die Beteiligungspraxis von Kinderund Jugendparlamenten ergibt, dass sie vorwiegend deliberativen und beratenden Charakter
Die Anzahl von 63 ergibt sich aus allen Fragebögen, die zu dieser Frage Stellung genommen haben. Dass diese nur 63 beträgt, bedeutet, dass von den Kommunen mit Jugendamt und Jugendhilfeausschuss (das sind 83 in dieser Stichprobe) 20 auf diese Frage nicht
geantwortet haben. Das bedeutet vermutlich, dass in diesen Fällen keine oder nur sehr seltene Beteiligung im Jugendhilfeausschuss
erfolgt. Dies entspräche der Bertelsmann-Untersuchung, in der 25 % der befragten Kommunen angaben, dass Kinder und Jugendliche
nur selten / sehr selten im Jugendhilfeausschuss einbezogen werden (Bertelsmann Stiftung (2008a: K 15).
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
45
Tab. 35: Gestaltung des Verhältnisses des Kinder- und Jugendparlaments zu Kommunalpolitik
und -verwaltung, Nutzungsgrad von Rechten usw.
Aussage
Zustimmungsgrad
trifft vollständig zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger / nicht zu
keine Angabe
Die Tätigkeit der Kinder- und Jugendvertretung erfährt im Rat und in
den Ausschüssen positive und wertschätzende Resonanz.
82 %
18 %
1%
Die Kinder- und Jugendvertretung bietet für die Kommunalpolitik
einen deutlichen Mehrwert.
72 %
28 %
1%
Informationen, Vorlagen und Entwürfe aus der Verwaltung bzw.
den Ausschüssen des Gemeinderats gehen der Jugendvertretung
(umfassend, rechtzeitig, erklärend usw.) zu, so dass ihr eine
Meinungsbildung möglich ist.
54 %
43 %
3%
Die Jugendvertretung bekommt regelmäßig Rückmeldungen
aus der Politik und Verwaltung, was aus ihren Anregungen und
Empfehlungen geworden ist.
51 %
48 %
1%
Die satzungsmäßigen Rechte (Antrags-, Initiativ-, Rede- und
Mitentscheidungsrechte) werden von den Mitgliedern des
Repräsentativgremiums intensiv genutzt.
50 %
47 %
3%
Die Kinder- und Jugendvertretung kann das kommunale Geschehen
thematisch sehr breit beeinflussen (d.h. auch Verkehr, Bauplanung,
Stadtentwicklung, Gestaltung öffentlicher Plätze etc.).
38 %
60 %
2%
Lesebeispiel: 8
2 % der Betreuungspersonen sagen, dass die Aussage „Die Tätigkeit der Kinder- und Jugendvertretung erfährt im Rat und in
den Ausschüssen positive und wertschätzende Resonanz.“ zutrifft oder weitgehend zutrifft. 18 % der Betreuungspersonen
sagen, dass die Aussage weniger oder nicht zu trifft.
Frage 35: „Bitte bewerten Sie die nachfolgenden Aussagen zum Verhältnis der Kinder- und Jugendvertretung zur Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung für Ihre Kommune!“
n = 192
Tab. 36: Phasen der Beteiligung des Kinder- und Jugendparlaments
Phase
Zustimmungsgrad
trifft zu (wird aktiv)
trifft nicht zu
(wird nicht aktiv)
keine Angabe
bei der Ideensammlung
73 %
27 %
1%
in der Planungsphase
60 %
39 %
1%
als Initiator
40 %
59 %
2%
bei der Umsetzung
27 %
73 %
1%
bei Entscheidungen
26 %
73 %
1%
bei der Evaluation
8%
91 %
2%
Lesebeispiel: 7
3 % der Betreuungspersonen geben an, dass das von ihnen betreute Kinder- und Jugendparlament in der Phase der Ideensammlung aktiv wird. 27 % geben an, dass dies nicht zu trifft.
Frage 36: „Das Kinder- und Jugendparlament wird vor allem in folgenden Phasen von kommunalen Vorhaben aktiv:“
n = 200
46
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
haben. Überwiegend (73 %) sind sie an der Ideensammlung und in der Planungsphase (60 %)
beteiligt. Auch als Initiatoren sind sie willkommen (40 %). An Entscheidungen selbst beteiligt
ist nur noch gut ein Viertel der repräsentativen
Formate. Dies verdeutlicht noch einmal den deutlichen Unterschied zu Erwachsenenparlamenten,
deren zentrales Privileg es ist, legitime Entscheidungen zu treffen.
Die Beteiligung an der Umsetzung von Entscheidungen (27 %) verweist darauf, das Kinder- und
Jugendparlamente auch zusätzlich freiwilliges
Engagement einbringen oder anregen. Die geringe Beteiligung an Evaluationen (8 %) bestätigt
die geringe Entscheidungsbeteiligung, aber erinnert auch daran, dass die Evaluation von Programmen und Projekten im politischen Geschehen in
Deutschland insgesamt eine Ausnahme darstellen.
4.13 Einstellungen und Haltungen der kommunalen Politik und Verwaltung – Bewertung der Unterstützung
Überblick:
Im Kontrast zu zahlreichen öffentlichen Klagen geben die befragten Betreuungspersonen der
Kommunalpolitik überwiegend gute Noten, wenn es um den Umgang mit den engagierten jungen
Menschen aus den Kinder- und Jugendparlamenten geht. In einem Viertel der Kommunen sind
aber auch Probleme erkennbar.
Tab. 37: Vorherrschende Einstellungen und Haltungen der kommunalen Politik und Verwaltung
Einstellung und Haltung der kommunalen Politik und Verwaltung
Zustimmungsgrad
trifft vollständig /
weitgehend zu
trifft weniger /
nicht zu
keine Angabe
Sie nehmen die Interessen von Kindern und Jugendlichen genauer wahr.
76 %
23 %
1%
Sie haben keine Vorbehalte gegen die Kinder- und Jugendvertretung.
74 %
25 %
1%
Sie begegnen der Kinder- und Jugendvertretung auf Augenhöhe.
73 %
26 %
1%
Sie sind überzeugt von der Notwendigkeit/Wichtigkeit der Kinderund Jugendvertretung.
73 %
26 %
1%
Sie sind der Überzeugung, dass sich das Image der Kommune durch
die Kinder- und Jugendvertretung verbessert hat.
70 %
28 %
2%
Lesebeispiel: 76 % der befragten Betreuungspersonen gaben an, dass es vollständig oder weitgehend zutrifft, dass ihrer Einschätzung nach
Politik und Verwaltung die Interessen von Kindern und Jugendlichen genauer wahrnehmen und 23 % gaben an, dass dies weniger oder gar nicht zutrifft.
Frage 45: „Meine Einschätzungen der vorherrschenden Einstellungen und Haltungen in der kommunalen Politik und Verwaltung:“
n = 192
Im Kontrast zu zahlreichen öffentlichen Klagen
geben die befragten Betreuungspersonen der
Kommunalpolitik überwiegend gute Noten, wenn
es um den Umgang mit den engagierten jungen
Menschen aus den Kinder- und Jugendvertretungen geht. Alle genannten Möglichkeiten erhalten
große Zustimmung (trifft vollständig bzw. weitgehend zu), die über 70 % liegt.
