Path:
Volume Nummer 45, 21. Juni 1958

Full text: Steuer- und Zollblatt für Berlin (Public Domain) Ausgabe 8.1958,1 (Public Domain)

6714 Steuer- und Zollblatt für Berlin 8. Jahrgang. Nr.45 21. Juni 1958 
Eine bei dem Bf. anberaumte Betriebsprüfung wurde von D 2/38 vom 28. Mai 1938 (Slg. Bd. 44 S. 72 ff., RStBI. 1938 
dem ‚Betriebsprüfer unterbrochen, weil ‚sich der Bf. wei- S. 569) die Auffassung vertreten, daß Rechtanwälte — un- 
gerte, die Patientenkartei zur Einsichtnahme vorzulegen. beschadet der grundsätzlichen Vorlegungspflicht (Leit- 
2 ; : satz 1, 1. Satz des Gutachtens) — auch in. einem gegen sie 
X Das Finanzamt hat den Bf. nach seiner Weigerung unter selbst: gerichteten Steueraufsichtsverfahren 
ndrohung einer Erzwingungsgeldstrafe ($ 202 Abs.1 der die Vorl Schriftstück (Handakt : it ab 
Reichsabgabenordnung — AO — früherer Fassung) von en orlage von Schriftstücken (Handakten) insoweit ab- 
100 DM durch die den Gegenstand des Rechtsmittelver- C4NCN dürfen, als sie nach $ 177 AO zur Auskunftsver- 
: 7 in befugt sind (Leitsatz 1, 2. Satz, Leitsatz. 2 
fahrens bildende Verfügung vom 11. März 1952 aufge- NEST . dr 2 ; 
fordert, die Patientenkartei zur Einsichtnahme vorzulegen Buchst. a des Gutachtens). Die teilweise vertretene Ansicht, 
7 ” der Reichsfinanzhof habe dabei nur ein Steueraufsichtsver- 
Das Finanzgericht hat die gegen diese Verfügung ein- fahren im Auge gehabt, das der Nachprüfung dritter 
gelegte Beschwerde durch den mit der Rechtsbeschwerde Personen, nicht des Rechtsanwalts selbst, diene, findet in 
(Rb.) angefochtenen Beschluß als unbegründet zurückge- dem Gutachten keine Stütze. Der Reichsfinanzhof geht 
wiesen. Es vertritt die Auffassung, daß der Bf. verpflichtet u. a. davon aus, daß $ 177 AO nicht zu den Bestimmungen 
sei, dem ‘Betriebsprüfer die Patientenkartei zur Einsicht- über die Steueraufsicht ($$ 190 ff.) gehöre, sondern in dem 
nahme vorzulegen. Das Finanzgericht hat dem Bf. dabei Unterabschnitt mit der Überschrift „Pflichten an- 
allerdings die Befugnis eingeräumt, im Rahmen der Be- derer Personen zu Auskunft, Einsichtgewährung und Gut- 
triebsprüfung dem Betriebsprüfer durch „Verdecken“ ein- achten“ Aufnahme gefunden habe. Daran anschließend 
zelner Teile der Kartei die Kenntnis gewisser geheim- führt der Reichsfinanzhof wörtlich aus: „Daraus darf aber 
haltungsbedürftiger Dinge vorzuenthalten. nach der Auffassung des Großen Senats nicht der Schluß 
; _ gezogen werden, daß das Recht zur Auskunftsverwei- 
Der Bf. beantragt mit der Rb. die Aufhebung des Be gerung in den Grenzen des 8 177 AO auf das gegen 
