Steuer- und Zollblatt für Berlin 8. Jahrgang Nr. 68 4. Oktober 1958 947
sei indessen nicht der Fall; denn Einkommensbezieher im Steuerschuldnerin in gleichem Umfange und auf Grund
Sinne der 88 1 und 2 EStG sei sowohl nach dem 8 26 EStG des gleichen Einkommens wie ihr Ehemann war (vgl.
a. F. als auch nach dem neugefaßten 8 26 EStG jeder Ehe- Kommentar zur Reichsabgabenordnung von Hübschmann-
gatte für sich, d.h. also der Ehemann und die Ehefrau. In Hepp-Spitaler, zu $ 326 auf S.18 und 19 Anm. 20, sowie
dem nach 8 26 EStG a. F. gegen die Eheleute ergangenen Kommentar zur Reichsabgabenordnung von Rolf Kühn,
gemeinsamen Steuerbescheid seien lediglich zwei an sich Aufl. 1956 S.77). Das Gesetz ging hierbei davon aus, daß
„getrennt zu erlassende Bescheide“ gemäß 8 210 Abs.2 AO bei bestehender Ehe und unter den Voraussetzungen des
äußerlich zu einem Bescheid verbunden worden. Der so 8 26 Abs.1 Satz 1 EStG a. F. das erzielte Einkommen von
ergangene einheitliche Bescheid sei auf Grund des nunmehr jedem der Ehegatten — also auch von der Ehefrau —
geltenden 8 26a EStG im Wege getrennter Veranlagung im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft erwirtschaf-
dahin zu berichtigen, daß jeder Ehegatte nur mit dem Ein- tet werde und daß es deshalb gerechtfertigt sei, beide Ehe-
kommen heranzuziehen sei, das auf den von ihm bezogenen gatten als Gesamtschuldner wegen des von ihnen — wenn
Einkünften beruhe. Diese Berichtigung sei gemäß den auch auf verschiedenartige Weise, so doch in gleichem
88 243, 244 AO Sache des Verwaltungsgerichts und nicht Umfange — verwirklichten steuerlichen Tatbestands bzw.
des Finanzamts. Das Gericht habe danach die sachliche erzielten Einkommens in Anspruch zu nehmen. Wenn
Streitfrage zur Höhe des gewerblichen Gewinns zu ent- das Gesetz es im $ 210 Abs.2 AO für zulässig erklärt, an
scheiden und im Zuge dieser Entscheidung auch von Amts beide Ehegatten einen einheitlichen. Bescheid zu erlassen,
wegen die sich aus $ 26a EStG ergebenden rechtlichen so trägt es damit aus Gründen der Zweckmäßigkeit und
Folgerungen zu berücksichtigen. Allenfalls könne es ge- der Vereinfachung nur dem Umstand Rechnung, daß der
mäß 8 284 AO ‚als zulässig angesehen werden, wenn sich sich an jeden der nach $ 26 EStG a. F. „zusammen zu ver-
das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung der eigent- anlagenden‘“ Ehegatten richtende Bescheid notwendiger-
lichen Streitfrage über die Höhe des gewerblichen Gewinns weise inhaltsgleich ist. Dieser Bescheid richtet sich mithin
beschränke und die Sache zur weiteren Veranlassung nach sowohl an den Ehemann als Steuerpflichtigen, als auch an
8 26a EStG an das Finanzamt zurückverweise. die Ehefrau als Steuerpflichtige. Die Sachlage ist nicht
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Auf- aNders, als wenn — wie ebenfalls dürchaus zulässig —— an
hebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung beide Ehegatten zwei getrennte (inhaltsgleiche) Bescheide
der Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Ent- ergangen wären, Sie ist vielmehr verfahrensrechtlich da-
scheidung. hin zu beurteilen, daß an jeden der beiden Ehegatten ein
AO % = Kae „ Einkommensteuerbescheid gerichtet und ergangen ist (Ur-
Zur Zulässigkeit der Rb. sei im Hinblick auf die Streit- +£ejl des Bundesfinanzhofs IV 303/51 U vom 6. März 1952,
wertgrenze des $ 286 AO bemerkt: Die angefochtene Vor- Sig. Bd.56 S.273, BStBl. 1952 III S.107, 108%; Strutz,
entscheidung bezeichnet sich als Entscheidung in der Um- Kommentar zum Einkommensteuergesetz, vom 10. August
satzsteuer-, Gewerbesteuer- und Einkommensteuersache 19925 2, Band S.139). Es bedeutet deshalb insoweit keine
1949 bis 1953. Das ist unrichtig. Tatsächlich bezieht sie >ryndAsätzliche Änderung der Sachlage in verfahrensrecht-
sich nach ihrem Inhalt, wie auch durch den Abtrennungs- IJicher Hinsicht, wenn nunmehr im Zuge der „getrennten“
beschluß vom 25. November 1957 klargestellt ist, nur auf Veranlagung nach 8 26a EStG wegen des Fortfalls der
die Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1949 bis 7nnaltsgleichheit an die Stelle. des einheitlichen Bescheids
