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Full text: Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV (Rights reserved)

Berlin: mobiler Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Machbarkeitsstudie ERGÄNZENDE INSTRUMENTE ZUR FINANZIERUNG DES BERLINER ÖPNV MACHBARKEITSSTUDIE ERGÄNZENDE INSTRUMENTE ZUR FINANZIERUNG DES BERLINER ÖPNV MACHBARKEITSSTUDIE Ramboll Neue Grünstraße 17-18 10179 Berlin T +49 30 302020-0 F +49 30 302020-299 de.ramboll.com Becker Büttner Held · Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater · PartGmbB Magazinstraße 15 – 16 10179 Berlin T +49 30 611 28 40-0 F +49 30 611 28 40-99 bbh-online.de Ramboll Deutschland GmbH Werinherstraße 79 81541 München Amtsgericht München, HRB 126430 Geschäftsführer: Jens-Peter Saul, Stefan Wallmann Nordea Bank Abp Frankfurt Branch IBAN: DE89514303006720970001 BIC: NDEADEFF Projektname Machbarkeitsstudie – Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Projekt Nr. 301000943 Empfänger Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Am Köllnischen Park 3 10179 Berlin Datum 20. November 2020 Autoren Michael Holzhey, Thomas Petersen, Carolin Thalhofer (Ramboll) Dr. Roman Ringwald, Dr. Christian Jung, Dr. Sascha Michaelis, Tim Schwandt, Tobias Wernicke (BBH) Ramboll Neue Grünstraße 17-18 10179 Berlin T +49 30 302020-0 F +49 30 302020-299 de.ramboll.com Becker Büttner Held · Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater · PartGmbB Magazinstraße 15 – 16 10179 Berlin T +49 30 611 28 40-0 F +49 30 611 28 40-99 bbh-online.de Ramboll Deutschland GmbH Werinherstraße 79 81541 München Amtsgericht München, HRB 126430 Geschäftsführer: Jens-Peter Saul, Stefan Wallmann Nordea Bank Abp Frankfurt Branch IBAN: DE89514303006720970001 BIC: NDEADEFF Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV INHALT 1 Einleitung 5 2 Kurzfassung 7 2.1 Rechtliche Stellungnahme 7 2.1.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag und Umlagefinanzierung 7 2.1.2 Finanzierung durch Nutznießer*innen 7 2.1.3 Gäste-Ticket 8 2.1.4 City-Maut 9 2.1.5 Parkgebühren 9 2.2 Verkehrswirtschaftliche Bewertung 10 2.2.1 Methodik und Berechnung der Einnahmen je Instrument 10 2.2.2 Ergebnis: zusätzliches Einnahmenpotenzial 13 2.2.3 Gesamthafte Einordnung der Instrumente 14 2.2.4 Fazit 16 TEIL I: RECHTLICHE STELLUNGNAHME 17 3 Umlagefinanzierung 19 3.1 Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) 19 3.2 Gesetzgebungskompetenz des Landes 19 3.3 Materielle Voraussetzungen 20 3.3.1 Belastungsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG 20 3.3.2 Aspekte der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG 28 3.3.3 Europarechtliche Aspekte 29 3.4 Einziehung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags 31 3.5 Zwischenergebnis 32 4 Finanzierung durch Nutznießer*innen des ÖPNV 33 4.1 Einführung eines Beitrags 33 4.1.1 Ausgangspunkt 33 4.1.2 Ausgestaltung als Beitrag 35 4.1.3 Zwischenergebnis 42 4.2 Anpassung der bestehenden City-Tax (Übernachtungssteuer) 44 4.2.1 Ausgangslage 44 4.2.2 Ausgestaltung 44 1/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 4.2.3 Höhe der Steuer 44 4.2.4 Zusammenfassung 47 5 Gäste-Ticket 47 5.1 Kur-/Gästebeiträge 47 5.1.1 Rechtsnatur 47 5.1.2 Erhebungsmodalitäten der Gästebeiträge (Beispiel Sachsen) 48 5.1.3 ÖPNV-Leistungen 48 5.1.4 Anwendung in Berlin 49 5.2 Zwischenergebnis 50 6 City-Maut 50 6.1 Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage 50 6.2 Ausgestaltung als Steuer 50 6.2.1 Der Begriff der Steuer 50 6.2.2 Ausgestaltung als Zwecksteuer 51 6.2.3 Gesetzgebungskompetenz und Ertragshoheit für eine City-Maut als Steuer 51 6.3 Ausgestaltung als Gebühr 52 6.3.1 Gesetzgebungskompetenz für eine City-Maut als Straßennutzungsgebühr 52 6.3.2 Gebührenschuldner*innen 53 6.3.3 Maßgebliche Gebührenhöhe 54 6.3.4 Durchsetzbarkeit durch Kennzeichenerfassung 55 6.4 Ausgestaltung als Sonderabgabe 55 6.4.1 Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Sonderabgabe 55 6.4.2 Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion 55 6.4.3 Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion 56 6.5 Grundrechtliche Aspekte 57 6.6 Zwischenergebnis 57 7 Parkgebühren 58 7.1 Allgemeine Kompetenz für die Erhebung von Parkgebühren 58 7.2 Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung 58 7.2.1 Einschränkende Vorgaben der StVO 58 7.2.2 Bestimmtheit der Maßnahme und verkehrspolitische Zielsetzung 59 7.2.3 Geordnete städtebauliche Entwicklung 59 7.2.4 Schutz vor Lärm und Abgasen 60 7.3 Gebührenhöhe für Kurzzeitparken 61 7.4 Handlungsspielräume bei Gebühren für Bewohnerparken 61 7.4.1 Bewohnerparkausweis gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO 61 7.4.2 Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 StVO 62 7.5 Überschüsse und Ertragshoheit 63 7.6 Durchsetzung 64 7.7 Zwischenergebnis 64 2/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV TEIL II: VERKEHRSWIRTSCHAFTLICHE BEWERTUNG 65 8 Grundlagen 65 8.1 Methodik und Prozessablauf 65 8.2 Auswirkungen der Covid-19-Pandemie 70 9 Darstellung und finanzielle Bewertung der Instrumente 71 9.1 Umlagefinanzierung 72 9.1.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) 72 9.1.2 Gäste-Ticket 95 9.2 Nutznießerfinanzierung 99 9.2.1 Grundstückseigentümerbeitrag 100 9.2.2 Gewerbebetriebebeitrag 103 9.2.3 Übernachtungsgewerbebeitrag 106 9.3 Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente) 108 9.3.1 City-Maut 108 9.3.2 Parkgebühren 115 10 Gesamthafte Einordnung der Finanzierungsinstrumente 119 10.1 Finanzielle Ergiebigkeit 120 10.2 Verwaltungskosten 122 10.3 Verkehrliche Effekte 124 10.3.1 Kriterien 125 10.3.2 Wirkungsanalyse Umlagefinanzierung 126 10.3.3 Wirkungsanalyse Nutznießerfinanzierung 127 10.3.4 Wirkungsanalyse Instrumente mit Lenkungswirkung 127 10.4 Politische Sensibilität 130 10.5 Umsetzungsgeschwindigkeit 133 11 Fazit 134 3/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Übersicht Finanzierungsinstrumente 5 Abbildung 2: Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente 14 Abbildung 3: Bewertung der Finanzierungsinstrumente 15 Abbildung 4: Übersicht vergleichbarer Studien 67 Abbildung 5: Überblick des Gesamtprozesses der Machbarkeitsstudie 70 Abbildung 6: Steckbrief allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) 72 Abbildung 7: VBB-Zeitkarten nach Bevölkerungsgruppen 75 Abbildung 8: Bevölkerungsgruppen und deren Überschneidungen, vereinfachte Darstellung 76 Abbildung 9: Herleitung beitragspflichtiger Bevölkerungsgruppen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags 77 Abbildung 10: Beitragshöhen im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h 78 Abbildung 11: Beitragshöhen in den Sondervorteilsmodellen Freifahrt 21h und Bahncard 78 Abbildung 12: Erschließungsstandards des NVP Berlin 2019 – 2023 (eigene Hervorhebung) 79 Abbildung 13: Gewichtung der Finanzierungssäulen in den Beitragsvarianten 81 Abbildung 14: Annahmen (Auszug) Bartarifanteile 82 Abbildung 15: Annahmen Zeitkartenanteile 82 Abbildung 16: Beitragshöhen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) 84 Abbildung 17: Jährliche Beitragseinnahmen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags 85 Abbildung 18: Tarifeinnahmenausfälle der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) in Mio. EUR p.a. 87 Abbildung 19: Prozentualer Tarifeinnahmenausfall gegenüber 2018 nach Modellen 87 Abbildung 20: Saldobetrachtung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen 90 Abbildung 21: Finanzierungssaldo des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen 91 Abbildung 22: Steckbrief Gäste-Ticket 95 Abbildung 23: Steckbrief Grundstückseigentümerabgabe 100 Abbildung 24: Steckbrief Gewerbebetriebebeitrag 103 Abbildung 25: Einflussfaktor Publikumsverkehr nach Wirtschaftszweigen 104 Abbildung 26: Beitragshöhen je Beschäftigtenkategorie 104 Abbildung 27: Steckbrief Übernachtungsgewerbebeitrag 106 Abbildung 28: Steckbrief City-Maut 108 Abbildung 29: Steckbriefe City-Maut London und Stockholm 110 Abbildung 30: Jährliche Gebühreneinnahmen City-Maut in Mio. EUR 112 Abbildung 31: Steckbrief Parkgebühren 115 Abbildung 32: Jährliche Einnahmen aus Parkgebühren 117 Abbildung 33: Ergebnisübersicht der Finanzierungsinstrumente 119 Abbildung 34: Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente 120 Abbildung 35: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) 126 Abbildung 36: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Gäste-Ticket 127 Abbildung 37: Verkehrliche Wirkungsanalyse – City-Maut 128 Abbildung 38: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Flächendeckende Parkgebühren 129 4/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 1 EINLEITUNG Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Berlin steht vor zwei großen Herausforderungen, die beide in einen Wachstumsauftrag an ihn münden: • Die Klimaschutzziele sind im Verkehrsbereich nur zu erfüllen, wenn der ÖPNV mit den anderen Verkehrsträgern im Umweltverbund seinen Anteil am Modal Split deutlich ausbaut. • Sofern die Einwohner*innenzahl Berlins auch künftig weiter zunimmt, nähern sich die bestehenden Angebotskapazitäten ihrer Auslastungsgrenze, was heute bereits auf bestimmten Linien in der Hauptverkehrszeit zu beobachten ist. Bereits die Absicherung des bestehenden Verkehrsangebots bedeutet im kommenden Jahrzehnt einen finanziellen Kraftakt, da ein erheblicher Teil der kostspieligen Infrastruktur erneuert und ein wesentlicher Teil der Fahrzeugflotten ersetzt werden müssen. Umso ambitionierter ist die Finanzierung zusätzlicher Aufgaben wie die notwendige Angebotsausweitung. Vor diesem Hintergrund erscheint das politische Ansinnen plausibel, sich nicht nur auf die maximale Ausschöpfung der beiden vorhandenen Finanzierungssäulen im ÖPNV – Fahrgeldeinnahmen und Zuschüsse der öffentlichen Hand – zu verlassen, sondern weitere, neue Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten und im Bestfall zu erschließen. Im Mittelpunkt stehen solche Personenkreise, die den Berliner ÖPNV bis dato (noch) nicht nutzen, jedoch • als Einwohner*innen Berlins oder als Gäste der Stadt aus der Existenz des Systems einen Optionsnutzen ziehen könnten (Umlagemodelle) oder • mittelbar davon profitieren, dass andere Nutzer*innen des ÖPNV sie erreichen können (Nutznießer*innen) oder • die den konkurrierenden Verkehrsträger MIV in Berlin nutzen, der wie der ÖPNV den knappen Straßenraum in Anspruch nimmt und aus verkehrlichen und ökologischen Gründen einer preislich und/oder kapazitären Lenkung unterzogen werden soll. Ziel dieser im geltenden Koalitionsvertrag sowie gemäß § 26 Abs. 3 Satz 6 Berliner Mobilitätsgesetz eingeforderten Machbarkeitsstudie ist es, die sieben nachstehenden Finanzierungsinstrumente zu prüfen: Abbildung 1: Übersicht Finanzierungsinstrumente 5/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV In der Gesamtschau soll herausgearbeitet werden, inwieweit K.O.-Kriterien – vorgelagert auf der Rechtsebene - zur Aussonderung eines Instrumentes führen oder das Ergebnis der Abwägung von Chancen und Risiken eine solche nahelegen. Umgekehrt wird positiv deutlich, welche Instrumente nach dem ersten Grobfilter für die Umsetzung in Frage kommen („sind machbar“) und hierauf vertiefend geprüft werden sollten. Entsprechend gliedert sich diese Machbarkeitsstudie in zwei Teile: I. Die rechtliche Stellungnahme von BBH beleuchtet die Voraussetzungen und Ausgestaltungsmöglichkeiten der Instrumente aus juristischer Sicht. Kernfrage dieser Untersuchung ist es, aufzuzeigen, welche der untersuchten Instrumente nicht im Einklang mit dem geltendem Rechtsrahmen stehen können. Nachgelagert ist zu eruieren, welche prinzipiellen Randbedingungen bzw. Freiheitsgrade für den Landesgesetzgeber bei der Umsetzung herrschen. II. Die verkehrswirtschaftliche Bewertung von Ramboll untersucht primär, welche fiskalische Ergiebigkeit die Instrumente aufweisen, differenziert nach Höhe und Verlässlichkeit der Einnahmen unter Einbeziehung der administrativen Kosten. Daneben sind auch deren organisatorisch-technischen Voraussetzungen und die verkehrlichen wie gesellschaftlichen Wirkungen sowie die politische Sensibilität zu beleuchten. 6/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 2 KURZFASSUNG 2.1 Rechtliche Stellungnahme Im Grundsatz sind alle der angeführten Finanzierungsinstrumente entweder auf Basis des bestehenden Rechtsrahmens oder unter Annahme einer landesgesetzlichen Anpassung umsetzbar. 2.1.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag und Umlagefinanzierung Für die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) bedarf es einer neuen gesetzlichen Grundlage, für die das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Für eine Beitragserhebung muss anhand von noch zu bestimmenden Kriterien, wie z. B. der räumlichen und zeitlichen Erreichbarkeit des ÖPNV, ein individuell-konkreter Vorteil festgestellt werden. Ein hohes Aufkommen an Nutzer*innen, das zur zeitweisen Erreichung von Kapazitätsgrenzen führt, steht der Annahme eines Vorteils aber nicht an sich entgegen. Als Beitragsschuldner*innen kommen alle in Berlin gemeldeten Personen in Betracht, wobei auf Antrag Befreiungen von der Beitragspflicht zu erteilen sind, wenn eine Nutzung faktisch nicht möglich ist (z. B. Bettlägerigkeit). Bisherige Befreiungen können beibehalten werden. Im Rahmen der Beitragshöhe ist auf die Einhaltung des Äquivalenzprinzips zu achten, wobei im Rahmen der Zumutbarkeit durchschnittliche der Beitragshöhe Bruttomonatsentgelt und für für den den regulären reduzierten Beitragssatz allgemeinen auf das ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) auf den BAföG-Satz abgestellt werden könnte. 2.1.2 Finanzierung durch Nutznießer*innen Bei der Finanzierung durch Nutznießer*innen ist zwischen der Einführung eines neuen Beitrages und der Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer zu differenzieren. 2.1.2.1 Einführung eines neuen Beitrags Neue Abgaben, die mittelbar begünstigte Nutznießer*innen des öffentlichen Personenbeförderungsnetzes in die Finanzierungsverantwortung nehmen, können hingegen bereits nach dem bestehenden Berliner Landesrecht geschaffen werden. Die nach Art. 87 Abs. 1 Verfassung von Berlin erforderliche gesetzliche Grundlage ist in Gestalt der §§ 4, 6, 8 und 10 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge des Landes Berlin (GebBtrG) vorhanden. Im Rahmen des GebBtrG erfolgt die Einführung einer neuen Abgabe durch eine Rechtsverordnung des Senats. Dem Land Berlin bleibt es gleichwohl unbenommen, für die Finanzierung durch Nutznießer*innen des ÖPNV ein besonderes Landesgesetz zu erlassen. Eine solche Abgabe hätte die Rechtsform eines Beitrags. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG erlauben es bereits ausdrücklich, Beiträge von Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibenden zu erheben, im Gegenzug für mittelbare Vorteile, die ihnen aus der Existenz einer öffentlichen Anlage erwachsen. Das ÖPNV-System in Berlin ist aufgrund seiner konsequent öffentlich-rechtlichen 7/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Organisation mit einer Anstalt öffentlichen Rechts als Betreiber geradezu der exemplarische Fall einer im öffentlichen Interesse liegenden Anlage i. S. v. § 4 GebBtrG. Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibende, einschließlich der Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes, sind in § 10 Abs. 3 GebBtrG als legitime Betragsschuldner*innen ausdrücklich genannt. Zum Ausgleich der Vorteile, die diesem Personenkreis durch die Anbindung ihrer Grundstücke oder Gewerbebetriebe an das öffentliche Personenbeförderungsnetz entstehen, können somit Beiträge erhoben werden. Rechtliche Schwierigkeiten wirft dabei allein die Ausgestaltung des Beitragstatbestands und der Beitragshöhe auf. Der aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit verlangt eine Differenzierung zwischen den Beitragspflichtigen und den nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des beitragsrelevanten Vorteils. Dabei kommt es vor allem bei Grundstücken nicht auf einen finanziellen Wertzuwachs an, sondern auf eine Steigerung des Gebrauchsvorteils. Die Möglichkeit der ÖPNV-Nutzung muss sich als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirken. Dasselbe Differenzierungsgebot gilt für Gewerbebetriebe. Dort wird es auf die Gesamtheit der betriebsbezogenen Vorteile ankommen, die sich aus einer mehr oder weniger guten Anbindung an das ÖPNV-Netz ergeben. Sachlich liegen diese Vorteile zum einen in der Erreichbarkeit der jeweiligen Betriebstätte für Arbeitnehmer*innen, zum anderen aber auch in der Erreichbarkeit für Kund*innen und der Intensität der Abhängigkeit des Unternehmenserfolgs von realen Kontakten zu Kund*innen. Eine Beitragsregelung muss dabei nicht jeden Sachverhalt vollständig wirklichkeitsgetreu erfassen. Ihre Grenze findet die Freiheit des Gesetzgebers, Vereinfachungen und praktikable Typisierungen vorzunehmen, vielmehr erst dann, wenn überhaupt kein sachlicher Grund für getroffene Differenzierung gefunden werden kann und sich die jeweilige Beitragsregelung als willkürlich erweist. 2.1.2.2 Anpassung der bestehenden City-Tax Es kommt zudem eine Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer in Betracht. Der für die Erhebung der Übernachtungssteuer maßgebliche Aufwand ist das Übernachtungsentgelt ohne Nebenleistungen. Das Land orientierte sich bei der Festlegung des Steuersatzes an anderen Kommunen. Vereinzelt wurden dort aber inzwischen höhere Steuersätze festgelegt, so dass diesbezüglich Handlungsspielräume auch für Berlin bestehen. 2.1.3 Gäste-Ticket Die Einführung eines Gäste-Tickets für Besucher*innen Berlins erscheint grundsätzlich möglich, bedarf jedoch eines gesetzgeberischen Tätigwerdens. Angesichts der Regelungen in anderen Bundesländern ist jedoch – gerade in Hinblick auf die Übernachtungssteuer – die dann bestehende Doppelbelastung zu berücksichtigen. 8/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 2.1.4 City-Maut Die Einführung einer City-Maut bedürfte hingegen einer neuen, landesgesetzlichen Grundlage. Als vorzugswürdig erweist sich dabei die Einführung als Straßenbenutzungsgebühr im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG. Dies wäre möglich, weil der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz lediglich bezüglich einer Maut auf Fernstraßen tätig geworden ist. Die vom Land Berlin einzuführende Straßenbenutzungsgebühr dürfte deswegen auch nicht die Nutzung von Bundesfernstraßen einer Gebührenpflicht unterwerfen. Gebührenschuldner*innen wären die Autofahrer*innen, die Straßen im Bereich der City-Maut nutzen (unter Ausnahme der Bundesfernstraßen). Bei der Gebührenhöhe besteht ein erheblicher Spielraum. Sie darf aber nicht in einem groben Missverhältnis zu der vom Land Berlin erbrachten Leistung stehen. Maßgeblich sind damit die Vorteile, die dem*der Einzelnen aus der Leistung des Landes Berlin beim Straßenunterhalt entstehen. 2.1.5 Parkgebühren Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung ist nach unserem Verständnis insbesondere im SBahn-Ring möglich. Anordnungsgründe sind dabei neben dem hohen Parkdruck auch eine geordnete städtebauliche Entwicklung oder der Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen, vgl. § 45 Abs. 1b Straßenverkehrsordnung (StVO). Ebenso bestehen Handlungsspielräume hinsichtlich der Gebührenhöhe und der Gebührenstruktur, die derzeit noch nicht flächendeckend genutzt werden. In Bezug auf die Parkraumbewirtschaftung für Bewohner*innen kann – zumindest zonal – das Konzept der Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO erwogen werden. Diese wäre zulässig, wenn die Erteilung (gegenüber einem Parkausweis nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO) an zusätzliche Bedingungen gebunden ist – wie etwa die mangelnde Verfügbarkeit eines privaten Stellplatzes. Die Gebühr für eine solche Ausnahmegenehmigung dürfte dann bis zu 767,00 Euro betragen. Angesichts der Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) besteht jedoch nunmehr ein weiter Handlungsspielraum bezüglich des Gebührenrahmens für Parkausweise für Bewohner*innen nach § 45 StVO. Dabei kann insbesondere der wirtschaftliche Wert der Parkmöglichkeit mitberücksichtigt werden. 9/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 2.2 Verkehrswirtschaftliche Bewertung 2.2.1 Methodik und Berechnung der Einnahmen je Instrument Die methodischen Vorarbeiten liegen darin, zunächst je Instrument eine Konzeption zu unterwerfen, die auf theoretischen Überlegungen sowie empirischen Referenzbeispielen basiert und in Wechselwirkung mit den verfügbaren Daten steht. Anschließend werden die Daten gesammelt, verprobt und in die Modellrechnung eingespeist. Sämtliche Berechnungen stehen unter dem Vorbehalt, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht zu berücksichtigen. Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) Kernidee dieser Umlagefinanzierung für den Berliner ÖPNV ist es, dass grundsätzlich alle Berliner*innen einen regelmäßigen Beitrag an das Land Berlin leisten – unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr in Anspruch nehmen. Anders als bei der Steuer können die Beitragseinnahmen zweckgebunden für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des ÖPNV eingesetzt werden. Als Gegenleistung gewährt das Land als ÖPNV-Aufgabenträger den Beitragspflichtigen einen Sondervorteil, und zwar in Gestalt der Fahrtberechtigung. Für dieses Ticket werden drei Modellvarianten des Bürger*innentickets als Sondervorteil für die Beitragspflichtigen betrachtet: a) Modell Freifahrt 24h: Berechtigung zur unentgeltlichen Nutzung des ÖPNV, jeden Tag zu jeder Stunde. b) Modell Freifahrt 21h (Off-Peak): Berechtigung zur unentgeltlichen Nutzung außerhalb der morgendlichen Hauptverkehrszeit (HVZ); ermäßigter Tarif für werktägliche Fahrten zwischen 6 und 9 Uhr. c) Modell Bahncard: Berechtigung zum Erwerb vergünstigter Fahrkarten, beispielsweise wie bei einer „Bahncard 50“ zur Hälfte des üblichen Preises. Das Bürger*innenticket gilt ausschließlich im Stadtgebiet Berlin (Tarifbereich AB). Für Fahrten im Tarifbereich C müssen Berliner*innen weiterhin einen Fahrausweis erwerben – ebenso wie alle Nicht-Berliner*innen im Stadtgebiet Berlins. Einnahmenseitig zeitigt der ÖPNV-Beitrag zwei gegenläufige Wirkungen im Vergleich zum Status quo: Auf der einen Seite verbreitert sich die Einnahmenbasis, weil nicht nur die Nutzer*innen des ÖPNV, sondern alle Einwohner*innen Berlins veranlagt werden (positiver Mengeneffekt). Ausgenommen sind annahmegemäß 4% der Einwohner*innen wegen unzureichender ÖPNVErschließung. Im Gegenzug entfallen die Fahrgeldeinnahmen der heutigen ÖPNV-Fahrgäste (negativer Preiseffekt). Um die Saldierungswirkung in ihrer maximalen Spanne zu veranschaulichen, werden drei Szenarien berechnet: • „Obergrenze“: die heutigen Preishöhen je Tarifprodukt werden beibehalten und auf die Gruppen der Beitragszahler*innen projiziert. Der volle Mengeneffekt maximiert die Einnahmen. 10/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • „Neutral“: Hier werden die differenzierten Beiträge umgekehrt so lange abgesenkt, wie das heutige Einnahmenniveau konstant gehalten werden kann („aufkommensneutral“). • „Beispiel“ als realitätsnaher Vorschlag in der Mitte beider Pole: Hier werden die künftigen Beiträge je Beitragszahler*innengruppe in Höhe von 75% der heutigen gruppenspezifischen Preise des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) angesetzt. Wichtige Grundprämisse ist, dass keine der heutigen Nutzer*innengruppen schlechter als im Status quo gestellt wird. Die aufwendige Herleitung der Mengengerüste, insbesondere zur Eingruppierung der Berliner Bevölkerung in die unterstellte Beitragsstruktur, sowie der unterstellten Beitragshöhen ist der Langfassung zu entnehmen. Gäste-Ticket Auch das Gäste-Ticket fußt auf einer Umlagefinanzierung, die sich jedoch auf den Personenkreis der Besucher*innen Berlins beschränkt, die in gewerblichen Übernachtungsbetrieben einschließlich Airbnb nächtigen. Diese müssen pro Nacht und Person einen Beitrag entrichten, der in zwei Varianten gerechnet wird: 5 EUR und 8 EUR pro Nacht und Erwachsenen, Kinder zwischen 6 und 18 Jahren zahlen die Hälfte. Im Gegenzug erhalten die Übernachtungsgäste vom Anreise- bis zum Abreisetag einen Fahrausweis für den Nahverkehr (Tageskarte Tarifbereich ABC). Weil schon mit der Hotelbuchung zur Verifikation ein QR-Code an den Übernachtungsgast versendet wird, kann dieser den Fahrausweis vom Bahnhof oder vom Flughafen aus verwenden. Die Beigabe des Tickets unterscheidet das Gäste-Ticket von der vorhandenen City-Tax, die abgabensystematisch eine Steuer auf private Übernachtungen darstellt und dem ÖPNV nicht zweckgebunden zur Verfügung steht. Zentrales Mengengerüst der Beitragseinnahmen ist die Zahl der gewerblich erfassten Übernachtungen, die für 2020 – ohne Pandemie-Effekt – in Höhe von 35,5 Mio. angesetzt werden. Hinzu kommen 5,5 Mio. Übernachtungen über Webplattformen, z.B. Airbnb. Gegenzurechnen ist der Einnahmenausfall über alle Tarifprodukte, die Tourist*innen erwerben. Grundstückseigentümerbeitrag Der Grundstückseigentümerbeitrag richtet sich an die Eigentümer*innen von Wohn- und Gewerbeimmobilien im Stadtgebiet Berlin als Nutznießer*innen des ÖPNV-Systems. Diese werden zur Entrichtung eines wiederkehrenden, z.B. jährlichen Beitrags in der Annahme verpflichtet, auf diese Weise die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der ÖPNV-Anbindung gegenüber der Allgemeinheit auszugleichen. Die Beiträge müssen rechtlich wie politisch anhand transparenter Kriterien angemessen differenziert sein. Während die Fläche der Wohnimmobilien auf Berliner Stadtgebiet statistisch gut erfasst ist, muss die Nutzfläche der Gewerbeimmobilien hilfsweise ermittelt werden, indem zwischen 50% und 75% der Bodenfläche herangezogen werden. 8% der Gewerbeflächen werden als beitragsbefreit angenommen, um dem unzureichenden Erschließungsgrad an Teilen des Stadtrandes Rechnung zu tragen. Als mittlere Beitragshöhe werden 2 EUR je qm bei Wohnimmobilien und 4 EUR je qm bei Gewerbeimmobilien angesetzt. 11/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Gewerbebetriebebeitrag Der Gewerbebetriebebeitrag stellt eine Abgabe zur Internalisierung des wirtschaftlichen Vorteils der ÖPNV-Anbindung für Wirtschaftsbetriebe in Berlin dar. Beitragspflichtig sind demnach alle in Berlin gemeldeten Unternehmen. Die Höhe des Beitrags bemisst sich an dem individuellen Nutzen, der dem jeweiligen Betrieb entsteht. Um diesen hinreichend zu differenzieren, konzentriert sich die Modellrechnung erneut auf zwei Strukturmerkmale: • die Zugehörigkeit zu einem Wirtschaftszweig, um die Abhängigkeit vom Publikumsverkehr grob zu clustern. Die Spanne reicht von 100% im Gastgewerbe bis zu 0% in der Wasserversorgung. • die Betriebsgröße, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, und zwar zwischen den Kategorien 0 bis 9, 10 bis 49, 50 bis 249 sowie 250 und mehr Beschäftigte. Die Beitragshöhe wird in zwei Varianten mit 50 und 60 EUR je Mitarbeiter*in gerechnet. Übernachtungsgewerbebeitrag Der Übernachtungsgewerbebeitrag ist eine Untervariante einer (allgemeinen) Beitragspflicht für Gewerbebetriebe. Er beschränkt sich auf die Abschöpfung der wirtschaftlichen Vorteile, die Hotels, Pensionen, Jugendherbergen oder gewerblich vermietende Onlineportale aus dem vorhandenen Nahverkehrssystem ziehen. Dabei muss sich die Beitragshöhe am individuellen Nutzen ausrichten, der den Betrieben entsteht. Maßgebliche Strukturmerkmale für die Modellrechnung sind die Anzahl der (gemeldeten) Betten sowie die Zentrumsnähe eines Übernachtungsbetriebs. Letztere wird in 3 Zonen untergliedert, für die Beitragssätze je Bett in zwei Varianten unterstellt werden (innere Zone 150/200 EUR, mittlere Zone 20/30 EUR, äußere Zone ist beitragsbefreit). City-Maut Das primäre verkehrspolitische Ziel der City-Maut liegt darin, eine verkehrslenkende Wirkung zugunsten des Umweltverbunds zu entfalten. Neben der erhofften Verringerung von Lärm und Luftschadstoffen ist auch die Erzielung von Einnahmen ein wichtiger und willkommener Nebeneffekt. Dieser ist im Zweifel jedoch nachrangig, da im Erfolgsfall die Einnahmenbasis sinkt. Unterstellt wird die Bepreisung des motorisierten Verkehrs als einfaches Kordonsystem auf dem Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings, auch großer Hundekopf genannt, der nahezu deckungsgleich mit der Umweltzone ist. Die Mautgebühr soll werktäglich fällig werden, sobald ein Kraftfahrzeug (Kfz) in dieses Gebiet zwischen 6 und 18 bzw. 21 Uhr einfährt (2 Varianten). Rechtlich kann das Land Berlin eine Straßennutzungsgebühr nur für „eigene“ Liegenschaften erheben, nicht für Bundesfernstraßen. Die Benutzung der querenden B1 und B2 sowie der B96, B96a und B109 in dem Gebiet darf somit grundsätzlich nicht bemautet werden, wenn diese Straßen nicht verlassen werden. Dies stellt eine konzeptionelle Herausforderung dar. Die Modellrechnung basiert auf folgenden Annahmen: Ausgangspunkt ist die Schätzung von 750.000 täglichen Einfahrten. Hiervon werden ein Mehrfahrtenanteil in Höhe von 20% sowie ein 12/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV beitragsbefreiter Anteil von 3% für hoheitlich motivierte Fahrten abgezogen. Die Mauthöhe wird den Nahverkehrstarifen angelehnt und mit 5 bzw. 8 EUR pro Tag in zwei Varianten angesetzt. Dies deckt sich auch mit den internationalen Vorbildern in Stockholm, Göteborg und London. Um den erwartbaren Rückgang der MIV-Nutzung als Preisreaktion zu modellieren, werden die empirisch gemessenen Reduktionen der Nachfrage von 20% (Stockholm, kurzfristig) und 40% (London, langfristig) angenommen. Zahlreiche weitere Ausgestaltungsoptionen einer Mautpflicht sind denkbar (zeitliche/entfernungsabhängige/emissionsbezogene Bepreisung, Ausnahmetatbestände, horizontale Ausdehnung des Mautgebiets, Erhebungstechnik usw.), wären jedoch separat zu untersuchen. Parkraumbewirtschaftung Das Instrument einer stadtweiten konsequenten Bewirtschaftung des Parkraums sieht vor, Parkgebühren für die Nutzung öffentlicher Flächen innerhalb der Umweltzone flächendeckend nach einheitlichen Strukturmerkmalen einzuführen. Hiermit soll die ökonomische Wertigkeit des bisher nahezu kostenfreien Parkraums den Knappheitspreisen anderer Nutzungen wie Wohnen und Gewerbe angeglichen werden. Derzeit weisen fünf Berliner Bezirke solche Parkraumbe- wirtschaftungsgebiete aus. Darüber hinaus sind die dosierte Reduzierung und Umverteilung des Parkraums zugunsten anderer Nutzungszwecke ein vielversprechender Push-Ansatz. Im Status quo können Anwohner*innen einen stark verbilligten Anwohner*innenausweis (bisher 10,20 EUR p.a.) für ein bestimmtes Gebiet beziehen, Gelegenheitsparker*innen müssen zeitabhängige Berechtigungen erwerben, z.B. in Form eines Parkscheins. Die Bezirke können über die Höhe der Gebühren für Gelegenheitsparker*innen und die gebührenpflichtigen Tageslagen im Rahmen einer landesrechtlichen Vorgabe entscheiden. Für Handwerksbetriebe bieten einige Bezirke fallweise besondere Parkausweise an. Die Berechnung der Einnahmen aus der künftig angestrebten Parkraumbewirtschaftung beschränkt sich in dieser Studie auf das Gebiet innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Dabei sind einheitliche Gebührenhöhen und Bewirtschaftungszeiten unterstellt. Ausgegangen wird von 300.000 legalen Parkplätzen, die zu 75% am Tag belegt sind. Zudem wird angenommen, dass 90% der Plätze durch Anwohner*innen beansprucht werden, demnach 10% durch Gelegenheitsparker*innen. Als Preisgerüst unterstellen wir 240 EUR pro Jahr für Anwohner*innenparkausweise in der oberen Variante und 120 EUR in der unteren. Gelegenheitsparker*innen sollen 4 bzw. 3 EUR pro Stunde zahlen. An Sonntagen und an allen anderen Tagen zwischen 0 und 6 Uhr kann kostenlos geparkt werden. 2.2.2 Ergebnis: zusätzliches Einnahmenpotenzial Um den Quervergleich der Ergiebigkeit der sieben Instrumente – ohne Verwaltungskosten, Preisstand 2020 – graphisch zu unterstreichen, werden die Ergebniskorridore in Abbildung 2 mit Hilfe horizontaler Balken maßstabsgetreu dargestellt. 