Eine differenzierte Betrachtung macht jedoch
auch Entwicklungsbedarf deutlich. So liegt die
Einschätzung „trifft weniger oder gar nicht zu“
zwischen 23 und 28 %. In rund einem Viertel der
Fälle bekommt die lokale Politik und Verwaltung
also eher schlechte Noten. Dies sind sicherlich
keine förderlichen Bedingungen für eine erfolg-
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
47
Tab. 38: Bewertung der Unterstützung und Anerkennung
Unterstützung und Anerkennung
Zustimmungsgrad
trifft zu /
trifft weitgehend zu
trifft weniger /
nicht zu
keine Angabe
Die Unterstützung des Gremiums durch die Verwaltung ist angemessen.
85 %
14 %
1%
Die finanzielle Ausstattung ist angemessen.
79 %
21 %
0%
Die ideelle Unterstützung und Anerkennung durch die Verwaltungsspitze, den/die Bürgermeister/in und die Gemeinderatsmitglieder
sind angemessen.
75 %
25 %
0%
Die politische Kommunikation mit den Kindern und Jugendlichen
erfolgt „auf gleicher Augenhöhe“ von Seiten der Erwachsenen.
71 %
29 %
1%
Lesebeispiel: 8
5 % der Betreuungspersonen sind der Ansicht, dass die Aussage „Die Unterstützung des Gremiums durch die Verwaltung ist
angemessen“ zutrifft oder weitgehend zu trifft. 14 % sind der Ansicht, dass diese Aussage weniger oder nicht zu trifft. 1 % der
Befragten machte keine Angabe zu dieser Teilfrage.
Frage 33: „ Sind aus Ihrer Sicht die Ressourcen, Unterstützungsangebote und Formen der Anerkennung in Ihrer Kommune angemessen und
ausreichend?“
n = 194
reiche Arbeit der Kinder- und Jugendparlamente
– zumindest in Richtung Politik und Verwaltung.
Eine Validierung dieser Einschätzungen wurde
durch die Befragung von beteiligten Kindern
und Jugendlichen in der zweiten Untersuchungsphase möglich. Die ersten Auswertungen von
Gruppendiskussionen mit Jugendparlamentarierinnen und parlamentariern gehen aber bereits
auffällig in die beschriebene Richtung. (vgl. Tab.
38)
Die befragten Betreuerinnen und Betreuer
äußern sich überwiegend positiv zum Grad der
Unterstützung durch die Verwaltung (85 % trifft
zu / trifft weitgehend zu) und der ideellen Unterstützung durch die politische Spitze (75 %)
sowie zu den zur Verfügung stehenden finanzi-
48
ellen Ressourcen (79 %). Immer noch recht positiv, aber deutlich schlechter, schneidet die politische Kommunikation zwischen den Jugendlichen
einerseits und Erwachsenen andererseits ab, die
von 71 % als „auf gleicher Augenhöhe“ bewertet
wird.
Die Daten lassen sich jedoch auch anders lesen.
Ein Viertel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister lässt es aus Sicht der befragten Betreuungspersonen an ideeller Unterstützung und
Wertschätzung fehlen. Fast 30 % der Betreuungspersonen bemängeln das Fehlen anerkennender
und gleichberechtigter Kommunikationsverhältnisse. Die Zahlen sind umso bedenklicher, kann
doch davon ausgegangen werden, dass Kommunen mit Kinder- und Jugendparlamenten besonders beteiligungsfreundlich sind.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
4.14 Lerneffekte
Überblick:
Die Betreuerinnen und Betreuer von Kinder- und Jugendparlamenten bescheinigen den Kindern
und Jugendlichen überaus positive Lerneffekte und Kompetenzentwicklungen aufgrund ihrer
Tätigkeit in diesem repräsentativen Partizipationsformat.
Tab. 39: Lerneffekte und Kompetenzentwicklungen bei den Kindern und Jugendlichen
Lern-/Kompetenzentwicklungsfeld
Zustimmungsgrad
trifft vollständig /
weitgehend zu
trifft weniger /
nicht zu
keine Angabe
Selbstbewusstsein/Selbstvertrauen
97 %
3%
0%
Kooperationsfähigkeit
97 %
3%
0%
verstärktes freiwilliges Engagement
86 %
11 %
3%
Wertschätzung von Demokratie
84 %
11 %
5%
Erhöhung der Identifikation mit der Kommune
83 %
15 %
2%
Zunahme an Projektmanagementfähigkeiten
83 %
16 %
2%
verbessertes Verständnis komplexer politischer Zusammenhänge
81 %
18 %
2%
kommunalpolitische Kompetenzen
75 %
22 %
3%
vermehrtes Interesse an Politik
73 %
24 %
3%
Sonstige
13 %
6%
82 %
Lesebeispiel: N
ach Meinung von 97 % der Betreuungspersonen gab es bei den Kindern und Jugendlichen einen Zugewinn an Selbstbewusstsein/Selbstvertrauen. 3 % der Betreuungspersonen sehen dies nicht so.
Frage 43.a: „ Welche Lerneffekte und Kompetenzentwicklungen sehen Sie bei den in der Kinder- und Jugendvertretung engagierten Kindern
und Jugendlichen?“
n = 191
Insgesamt erstaunt die überaus positive Bewertung der Lerneffekte und Kompetenzentwicklungen bei den in repräsentativen Formen aktiven
Kindern und Jugendlichen. Auch wenn ein positiver Bias bei den Betreuenden, die damit ja auch
ihre eigene Tätigkeit bewerten, in Rechnung zu
stellen ist, bestätigen 97 % der Befragten einen
Zuwachs an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sowie an Kooperationsfähigkeit (trifft
vollständig zu bzw. trifft weitgehend zu). Verstärktes freiwilliges Engagement und Wertschätzung reichen ebenfalls an die 90 %-Marke heran. Auch die Steigerung der Identifikation mit der
Kommune liegt bei über 80 %. Leicht darunter,
aber immer noch über 70 % der Befragten nennen verbesserte kommunalpolitische Kompetenzen und ein vermehrtes Interesse an der Politik.
Dass diese Einschätzungen der Betreuenden
im Einzelnen durchaus belastbar sind, hat sich
bei der Befragung von beteiligten Kindern und
Jugendlichen (Interview-Studie) in der zweiten
Untersuchungsphase gezeigt. Die Ergebnisse der
Gruppendiskussionen mit Jugendlichen in dieser
Studie weisen deutlich in dieselbe Richtung.
Die vorliegenden Aussagen legen also den
Schluss nahe, dass repräsentative Formate der
Kinder- und Jugendbeteiligung nahezu ideale
non-formale und informelle Lernorte darstellen.