schlusses des Finanzgerichts. Der Vorsteher des Finanz- ©; Dritten . Jeitete Steueraufsicht oder 
amts wendet sich gegen die erwähnte Einschränkung des N Gteuere tel S $ N ren De ch © it ee ni dar eo 
Einsichtnahmerechts des Betriebsprüfers durch die dem Bf. N uch den — De eweit lb der Schr ittlichen ! Stat nenalhıme 
U sent ent eingeränmie Bernenis Zum, Verdecken des Bundesministers der Finanzen vom 12. Juni 1957 über- 
) einstimmenden — Auffassung des erkennenden Senats des 
Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren ge- Bundesfinanzhofs unmißverständlich zum Ausdruck ge- 
mäß 8 287 Ziff,2 erster Halbsatz AO beigetreten; er setzt bracht worden, daß der Reichsfinanzhof das Auskunftsver- 
sich im Sinne des Finanzamts für eine grundsätzlich un- weigerungsrecht auch für den Fall als gegeben erachtet 
beschränkte Pflicht der Ärzte zur Vorlage der Patienten- hat, daß eine Maßnahme der Steueraufsicht (z. B. eine 
karteien ein mit der Maßgabe, daß das Verlangen nach der Betriebsprüfung) die Ermittlung eigener _Steuer- 
Vorlage nur durch die Grundsätze von Recht und Billigkeit pflichten der Auskunftspersonen, nicht nur der Steuer- 
begrenzt sein soll. pflichten Dritter, zum Gegenstand und. Ziel hat. 
5 6 . Übrigens ergeben die dem erkennenden Senat des Bundes- 
Die Rh. Führtizur Aufhebung der Vorentecheidungen. finanzhofs vorliegenden Akten des Großen Senats des 
1. Der erkennende Senat ist in Abweichung von dem Reichsfinanzhofs Gr.S. D 2/38, daß das Ersuchen des 
Beschluß des Finanzgerichts der Auffassung, daß der Bf. Reichsministers der Finanzen um HErstattung des Gut- 
auf Grund der Vorschriften des 8 177 Abs.1 Ziff. 2 und des achtens, als Steueraufsichtsmaßnahme u. a. gerade den be- 
$ 183 Satz 3 AO berechtigt war, die Vorlage der Patienten- sonderen Fall einer Betriebsprüfung bei einem 
kartei und die Gewährung der Einsicht in die Kartei zu Rechtsanwalt betraf. Danach kann es — unbe- 
verweigern. Nach 8 177 Abs. 1 Ziff. 2 AO können Ärzte schadet der Formulierungen des Leitsatzes 2, Buchst. a bis 
die Auskunft über das verweigern, was ihnen bei Aus- c — keinem Zweifel unterliegen, daß der Reichsfinanzhof 
übung ihres Berufs anvertraut ist. 8 177 Abs.1 Ziff.3 AO in seinem Gutachten unter „Steueraufsichtsverfahren“ auch 
enthält ein — allerdings durch den Abs. 2 eingeschränktes eine Betriebsprüfung verstehen wollte,“ die sich in erster 
— ähnliches Recht zur Auskunftsverweigerung für Rechts- Linie „gegen“ den Rechtsanwalt selbst richtet. 