13/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 2: Die starke Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente Spreizung der Werte ist insofern plausibel, als das Gäste-Ticket und der Übernachtungsgewerbebeitrag selektiv auf eine relativ kleine Akteursgruppe ausgerichtet sind, wohingegen der ÖPNV-Beitrag und die beiden Instrumente mit Lenkungswirkung (PushInstrumente) von einer breiten Bemessungsgrundlage profitieren (alle Einwohner*innen bzw. wesentliche Teilmenge der Autofahrer*innen). Folgerichtig sind die Einnahmenpotenziale dort auch am höchsten. Nach dem gleichen Muster der Mengenwirkung weist der Grundstückseigentümerbeitrag unter den drei Nutznießerfinanzierungsinstrumenten die höchste Ergiebigkeit auf. 2.2.3 Gesamthafte Einordnung der Instrumente Auch wenn die Berechnung der Einnahmenpotenziale einen Schwerpunkt dieser Studie bilden, wäre es (verkehrs-)politisch kurzsichtig, die Bewertung der Machbarkeit und das Umsetzungsinteresse an den Instrumenten ausschließlich oder primär an die Höhe ihrer Ergiebigkeit zu knüpfen. Vielmehr sind weitere vier Kriterien – insbesondere auch die verkehrlichen Effekte – in die gesamthafte Abwägung des Für und Wider einzubeziehen, wie Abbildung 3 mit Hilfe einer Rot-Grün-Ampel veranschaulicht. 14/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 3: Bewertung der Finanzierungsinstrumente Zentrale Aussagen der qualitativen Bewertung sind: • Verwaltungskosten: Für alle Finanzierungsinstrumente gilt, dass ihre fiskalische Ergiebigkeit erst nach Abzug der administrativen Kosten („costs of running the system“) – also netto – abschließend zu bewerten ist. Von diesen wie auch weiteren mittelbaren Kosten haben wir (zunächst) abstrahiert, weil sie mit Hilfe der vorhandenen Daten nicht hinreichend zu validieren sind. Am ehesten lassen sich grobe Erfahrungswerte für die beiden Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente) finden, die jedoch schwer auf Berlin übertragbar sind. Zudem hängt die Höhe der Verwaltungskosten in erheblichem Maße von der konkreten Konzeption des Instrumentes ab. Letzteres gilt vor allem für die City-Maut und die Nutznießerfinanzierung. Relativ verwaltungsarm erscheint das Gäste-Ticket, zumal es auf der Infrastruktur der City-Tax aufsetzen könnte. • Verkehrliche Effekte: Die Bewertung der verkehrlichen Effekte spaltet die Instrumente in zwei Lager. Während die Nutznießerfinanzierung bestehende Vorteile abschöpft und somit keine verkehrliche Wirkung entfaltet, sind der allgemeine ÖPNV-Beitrag und die beiden MIVrestringierenden Maßnahmen geeignet, das Verkehrsmittelwahlverhalten spürbar zu beeinflussen. Dies gilt bei City-Maut und Parkraumbewirtschaftung desto mehr, je höher die zusätzliche Kostenbelastung des*der Pkw-Fahrers*in/-Halters*in ausfällt – allerdings um den Preis abnehmender Einnahmen, sobald eine bestimmte Schwelle überschritten wird. Beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag dürfte der verkehrliche Erfolg maßgeblich davon abhängen, inwieweit der obligatorische Charakter mit einer deutlichen Leistungssteigerung des ÖPNV einhergeht. • Politische Sensibilität: Die Einführung einer (weiteren) Abgabe ist politisch stets sensibel, weil sie in Besitzstände eingreift und der*die Abgabenpflichtige zusätzliche Kostenbelastungen naturgemäß skeptisch beäugt bis womöglich zunächst ablehnt. Entscheidend für die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit ist, inwieweit der Mehrwert der Abgabe auf der Leistungsseite glaubwürdig erkennbar wird, z.B. in Form einer Angebotsoffensive (Ausweitung Verkehrsangebot, Steigerung Qualität, Nutzbarkeit weiterer Verkehrsträger), einer vereinfachten digitalen Nutzung des ÖPNV oder auch einer stringenteren Organisation des ÖPNV. Hier ist die transparente Zweckbindung der Einnahmen ein wesentliches Gestaltungselement, die Bürger*innen zu überzeugen bzw. umgekehrt den Vorwurf des „Abkassierens“ zu widerlegen. Es bedarf des Mutes und der Fähigkeit, gute Politik zu erklären und dabei konsistent zu handeln. Im Quervergleich der Instrumente schneidet das Gäste-Ticket hier am besten ab, weil es sich auf die abgegrenzte Gruppe der Berliner Tourist*innen konzentriert und diese 15/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV erfahrungsgemäß eine vergleichsweise hohe Preisunempfindlichkeit aufweisen. Im Vergleich zur heutigen City-Tax erhält der Gast Berlins mit dem Ticket immerhin ein Mehrwert auf der Leistungsseite. Am anderen Ende der Sensibilitätsskala rangieren die Nutznießerinstrumente. Sie sollen einen pekuniären Vorteil abschöpfen, ohne jedoch mit einer unmittelbaren Verbesserung des ÖPNV aufzuwarten. Die Adressaten sind Akteursgruppen, die gut organisiert sind und die Mittel haben, sich klar gegen die Mehrbelastung rechtlich wie öffentlich zu positionieren. So werden die Grundstückseigentümer auf die Doppelbelastung in Verbindung mit dem Mietendeckel verweisen, während die Gewerbebetriebe die Verteuerung des Faktors Arbeit und die Folgen für den Standortwettbewerb ins Feld führen. Dass die Instrumente mit Lenkungswirkung und der allgemeine ÖPNV-Beitrag ebenfalls kontroverse Diskussionen – insbesondere unter MIV-Nutzer*innen – verursachen, wird niemanden überraschen. Im Unterschied zur Nutznießerfinanzierung ist jedoch eine verkehrliche Lenkungsabsicht bzw. eine (glaubwürdigere) Intention zur Aufwertung des ÖPNV mit ihnen verknüpft. Dies bietet zumindest die Chance, mittelfristig auch Skeptiker*innen zu überzeugen. Entscheidend wird sein, bei der Bemessung der Preis-/Beitragshöhen das richtige Maß zu finden und die Zweckbindung der Mittel mit einer absehbaren Angebotsverbesserung im ÖPNV zu koppeln. • Umsetzungsgeschwindigkeit: Keines der sieben Instrumente sollte die Erwartung einer schnellen Umsetzung wecken. Handwerklich-konzeptionell sind das Gäste-Ticket und die Parkraumbewirtschaftung am ehesten auf den Weg zu bringen – sofern bei dem Lenkungsinstrument Land und Bezirke einen Konsens über die Gebührenhöhe und -struktur sowie die Mittelverwendung erzielen können. Für alle anderen Instrumente müssen „dicke Bretter gebohrt werden“. So bedarf die City-Maut einer vielschichtigen Designentscheidung (Technik, Organisation, Flächenausdehnung, Bepreisungsstrategie, rechtlicher Umgang mit Bundesstraßen). Der allgemeine ÖPNV-Beitrag stellt vor allem hohe institutionelle Ansprüche, indem die Finanzierungsstruktur des ÖPNV gravierend verändert wird. Die Nutznießerfinanzierung setzt hohe Hürden für die rechtlich-administrative Ausgestaltung der Instrumente. 2.2.4 Fazit Im Hinblick auf die Kombination aus Einnahmenerzielungspotenzial und verkehrlicher Wirkung schneiden die beiden Lenkungsinstrumente sowie der allgemeine ÖPNV-Beitrag mit Abstand am besten ab. Hier lohnt es sich, eine konkrete Umsetzbarkeit im Detail zu untersuchen. Der Weg zu einer Einführung ist jedoch noch weit. Das Gäste-Ticket ist am schnellsten einführbar und politisch eher unkritisch, als selektives Instrument jedoch nicht hinreichend, um die Finanzierung des ÖPNV substanziell zu verbessern. Zu beachten ist das Konkurrenzverhältnis zur City-Tax. Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente sollten hingegen nicht weiterverfolgt werden. 16/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV TEIL I: RECHTLICHE STELLUNGNAHME Im Rahmen dieser rechtlichen Stellungnahme werden die folgenden Finanzierungsinstrumente näher untersucht: • Umlagefinanzierung (insb. für ein allgemeinen ÖPNV-Beitrag): Die Grundidee einer Umlagefinanzierung durch einen allgemeinen ÖPNV-Beitrag ist es, dass bestimmte Gruppen an Nutzer*innen, beim Bürger*innenticket beispielsweise „alle Bürger*innen Berlins“, einen verpflichtenden, regelmäßigen und zweckgebundenen Beitrag für die Möglichkeit entrichten müssen, den Berliner ÖPNV unentgeltlich in Anspruch zu nehmen. Die Bereitstellung eines guten ÖPNV-Angebotes stellt im Sinne des Beitragsrechts einen individuellen Sondervorteil dar, für den eine Abgabe erhoben werden kann. Dafür wird – auf Grundlage der Erlöse des allgemeinen ÖPNV-Beitrages – den Berliner*innen der unentgeltliche Erwerb einer ÖPNVZeitkarte ermöglicht (sog. „Bürger*innenticket“). Dabei sind die folgenden Ausgestaltungsmöglichkeiten zu betrachten: o Modell Freifahrt 24h: Durch Zahlung eines verpflichtenden, regelmäßigen und zweckgebundenen Beitrages erhalten alle Bürger*innen Berlins die Möglichkeit, den Berliner ÖPNV unentgeltlich in Anspruch zu nehmen. o Modell Freifahrt 21h (Off-Peak): Als Variante soll ein „Off-Peak-Bürger*innenticket“ mitbetrachtet werden, das eine unentgeltliche Nutzung außerhalb des morgendlichen Berufsverkehrs zulässt. Der Preis für eine ÖPNV-Zeitkarte für den Berufsverkehr könnte dann pro Person – auch in Kombination mit dem ÖPNVBeitrag – merklich niedriger liegen, als es bei den heutigen Zeitkarten der Fall ist. o Modell BahnCard: Als Variante soll eine Ausgestaltung mitbetrachtet werden, bei der auf Grundlage der Erlöse aus einer Umlage den Berliner*innen der vergünstigte Erwerb einer ÖPNV-Zeitkarte ermöglicht wird (Wirkung ÖPNV-Beitrag ähnlich DBBahncard). • Finanzierung durch die Nutznießenden des ÖPNV: Als Nutznießende des ÖPNV werden jene Personen bezeichnet, die einen Vorteil aus der ÖPNV-Anbindung generieren, auch wenn sie diesen selbst ggf. gar nicht nutzen. Durch die Einbeziehung der Nutznießenden des ÖPNV in die ÖPNV-Finanzierung sollen die diesen Privat- oder juristischen Personen entstehenden Vorteile (so genannte „positive externe Effekte“) internalisiert werden. o Eigentümer*innen von Grundstücken und Immobilien: Eigentümer*innen profitieren von teilweise erheblichen Wertsteigerungen, wenn im Einzugsbereich ihrer Grundstücke oder Immobilien ÖPNV-Angebote bestehen, neu errichtet oder bestehende ÖPNV-Angebote ausgebaut oder aufgewertet werden. Zugleich sind sowohl das Land Berlin als auch die in Immobilien Investierenden darauf angewiesen, dass das ÖPNV-Angebot den Bedürfnissen der wachsenden Stadt entsprechend weiterentwickelt wird. Mehrere internationale Metropolen (z. B. London, Montréal) haben Modelle entwickelt und erfolgreich umgesetzt, die mit der Verbesserung des ÖPNV-Angebots verbundenen Wertsteigerungen teilweise für die 17/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Finanzierung dieser Infrastruktur verfügbar zu machen, auch ohne Eigentümer*innen von Bestandsimmobilien zu belasten („Land Value Capture“). o Beherbergungsgewerbe („Gäste-Ticket“): Einige Hotels bieten ihren Gästen bereits heute an, dass diese mit der Zimmerkarte ein Kombiticket zur Nutzung des lokalen ÖPNV erwerben können. Für Gäste in gewerblichen Übernachtungsbetrieben, insbesondere in Hotels, Hostels und Ferienwohnungen soll das Gäste-Ticket als verpflichtender Beitrag untersucht werden, die im Gegenzug einen Fahrausweis für Berlin AB beinhaltet. o Anpassung der bestehenden City-Tax: Bereits heute wird in Berlin eine Übernachtungssteuer, sog. City-Tax, erhoben. Es soll untersucht werden, inwieweit eine Anpassung dieser zum Zwecke der ÖPNV-Finanzierung erfolgen kann. o Unternehmen: Unternehmen profitieren von einer attraktiven ÖPNV-Erschließung insbesondere durch eine bessere Erreichbarkeit für Mitarbeitende, Geschäftspartner*innen sowie Kund*innen. Speziell für Unternehmen im Übernachtungs- und Veranstaltungsgewerbe stellt eine attraktive Anbindung an das ÖPNV-Netz ein wesentliches Standortkriterium dar. Denkbar ist, diesen Nutzen durch eine Abgabe zu internalisieren und hierfür – im Gegenzug – je nach Ausgestaltung den Mitarbeitenden, Geschäftspartner*innen oder Gästen die sehr stark vergünstigte oder unentgeltliche Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen. • City-Maut: Die Nutzer*innen des MIV profitieren indirekt von einem attraktiven ÖPNV, wenn Verlagerungseffekte zu geringerer Verkehrsdichte, weniger Staus und einer besseren Verfügbarkeit von Parkplätzen führen. Es ist zu prüfen, inwiefern der Vorteil dieser Verlagerungseffekte durch geeignete Finanzierungsformen abgeschöpft werden kann. • Parkraumbewirtschaftung: Der Umgang mit Parkraum ist eine wesentliche Weichenstellung der kommunalen Verkehrspolitik. Je nach dem Umfang der für das Parken verfügbaren Stellplätze und deren etwaiger Bepreisung über Gebühren entsteht ein unterschiedlich hoher Anreiz, den eigenen PKW zu nutzen. Ähnlich wie bei der City-Maut lässt sich zudem anführen, dass auch ein gut ausgebauter ÖPNV zu einer besseren Verfügbarkeit von Parkplätzen führen kann. Es ist daher zu prüfen, ob Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung geeignet sind, als zusätzliche Finanzierungsform des ÖPNV herangezogen zu werden. Im Rahmen der zu erstellenden Machbarkeitsstudie wird vor diesem Hintergrund interdisziplinär untersucht, ob und wie die ÖPNV-Finanzierung im Land Berlin durch die vorstehenden Instrumente erweitert werden kann. Gegenstand dieser Stellungnahme ist eine rechtliche Bewertung der Umsetzbarkeit neuer Finanzierungsinstrumente im bestehenden Rechtsrahmen sowie unter Berücksichtigung gesetzlicher Anpassungsoptionen (insbesondere auf Landesebene). 18/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 3 UMLAGEFINANZIERUNG 3.1 Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) Die Einführung einer ÖPNV-Umlage könnte im Wege eines Beitrags erfolgen. Der Beitrag als Vorzugslast dient der vollen oder teilweisen Deckung der Kosten einer öffentlichen Einrichtung, die von denjenigen erhoben werden, denen die Einrichtung einen besonderen Vorteil gewährt. 1 Hierbei genügt bereits die potentielle Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung oder Einrichtung. 2 Für eine Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag, der alle Bürger*innen betrifft – mithin alle, die in Berlin gemeldet sind – bedarf es einer neuen gesetzlichen Grundlage, da Beitragsschuldner*innen nach § 10 Abs. 3 GebBtrG Berlin nur Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibende sein können. Dies kann entweder durch eine Ergänzung des GebBtrG (etwa die Erstreckung des möglichen Kreises der Beitragspflichtigen auf sonstige Personen, denen durch eine öffentliche Einrichtung ein Vorteil erwächst) oder durch die Verabschiedung eines Gesetzes mit einer konkreten Bestimmung für den allgemeinen ÖPNV-Beitrag erfolgen. 3.2 Gesetzgebungskompetenz des Landes Für die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags besitzt das Land die Gesetzgebungskompetenz. Für nichtsteuerliche Abgaben ist die Kompetenz von der jeweiligen Sachmaterie umfasst und richtet sich nicht nach Art. 105 ff. GG.3 Der ÖPNV ist Teil des Kraftfahrtwesens nach Art. 74 Nr. 22 GG und unterliegt somit der konkurrierenden Gesetzgebung.4 Den Ländern steht damit die Befugnis zur Gesetzgebung zu, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat, Art. 72 Abs. 1 GG. Der Bund hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und die Rahmenbedingungen für Planung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV im Regionalisierungsgesetz (RegG) geregelt.5 In § 1 RegG ist festgelegt, dass die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist und dass die Stellen, die diese Aufgabe wahrnehmen, durch Landesrecht bestimmt werden. Die Länder haben Regelungen hierzu in den ÖPNV-Gesetzen erlassen – in Berlin regelt das Mobilitätsgesetz6 (MobG) die Ausgestaltung und Finanzierung des ÖPNV. Nach § 27 Abs. 1 MobG ist das Land Berlin der Aufgabenträger für den gesamten ÖPNV. Die Zuständigkeit für die Beitragserhebung folgt aus der Äquivalenz von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung.7 1 BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10. 2 BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10; BVerfG, Urteil v. 06.07.2005 – 2 BvR 2335/95 u. 2391/95. 3 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17. 4 Ebenso Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 268/12, 10.12.2012, Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), S. 4; Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 255. 5 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 268/12, 10.12.2012, Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen 10.12.2012, Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), S. 4. 6 Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2018, S. 464. 7 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 268/12, Personennahverkehr (ÖPNV), S. 8, 10. 19/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 3.3 Materielle Voraussetzungen 3.3.1 Belastungsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG Die Ausgestaltung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) muss den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Gleichheitssatz, genügen. Dieser gebietet es, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln – woraus zunächst folgt, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist.8 Für das Abgabenrecht folgt daraus der Grundsatz der Belastungsgleichheit. Zur Wahrung dieses Grundsatzes bedarf es bei nichtsteuerlichen Abgaben eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes. Der Rechtfertigungsgrund muss eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglichen sowie der Belastungsgleichheit Rechnung tragen. Neben den Zwecken des Vorteilsausgleichs und der Kostendeckung können auch soziale Zwecke und Zwecke der Verhaltenslenkung die Vorzugslast rechtfertigen. 9 Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist dabei sowohl für die Anknüpfung des allgemeinen ÖPNVBeitrags (Bürger*innenticket), also die Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen und damit auch für evtl. Ausnahmen hiervon, von Bedeutung, möglicherweise aber auch für die Ausgestaltung desselben, d. h. für die Bestimmung der Beitragshöhe. a) Vorteil Der besondere Vorteil, der, anders als bei den gegenleistungsunabhängig erhobenen Steuern, notwendig vorliegen muss, liegt hier in der Möglichkeit der – je nach Ausgestaltung – erleichterten ÖPNV-Nutzung. Da ein Vorteil erst dann angenommen werden kann, wenn die Inanspruchnahme auch tatsächlich möglich ist, wird dies zum Teil auch als Kriterium der Leistungsfähigkeit bezeichnet.10 Das heißt, die öffentliche Einrichtung muss leistungsfähig sein. Zur Beurteilung der Frage, ob eine hierfür angemessene Verkehrsbedienung sichergestellt ist, wird zum Teil darauf abgestellt, ob der ÖPNV als Äquivalent zum MIV im innergebietlichen Verkehr angesehen werden kann, wobei insbesondere auf die zeitliche Flexibilität und die räumliche Erreichbarkeit abgestellt wird.11 Das bedeutet: Für die Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen, hier alle Bürger*innen des Landes Berlin, etwa ab einem bestimmten Lebensalter, dürfte vermutlich nicht allein auf die abstrakte Möglichkeit der Nutzung des ÖPNV innerhalb der Landesgrenzen abgestellt werden, sondern dürfte es erforderlich sein, wenn auch mit einem gewissen Maß notwendiger Pauschalierung, festzustellen, dass die Möglichkeit der (kostenlosen, teilweise kostenlosen oder kostenermäßigten) Nutzung des ÖPNV einen tatsächlichen Vorteil darstellt. 8 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. A 2016, Art. 3 Rn. 8 m.w.N. 9 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17. 10 Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 191 f., 225 ff., die z.T. die rechtlichen Wertungen des Anschluss- und Benutzungszwangs für den ÖPNV-Beitrag heranzieht. 11 Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 225 ff. 20/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Hier ist auf verkehrswirtschaftliche Untersuchungen abzustellen, in welchem Umfang, in einem großstädtisch verdichteten Raum wie Berlin, der ÖPNV als alltägliches Verkehrsmittel tatsächlich zu Verfügung steht und bei objektiver Betrachtung eine realistische Alternative zum MIV darstellt. Hier sind Gesichtspunkte wie die Entfernung des Wohnortes der Betroffenen von der nächsten Haltestelle und die Bedienhäufigkeit etc. einzubeziehen. Hierbei könnte auf die heute schon angewandten Standards des Nahverkehrsplans (NVP) zurückgegriffen werden, insbesondere den Erschließungsstandard. Danach gelten alle Berliner Siedlungsflächen als vom ÖPNV erschlossen, wenn der Abstand zur nächstgelegenen Haltestelle, an der im Tagesverkehr mindestens ein 20-Minuten-Takt und im Nachverkehr mindestens ein 30-Minuten-Takt angeboten wird und im Tagesverkehr 400 Meter bei hoher Nutzungsdichte bzw. 500 Meter bei niedriger nicht überschreitet.12 Dieser Erschließungsstandard ist derzeit für 96,1 % der Gesamtbevölkerung erfüllt. Die Zielwerte für die Erschließung liegen im Tagverkehr bei 300 Meter Haltestellenabstand bei hoher Nutzungsdichte und 400 Meter bei niedriger Nutzungsdichte, im Nachtverkehr bei 400 Meter bzw. 500 Meter. (vgl. auch Abbildung 12).13 Nicht erforderlich ist dabei eine jeweilige Anknüpfung an individuell-konkrete Verhältnisse eines*einer Beitragsunterworfenen. So lässt etwa die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anstelle eines „Wirklichkeitsmaßstabes“ auch einen „Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ zu, wenn es um die Bestimmung eines tatsächlichen Vorteils, hier in der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Leistung, geht.14 In bestimmten typisierbaren Einzelfällen ist freilich an Ausnahmen von der generellen Beitragspflicht zu denken, notfalls auch über Befreiungsverfahren. Erst recht kommt es nicht auf die tatsächliche Nutzung an15, denn dies unterscheidet den Beitrag bereits von der Gebühr. Erforderlich ist allein die realistische Möglichkeit der Nutzung. 16 Es kommt nicht einmal drauf an, ob, was gegenwärtig für den ÖPNV in Berlin ggf. sogar bejaht werden könnte, die Nutzungsmöglichkeit weitgehend in Anspruch genommen wird.17 Die genaue Abgrenzung muss anhand einer tatsachenbasierten Bestimmung des Vorteils vorgenommen werden. b) Individuell-konkrete Zurechnung Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Insbesondere lässt sich die erforderliche individuelle Zurechenbarkeit aus der rechtlichen oder tatsächlichen Sachherrschaft oder -nähe und der damit einhergehenden Möglichkeit herleiten, aus der Sache konkrete Vorteile oder Nutzen zu ziehen. 18 Dabei darf der Sondervorteil, dessen mögliche Inanspruchnahme durch die Beitragserhebung ausgeglichen werden soll, nicht in einer Weise aufgelöst werden, dass Beitragspflichtige keinen 12 Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.2. 13 Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.2. 14 S. etwa BVerfG, Urt. v. 4.2.2009,1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, Rn. 59 - Spielgerätesteuer Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17., Rn. 88 – Rundfunkbeitrag. 15 S. nur BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76 m.w.N. zur vorangegangen Rspr. 16 S. nur BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76. 17 S. nur BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76, 82 (ausdrücklich gegen BVerwGE 154, 275 (285). 18 BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10. 21/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV größeren Vorteil aus der möglichen Inanspruchnahme haben als die nichtbeitragspflichtige Allgemeinheit.19 Bei der Ausgestaltung in Form des Modells Freifahrt 24h können die Beitragspflichtigen den ÖPNV ohne Fahrschein ganztägig nutzen – womit der Vorteil in der ganztägigen Fahrtberechtigung liegt. Insgesamt wird daher zwischen Beitragspflichtigen und Nicht-Beitragspflichtigen differenziert. Beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) steht den Beitragspflichtigen die fahrscheinlose Nutzungsmöglichkeit nur außerhalb eines als Rush Hour festgelegten Zeitrahmens zu. Je nach Ausgestaltung könnte ein für die Rush Hour angebotener ermäßigter Ticketpreis ebenso als Vorteil zu sehen sein. Mit der Herauslösung der Rush Hour aus dem fahrscheinlosen Angebot verringert sich jedoch der verbleibende Vorteil, was im Rahmen der Vorteilsberechnung zu berücksichtigen ist. Denn auch bei einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab müsste vermutlich festgestellt werden, dass ein Großteil der berufstätigen oder im Studium/der Ausbildung befindlichen Bevölkerung maßgebliche Verkehrsbedürfnisse jedenfalls auch in der Hauptverkehrszeit befriedigen muss. In dem letzten zu untersuchenden Modell – Modell BahnCard – liegt der Vorteil in der zeitlich unbeschränkten Möglichkeit eines ermäßigten Ticketerwerbs. Da auch in dieser Ausgestaltung noch ein Ticket zu lösen ist, ist der verringerte Vorteil bei der Beitragsberechnung ebenso zu berücksichtigen, wie beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak). Der Vorteil ist hier greifbarer als beim Modell Freifahrt 21h, da dieser unabhängig vom zeitlichen Verkehrsverhalten der Person monetär zu beziffern ist. Ein individuell-konkreter Vorteil würde dann nicht mehr vorliegen, wenn auch nicht der Beitragspflicht unterliegende Besucher*innen Berlins – mithin die Allgemeinheit – die in den oben genannten Ausgestaltungen enthaltenen Vorteile in Anspruch nehmen könnten. c) aa) Kapazitätsengpässe Problemverortung Ebenso ist die Frage zu erörtern, ob trotz Vorliegens der oben (vgl. Kap. 3.3.1 a)) genannten objektiven Anbindungs- und Taktkriterien tatsächlich noch von der Möglichkeit eines Vorteils gesprochen werden kann, wenn vermehrt Beitragspflichtige den ÖPNV nutzen würden und dieser dadurch zeitweise an seine Kapazitätsgrenzen gelangte. Zwar ist es auch heute schon das Ziel, alle an einer Haltestelle wartenden Fahrgäste zu befördern20, die Frage ist jedoch insofern relevant, als der ÖPNV in Teilen des Systems die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht, insbesondere bei hoher Nachfrage und starkem Verkehrsaufkommen.21 Das BVerfG führt in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag aus, dass für Beitragspflichtige eine realistische Möglichkeit zur Nutzung der öffentlichen Leistung bestehen muss – die beim Rundfunkbeitrag gewahrt sei, da bei Vorhandensein geeigneter Empfangsgeräte jederzeit das Angebot abgerufen werden könnte.22 19 BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10. 20 Vgl. Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.2.4.2.3. 21 Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel I.3, VI.2. 22 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76. 22/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV bb) Rechtliche Einordnung In Hinblick auf die Ausgestaltung in Form des ermäßigten Ticketerwerbs (Modell BahnCard) mag sich dies als weniger problematisch darstellen, da der ermäßigte Zeitkartenerwerb weiterhin möglich ist und der Vorteil nur mittelbar an die Nutzung selbst anknüpft. Relevanter erscheint dies bei den weiteren Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket), wobei sich die Frage beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) in tatsächlicher Hinsicht – je nach tatsächlichem Anstieg der Nutzung – weniger dringend stellen könnte, da die Rush Hour von vornherein ausgenommen ist. Ungeachtet der Frage, ob es tatsächlich zu einem solchen, die Kapazitäten erreichenden Zuwachs kommen würde, könnte argumentiert werden, dass nicht jede Verzögerung zu einem Wegfall der Nutzungsmöglichkeit per se führt. Andernfalls müsste man auch bei wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen, bei denen der Vorteil in Form der besseren Erreichbarkeit der beitragspflichtigen Grundstücke Gesamtverkehrssystems und dessen Verbesserung liegt23 und der besseren Nutzbarkeit des – die Frage stellen, ob das Vorliegen eines morgendlichen Staus auf den betroffenen Straßen zu einem Wegfall des Vorteils und damit der Beitragspflicht führt. Allenfalls könnten Kapazitätsprobleme den Umfang des Vorteils schmälern, führen aber, wenn sie sie nicht so massiv auftreten, dass eine Nutzung des ÖPNV zu gewissen Zeiten praktisch unmöglich ist, nicht zu einem gänzlichen Wegfall des Vorteils. Auch hier lässt sich, wie oben (unter a)) angedeutet, möglicherweise die Rechtsprechung des BVerfG heranziehen, wonach anstelle eines Wirklichkeitsmaßstabes ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausreicht. Dies könnte auch für die Frage an Bedeutung gewinnen, ob der Gesetzgeber bei Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags davon ausgehen muss, dass sämtliche Beitragsschuldner*innen sofort einen Umstieg vom MIV auf den ÖPNV vornehmen und der Vorteil dann anhand dieser theoretisch berechneten Nachfragesteigerung und der hierdurch ausgelösten Kapazitätsprobleme zu ermitteln ist. Zieht man die oben (vgl. Kap. 3.3.1 a)) bereits unter dem Aspekt der Leistungsfähigkeit (der öffentlichen Einrichtung) erwähnte Parallele zum MIV, erscheint die Wertung konsistent. Danach stellt die ÖPNV-Nutzungsmöglichkeit dann einen Vorteil dar bzw. liegt Leistungsfähigkeit vor, wenn sie als ein Äquivalent zum MIV angesehen werden kann. Da auch der MIV Staus unterliegt, scheinen geringe Verzögerungen in der ÖPNV-Abwicklung hinnehmbar. Ebenso könnten derartige, den Vorteil kurzfristig beeinträchtigende Verzögerungen im Rahmen der Beitragsbemessung berücksichtigt werden. Insgesamt wird der Instandhaltung und dem Ausbau des ÖPNV eine zentrale Rolle im Rahmen des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) zukommen, da nur ein leistungsfähiger ÖPNV zur (dauerhaften) Heranziehung des Beitrages berechtigt – was bei steigenden Fahrgastzahlen mit einer Weiterentwicklung einhergeht. Dieser Betrachtung wird das Gesetz in § 26 Abs. 2 Satz 2 MobG gerecht, das bereits eine Entwicklung des Strecken- und Liniennetzes, unter Beachtung der längerfristigen Mobilitätsentwicklung, insbesondere auch der Anforderungen der vorhandenen und potenziellen Fahrgäste, vorsieht. 23 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10. 23/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV d) In Beitragsschuldner*innen allen Ausgestaltungsmöglichkeiten sollen die Bürger*innen Berlins der Beitragspflicht unterliegen. Allein die Weite dieses Personenkreises steht der rechtlichen Einordnung als Beitrag nicht entgegen. Es kann also nicht aus der bloßen Weite des Kreises der Beitragspflichtigen dem Beitrag die Qualifikation als solcher abgesprochen und eine Steuerähnlichkeit behauptet werden. Denn dies würde den Umstand geringschätzen, dass es im Falle der Steuer gerade an einer konkreten Gegenleistung fehlt. Das BVerfG führte in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag diesbezüglich aus, dass gar alle Bürger*innen zu Beiträgen herangezogen werden können, sofern ihnen jeweils ein individuell-konkreter Vorteil zugerechnet werden kann.24 Unter Zugrundelegung des bereits in Kap. 3.3.1 a) genannten objektiven Kriteriums der Leistungsfähigkeit erscheint es – je nach Bewertungsmaßstab für das Kriterium – möglich, dass allen in Berlin gemeldeten Personen der Vorteil in Form der Nutzungsmöglichkeit zur Verfügung steht. aa) Zweitwohnungsinhaber*innen Zunächst wirft das Urteil zum Rundfunkbeitrag die Frage auf, ob auch Berliner*innen erfasst sind, die lediglich ihren Zweitwohnsitz in Berlin und ihren Erstwohnsitz in einem anderen Bundesland haben. Das BVerfG sieht es als unzulässig an, wenn Zweitwohnungsinhaber*innen für denselben Vorteil doppelt herangezogen werden, es führt dazu aus: „Der Vorteil ist personenbezogen in dem Sinne, dass es auf denjenigen Vorteil aus dem Rundfunkempfang ankommt, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen können […]. Das Rundfunkangebot kann aber von einer Person auch in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden. Das Innehaben weiterer Wohnungen erhöht den Vorteil der Möglichkeit zur privaten Rundfunknutzung nicht […]. […] Da der durch den Beitrag abgeschöpfte Vorteil nicht in einer Wertsteigerung der Wohnung liegt […], erhöht sich der Vorteil der Möglichkeit des Rundfunkempfangs durch die Nutzung einer weiteren Wohnung nicht. Nach der derzeitigen Regelung ist mit der Heranziehung einer Person in der Erstwohnung der Vorteil abgeschöpft, und kommt insoweit eine erneute Heranziehung einer Zweitwohnung nicht in Betracht.“25 In Bezug auf den allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) lässt sich festhalten, dass es wesentliche Unterschiede zum Rundfunkbeitrag gibt. Zwar kann der Vorteil nur genutzt werden, wenn die beitragspflichtige Person in der Stadt ist, jedoch wäre der Vorteil – selbst, wenn am Ort des Erstwohnsitzes auch ein ÖPNV-Beitrag erhoben werden würde oder reguläre Fahrpreise zu entrichten wären – nicht durch die Heranziehung zum Beitrag am Ort des Erstwohnsitzes abgeschöpft, denn am Zweitwohnsitz bestünde ja gerade die Nutzungsmöglichkeit, die nicht mit derjenigen am Erstwohnsitz in eins fällt oder abgegolten wäre. Es handelt sich diesbezüglich um zwei unterschiedliche Vorteile, die jeweils die (ggf. aus Gründen der Vorteilsgerechtigkeit preisreduzierte) Nutzungsmöglichkeit des räumlich-begrenzten Tarifverbundes ermöglichen. Insofern erhöht das Innehaben der weiteren Wohnung den Vorteil der Nutzungsmöglichkeit. 24 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 67; BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10, Rn. 52. 25 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 107. 