Dies gilt sowohl für zentrale Basiskompetenzen,
für das Selbstwertgefühl und für prosoziale Haltungen als auch für das Demokratielernen.
Es gibt also eine Fülle von guten Gründen, Kinder- und Jugendparlamente vor Ort zu ermöglichen und vorhandene zu stärken. Die nachfolgenden Qualitätsmerkmale sind als Beitrag auf
diesem Wege zu verstehen.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
49
5. Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und
Jugendparlamente auf kommunaler Ebene
Über Qualität kann nur dann sinnvoll diskutiert
werden, wenn dies mit dem Versuch verbunden
wird, sich auf Mindeststandards für gute Praxis
zu verständigen. Dies gilt besonders für kommunale Kinder- und Jugendparlamente (KiJuPa).
Repräsentative Beteiligungsformate sind sehr
anspruchsvoll und komplex. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Nähe zur parlamentarischen
Praxis der Erwachsenen. Meist sind Kinder und
Jugendliche in ihren besonderen Parlamenten mehrere Jahre aktiv, sie haben ein Mandat,
fühlen sich für junge Menschen vor Ort verantwortlich und befassen sich mit einer Reihe von
unterschiedlichen Themen. Nicht zuletzt deshalb gelten Kinder- und Jugendparlamente in
Wissenschaft und Praxis bislang noch oft als zu
anspruchsvoll, als nicht kinder- und jugendgerecht. Hinzu kommt noch der Verdacht, hier werde lediglich ein Erwachsenenformat kopiert oder
auch nur simuliert.
Unsere Erfahrungen im Rahmen des Forschungsprojekts „Repräsentative Beteiligungsformate für junge Menschen auf kommunaler Ebene“
sprechen für eine andere Botschaft. Kinder- und
Jugendparlamente sind nicht nur möglich, sondern können einen beachtlichen und unverkennbaren Beitrag zur kommunalen Kinder- und
Jugendbeteiligung leisten. Sie verdienen mehr
Aufmerksamkeit, Anerkennung und öffentliche Förderung, können sie doch maßgeblich
zur Umsetzung der zentralen Beteiligungsnorm
der UN-Kinderrechtskonvention beitragen, die
Deutschland 1992 ratifiziert hat und die seither
den Rang eines Bundesgesetzes hat. In Artikel
12 sichern die Vertragsstaaten Kindern, d.h. jungen Menschen unter 18 Jahren, zu, dass sie ihre
Meinung in allen sie berührenden Angelegen-
33
50
heiten frei äußern können und diese angemessen Berücksichtigung findet. Nicht zuletzt gilt
dies für nahezu alle kommunalpolitischen Handlungsfelder33. Gerade diese thematische Breite
spricht für repräsentative Formate.
Die nachfolgende Darstellung von Qualitätsmerkmalen beruht nicht auf einem konstruierten Ideal, sondern hat eine breite empirische
Grundlage. Die Aussagen stützen sich auf Ergebnisse einer Befragung von Betreuerinnen und
Betreuern von Kinder- und Jugendparlamenten
(Online-Befragung 2018), auf Einzel- und Gruppengespräche mit dort engagierten Kindern und
Jugendlichen (Interview-Studie 2019), einem
bundesweiten Vernetzungstreffen der Betreuerinnen und Betreuer (2019) sowie zwei Regionaltreffen von jungen Menschen aus Kinder- und
Jugendparlamenten (2019).
Die Qualitätsmerkmale bestimmen näher, was
mit „stark“ gemeint ist, wenn wir von „Starken
Kinder- und Jugendparlamenten“ reden. Es sind
die identifizierten Stellschrauben, die uns zeigen, wie diese Stärke zu erreichen ist. Das Einhalten der Qualitätsmerkmale beschreibt insofern gleichzeitig die Gelingensbedingungen
starker Kinder- und Jugendparlamente.
Die folgenden Qualitätsmerkmale geben in erster Linie die Sicht der Befragten wieder. Da die
Einschätzungen von Betreuerinnen und Betreuern einerseits und engagierten Kindern und
Jugendlichen andererseits meist nahe beieinanderliegen, spricht dies für die Verlässlichkeit der
Aussagen. Beide Gruppen von Befragten können als Expertinnen und Experten ihres Beteiligungsformats angesehen werden, deren Erfahrungen für die kommunale Praxis ein besonderes
Gewicht zukommt.
Auf die Bedeutung der Kinderrechte für die Kommunalpolitik und vorhandene Umsetzungsdefizite hat jüngst ein Rechtsgutachten
eindrucksvoll aufmerksam gemacht: Donath, Philipp B. 2019: Kinderrechte im kommunalen Verwaltungshandeln. Berlin: Deutsches
Kinderhilfswerk.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Von starken kommunalen KiJuPa kann aus Sicht
dieser Expertinnen und Experten nur gesprochen werden, wenn sie die folgenden Merkmale
erfüllen. Dabei folgt die Reihenfolge der Qualitätsmerkmale ihrer strategischen, politischen
und pädagogischen Bedeutung. Sie dürften von
besonderer Bedeutung sein, wenn Kommunen
Kinder- und Jugendparlamente neu einrichten
bzw. bestehende verbessern wollen.
A. Die Kernmerkmale
1. Starkes Mandat – politischer Wille
KiJuPa können nur erfolgreich sein, wenn Politik und Verwaltung – und hier insbesondere die
Leitungsebene – sie mit einem starken, robusten
Mandat versehen. Der politische Wille zur Gründung und Einbeziehung des KiJuPa in die kommunale Politik muss deutlich ausgeprägt sein
und offensiv öffentlich vertreten werden. Verwaltung und Politik (Stadt- und Gemeinderat, Kreistag) sollten Initiative, Engagement und Führung
in der Beteiligungsfrage demonstrieren. Es muss
– alles in allem – eine ehrliche Bereitschaft für
eine umfassende Einbeziehung des KiJuPa in die
Kommunalpolitik geben.
Die Spitzen in Politik und Verwaltung sollten
ein gut austariertes Verhältnis von Leadership
und Partizipation zeigen. Sie sollten einerseits
offensiv vorpreschen und in der Frage der systematischen Einbeziehung des KiJuPa die Initiative ergreifen und dafür sorgen, dass eine immer
breitere Akzeptanz für das KiJuPa in der Öffentlichkeit entsteht. Sie sollten also Führung zeigen
und proaktiv sicherstellen, dass angemessene
Strukturen und Ressourcen für die Einbeziehung
des KiJuPa in den kommunalen Politikprozess
bereitgestellt werden.
Andererseits sollten Sie sich auch partizipativ verhalten und real auch umfassende Partizipationsrechte für das KiJuPa in allen Kinder
und Jugendliche betreffenden Angelegenheiten
gewähren. Politik und Verwaltung verzichten
dabei von sich aus – verbunden mit struktureller
Absicherung – auf alleinige Entscheidungsrechte zu einem Spektrum an Themen, die die Kinder
und Jugendlichen direkt betreffen und teilen die
Verantwortung zu diesen Themen mit den Kindern und Jugendlichen. Dabei entwickeln Politik und Verwaltung gemeinsam mit den Kindern
und Jugendlichen ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen der Partizipation des KiJuPa im Sinne
der Konsultation der Kommune, aber auch der
Gewährung von Selbstverwaltungsrechten des
KiJuPa in eigenen Angelegenheiten.