1952. Es betragen für diese Zeiträume: notwendigerweise zwei äußerlich getrennte Bescheide bzw.
a) die festgesetzten Steuern 7075 DM Steuerfestsetzungen treten. Die Bedeutung des 8 26 a EStG
b) die Steuern nach 8 26a EStG (für besteht in ihrer praktischen Auswirkung darin, daß der
beide Eheleute) 6057 DM. gegen den Ehemann und gegen die Ehefrau ergangene Ein-
- 7 nn kömmensteuerbescheid inhaltlich in verschiedenartiger
Das Interesse der Behörde geht dahin, daß die sich nach weise eine Änderung insofern erfährt, als an die Stelle
dem Verfahren der Vorinstanz ergebende Verzögerung ver- gleich hohen Einkommens ein für jeden der Ehegatten ver-
mieden wird und die zu b) genannten Steuern alsbald durch Sehieden hohes Einkommen tritt. Dazu bedarf es — wovon
das Verwaltungsgericht und nicht durch das Finanzamt offenbar die Vorinstanz ausgeht — nicht eines neuen Ver-
festgesetzt werden. In entsprechender Anwendung der „n]agungsverfahrens, sondern nur einer inhaltlichen Ände-
Grundsätze des Urteils des erkennenden Senats IV 437/53 U rung der bereits erfolgten Steuerfestsetzungen, die aller-
vom 9. Dezember 1954 (Slg. Bd. 60 S.145, BStBl. 1955 III gings nunmehr wegen Fortfalls der Inhaltsgleichheit er-
S. 56%) berechnet der Senat den Streitwert unter Berück- £fopgerlich macht, daß an die Stelle des bisher einheitlichen
sichtigung des genannten Interesses der Verwaltung auf Boscheids zwei getrennte Bescheide bzw. Steuerfestsetzun-
10 v.H. von rund 6000 DM, also auf 600 DM, so daß gegen gen treten.
die Zulässigkeit der Rb. auch im Hinblick auf $ 286 AO . | |
keine Bedenken bestehen. Dem Verwaltungsgericht unterliegt zur Beurteilung So-
A n n wohl der Steuerfall des Ehemanns als auch der Steuerfall
In der Sache selbst ist auf folgendes hinzuweisen: der Ehefrau. Beide Fälle sind mit der Rechtsmitteleinlegung
1. Die Vorentscheidung läßt nicht erkennen, welche durch den Ehemann in der Einspruchsinstanz bzw. bei dem
Gründe im einzelnen für das von ihr eingeschlagene Ver- Gericht „anhängig‘“ geworden. Das Rechtsmittel des Ehe-
fahren maßgebend waren. Möglicherweise war für die manns gegen die auf der Grundlage des 8 26 EStG a. F.
ersatzlose Aufhebung des Zusammenveranlagungsbeschei- ergangenen Bescheide wirkt prozessual auch für und gegen
des die Überlegung bestimmend, daß dieser Bescheid in- die Ehefrau (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 135/51 U
folge der Nichtigkeit des $ 26 EStG a. F. ebenfalls nichtig vom 12. September 1951, Slg. Bd. 55 S. 477, BStBl. 1951 IT
geworden sei und daher der Aufhebung unterliege. Eine S.192, 1939). Das gilt hier um so mehr, als der Ehemann
derartige Erwägung wäre rechtlich unzutreffend. Der Be- nach seiner Erklärung zugleich der alleinige Rechtsnach-
scheid ist auf Grund der veränderten Rechtslage, d.h. auf folger seiner im Juni 1952 verstorbenen Ehefrau ist und
Grund der Nichtigkeit des $ 26 EStG a. F., nicht nichtig daher seine prozessualen Handlungen auch unter diesem
geworden. Er unterliegt vielmehr der Abänderung nach Gesichtspunkt zu sehen und zu beurteilen sind. Nach den
Maßgabe des Gesetzes vom 26. Juli 1957 (vgl. Geiger, 88 243, 244 AO haben die Finanzgerichte bzw. das Ver-
Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungs- waltungsgericht nicht nur die zur, Erörterung gestellte
gericht, S. 252). Streitfrage zu entscheiden, sondern den Steuerfall als sol-
2. Dem Finanzamt ist darin beizupflichten, daß sowohl chen auf Grund der für das erkennende Gericht in dem
nach der bisherigen wie nach der neuen Rechtslage als Zu entscheidenden Einzelfall gegebenen Sach- und Rechts-
Steuerpflichtige ausschließlich die beiden Ehegatten in Be- lage zu beurteilen. Das bedeutet, daß das Verwaltungs-
tracht kommen und daß sich — als Folge der veränderten gericht nicht nur entsprechend dem Rechtsmittelantrag des
Rechtslage — lediglich Inhalt und Umfang ihrer steuer- Stpfl. über die streitige Höhe des gewerblichen Gewinns,
lichen Leistungspflicht geändert haben. In dieser Hinsicht Sondern auch — von Amts wegen — über die Auswirkun-
ist auf folgendes hinzuweisen: Nach $ 26 EStG a.F. in gen des $ 26 a EStG zu befinden hat. Mit anderen Worten:
Verbindung mit $ 7 Abs.2 des Steueranpassungsgesetzes Das Gericht hat das zu versteuernde Einkommen des Ehe-
(StAnpG) bezogen beide Ehegatten das gleiche Ein- Manns auf der Grundlage des. sich nach seiner Prüfung
kommen. Das bedeutete, daß die Ehefrau nicht lediglich ergebenden gewerblichen Gewinns und das zu versteuernde
Steuerhaftende war, daß sie vielmehr Steuerpflichtige und _ _
a 3) Hinweis StZBIl. Bln. 1952 S. 564,
2) StZBIl. Bln. 1956 S. 848. 4) Hinweis StZBl. Bln. 1951 S. 361,