24/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV bb) Weitere Konkretisierung und soziale Staffelung Sowohl bei der Auswahl der Schuldner*innen als auch bei der Bemessung der Beitragshöhe (dazu e) bb)) stellt sich die Frage nach der sozialen Ausgestaltung des Beitrages. Dies betrifft zum einen den Umgang mit bereits nach geltender Rechtslage privilegierten Nutzergruppen sowie zum anderen die Möglichkeit weiterer Privilegierungen im Rahmen der Beitragsausgestaltung. Hinsichtlich der Heranziehung als Beitragsschuldner*in lässt sich feststellen, dass mehrere Kriterien zur Konkretisierung herangezogen werden können. Zum Teil werden Ansätze diskutiert, nach denen die Zahlungspflicht auf bestimmte Altersgruppen (z. B. alle über 18 Jahren oder alle zwischen 18 und 65 Jahren) oder Personengruppen mit bestimmten Einkommen beschränkt wird. 26 Zieht man die Parallele zum Rundfunkbeitrag, so ist festzustellen, dass § 4 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBeitrStV) mehrere Befreiungs- bzw. Ermäßigungstatbestände enthält. Befreit sind z.B. Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Empfänger*innen von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Eine ähnliche, katalogähnliche, Ausgestaltung wäre auch im Rahmen eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) denkbar. Der Nachteil einer Heranziehung allein Anhand des Alters liegt in der Benachteiligung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen. Im Ergebnis wird daher eine Kombination der beiden genannten Ansätze in Form der Beitragsstaffelung nach Alters- und Einkommensaspekten befürwortet, da so der Nachteil einer Heranziehung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen abgemildert werden könnte.27 Ausgenommen sind Personen, bei denen bereits höherrangiges (Bundes-)Recht eine unentgeltliche Beförderung vorsieht.28 So sieht das Bundesrecht in § 228 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) z.B. die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen vor, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind. Da sich die Erstattung der Fahrgeldausfälle an den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen 29 orientiert und die Zumutbarkeit des Eingriffs in das Recht der freien Berufsausübung, der aus der Verpflichtung zur unentgeltlichen Mitnahme resultiert, nur aufgrund der Koppelung mit einem Erstattungsanspruch gegeben ist, ist jedoch im Rahmen der Umsetzung eine Ausgleichslösung zu finden. Eine neue Ausgleichslösung erscheint notwendig, da ein Beitrag wohl nicht als Fahrgeldeinnahme anzusehen ist. Dabei handelt es sich jedoch eher um eine Frage der Umsetzung, als um eine Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit. Allgemein wird dafür plädiert, die bestehenden Befreiungen auch im Rahmen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) bestehen zu lassen.30 26 Vgl. Maaß/Waluga/Weyland, Grundlagen- und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin, Endbericht des Hamburg Instituts für die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, 2015, S. 49 f. 27 So auch: Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 232; Maaß/Waluga/Weyland, Grundlagen- und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin, Endbericht des Hamburg Instituts für die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, 2015, S. 50. 28 Vgl. z.B. § 228 Abs. 1 SGB IX für schwerbehinderte Menschen. 29 Vgl. dazu § 231 Abs. 2 SGB IX: Fahrgeldeinnahmen im Sinne dieses Kapitels sind alle Erträge aus dem Fahrkartenverkauf. Sie umfassen auch Erträge aus der Beförderung von Handgepäck, Krankenfahrstühlen, sonstigen orthopädischen Hilfsmitteln, Tieren sowie aus erhöhten Beförderungsentgelten. 30 Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 232. 25/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Ebenso sind diejenigen Bürger*innen nicht erfasst, bei denen schon eine realistische Nutzungsmöglichkeit nicht besteht, z. B. Bettlägerigen. Das BVerfG hat hinsichtlich der Befreiung von Zweitwohnungsinhaber*innen im Rahmen des Rundfunkbeitrages zugelassen, dass diese auf Antrag befreit werden können, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. 31 Da im Beispielsfall noch weniger Daten zur Verfügung stehen als im Falle einer Zweitwohnung, erscheint eine Befreiung auf Antrag sachgemäß. e) Beitragshöhe Auch bei der Bemessung der Beitragshöhe sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen einzuhalten, wobei einzelne der insbesondere aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Grundsätze auch einfachrechtlichen Niederschlag im GebBtrG gefunden haben. aa) Verwendungszweck und Grundprinzipien des Gebühren- und Beitragsrechts Die Beitragserhebung darf nur für die im Gesetz zu benennenden Zwecke stattfinden 32 - im Bereich des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) also zur funktionsgerechten Ausstattung des ÖPNV. Darüber hinaus gilt im Bereich des Beitrages das Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass der erhobene Beitrag nicht im Missverhältnis zu dem Vorteil stehen darf, den er abgelten soll. 33 Das Prinzip spiegelt sich auch in § 8 Abs. 5 GebBtrG wider, wonach die Höhe des Beitrages nach den durch die Anlage begründeten Vorteilen zu bemessen ist. Auch, wenn der allgemeine ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) einer neuen gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. Kap. 3.1), ist das Prinzip gleichwohl heranzuziehen, da es einen verfassungsrechtlichen - mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Belastungsgleichheit - Gehalt aufweist. Der Vorteil bei einem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) liegt, wie bereits ausgeführt, in der fahrscheinlosen Nutzungsmöglichkeit des ÖPNV. Der Wert dieser Möglichkeit entspricht dem Wert einer derzeit käuflichen Monatskarte in dem Geltungsbereich des Nutzungsrechts.34 Für das Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) könnte der Wert des derzeit zu erwerbenden 10-Uhr-Tickets ein Maßstab sein. Bei der Ausgestaltung in Form des preisreduzierten Ticketerwerbs – Modell BahnCard – fehlt eine solch naheliegende Bezugsgröße – eventuell ließe sich hier jedoch mit den bereits vorhandenen Ermäßigungen ein Maßstab finden. Da jedoch mit dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) nur ein Teil der ÖPNV-Kosten gedeckt werden soll und der Vorteil insofern über die Beitragshöhe hinausgeht, ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips ohnedies nicht zu erwarten. Ebenso ist das Kostendeckungsprinzip zu beachten, das einerseits ein Kostendeckungsgebot und andererseits ein Kostenüberschreitungsverbot umfasst.35 Für den allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) bedeutet dies, dass das Beitragsaufkommen nicht die tatsächlich entstehenden Kosten überschreiten darf. Wenn dieser Beitrag im Rahmen einer vollständigen 31 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 111. 32 BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 96. 33 BVerwG, Beschluss vom 21.09.2001 – 9 B 51/01. 34 So Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 237. 35 Schönenbroicher, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, D Rn. 591. 26/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Umlage – die neben der staatlichen Grundfinanzierung erhoben wird – allein die bisherigen Fahrscheinerlöse der Berliner*innen ersetzt, liegt keine Verletzung des Prinzips vor. bb) Senkung und Staffelung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) Der allgemeine ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) darf keine unzumutbare Belastung für die Beitragspflichtigen darstellen, die den ÖPNV nicht nutzen wollen. Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zum Semesterticket für die Frage der Zumutbarkeit auf den einem Studierenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehenden monatlichen Bedarfssatz als Vergleichsgröße abgestellt.36 Ebenso führte das Gericht aus, dass ergänzend zu dieser quantitativen Betrachtung nachrangig eine Reihe qualitativer Faktoren, wie verbesserte örtliche Umweltbedingungen und eine Entspannung der Parkplatzsituation in Folge der ÖPNVNutzung, zu berücksichtigen seien.37 Zum Teil werden diese Grundsätze auf die Bemessung eines ÖPNV-Beitrages übertragen und als Vergleichsgröße auf das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt abgestellt, wobei ein Prozentsatz von 1 bis 1,5 Prozent vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen als zumutbar angesehen wird.38 Für einen ermäßigten ÖPNV-Beitrag wird die Orientierung am BAföG-Satz (inkl. Wohnpauschale sowie Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag) bzw. an Regelbedarfssätzen diskutiert39, wobei sowohl beim regulären als auch beim ermäßigten Beitragssatz ein günstigerer Satz herauskommt, als beim Erwerb eines Monatstickets.40 Das Äquivalenzprinzip ist danach gewahrt. Ebenso sind weitere Ermäßigungen denkbar. Derzeit sind Fahrscheine für Auszubildende und Schüler*innen oft ermäßigt sind. Da Schüler*innen über kein Einkommen verfügen, erscheint, sofern ein Pro-Kopf-Maßstab gewählt wird, eine Befreiung sinnvoll (vgl. auch d) bb)), für Auszubildende eine Ermäßigung. Dabei müsste jedoch in jedem Fall die bundesrechtliche Pflicht nach § 45a Personenbeförderungsgesetz (PBefG) berücksichtigt werden. Ebenso könnte man über eine besondere Bemessung für Senior*innen nachdenken und auf die durchschnittlich gewährte Rente abstellen. Eine weitere Ausdifferenzierung könnte anhand der bereits existierenden Tarifzonen erfolgen (A/BBereich). Dafür könnte sprechen, dass – bei Betrachtung des für die Gebührenhöhe maßgeblichen Vorteils – dieser im A-Bereich größer sein könnte als im B-Bereich, da in diesem, durch ein Zusammentreffen mehrerer Linien, eine bessere Anbindung erreicht wird. Andererseits legt die im B-Bereich wohnende Person ggf. größere Strecken zurück, um insbesondere in die innerstädtischen Bezirke zu gelangen, wo sich ggf. der Arbeitsplatz sowie kulturelle Einrichtungen etc. befinden, so dass insoweit möglicherweise auch von einem größeren Vorteil gesprochen werden könnte. Zwar findet eine derartige Differenzierung im Bereich der jetzt zu kaufenden Monatskarten nicht statt – die für den A/B- oder den B/C-Bereich gekauft werden können, jedoch unterliegen diese Fahrscheine auch nicht dem Erfordernis einer Bemessung anhand eines konkret-individuellen Vorteils. 36 BVerwG, Urteil vom 12.05.1999 – 6 C 14.98 = BVerwGE, 109, 97, 113 f., der Beitrag von monatlich 14 DM wurde angesichts eines Bedarfssatzes von monatlich 865 DM als verhältnismäßig gering (ca. 1,6 %) und damit als zumutbar eingestuft. 37 BVerwG, Urteil vom 12.05.1999 – 6 C 14.98 = BVerwGE, 109, 97, 113 f. 38 So Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 233 ff. 39 Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 235 f. 40 Vgl. Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 237 f. 27/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Eine Orientierung könnte auch – jenseits der Orientierung an örtlichen Tarifzonen – anhand von Kriterien, wie z. B. Bedienungs- und Attraktivitätsstandards41 erfolgen. Angesichts des avisierten ÖPNV-Ausbaus in Berlin, könnte – parallel mit der damit einhergehenden Vorteilssteigerung – auch der Beitragssatz steigen. cc) Wiederkehrende Erhebung Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung steht dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) nicht entgegen. Nach diesem Grundsatz kann ein Beitrag nur einmal für dieselbe Leistung erhoben werden; die weitere Beitragsveranlagung setzt somit einen zusätzlichen Vorteil voraus.42 Dass eine wiederkehrende Beitragserhebung zulässig ist, hat das BVerfG in seiner Entscheidung zu wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen entschieden.43 Da vorliegend der Vorteil, die Möglichkeit der – beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) zeitlich eingeschränkten – fahrscheinlosen ÖPNV-Nutzung bzw. des preisreduzierten Ticketerwerbs (Modell BahnCard), jeden Monat neu zur Verfügung steht, lässt sich feststellen, dass eine wiederkehrende Erhebung möglich ist. f) ÖPNV als öffentliche Einrichtung Bei dem ÖPNV handelt es sich letztlich auch um eine öffentliche Einrichtung für deren Unterhaltung ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) erhoben werden kann. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung umfasst Einrichtungen, mit denen die Gemeinde die ihr zugewiesenen Aufgaben erfüllt - die Einrichtungen werden im Interesse der Allgemeinheit betrieben und stehen zur allgemeinen Benutzung offen.44 Wie bereits festgestellt erfüllt das Land Berlin mit dem ÖPNV die ihm nach § 1 RegG in Verbindung mit dem MobG obliegende Sicherstellung mit einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV. 3.3.2 Aspekte der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG Ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) würde keinen Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Das Grundrecht schützt die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne – womit jedes Tun und Lassen nach dem eigenen Willen, frei von staatlichem Zwang, verstanden wird.45 Somit ist auch die Freiheit geschützt, etwas nicht zu müssen, im Sinne eines Benutzungszwangs.46 Vorliegend besteht keine Pflicht zur Nutzung des ÖPNV, womit eine Verletzung ausscheidet.47 41 Vgl. zu diesen Kriterien: Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.3, III.1.5. 42 Vgl. Göppl, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, E Rn. 9. 43 BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10, Rn. 46 ff. 44 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 268/12, 10.12.2012, Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), S. 11. 45 Ständige Rechtsprechung seit BVerfG, Urteil v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – Elfes-Urteil; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 87. EL März 2019, Art. 2 Rn. 12. 46 Lang, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 41. Ed. 15.02.2019, Art. 2 Rn. 7. 47 Vgl. hierzu auch zum Rundfunkbeitrag: BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 135, das jedoch schon einen Eingriff verneint. 28/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Im Rahmen einer Beitragserhebung ist ebenfalls die Verhältnismäßigkeit zu wahren,48 was, je nach konkreter Ausgestaltung – wie bereits unter Kap. 3.3.1 e) aa) ausgeführt – möglich ist. 3.3.3 a) Europarechtliche Aspekte Beihilfenrecht Weiterhin stellt sich die Frage der Zulässigkeit des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) unter beihilferechtlichen Aspekten. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind als Anstalt öffentlichen Rechts im Rahmen der Daseinsvorsorge als sogenannter „interner Betreiber“ mit der Aufgabe des ÖPNV in Berlin betraut, während für den S-Bahn-Betrieb ein Vergabeverfahren durchgeführt wird. Beides erfolgte in Anwendung der Verordnung (EG) 1370/2007 im Einklang mit den Bestimmungen des EU-Beihilfenrechts. Im Rahmen des öffentlichen Personenverkehrs knüpft die Verordnung (EG) 1370/2007, die Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen enthält, an bestimmte Voraussetzungen an. Art. 2 lit. e) VO 1370/2007 definiert die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung als eine „[…] von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte“. Die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) wird mit der Verpflichtung der Verkehrsbetriebe einhergehen, die Beitragsschuldner*innen fahrscheinlos bzw. zu reduzierten Tarifen zu transportieren, was im Rahmen der Betrauung bzw. Vergabe zu berücksichtigen ist. Für die Verkehrsbetriebe handelt es sich – gemessen an der Definition – um eine (zusätzliche) gemeinwirtschaftliche Verpflichtung, da diese unter Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen49 eine Beförderung nicht ohne Gegenleistung anbieten würden. Insoweit müsste der Betrauungsakt, der der Indienstnahme des internen Betreibers zugrunde liegt, erweitert werden. Bei der Bemessung der Kompensation unterscheidet die Verordnung nach dem Zustandekommen der Verpflichtung. Bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens nach allgemeinem Vergaberecht geht die Verordnung davon aus, dass das Verfahren eine der Höhe nach angemessene – Überkompensierung vermeidende – Ausgleichsleistung sicherstellt, während im Rahmen der direkten Vergabe an einen internen Betreiber Art. 4 Abs. 1b Satz 2 und Art. 6 Abs. 1 Satz 2 VO 1370/2007 zu beachten sind.50 Danach darf die Ausgleichsleistung nicht den Betrag überschreiten, der erforderlich ist, um die finanziellen Nettoauswirkungen auf die Kosten und Einnahmen zu decken, die auf die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung zurückzuführen sind, wobei 48 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. A 2016, Art. 2 Rn. 27a. 49 Der nicht primär kommerzielle Daseinsvorsorgeauftrag der BVG (vgl. § 3 Abs. 1 S. 4 BerlBG) bliebe bei dieser abstrakt-generellen europarechtlichen Betrachtung notwendigerweise außer Betracht. 50 Núñez Müller, in: Säcker (Hrsg.), Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 5, 2. A. 2018, Teil 8 Sektoren, Rn. 642. 29/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV die vom Betreiber eines öffentlichen Dienstes erzielten und einbehaltenen Einnahmen und ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen sind. Die unmittelbare Nettoauswirkung wäre eine Senkung der Fahrgeldeinnahmen (Zeitkarten und Einzelfahrscheine) um einen erheblichen Betrag. Dieser müsste ausgeglichen werden. Ob dieser erhöhte Ausgleich aus Steuermitteln oder bei Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) teilweise aus Beiträgen finanziert würde, ist beihilfenrechtlich irrelevant, da es in jedem Fall um staatliche Mittel i.S. des Art. 106 Abs. 1 AEUV und um eine Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen i.S. des Art. 2 lit. g VO 1370/2007 handeln würde. Im Falle der S-Bahn würde eine Anpassung des entsprechenden Verkehrsvertrags jedenfalls im Hinblick auf die kostenlose Benutzung der S-Bahnen durch die Beitragspflichtigen nicht aus Gründen von Ausgleichsleistungen für die Betreiberin erforderlich sein. Denn nach Informationen durch die SenUVK wurde hier ein sog. „Brutto-Vertrag“ geschlossen, bei dem die Betreiberin (S-Bahn Berlin GmbH) kein Erlösrisiko trägt. Der Verzicht auf Fahrgeldeinnahmen durch Einführung eines Bürger*innentickets würde sich daher unmittelbar beim Land Berlin einstellen. Die Zahlung bliebe insoweit gleich und stiege nur bei Ausweitung des Verkehrsangebots. Beihilfenrechtliche Erwägungen stehen dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) somit nicht entgegen. b) Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV Eine Beitragseinführung wirft weitere europarechtliche Fragen auf, da das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV nicht nur Sachverhalte erfasst, die direkt an die Staatsbürgerschaft anknüpfen, sondern auch solche, die an ähnliche Merkmale – wie den Wohnsitz51 – anknüpfen.52 Bei diesem Merkmal wird angenommen, dass es sich eher auf Ausländer*innen als auf Inländer*innen auswirkt.53 Dabei ist es unerheblich, wenn gleichzeitig die weit überwiegende Mehrheit der Inländer*innen benachteiligt wird.54 Nach dem Konzept des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) in seinen drei Ausgestaltungsvarianten hätten die Beitragspflichtigen ein Recht auf kostenlose Nutzung des ÖPNV in Berlin über den ganzen Tag, oder in den Off-Peak-Zeiten oder zu ermäßigten Preisen. Die Nichtbeitragspflichtigen würden dagegen allgemeine Fahrpreise (Einzelfahrscheine oder Zeitkarten) zu zahlen haben, auch in den Off-Peak-Zeiten etwa ein (ermäßigtes) 10-Uhr-Ticket zu lösen haben oder generell die allgemeinen (nicht ermäßigten) Fahrpreise zu teilen haben, soweit sie nicht in anderer Weise Ermäßigungsansprüche haben. Hierzu könnten auch (neben Inländer*innen, die keinen Wohnsitz in Berlin haben) Angehörige aus anderen EU-Mitgliedsstaaten zählen. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob einer solchen Regelung das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus Artikel 18 AEUV entgegensteht. Es ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch Gründe einer dem Klimaschutz dienenden innovativen ÖPNV- 51 Vgl. EuGH, Urteil v. 16.01.2003 – Rs. C-388/01. 52 Allgemein dazu: Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. A. 2016, Art. 18 AEUV Rn. 12 f. 53 Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2017, Art. 18 AEUV Rn. 18 m.w.N. 54 EuGH, Urteil v. 14.06.2012 – Rs. C-542/09; EuGH, Urteil v. 16.01.2003 – Rs. C-388/01. 30/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Finanzierung als Rechtfertigung taugen. Die Umweltrechtfertigung ist jedoch im Bereich der Grundfreiheiten noch nicht so stark entwickelt, um eine vollständige Aussage treffen zu können. Die Rechtsprechung geht jedoch inzwischen davon aus, dass gerade mittelbare Diskriminierungen rechtfertigungsfähig sind.55 Zur Rechtfertigung können alle öffentlichen Interessen, nicht jedoch wirtschaftliche Gründe herangezogen werden – wobei stets die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.56 Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit ist zu empfehlen, die durch eine Beitragserhebung hervorgerufene Ungleichbehandlung aufzuheben. Dies könnte durch die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsunterwerfung auf Antrag geschehen. Nach positiver Bescheidung des Antrages dürften die Antragsteller*innen dieselben Vergünstigungen in Anspruch nehmen wie die in Berlin Gemeldeten. 3.4 Einziehung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags Weiterhin stellt sich die Frage, ob ein so ausgestalteter allgemeiner ÖPNV-Beitrag durch die Berliner Finanzämter eingezogen werden müsste oder ob die Einziehung durch andere Stellen, z.B. einen ÖPNV-Betreiber, erfolgen kann. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob – wenn ein ÖPNVBetreiber den allgemeinen ÖPNV-Beitrag einziehen kann – dieser weitergeleitet werden müsste. Betrachtet wird zunächst die BVG, welche als sog. interner Betreiber mit der Aufgabe des ÖPNV betraut ist. Begutachtet wird insofern allein die Frage des rechtlichen Dürfens bzgl. der Einziehung; Änderungen im (jeweiligen) Verhältnis BVG-VBB-Land Berlin, insbesondere bzgl. der nachfolgenden Mittelverteilung und -verwendung, gehen damit nicht einher. Die bereits bestehenden Aufgaben der BVG lassen sich § 3 Abs. 4 Berliner Betriebe-Gesetz entnehmen: „Aufgabe der BVG ist die Durchführung von öffentlichem Personennahverkehr für Berlin mit dem Ziel kostengünstiger und umweltfreundlicher Verkehrsbedienung sowie aller hiermit in technischem und wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Die BVG wird im Wesentlichen für das Land Berlin tätig.“ Der allgemeine ÖPNV-Beitrag wird gerade für den Vorteil der kostenlosen ÖPNV- Nutzungsmöglichkeit erhoben. Auch bei jetziger Gesetzeslage könnte man daher argumentieren, dass die Beitragserhebung mit der Verkehrsbedienung in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, womit eine Kompetenz angenommen werden könnte. Dagegen ließe sich jedoch einwenden, dass es sich vielmehr um einen rechtlichen Zusammenhang handele, der gerade nicht umfasst sei. Angesichts des Umfangs einer Beitragserhebung und der ohnehin notwendigen Gesetzesänderung erscheint es jedoch vorzugswürdig, sofern diese Art der Ausgestaltung favorisiert wird, eine Erhebungskompetenz der BVG ausdrücklich mit zu regeln, da sich Auslegungsschwierigkeiten auf diesem Wege vermeiden ließen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob die BVG den allgemeinen ÖPNV-Beitrag lediglich einzieht oder ob dieser auch bei ihr verbleiben könnte. Betrachtet man die Parallele zum Rundfunkbeitrag, 55 Vgl. EuGH Urteil v. 3.10.2000 – Rs. C-411/98; Allgemein zum Streitstand: Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Band I, 68. Ergänzungslieferung Oktober 2019, Art. 18 AEUV Rn. 20 ff. 56 Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. A. 2016, Art. 18 AEUV Rn. 38 f. 31/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV der von einem Beitragsservice, einer öffentlich-rechtlichen, nicht rechtsfähigen Gemeinschaftseinrichtung, erhoben und an die Landesrundfunkanstalten der ARD, das ZDF und das Deutschlandradio weitergeleitet wird,57 so zeigt dies, dass eine Einziehung möglich ist. Die BVG ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, was zunächst für eine Übertragbarkeit dieser Abwicklung spricht. Für eine Weiterleitung an das Land spricht im vorliegenden Fall, dass Berlin Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr und den übrigen Personennahverkehr ist und die ÖPNV-Beiträge nicht vollumfänglich bei der BVG verleiben, sondern auch weitergeleitet werden müssen. Insgesamt erscheint es daher möglich, durch Gesetzesänderung einen ÖPNV-Betreiber zur Einziehung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages zu ermächtigen. Diesen müsste dieser dann an das Land abführen. Dabei gilt es zu bedenken, dass – bei einer parallelen Ausgestaltung zum Rundfunkbeitrag – der*die ÖPNV-Betreiber*in dann auch für das Forderungsmanagement insgesamt zuständig wäre, also für die Eintreibung von Zahlungsrückständen.58 3.5 Zwischenergebnis Für die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages bedarf es einer neuen gesetzlichen Grundlage, für die das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Für eine Beitragserhebung muss anhand von noch zu bestimmenden Kriterien, wie z. B. räumlicher und zeitlicher Erreichbarkeit des ÖPNVs, ein individuell-konkreter Vorteil festgestellt werden. Ein hohes Aufkommen an Nutzer*innen, das zur zeitweisen Erreichung von Kapazitätsgrenzen führt, steht der Annahme eines Vorteils nicht per se entgegen. Als Beitragsschuldner*innen kommen alle in Berlin gemeldeten Personen in Betracht, wobei auf Antrag Befreiungen von der Beitragspflicht zu erteilen sind, wenn eine Nutzung faktisch nicht möglich ist (z. B. Bettlägerigkeit). Bisherige Befreiungen werden beibehalten. Im Rahmen der Beitragshöhe ist auf die Einhaltung des Äquivalenzprinzips zu achten, wobei im Rahmen der Zumutbarkeit der Beitragshöhe für den regulären Beitragssatz auf das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt und für den reduzierten Beitragssatz auf den BAföG-Satz abgestellt werden könnte. 57 Vgl. https://www.rundfunkbeitrag.de/der_rundfunkbeitrag/beitragsservice/index_ger.html; https://www.rundfunkbeitrag.de/impressum/index_ger.html (letzter Aufruf: 28.05.2020). 58 Vgl. zum Rundfunkbeitrag: ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice, Jahresbericht 2018, S. 20 f. 32/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 4 FINANZIERUNG DURCH NUTZNIEßER*INNEN DES ÖPNV Es stellt sich die Frage, ob die Finanzierung des ÖPNV auch durch Nutznießer*innen, die zwar nicht selbst aber abgeleitet aus der ÖPNV-Nutzung Dritter Vorteile erlangen, möglich ist. Auf Grundlage dieser Überlegung werden nachfolgend zwei Varianten der Umsetzung darstellt: • Einführung eines Beitrags für Nutznießer*innen wie Grundstückseigentümer*innen oder – nutzungsberechtigte, Gewerbebetriebe mit und ohne Arbeitgeberfunktion sowie Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes. • Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer für Beherbergungsbetriebe. Nachfolgend werden die beiden Instrumente getrennt dargestellt, da für Beiträge und Steuern finanzverfassungsrechtlich andere Voraussetzungen gelten. 4.1 Einführung eines Beitrags 4.1.1 Ausgangspunkt Als Nutznießende des ÖPNV werden jene Akteur*innen bezeichnet, die einen Vorteil aus der ÖPNVAnbindung generieren, auch wenn sie selbst dieses öffentliche Beförderungsangebot gar nicht nutzen. Vielmehr werden Nutznießer*innen als Finanzierungsverantwortliche betrachtet, weil sie aus der ÖPNV-Nutzung Dritter einen mittelbaren, abgeleiteten Vorteil erlangen, weshalb dieser Finanzierungsweg - etwas missverständlich – auch als „Drittnutzerfinanzierung“ bezeichnet wird. Tatsächlich werden aber in keiner Variante der Nutznießerfinanzierung Personen herangezogen, die selbst das ÖPNV-Angebot nutzen, sondern es geht um einen Zugriff auf geldwerte Vorteile, die aufgrund der Existenz eines attraktiven ÖPNV-Angebots gleichsam als Tatsachenreflex bei NichtNutzer*innen entstehen. Mit der Ausdehnung der Finanzierungsverantwortung auf solche Nutznießer*innen gelingt es, bisher brachliegende positive externe Effekte für die Deckung des ÖPNV-Aufwands zu erschließen. In Deutschland ist eine Nutznießerfinanzierung öffentlicher Personenbeförderungsleistungen noch nie in der Praxis realisiert worden. In anderen Ländern stellt sie dagegen eine wesentliche Komponente des Finanzierungssystems dar. So werden in Paris etwa 50 % des ÖPNVGesamtaufwands durch Nutznießerbeiträge abgedeckt; in Hong Kong sind es etwa 35 %.59 Als Nutznießer*innen des ÖPNV, deren Bevorteilung durch das System besonders naheliegt, kommen insbesondere drei Gruppen von Abgabenschuldner*innen in Betracht: 1. Grundstückseigentümer*innen oder -nutzungsberechtigte 2. Gewerbebetriebe mit und ohne Arbeitgeberfunktion 3. Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes. 59 CODATU, Qui paie quoi en matière de transport urbain, 2014, page 136. 33/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Bevor die rechtliche Zulässigkeit der Erhebung einer Nutznießerabgabe geprüft werden kann, ist zunächst der tatsächliche Bezugspunkt unserer rechtlichen Analyse klar herauszuarbeiten. Ausgangspunkt ist die Frage, was eine Nutznießerfinanzierung definiert und was sie von verwandten Kostenumlagevarianten unterscheidet. Unter den Begriff der Nutznießerfinanzierung werden je nach Definitionstoleranz oft recht verschiedenartige öffentlich-rechtliche Belastungsvarianten subsumiert. In der vorliegenden rechtlichen Untersuchung möchten wir uns in Abgrenzung zu den anderen hier beleuchteten Abgabenarten auf Nutznießerfinanzierungen im strengen Sinne konzentrieren. In ihrem engen Begriffsverständnis setzt die Nutznießerfinanzierung nur bei Personen an, die nicht selbst Vorteile aus eigener ÖPNV-Nutzung ziehen, sondern einen abgeleiteten Vorteil davon haben, dass andere Personen das gegebene ÖPNV-Angebot nutzen oder nutzen können. Es geht also um Abgabenschuldner*innen, die allein aufgrund ihrer sachlichen oder räumlichen Nähe zum öffentlichen Personenbeförderungsangebot und dessen unmittelbaren Leistungen für andere eine mittelbare Verbesserung ihrer eigenen Position erfahren. Auch die Nutznießerfinanzierung findet ihre Rechtfertigung also im Ausgleich für eine durch öffentliche Einrichtungen vermittelte Besserstellung der Abgabenschuldner*innen. Diese folgt aber nicht aus der eigenen Nutzung oder Nutzungsmöglichkeit jener Einrichtung, sondern ausschließlich aus der tatsächlichen Nutzung oder Nutzungsmöglichkeit Dritter. Darin erschöpft sich die Legitimation der Nutznießerfinanzierung. Es ist weder begrifflich noch rechtlich erforderlich, dass daneben für die realen ÖPNV-Nutzer*innen neue oder günstigere Bedingungen geschaffen werden. Die so definierte Form der reinen Nutznießerfinanzierung ist von Kombinationsangeboten abzugrenzen, die auf den ersten Blick ähnlich erscheinen. Solche Kombiangebote zeichnen sich dadurch aus, dass der*die Endverbraucher*in – der potenzielle Fahrgast – im Rahmen des Erwerbs eines anderweitigen Produktes gleichzeitig eine Fahrkarte für den ÖPNV erwirbt. Kombiangebote dieser Art findet man regelmäßig im Zusammenhang mit Großveranstaltungen, wie Konzerten, Fußballspielen usw., bei denen viele Menschen an einem Ort zusammen kommen. Die Eintrittskarte bietet den Kund*innen damit gleichzeitig die Möglichkeit, den ÖPNV an einem bestimmten Tag ohne weiteren Aufpreis zu nutzen. Die Fahrkarte stellt damit jedoch lediglich einen Annex zu dem eigentlich erworbenen Produkt dar. Diesen Annex erkauft sich der*die Endverbraucher*in üblicherweise mit einem, wenn auch geringeren als den üblichen Fahrpreis, erhobenen Aufpreis auf den Kaufpreis des gewünschten Produktes. Der*die Endverbraucher*in erwirbt zwar mittelbar nur eine Nutzungsmöglichkeit für den ÖPNV, es zahlt am Ende jedoch unmittelbar der*diejenige, der*die den Nutzen aus dem Angebot ziehen kann. Darin unterscheiden sich Kombiangebote grundlegend von der hier zu untersuchenden Nutznießerfinanzierung. Wenn man solche Kombinationsangebote, die nun gerade keine Form der Nutznießerfinanzierung darstellen, ausblendet, bleiben drei Archetypen echter Nutznießerfinanzierung, die nachfolgend auf ihre rechtliche Zulässigkeit hin untersucht werden sollen: 1. Grundstückseigentümerabgabe: Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der Gebrauchswertsteigerung von Grundstücken aufgrund Anbindung an das ÖPNV-Netz. 34/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 2. Gewerbebetriebsabgabe: Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der betriebsspezifischen kommerziellen Vorteile aufgrund Anbindung an das ÖPNV-Netz. 3. Übernachtungsgewerbeabgabe: Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der spezifischen kommerziellen Vorteile für Anbieter*innen gewerblicher Übernachtungsmöglichkeiten aufgrund Anbindung an das ÖPNV-Netz. Allen diesen potentiellen Abgabenschuldner*innen ist gemeinsam, dass ihnen aus der Anbindung ihrer Grundstücke oder Unternehmen an das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs mittelbarere Vorteil erwachsen, weil nämlich Dritte in die Lage versetzt werden, die entsprechenden Grundstücke oder Unternehmen einfacher und schneller zu erreichen. 