Es ist sehr wichtig, dass Politik und Verwaltung
sich öffentlich für eine so festgelegte Regelung
der gemeinsamen Angelegenheiten engagieren.
Die hauptamtliche Verwaltung und die Mitglieder der Selbstverwaltungsgremien der Kommune
sollten die Erteilung des starken Mandates auch
durch eine öffentlich praktizierte Anerkennungskultur für Beteiligung unterstützen (siehe Pkt. 8).
Die Verwaltungschefs und -chefinnen sowie die
leitenden Mitarbeitenden sollten persönlich
regelmäßig an wichtigen Sitzungen und Treffen
des KiJuPa teilnehmen.
Außerdem muss es selbstverständlich sein, dass
Politik und Verwaltung die gemeinsam gefundenen Lösungen aktiv verteidigen. Dazu gehört
auch, dass sie bereit sind, Fehler und das Risiko
punktueller Fehlschläge in Kauf zu nehmen (siehe Pkt. 9).
Wenn Politik und Verwaltung politischen Willen in dieser Weise ausüben, erleben die Kinder
und Jugendlichen des KiJuPa diese Erwachsenen
nicht nur als Vertrauenspersonen, sondern auch
als Vorbilder für politisches Engagement.
2. S
trukturelle Verankerung: Ratsbeschluss und Fixierung in Satzungen
Starke KiJuPa benötigen institutionelle Garantien. Schon ihre Einsetzung erfordert Beschlüsse und Satzungen, deren Vorlagen mit Kindern
und Jugendlichen partizipativ erarbeitet werden sollten. Unabhängig davon, wie das KiJuPa
verankert wird (kommunales Leitbild, Leitlinie,
Ratsbeschluss, Aufnahme in die Hauptsatzung
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
51
etc.), sind klare Regelungen zu Wahlberechtigten, zu Nominierungs- und Wahlverfahren, zur
Ausstattung und zur Arbeitsweise des Gremiums
und zu seinen Mitspracherechten (z.B. Redeund Antragsrecht in Gremien der Kommunalvertretung) vonnöten. Starke KiJuPa verfügen über
solche institutionellen Gewährleistungen, die
allen Beteiligten Verhaltens- und Erwartungssicherheit vermitteln und gleichzeitig so flexibel
gehandhabt werden, dass sie den sich verändernden Lebensbedingungen junger Menschen
gerecht werden.
Eine verlässliche Institutionalisierung gelingt in
der Regel nur, wenn es ein starkes Mandat durch
Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung
gibt, wobei die Unterstützung durch die (Ober-)
Bürgermeisterinnen und (Ober-)Bürgermeister
bzw. Landrätinnen und Landräte von zentraler
Bedeutung ist (siehe Merkmal 1).
3. B
etreuende, unterstützende, moderierende und ermöglichende Fachkräfte
Starke KiJuPa sind keine Selbstläufer. Es kommt
zwar immer wieder vor, dass eine Initiativgruppe
von Kindern und Jugendlichen wesentliche Aufgaben übernimmt, die im Rahmen eines KiJuPa
anfallen. Aber in der Regel ist für eine wirksame Umsetzung der Arbeit des KiJuPa die Unterstützung erwachsener Personen notwendig,
die hauptamtlich aktiv und professionell versiert sind. Sie unterstützen die Einbindung in
die Arbeit des Gemeinderates bzw. Stadtrates
oder Kreistages34, vermitteln Grundkenntnisse
über die kommunalpolitische Praxis, helfen bei
der Gremienarbeit, moderieren bei Streitfällen,
unterstützen die Öffentlichkeitsarbeit, sorgen
mit dafür, dass die Impulse in den kommunalen
Entscheidungsgremien und der lokalen Öffentlichkeit ankommen und zeitnah wirksam werden
bzw. unterstützen die zügige Umsetzung von
Projekten und Vorhaben.
In starken KiJuPa konzentriert sich die Unterstützung der Betreuerinnen und Betreuer auf die
Ermöglichung. Sie sollen weder die jungen Menschen von eigenen Aktivitäten „entlasten“ und
stellvertretend handeln, noch ist es ihre Aufgabe, engagierte Kinder und Jugendliche im Sinne
kommunalpolitischer Vorgaben zu beeinflussen.
Vielmehr unterstützen sie die Arbeit des KiJuPa,
damit die Interessen von Kindern und Jugendlichen möglichst wirksam werden und das KiJuPa
für die Beteiligten zu einem bedeutsamen Lernort wird. Betreuerinnen und Betreuer halten sich
immer dann konsequent zurück, wenn die Kinder
und Jugendlichen ihre Angelegenheiten selber
regeln können.
Unterstützende Erwachsene können auch hilfreiche Personen aus der Zivilgesellschaft sein, die
technische und personelle Ressourcen zur Verfügung stellen oder sich als besonders kompetente
Themenanwältinnen und - anwälte engagieren.
4. Eigenes Budget – eigene Gestaltungsmöglichkeiten
Ein eigenes Budget trägt erheblich zum Gelingen eines KiJuPa bei, denn es bedeutet einen
Vertrauensvorschuss und ermöglicht eigene Initiativen, die zu kurzfristigen Erfolgserlebnissen
führen.35 Ein selbstverwaltetes Budget zerstreut
zudem den stets vorhandenen Verdacht, es könne sich bei der Einrichtung eines KiJuPa um bloße Symbolpolitik handeln.
Starke KiJuPa müssen also immer über eigene
Ressourcen verfügen, um selbst gewählte und
selbst organisierte Vorhaben umzusetzen. Dies
können Projekte und Kampagnen sein, aber auch
Feste und Events. Mit einem eigenen Jugendfonds,
den die Kinder und Jugendlichen zusätzlich zum
üblichen Budget für die eigenen Angelegenheiten
erhalten, können zudem Initiativen aus der lokalen Jugendszene unterstützt und gefördert werden. Ein derartiger Jugendhaushalt stärkt nicht
nur die Motivation zur Mitarbeit und die öffentli-
34
Die Kommunalverfassungen und Gemeindeordnungen der Länder verwenden unterschiedliche Bezeichnungen für die gewählte Volksvertretung (z.B. Rat, Gemeindevertretung, Stadtvertretung, Stadtverordnetenversammlung).
35
Beteiligungsprozesse über Budgets und Fonds zu fördern, liegt im internationalen Trend – s. Roth, Roland 2020: Bürgerhaushalte,
Bürgerbudgets und Beteiligungsfonds als Formen direkter Demokratie auf kommunaler Ebene. In: Stiftung Mitarbeit (Hg.): Direkte
Demokratie. Bonn: Stiftung Mitarbeit, 121–156. Besonders eindrucksvoll ist die Praxis in der Stadt Boston (Mass.), wo seit 2014 eine
Kinder- und Jugendvertretung jährlich über die Vergabe von einer Million US-Dollar entscheidet.