anwälte. Nach 8 183 Satz 3 AO dürfen andererseits Ärzte 
und Rechtsanwälte die Vorlegung von Urkunden und Schrift- 2. Der erkennende Senat des Bundesfinanzhofs ist zu der 
stücken oder die Gewährung der Einsicht in Urkunden und Auffassung gelangt, dem Gutachten des Großen Senats des 
Schriftstücke insoweit verweigern, als sie die Auskunft Reichsfinanzhofs sowohl im Ergebnis wie auch im wesent- 
über die darin niedergelegten Vorgänge nach 8 177 AO ver- lichen in der Begründung zu folgen und die darin aufge- 
weigern können. stellten Rechtsgrundsätze sinngemäß auf das Recht des 
Nach der älteren Rechtsprechung des Reichs- Arztes ‚anzuwenden, auch bei einer zur Ermittlung: und 
finanzhofs wurde Rechtsanwälten in einem gegen sie selbst N achprüfung Sen er IDEEN Steuerpflichten eINDe 
gerichteten Steueraufsichtsverfahren das Recht zur Ver- Jeiteten Betriebsprüfung die Vorlage der Patientenkartei 
weigerung der Auskunft und damit der Vorlage der Hand- BU VErWEISSTN ‚SOweit sie irgendwelche Angaben enthält, 
akten auf Grund des dem heutigen 8177 Abs.1 Zife.3 2Uf die sich sein Recht zur Auskunftsverweigerung nach 
AO entsprechenden 8 179 Abs.1 Ziff. 3 AO 1919 nicht 8 177 AO erstreckt. Der Reichsfinanzhof hat in seinem Gut- 
zugebilligt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 272/25 &chten zutreffend darauf hingewiesen, daß die den 
vom 13. November 1925, Slg. Bd. 17 S. 313). Im Urteil Rechtsanwälten durch $ 177 AO eingeräumte Be- 
V A 604/27 vom 20. Januar 1928 (Mrozek-Kartei $ 179 fugnis zur Auskunftsverweigerung praktisch bedeutungslos 
AO — "alt — Rechtsspruch 3) entschied der Reichs- Würde, wenn man sie auf die Fälle des $ 175 AO — d.h, 
finanzhof, daß die Grundsätze für das Auskunftsver- auf die Fälle der Auskunftserteilung in einem Verfahren 
weigerungsrecht des Rechtsanwalts sinngemäß für das Aus- 3°&°ch Dritte (z. B. die Mandanten des Rechtsanwalts) 
kunftsverweigerungsrecht des Arztes gelten müßten und ;— beschränken wollte. Das würde nach Auffassung des er- 
daß der Arzt bei einer Betriebsprüfung verpflichtet sei, Kennenden Senats des Bundesfinanzhofs mindestens in 
dem Betriebsprüfer die Patientenkartei vorzulegen. Diesen gleichem, wenn nicht in noch größerem Umfang der Fall 
Standpunkt hat der Reichsfinanzhof im Grundsatz noch in BC würde man dem Arzt das Recht, die Auskunft ber 
zwei weiteren Entscheidungen aufrechterhalten, dabei aber ihm von P atienten anvertraute Dinge zu MELWEISCT U 
zum Ausdruck gebracht, daß die Einsichtnahme in die dann zubilligen, wenn es. sich um Steuerermittlungs- oder 
Patientenkartei bei Nachschau und Betriebsprüfung im BAUT ETLD TS An St dritte (bzw. unbe, 
Rahmen der Steueraufsicht nur in den Grenzen von Recht “41 e) Steuerpflichtige handelt. 
und Billigkeit (8 6 AO alter Fassung) zulässig sei (vgl. ; 
Urteile des Reichsfinanzhofs V A 584/28 vom 23 Ma4 1098 BUT AEG Ger zen TS AUEIORUNE TE ERICH 
Reichssteuerblatt — RStBl. — 1928 S.191, und VA 509/29 finanzhofs stehe der Wortlaut des 8 177 Abs.1 Ziff.2 (in 
vom 14. Januar 1930, Mrozek-Kartei $ 179 AO — alt — verbindung mit 8 183 letzter Satz AO) entgegen, nicht zu 
Rechtsspruch 4). teilen. Vielmehr spricht die vom Reichsfinanzhof vorge- 
In Abweichung von dieser älteren Rechtsprechung hat nommene Gegenüberstellung der 88 177—180 AO mit den 
der Große Senat des Reichsfinanzhofs — _einleitenden Worten des 8 176 AO dafür, daß in den 
unter ausdrücklicher Aufgabe des in dem 88 177—180 AO keine Beschränkung auf die Fälle des 
erstgenannten Urteil V A 272/25 einge- 8175 AO (Auskunft durch Dritte, die nicht Steuerpflichtige 
nommenenStandpunktes — im Gutachten Gr.S. sind) festgelegt werden sollte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.