4.1.2 Ausgestaltung als Beitrag Fraglich ist, mit welcher Abgabenart sich eine Nutznießerfinanzierung zielführend erreichen lässt. Ziel ist die Schaffung eines möglichst zweckgebundenen Finanzierungsinstrumentes zum Erhalt und Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes in Berlin. Dieses Ziel lässt sich durch eine Steuer grundsätzlich nicht erreichen. Der Begriff der Steuer ist im Grundgesetz nicht definiert. Das BVerfG legt für die Beschreibung einer Steuer jedoch in ständiger Rechtsprechung die Merkmale der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Abgabenordnung („AO“) zugrunde.60 Eine Steuer zeichnet sich gem. § 3 Abs. 1 AO dadurch aus, dass es sich um eine Geldleistung handelt, der keine Gegenleistung entgegensteht und die ohne weitere Spezifizierungen zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben wird. Steuern sind damit explizit nicht zweckgebunden. Eine Zweckbindung im Hinblick auf Finanzierung eines höheren ÖPNV-Standards könnte mit dem Mittel einer Steuer nur mittelbar erreicht werden, durch eine bindende Zuweisung in den jeweiligen Haushaltsgesetzen.61 Auch eine Gebühr scheidet als Finanzierungsinstrument für die zweckgerichtete Nutznießerfinanzierung des ÖPNV aus. Eine Gebühr wird gem. § 3 Abs. 1 GebBtrG als Gegenleistung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen sowie für damit im Zusammenhang stehende Leistungen erhoben. Die Nutznießerfinanzierung soll jedoch ihrem Sinn und Zweck nach ausschließlich den mittelbaren Vorteil abschöpfen, der nicht in der konkreten Nutzung des ÖPNV durch die Abgabenschuldner*innen besteht. Die Ausgestaltung der Nutznießerfinanzierung im Rahmen einer Gebühr kommt mithin auch nicht in Betracht. In Betracht kommt daher einzig die Ausgestaltung der Nutznießerfinanzierung in der hier untersuchten Form als Beitrag i. S. d. § 4 GebBtrG, wonach Beiträge zur Deckung der Kosten für die Herstellung und die Unterhaltung der durch ein öffentliches Interesse bedingten Anlagen von den Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibenden erhoben werden können, denen durch die 60 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 53. 61 BVerfG, Urt. v. 20.04.2019 – 1 BvR 1748/99, Ziff. C. II. 1.; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 53. 35/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Veranstaltung besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Die Belastung einer mittelbaren Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation von Drittbegünstigten erfüllt sowohl nach allgemeinem Finanzverfassungsrecht als auch spezifisch nach dem GebBtrG des Landes Berlin in exemplarischer Weise den Tatbestand eines Beitrags. Wesentlich für das Rechtsinstitut des Beitrags ist in der Diktion des BVerfG „… der Gedanke der Gegenleistung, also des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten …“, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Nutzung einer von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten Einrichtung.62 Legitime Anknüpfungspunkte für die Erhebung eines Beitrags sind daher auch mittelbare Vorteile, die sich im weitesten Sinne als wirtschaftlich beschreiben lassen (vgl. § 4 GebBtrG). § 10 Abs. 2 lit. c). Das GebBtrG erkennt für die Erhebung von Gebühren mittelbare Begünstigungen durch „… die Leistung einer Einrichtung …“ ausdrücklich an. Dies gilt erst recht für Beiträge, die nicht für aktive Nutzung erhoben werden, sondern als Ausgleich für die Entstehung von wirtschaftlichen Vorteilen jeder Art (vgl. §§ 4, 8 Abs. 5 GebBtrG). Somit kann gerade in Berlin die qualifizierte Anbindung eines Grundstücks oder eines unternehmerischen Betriebs an das öffentliche Personenbeförderungsangebot als beitragslegitimierender „… besondere[r] wirtschaftliche[r] Vorteil[e] …“ i. S. v. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG gelten. a) Gesetzgebungskompetenz Nach Art. 87 Abs. 1 der Berliner Landesverfassung bedarf jede Erhebung von Steuern oder Abgaben einer gesetzlichen Grundlage. Es gilt also ein strikter Gesetzesvorbehalt. Dies deckt sich mit dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass die Auferlegung einer Geldleistungspflicht stets einen hoheitlichen Eingriff in die Grundrechte der Beitragsschuldner*innen darstellt und aus diesem Grund immer einer gesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf.63 Die Zuständigkeit zum Erlass von Gesetzen über Beiträge und Gebühren richtet sich nicht nach den besonderen finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen der Art. 105 ff. GG, sondern nach den Kompetenzzuweisungen für die jeweilige Sachmaterie. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin, für die Einführung eines Beitrages für Nutznießende des ÖPNV, ergibt sich aus den konkurrierenden Landeskompetenzen für Wirtschaft, das Kraftfahrwesen und Straßenbahnen gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 22 und 23 GG. Was die Refinanzierung der Aufgabenträger angeht, hat der Bund von seiner Regelungskompetenz nur punktuell, jedoch keinesfalls abschließend Gebrauch gemacht. Damit ist bereits nach Art. 72 Abs. 1 GG der Weg frei für eine landesrechtliche Regelung neuer Finanzierungsquellen; im Anwendungsbereich von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 22 GG besteht gem. Art. 72 Abs. 2 GG sogar eine Vermutung für die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Berlin als Stadtstaat kann sich darüber hinaus bei der Einführung neuer Abgaben zur Finanzierung seines örtlichen Personenbeförderungsangebots auch auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG berufen. Dabei muss nicht unbedingt ein neues Gesetz erlassen werden, um die hier besprochenen Nutznießerbeiträge einzuführen. Das geltende Gesetz über Gebühren und Beiträge des Landes Berlin vom 22.05.1957 enthält in seinen §§ 4, 6, 8 und 10 bereits qualifizierte Ermächtigungen für 62 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 55. 63 Vgl. BVerfGE 87, 153; BVerfGE 93, 121. 36/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV den Senat, durch Rechtsverordnungen ÖPNV-Beiträge zu Lasten der in § 10 Abs. 3 GebBtrG genannten mittelbar Begünstigten einzuführen. Dessen ungeachtet bleibt es dem Land Berlin natürlich unbenommen, diese neuen Beiträge in einem spezifischen Landesgesetz zu verankern.64 b) Beitragsschuldner*innen Als Beitragsschuldner*innen einer Nutznießerfinanzierung im oben definierten, engeren Sinne kommen nach der besonderen Bestimmung in § 10 Abs. 3 GebBtrG • Eigentümer*innen von Grundstücken und Immobilien sowie • Gewerbebetriebe in Betracht, denen die Benutzung oder Leistung des ÖPNV mittelbar zugutekommt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht könnte man bei der grundstücksbezogenen Beitragsvariante überlegen, ob das sachenrechtliche Eigentum immer der sachgerechteste Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Beitragsschuldner*innen ist. Wie das BVerfG zutreffend ausführt, ist konstitutives Merkmal eines Beitrags die Verknüpfung von Abgabenlast und individueller Zurechenbarkeit eines wenigstens potentiellen Sondervorteils. Bei der Anbindung von Grundstücken an ein öffentliches Personenbeförderungsnetz liegt dieser Sondervorteil in der Steigerung des Gebrauchswerts des betreffenden Grundstücks.65 Da es sich bei den hier diskutierten ÖPNV-Beiträgen aber nicht um dingliche Belastungen des Immobiliareigentums handeln soll, sondern um persönliche Zahlungsverpflichtungen, bedarf es auch einer persönlichen Verknüpfung zwischen Sondervorteil und Beitragsschuld. Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, dass die Verbesserung des Gebrauchswerts eines Grundstücks aufgrund einer ÖPNV-Anbindung primär bei den konkret nutzungsberechtigten Personen eintritt. Das wird häufig der*die Eigentümer*in sein, aber nicht notwendigerweise in jedem Fall. Gerade bei Grundstücken sind verschiedene Arten von Nutzungsberechtigungen auf dinglicher (z. B. Nießbrauch) und schuldrechtlicher Grundlage (z. B. Pacht oder Leasing) denkbar. Gleichwohl ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, als Schuldner*in eines grundstücksbezogenen ÖPNV-Beitrags stets den*die zivilrechtliche*n Grundstückseigentümer*in heranzuziehen. Der Gesetzgeber hat bei der Zurechnung eines individualisierbaren Vorteils an bestimmte Personen und damit bei der Bestimmung des beitragspflichtigen Personenkreises einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Rechtsprechung lässt Typisierungen ausdrücklich zu. 66 Bei der Zuordnung und Bemessung des beitragsrelevanten Vorteils braucht der Gesetzgeber nicht die Wirklichkeit abzubilden. Vielmehr genügt es, wenn nach einem „… einigermaßen sicheren Schluss …“67 der Vorteil „typischerweise“ bei der in Anspruch genommenen Personengruppe entsteht 68. Ferner darf sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Beitragsregeln „… in erheblichem Umfang auch von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten 64 Ähnlich dem Gesetz über eine Übernachtungssteuer in Berlin (ÜnStG BE) vom 18.12.2013. 65 BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 53; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 100. 66 BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 50. 67 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 69. 68 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 73, 86 – 88. 37/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV lassen.“69 Alle diese Wahrscheinlichkeits- und Praktikabilitätsanforderungen werden durch den*die Grundstückseigentümer*in erfüllt. Vor allem aber erlaubt der Wortlaut der §§ 4 und 10 Abs. 3 GebBtrG nur grundstücksbezogene Beiträge, die den „Grundeigentümer“ als Schuldner in die Pflicht nehmen. Somit wäre es auch im Falle einer grundstücksbezogenen Nutznießerabgabe zur ÖPNV-Finanzierung völlig legitim, die Beitragsschuld an das zivilrechtliche Grundstückseigentum zu knüpfen. c) Verfassungskonforme Ausgestaltung eines ÖPNV-Beitrages für Nutznießende Während sich die Frage der allgemeinen Zulässigkeit eines Beitrages zur Heranziehung von Nutznießenden zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs vergleichsweise einfach bejahen lässt, bedingt die verfassungskonforme Ausgestaltung eines entsprechenden Beitrages in der Praxis deutlich größeren Schwierigkeiten. Diese sind auf rechtlicher Ebene für alle Erscheinungsformen der Nutznießerfinanzierung nahezu dieselben, so dass die gesetzlichen Vorgaben einer verfassungskonformen Ausgestaltung von Grundstückseigentümer-, Gewerbebetriebs- und Übernachtungsabgabe hier zusammenfassend diskutiert werden können. Der alles umfassende Maßstab bei der Bemessung und Gestaltung öffentlicher Abgaben ist der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit70. Der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG verlangt von jedem Hoheitsträger, auch bei der Schaffung neuer Abgaben, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln71. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen 72. Im Kontext bestimmter Sachverhalte können diese allgemeinen, von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Verfassungsprinzipien durch Sondergesetze durchaus verengt und in eine bestimmte Richtung konkretisiert sein. Gem. § 4 GebBtrG werden Beiträge zur Deckung der Kosten für die Herstellung und die Unterhaltung der durch ein öffentliches Interesse bedingten Anlagen von den Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibenden erhoben, denen durch die Veranstaltung besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Dass hiervon auch mittelbare wirtschaftliche Vorteile umfasst sind, ergibt sich im Zusammenspiel mit § 10 Abs. 2 lit. c) GebBtrG wonach Schuldner*in einer Benutzungsgebühr der*diejenige ist, dem*der die Benutzung oder die Leistung der Einrichtung mittelbar zugutekommt. Dieser Rechtsgedanke, dass auch mittelbare Vorteile Anknüpfungspunkt einer Abgabe sein können, gilt für Beträge erst recht. Die Belastung mittelbarer Vorteile durch einen Beitrag ist zudem rechtskräftig durch das OVG Berlin-Brandenburg entschieden worden. In einer Entscheidung über die Fremdenverkehrsabgabe im Land Brandenburg hat das OVG BerlinBrandenburg ausgeführt: 69 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 71. 70 BVerfGE107, 1; 124, 235; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, NVwZ 2014, 646. 71 BVerfGE 98, 365; 130, 240. 72 BVerfGE 79, 1; 126, 400; 130, 240. 38/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV „Richtig ist, dass mit dem Fremdenverkehrs-/Tourismusbeitrag ein Finanzierungsbeitrag derjenigen selbstständig Tätigen zum „Tourismusförderungsaufwand“ der Gemeinde erzielt werden soll, die aus diesem Tourismusförderungsaufwand einen besonderen, d. h. unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil ziehen.“.73 Das OVG Berlin-Brandenburg greift damit explizit auf, dass der Fremdenverkehrsbeitrag auch mittelbare wirtschaftliche Vorteile abschöpfen soll und stellt dessen Rechtmäßigkeit in dieser Hinsicht nicht in Frage. Insoweit ist das Grundkonzept eines Beitrages für Nutznießende des ÖPNV grundsätzlich unproblematisch zulässig. Die Grundsätze zur Bemessung der Beitragshöhe sind in § 8 Abs. 5 GebBtrG geregelt. Hiernach ist die Höhe des Beitrages nach den durch die Anlage begründeten Vorteilen zu bemessen. Wie genau dieser Vorteil zu bestimmen ist, ist nicht weiter konkretisiert. Eine strikte Orientierung an den Herstellungs- und Unterhaltungskosten der zugrundeliegenden öffentlichen Einrichtung ist jedenfalls nicht zwingend erforderlich, da § 8 Abs. 5 GebBtrG als lex specialis zur Bemessung der Beitragshöhe ausschließlich auf den begründeten Vorteil abstellt, unabhängig von den dafür entstandenen Kosten. Für diese Auslegung lassen sich die vom BerlVerfGH zur Bemessung der Gebührenhöhe aufgestellten Grundsätze vergleichend heranziehen. In seiner Entscheidung über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe hat der BerlVerfGH folgendes entschieden: „Der gebührenrechtliche Grundsatz, dass die Gebühr nur zur Deckung der Kosten des Verwaltungsaufwandes, nicht aber zur Erzielung von Überschüssen erhoben werden darf, folgt weder aus Verfassungsrecht noch aus dem Wesen der Gebühr, sondern gilt nur nach Maßgabe einfachen Rechts. […] Weder die Verfassung von Berlin noch das Grundgesetz enthalten einen eigenständigen Gebührenbegriff, aus dem sich unmittelbar Kriterien für die Verfassungsmäßigkeit von Gebührenmaßstäben, Gebührensätzen oder Gebührenhöhen ableiten ließen. […] Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verfügt der Gebührengesetzgeber innerhalb seiner jeweiligen Regelungskompetenz vielmehr über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen und welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen will. […] Aus der Zweckbestimmung der Gebühr, Einnahmen zu erzielen, um speziell die Kosten der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung ganz oder teilweise zu decken, ergibt sich keine verfassungsrechtliche begründete Begrenzung der Gebührenhöhe durch die tatsächlichen Kosten der staatlichen Leistung.“74 73 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.02.2015 – OVG 9 S 24.14. 74 BerlVerfGH, Urt. vom 21.10.1999 – VerfGH 42/99. 39/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Die vom BerlVerfGH aufgestellten Grundsätze zum weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim Erlass von Gebührenordnungen lassen sich analog auf die Frage zur zulässigen Ausgestaltung der Beitragshöhe übertragen. Die Sach- und Rechtslage ist vergleichbar, so dass davon auszugehen ist, dass der BerlVerfGH auch für die Beitragshöhe eine entsprechende Entscheidung treffen würde. Dem Gesetzgeber wird damit ein weiter Ermessensspielraum zur Ausgestaltung eines Beitrages in Bezug auf dessen Höhe zugestanden. Entscheidendes Kriterium ist, wie in § 8 Abs. 5 GebBtrG bestimmt, der durch die jeweilige öffentliche Einrichtung vermittelte individuelle Vorteil. Dabei sind wegen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) Differenzierungen geboten. Aber auch insoweit steht dem Gesetzgeber ein denkbar weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Die Grenzen liegen erst dort, wo Differenzierungskriterien keinen sachlichen Bezug mehr zu dem konkreten Vorteil haben und sich damit als willkürlich herausstellen, oder wenn die Höhe eines Beitrags in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten Abgabenzwecken steht. In seiner jüngsten Entscheidung zu den neuen Rundfunkbeiträgen hat das BVerfG diese verfassungsrechtlichen Grundsätze der Ausgestaltung eines Beitrags exemplarisch zusammengefasst: „Bei der Entscheidung darüber, ob ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich eines Abgabengesetzes einbezogen wird, kommt dem Gesetzgeber hier ein weiter Gestaltungsspielraum zu, (…). Der Gestaltungsspielraum ist allerdings dann überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorteil und den Abgabepflichtigen mehr erkennbar ist (vgl. BVerfGE 137, 1 [23] = NVwZ 2014, 1448 Rn. 54). Der Gleichheitssatz ist eingehalten, wenn der Gesetzgeber einen Sachgrund für seine Wahl des Abgabengegenstands vorbringen kann, die Berücksichtigung sachwidriger, willkürlicher Erwägungen ausgeschlossen ist und die konkrete Belastungsentscheidung nicht mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt gerät (vgl. BVerfGE 137, 350 [367] = NVwZ 2015, 288 Rn. 42). Maßgeblich ist, ob es für die getroffene Unterscheidung einen sachlichen Grund gibt, der bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht als willkürlich angesehen werden kann (…).“. 75 Spezifisch bei der Einführung eines ÖPNV-Beitrages ist jedoch zu beachten, dass die späteren Beitragsschuldner*innen in der Mehrzahl gleichzeitig auch steuerpflichtig sind. Als Steuerpflichtige werden die Beitragsschuldner*innen bereits zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit gebietet es daher, dass die zusätzliche Belastung eines*einer Steuerpflichtigen mit weiteren Abgaben, hier in Form eines Beitrages, einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf. 76 In Betracht kommen hierfür neben dem Zweck der Vorteilsausgleiches, der Verhaltenslenkung sowie soziale Kostendeckung auch Zwecke des Zwecke. 77 75 BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 68 m.w.N. 76 BVerfGE 75, 108; 93, 319; 108, 1; 124, 235; 132, 334; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, NVwZ 2014, 646. 77 BVerfGE 132, 334. 40/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abgabenrechtlichen Tatbeständen ist es dabei grundsätzlich immanent, dass sie eine Vielzahl von Schuldner*innen erreichen sollen. Um dem Gesetzgeber die Ausgestaltung eines Beitrages für solche Massenvorgänge zu ermöglichen und zu vereinfachen, sieht das BVerfG deshalb vor, dass Sachverhalte, an die dieselben abgabenrechtlichen Folgen geknüpft werden sollen, typisiert und die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigt werden dürfen. Die Erhebung einer Abgabe, insbesondere wenn sie in Form einer kommunalen Satzung erfolgen soll, soll praktikabel sein und nicht übermäßig mit Rechtsunsicherheit verbundenen Differenzierungsanforderungen belastet werden. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Abgabenpflichtigen darf allerdings „ein gewisses Maß“ nicht übersteigen. Die Vorteile der Typisierung müssen deshalb stets im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen.78 Das BVerfG gewährt dem Gesetzgeber damit einen weiten Ermessenspielraum bei der Ausgestaltung von abgabenrechtlichen Tatbeständen. Der Gesetzgeber muss nicht für jeden Einzelfall eine konkrete Regelung treffen, sondern wird in die Lage versetzt, im größeren Rahmen für ähnliche Sachverhalte dieselbe Rechtsfolge vorzusehen. Dies kann regelmäßig im Rahmen einer gesetzlichen Typisierung erfolgen. Entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, Sachverhalte zu typisieren, darf er dabei selbstverständlich keinen atypischen Fall als Leitbild wählen. Vielmehr muss er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren.79 Weiter führt das BVerfG aus, dass eine Beitragserhebung zur Einhaltung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit eine Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils zu erfolgen hat. Dem folgt die Regelung des § 4 GebBtrG. Es gilt daher bei der Ausgestaltung eines ÖPNV-Beitrages, den individuellen Sondervorteil der Beitragsschuldner*innen durch ihre Anbindung an das Netz des öffentlichen Nahverkehrs zu ermitteln und zu beziffern. Konkret betrachtet stellt sich dabei die Frage, ob Grundstückseigentümer*innen oder Gewerbetreibenden durch die Anbindung an das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs ein Sondervorteil entsteht, der sich von dem der Allgemeinheit der unmittelbaren ÖPNV-Nutzer*innen unterscheidet. Da bisher in keinem Bundesland ein vergleichbarer Beitrag für Nutznießende des ÖPNV besteht, kann in diesem Bereich auf keine gesicherte Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Es lassen sich jedoch vergleichend die vom BVerfG zur Erhebung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge aufgestellten Grundsätze heranziehen.80 Die Erhebung eines wiederkehrenden Straßenausbaubeitrages ist von ihrem Grundgedanken her mit einem wiederkehrenden Beitrag für die Anbindung eines Grundstückes an das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs vergleichbar. Beide Beiträge dienen dazu, mittelbare Vorteile, die über die generelle Nutzung einer öffentlichen Infrastruktur durch die Allgemeinheit hinausgehen, zu bepreisen. Die Beiträge zielen damit gleichermaßen darauf ab, einen individuellen Sondervorteil abzuschöpfen. Nach den durch das BVerfG aufgestellten Grundsätzen erfordert die Erhebung eines Beitrages sachliche Gründe, welche eine individuelle Zurechnung des mit dem Beitrag belasteten Vorteils zum 78 BVerfGE 96, 1; 99, 280; 105, 73; 110, 274; 116, 164; 117, 1; 120, 1; 123, 1; 127, 224. 79 BVerfGE 112, 268; 117, 1; 120, 1; 123, 1; 127, 224. 80 BVerfGE 137, 1. 41/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Kreis der Belasteten rechtfertigen. Wesentlich für den Begriff des Beitrages ist der Gedanke der angebotenen Gegenleistung, des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten: Wenn das Gemeinwesen in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, so sollen diejenigen, die daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen oder ziehen können, zu den Kosten ihrer Errichtung und Unterhaltung beitragen.81 Die für die Kostentragungspflicht erforderliche individuelle Zurechenbarkeit lässt sich insbesondere aus der rechtlichen oder tatsächlichen Sachherrschaft oder –nähe und der damit verbundenen Möglichkeit herleiten, aus der Sache konkrete wirtschaftliche Vorteile oder Nutzen zu ziehen.82 Die Annahme eines individuellen Sondervorteils wird dabei nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass eine unbestimmte Vielzahl von Bürger*innen zu Beiträgen herangezogen wird, sofern ihnen jeweils ein Sondervorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann.83 Das BVerfG hat bei der rechtlichen Beurteilung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge definiert, dass eine Beitragserhebung, die grundstücksbezogen erfolgt, gleichfalls einen grundstücksbezogenen Sondervorteil voraussetzt. Dieser Sondervorteil könne „z.B. in einer Erhöhung des Gebrauchswertes des Grundstücks durch die Belegenheit in einem verkehrsmäßig erschlossenen Gebiet oder in der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage bestehen, welche ihrerseits den Gebrauchswert des Grundstücks steigert. Eine Steigerung des Verkehrswertes ist nicht erforderlich (vgl. Arndt, in Henneke/Plünder/Waldoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 16 Rn. 130; Driehaus, a.a.O.; Schneider, Driehaus-Festschrift, 2005, S. 179 <184>). Weitergehende verpflichtende Anforderungen, wie zum Beispiel die Existenz eines „funktionalen Ausbaubeitrag Zusammenhangs“ belasteten zwischen Grundstücken Verkehrsanlagen sind und verfassungsrechtlich den mit nicht einem geboten. Allerdings darf sich aus Gründen der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs.1 GG) der Sondervorteil, dessen Inanspruchnahme durch die Erhebung eines Beitrags ausgeglichen werden soll, nicht in der Weise auflösen, dass der Beitragspflichtige keinen größeren Vorteil aus der potentiellen Inanspruchnahme der Gegenleistung ziehen kann als die nichtbeitragspflichtige Allgemeinheit. Damit bleibt Raum für eine Ausgestaltung der Beitragsverpflichtung durch den Gesetz- oder Satzungsgeber. Der danach eröffnete Spielraum ist erst dann überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorteil und den Abgabenpflichtigen mehr erkennbar ist (vgl. Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S. 88)“. 84 4.1.3 Zwischenergebnis Neue Abgaben, welche mittelbar begünstigte Nutznießer*innen des öffentlichen Personenbeförderungsnetzes in die Finanzierungsverantwortung nehmen, können bereits nach dem bestehenden Berliner Landesrecht prinzipiell ohne weiteres geschaffen werden. Die nach Art. 87 81 BVerfGE 137, 1; 14, 312. 82 BVerfGE 137,1; 91, 207. 83 BVerfGE 137, 1; VerfGH RP, Urteil vom 13. Mai 2014 – VGH B 35/12. 84 BVerfGE 137, 1. 42/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abs. 1 Verf BE erforderliche gesetzliche Grundlage ist in Gestalt der §§ 4, 6, 8 und 10 GebBtrG vorhanden. Im Rahmen des GebBtrG erfolgt die Einführung einer neuen Abgabe durch eine Rechtsverordnung des Senats. Dem Land Berlin bleibt es gleichwohl unbenommen, für die Nutznießerfinanzierung des ÖPNV ein besonderes Landesgesetz zu erlassen. Eine solche Nutznießerabgabe hätte die Rechtsform eines Beitrags. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG erlauben es bereits ausdrücklich, Beiträge von Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibenden zu erheben, im Gegenzug für mittelbare Vorteile, die ihnen aus der Existenz einer öffentlichen Anlage erwachsen. Das ÖPNV-System in Berlin ist aufgrund seiner konsequent öffentlich-rechtlichen Organisation mit einer Anstalt öffentlichen Rechts als Betreiberin geradezu der exemplarische Fall einer im öffentlichen Interesse liegenden Anlage i. S. v. § 4 GebBtrG. Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibende einschließlich der Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes sind in § 10 Abs. 3 GebBtrG als legitime Betragsschuldner*innen ausdrücklich genannt. Zum Ausgleich der Vorteile, die diesem Personenkreis durch die Anbindung ihrer Grundstücke oder Gewerbebetriebe an das öffentliche Personenbeförderungsnetz entstehen, können somit bedenkenlos Beiträge erhoben werden. Rechtliche Schwierigkeiten wirft dabei allein die Ausgestaltung des Beitragstatbestands und der Beitragshöhe auf. Der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit verlangt eine „… Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils …, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll (…).“ 85 Dabei kommt es vor allem bei Grundstücken nicht auf einen finanziellen Wertzuwachs an, sondern auf eine Steigerung des Gebrauchsvorteils. Das bedeutet, die Möglichkeit der ÖPNV-Nutzung muss sich als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirken.86 Sollte man sich für einen Grundstückseigentümerbeitrag entscheiden, wird es also verfassungsrechtlich geboten sein, auf die Qualität der verkehrlichen Erschließung der jeweiligen Grundstücks abzustellen und sowohl die Beitragspflicht erst ab einer bestimmten Erschließungsqualitätsschwelle eingreifen zu lassen als auch die Beitragshöhe nach der Erschließungsqualität zu staffeln. Dasselbe Differenzierungsgebot gilt für Gewerbebetriebe. Dort wird es auf die Gesamtheit der betriebsbezogenen Vorteile ankommen, die sich aus einer mehr oder weniger guten Anbindung an das ÖPNVNetz ergeben. Sachlich liegen diese Vorteile zum einen in der Erreichbarkeit der jeweiligen Betriebstätte für Arbeitnehmer*innen, zum anderen aber auch in der Erreichbarkeit für Kund*innen und der Intensität der Abhängigkeit des Unternehmenserfolgs von realen Kontakten mit Kund*innen. Die Gerichte verlangen zwar auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG Abstufungen im Beitragstatbestand, wo dies durch Sachgründe gerechtfertigt ist, um willkürliche Ungleichbehandlungen auszuschließen.87 Allerdings hat der Gesetzgeber hier einen denkbar weiten Gestaltungsspielraum. Er darf sich bei der Ausgestaltung von Beiträgen „… in erheblichem Umfang auch von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten lassen.“88 85 So grundlegend BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 47, 50 ff.; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 66 m.w.N. 86 Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 53 u.63; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 100. 87 Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 51; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 64. 88 Vgl. BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 71. 43/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Das bedeutet, Typisierungen, die nur „… einen einigermaßen sicheren Schluss …“ auf die konkret gegebene Vorteilsintensität zulassen, sind ausdrücklich zulässig. Eine Beitragsregelung muss nicht jeden Sachverhalt vollständig wirklichkeitsgetreu erfassen.89 Ihre Grenze findet die Freiheit des Gesetzgebers Vereinfachungen und praktikable Typisierungen vorzunehmen, erst dann, wenn überhaupt kein sachlicher Grund mehr für getroffene Differenzierung gefunden werden kann und die jeweilige Beitragsregelung „… bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise … als willkürlich angesehen werden …“ muss.90 4.2 Anpassung der bestehenden City-Tax (Übernachtungssteuer) 4.2.1 Ausgangslage Am 1. Januar 2014 trat in Berlin das Gesetz über eine Übernachtungssteuer in Berlin (Übernachtungssteuergesetz – ÜnStG), auch als „City-Tax“ bezeichnet, in Kraft.91 Die Einführung der Steuer erfolgte vor dem Hintergrund ansteigender Übernachtungszahlen – zur zusätzlichen Generierung von Haushaltseinnahmen und zur Erreichung einer finanziellen Beteiligung der Gäste an den entstehenden Kosten für ein „attraktives Angebot an öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen“.92 4.2.2 Ausgestaltung Die Übernachtungssteuer stellt eine örtliche Aufwandsteuer dar. 93 Sie wird gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 ÜnStG auf den Aufwand für entgeltliche Übernachtungen in Berlin in einem Beherbergungsbetrieb erhoben. Die Steuer ist als indirekte Steuer ausgestaltet, so dass der*die Steuerschuldner*in nicht der Gast ist, dessen Aufwand für die Übernachtung Gegenstand der Steuer ist, sondern vom Beherbergungsbetrieb, vgl. § 2 Abs. 1 ÜnStG. 4.2.3 a) Höhe der Steuer Steuermaßstab und Belastungsgleichheit gem. Art. 3 GG Aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG folgt das Gebot der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Bei Aufwandsteuern kommt es nicht auf die Höhe des individuell verfügbaren Einkommens und Vermögens an, maßgebend ist vielmehr die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die typischerweise in dem Aufwand zum Ausdruck kommt, der zur Deckung des als Steuergegenstand festgelegten, über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgehenden Konsums getätigt wird. 89 Vgl. BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn.70. 90 Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 54; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 68 m.w.N. 91 GVBl. 2013, 924. 92 Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 8. 93 Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 8. 