52
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
che Wertschätzung, sondern ermöglicht auch die
für nachhaltige Beteiligungsprozesse so zentrale
Erfahrung der Selbstwirksamkeit.
Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt, der mit dem
Ernstnehmen des KiJuPa zusammenhängt, ist
die klare Regelung von Kostenerstattungen und
die Gewährung von Sitzungsgeld. Wie auch in
anderen Engagementbereichen hilft dies dabei,
Kindern und Jugendlichen aus finanziell schwächeren Milieus die Mitwirkung an KiJuPa zu
ermöglichen. Zudem wird damit eine symbolische Gleichstellung mit dem Erwachsenenparlament vollzogen.
Je größer das Budget, desto größer ist der Unterstützungsbedarf durch die Kommunalverwaltung, die über das nötige Fachwissen verfügt
und im Umgang mit öffentlichen Mitteln geübt
ist. Dabei ist auch hier eine ermöglichende Haltung unabdingbar für den Erfolg.
Wenn Geld im Spiel ist, steigt auch der Transparenzbedarf und die Entscheidungen müssen
nachvollziehbaren demokratischen Regeln entsprechen, die am besten in einer von Mitgliedern
des KiJuPa erarbeiteten Satzung festgehalten
werden.36
5. Repräsentativität und Diversität
Wie bei allen Parlamenten ist auch die Qualität
der KiJuPa davon abhängig, ob es gelingt, eine
möglichst repräsentative Beteiligung junger
Menschen im Hinblick auf Geschlecht, Herkunft,
Beeinträchtigungen, soziale Lage, Bildungsstand, sexuelle Orientierung etc. zu erzielen.
Starke KiJuPa machen eine möglichst breite und
faire Repräsentation von Kindern und Jugendlichen vor Ort zu ihrer Gestaltungsaufgabe. Sie
entwickeln Nominierungs- und Wahlverfahren,
die ein Höchstmaß an formaler bzw. proportionaler Repräsentativität garantieren.
Aber es geht nicht nur um eine deskriptive Repräsentation von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Milieus etc. Als repräsentativ dürfte
ein KiJuPa nicht zuletzt erst dann wahrgenommen werden, wenn es inhaltlich repräsentativ
ist – wenn also alle wesentlichen Themen, Anlie-
36
gen und artikulierten Interessen aller Kinder und
Jugendlichen in der Kommune und in den Sozialräumen – sei es, dass sie deren gemeinsame
Angelegenheiten widerspiegeln oder die besonderen Bedürfnisse benachteiligter Teilgruppen
– eine Chance erhalten, in der Arbeit des Vertretungsgremiums berücksichtigt zu werden. Je
mehr dies geschieht, desto stärker dürfte ein
KiJuPa als inklusive Vertretung lokaler Kinderund Jugendinteressen angesehen werden.
6. K
ooperative Haltung von Politik und
Verwaltung
Einer kooperierenden Verwaltung mit engagierten Ansprechpersonen kommt eine Schlüsselfunktion zu. Das Verwaltungsrecht ist nicht
besonders bürgerfreundlich und auch Kommunalverwaltungen werden zuweilen als wenig bürgerfreundlich wahrgenommen. Mit der Formalisierung von KiJuPa erhöht sich auch der Bedarf
eines niedrigschwelligen Zugangs zu verschiedenen Bereichen der Kommunalverwaltung. Dies
gilt für alle Abstimmungen zwischen dem Kommunalparlament und dem KiJuPa, die in den
Zuständigkeitsbereich von Fachverwaltungen
fallen (z.B. Verkehr, Klima oder Kommunalentwicklung), und für die Umsetzung des Budgets.
Betreuerinnen und Betreuer des KiJuPa können
dabei unterstützen, aber die Kooperation mit
den Fachverwaltungen nicht ersetzen.
Es kann auch von erheblichem Vorteil sein, wenn
sich in der Verwaltung – wie in der Politik – kompetente Themenanwältinnen und - anwälte herausbilden, die den Kindern und Jugendlichen zur
Seite stehen. Hier liegt auch ein möglicher Aufgabenbereich für die in einigen Kommunen neu
eingerichteten Partizipationsbeauftragten.
Eine ermöglichende Gestaltung auf der politischen Ebene, also bei der Kooperation von Kommunalparlament und KiJuPa stellt eine zweite
Schlüsselaufgabe dar. Notwendig sind frühzeitige
Informationen über die Themen des Stadtrats und
dessen mittelfristige Vorhaben, feste Ansprechpersonen in den Fachausschüssen sowie die
transparente Einbeziehung in Diskussions- und
Ein gutes Beispiel sind die Vergaberichtlinien für den Kinder- und Jugendetat des Jugendparlaments in Weil am Rhein – vgl. Kinderfreundliche Kommunen e.V. (Hg.) 2019: Gute Praxis in Kinderfreundlichen Kommunen. Berlin: Verein Kinderfreundliche Kommune,
66/67.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
53
Entscheidungsprozesse. Eine funktionierende
Einbeziehung des KiJuPa kann im Übrigen nur
gelingen, wenn eine Reihe von Rahmenbedingungen der Kooperation kinder-und jugendfreundlicher gestaltet werden (siehe Pkt. 12).
7. Selbstwirksamkeit/Wirksamkeit –
politischer Einfluss
Starke KiJuPa zeichnen sich durch ihre Wirksamkeit aus. Darin liegt ihre besondere Attraktivität für Kinder und Jugendliche. Die Mitglieder
des KiJuPa erfahren unmittelbar, dass sie etwas
bewirken können. Mittelbar gilt dies auch für die
jungen Menschen, die sie gewählt oder delegiert
haben. KiJuPa tragen dazu bei, die Entwicklungsund Lebensbedingungen junger Menschen vor
Ort zu verbessern. Sie sorgen dafür, dass die
Interessen von Kindern und Jugendlichen in der
Lokalpolitik stärker berücksichtigt werden. Kommunale Vorhaben werden auf ihre Kinderfreundlichkeit und Jugendgerechtigkeit hin überprüft
und entsprechende Veränderungen erreicht.
Starke KiJuPa nehmen beratend und mitwirkend Einfluss auf die lokale Politik (z.B. im Rat
oder im Jugendhilfeausschuss), wenn Kinderund Jugendinteressen berührt werden. Aus Sicht
von Politik und Verwaltung haben KiJuPa eine
beratende Funktion mit einem starken Mandat,
besonders, wenn sie die Breite der örtlichen Kinder- und Jugendszene abbilden.
Es geht dabei in der Regel um ein thematisch
breites Engagement – einerseits um alle kommunalen Handlungsfelder, andererseits werden
aber auch allgemeine politische Themen (z.B.
