718 Steuer- und Zollblatt für Berlin 14. Jahrgang XNr.35 5. Juni 1964
‚des Vertrauens redlicher Steuerpflichtiger an seine äußere Form; hier sei einwandfrei ein als „Freistellungs-
fehlerhafte Erklärung gebunden sein. bescheid“ bezeichneter Verwaltungsakt ergangen. Dieser
EStG 1960 88 25, 46, 47 Abs. 1 und 3; AO 88 210 ‘Abs. 1, Auffassung tritt der Senat in Übereinstimmung mit dem
211 Abs. 1, 92 Abs. 3. 93, 94: BGB 8 138. Finanzgericht nicht bei. $ 47 Abs. 3 EStG kann nur an-
gewandt werden, wenn ein Steuerpflichtiger gemäß 88 25
Die beschwerdeführenden Eheleute (Bf.) hatten im Und 46 EStG zur Einkommensteuer veranlagt ist. Das ist,
Streitjahr 1960 beide Einkünfte aus nichtselbständiger Wie das Finanzgericht zutreffend darlegt, hier nicht ge-
Arbeit, auf die Lohnsteuer einbehalten wurde. Die Ehe- Schehen. In dem „Freistellungsbescheid“ ist weder die sach-
frau eröffnete im Dezember 1960 einen Gewerbebetrieb und liche Steuerpflicht für das Streitjahr bejaht, noch ein be-
erklärte für 1960 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb einen Stimmter Steuerbetrag festgesetzt worden. Das Finanz-
Gewinn von 250 DM. Das Finanzamt sah von einer Ver- amt hat vielmehr nur festgestellt, daß nach $ 46 EStG die
anlagung zur Einkommensteuer nach $ 46 EStG ab und Voraussetzungen für die Veranlagung der Bf. nicht vor-
verfügte in den Akten durch den Vermerk „nv“, daß die lägen. Bei der Auslegung von Verwaltungsakten ist nicht
Bf. nicht zu veranlagen seien. Es erteilte anschließend den in erster Linie die äußere Form maßgebend, sondern das,
folgenden „Freistellungsbescheid“: „Sie sind von der Ein- Was die Behörde erkennbar wollte (Entscheidung des Bun-
kommensteuer 1960 freigestellt worden.“ Gleichzeitig setzte desfinanzhofs I 131/58 U vom 27. Oktober 1959, BStBl. 1961
es in diesem Bescheid die Einkommensteuer-Vorauszahlun- III S. 286, Sig. Bd. 73 S. 49%). Bei der Feststellung, was
gen für 1961 fest. die Behörde erkennbar erklären wollte, sind alle Umstände
n 7 n zu würdigen. Die Vorschrift des 8 133 BGB, daß bei der
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ß E 1 , erforschen und nicht am Buchstaben zu kleben sei, ist ein
ihnen nicht bereits durch den vorangegangenen Lohnsteuer- allgemeiner Rechtsgrundsatz, der über das bürgerliche
Jahresausgleich für 1960 erstattet worden war. Das Recht hinaus auch für das öffentliche Recht gilt (Forst-
EEE DNS D en NE mit der ie hoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Auflage, S. 149
er Sata Ste N ankommensteusr besichet die: uberzahlte un Ne nn le a ee en va
C 8 ; von Verwaltungsakten un: er Beurteilung dessen, was
Lohnsteuer sei bereits durch den vorangegangenen Lohn- erkennbar gewollt ist, redlich verhalten. Wer weiß oder
steuer-Jahresausgleich erstattet worden. leicht erkennen kann, wie der andere Teil eine äußerlich
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanz- vieleicht mehrdeutige Erklärung gemeint und Was er wirk-
a A 2 . lich gewollt hat, kann sich nicht auf die äußere Form
gericht führte aus, der Erstattungsantrag könne nicht ; : z x a
. ] . berufen (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
auf 8 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO gestützt werden; denn die Bf. * RGZ — Bd. 93 S. 297 [299]; Enneccerus-Nipperdey, All-
hätten keine Lohnsteuer zu Unrecht entrichtet. Die Er- emeiner Teil des bür erlichen Rechts, 15 Atlas e Zweiter
stattung‘ sei auch nicht nach 8 47 Abs.3 EStG gerecht- N Yelhban UN 3261) 5 MS BE,
fertigt, weil das Finanzamt den Bf. einen „Freistellungs- ) .
bescheid“ erteilt habe. Die in $ 47 Abs, 3 EStG vorgesehene Das Finanzgericht konnte ohne Rechtsverstoß annehmen,
ES überzahlter Steuerabzugsbeträge setze einen gaß die streitige Verfügung des Finanzamts kein echter
örmlichen Steuerbescheid im Sinne von $ 210 Abs. 1 AO ‚Freistellungsbescheid‘“ im üblichen Sinne war, sondern
voraus, in dem auf die Einkommensteuerschuld nach $ 47 nur die Mitteilung an die Bf., daß sie zur Einkommensteuer
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ZZ ah C 3 ein- steuerabzug die Einkommensteuer abgegolten sei. Da
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} CUCr- einer Einkommensteuer-Veranlagung bezog, war den .