44/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Diesem Gebot steuerlicher Belastungsgleichheit genügt bei Aufwandsteuern grundsätzlich nur eine an den jeweiligen Umfang des Aufwands anknüpfende steuerliche Belastung.94 Gem. § 4 Abs. 1 ÜnStG bemisst sich die Steuer nach dem Aufwand für die Übernachtung (dem „Übernachtungsentgelt“95) – wobei die Umsatzsteuer und der Aufwand für andere Dienstleistungen unberücksichtigt bleiben. b) Steuersatz Hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes besteht ein Handlungsspielraum. Der derzeitige Steuersatz beträgt nach § 5 ÜnStG fünf Prozent der Bemessungsgrundlage. Der proportionale Steuermaßstab gewährt dabei eine bessere Besteuerungsgleichheit als Pauschalbeträge. 96 Der Steuersatz orientiert sich an dem Beispiel anderer Kommunen, bei denen vergleichbare, von der Höhe der Übernachtungsleistung abhängige Steuern eingeführt wurden.97 Es ist festzuhalten, dass andere, meist zu einem späteren Zeitpunkt erlassene, Satzungen höhere Sätze vorsehen. Die ursprünglich in Dresden geltende Regelung sah an der Höhe des Übernachtungspreises ausgerichtete Staffelbereiche vor. Bei der Überprüfung der Regelung wurde die Höhe gerichtlich nicht beanstandet – das OVG Bautzen führte in seinem Urteil hierzu aus: „Die Antragsgegnerin hat als Steuersatz ein Fünfzehntel des Durchschnittswertes in jedem Staffelbereich bestimmt. Dies hat zur Folge, dass die im Einzelnen zu entrichtende Beherbergungssteuer entsprechend der Einordnung des tatsächlich zu entrichtenden Beherbergungsentgeltes in den Staffelbereich um bis zu 1 € nach oben (Beginn des Staffelbereichs) oder nach unten (Ende des Staffelbereichs) von diesem Durchschnittswert abweicht. Der die Besteuerungspflicht auslösende Aufwand des Beherbergungsgastes wird mit einer solchen Regelung noch hinreichend abgebildet […].“. 98 Im Rahmen einer Satzungsänderung wurden die Staffelbereiche abgeschafft und § 4 Abs. 2 Beherbergungssteuersatzung der Stadt Dresden regelte zunächst, dass der auf eine einzelne Übernachtung entfallende Beherbergungssteueranteil Bemessungsgrundlage, abgerundet auf volle Euro-Cent, ein Fünfzehntel beträgt.99 des Wertes der Inzwischen wurde dieser Satz auf sechs Prozent reduziert.100 Bemessungsgrundlage sind die jeweils für die einzelnen Übernachtungen der Beherbergung des Gastes geschuldeten Entgelte, § 4 Abs. 1 Beherbergungssteuersatzung der Stadt Dresden. Ebenso hat die Stadt Dortmund einen höheren Steuersatz festgelegt. Dort regelt § 4 Abs. 1 Beherbergungsabgabensatzung der Stadt Dortmund, dass die Beherbergungsabgabe 7,5 vom 94 Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 284. 95 Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 12. 96 BVerwG, Urt. v. 11.07.2012 – 9 CN 1.11, 9 CN 2.11. 97 Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 13. 98 OVG Bautzen, Urt. v. 6.10.2016 – 5 C 4/16. 99 Vgl. https://www.dresden.de/media/pdf/satzungen/satzung-beherbergungssteuer.pdf, letzter Aufruf: 14.10.2019. 100 Dresdner Amtsblatt Nr. 11/18 vom 15.03.2018, S. 31. 45/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Hundert der Bemessungsgrundlage beträgt. Die Bemessungsgrundlage ist der vom Beherbergungsgast für die Beherbergung aufgewendete Betrag, einschließlich Mehrwertsteuer, § 3 Beherbergungsabgabensatzung der Stadt Dortmund.101 Das VG Gelsenkirchen stellte bezüglich eines Steuersatzes von 7,5 von Hundert auch keinen Verstoß gegen die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung bzw. das Gebot zur bundesstaatlichen Rücksichtnahme fest. Es führte aus: „Dass der Bundesgesetzgeber […] den Steuersatz für die Umsatzsteuer für die in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Umsatzsteuergesetz genannten Beherbergungsleistungen von 19 % auf 7 % herabgesetzt hat, steht dem nicht entgegen. Die Steuer nach der Beherbergungsabgabesatzung konterkariert auch bei einer Steuerhöhe von 7,5 % angesichts ihres geringen Umfangs nicht den Zweck, den der Bundesgesetzgeber mit der Herabsetzung des Umsatzsteuersatzes erreichen wollte, nämlich die Förderung der Wirtschaft.“.102 c) Erdrosselungsverbot Die äußerste Grenze der Besteuerung ist erreicht, wenn die Steuer dazu führt, dass die Betätigung des Aufwands wirtschaftlich unmöglich wird – und damit erdrosselnd wirkt.103 d) Gegenleistungsunabhängigkeit der Steuer Die Einnahmen der Steuer könnten grundsätzlich für die Finanzierung des ÖPNV verwendet werden. Es ist festzuhalten, dass Steuern – anders als Gebühren und Beiträge – stets ohne eine direkte Gegenleistung erhoben werden, ihr Zweck ist die Erzielung von Einnahmen. 104 Ebenso gilt der Grundsatz der Gesamtdeckung („Non-Affektation“), wonach prinzipiell alle in den Haushalt eingestellten Einnahmen zur Deckung aller im Haushalt vorgesehenen Ausgaben zur Verfügung stehen und nicht von vornherein zweckgewidmet sind.105 e) Änderung nur für die Zukunft Eine nachträgliche Steuererhöhung scheidet, da es sich um eine indirekte Steuererhebung handelt, aus. Soweit der Aufwand bereits getätigt ist und das Entgelt hierfür entrichtet wurde, ist es dem*der Unternehmer*in nicht möglich, die Erhöhung mit Wirkung für zurückliegende Erhebungszeiträume nachträglich auf die Aufwandtreibenden zu überwälzen.106 101 Vgl. https://www.dortmund.de/media/p/stadtkasse_und_steueramt/pdf_20/satzungen_1/Satzung_zur_Beherbergungsabgabe_ab_ 01112014_.pdf, letzter Aufruf 14.10.2019. 102 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.06.2016 – 2 K 543/15. 103 BVerwG, Urt. v. 15.10.2014 – 9 C 8.13; Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 298. 104 Schmidt, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 5, 11. 105 Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. Ergänzungslieferung 2019, Art. 110 Rn. 143. 106 Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 293 m.w.N. 46/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 4.2.4 Zusammenfassung Der Steuermaßstab muss grundsätzlich einen Bezug zum zu besteuernden Aufwand haben. Bei der Übernachtungssteuer ist der zugrundeliegende Aufwand das Übernachtungsentgelt ohne Nebenleistungen. Das Land orientierte sich bei der Festlegung des Steuersatzes an anderen Kommunen. Vereinzelt wurden später höhere Steuersätze festgelegt, so dass diesbezüglich Handlungsspielräume auch für Berlin bestehen. Da es sich um eine Steuer handelt, die dem Haushalt zufließt, erscheint – unter der Voraussetzung, dass eine Zweckverwendung nicht vorgesehen ist – eine Nutzung zugunsten des ÖPNV möglich. 5 GÄSTE-TICKET Da gerade die Besucher*innen Berlins von einer Umlagefinanzierung nicht betroffen wären, stellt sich die Frage, ob diese durch ein sog. Gäste-Ticket zur ÖPNV-Finanzierung herangezogen werden könnten. Die zu untersuchende Konzeption sieht vor, dass Besucher*innen in gewerblichen Übernachtungsbetrieben ein verpflichtender Beitrag auferlegt wird, wofür sie im Gegenzug einen Fahrausweis für Berlin (Bereich AB) erhalten. Die Beschränkung auf gewerbliche Übernachtungsbetriebe erfolgt dabei vor dem Hintergrund einer praktikablen Verwaltungshandhabung. 5.1 Kur-/Gästebeiträge 5.1.1 Rechtsnatur Angesichts der oben beschriebenen Konzeption besteht eine Parallele zu der Kur- oder inzwischen oft Gästebeitrag genannten Abgabe. Gästebeiträge zählen am ehesten zu den neben der Steuer, den Gebühren und Beiträgen erhobenen Sonderabgaben – hoheitlich auferlegten Geldleistungen, denen keine unmittelbare Gegenleistung der öffentlichen Hand gegenüber steht; anders als die Steuer wird sie jedoch nur von einer homogenen Gruppe erhoben, die durch eine Interessenlage oder besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit abgrenzbar ist, wobei die Einnahmen gruppennützig zu verwenden sind.107 Die Einnahmen sind daher zweckgebunden.108 Auch, wenn sie zum Teil als Abgabe sui generis bezeichnet wird,109 so ist unzweifelhaft, dass sie gebühren- und beitragsähnliche Merkmale aufweist.110 Dabei wird die Kurabgabe für die mögliche Inanspruchnahme der örtlichen Fremdenverkehrseinrichtungen erhoben; den Ortsfremden muss 107 So Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 5. 108 Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 5. 109 So Benedens, in: Kommunalpraxis kompakt – Brandenburg, Bd. 5, Stand: 1. EL 2020 – 04.02.2020, § 11 KAG Bbg Rn. 8. 110 Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 8; Benedens, in: Kommunalpraxis kompakt – Brandenburg, Bd. 5, Stand: 1. EL 2020 – 04.02.2020, § 11 KAG Bbg Rn. 8. 47/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV dementsprechend ein Vorteil vermittelt werden, der die Beitragserhebung – auch unter dem Aspekt der Abgabengerechtigkeit – rechtfertigt.111 5.1.2 Erhebungsmodalitäten der Gästebeiträge (Beispiel Sachsen) Vergleicht man das geplante Gäste-Ticket mit den Gästebeiträgen, so muss zunächst betrachtet werden, durch wen und für was diese erhoben werden können. Da das GebBtrG keine explizite Regelung zu Kur- bzw. Gästebeiträgen enthält, werden zum Vergleich Regelungen aus anderen Bundesländern herangezogen und sodann die Anwendung auf Berlin näher betrachtet. Die sog. Gästetaxe in § 34 Sächsisches Kommunalabgabengesetz (sKAG) sieht zum Beispiel vor: „Gemeinden können zur Deckung ihrer besonderen Kosten, die ihnen 1. Für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und Unterhaltung der zu touristischen Zwecken bereitgestellten Einrichtungen und Anlagen, […] und 3. für die, gegebenenfalls auch im Rahmen eines überregionalen Verbunds, den Abgabepflichtigen eingeräumte Möglichkeit der kostenlosen oder ermäßigten Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und anderer Angebote entstehen, eine Gästetaxe erheben.“ Mit der Benennung als „Gästebeitrag“ und der Öffnung des Tatbestandes, weg von „Kurorte, Erholungsgebiete und sonstigen Fremdenverkehrsgemeinden“ in der alten Fassung hin zu „Gemeinden“, sollte klargestellt werden, dass der Tourismus nicht der dominierende Wirtschaftszweig der Gemeinde sein muss; vielmehr soll die Abgabenerhebung allen Gemeinden offen stehen, die eine touristische Infrastruktur vorhalten.112 Die Abgabenpflicht besteht bei Personen, die in der Gemeinde Unterkunft nehmen, aber nicht Einwohner*innen der Gemeinde sind oder, obwohl sie Einwohner*innen sind, den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen in einer anderen Gemeinde haben nicht in der die Gästetaxe erhebenden Gemeinde arbeiten oder in Ausbildung stehen, § 34 Abs. 2 S. 2 sKAG; die Pflicht zur Einziehung kann in Sachsen durch Satzung Beherbergungsunternehmen auferlegt werden, vgl. § 34 Abs. 3 sKAG.113 Die Erträge sind gem. § 34 Abs. 1 S. 3 sKAG zudem ausdrücklich zweckgebunden. 5.1.3 ÖPNV-Leistungen Für § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 sKAG müssen die Einrichtungen für touristische Zwecke bereitgestellt werden; Einrichtungen, die der allgemeinen Daseinsvorsorge dienen, sind daher nicht berücksichtigungsfähig.114 Dies ist für Nr. 3 so nicht festgehalten. In § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 sKAG ist jedoch festgehalten, dass die Gästetaxe auch für die den Abgabepflichtigen eingeräumte Möglichkeit der kostenlosen oder ermäßigten Benutzung des ÖPNV erhoben werden kann. Ähnliche Regelungen finden sich in anderen 111 BVerwG, Beschluss v. 15.04.2008 – 9 B 66/07. 112 Vgl. Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787. 113 Ähnliche Regelungen bestehen in anderen Bundesländern, vgl. § 10 Abs. 2, 4 Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz (ndsKAG). 114 Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787. 48/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Bundesländern.115 Regelungen dieser Art stellen darauf ab, dass die gebotene Möglichkeit der kostenlosen ÖPNV-Nutzung zu den zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen und Veranstaltungen gehören und die dafür anfallenden Kosten kurtaxfähig sind.116 Die sächsische Vorschrift soll sog. Gästecard-Leistungen umfassen, d.h. Leistungen, die den Gäste-CardInhaber*innen kostenlos oder zu einem ermäßigten Preis zur Verfügung gestellt werden; die der Gemeinde aus dem Angebot entstehenden Kosten sind gästetaxfähig.117 Die Beispiele zeigen, dass auch die Kosten für den ÖPNV im Rahmen einer Kurabgabe berücksichtigt werden können, wenn dieser im Gegenzug kostenfrei bzw. ermäßigt zur Verfügung gestellt wird. Gerade die Formulierung in Sachsen und die dazugehörige Gesetzesbegründung zeigt zudem, dass bereits das Vorhandensein touristischer Infrastruktur sowie die Feststellung eines kausalen finanziellen Aufwands die Abgabenerhebung rechtfertigt – unabhängig von der „Kur“-Eigenschaft. Die Frage, inwieweit Infrastruktureinrichtungen berücksichtigt werden können, ist eine Frage des abgabefähigen Aufwandes. Abgabefähig ist regelmäßig der besondere Aufwand einer Gemeinde für vorhandene Einrichtungen, die Fremdenverkehrszwecken dienen; wo die Grenze zwischen den – unabhängig vom Fremdenverkehr – notwendigen örtlichen Maßnahmen der Daseinsvorsorge und der auch fremdenverkehrsbezogenen Aufgabenerledigung verläuft, kann dabei schwer zu beurteilen sein.118 5.1.4 Anwendung in Berlin In Berlin gibt es keine speziellen Regelungen für eine Kur- oder Gästeabgabe. Gerade wenn man sich an den Vorschriften zur Beitragserhebung orientiert, so wird deutlich, dass diese in Berlin nur gegenüber Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibenden möglich ist, vgl. § 4 GebBtrG. Eine Erhebung bedarf somit eines gesetzgeberischen Tätigwerdens. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Sachsen im Rahmen der Gesetzesreform – zwecks der Vermeidung von Doppelbelastungen – klargestellt hat, dass es Gemeinden, die eine Gästetaxe und/oder Tourismusabgabe erheben, untersagt ist, zusätzlich eine Betten- oder Übernachtungssteuer zu erheben.119 Aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtung von Beherbergungssteuer (vorliegend City Tax) und Kurbeitrag – erstere dient der gegenleistungslosen Einnahmenbeschaffung – stehen die besonderen Regelungen der Kurabgabe der Beherbergungssteuer nicht prinzipiell im Wege der Spezialität entgegen; dies gilt soweit der Landesgesetzgeber nicht ein Nebeneinander von Abgabe und Steuer explizit verboten hat.120 115 Vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ndsKAG; § 43 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg; In Baden-Württemberg gibt es bereits die sog. Konus-Karte (Kostenlose Nutzung des ÖPNV im Schwarzwald), die u.a. zur freien Fahrt mit Bus und Bahn berechtigt, vgl. https://www.schwarzwald-tourismus.info/planen-buchen/konus-gaestekarte/; https://www.badherrenalb.de/de/gastgeber/konusgaestekarte/konus-gaestekarte-id_3/ (letzter Aufruf: 27.05.2020). 116 Für Baden-Württemberg vgl. dazu: VG Freiburg, Urteil v. 22.09.2015 – 5 K 686/14. 117 Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787. 118 Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 24, 31, 33. 119 Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787. 120 Vgl. Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 13 m.w.N. 49/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 5.2 Zwischenergebnis Das hiesige Modell eines Gäste-Tickets sieht vor, dass Besucher*innen Berlins für ein Gäste-Ticket bezahlen und im Gegenzug kostenfrei den ÖPNV in der Stadt benutzen können. Dieses Modell wird andernorts im Rahmen der Kur- oder Gästeabgabe gesetzlich geregelt, weshalb ein ähnliches Modell in Berlin grundsätzlich möglich ist. Für die Umsetzung bedürfte es jedoch einer Gesetzesänderung, da vergleichbare Vorschriften in Berlin nicht existieren. Gerade in Hinblick auf die City Tax gilt es jedoch eine mögliche Doppelbelastung zu berücksichtigen. 6 CITY-MAUT 6.1 Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage Trotz der vielfältigen Ausgestaltungsoptionen einer City-Maut als gebiets-, distanzbezogenem oder zeitbasierten System, ist allen Optionen gemein, dass sie einen grundrechtlich geschützten Bereich betreffen. Damit der Staat Geldleistungen erheben kann, bedarf es daher einer formal-gesetzlichen Grundlage – für das Land Berlin ergibt sich diese Notwendigkeit aus Art. 87 Abs. 1 der Verfassung von Berlin. Eine gesetzliche Grundlage für die City-Maut ist derzeit weder auf Bundes- noch auf Landesebene gegeben, so dass hierzu ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Für die Beurteilung, ob das Land Berlin für die Verabschiedung einer derartigen gesetzlichen Grundlage die Gesetzgebungskompetenz hat, kommt es auf deren rechtliche Einordnung an. Öffentlich-rechtliche Geldleistungen können durch Abgaben, Gebühren oder Steuern erhoben werden. 6.2 Ausgestaltung als Steuer 6.2.1 Der Begriff der Steuer Unter den Begriff der Steuer fasst § 3 Abs. 1 AO Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für besondere Leistungen darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Frage, ob eine City-Maut eine gegenleistungsunabhängige Abgabe darstellt – und damit die Ausgestaltung als Steuer möglich ist – unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird die Straßenbenutzung lediglich als Maßstab für eine Steuererhebung bzw. als Bemessungsgrundlage der Mauthöhe herangezogen.121 Vorzugswürdig erscheint jedoch die Auffassung, nach der es sich bei der City-Maut nicht um eine gegenleistungsunabhängige Abgabe handelt – mithin nicht um eine Steuer. Denn die City-Maut wird 121 Manssen, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer sog. Nahverkehrsabgabe, DÖV 1996, 12, 13; Wissenschaftliche Dienste, WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut, S. 5. 50/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV anfallen, wenn in Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes eingefahren wird. Als Anknüpfungspunkt für die Zahlungspflicht kann somit die Benutzung der Straße angesehen werden.122 Nach beiden Auffassungen ist jedoch eine Ausgestaltung, die bereits im Steuergesetz angelegt und ausschließlich der Finanzierung der Verbesserung des öffentlichen Personenbeförderungsangebots dient, nicht möglich. 6.2.2 Ausgestaltung als Zwecksteuer Würde man der Ansicht folgen, nach der die City-Maut eine Steuer darstellt, wäre es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Land Berlin das Aufkommen einer voraussetzungslos erhobenen Steuer bestimmten Verwendungszwecken zuordnet. 123 Da die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, zu deren Finanzierung die Zwecksteuer dient, nicht den Charakter einer Gegenleistung hat, besteht der Vorteil einer solchen Regelung darin, dass der Kreis der Abgabenpflichtigen nicht auf solche Personen begrenz ist, die einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Vorhaben ziehen.124 Eine verfassungswidrige Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers wird hierbei erst dann angenommen, wenn Zweckbindungen in unvertretbarem Ausmaß stattfinden.125 In jedem Fall stellt die Zweckbindung jedoch einen zu rechtfertigenden Ausnahmefall dar.126 Angesichts des Gesamtumfanges des Landeshaushaltes und der avisierten Einnahmen durch eine City-Maut, dürfte ein unvertretbares, den Haushaltsgesetzgeber einschränkendes Maß nicht erreicht werden. Zudem darf die Zwecksteuer nicht zweckuntauglich sein. Eine solche Zweckuntauglichkeit wird angenommen, wenn der Zweck nicht erfüllbar ist oder bundesrechtlich zu missbilligen ist. Danach darf das Aufkommen der Zwecksteuer nicht außerhalb „jeder vernünftigen Relation zu dem stehen, was die Erfüllung des Zwecks erfordert“.127 Somit hängt es von der konkreten Ausgestaltung der City-Maut und deren Ertrag ab, ob dessen Relation zur Zweckerfüllung als noch erforderlich angesehen werden kann. Da die Zweckbindung einen weiteren Ausbau des ÖPNV und dessen Aufrechterhaltung sicherstellen soll und die avisierte City-Maut nur einen Teil dieser Kosten tragen wird, wird eher von einer Tauglichkeit auszugehen sein. 6.2.3 Gesetzgebungskompetenz und Ertragshoheit für eine City-Maut als Steuer Der Bund hat gem. Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung über die „[…] Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG vorliegen“. 122 Klinger, ZUR 2016, 591, 593. 123 Zur Zulässigkeit von Verwendungszwecken BVerfGE 110, 274, 294. 124 BVerfGE 65, 325, 344. 125 BVerfGE 110, 274, 294. 126 Seiler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. EL März 2019, Art. 105 Rn. 38. 127 BVerwG, NVwZ 1983, 349, 350. 51/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Zwar hat der Bund von einer City- bzw. Pkw-Maut in der hier diskutierten Form bisher keinen Gebrauch gemacht, so dass auch die Länder eine gesetzliche Regelung diesbezüglich erlassen könnten. Jedoch stehen gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 GG ausschließlich dem Bund „sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrssteuern“ zu. Die Einnahmen aus einer Maut, auch wenn sie sich auf Straßen der Länder erstreckt, werden als von dieser Regelung umfasst angesehen.128 Für den vorliegenden Fall, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, ihm jedoch die Ertragshoheit gem. Art. 106 Abs. 1 GG zustünde, werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Mit Verweis auf die Abhängigkeit des Bundes von Landesgesetzgeber, wird zum Teil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes angenommen bzw. ihm die Ertragshoheit nur dann zugesprochen, wenn es sich bei dem Steuergesetz um ein Bundesgesetz handelt. In Hinblick auf den Wortlaut des Grundgesetzes sind diese Ansichten jedoch abzulehnen, so dass das Auseinanderfallen von Gesetzgebungs- und Ertragskompetenz hinzunehmen ist.129 Angesichts der Zielvorgabe, der Stärkung des ÖPNV auf Landesebene, ist eine Ausgestaltung als Steuer, sofern man diese für möglich erachtet, nicht zielführend, da die Mittel nicht dem Land als ÖPNV-Träger zu Gute kommen. 6.3 Ausgestaltung als Gebühr Die Einführung einer City-Maut als Straßennutzungsgebühr kommt in Betracht. Unter dem Begriff der Benutzungsgebühr versteht man eine Gegenleistung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen sowie für damit in Zusammenhang stehende Leistungen. In § 3 Abs. 2 GebBtrG wird überdies klargestellt, dass auch die Möglichkeit der Nutzung ausreicht. Die in Anspruch genommenen öffentlichen Einrichtungen bzw. Leistungen sind die Straßen, die von der City-Maut umfasst werden. 6.3.1 a) Gesetzgebungskompetenz für eine City-Maut als Straßennutzungsgebühr Rechtsgrundlage Die Zuständigkeit der Länder zur Einführung einer City-Maut als Straßennutzungsgebühr resultiert aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG, der die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des „Straßenverkehr[s], […] sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“ enthält. Die Länder haben daher so lange die Gesetzgebungskompetenz, so lange der Bund nicht durch Gesetz von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. 128 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut, S. 6 f.; so wohl auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012, Art. 106 Rn. 19. 129 Mit Übersicht zum Meinungsstand und weiteren Nachweisen: Heintzen, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012, Art. 105 Rn. 49. 52/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Die Norm regelt nicht nur die Zuständigkeit für Bundesstraßen des Fernverkehrs sondern für alle zum Straßenverkehr oder einzelne Arten des Straßenverkehrs bestimmte Flächen130. Da der Bundesgesetzgeber in den § 7 Abs. 1 Satz 4 und § 8 Abs. 3 FStrG vom Recht der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht und bereits Regelungen für Bundesfernstraßen getroffen hat, sind diese von einer landesrechtlichen Regelung ausgenommen. Im Übrigen hat der Bund keine weitergehenden Gesetze erlassen. Da Art. 72 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund an weitere Voraussetzungen knüpft und dieser dadurch nur bei Bedarf tätig werden kann, ist eine bundesgesetzliche Regelung derzeit nicht abzusehen. Weder ist ein handfester Missstand zu erkennen, der das bundesstaatliche Sozialgefüge erheblich beeinträchtigen muss131 und eine Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich macht. Noch ist eine Regelung zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich. Gerade die für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes notwendige Rechtszersplitterung132 ist durch die Einführung einer City-Maut nicht erkennbar, was bereits an der Existenz gebührenpflichtiger Straßenbauprojekte und Tunnel zu sehen ist.133 Das Land Berlin hat daher eine Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Landesstraßen. b) Bundesfernstraßen innerhalb des Landes Berlin Der Bund hat die Gebührenerhebung bislang nur hinsichtlich der Bundesfernstraßen geregelt. Hierunter fallen gem. § 1 Abs. 2 FStrG sowohl Bundesautobahnen als auch Bundesstraßen mit den Ortsdurchfahrten. Für die auf Berliner Gebiet verlaufenden Bundesfernstraßen besteht daher seitens des Landes keine Gesetzgebungskompetenz. Auch, wenn eine Ausklammerung der Bundesfernstraßen von der City-Maut in Hinblick auf den Lenkungszweck zum Teil als nicht sinnvoll erachtet und der Bund als geeigneter Gesetzgeber angesehen wird, 134 berührt dies nicht die Zuständigkeit des Landes für die übrigen Straßen.135 Dass sich Verkehrsteilnehmer ausschließlich auf Bundesfernstraßen durch die Stadt bewegen, dürfte zudem eine Ausnahme darstellen. 136 Wie die Ausklammerung in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann, hängt von der konkreten Ausgestaltung der City-Maut und ihren Kontrollmöglichkeiten ab. In Betracht käme eine Beschilderung an den Ausfahrtsstraßen und Kreuzungen.137 6.3.2 Gebührenschuldner*innen Die Frage, wer als Gebührenschuldner*in heranzuziehen ist, stellt bei der Ausgestaltung als Benutzungsgebühr keine Schwierigkeit dar, da gem. § 10 Abs. 2 GebBtrG der*diejenige 130 Kunig, in: in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012, Art. 74 Rn. 98. 131 BVerfG, NJW 2015, 2399, 2400. 132 Seiler, in: BeckOK Grundgesetz, 41. Edition, Art. 72 Rn. 13. 133 So auch: Wissenschaftliche Dienste, WD 3 v. 13.02.2013 – 3000 – 015/13, Bundeskompetenz zur Einführung einer Maut auf Straßen der Länder und der Kommunen, S. 7. 134 Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1439. 135 So auch: Klinger, ZUR 2016, 591, 594. 136 So auch: Klinger, ZUR 2016, 591, 594. 137 Vgl. Klinger, ZUR 2016, 591, 591 f., der das Zeichen 391 („Mautpflichtige Strecke“) heranzieht, das seiner Ansicht nach auch für eine gebietsbezogene Anordnung verwendet werden kann. 53/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV heranzuziehen ist, der*die die Einrichtung benutzt oder dem*der die Nutzung zuzurechnen ist. Gebührenschuldner*innen wären damit die Autofahrer*innen, die Straßen im Bereich der City-Maut nutzen. 6.3.3 Maßgebliche Gebührenhöhe Die Höhe einer Straßennutzungsgebühr ist gem. § 8 Abs. 1 GebBtrG in einer Gebührenordnung unter näherer Bezeichnung der Art und des Inhalts der die Zahlungspflicht begründenden Anlage im Voraus nach festen Sätzen zu bestimmen. Problematisch erscheint die Festsetzung der maßgeblichen Gebührenhöhe, da dem Gebührenrecht der Grundsatz der Kostendeckung und das Äquivalenzprinzip zu Grunde liegen. Der Grundsatz der Kostendeckung hat über § 8 Abs. 3 GebBtrG eine Regelung im Berliner Recht erfahren und schreibt fest, dass die „Höhe der Benutzungsgebühren […] so zu bemessen [ist], daß alle Kosten der Einrichtungen gedeckt sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und technische Entwicklung gebildet werden können.“. Da die City-Maut jedoch nicht zur Unterhaltung der Straßeninfrastruktur erhoben wird, sondern es ausschließlich um die Straßennutzung geht, scheidet eine Orientierung an diesem Grundsatz aus.138 Das Äquivalenzprinzip ist die Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und besagt, dass die Gebühr, bezogen auf den gesetzlich bestimmten Zweck, nicht in einem groben Missverhältnis zu der vom Träger erbrachten Leistung stehen darf, deren Wert sich insbesondere in den dafür erbrachten staatlichen Aufwendungen niederschlägt.139 Es dient somit der Abschöpfung von Vorteilen, die dem*der Einzelnen aus der Leistung der öffentlichen Hand entstehen. Die Bemessung der Gebühr anhand der bereitgestellten staatlichen Leistung in Form der Verkehrsinfrastruktur ist schwer, da für diese kein Marktpreis existiert.140 Daher wird zum Teil eine Orientierung an ÖPNV-Ticketpreisen erwogen.141 Es ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass gebührenrechtliche Regelungen auf eine gewünschte Verhaltenssteuerung ausgerichtet werden dürfen und damit eine Lenkungswirkungen bezwecken können.142 Die sachlichen Gründe, die die Gebührenbemessung rechtfertigen können, sind daher auch soziale Zwecke und Zwecke der Verhaltenslenkung.143 Der Gesetzgeber hat bei der Gebührenbemessung aufgrund der häufig nicht exakt und im Voraus quantifizierbaren Bestimmungsgrößen einen gewissen Gestaltungsspielraum.144 Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Lenkungsziele allein nicht die Erhebung der Gebühren rechtfertigen können 138 So Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440. 139 BVerfG, Urteil v. 04.08.2010 – 9 C 6/09, Rn. 38; Schönenbroicher, in Christ/Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, Kapitel D Rn. 589. 140 Münzing, NZV 2014, 197, 200. 141 So Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440. 142 BVerfG, Urt. v. 04.08.2010 – 9 C 6/09, Rn. 17. 143 BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvL 2/14, 2 BvL 5/14, 2 BvL 4/14, 2 BvL 3/14, Rn. 64. 144 BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvL 2/14, 2 BvL 5/14, 2 BvL 4/14, 2 BvL 3/14, Rn. 66 f. 54/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV – sie können vielmehr erst bei der Rechtfertigung von Differenzierungen bei der Gebührenhöhe eine Rolle spielen, um dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG gerecht zu werden. 6.3.4 Durchsetzbarkeit durch Kennzeichenerfassung Je nach Ausgestaltung der City-Maut stellen sich weitere Fragen zur Durchsetzbarkeit und Kontrolle. Bei einer City-Maut durch automatische Kennzeichenerfassung durch Kameras, muss diese datenschutzrechtlichen Anforderungen genügen. Da bei dieser Form der Ausgestaltung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen würde, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.145 Die gesetzliche Grundlage muss Regelungen umfassen, dass die Daten nur zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der City-Maut erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen. Ebenso ist die unverzügliche Löschung der Daten anzuordnen, nachdem die Entrichtung der City-Maut festgestellt wurde. 6.4 Ausgestaltung als Sonderabgabe Bei der Ausgestaltung der City-Maut als Sonderabgabe ist zwischen der Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion und der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion zu unterscheiden. Der Unterschied zu einer Straßennutzungsgebühr bestünde darin, dass die Sonderabgabe nicht von einer Gegenleistung abhinge, der Unterschied zur Steuer besteht darin, dass die Sonderabgabe sich an einer bestimmten Gruppe mit besonderer Verantwortung orientiert.146 6.4.1 Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Sonderabgabe Die Gesetzgebungskompetenz für eine Sonderabgabe, gleich ob mit Finanzierungs- oder Lenkungsfunktion, resultiert aus der Sachgesetzgebungszuständigkeit der Art. 70 ff GG. 147 Hierzu kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Den Ländern steht die Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG zu, wobei die vom Bund bereits geregelten Materien auszunehmen sind. 6.4.2 Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion Aufgrund der Nähe zur Steuer und den nicht zu unterlaufenen föderalen Gesetz- gebungskompetenzen, steht die Sonderabgabe unter einem strengen Rechtfertigungsdruck.148 Sie ist daher nur zulässig, wenn sie 145 Eine Orientierung kann anhand der Regelungen des Bundesfernstraßenmautgesetzes vom 12.07.2011 (insb. §§ 4 und 9 BFStrMG) erfolgen, BGBl. I, S. 1378. 146 Pommer, in Christ/Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, Kapitel G Rn. 5. 147 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut, S. 9. 148 Seiler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. EL März 2019, Art. 105 Rn. 84. 