Klimawandel)37 nicht ausgeschlossen, wenn sie
einen lokalen Bezug haben bzw. dieser hergestellt werden kann. Das gilt aber auch für bildungspolitische Themen, die jenseits der lokalen Schulträgerschaft liegen und auch für die
Flüchtlingspolitik oder die Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus und Antisemitismus.
Es geht also um Entscheidungen in allen Politikfeldern, die junge Menschen betreffen und interessieren. Ihre Interessenvertretung darf sich
daher nicht auf bestimmte, von Erwachsenen
37
54
festgelegte Bereiche beschränken! Dieses allgemeine, thematisch offene Mandat wirkt nicht
zuletzt auf politisch interessierte junge Menschen anziehend.
Gleichzeitig gilt es, bei allen Themen eine Instrumentalisierung durch Parteipolitik zu vermeiden,
was den repräsentativen Charakter des KiJuPa
beschädigen könnte – das ist jedenfalls immer
wieder von den Jugendlichen verlangt worden.
Das heißt aber nicht, dass der Umgang mit parteipolitischen Unterschieden ausgespart werden
sollte. Das bleibt sicher ein realpolitisches Lernfeld für die Kinder und Jugendlichen und spiegelt
sich teilweise auch in der Zusammensetzung der
KiJuPa wieder, in denen die politischen Jugendorganisationen der Parteien ja durchaus eine
Rolle spielen können. Es geht also nicht um eine
restriktive Auslegung des Neutralitätsgebots,
die verhindern würde, dass sich das KiJuPa zu
politisch umstrittenen Themen eindeutig positionieren kann. Auch das gehört zu den wichtigen Wirkungszielen der KiJuPa: Sie ermöglichen
politische Lernprozesse gerade auch bei kontroversen Themen. Dabei wird Kommunalpolitik
gelernt und das relevante politische Handlungsrepertoire eingeübt. Kontroverse Positionen sollten als Ausdruck von Selbstständigkeit gewertet
werden. Inhaltliche Konflikte dürfen nicht dazu
führen, dass Druckmittel eingesetzt werden
oder auf Seiten der Kommune sogar dazu führen,
dass im Zweifel z.B. ein braves KiJuPa gegenüber
„aufmüpfigeren Jugendverbänden“ etc. vorgezogen würde (siehe auch Pkt. 13)! Ein souveräner
Umgang der Kommunalpolitik besteht also im
Zulassen und Ernstnehmen der eigenständigen
Positionen von unterschiedlichen Interessenvertretungen junger Menschen.
Siehe die Themenpalette in Bär, Dominik / Roth, Roland / Csaki, Friderike (Hg.) 2020: Kinderrechte kommunal verwirklichen. Frankfurt
a.M.: Wochenschau Verlag (i.E.).
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
B. Ergänzende Merkmale
8. Kultur der Anerkennung
Starke KiJuPa zeichnen sich dadurch aus, dass
die beteiligten Kinder und Jugendlichen Wertschätzung und Anerkennung für ihr Engagement
erfahren. Dazu gehört die Kommunikation auf
Augenhöhe mit den erwachsenen Akteurinnen
und Akteuren aus Politik und Verwaltung. Zum
respektvollen Umgang gehört nicht zuletzt das
Ernstnehmen der Sichtweisen und Vorschläge
der jungen Menschen im öffentlichen Raum.
Da KiJuPa anspruchsvolle Lernorte darstellen,
liegt es nahe, die öffentliche Sichtbarkeit der
Engagierten zu unterstützen und Formen der
Anerkennung zu nutzen, wie z.B. eine Zertifizierung der Mitarbeit oder die Würdigung auf einer
Ehrenamtsgala.
Aber das reicht natürlich nicht aus. Gefragt ist
zusätzlich der alltäglich respektvolle und wertschätzende Umgang von Vertreterinnen und Vertretern aus Parlament, Politik und Verwaltung
mit den Mitgliedern des KiJuPa. Dies ist zunächst
eine Frage der Haltung der Erwachsenen, die
deutlich signalisieren können, dass ihnen die
Perspektive der jungen Menschen wichtig und
wertvoll ist.
Eine Frage der Anerkennung ist auch der respektvolle Umgang mit politischen Differenzen (siehe
Pkt. 7). Die Anerkennung und Unterstützung des
KiJuPa muss unabhängig von deren (partei)politischen Positionierungen erfolgen.
9. Fehlerfreundlichkeit
KiJuPa sind Lernorte, die auf Suchbewegungen
und selbstbestimmtes Lernen setzen. Daher
sind sie auf Fehlerfreundlichkeit angewiesen und
darauf anzulegen. Es muss möglich sein, Fehler
zu machen und sie zu korrigieren, ohne dass in
der öffentlichen Wahrnehmung das Vertretungsgremium als solches abgewertet wird. Der Rat,
die Ausschüsse, die politische und die Verwaltungsführung sollten Such- und Experimentierphasen der Kinder und Jugendlichen tolerieren
und bereit sein, das Risiko von Fehlern und Fehlschlägen in Kauf zu nehmen und sie konstruktiv
aufzuarbeiten.
10. N
utzung vielfältiger Beteiligungsformate
Starke KiJuPa zeichnen sich in der Praxis durch
die Nutzung vielfältiger Beteiligungsformen aus.
Auch wenn der „parlamentarische“ Ansatz im
Zentrum steht, umfasst ihre Praxis u.a. ebenso Projekte, öffentliche Veranstaltungen, offene Formate und Foren. Damit öffnen sie sich für
Kinder- und Jugendliche jenseits der repräsentativen Praxis und machen die eigene Arbeit für die
Engagierten spannend und abwechslungsreich.
Diese Effekte werden noch verstärkt, wenn dem
KiJuPa neben dem üblichen Budget ein JugendFonds (siehe Pkt. 4) zur Verfügung steht, mit dem
zusätzlich auf möglichst demokratische Weise
Initiativen von anderen Kindern und Jugendlichen gefördert werden können.
11. Kinder- und jugendgemäße Arbeitsformen nach innen – Parlamente mit
Diskussionskultur und Spaßfaktor
Starke KiJuPa geben sich eigene Arbeitsformen
und bestimmen ihre Themen selbst. Sie können
und sollten kein Abbild der Gemeinderatsarbeit
sein. In den Sitzungen des KiJuPa gibt es eine
barrierefreie, ausgewogene, offene und faire
Diskussions-, Abwägungs- und Entscheidungspraxis. Ein gleichberechtigter Umgang miteinander – z.B. zwischen männlichen und weiblichen,
zwischen jüngeren und älteren Kindern und
Jugendlichen – gehört zu den positiven Erfahrungen, die eine Mitarbeit in diesem Gremium
attraktiv macht.
Längerfristige Formen der Zusammenarbeit,
wie sie mit KiJuPa angestrebt werden, benötigen eine besondere Kooperationskultur und ein
gutes Arbeitsklima unter den beteiligten Kindern und Jugendlichen. Ihr Ziel ist die gleichberechtigte Zusammenarbeit in einer notwendig
heterogenen Gruppe, in der es ja um die Repräsentation einer vielfältigen Welt der Kinder und
Jugendlichen vor Ort geht. Gerade junge Menschen haben in der Regel eine hohe Sensibilität,
wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe geht.