Überzahlung sei nach $ 47 Abs. 3 EStG erstattungsfähig. um so klarer erkennbar, als sie vorher schon durch den
don N DET AD TR OO Zn N CHEN beantragten und durchgeführten Lohnsteuer-Jahresaus-
nac e S. ie Höhe der Steuer festsetzten, gleich über die einbehaltene Lohnsteuer endgültig mit dem
seien die Freistellungsbescheide zu unterscheiden, in denen N FrnSnramt abgerechnet hatten. SA
die Steuer auf 0 DM festgesetzt und vom Finanzamt erklärt
werde, daß eine Einkommensteuerschuld nicht bestehe. Die Selbst wenn man aber den Bf. darin folgen könnte, daß
Rechtsprechung habe allerdings Freistellungsbescheide hin- der Wortlaut des Bescheids maßgebend sein müßte, ist ihre
sichtlich der Rechtsfolgen weitgehend den Steuerbescheiden Rb. nicht begründet. In diesem Fall stünden nämlich der
gleichgestellt (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 173/52 U Akteninhalt, d.h. die in den Steuerakten getroffene Ent-
vom 30. Oktober 1952, BStBl. 1953 III S. 30, Slg. Bd. 57 scheidung der zuständigen Beamten des Finanzamts, und
S. 75; II 113/53 U vom 10. Juni 1953, BStBl. 1953 ul S. 214, die den Bf. erteilte Ausfertigung, d.h. der streitige „Frei-
Slg. Bd. 57 S. 558). Echte Freistellungsbescheide seien je- stellungsbescheid „in Widerspruch zueinander. In solchen
doch nur solche Verwaltungsakte, die das Ergebnis einer Fällen muß aber grundsätzlich der Akteninhalt maßgebend
Veranlagung im Sinne des 8 25 EStG wiedergäben. In der sein, in dem das, was die Behörde gewollt und entschieden
hier streitigen „nv“-Verfügung sei aber nicht die Freistel- hat, niedergelegt ist. Die unrichtige Mitteilung der Ent-
lung von der Einkommensteuer auf Grund sachlich-recht- scheidung an den Betroffenen durch eine fehlerhafte Aus-
licher Vorschriften ausgesprochen, sondern nur festgestellt fertigung kann nicht etwa allgemein zur Folge haben, daß
rn en In Sen A Un 06 DEE Mair 3 Behörde N die ln N ODE en wäre.
ie gesetztlichen Voraussetzungen des $ afür Zwar mag in Ausnahmefällen nach Treu un auben eine
nicht vorlägen. Dieser „nv“-Bescheid habe die Bf. nicht von andere Beurteilung gerechtfertigt sein oder die Behörde
der Einkommensteuer (Lohnsteuer) freigestellt, sondern dem Betroffenen gemäß $ 839 BGB in Verbindung mit
nur. klargestellt, daß' nach den gesetzlichen Vorschriften Art. 34 des Grundgesetzes (GG) den ihm nachweislich ent-
technisch eine Veranlagung nicht: vorzunehmen sei, ohne standenen Vermögensschaden ersetzen müssen. Grundsätz-
daß dabei eine Entscheidung über den Grund und die lich muß aber bei Verwaltungsmaßnahmen der innere Wille
Höhe der Einkommensteuerschuld getroffen worden sei. der Behörde maßgebend sein, wie er im Akteninhalt zum
Ein solcher Bescheid könne nicht die Erstattung der ein- Ausdruck gekommen ist. In diesem Sinne hat der Reichs-
behaltenen Lohnsteuer nach 8 47 Abs. 3 EStG auslösen. finanzhof in den Urteilen VI A 690/29 vom 25. September
. . N 1929 (Steuer und Wirtschaft — StuW — 1929 Nr. 966 unter 1)
Die Rb. ist unbegründet. und VI A 1970/29 vom 4. Dezember 1929 (StuW 1930
£ Nr. 227) mit Recht angenommen, daß Verfügungen der
L u a ee Dh en Finanzverwaltung, die nicht mit dem Akteninhalt in Ein-
der Kr T T. de nn En Ihren ei Sta Re in en e ickelt klang stehen, rechtsunwirksam sind. Auch Fehler in der
{E t NOV er Yohn euer. Stich 18 rt IV ee nlaeu IE NO unter Ausfertigung können die Behörden nach $$ 92 Abs. 3 und
Hartz Over, DO77S A CAWOTn es SE * 93 AO jederzeit berichtigen (Becker, Die Reichsabgaben-
Ziff. 4). Die überzahlte Lohnsteuer ist den Bf. im Ver- ordnung, 7. Auflage, 8 75 Anm. 1a und 8 74 Bem. 5)
fahren des Lohnsteuer-Jahresausgleichs zurückerstattet En ? . MA
worden. Zu der Frage, ob es unter dem Gesichtspunkt von Treu
Die Bf. stützen ihren weiteren Erstattungsanspruch auf und Glauben und des Schutzes des; Vertrauens redlicher
8 47 Abs. 3 EStG und meinen, es komme weniger auf den __
materiellen Gehalt eines Verwaltungsaktes an, als auf seine 2) StZzBl. Bln. 1961 S. 956.