55/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • von einer homogenen Gruppe von Abgabenpflichtigen, die durch eine vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit abgrenzbar ist, erhoben wird, • zwischen dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck und der Gruppe eine spezifische Sachnähe im Sinne einer Gruppenverantwortung besteht, • das Abgabenaufkommen gruppennützig verwendet wird • und die Sonderabgabe regelmäßig überprüft wird.149 Die City-Maut als Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion für den ÖPNV kommt nicht in Betracht. Während sich die Gruppenzugehörigkeit noch aus den Nutzer*innen der mautpflichtigen Straßen ergibt, fehlt es vorliegend an der gruppennützigen Verwendung. Die positiven Effekte eines ausgebauten ÖPNV und dessen stärkere Nutzung, die sich in einer Entlastung des Innenstadtverkehrs und einer Staureduzierung bemerkbar macht, sind mittelbare Effekte. Der unmittelbare Nutzen des ÖPNV kommt allen Bewohner*innen und Pendler*innen in diesem Bereich zu Gute, so dass eine Mittelverwendung im Interesse der Allgemeinheit vorliegt.150 6.4.3 Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion Möglich erscheint jedoch die Ausgestaltung in Form der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion. Lenkungssonderabgaben sind Abgaben, die Anreize zu bestimmten Verhalten setzen sollen. Die Voraussetzungen zur Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion gelten hier in eingeschränkter Form.151 Insbesondere kommt es bei der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion nicht darauf an, dass das Abgabenaufkommen nach seiner Erhebung den Abgabepflichtigen zugutekommt. Dies resultiert aus dem Anlass der Abgabe, die nicht primär der Finanzierung dient, sondern Anreiz für ein bestimmtes Verhalten setzen will. Mit der City-Maut können verschiedene Ziele verfolgt werden, wie eine Intensivierung des Umweltschutzes oder die Reduzierung des innerstädtischen Verkehrs im mautpflichtigen Bereich. Da eine Finanzierung nicht primäres Ziel dieser Ausgestaltung ist, liegt das Ziel vorliegend darin, die Kraftfahrzeuge aus der Innenstadt fern zu halten und die Nutzer*innen auf den ÖPNV umzusteigen zu lassen. Die Abgabe betrifft eine homogene Gruppe, die sich von der Allgemeinheit abgrenzen lässt – Autofahrer*innen, die in den mautpflichtigen Bereich einfahren. Ebenso liegt die erforderliche Sachnähe vor, da MIV zur Luftverschmutzung und zur Bildung von Staus beiträgt. Die gruppennützige Verwendung lenkungszweckbezogenen wird dahingehend Verwendung zugeführt modifiziert, wird.152 als Bei dass der die Abgabe einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe sah das Gericht die gruppennützige Verwendung darin, dass das Abgabeaufkommen insgesamt für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwenden ist 149 BVerfG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3/77. 150 Klinger, ZUR 2016, 591, 595; Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440. 151 BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 50/83. 152 Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440. 56/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV und dazu „Eingriffe zu vermeiden und Unvermeidbare auszugleichen oder dafür Ersatz zu schaffen“.153 Parallel dazu dient der Ausbau des ÖPNV und dessen Betrieb dem Zweck, Belastungen der Allgemeinheit durch Staus und überhöhtes Verkehrsaufkommen zu reduzieren, da durch bessere Verkehrsanbindungen und günstigere Ticketpreise der Gebrauch des eigenen Autos unattraktiver erscheint.154 Im Gegensatz zur Ausgestaltung der City-Maut als Straßennutzungsgebühr, der eine Gegenleistung gegenübersteht, ist die Bemessung der Höhe der Sonderabgabe hier weniger problematisch. 6.5 Grundrechtliche Aspekte Die Einführung einer City-Maut betrifft in jeder Ausgestaltung den grundrechtlich geschützten Bereich der Bürger*innen. Ein Eingriff in Art. 14 GG dürfte nicht anzunehmen sein, da der Eigentumsschutz des Grundgesetztes nicht das Vermögen als solches umfasst und staatliche Abgabepflichten, durch Steuern oder Gebühren, nicht umfasst.155 Auch wenn man mit Anknüpfung an die konkrete Eigentumsposition der Kraftfahrzeuginhaber*innen und die eingeschränkte Benutzungsmöglichkeit eine Beeinträchtigung annimmt,156 müsste eine hohe Belastungswirkung erreicht werden, um sie einem klassischen Eingriff gleichzustellen.157 Die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dürfte durch den legitimen Zweck der Verkehrsverminderung auf innerstädtischen Straßen, die Eignung sowie die Erforderlichkeit der Maßnahme, gerechtfertigt sein. Die Angemessenheit der Maßnahme dürfte von der konkreten Ausgestaltung abhängen. Aufgrund des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG sind Befreiungen für Personen vorzunehmen, die, wie Schwerbehinderte, auf eine Benutzung von Kraftfahrzeugen in der Innenstadt zwingend angewiesen sind.158 6.6 Zwischenergebnis Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Einführung einer City-Maut einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Eine Ausgestaltung als Steuer ist, sofern man sie überhaupt für einschlägig erachtet, angesichts der Ertragshoheit nicht zielführend. Die Einführung als Straßenbenutzungsgebühr beziehungsweise als Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion erscheint möglich – auch, wenn hinsichtlich der Gebührenhöhe rechtliche Schwierigkeiten vorliegen. 153 BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 50/83. 154 So auch Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440 f. 155 BVerfG, Urt. v. 08.04.1997 – 1 BvR 48/94. 156 So: Klinger, ZUR 2016, 591, 597. 157 Zur Eingriffsqualität von Zahlungspflichten: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 14. A. 2016, Art. 14 Rn. 28 f. 158 Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1443. 57/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 7 PARKGEBÜHREN 7.1 Allgemeine Kompetenz für die Erhebung von Parkgebühren Der Bund hat in § 6a Abs. 6 StVG, §§ 13, 45 StVO eine Straßennutzungsgebühr in Form der Parkgebühr geregelt – also ausschließlich eine Gebühr für den ruhenden Verkehr. Diese Parkgebühren sind von dem Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Var. 4 GG umfasst, der die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung von öffentlichen Straßen regelt. In § 6a Abs. 6 StVG ist geregelt, dass für „das Parken auf öffentlichen Wegen und Plätzen […] in Ortsdurchfahrten die Gemeinden, im Übrigen die Träger der Straßenbaulast, Gebühren erheben [können]. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen.“. Die nun vorliegende Ausgestaltung der Norm verfolgt das Ziel, „die Parkgebührenerhebung künftig vollständig der freien Disposition der Kommunen zu überlassen.“.159 7.2 Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung Durch den § 6a Abs. 6 StVG kommt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass die Nutzung des öffentlichen Raums eine öffentliche Leistung darstellt. Die Schaffung und Einräumung von Parkraum geht über die üblichen Leistungen des Gemeinwesens hinaus, so dass Verkehrsteilnehmer*innen, die diese Leistung nutzen, angemessen an den Kosten beteiligt werden, die der „Aufrechterhaltung des Fahrzeugverkehrs durch bauliche und verkehrstechnische Maßnahmen dienen.“.160 7.2.1 Einschränkende Vorgaben der StVO Obwohl die Regelung in § 6a Abs. 6 StVG die Erhebung von Gebühren voraussetzungslos vorsieht, muss die Einführung einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung, die eine Beschränkung des Verkehrs darstellt, verkehrlich begründet werden. Die Rechtsgrundlage für die Anordnung des gebührenpflichtigen Kurzzeitparkens ist § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO,161 da § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO nur für die Anordnung von Bewohnerparkzonen gilt. Die Vorgaben in § 45 StVO sehen jedoch einen Numerus clausus von Tatbeständen vor. Daher bedarf es einer verkehrlichen Begründung, wie etwa hohem Parkdruck162, um die Nutzung einschränken zu können. Eine Parkraumbewirtschaftung findet daher dort statt, wo die Zahl der parkenden Autos die Zahl der vorhandenen Parkplätze übersteigt und somit eine Überschussnachfrage besteht. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Parkdruck“ ist nicht vorhanden. 159 BT-Drs. 15/1496, S. 6. 160 BT-Drs. 15/1496, S. 6. 161 VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00. 162 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Leitfaden Parkraumbewirtschaftung, Berlin 2004, S. 28. 58/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Verursacht der hohe Parkdruck, dass der Verkehrsfluss oder die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer*innen beeinträchtigt wird, kann aufgrund von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO die Anordnung des Kurzzeitparkens in Betracht kommen. Dafür muss das geschützte Gut, die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, konkret gefährdet sein – wobei es ausreichend ist, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist. Es reicht aus, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können.163 7.2.2 Bestimmtheit der Maßnahme und verkehrspolitische Zielsetzung Die Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können nur für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken, also konkrete örtliche Verkehrssituationen getroffen werden.164 Flächendeckende Maßnahmen können daher nur dann ganze Gemeindegebiete oder Ortsteile umfassen, wenn die Voraussetzungen bei jeder einzelnen Straße vorliegen.165 Das gilt ebenso für flächendeckende Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen. In aller Regel bildet § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO keine geeignete Rechtsgrundlage zur Erreichung einer „autofreien Innenstadt“.166 Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, die allein der Verwirklichung allgemeiner verkehrspolitischer Ziele, wie der Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs, oder der Förderung des ÖPNV dient, scheidet aus.167 Dies gilt auch dann, wenn die Parkraumbewirtschaftung gerade das Ziel verfolgt, Fahrzeugverkehr zugunsten des Wirtschafts-, Anwohner- und öffentlichen Nahverkehrs zu verdrängen.168 Anordnungen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO müssen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs notwendig sein. Eine Beschränkung auf Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt daher allenfalls dann in Betracht, wenn jedenfalls straßenverkehrsbezogene Gründe vorliegen, die für sich allein die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen.169 7.2.3 Geordnete städtebauliche Entwicklung Eine Anordnung von flächendeckenden Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen – außerhalb von Fußgänger- und verkehrsberuhigten Bereichen – mit Verweis auf die geordnete städtebauliche Entwicklung gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO stößt auf rechtliche Bedenken. Die Straßenverkehrsbehörden werden durch § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO ermächtigt, notwendige Anordnungen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu treffen. 163 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 6, 8. 164 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 27. 165 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 4. 166 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 27. 167 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 28. 168 VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00. 169 KG Berlin, Beschl. vom 05.07.1990 – 2 Ss 157/90 – 3 Ws (B) 163/90; VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 28 m.w.N. 59/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Für die Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung mittels Anordnungen bedarf es zunächst eines hinreichend konkreten Verkehrskonzepts für den betroffenen Bereich. 170 Der Anwendungsbereich der Norm wird jedoch durch das BVerwG mit Verweis auf deren Rechtsgrundlage, § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG, auf den Immissionsschutz in Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen beschränkt.171 In § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG wird das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt, Rechtsverordnungen über „[…] die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen und die Beschränkungen oder Verbote des Fahrzeugverkehrs zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit in diesen Bereichen, zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen und zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“ zu erlassen. Dieses Verständnis mag unter dem Gesichtspunkt, dass Fußgänger- und verkehrsberuhigte Bereiche ohnehin schon geringerer Lärm- und Abgasbelastung ausgesetzt sind nicht sinnvoll erscheinen. Ebenso bestehen getrennte Regelungen zu Fußgänger- und verkehrsberuhigten Bereichen einerseits (§ 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 StVO), und zu Lärm- und Abgasschutz (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) und zur städtebaulichen Entwicklung andererseits (§ 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO). Auch ein Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur vertritt jedoch die Auffassung, dass § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO keine Ermächtigung für flächendeckende Verkehrsbeschränkungen umfasse.172 7.2.4 Schutz vor Lärm und Abgasen Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung unter Bezugnahme auf die Luftreinhaltung erscheint ungewiss. Zur Kompetenz gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO gelten die zuvor gemachten einschränkenden Ausführungen. Gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können verkehrsbeschränkende Maßnahmen auch zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen erlassen werden. Der nach der Vorschrift zulässige Lärmschutz ist grundsätzlich subsidiär – da planerische Maßnahmen nach Bundesimmissionsschutzgesetz und passive Schallschutzmaßnahmen vorrangig sind.173 Die Immission braucht jedoch nicht die Gefahrenschwelle zu überschreiten, es genügt, dass die Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird.174 Obwohl § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch Maßnahmen zum Schutz vor Abgasen, also die Luft verunreinigende Stoffe, die vom Motor durch den Auslass in die Atmosphäre gelangen,175 umfasst, hat das BVerwG die Vorschrift nicht als taugliche Grundlage zur flächendeckenden Beschränkung zum Schutz vor erhöhten Ozonkonzentrationen angesehen.176 170 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 63. 171 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25.98; Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 63. 172 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 35. 173 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 33. 174 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 34. 175 Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 40. 176 BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25.98; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 29 – im Übrigen handelt es sich bei Ozon schon nicht um ein Abgas, da es erst aufgrund chemischer Umwandlung entsteht. 60/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Hinsichtlich des Zieles der Einhaltung von Schadstoff-Grenzwerten ist zu beachten, dass das VG Wiesbaden nunmehr die Aufnahme eines Parkraumbewirtschaftungskonzepts in den Luftreinhalteplan als erforderlich ansah. Zur Begründung wurde auf die erhebliche Abnahme des innerstädtischen motorisierten Individualverkehrs und die damit einhergehende SchadstoffMinderung abgestellt. Kostenloser Parkraum solle grundsätzlich Anwohner*innen und Schwerbehinderten vorbehalten bleiben.177 Die hierfür notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlten jedoch aus Sicht der Berufungsinstanz.178 7.3 Gebührenhöhe für Kurzzeitparken Die Gebühren und deren Höhe werden von den Landesregierungen festgesetzt und weisen eine besondere Steuerungswirkung auf. Die Gebührenerhebung in Berlin ist gem. § 1 Abs. 1 S. 2 der Verordnung zur Erhebung von Gebühren an Parkuhren und an Parkscheinautomaten (ParkGebO BE) nach dem Wert festzusetzen, den der Parkraum für die Nutzer*innen nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen hat. Daher sind andere öffentliche Interessen, wie lokale Luftreinheit, bei der Festlegung der Gebührenhöhe unberücksichtigt zu lassen. Die konkrete Wertermittlung wird durch § 1 ParkGebO BE nicht vorgegeben. Die Wertermittlung könnte sich an den Mietkosten für private Pkw-Stellplätze orientieren. Eine Ausgestaltung durch dynamisch, zeitlich gestaffelte Gebühren, ist möglich, so dass Nachfrageschwankungen berücksichtigt werden können. Da der schwankenden Attraktivität der Parkflächen und unterschiedlichen Bedarfen zu verschiedenen Tageszeiten Rechnung getragen wird, orientiert sich eine solche dynamische Regelung eher am Wert des Parkraums für die Benutzer*innen. Die für die Gebührenhöhe festgelegte – beschränkende – Orientierung am Wert des Parkraums für die Benutzer*innen könnte durch eine Gesetzesänderung auf Landesebene geändert werden. 7.4 Handlungsspielräume bei Gebühren für Bewohnerparken Bei Maßnahmen der Parkraumbewirtschaftung, die mit der Erhebung einer Gebühr verbunden sind, erfolgt in der Regel eine Bevorrechtigung von Bewohner*innen der jeweiligen Gebiete. 7.4.1 Bewohnerparkausweis gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO Die Bevorrechtigung nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO wird entweder durch Reservierung von Parkraum oder durch Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen eingeräumt. Der Handlungsspielraum bei der Festlegung der Gebührenhöhe für das Bewohnerparken war hierbei bisher eingeschränkt. Die Kommune war an den vom Bund festgesetzten Gebührenrahmen der 177 VG Wiesbaden, Urt. v. 05.09.2018 – 4 K 1613/15.WI. 178 VGH Kassel, Urteil v. 10.12.2019 – 9 A 2691/18. 61/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) gebunden. Nach Gebührennummer 265 der Anlage zu § 1 GebOSt konnte für Bewohnerparkausweise maximal eine Gebühr in Höhe von 30,70 Euro pro Jahr erhoben werden. Durch die Reform des Straßenverkehrsgesetzes haben sich jedoch weitere Handlungsspielräume ergeben. Der nunmehr neu eingefügte § 6a Abs. 5a StVG lautet: „Für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel können die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren erheben. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen. In den Gebührenordnungen können auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. In den Gebührenordnungen kann auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen werden.“ In Berlin beträgt die Verwaltungsgebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises bei bis zu zweijähriger Geltungsdauer 20,40 Euro.179 Angesichts des neuen § 6a Abs. 5a StVG besteht nunmehr die Möglichkeit für das Land Berlin von dem bisherigen Gebührenrahmen abzuweichen und insbesondere den wirtschaftlichen Wert der Parkmöglichkeit für die Bewohner*innen angemessen zu berücksichtigen. 7.4.2 a) Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 StVO Rechtsgrundlage und Erteilungsvoraussetzungen Ein Parkausweis für Anwohner*innen kann gem. § 46 Abs. 1 StVO auch als Ausnahmegenehmigung erteilt werden, wobei die Erteilung im Ermessen der Behörde liegt. 180 Betraf die Ausnahmegenehmigung in der Regel Betriebsvignetten und Handwerkerparkausweise, 181 so sind einige Städte, wie Leipzig und München, inzwischen dazu übergegangen, Bewohnerparkausweise nach § 46 Abs. 1 StVO zu erteilen. Die Ausgestaltung kann zum Beispiel in der Form der Ausnahmegenehmigung zum gebührenfreien Parken an Parkscheinautomaten (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4a StVO) 182 erfolgen. Die Form einer Ausnahmegenehmigung steht der wiederkehrenden Erteilung dabei nicht entgegen – da die Genehmigung erneuert werden kann, solange die Voraussetzungen vorliegen. 183 VI. VwV zu § 46 StVO schreibt lediglich fest, dass Dauerausnahmegenehmigungen auf höchstens drei Jahre zu befristen sind. 179 https://service.berlin.de/dienstleistung/121721/ - letzter Aufruf: 25.09.2019. 180 Sächsisches OVG, Beschl. v. 08.10.2012 – 3 A 431/11. 181 Vgl. hierzu https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/ordnungsamt/betriebsvignetten-handwerkerparkausweise/, letzter Aufruf 07.10.2019. 182 Vgl. https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-unddienstleistungen/dienstleistung/erteilung-von-ausnahmegenehmigungen-fuer-das-anwohnerparken-nach-46-abs-1-stvo-530f03b542b99/, letzter Aufruf 07.10.2019. 183 Müller/Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 46 StVO Rn. 4. 62/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Nach den VwV zu § 46 StVO kann eine Ausnahmegenehmigung nur in dringenden Fällen erteilt werden, wobei an den Nachweis der Dringlichkeit strenge Anforderungen zu stellen sind. Die praktische Umsetzung dieser Voraussetzung erfolgt zum Teil dergestalt, dass die Ausnahmegenehmigung nur erteilt wird, wenn nachgewiesen wird, dass private Stellplätze nicht genutzt werden können.184 Dadurch wird auch dem rechtlichen Einwand begegnet, dass die Gestaltung von Bewohnerparkausweisen als Ausnahmegenehmigung eine Umgehung der Vorschriften zu Bewohnerparkausweisen in § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2b StVO sei. Bei dem beschriebenen Vorgehen ist der Kreis der Berechtigten nämlich nicht deckungsgleich, da im Fall der Ausnahmegenehmigung zusätzliche Nachweise geführt werden müssen. Darüber hinaus sind nur Ausnahmen zu gewähren, deren Notwendigkeit aus der konkreten Situation heraus resultieren – und nicht aus einem allgemeinen Verkehrskonzept. Die Literatur führt daher aus, dass ein an städtebauliche Belange anknüpfendes Konzept der Anwohnerprivilegierung nicht über §§ 45, 46 StVO möglich sei, vielmehr muss sich die Parkraumbeschränkung als notwendig erweisen, so dass sich die besondere Behandlung der Anwohner*innen als Nachteilsausgleich erweist, sofern sie die Regelung übermäßig hart trifft.185 Bisher beschränkt sich die Anwendung des § 46 StVO in Hinblick auf das Bewohnerparken jedoch auf begrenzte innerstädtische Bereiche – nicht auf eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung. Da diesbezüglich keine Rechtsprechung vorliegt, kann nicht abschließend beurteilt werden, wie ein mit dieser Frage befasstes Gericht entscheiden wird. b) Gebührenrahmen Bei der Ausnahmegenehmigung handelt es sich um eine gebührenpflichtige Verwaltungshandlung. Gem. Gebührennummer 264 der Anlage zu § 1 GebOSt kann für die Ausnahmegenehmigung eine Gebühr zwischen 10,20 Euro und 767,00 Euro je Ausnahmetatbestand und je Fahrzeug/Person erhoben werden – womit der Gebührenrahmen deutlich über dem bisher bundesrechtlich festgelegten Gebührenrahmen nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO liegt. Aufgrund des bereits genannten Prinzips der Kostendeckung sowie des Äquivalenzprinzips dürfte bei der Festlegung der Gebührenhöhe der finanzielle Vorteil der Ausnahmegenehmigung gegenüber der privaten Anmietung eines Stellplatzes bzw. der hohen Parkgebühren zu berücksichtigen sein. Ebenso dürften auch die Betriebskosten, die der Stadt durch die Bereitstellung einer Parkfläche auf einer öffentlichen Straße entstehen, in die Bewertung mit einfließen. 7.5 Überschüsse und Ertragshoheit Bei der Erhebung von Parkgebühren kann neben verkehrspolitischen Zwecken auch die Einnahmenerzielung berücksichtigt werden. Die Erhebung von Parkgebühren basiert auf der bundesrechtlichen Grundlage des § 6a Abs. 6 StVG, weshalb ein aus Kommunalabgabengesetzen 184 Vgl. https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-unddienstleistungen/dienstleistung/erteilung-von-ausnahmegenehmigungen-fuer-das-anwohnerparken-nach-46-abs-1-stvo-530f03b542b99/, letzter Aufruf 08.10.2019. 185 Tettinger/Tettinger, NZV 1998, 481, 484. 63/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV stammendes Kostenüberschreitungsverbot nicht gilt.186 Da die Einnahmen aus den Parkgebühren nicht zweckgebunden sind,187 sind die Gemeinden grundsätzlich frei, diese im Rahmen des Haushaltsrechts einzusetzen. Auch eine Verwendung für den ÖPNV ist damit denkbar. Teilweise wird vertreten, die fehlende Zweckbindung indiziere zugleich, dass eine Einnahmenerzielung stattfinden darf, ohne dass der Kostenaufwand für die Errichtung und Unterhaltung der Gemeindestraßen exakt gegengerechnet werden müsse.188 Vor dem Hintergrund der beabsichtigten verbesserten ÖPNV-Finanzierung erscheint die Parkraumbewirtschaftung jedoch unter dem Aspekt der Ertragshoheit als problematisch, da die Einnahmen den Berliner Bezirken zustehen. Eine direkte Kopplung zwischen den Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung und ÖPNV-Finanzierung ist daher nicht ohne Weiteres möglich. 7.6 Durchsetzung Hinsichtlich der Durchsetzung eines erweiterten oder flächendeckenden Parkraumkonzeptes ist auf das Erfordernis von ausreichenden Sach- und Personalressourcen hinzuweisen. Im Rahmen der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften wird zum Teil auch die Einführung höherer Bußgelder – die insbesondere über den erhobenen Parkgebühren liegen sollten – als ratsam erachtet.189 7.7 Zwischenergebnis Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung ist insbesondere in Bereichen mit hohen Parkdruck möglich. Ebenso bestehen derzeit schon Handlungsspielräume hinsichtlich der Gebührenhöhe, die noch nicht genutzt wurden. In Bezug auf die Parkraumbewirtschaftung für Bewohner*innen eines bestimmten Quartiers kann zwar grundsätzlich auch die Umsetzung über eine Ausnahmegenehmigung erwogen werden. Durch die Neueinfügung des § 6a Abs. 5a StVG steht jedoch ein Handlungsspielraum zur Verfügung, der diesen Rückgriff obsolet macht. Für eine flächendeckende Ausweitung bestehen insoweit rechtliche Unsicherheiten. 186 OVG Greifswald, Urt. v. 27.02.2018 – 1 K 21/14; VG München, Urt. v. 11.08.2010 – M 23 K 10.462. 187 VG Aachen, Beschl. v. 19.01.2007 – 2 L 432/06. 188 OVG Greifswald, Urt. v. 27.02.2018 – 1 K 21/14. 189 VG Wiesbaden, Urt. v. 05.09.2018 – 4 K 1613/15.WI. 64/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV TEIL II: VERKEHRSWIRTSCHAFTLICHE BEWERTUNG 8 GRUNDLAGEN 8.1 Methodik und Prozessablauf In den letzten Jahren hat die Diskussion über eine zukunftsträchtige Finanzierung des ÖPNV wieder deutlich an Fahrt gewonnen. Dabei sind drei Stoßrichtungen zu beobachten: • Auf kommunaler wie auf Landesebene sind zahlreiche Ansätze in der Erprobung, durch tarifpolitische Maßnahmen die Attraktivität des ÖPNV zur Unterstützung der Klimaschutzziele zu steigern oder seine Nutzung sozialpolitisch zu fördern. Beispiele hierfür sind 365Euro-Tickets für bestimmte Nutzer*innengruppen wie Schüler*innen/Auszubildende, verschiedene Sozialtickets oder auch ein kostenloser Nahverkehr wie in Luxemburg oder geplant in Monheim. Diesen Maßnahmen ist gemein, auf freiwilliger Basis angeboten zu werden. Die Finanzierungsdimension ergibt sich mittelbar, indem Einnahmenausfälle im Vergleich zum Status quo des Einführungszeitpunktes entstehen und kompensiert werden müssen. • Ein zweiter Impuls folgt der Überlegung, das klassische ÖPNV-Ticket auf der Leistungsseite hin zu einem Mobilitätsticket auszuweiten. Auch hierbei handelt es sich um Flatrates, die – zudem digital vertrieben – den Nutzer*innen anheimstellen, verschiedene Verkehrsmittel nach seiner Wahl nutzen zu können („Mobility as a service“). Beispiele hierfür sind das Konzept der Stadtwerke Augsburg (umfasst Straßenbahn, Bus, Car-Sharing und Leihräder) oder im internationalen Maßstab Helsinki, das sogar den Flugverkehr in der weitesten Auslegung einschließt. Die Herausforderung an die Finanzierung dieser Geschäftsmodelle liegt in der Mischkalkulation eines auskömmlichen Preises und der Einnahmeaufteilung, insbesondere solange das Nachfrageverhalten für neue Mobilitätsformen und deren Kostenfunktionen noch schwer einzuschätzen sind. • Die dritte Stoßrichtung – die den Schwerpunkt dieser Studie bildet – speist sich im Wesentlichen aus der Idee, eine Ausweitung des ÖPNV-Angebotes durch eine allgemeine Abgabe zu finanzieren, deren Einnahmen hierfür zugunsten des ÖPNV zweckgebunden werden. Die Analyse der beiden vorgenannten Fallgruppen ist hierfür insofern wertvoll, als die tarifären Zusammenhänge wichtige Erkenntnisse liefern können oder die Ausdehnung des Leistungsspektrums eine Chance bietet, den Mehrwert des Instrumentes Abgabe zu erhöhen und zu bewerben. In der Gesamtschau wird deutlich, dass es sich zu Beginn dieser Studie lohnt, sowohl auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene wie auch empirisch „über den Tellerrand“ zu schauen, welche Vorarbeiten und Praxisbeispiele Anschauungsunterricht für den Berliner ÖPNV liefern können. Konzeptionell sind vier vergleichbare Vorarbeiten erwähnenswert, für die in Abbildung 4 die untersuchten Instrumente sowie der Analyseansatz und die Kernaussagen aufgeführt werden. 