Trotzdem gibt es gelegentlich Unterstützungs-
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
55
und Moderationsbedarf bei Konflikten oder der
Festlegung von Kommunikationsregeln.
Die parlamentarische Arbeitsweise stellt
zugleich eine der größten Zumutungen dar, die
Kindern und Jugendlichen angetragen werden
können. Es kommt deshalb darauf an, die Tätigkeiten in KiJuPa so vielfältig, abwechslungsreich
und spannend zu gestalten, dass auf der einen
Seite die repräsentativen Ansprüche eines KiJuPa erfüllt werden können und auf der anderen
Seite lockere Formen gefunden werden, die Spaß
machen und die den Gewohnheiten und Möglichkeiten der jungen Menschen gerecht werden.
Eine solche Balance ist auch deshalb notwendig,
weil der Alltag von Kindern und Jugendlichen
ansonsten bereits genug durch steigende schulische Anforderungen bzw. Ausbildungsansprüche geprägt wird.
Ein gutes Miteinander in den eigenen Gremien
und eine wertschätzende Diskussionskultur im
Rahmen der selbstgewählten Arbeitsweisen und
Themen ist auch deshalb wichtig, weil die Mitarbeit im KiJuPa nicht in erster Linie als zusätzlich
belastende Pflicht erlebt werden sollte, sondern
im Idealfall als selbst gestaltetes Engagement,
das zufriedenstellt, eben auch Spaß macht und
organisatorisch verlässlich unterstützt ist.
12. R
ahmenbedingungen kinder- und
jugendfreundlich gestalten
KiJuPa leiden an vielen Stellen unter einschränkenden Rahmenbedingungen. Vor allem in ländlichen
Räumen zeigen sich zeitraubende Mobilitätsanforderungen. Hier werden in einigen Landkreisen
z.B. erfolgreich Fahrdienste organisiert.
Auch die zeitlichen Belastungen durch den
Schulunterricht und durch Prüfungen werden
notorisch unterschätzt. Außerdem sind engagierte Kinder und Jugendliche häufig auch noch
in anderen Bereichen aktiv, was die zeitlichen
Ressourcen weiter einschränkt.
Wenn dann das Engagement im KiJuPa auch noch
durch das Umfeld und durch die Schule wenig
gewürdigt und geschätzt wird, die Kinder und
Jugendlichen teilweise sogar Probleme mit der
Freistellung vom Schulunterricht für Sitzungen
des KiJuPa haben oder wenn Sitzungszeiten von
kommunalen Gremien teilweise vormittags oder
spät abends liegen, entstehen massive Teilnah-
56
mebarrieren. Die Verknüpfung von Stadtparlament und KiJuPa kann vermutlich nur gelingen,
wenn zumindest einige der Sitzungszeiten der
Erwachsenen mit den Schulzeiten abgestimmt
werden.
Solche und weitere Rahmenbedingungen schränken die Überlebensfähigkeit von KiJuPa auch bei
hoher Bereitschaft zum Engagement ein. Dies ist
bei der Implementierung von KiJuPa dringend zu
beachten.
13. L okale Vernetzung und Kooperation:
Starke KiJuPa als Kern einer kommunalen Beteiligungslandschaft
Starke KiJuPa sind Mittelpunkt einer reichhaltigen kommunalen Beteiligungslandschaft für
Kinder und Jugendliche. Solche nachhaltigen
Beteiligungslandschaften vor Ort zeichnen sich
dadurch aus, dass sich die unterschiedlichen Formen der Interessenvertretung junger Menschen
ergänzen und nicht in Konkurrenz um finanzielle
Förderung und öffentliche Anerkennung stehen.
Sie ergänzen und fördern sich gegenseitig.
Die Wirkungsmöglichkeiten von starken KiJuPa,
ihre Legitimation und Akzeptanz wachsen mit
belastbaren und unterstützenden Verknüpfungen mit anderen Formen der Interessenwahrnehmung und -vertretung. Als isolierte Gremien können KiJuPa in der Regel wenig ausrichten. Mit der
kooperativen Verknüpfung zu anderen Akteurinnen und Akteuren steigt auch die Reichweite und
Handlungsfähigkeit des KiJuPa.
Starke KiJuPa sind deshalb eng in die Zivilgesellschaft, die lokale Kinder- und Jugendszene und
die verbandliche Jugendarbeit eingebunden. Sie
halten gute Kontakte zu Institutionen, Verbänden, Vereinen und Initiativen, die Kinder- und
Jugendinteressen vertreten (z.B. zum Kinderund Jugendring, zu kirchlichen und politischen
Jugendgruppen, zu [Sport-]Vereinen und Kinderund Jugendeinrichtungen, die sich in irgendeiner
Weise als Interessenvertretung von Kindern und
Jugendlichen betätigen). Diese Kooperation geht
an manchen Orten so weit, dass z.B. Jugendringe
die Betreuung und Koordination des KiJuPa übernehmen.
Ein besonderes Gewicht kommt der Kooperation mit Ausbildungsbetrieben und vor allem mit
Schulen und Schülerinnen- und Schülervertre-
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
tungen zu. Schulen erleichtern eine breite Rekrutierung und ermöglichen eine hohe Wahlbeteiligung. Indem Schulen lokale Themen aufgreifen,
können sie Kinder und Jugendliche für das Engagement in KiJuPa qualifizieren und darauf vorbereiten.
14. V
ernetzung mit der staatlichen Ebene
der kommunalen Jugendpolitik
Eine konstruktive Gestaltung des teilweise widersprüchlichen Verhältnisses zwischen Zivilgesellschaft und Staat macht es erforderlich, dass
KiJuPa auch die staatliche Seite der kommunalen
Jugendaktivitäten im Auge behalten: Es ist wichtig, dass sie sich auch mit der öffentlich geförderten Jugendpolitik vernetzen – sei es bezogen auf
die offizielle kommunale Jugendpflege – auch in
Form eines örtlichen Kinder- und Jugendbüros –,
sei es bezogen auf die kommunalen Jugendzentren oder auf den Jugendhilfeausschuss nach SGB
VIII. Diese Ebene der Vernetzung und Kooperation sowie das Andocken an vorhandene öffentliche Infrastrukturen ist nicht zuletzt aus Gründen
intelligenter Ressourcennutzung wichtig.
Auch die Kooperation mit den auf Länderebene
geregelten Schülerinnen/Schülervertretungen
auf Stadt- und Kreisebene ist zu berücksichtigen.
Außerdem ist ggf. die Vernetzung mit einem Kinder- und Jugendparlament des Landkreises relevant. Das ist zumal dann für die gemeindlichen
KiJuPa von Bedeutung, wenn die Kreisjugendparlamente sich nach einem Gemeindeschlüssel
zusammensetzen.
Die Kooperation mit dem Jugendamt und dem
Jugendhilfeausschuss des Landkreises oder der
kreisfreien Stadt liegt ohnehin im Interesse der
örtlichen KiJuPa – nicht nur, weil dort eine Reihe
von Ressourcen (Fortbildung, Beratung, Förderung usw.) mobilisiert werden können, sondern
vor allem auch deshalb, weil sich für das KiJuPa eine interessante Beteiligung an der gesetzlich vorgeschriebenen Jugendhilfeplanung des
Jugendamtes eröffnet. Die Themen der Jugendhilfeplanung können eine große Schnittmenge
mit den Themen der KiJuPa aufweisen.
15. V
ernetzung über die Kommune hinaus
Starke KiJuPa werkeln nicht vor sich hin, sondern
suchen den Austausch mit ähnlichen Gremien in
Nachbar- und Partnergemeinden, in der Region
oder auf Landesebene und Bundesebene (jährliche Landestreffen in einigen Bundesländern,
überregionale Verbandsstrukturen der KiJuPa,
Bundesnetzwerktreffen usw.). Sie nutzen das
Anregungspotenzial solcher Vernetzungen und
schätzen die gemeinschaftliche Dimension, die
sich aus dem Kontakt mit Gleichaltrigen aus
anderen Kommunen ergibt.
16. Unterstützung aus der Zivilgesellschaft
Die verbindliche Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen in Form eines KiJuPa kann nicht
überall mit Verständnis und Unterstützung rechnen. Umso wichtiger sind erwachsene Akteurinnen und Akteure in allen Bereichen der örtlichen Gemeinschaft, die eine unterstützende
Haltung an den Tag legen und öffentlich machen.
Je selbstverständlicher es wird, dass KiJuPa eine
Form der Wahrnehmung eines garantierten Kinderrechts (und Jugendrechts) darstellen, desto
größer dürfte die Akzeptanz und Unterstützung
in der lokalen Öffentlichkeit ausfallen. Initiativen aus der Zivilgesellschaft heraus können zur
breiten Unterstützung und zur Legitimität des
KiJuPa beitragen.
17. Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit
Öffentliche Sitzungen, die Ankündigung der Themen, aber auch die Offenheit für neue Impulse
sind in starken KiJuPa selbstverständlich. Dazu
gehört auch die Sichtbarkeit der Arbeit des KiJuPa in der lokalen Öffentlichkeit. Dabei können
digitale Formate helfen. Die Kinder und Jugendlichen der Kommune kennen ihre Vertretung, wissen, wie sie darauf Einfluss nehmen können und
sehen ihre Interessen dort in guten Händen.
18. Kontinuität
Im Unterschied zu Projekten und offenen Beteiligungsformaten sind starke KiJuPa auf Dauer und
Verlässlichkeit angelegt. Junge Menschen können sich darauf verlassen, dass diese Form der
Meinungsbildung, Interessenvertretung und Einflussnahme keine Eintagsfliege darstellt. Starken KiJuPa gelingt es, über eine Arbeitsperiode
und eine Jugendgeneration hinaus tätig zu sein
und die kommunale Kinder- und Jugendpolitik
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
57
kontinuierlich mitzuprägen. Zur langfristigen
Absicherung trägt auch die strukturelle Verankerung der Starken KiJuPa bei (siehe Pkt. 2).
19. Unterstützende Länderregelungen
nandersetzung mit der Agenda und den Interessen der nachwachsenden Generation die Chance, gemeinsam zu zukunftsfähigen Lösungen zu
kommen, die von fairen Kompromissen zwischen
den Generationen getragen werden.
Zwar lassen sich in Kommunalverfassungen, im
SGB VIII, im Baugesetzbuch oder den Schulgesetzen der Länder Aussagen zur Kinder- und Jugendbeteiligung finden, aber eine gesetzlich verbindliche Kinder- und Jugendbeteiligung in der Form
von Interessenvertretungen durch repräsentative Formate wie die KiJuPa ist bisher einzig in
der Gemeindeordnung Baden-Württembergs (§
41a)38 verankert. Dort wird die Einrichtung von
Jugendgemeinderäten und -vertretungen besonders hervorgehoben und gibt Jugendlichen das
Recht, die Einrichtung einer eigenen Jugendvertretung zu beantragen. Ein Blick auf die räumliche Verteilung von KiJuPa zeigt, dass auch allgemeiner gefasste gesetzliche Vorschriften zur
Kinder- und Jugendpartizipation in den Kommunalverfassungen und Gemeindeordnungen der
Länder deutlich zur Verbreitung und zum Gelingen auch von KiJuPa beitragen. Die Aussagen der
Betreuenden bestätigen diesen positiven Effekt.
20. O
ffenheit für Lernprozesse bei allen
Beteiligten – Chancen sehen und
wahrnehmen
Generell gilt die prägnante Aussage von Oskar
Negt, dass Demokratie die einzige Regierungsform ist, die immer wieder neu erlernt werden muss. Dies trifft besonders für Kinder- und
Jugendparlamente zu. Die Mitarbeit in KiJuPa
eröffnet Kindern und Jugendlichen besondere
Lernchancen (über Kommunalpolitik, repräsentative Demokratie, Formen der Selbstwirksamkeit und vieles andere mehr), die z.B. durch Schulen und andere Bildungsträger verstärkt werden
können. Aber auch den beteiligten Erwachsenen in Kommunalverwaltung und -politik, nicht
zuletzt den Betreuerinnen und Betreuern, werden Lernchancen eröffnet. In einer Gesellschaft,
in der sich auch eine Segmentierung entlang
von Altersgruppen verstärkt, steigert die Ausei-
38
58
Zum aktuellen Stand der Beteiligungsrechte: Deutsches Kinderhilfswerk 2019: Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland. Berlin: DKHW.
Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
6. Literatur
AGJ (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe) 2015: Kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung stärken! Positionspapier der AGJ. Berlin: AGJ
Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: Bildung in Deutschland 2018. Bielefeld: wbv
BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunale Kinderinteressenvertretungen) 2015:
Qualitätsstandards für kommunale Kinderinteressenvertretungen. Leipzig: BAG
Bär, Dominik / Roth, Roland/ Csaki, Friderike (Hg.) 2021: Kinderrechte kommunal verwirklichen. Ein
Handbuch. Frankfurt/M.: Wochenschau Verlag. (i.E.).
Bertelsmann Stiftung 2008a: mitWirkung! Berichtsband (Kurzfassung). Gütersloh: Unveröffentlichtes
Manuskript
Bertelsmann Stiftung (Hg.) 2008b: Handbuch zur Entwicklung kommunaler Strukturen für die Jugendbeteiligung. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung
Bertelsmann Stiftung / Staatsministerium Baden-Württemberg (Hg.) 2014: Partizipation im Wandel.
Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden. Gütersloh: Verlag Bertelsmann
Stiftung
BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (Hg.) 2015: Qualitätsstandards
für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. 3. Auflage. Berlin: BMFSFJ
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Qualitätsmerkmale für Starke Kinder- und Jugendparlamente • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
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