65/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Auftraggeber, Studie Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Jahr 2015 Instrumente Bürger*innenticket Methodik / Kernaussagen ▪ Methodik: Schätzung des konsumtiven Finanzierungsbedarfs für einen fahrscheinlosen Berliner ÖPNV auf Sollkosten-Basis, und zwar durch Hochrechnung der Kosten je Pkm unter Einbeziehung von Verlagerungswirkungen, die zu Mehrbedarf an öffentlichen Verkehrsleistungen führen. ▪ Finanzierungsbedarf von 2,2 bis 2,7 Mrd. EUR p.a. (ohne Investitionen, bei moderaten Verlagerungswirkungen). ▪ Refinanzierung: Instrumente der Nutzer*innenund Nutznießerfinanzierung (s. links) wurden rechtlich wie monetär bewertet – fast deckungsgleich mit dem hier zugrunde gelegten Instrumentenkasten. ▪ Bewertung: Finanzierbarkeit über verschiedene Maßnahmen-Sets herstellbar, wenn jeweils das Bürger*innenticket oder der Erschließungsbeitrag mit Drittnutzerfinanzierungsinstrumenten und flankierenden Maßnahmen wie der City-Maut oder der Parkraumbewirtschaftung kombiniert werden. ▪ Diskussion einer großen Bandbreite an drittnutzerbasierten Finanzierungsinstrumenten, differenziert nach rechtlich bereits umsetzbaren Maßnahmen und solchen neuen, die rechtlichen Änderungsbedarf induzieren ▪ Vertiefte Analyse - ohne Berechnung der Einnahmenpotentiale - einzelner Instrumente der Nutzer*innen- und Nutznießerfinanzierung (s. links) ▪ Kfz-Nahverkehrs-abgabe (inkl. Abgrenzung zur Straßenbenutzungsgebühr) Weiteres Vorgehen: in 2018 Beauftragung einer detaillierteren Untersuchung der drei Instrumente Mobilitätspass für alle Einwohner*innen einer Kommune (Bürger*innenticket), Nahverkehrsabgabe von Kfz-Halter*innen und Straßenbenutzungsgebühr für Kfz-Nutzer*innen; hierzu Auswahl der vier Modellkommunen Mannheim/Heidelberg, Stuttgart, Tübingen und Bad Säckingen. ▪ Ergebnisse dieser Pilotuntersuchungen stehen zum Redaktionsschluss dieses Gutachtens noch aus. Bürger*innenticket ▪ Anlass für die Untersuchung: Ambition, den steigenden Finanzierungsbedarf im ÖPNV mit der politischen Forderung nach möglichst flachen Tarifsteigerungen in Einklang zu bringen ▪ Vorgehen: neben Rechtsgutachten zu ÖPNVBeitragsmodellen wurden fünf Einzelgutachten von verschiedenen Auftragnehmern zur Umsetzbarkeit und wirtschaftlichen Ergiebigkeit unterschiedlicher Instrumente der Nutzer*innenund Nutznießerfinanzierung (s. links) erstellt ▪ Ergebnis: verschieden hohe Finanzierungsbeiträge und unterschiedliche Eignungen der Instrumente für große Städte bzw. Kreise im Quervergleich; umgesetzt wurde bis dato noch kein konkreter Handlungsvorschlag Beiträge von: Arbeitgeber*innen, Gästen und Veranstaltungsorganisator*innen „Grundlagen- und Machbarkeitsstudie für einen fahrscheinlosen ÖPNV in Berlin“ Erschließungsbeiträge Erhöhung inkl. Zweckbindung der Grund-, Gewerbe- und Grunderwerbsteuer City-Maut Parkraumbewirtschaftung Ministerium für Verkehr BadenWürttemberg 2016 ÖPNV-Erschließungsbeiträge ÖPNV-Grundgebühr Bürger*innentickets (inkl. Erweiterung um Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen, Einzelhandel, Veranstalter) „Instrumente zur Drittnutzerfinanzierung für den ÖPNV in BadenWürttemberg“ gesetzliche Stellplatzablöse Transport Development Districts kommunale Parkplatzsteuer Mitteldeutscher Verkehrsverbund (MDV) „Ergänzende Wege der ÖPNV-Finanzierung im Mitteldeutschen Verkehrsverbund“ 2016 flächenbezogener ÖVBeitrag Erhöhung Grundsteuer/Kreisumlage Arbeitgeber*innenbeitrag ÖPNV-Beitrag ÖPNV-Taxe 66/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Bremer Bürgerinitiative „einfach einsteigen“ 2019 Umlagefinanzierung (Einwohner*innen und Pendler*innen) Erhöhung Gewerbesteuer (oder Mitarbeiterabgabe) Erhöhung Flughafenund Haltegebühren (Fernbusse) ▪ Konkreter Vorschlag inklusive Modellrechnung für den Umbau der Finanzierung des Bremer ÖPNV ▪ Konzept: paritätische Finanzierung von Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs durch eine Umlage auf Bürger*innen und Unternehmen mittels Kombination von Instrumenten (s. links) ▪ Methodik: Ermittlung der Umlagenhöhen für Bürger*innen und Unternehmen unter Annahme einer 30%igen Steigerung der Fahrgästeanzahl und Betriebskosten ▪ Ergebnis: freiwerdende Mittel für den Nahverkehrsausbau i.H. von 75,5 Mio. EUR p.a. durch Wegfall bisheriger Zuschüsse von Stadt und Land an die Verkehrsunternehmen ▪ Umsetzung: Vorschlag eines Fahrplans für die Einführung des Konzeptes in 2023 Erhöhung City-Tax Pflichtabgabe Großveranstalter Abbildung 4: Übersicht vergleichbarer Studien Die Zahl der empirischen Fallbeispiele für in die Praxis umgesetzte Instrumente ist national wie international deutlich dünner gesät. So gibt es für die Umlagefinanzierung, die Nutznießerfinanzierungsvorschläge und die City-Maut bisher in Deutschland keine Prototypen. Die Gründe der Zurückhaltung sind vielschichtig, lassen sich aber im Kern auf die Faktoren der fachlichen Komplexität und politischen Sensibilität reduzieren. Obschon das gewachsene Dickicht der Mischfinanzierung im ÖPNV – auch als Spaghetti-Finanzierung bezeichnet – seit mindestens 20 Jahren als reformbedürftig gilt, geraten neue, ergänzende Instrumente leicht unter den Generalverdacht, die Intransparenz noch zu erhöhen. Darüber hinaus waren Instrumente wie die City-Maut/Nahverkehrsabgabe oder Parkraumbewirtschaftung lange Zeit verkehrspolitisch tabuisiert, da sie als Gängelung des MIV gebrandmarkt wurden. Erst seit wenigen Jahren wird zunehmend parteiübergreifend diskutiert, dass auch der Straßenraum einen Knappheitspreis haben sollte und seine Dimensionierung eine wichtige Stellgröße darstellt. Zu den real beobachtbaren Instrumenten zählen: • Verschiedene Städte in Deutschland erheben von Tourist*innen eine City-Tax (z.B. Berlin, Dresden, Dortmund), um die höhere Zahlungsbereitschaft von Besucher*innen abzuschöpfen. Abgabensystematisch handelt es sich allerdings um eine Steuer ohne Zweckbindung. Ein Kombiticket für den ÖPNV ist hiermit bisher nicht verbunden. Ausnahmen hiervon sind im deutschsprachigen Raum in Basel (Gasttaxe) oder Südtirol (MeranCard) zu finden. • Bei den Push-Faktoren lassen sich für die City-Maut einzelne internationale Beispiele finden. Die bekanntesten stammen aus London und Stockholm, die wir für die Berliner Überlegungen vertiefend analysierten. • Beispiele einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung gibt es einige, bezogen auf die Stellplatzmenge für ausgewählte Bereiche einer Stadt (in der Regel der klassische mittelalterliche Innenstadtkern mit Fußgängerzonen-Anteil) und die Preishöhe, jedoch selten mit größerer Flächenausdehnung. In Leipzig wurde ein Konzept unter Nutzung der Ausnahmegenehmigung (§ 46 StVO) umgesetzt, das einen anderen Gebührenrahmen ermöglicht. • Die in Europa derzeit interessanteste „Laborwerkstatt“ einer Kombination von Maßnahmen zur Aufwertung des ÖPNV als Kernelement einer lebenswerten und smarten City steht in 67/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV der österreichischen Hauptstadt Wien. Während in der öffentlichen Diskussion häufig das 365-Euro-Ticket für Jedermann im Vordergrund steht, liegt der Charme dieses Beispiels bei näherem Hinsehen darin, diese tarifliche Maßnahme mit zahlreichen weiteren Instrumenten zu flankieren und diese in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet zu haben. So wurde schon 1969 die Dienstgeberabgabe eingeführt, um zweckgebundene Einnahmen für den U-Bahn-Bau zu erhalten. Über Jahre wurde das Angebot des ÖPNV in Vorleistung gezielt ausgebaut, die Parkraumbewirtschaftung verschärft und 2012 das 365Euro-Ticket eingeführt, dessen Preis seitdem konstant geblieben ist. Inzwischen besitzen mehr Wiener*innen das Jahresticket als ein Auto. Nach der Sondierung der Vorarbeiten und Praxisbeispiele lässt sich festhalten, dass sie wertvolle Anregungen für Art und Zuschnitt der ergänzenden Instrumente liefern können. Eine Blaupause lässt sich jedoch nicht ableiten, weil die rechtlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und verkehrlichen Voraussetzungen im konkreten Anwendungsfall stets abweichen und somit spezifisch betrachtet werden müssen. Um die Machbarkeit der 7 ergänzenden Finanzierungsinstrumente für Berlin zu prüfen, sind wir methodisch in folgenden Schritten vorgegangen: • Schritt 1a: Rechtliche Prüfung Primärzweck der vorgeschalteten Rechtsprüfung war es, die bestehenden Regelungen – insbesondere im Landes- und Kommunalrecht – dahingehend abzuklopfen, inwieweit sie mit den Anforderungen an die einzelnen Instrumente vereinbar sind bzw. an diese mit welchem Aufwand anzupassen wären. Hierdurch sollen die Maßnahmen frühzeitig ausgesiebt werden, deren Umsetzung rechtlich unmöglich erscheint oder einen unverhältnismäßig hohen Änderungsbedarf voraussetzen, so dass keine weiteren Prüfschritte unternommen werden sollten. Vorweggenommen sei, dass im Sinne einer Null-Eins-Entscheidung keines der Instrumente vorzeitig durch das Raster gefallen ist, d.h. sie sind für Berlin grundsätzlich rechtlich gestaltbar. • Schritt 1b: Sondierung der Datenverfügbarkeit je Instrument Parallel haben wir für jedes Instrument die Verfügbarkeit und Qualität der Daten im groben sondiert, die zur Berechnung der fiskalischen Ergiebigkeit benötigt werden. Dieser Prüfschritt kann bei negativem Ergebnis auf die Konzeption der Instrumente rückwirken, etwa indem eine andere Bemessungsgrundlage gewählt wird (Beispiel Übernachtungsgewerbebeitrag: Zahl der Betten statt Zahl der Übernachtungen). Zugleich liefert dieser Check einen Fingerzeig, inwieweit das spätere Ergebnis mit Unsicherheiten behaftet sein wird und eher als Spanne ausgewiesen werden sollte. • Schritt 2: Beschaffung und Aufbereitung der Daten sowie Setzen der Modellprämissen Mit diesem Schritt begann die gutachterliche Kärrnerarbeit, die Daten zu beschaffen, aufzubereiten, über verschiedene Dreisätze zu plausibilisieren, etwaige Lücken durch eigene Schätzungen zu ergänzen usw. Daneben musste für jedes Instrument ein Rechenmodell aufgesetzt werden, bei dem die Annahmen klar herausgearbeitet werden und die Zahl der 68/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Untervarianten je Parameter festzulegen ist. Dieser Prozess wird im Abschnitt 9 im Detail beschrieben. • Schritt 3: Berechnung der fiskalischen Wirkungen Sind die Vorarbeiten im Modell geleistet, ist die Berechnung der Einnahmen für jedes Instrument relativ schnell vollzogen. Erst dann setzt die zeitaufwendige Folgephase ein, die Ergebnisse mit den Annahmen zu verproben, d.h. deren Sensitivität zu testen – insbesondere um ein Gefühl für die graduelle Hebelwirkung bei Änderungen schwer einschätzbarer Eingangswerte zu gewinnen. Beispiele: Beim umlagefinanzierten Bürger*innenticket ist nicht sicher abschätzbar, wie hoch der Anteil der Brandenburger bei Zeitkarteneinnahmen im Tarifbereich BC ausfällt. Das Ergebnis der City-Maut hängt unter anderem maßgeblich davon ab, wie stark die Autofahrer*innen in Abhängigkeit der Mauthöhe reagieren (sog. Preiselastizität der Nachfrage) und welche Ausnahmetatbestände zugelassen werden. Zu beachten ist, dass die Verwaltungskosten zur Einführung und Pflege der Instrumente nur kursorisch abgeschätzt werden können. • Schritt 4: Gesamthafte Einordnung der Ergebnisse Die Gesamtbewertung beginnt mit einem horizontalen Quervergleich der (Netto-) Ergiebigkeit aller 7 Instrumente. Darüber hinaus werden jedoch weitere Kriterien herangezogen, um die Sinnhaftigkeit einer Tiefenprüfung bis zur möglichen Umsetzung einschätzen zu können. Hierzu zählen die verkehrliche Lenkungswirkung, die politische Sensibilität und die Umsetzungsgeschwindigkeit. • Schritt 5: Bericht und Dokumentation Die vorliegende Langfassung des Berichts dokumentiert den Prozessablauf, die Methodik, die Rechenergebnisse sowie die Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen. Abbildung 5 verschafft einen Überblick über den Gesamtprozess, d.h. wie sich die vorgenannten Schritte mit den wesentlichen Tätigkeiten auf der Zeitachse verteilen sowie welche Meilensteine gesetzt und Termine absolviert wurden. Intensiv eingebunden wurden die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK), die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen (SenFin), die Senatskanzlei, das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Brandenburg (MIL) und der VBB im Hinblick auf die Einnahmenaufteilung. Zeit Termin/Meilenstein Aufgabenschwerpunkte 30.8.2019 Auftaktworkshop • Austausch der Erwartungen, organisatorische Abstimmung • Erste Diskussion der Instrumente Sep/Okt 19 28.10.2019 Nov/Dez 19 Schritte 1a, 1b und 2 2. Workshop • Erstes Zwischenergebnis der rechtlichen Prüfung: keine K.O.Kriterien • Ergebnis der Datenverfügbarkeitsprüfung – Nachsteuerungsbedarfe/offene Fragen • Vorstellung der Modellansätze je Instrument • Schritte 3 und in Ansätzen 4 • Abstimmungen mit dem VBB zu Tarifdaten in Vor-Ort-Terminen am 5.11. und 16.12. sowie telefonisch 69/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 12.12.2019 18.12.2019 3. Workshop Rechtsgutachten Jan/Feb 20 4.3.2020 Abbildung 5: Abschließende rechtliche Einordnung • Vorstellung der Rechenergebnisse für fiskalische Ergiebigkeit je Instrument mit ausführlicher Diskussion • Gesamthafte Bewertung mit Diskussion Vorgezogene Überstellung des rechtlichen Gutachtenteils (Langfassung) Schritte 4 und 5 Präsentation Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse im SenUVK (Hausleitung), auch in Vorbereitung der geplanten Sitzung der AG Tarife am 23.3. (wegen Covid-19-Pandemie später abgesagt) Einzelne Nacharbeiten (z.B. Daten 2019), Schritt 5 und kursorische Überlegungen zu Auswirkungen der Covid-19-Pandemie Mrz/Apr 20 12.5.2020 • Ökonomisches Gutachten Überstellung des Endberichts (Langfassung, 1. Entwurf) Überblick des Gesamtprozesses der Machbarkeitsstudie 8.2 Auswirkungen der Covid-19-Pandemie Im Zuge der sich derzeit global auswirkenden Virus-Pandemie wird auch der ÖPNV-Sektor in Deutschland massiv in Mitleidenschaft gezogen. Die Finanzierungssäule der Fahrgeldeinnahmen ist seit der Verhängung der Kontaktverbote/Ausgangsbeschränkungen nach ersten Erkenntnissen zwischen 60 und bis zu 90% im Einzelfahrscheinsegment eingebrochen, während die Kosten der Leistungserbringung weitgehend fix sind. Auch die Entwicklung der Zeitkartenverkäufe sind gebremst, so dass im Ergebnis zahlreiche Verkehrsunternehmen – insbesondere mit Nettoverträgen – in ihrer Existenz gravierend bedroht sind. Spiegelbildlich werden die öffentlichen Haushalte der ÖPNV-Finanzierung erheblich zusätzlich belastet werden, und zwar sowohl durch das Aufspannen eines Rettungsschirms als auch direkt durch den Wegfall von Fahrgeldeinnahmen in Bruttoverträgen. Aus heutiger Sicht ist nicht abschätzbar, wie lange die Pandemie mit welcher Intensität andauern wird und welche Langzeitfolgen zurückbleiben. Das Spektrum reicht von einer relativ schnellen und vollständigen Überwindung bis zu der Möglichkeit, auf unbestimmte Zeit mit dem Infektionsrisiko leben zu müssen. Ebenso offen bleibt, inwieweit sich das in hohem Maße ritualisierte Verkehrsmittelwahlverhalten infolge der gegenwärtigen Erfahrungen dauerhaft verschieben könnte (z.B. Aufwertung der Arbeitsform Home-Office, Bevorzugung MIV aus Sicherheitsgründen, u.a.). Sowohl die Berechnungen als auch die Gesamtbewertung der Instrumente blenden das aktuelle Geschehen – vorerst – aus. Datenseitig ist ein solches Vorgehen unvermeidlich, da ein valider Kassensturz für 2020 bis weit in das Folgejahr hinreichen wird. Insofern stehen die monetären Ergebnisse unter dem Vorbehalt, derzeit nicht als unmittelbare Absprungbasis für die Umsetzung geeignet zu sein. Allerdings ist zu beachten, dass selbst ohne wirtschaftlichen Einbruch eine Machbarkeitsanalyse in erster Linie als Kompass der Meinungsbildung dient, um sich nach dem ersten Filter anschließend auf einzelne Instrumente zur möglichen Umsetzung zu konzentrieren. Konzeptionell kann die gegenwärtige Krise durchaus die Chance bieten, die Finanzierung des ÖPNV grundlegend zu überdenken. Je länger die künftigen Einnahmen hinter dem Niveau vor Ausbruch der Krise zurückbleiben sollten, desto stärker drängen sich Strukturfragen auf, die zu einem Umbau genutzt werden könnten. 70/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9 DARSTELLUNG UND FINANZIELLE BEWERTUNG DER INSTRUMENTE Die Machbarkeit wird für sieben verschiedene Finanzierungsinstrumente untersucht, die sich in drei Gruppen klassifizieren lassen – und nachfolgend im Detail dargestellt sind: 1) Instrumente der Umlagefinanzierung Hierbei wird die Finanzierung auf eine bestimmte Personengruppe umgelegt, • im Fall des allgemeinen ÖPNV-Beitrags auf alle Bürger*innen Berlins und • im Fall des Gäste-Tickets auf die Übernachtungsgäste in der Stadt. 2) Instrumente der Nutznießerfinanzierung Idee der Instrumente der Nutznießerfinanzierung ist es, bestimmte Personenkreise bzw. Unternehmen zu identifizieren und zur Finanzierung heranzuziehen, die einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem ÖPNV ziehen. Konkret betrachtet wird eine Abgabenpflicht für • Grundstückseigentümer*innen, • alle Gewerbebetriebe und • als Teilmenge davon nur die Übernachtungsgewerbebetriebe. 3) Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente) Eine separate Kategorie stellen mit der City-Maut und Parkraumbewirtschaftung zwei Instrumente dar, die primär nicht der Finanzierungsfunktion dienen. Die für sie wichtige Motivation, die der Finanzierungsfunktion auch zuwiderläuft, ist der Zweck der Anreizsetzung für eine nachhaltige Verkehrsmittelnutzung. 71/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9.1 Umlagefinanzierung 9.1.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) Allgemeiner ÖPNV-Beitrag Kategorie Umlagefinanzierung Abgabentyp Beitrag (wiederkehrend) Abgabendifferenzierung Differenzierung nach sozialen Kriterien Abgabenpflichtige Alle in Berlin wohnende Personen Sondervorteil Drei Sondervorteilsmodelle als Bürger*innenticket (jeweils Tarifbereich AB): a) Freifahrt 24h für alle Beitragspflichtigen im Berliner ÖPNV b) Freifahrt 21h – vergünstigte Fahrscheine sind nur in der morgendlichen HVZ von 6 – 9 Uhr (Mo – Fr) nötig c) Bahncard – Beitragspflichtige erhalten stark vergünstigte Fahrscheine Organisatorische Neben hohem Einsatz von Verwaltungskapazität sind Herausforderungen Änderungen im VBB-Tarif und der Einnahmenaufteilung nötig. Abbildung 6: Steckbrief allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) 9.1.1.1 Beschreibung Kernidee des Bürger*innentickets ist es, eine Umlagefinanzierung für den Berliner ÖPNV einzuführen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Berliner*innen eine regelmäßige Abgabe an das Land Berlin leisten – unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr in Anspruch nehmen. Hierfür wird von den dauerhaft in Berlin wohnenden Personen wiederkehrend ein ÖPNV-Beitrag erhoben. Damit werden die Aufwendungen (teilweise) gedeckt, welche dem Land aus der Bereitstellung eines attraktiven ÖPNV-Angebotes entstehen. Vorteil eines Beitrages ist es, dass die Mittel – anders als bei einer Steuer – zweckgebunden für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des ÖPNV eingesetzt werden. Als Gegenleistung gewährt das Land als ÖPNV-Aufgabenträger den Beitragspflichtigen einen Sondervorteil in Form eines Bürger*innentickets. Für dieses Ticket werden unterschiedliche Modellvarianten betrachten: a) Modell Freifahrt 24h: Das Bürger*innenticket ermöglicht den Bürger*innen die unentgeltliche Nutzung des ÖPNV, jeden Tag zu jeder Stunde. 72/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV b) Modell Freifahrt 21h: In diesem Fall können die Bürger*innen Busse und Bahnen in Berlin außerhalb der morgendlichen Hauptverkehrszeit (HVZ) unentgeltlich nutzen. Für werktägliche Fahrten zwischen 6 und 9 Uhr wird ein ermäßigter Tarif erhoben.190 c) Modell Bahncard: Der*die Beitragspflichtige kann vergünstigte Fahrkarten erwerben, beispielsweise wie bei einer „Bahncard 50“ zur Hälfte des üblichen Preises. Das Bürger*innenticket gilt ausschließlich im Stadtgebiet Berlin (Tarifbereich AB). Für Fahrten im Tarifbereich C müssen Berliner*innen wie heute einen Fahrausweis erwerben. Für alle Nicht-Berliner*innen ändert sich zu heute ebenfalls nichts: Voraussetzung für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ist der Erwerb eines gültigen Fahrausweises. Beispielsweise in Potsdam wohnhafte Personen müssen für die Fahrt nach Berlin-Mitte einen Fahrschein für den Tarifbereich ABC vorweisen können. 9.1.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Die finanziellen Folgen eines ÖPNV-Beitrages zu modellieren macht es notwendig, zwei gegenläufige Auswirkungen zu berechnen: 1. Beitragseinnahmen: Abzuschätzen sind einerseits die resultierenden Einnahmen für das Land Berlin durch die Erhebung des Beitrages. Da die Beitragshöhen nach sozialen Merkmalen gestaffelt werden, ist eine Betrachtung der Bevölkerungsstruktur notwendig. 2. Tarifeinnahmenausfall: Weil die Beitragspflichtigen in den drei Sondervorteilvarianten mit dem Bürger*innenticket bereits Fahrtberechtigungen erhalten, werden sich die Tarifeinnahmen im VBB vermindern. Dieser Ausfall an Tarifeinnahmen ist anhand der heutigen Nachfragestruktur zu ermitteln. Die hierbei angewandten Überlegungen und Annahmen werden im Folgenden beschrieben. Beitragseinnahmen Die Berechnung der Beitragseinnahmen untergliedert sich in die Ermittlung der gruppenspezifischen Größen der Berliner Bevölkerung (Mengengerüst) und Festlegungen zur Beitragshöhe (Preisgerüst). Handlungsleitend sind folgende Prämissen: 1. Grundsätzlich sind alle mit einem Erst- oder Zweitwohnsitz gemeldeten Berliner*innen beitragspflichtig. 2. Die Höhe des ÖPNV-Beitrages ist nach sozialen Kriterien differenziert. Dabei gilt der Grundsatz, dass mit der Einführung des Berliner*innentickets für die Nutzer*innen des öffentlichen Verkehrs (ÖV) keine höheren Kosten als heute entstehen sollen. Im Modell Freifahrt 24h ist die Höhe des Beitrages damit auf die Preise der vergleichbaren Tarifprodukte begrenzt. 190 Der hier verwendete Zeitraum der morgendlichen Hauptverkehrszeit entspricht der Definition im Nahverkehrsplan für Berlin 2019 – 2023. 73/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 3. Ausnahmen von der Beitragspflicht sind nur für solche Berliner*innen vorgesehen, deren Wohnort durch den ÖPNV derzeit nicht akzeptabel erschlossen wird oder die heute den ÖPNV bereits unentgeltlich nutzen können (Schüler*innen, Kinder, Schwerbehinderte). a) Mengengerüst: Bevölkerung Das Grundgerüst für die Abschätzung der Einnahmen bildet die Gesamtheit der Berliner*innen aus dem Jahr 2018.191 Insgesamt haben demnach 3,748 Mio. Menschen ihren Erstwohnsitz in Berlin, etwa 130 Tausend sollen nach dem Berliner Mieterverein mit einem Zweitwohnsitz gemeldet sein. Diese Gesamtheit ist wegen der oben an 2. Stelle genannter Prämisse auf Bevölkerungsgruppen aufzufächern. Diese werden entlang der spezifischen Zeitkartentarifstruktur des VBB gebildet: • „Normalzahlende“: Alle Berliner*innen, denen im VBB-Tarif keine Vergünstigungen zu den normalen Tarifprodukten gewährt werden. Als Referenztarifprodukt kann die VBBUmweltkarte im Tarifbereich AB angesehen werden. • Senior*innen: Personen ab dem 65. Lebensjahr werden als eine Bevölkerungsgruppe definiert. Diese können mit dem vergünstigten Abonnement VBB-Abo 65plus im gesamten Verbundgebiet fahren. • Studierende: An teilnehmenden Hochschulen erhalten Studierende nach Zahlung eines Beitrags mit der Immatrikulation ein stark rabattiertes VBB-Semesterticket. An Berliner Hochschulen ist dieses im Tarifbereich ABC gültig, an Brandenburger Hochschulen im Gesamtnetz des VBB. • Auszubildende können mit dem VBB-Abo Azubi zu einem vergünstigten Preis die Nahverkehrsmittel im gesamten VBB-Netz zu nutzen. • „Bedürftige“: Die höchste Vergünstigung wird den Bezugsberechtigten des Berlin-Ticket S zuteil. Dieses Tarifprodukt wendet sich an einkommensschwache Personen und damit Bezugsberechtigte des sog. Berlinpass wie o Sozialhilfeempfänger*innen o Arbeitslosengeld II- oder Sozialgeldempfänger*innen o Asylbewerber*innen o Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von Leistungsempfänger*innen • Berliner Schüler*innen können seit August 2019 das kostenlose Schülerticket nutzen. • Kinder bis 6 Jahren werden im VBB unentgeltlich befördert. • Schwerbehinderte werden nach § 228 SGB IX ebenfalls unentgeltlich befördert. Die folgende Abbildung fasst die jährlichen Kosten der betrachteten Bevölkerungsgruppen zusammen. 191 Die sozioökonomischen Daten der Bevölkerungsgröße und -struktur entstammen öffentlich zugänglichen Daten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg. 74/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Preis Zeitkarte p.a. (monatl. Abschlagszahlung) Gruppenspezifische VBB-Zeitkarte Gültigkeit (Tarifbereich) Normalzahler*innen VBB-Umweltkarte AB 761,00 EUR Senior*innen VBB-Abo 65plus Gesamtnetz 612,00 EUR Studierende VBB Semesterticket ABC/Gesamtnetz 387,60 EUR (an Berliner Hochschulen) Auszubildende VBB-Abo Azubi Gesamtnetz 365,00 EUR Bedürftige Berlin-Ticket S AB 330,00 EUR Schüler*innen Schülerticket Berlin AB 0 EUR Bevölkerungsgruppe Abbildung 7: Stand: 2020 VBB-Zeitkarten nach Bevölkerungsgruppen Um die Einnahmen eines ÖPNV-Beitrages zu modellieren, ist die gesamte Berliner Bevölkerung in die vorgenannten Bevölkerungsgruppen aufzuteilen. Hierzu werden nacheinander einzelne Gruppen identifiziert und von der Grundgesamtheit saldiert: • Zunächst wird die Gruppe der 225.000 Kinder unter sechs Jahren von der Gruppe der Beitragspflichtigen abgezogen. • Auch die 357.000 Berliner Schüler*innen werden von der Grundgesamtheit ausgenommen. Vermindert berücksichtigt werden müssen hierbei etwa 6.000 aus Brandenburg einpendelnde Schüler, welche nicht vom Bürger*innenticket berührt sind. • Am anderen Ende der Altersskala bilden 715.000 Einwohner*innen ab 65 Jahren (zunächst) die Gruppe der Senior*innen. • Auszubildende werden analog zum bestehenden Tarifsystem separat behandelt. Dabei wird unterstellt, dass 25% der 39.000 Auszubildenden in Berliner Betrieben in Brandenburg leben und dementsprechend nicht beitragspflichtig sind. • Zur Ermittlung der Zahl der in Berlin lebenden Studierenden werden die Studierendenzahlen an Berliner (192.000) sowie an Brandenburger Hochschulen (50.000) herangezogen. Des Weiteren wird angenommen, dass alle Student*innen älter als 18 Jahre sind. In Anlehnung an Daten des Brandenburger Sozialministeriums wird angenommen, dass • o 10% der Studierenden an Berliner Hochschulen aus Brandenburg einpendeln und o 30% der in Brandenburg eingeschriebenen Studierenden in Berlin leben. Die Gruppe der Bedürftigen zieht sich durch alle bisher genannten Bevölkerungsgruppen. Die Zahl der Anspruchsberechtigten eines Berlinpass liegt für die Jahre 2011 – 2015192 vor. Für die Ermittlung der Anzahl an Anspruchsberechtigten in 2018 ist der über die Jahre 2011 bis 2015 gemittelte Anteil der Anspruchsberechtigten an den Über-18-Jährigen auf dieselbe Alterskohorte in 2018 projiziert. Um diese nur im Rahmen des Personenkreises der Bedürftigen zu berücksichtigen, müssen die weiteren Personengruppen, wie unten weiter beschrieben ist, entsprechend reduziert werden. 192 Vgl. Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 07. Juni 2016. 75/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Auch unentgeltlich im ÖPNV beförderte Schwerbehinderte193 treten in allen Altersgruppen (und damit auch Personenkreisen) auf. Für die unentgeltliche Beförderung ist ein Schwerbehindertenausweis mit Beiblatt und gültiger Wertmarke Voraussetzung. Da die Anzahl an Berliner*innen, auf die dies zutrifft, nicht vorliegt, wird als Näherung die Zahl der Schwerbehinderten mit einem Behinderungsgrad ab 70% herangezogen. Es werden nur Schwerbehinderte über 18 Jahren von der Grundgesamtheit der Normalzahler*innen abgezogen. Bei den unter 18-Jährigen wird angenommen, dass diese bereits in den ebenfalls kostenlos beförderten Gruppen der Kinder und Schüler*innen berücksichtigt sind. • Zuletzt sind die ca. 130.000 Personen mit Zweitwohnsitz einzurechnen.194 In Ermangelung weiterer Angaben wird vereinfacht davon ausgegangen, dass sich diese Gruppe hälftig aus Normalzahlenden und Studierenden zusammensetzt. b) Überschneidung der Gruppen Wie Abbildung 8 vereinfacht in einem Einkommen-Alter-Diagramm darstellt, existieren Überschneidungen: Personenkreise fallen teilweise in mehrere Gruppen. Können Personen durch ihre spezifischen Charakteristika theoretisch unter mehreren Personengruppen subsumiert werden, werden sie der für sie finanziell günstigsten Kategorie zugeordnet. Diese Doppelzählungen müssen bereinigt werden, um die Größe der jeweiligen Personenkreise korrekt abzuschätzen. Abbildung 8: Bevölkerungsgruppen und deren Überschneidungen, vereinfachte Darstellung Um das Vorgehen transparent zu machen, sind die Annahmen im Folgenden beschrieben. Im Zweifel sind Zuordnungen gewählt, die in einer vorsichtigeren Schätzung der Einnahmen resultieren. Der Modellrechnung liegen Annahmen zugrunde für die Schnittmengen aus 193 Anmerkung: Wenn im Folgenden von „Schwerbehinderten“ die Rede ist, sind damit stets diejenigen gemeint, die aufgrund ihrer Behinderung gem. § 228 SGB IX unentgeltlich im ÖPNV befördert werden. Tatsächlich ist der Kreis der schwerbehinderten Personen deutlich größer. 194 Quelle: https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-167-23-fragen-und-antworten-zur-berliner-zweitwohnungsteuer.htm 76/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Auszubildenden und Bedürftigen sowie Studierenden und Bedürftigen: Hier ist unterstellt, dass jeweils 10% der Auszubildenden und Studierenden bedürftig sind. • Senior*innen, Bedürftigen und Schwerbehinderten: Für die dreifache Überlappung ist zunächst angenommen, dass alle Schwerbehinderten bedürftig sind. Dementsprechend wird die Gesamtzahl Schwerbehinderter von der Gruppe der „Bedürftigen“ abgezogen. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass keine Schwerbehinderten eine Ausbildung absolvieren oder einem Studium nachgehen. Die Schnittmenge Bedürftige/Senior*innen musste hilfsweise über die alterskohortenspezifische Verteilung derer, die unter die Armutsschwelle fallen, berechnet werden.195 c) Mengengerüst: Ergebnis Abbildung 9 fasst die Ergebnisse für den Umfang der Bevölkerungsgruppen zusammen. Dabei sind die Werte – wie bereits in den Ausführungen zuvor – auf Tausend gerundet. Personengruppe Anzahl Erstwohnsitz Kommentar 3.748.000 Normalzahler*innen 1.864.000 Wert zzgl. 50% Personen mit Zweitwohnsitz Senior*innen 632.000 Wert ohne Bedürftige und Schwerbehinderte Studierende 234.000 Wert berücksichtigt: 10% der Studierenden an Berliner Hochschulen wohnen in Brandenburg (BB); 30% der ca. 50.000 Studierende an Brandenburger Hochschulen wohnen in Berlin (BE); 10% der Berliner Studierenden fallen in die Kategorie „Bedürftige“; Zzgl. 50% Personen mit Zweitwohnsitz Auszubildende 26.000 Bedürftige 373.000 Beitragsbefreit Wert berücksichtigt, dass ca. 25% der Berliner Auszubildenden in BB wohnen; 10% der Berliner Auszubildenden fallen in die Kategorie „Bedürftige“ Annahmegemäß um die Gruppe der unentgeltlich beförderten Schwerbehinderten vermindert 749.000 Kinder 225.000 Kinder bis 6 Jahre Schüler*innen 351.000 ohne Berufsschüler*innen; 6.000 der Schüler*innen an Berliner Schulen wohnen in BB Schwerbehinderte 173.000 ab 70% Schwerbehinderungsgrad Beitragspflichtige Abbildung 9: 3.129.000 mit Erst- und Zweitwohnsitz in Berlin Herleitung beitragspflichtiger Bevölkerungsgruppen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags d) Preisgerüst: Beitragshöhen Den Ausgangspunkt der Berechnungen stellen die heutigen Fahrpreise der gruppenspezifischen Zeitkarten dar. Diese sind als Obergrenzen definiert, liegt der politische Ansporn doch sicher darin, 195 Vgl. Regionaler Sozialbericht Berlin und Brandenburg, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, 2018. 77/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV die bisherigen Nutzer*innen des ÖPNV entlasten zu können. Da Bürger*innen, die heute schon Zeitkarten besitzen, in Zukunft nicht stärker belastet werden sollen, ist eine realistische Variante der Beitragshöhe als Beispiel definiert, in dem die gruppenspezifischen Beiträge auf 75% der heutigen Zeitkartenwerte liegen. In der Abbildung 10 sind für die nicht per se von der Beitragspflicht befreiten Bevölkerungsgruppen die Werte ausgewiesen. Diese werden für das Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h definiert, in dem alle Berliner*innen den ÖPNV unentgeltlich nutzen. Bevölkerungsgruppe Beitragshöhe 24h Obergrenze Basis: heutige VBB-Preise Beitragshöhe 24h Beispiel Basis: 75% der VBB-Preise Normalzahler*innen 761,00 EUR 570,75 EUR Senior*innen 612,00 EUR 459,00 EUR Studierende 388,00 EUR 291,00 EUR Auszubildende 365,00 EUR 273,75 EUR Bedürftige 330,00 EUR 247,50 EUR Abbildung 10: Beitragshöhen im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h Da in den beiden anderen Sondervorteilsmodellen (Freifahrt 21h und Bahncard) keine vollumfängliche kostenlose Inanspruchnahme von Bussen und Bahnen enthalten ist, wird davon ausgegangen, dass sich die Beitragshöhen gegenüber der 24h-Freifahrt verringern. Für die Modellrechnung werden folgende Beziehungen zu der Beitragshöhe im Modell Freifahrt 24h definiert: • Die Beitragshöhen im Modell Freifahrt 21h werden auf 80% der Werte aus dem Modell Freifahrt 24h festgelegt, um die ausgeschlossene – aber besonders nachgefragte – Morgenlage wertmäßig auszugleichen. • Im Bahncard-Modell liegt der Wert bei 50% der gewählten Referenzbeitragshöhe. Somit ergeben sich in Ableitung des in Abbildung 10 aufgeführten Beispiels die folgenden Beitragshöhen für die weiteren Modelle: Bevölkerungsgruppe Beitragshöhe 21h Basis: 80% von 24h Beispiel Beitragshöhe Bahncard Basis: 50% von 24h Beispiel Normalzahler*innen 456,60 EUR 285,38 EUR Senior*innen 367,20 EUR 229,50 EUR Studierende 232,80 EUR 145,50 EUR Auszubildende 219,00 EUR 136,88 EUR Bedürftige 198,00 EUR 123,75 EUR Abbildung 11: Beitragshöhen in den Sondervorteilsmodellen Freifahrt 21h und Bahncard e) Ausnahmen von der Beitragspflicht Drei Bevölkerungsgruppen werden im Modell des ÖPNV-Beitrages pauschal unentgeltlich befördert (Kinder, Schüler*innen, Schwerbehinderte). Jugendliche Schüler*innen werden – wie heute bereits Praxis mit dem VBB Schülerticket Berlin – eine Fahrtberechtigung erhalten, um sich als Berliner*in auszuweisen. 78/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Darüber hinaus sind wie eingangs erwähnt alle Berliner*innen grundsätzlich beitragspflichtig. Jedoch ist vom Gesetzgeber eine Grenze zu definieren, ab der pauschal ein individuell-konkreter Vorteil nicht mehr festgestellt werden kann. Denn es ist notwendig, dass der*die Beitragspflichtige die Möglichkeit einer kostenlosen oder stark vergünstigten Nutzung des ÖPNV tatsächlich in Anspruch nehmen kann. Um diese Grenze zu definieren, eignet sich der Erschließungsgrad als ein etablierter verkehrswirtschaftlicher Standard, der im Nahverkehrsplan des Landes Berlin ausgewiesen ist. Dieser hebt auf die maximale Entfernung des Siedlungsbereichs zur nächstgelegenen Haltestelle ab, die am Tag mindestens im 20-Minuten-Takt und im Nachtverkehr mindestens im 30-Minuten-Takt angebunden sein muss. In Anbetracht des an sich sehr hohen Angebotsstandards wird für die Modellrechnung der in Abbildung 12 als Toleranzwert gekennzeichnete Erschließungsstandard gewählt. Dieser wird für 96,1% aller Berliner*innen erfüllt. Abbildung 12: Erschließungsstandards des NVP Berlin 2019 – 2023 (eigene Hervorhebung) Umgekehrt gilt, dass für 3,9% der Berliner*innen damit – bei unterstellt gleichem Angebot – die Möglichkeit der Befreiung von der Beitragspflicht besteht. Aus diesem Grund werden bei der Berechnung der Beitragseinnahmen pauschal 4% des Aufkommens abgezogen. Tarifeinnahmenausfall Die Einführung eines ÖPNV-Beitrages und die gleichzeitige Ausgabe von Bürger*innentickets werden sich auf die Nachfrage nach entgeltpflichtigen Fahrausweisen auswirken. Abhängig davon, welchen Sondervorteil das Bürger*innenticket ausmacht, sind folgende Auswirkungen zu erwarten: • Im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h wird die Ticketnachfrage stark sinken, weil alle Berliner*innen keine Fahrausweise mehr im Tarifbereich AB benötigen. In Folge dessen werden die Einnahmen der VBB-Tarife sinken – jedoch durch (neue) Beitragseinnahmen kompensiert. Im Tarifbereich AB beschränkt sich der Fahrkartenverkauf auf alle den ÖPNV nutzende Nicht-Berliner*innen, also Brandenburger*innen und Tourist*innen/Gäste. 79/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Berliner*innen werden aber weiter Tickets für Fahrten in den Tarifbereich C und darüber hinaus erwerben müssen. • Im Modell Freifahrt 21 h (Off-Peak) stellt sich die Situation ganz ähnlich dar – mit einer Ausnahme: Es wird für Berliner*innen weiter nötig sein, Tickets für Fahrten in der morgendlichen Hauptverkehrszeit zu erwerben. Diese können als Zeitkarten (Abonnements) zu einem im Vergleich zu heute reduzierten Preis erworben werden. Der Bartarif in diesem Zeitraum bleibt unverändert. Auch abhängig von der Anpassung der Verkehrsnachfrage wird es in diesem Modell zu einer weitgehenden Substitution der VBB-Einnahmen durch Beitragseinnahmen kommen. • Besteht der Sondervorteil des Beitrags wie im Modell Bahncard darin, dass die Bürger*innen lediglich zu stark vergünstigten Konditionen Fahrkarten erwerben können, werden sich bei gleicher Nachfrage die Tarifeinnahmen ebenfalls reduzieren. Dies führt ebenso zu einer Senkung der Tarifeinnahmen, jedoch nicht in selbem Maße wie in den anderen Modellen. Vorausgesetzt, dass das Land Berlin die öffentlichen Zuwendungen weiter in gleicher Höhe für die Finanzierung des ÖPNV einsetzen wird, unterscheiden sich die drei Sondervorteilsmodelle darin, wie stark die Verlagerung der Einnahmen vom VBB-Tarif in den ÖPNV-Beitrag ausfallen wird. In der Abbildung 13 sind diese Wirkungen schematisch dargestellt. Heute beschränkt sich die Finanzierung auf die beiden Säulen der Zuwendungen aus dem Landeshaushalt und der Tarifeinnahmen. Während ein gleicher Umfang der öffentlichen Zuwendungen in allen Modellen unterstellt wird, ändert sich das Gewicht der Einnahmenanteile zwischen Tarif- und Beitragseinnahmen in den Sondervorteilsmodellen: • Im Modell Freifahrt 24h entfällt die Säule der Tarifeinnahmen von Berliner Fahrgästen im Vergleich zum Status quo komplett. Der Entfall dieser Einnahmen wird dort durch den solidarisch getragenen ÖPNV-Beitrag substituiert. • Im Fall Freifahrt 21h (Off-Peak) fällt ein geringeres Einnahmenvolumen als bei Freifahrt 24h an, gleichzeitig werden Tarifeinnahmen noch in gewisser Höhe erzielt. • Das Modell Bahncard weist schließlich gegenüber der Freifahrt 24h noch signifikante Fahrgeldeinnahmen aus, erzeugt aber auch Beitragseinnahmen – letztere fallen jedoch geringer aus als in den beiden anderen Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags. 80/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 13: Gewichtung der Finanzierungssäulen in den Beitragsvarianten Die Wirkung lässt sich grob so zusammenfassen: Je größer der gewährte Sondervorteil ausfällt, • desto höher sind im Vergleich die Beitragseinnahmen und • desto höher ist der spiegelbildliche Ausfall an Tarifeinnahmen. a) Vorgehen und Datengrundlage Um eine valide Berechnung der Tarifeinnahmenverluste zu erhalten, ist eine detaillierte Analyse der Tarifeinnahmen des VBB im Status quo nötig. Die für diese Berechnung vom VBB zur Verfügung gestellten Daten enthalten die nach Tarifprodukten differenzierten Tarifeinnahmen des VBB aus dem Bartarif, für Zeitkarten, spezielle touristische Produkte, das Berlin-Ticket S und das VBB-Abo 65plus aus den Jahren 2016 – 2018. Die seit 2018 in der Tarifstruktur umgesetzten Anpassungen, insbesondere die Einführung des unentgeltlichen Schülertickets und des VBB-Abos Azubi, sind in der Modellierung berücksichtigt. Zentraler Grundsatz der Berechnung ist, dass eine im Vergleich zu der Datengrundlage konstante Verkehrsnachfrage und damit auch Nachfrage nach den jeweiligen Tarifprodukten unterstellt wird. Dies ist eine Hilfsannahme, da grds. erwartet werden kann, dass die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags zur Ausweitung der ÖV-Nutzung führen wird (vgl. Kap. 10.3.2.1). Zum Vorgehen bei der Ermittlung der Tarifeinnahmenverluste: 1. Basis für die Berechnungen sind die Tarifeinnahmen je Tarifprodukt. Diese ergeben sich aus dem Produkt von verkauften Fahrkarten (Absatz) und Preis. Die 2018er Werte werden dabei auf das Jahr 2020 mit einem Mischsatz für die Preis- und Mengenentwicklung fortgeschrieben. Diese sog. Dynamisierung wird getrennt für Bartarife (+1,5% p.a.) und 81/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Zeitkarten (+3,5% p.a.) vorgenommen. Diese Werte sind aus den Zuwächsen der VBBTarifeinnahmen zwischen 2016 und 2018 abgeleitet. 2. Je Tarifprodukt wird dann ermittelt, welcher Anteil der Einnahmen durch Berliner*innen und welcher durch Nicht-Berliner*innen aus der heutigen Verkehrsnachfrage resultiert. a. Bei den Bartarifprodukten ist die Differenzierung in den Tarifprodukten unterstellt, z.B.: Tarifprodukt „Berliner“ Anteil am Tarifumsatz Kurzstrecke 70% Kurzstrecke 4 Fahrten 85% Einzelfahrausweis 56% Tageskarte 28% Tageskarte Kleingruppen 16% Abbildung 14: Annahmen (Auszug) Bartarifanteile Bei dem Annahmengerüst der Bartarife sind u.a. Marktforschungsdaten der BVG berücksichtigt. b. Hingegen gelten bei den Zeitkarten generelle Annahmen über alle Tarifprodukte, was den „Berliner“ Anteil an den Umsätzen angeht: Tarifbereich „Berliner“ Anteil am Tarifumsatz AB 97% BC 30% ABC 30% Abbildung 15: Annahmen Zeitkartenanteile Der unterstellte Wert für den Tarifbereich AB weicht nur deswegen von 1 ab, um insb. die tarifliche Ausweichstrategie von grenznah wohnenden Brandenburger*innen und gelegentliche Nachfragen von zeitweise in Berlin lebenden/arbeitenden Gästen zu berücksichtigen. Der Wert für die beiden anderen Tarifbereiche ist der Statistik der Pendlerbewegungen zwischen Berlin und Brandenburg entlehnt, hier stehen etwa 80 Tausend Auspendlern etwa 200 Tausend Einpendlern nach Berlin gegenüber.196 3. Im nächsten Schritt werden die Auswirkungen der verschiedenen Sondervorteilsmodelle auf die Höhe der Tarifeinnahmen ermittelt. Dabei ist es nicht ausreichend, alleine auf die Zahl der verkauften Tickets abzustellen. Da die Wirkung des Bürger*innentickets auf die Nutzung des ÖPNV im Land Berlin, d.h. den Tarifbereich AB, beschränkt ist, werden Berliner*innen bei Fahrten in den Tarifbereich C weiter (Anschluss-)Fahrausweise erwerben müssen. Da sich die Abschätzung des Tarifausfalls an den Einnahmen der Tarifprodukte orientiert, ist es daher nötig, den Fahrpreis bei 196 vgl. Mobilität der Stadt. Berliner Verkehr in Zahlen 2017, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, 2017, S. 19. 82/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Tickets mit Gültigkeit in mehr als einem der Bereiche A, B (Berlin) und C (Brandenburg) zwischen den korrespondierenden Tarifstufen aufzuteilen. Beispiel: Fährt eine Berlinerin heute mit einem ABC-Ausweis nach Potsdam (aktuell im Regeltarif für 3,60 EUR), würde sie künftig für diese Fahrt nur den Tarifbereich C lösen müssen. Gleiches gilt für die Fahrt von Frohnau nach Oranienburg (Tarifbereich BC zu 3,30 EUR). Folglich ist es notwendig, den (verbleibenden) C-Anteil sowohl des ABCals auch des BC-Fahrscheins zu schätzen. Für die Modellrechnung ist eine lineare Aufteilung nach der Anzahl der Tarifstufen unterstellt, d.h. der C-Anteil an Fahrkarten der Tarifstufe ABC wird mit einem Drittel festgelegt (entspricht 1,20 EUR im obigen Beispiel), bei der Tarifstufe BC mit der Hälfte (entspricht im obigen Beispiel 1,65 EUR). 4. Außerdem sind in den Varianten Freifahrt 21h (Off-Peak) und Bahncard die reduzierten Tarifeinnahmen für die Berliner*innen in der Berechnung abzubilden. In beiden Varianten wird weiter unterstellt, dass die Verkehrs- und Ticketnachfrage unveränderlich bleibt: a. Im Modell Bahncard wird für Beitragspflichtige jedes Tarifprodukt im Bereich AB (anteilig auch BC und ABC, siehe oben Ziffer 3) um 50% reduziert. Daher resultiert hier im Bereich AB ein Tarifeinnahmenausfall in Höhe der Hälfte des durch Berliner*innen verursachten Umsatzes. b. Im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) ist für die Nutzung des Nahverkehrs für Berliner*innen in der morgendlichen HVZ eine Reduktion der Zeitkartentarife um 30% gegenüber dem heutigen Niveau angenommen. Dabei wird der tageszeitliche Anteil der ÖV-Nutzung von ca. 21% angelegt, der erst kürzlich für den Tagesgang zwischen 6 – 9 Uhr im ÖPNV ermittelt wurde.197 9.1.1.3 Ergebnis Um die finanziellen Auswirkungen eines ÖPNV-Beitrages für die Landeskasse zu ermitteln, sind zwei gegenläufige Effekte zu evaluieren: • die resultierenden Beitragseinnahmen, abhängig von den Beitragshöhen, und • die entfallenden Tarifeinnahmen. Daneben ist unterstellt, dass die öffentlichen Zuwendungen aus dem Landeshaushalt zur Defizitdeckung in gleicher Höhe fortbestehen. Untersucht werden drei unterschiedliche Varianten des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (vgl. Kap. 9.1.1.1), die jeweils unterschiedliche Beitragseinnahmen und Tarifeinnahmenausfälle nach sich ziehen. Durch einen Vergleich mit den heutigen Tarifeinnahmen kann der Saldoeffekt der Einführung dieses Instruments dargestellt werden. 197 vgl. Tabellenbericht zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV 2018“ in Berlin, Technische Universität Dresden, 2019, Tabelle 8.1. 83/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Beitragshöhen und Beitragseinnahmen Die Höhe des vereinnahmten Beitragsvolumens ist abhängig von der Anzahl der beitragspflichtigen Bürger*innen und den jeweils für sie anfallenden Beitragshöhen. Wie in Kap. 9.1.1.2 ausgeführt, werden die Beiträge für verschiedene Bevölkerungsgruppen differenziert. Bei der Festlegung der Beitragshöhe besteht für die politischen Entscheider*innen grundsätzlich ein erheblicher Spielraum. Wenn vorausgesetzt wird, dass ein Beitrag nicht über dem Preis der heutigen Referenztarife als Obergrenze liegt, kann zunächst jede Kombination aus Beiträgen unterhalb dieser Grenzen angesetzt werden. Als Beispiel werden jeweils Beiträge gewählt, die um 25% gegenüber den Obergrenzen vermindert sind. Der Spielraum, die Beiträge „nach unten“ anzupassen, ist jedoch nicht unbegrenzt. Der Beitrag Neutral zeigt – als Ergebnis der Modellrechnung – diejenige Beitragshöhe an, die unter den gegebenen Annahmen, insb. der konstanten Fahrgästenachfrageentwicklung, zu einem Finanzierungssaldo von Null, also zu einer aufkommensneutralen Einführung des ÖPNV-Beitrags führen würde. Die folgende Tabelle weist diese Beträge aus: Bevölkerungsgruppe Beitragshöhe Freifahrt 24h Freifahrt 21h Bahncard „Normalzahler*innen“ Obergrenze 761,00 EUR 608,80 EUR 380,50 EUR (VBB-Umweltkarte) Beispiel 570,75 EUR 456,60 EUR 285,38 EUR 1.864.000 Neutral 358,07 EUR 312,60 EUR 218,12 EUR Senior*innen Obergrenze 612,00 EUR 489,60 EUR 306,00 EUR (Abo 65plus) Beispiel 459,00 EUR 367,20 EUR 229,50 EUR 632.000 Neutral 287,96 EUR 251,39 EUR 175,41 EUR Studierende Obergrenze 388,00 EUR 310,40 EUR 194,00 EUR (Semesterticket) Beispiel 291,00 EUR 232,80 EUR 145,50 EUR 234.000 Neutral 182,56 EUR 159,38 EUR 111,21 EUR Auszubildende Obergrenze 365,00 EUR 292,00 EUR 182,50 EUR (Abo Azubi) Beispiel 273,75 EUR 219,00 EUR 136,88 EUR 26.000 Neutral 171,74 EUR 149,93 EUR 104,62 EUR „Bedürftige“ (Berlin-Ticket S) Obergrenze 330,00 EUR 264,00 EUR 165,00 EUR Beispiel 247,50 EUR 198,00 EUR 123,75 EUR Neutral 155,27 EUR 135,55 EUR 94,59 EUR (Referenztarif) Menge 373.000 Abbildung 16: Beitragshöhen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) Wendet man die in Abbildung 16 genannten Werte an, ergeben sich – abzüglich der nicht beitragspflichtigen Bevölkerung von 4% – folgende Einnahmen aus den ÖPNV-Beitragsmodellen: 84/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 17: Jährliche Beitragseinnahmen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags Die Obergrenze an Beitragseinnahmen liegt bei 1.947,5 Mio. EUR p.a. Dieses theoretische Maximum wird erreicht, wenn alle Berliner*innen einen Beitrag abführen, der • grundsätzlich in Höhe des heutigen Preises der VBB-Umweltkarte AB liegt, jedoch • sozialbezogene Preise für Senior*innen, Studierende, Auszubildende und „Bedürftige“ zu heutigen Preisen der Referenztarife vorsieht und • alle heute von der Kostenpflicht befreiten Personengruppen (Schüler*innen, Kinder bis 6 Jahre, Schwerbehinderte) auch künftig beitragsfrei stellt. Die weiteren Werte der Beitragseinnahmen erklären sich in der Ableitung daraus: • Die Beitragseinnahmen des Beispiels liegen jeweils um den angenommenen Satz von 25% unter dem Wert der Obergrenze. • Die Einnahmen des Beitragsmodells Freifahrt 21h (Off-Peak) für die Beitragshöhen Obergrenze und Beispiel liegen jeweils um 20% unter denen der Freifahrt 24h. Grund hierfür ist die Annahme, dass der geringere Sondervorteil (keine Freifahrt in der morgendlichen HVZ) in dieser Variante in einer verminderten Beitragshöhe resultieren muss. • Im Modell Bahncard liegen die Beitragseinnahmen der Beitragshöhen Obergrenze und Beispiel jeweils um 50% unter denen der Freifahrt 24h. Hier ist maßgeblich, dass annahmegemäß der um die Hälfte reduzierte Beitragssatz mit einer Reduzierung der Tarife für die Berliner*innen korrespondiert. 85/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Die Beitragshöhen der aufkommensneutralen Sätze gehorchen aufgrund der unterschiedlichen Gewichtungen keiner Regelmäßigkeit. Zu beachten ist, dass die Aufkommensneutralität die Kombination aller in Abbildung 16 genannten Beitragssätze voraussetzt. Der Härtegrad der Berechnungen zu den Beitragseinnahmen kann als hoch eingeschätzt werden. Die Modellberechnung kennt mit der gruppenspezifischen Menge der Berliner*innen und den gestaffelten Beitragshöhen nur wenige Eingangsdaten, wobei eine Zuordnung der Bevölkerung zu den genannten Gruppen durch die veröffentlichten sozioökonomischen Daten gut nachvollziehbar ist. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die Anzahl der Einwohner*innen aufgrund der Einführung dieses Finanzierungsinstruments verändert. Die Bemessung der gruppenspezifischen Beitragshöhen unterliegt letztlich der Gestaltungsaufgabe der Politik und determiniert damit ganz wesentlich die Höhe der Beitragseinnahmen. Gleichzeitig wirkt der gewählte Sondervorteil der Varianten des allgemeinen ÖPNV-Beitrags auf die Höhe des Tarifeinnahmenausfalls, der im Folgenden dargestellt wird. Tarifeinnahmenausfall Die Höhe der wegfallenden Tarifeinnahmen ist unabhängig von der Beitragshöhe und damit nur von dem gewährten Sondervorteil abhängig. Der Rückgang lässt sich in drei Segmenten darstellen, nämlich den Tarifeinnahmen • aus dem Bartarif, • aus Zeitkarten und • aus den weiteren gruppenspezifischen Abonnements für Senior*innen, Studierende, Auszubildende und „Bedürftige“. Abbildung 18 stellt die Tarifausfälle für die Varianten des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) im Vergleich zum heutigen Umsatz (fortgeschriebener Wert aus 2018) dar. Hinzuweisen ist darauf, dass bei der Berechnung der Bartarifeinnahmen im Modell Freifahrt 21h eine gleichbleibende Nachfrage unterstellt wurde – obwohl im Bartarif keine Ermäßigung zwischen 6 – 9 Uhr vorgesehen ist. Tatsächlich steht aber zu erwarten, dass viele Fahrgäste entweder auf die rabattierten Zeitkarten umsteigen – oder flexibel genug sind, außerhalb der morgendlichen HVZ zu fahren. 86/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 18: Tarifeinnahmenausfälle der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) in Mio. EUR p.a. Verglichen mit den fortgeschriebenen Tarifeinnahmen aus 2018 reduzieren sich damit in der Variante Freifahrt 24h die Tarifeinnahmen in den Segmenten um ca. 52% im Bartarif und 88% bei den Zeitkarten. Dieser Effekt nimmt in den beiden anderen Modellen immer weiter ab, wie Abbildung 19 zeigt. Abbildung 19: Prozentualer Tarifeinnahmenausfall gegenüber 2018 nach Modellen 87/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Mit den „weiteren Abos“ sind die bisherigen Zeitkarten für die Personengruppen der Senior*innen, Studierenden, Auszubildenden und Bedürftigen gemeint. Die daraus resultierenden Tarifeinnahmen „wandern“ beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) in die Beitragseinnahmen. Hierzu ist anzumerken: • Übersichtlich ist die Lage beim Berlin-Ticket S, das nur für den AB-Bereich gültig ist und nur von Berliner*innen erworben werden kann. Hier werden tatsächlich alle Tarifeinnahmen entfallen. • Der vollständige Entfall der Einnahmen aus dem VBB-Semesterticket jedoch bezieht sich alleine auf den Kreis der in Berlin wohnenden Studierenden. Natürlich könnte das Tarifangebot weiter an Brandenburger Universitäten vertrieben werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass in Brandenburg studierende Berliner*innen (wertmäßig in geringem Umfang) neu zu entwickelnde Tarifprodukte auf Zeitkartenbasis in den C-Bereich erwerben werden – schließlich ist das Semesterticket ja auch im Tarifbereich ABC gültig. • Dies betrifft auch das VBB-Abo 65plus für Senior*innen und das VBB-Abo Azubi für Auszubildende, die beide verbundweit gültig sind. Auch hier entfallen die Einnahmen von Brandenburger Fahrgästen nicht. Dabei kann bei Senior*innen der Nicht-Berliner Anteil auf etwa 5% der Umsätze geschätzt werden. Im Vergleich zu der Prognosequalität der Beitragseinnahmen ist die Abschätzung der Verlusteffekte in den Tarifeinnahmen von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig, was eine aggregierte Abschätzung erschwert. In der Summe wird das Ergebnis, das eine im Vergleich zu 2018 unveränderliche Fahrgästenachfrage unterstellt, nur ein Anhaltspunkt für die tatsächlichen Anpassungseffekte sein können. Dies gilt erst recht angesichts der noch unklaren Folgewirkungen der Covid-19-Pandemie. Im Einzelnen werden viele verschiedene Effekte die Verkehrsnachfrage mit Wirkung auf die Tarifeinnahmen beeinflussen: • Die größte Unsicherheit liegt darin, dass die Berechnungen eine statische Nachfrage abbilden. Real kann sich die ÖPNV-Nutzung im Laufe der Zeit deutlich ändern. • Prognoseunsicherheit besteht im Hinblick auf die Verschiebung der Nachfrage in der morgendlichen HVZ im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak). Schließlich ist davon auszugehen, dass ein harter Bruch zwischen Tarifpflicht und Freifahrt dazu führen wird, dass Berliner*innen dort, wo es dies zulässt, Fahrten verschieben, um Kosten oder schlicht die Mühen des Fahrscheinerwerbs zu sparen. Dies könnte dazu führen, dass die Tarifeinnahmenausfälle höher als berechnet ausfallen. Dies gilt besonders für den Bartarif, bei dem über die Hälfte der heutigen Einnahmen von ca. 375 Mio. EUR durch Berliner*innen resultierten – und abhängig von zeitlichen und tariflichen Anpassungsstrategien der Fahrgäste potenzielle „Drohverluste“ sind. • Auch allgemeine verhaltens- und verkehrspsychologische Einflussfaktoren sind möglich: o So kann beispielsweise eine Änderung der Nachfragestruktur eintreten, weil sich die individuelle Entscheidungsparameter verändern. Vergünstigte Ticketpreise für Einzelfahrten können dann attraktiver erscheinen als eine Zeitkarte. 88/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV o Schwer zu prognostizieren sind die Folgen, die sich v.a. bei dem Modell Freifahrt 24h aus der faktischen Aufgabe der Verkehrsraumintegration ergäbe. Heute ist es bereits vergleichsweise komfortabel, mit einem gemeinsamen Tarif den Nahverkehr zwischen Berlin und Brandenburg zu nutzen. Künftig könnte sich für Berliner*innen die Nutzung des ÖPNV im Stadtgebiet einerseits radikal vereinfachen – gleichzeitig aber eine neue Hürde in den C-Bereich schaffen. Wenngleich nicht davon auszugehen ist, dass Zeitkartennachfrager*innen wie Pendler*innen sich dem Nahverkehr abwenden, könnte dies aber bei Gelegenheitsfahrten (wieder) der Fall werden. • Vor allem zu nennen ist die erwartbare Zusatznachfrage im Zusammenhang mit der Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags. Abhängig von der Variante bzw. dem verknüpften Sondervorteil ist mit einer z.T. deutlichen Mehrnutzung von Bussen und Bahnen durch Berliner*innen zu rechnen – übrigens auch auf Kosten des Rad- und Fußverkehrs. Dies kann Folgeeffekte zeitigen: o Eine höhere Fahrgastnachfrage bietet – bei gegebenem Verkehrsangebot – in den Varianten Freifahrt 21h und Bahncard Chancen auf zusätzliche Tarifeinnahmen. Dagegen wird im Fall der Freifahrt 24h die zusätzliche Nachfrage ausschließlich auf der Kostenseite ausschlagen (s.u.). o Andererseits kann eine starke Mehrnachfrage durch Berliner*innen auch zu einer tendenziell geringeren Nutzung durch Pendler*innen und entsprechenden Mindereinnahmen führen. Beispielsweise wenn schlicht der Platz in Bus und Bahn knapp wird – aber auch aus einem gestörten Gerechtigkeitsempfinden einer Ungleichbehandlung heraus. o Darüber hinaus entstehen auch zusätzliche Einnahmechancen, wenn im Fall einer Angebotsausweitung Zusatzverkehre angeboten werden – die aber gegen die entstehenden Kosten beispielsweise für neue Fahrzeuge zu rechnen wären. • Daneben wird eine zusätzliche Nachfrage weitere, kostenwirksame Effekte nach sich ziehen, die losgelöst von Einnahmenwirkungen sind. Hier sind insbesondere zu nennen: o Schon eine erhöhte Fahrgastnachfrage im bestehenden Angebot kann zu Mehrkosten bei den Verkehrsunternehmen führen, wenngleich sich diese eher in einem kleinen Rahmen bewegen, beispielsweise durch erhöhten Energieverbrauch oder Reinigungskosten. o Steigt die Nachfrage stetig, können schnell Kosten durch dann notwendige Anpassungen des ÖPNV-Angebotes anfallen. Eine höhere Taktung der Linien oder neue Angebote verlangen jeweils zusätzliche Aufwendungen. Sofern es sich „nur“ um eine betriebliche Ausweitung handelt, betreffen die Ausweitungen lediglich laufende Aufwendungen wie Personal- und Materialkosten. o Schnell jedoch werden auch Investitionen nötig, beispielsweise in neue Fahrzeuge. Dies sind sog. sprungfixe Kosten, die neben einem erhöhten Finanzierungsaufwand auch entsprechende Vorlaufzeiten in der Planung notwendig machen. 89/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Saldobetrachtung Um eine aggregierte Sicht der beiden gegenläufigen Effekte – Beitragseinnahmen und Tarifeinnahmenausfälle – zu erhalten, sind die Beträge zu saldieren. Die folgende Tabelle stellt die Ergebnisse der Modellberechnungen zusammen: Beitragseinnahmen Tarifausfälle Saldo (in Mio. EUR) (in Mio. EUR) (in Mio. EUR) Obergrenze 1.947,5 916,4 1.031,2 Beispiel 1.460,6 916,4 544,3 Obergrenze 1.558,0 800,0 758,0 Beispiel 1.168,5 800,0 368,5 Obergrenze 973,8 558,2 415,6 Beispiel 730,3 558,2 172,1 Modell Beitragshöhe Freifahrt 24h Freifahrt 21h Bahncard Abbildung 20: Saldobetrachtung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen Bei der Bewertung der untersuchten Modelle des Bürger*innentickets und der verknüpften Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags für alle Berliner*innen zeichnet die Modellrechnung abschließend folgendes Bild: • In allen Varianten sind z.T. deutliche Mehreinnahmen aus Sicht des Landes zu erwarten. Die Höhe der Mehreinnahmen wird durch die Beitragshöhen determiniert, für die zwei Varianten bereitstehen: o Obergrenze – als Äquivalent der heutigen VBB-Zeitkartentarife und der reduzierten Variante o • Beispiel – mit Beiträgen mit einem 25%-igen Nachlass auf die Obergrenzen. Im Modell Freifahrt 24h verbleiben Mehreinnahmen zwischen 540 – 1.030 Mio. EUR pro Jahr. Wegen des kompletten Entfalls von Tarifumsätzen von Berliner*innen im Stadtverkehr liegt der gesamte Tarifausfall hier mit ca. 916 Mio. EUR am höchsten. • Verbleibt trotz eines grundsätzlich kostenlosen ÖPNV in der morgendlichen Hauptverkehrszeit noch die Pflicht für einen Fahrscheinerwerb (Modell Freifahrt 21h), gehen sowohl die Beitragseinnahmen als die Tarifausfälle zurück. Jährlich verbleiben etwa 370 – 760 Mio. EUR mehr. Senkt man die Tarife in der morgendlichen HVZ um 50% (statt um 30%), verringert sich der Saldobetrag um etwa 20 Mio. EUR. • Auch im Modell Bahncard resultieren im Saldo zwischen ca. 170 – 420 Mio. EUR Mehreinnahmen pro Jahr. 90/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Abbildung 21: Finanzierungssaldo des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen Betrachtet man die unterschiedlichen Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags, springt ein reiner Vergleich der Finanzergebnisse zu kurz: • Das Modell Freifahrt 24h erbringt zwar den höchsten Finanzierungssaldo – gleichzeitig wird die mit dem Bürger*innenticket gewährte kostenlose Fahrt zu einer starken Mehrnutzung des ÖPNV führen, weil für die Berliner*innen schlicht keine Nutzungskosten anfallen. Damit wird eine Angebotsausweitung unausweichlich, die wiederum den Großteil des gewonnen Zusatzbudgets verschlingen könnte. So gesehen kann eine Entscheidung für einen allgemeinen ÖPNV-Beitrag auch als Selbstbindung für eine Angebotsoffensive verstanden werden. Im Ergebnis aber würde dieses Modell bedeuten, – mit Ausnahme der nicht aus Berlin stammenden Fahrgäste – den Fahrpreis als Allokationsinstrument aufzugeben. • Am schwierigsten einzuschätzen ist, welche tatsächliche Finanzierungswirkung aus dem Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) resultiert. Dies hängt maßgeblich von den Anpassungsreaktionen der Fahrgäste in der morgendlichen HVZ ab. Vor allem der harte Schnitt zwischen kostenloser und nicht kostenloser Beförderung könnte in diesem Modell zu Nachfragespitzen führen. Da auch hier der Tarif als Steuerungsinstrument für den Großteil des Tages aufgegeben wird, wird diesen möglicherweise nur durch aufwändige Gegenmaßnahmen zu begegnen sein. • Im Gegensatz zu den beiden anderen Modellen fällt der Finanzierungsbeitrag der BahncardVariante deutlich zurück und ist mit Blick auf das Einnahmenerreichungsziel daher nachrangig zu bewerten. Gleichzeitig bietet er im Vergleich zu den Freifahrt-Modellen aber auch kleine strategische Vorteile: 91/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV o Durch die Beibehaltung des Tarifs kann die Nachfrage über dieses Instrument weiter gesteuert werden. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Auswirkungen auf den VBB und die Finanzierung der Verkehrsleistungen im Verbund dosierter sein werden. o Im Bahncard-Modell wird keine sprunghafte Fahrgastnachfragesteigerung resultieren, da mit der Tarifpflicht immer noch der Kaufvorgang eines Tickets der Nutzung von Bus und Bahn voranzustellen ist. Daher werden im Vergleich geringere zusätzliche Aufwendungen für die Angebotsausweitung anfallen. o Durch die geringere Beitragshöhe wird möglicherweise in der Gruppe der ÖPNVNichtnutzer*innen eher eine politische Bereitschaft wachsen. Gleichzeitig kann den Vielfahrer*innen eine Vergünstigung der ÖV-Nutzung zuteil werden. o Schließlich wird die Finanzierung des Nahverkehrs auf eine weitere Säule gestellt. Mit der Diversifizierung kann eine höhere Sicherheit einhergehen, wie der aktuelle Fahrgast- und Einnahmenrückgang in der Pandemie schmerzlich zeigt. 9.1.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag kommt nicht ohne z.T. tiefgreifende begleitende Maßnahmen aus. • Organisatorisch die wichtigste Anforderung ist die Zuweisung der Aufgabe der Beitragserhebung an eine dafür zuständige Verwaltungseinheit. Diese ermittelt die personenbezogenen Daten und ist für die administrativen Aufgaben, also insb. die Prüfung und die Beitragserhebung zuständig. Diese werden voraussichtlich durch eine Behörde oder eine mittelbare Institution, beispielsweise die BVG AöR, ausgeführt werden müssen. Aufgrund des Umfangs dieser Aufgabe muss davon ausgegangen werden, dass für die Aufgabenerledigung zusätzliches Personal gefunden werden muss. Gleichzeitig ist auch eine Stelle nötig, welche die personalisierten Bürger*innentickets für die 3,75 Mio. Berliner*innen ausstellt, versendet und administriert. Diese Tätigkeiten sind nicht notwendigerweise hoheitlich, weshalb beispielsweise auch eine Unterstützung durch den VBB möglich wäre – wenngleich dies aktuell nicht das Aufgabengebiet des VBB berührt. Um diese Voraussetzungen für das Bürger*innenticket zu schaffen, ist ein entsprechender zeitlicher und organisatorischer Vorlauf – und selbstverständlich auch die laufende Vorhaltung von Kapazitäten nach Einführung – nötig. • Mit einer Umsetzung eines ÖPNV-Beitrages würde auch eine tiefgreifende Veränderung der Nahverkehrsfinanzierung einhergehen. Im besonderen Maße beachtenswert ist, dass Finanzierungsströme im großen Maßstab verändert werden. Schließlich werden Tarifeinnahmen, die bislang bei den Verkehrsunternehmen und dem Verbund vereinnahmt werden, in die Landeskasse „umgelenkt“. Dies impliziert zunächst den Vorteil, dass die Einnahmen nicht versteuert werden müssen, führt aber unmittelbar dazu, dass das bestehende System der Tarifvereinnahmung und -aufteilung innerhalb des VBB tangiert wird. Die VBB-Einnahmeaufteilung wird im Hinblick auf die neugeordneten Finanzierungsströme und die Einsteuerung von Einnahmeausfällen neu justiert werden müssen. Damit ist automatisch das komplizierte Gefüge der öffentlichen Dienstleistungsaufträge zwischen öffentlichem Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen berührt. Insbesondere 92/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV bei Verkehrsverträgen, bei denen die Verkehrsunternehmen ein Einnahmenrisiko tragen (sog. Nettoverträge), belasten zurückgehende Einnahmen die Ergebnissituation der Unternehmen unmittelbar. Indem weniger Taifeinnahmen anfallen, wird der Topf der im Verbund zu verteilenden Einnahmen geringer. Hier wird das Land kaum um einen entsprechenden finanziellen Ausgleich herumkommen, wenn eine landesgesetzliche Maßnahme Grund für den Einnahmenrückgang ist. Sind Ausgleichszahlungen berechtigt und nötig, stellt sich weiter die Frage, wie dies unter Wahrung des Beihilferechts umzusetzen ist. Grundsätzlich erscheint es für das Land Berlin möglich, die entfallenden Tarifeinnahmen durch einen Zahlungsfluss über das landeseigene Verkehrsunternehmen BVG in die VBBEinnahmeaufteilung zurückzuführen. Die Auswirkungen auf die Verkehrsverträge in Brandenburg wäre im konkreten Vorbereitungsfall näher zu untersuchen. Obwohl die Verkehrsverträge im Berliner und Brandenburger Schienenpersonennahverkehr (SPNV) grundsätzlich als Bruttoverträge konzipiert sind, also das Land die Erlösrisiken trägt und den Verkehrsunternehmen die Kosten erstattet, können dort auch vertragliche Anreizelemente eine implizite Erlöswirkung entfalten, die mit einer Beitragseinführung beeinflusst wird. • Noch nicht vollständig abzusehen sind die Auswirkungen auf den VBB-Tarif selbst. Klar ist, dass nicht nur Einfluss auf die Tarifeinnahmen genommen werden wird, sondern auch auf weitere Aspekte. Zu nennen ist: o In den Modellen Freifahrt 21h und Bahncard müsste jeweils eine neue Tarifstufe für Berliner*innen geschaffen – und für den Vertrieb umgesetzt werden. o Eine relevante Auswirkung auf die Verbundeinnahmen wird auch die Aufteilung der Einnahmen in den Tarifbereichen BC und ABC in einen „Berliner“ und einen „Brandenburger“ Teil haben. Für die Modellberechnung ist vereinfacht eine lineare Aufteilung unterstellt. Hierzu ist innerhalb des VBB eine Einigung herzustellen. o Diskussionspunkt wird sein, inwieweit ein Änderungsdruck auf die Tarifstruktur entsteht, insbesondere wenn im Modell Freifahrt 24h der Tarifbereich AB nur für Auswärtige Gültigkeit hätte. o Konkret wären auch neue Tarifprodukte zu entwickeln, beispielsweise Anschlussfahrscheine auf Zeitkartenbasis für Fahrten von Berliner*innen in den C-Bereich. Diese benötigen v.a. in Berlin wohnende aber in Brandenburg Studierende oder Auszubildende, da das Bürger*innenticket – im Gegensatz zu den heutigen Zeitkarten – nur im Bereich AB gültig ist. Aber auch andere regelmäßige Auspendler*innen sind selbstverständlich von diesen neuen Angeboten abhängig. o Mit einem Bürger*innenticket könnte das Modell des VBB-Semestertickets womöglich keinen Bestand haben. Hintergrund ist das hinter dem Semesterticket liegende Solidarmodell. Mit einem Anteil von 80% machen Studierende an Berliner Hochschulen den Löwenanteil an den Zahlenden des Semestertickets aus. Da der überwiegende Anteil davon auch in Berlin lebt und demnach in den Besitz eines Bürger*innentickets käme, würde das wirtschaftliche Fundament dieses Modells sehr wahrscheinlich berührt sein. 93/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV o Mit der Einführung eines Bürger*innentickets würde der Tarifbereich AB im VBB eine neue Stellung bekommen. Dies könnte zu einer Neujustierung der Tarifhöhen im Verbund führen und beträfe mutmaßlich auch die Tarifanpassungsregelung. In der Folge könnten auch gezielte Weiterentwicklungen der Tarife angestoßen werden, beispielsweise eine höhere Bepreisung von Einzelfahrausweisen im Bereich AB für Gäste und Tourist*innen. o Die Auswirkungen auf die Vertriebskosten im Verbund würden sich in den Modellvarianten unterscheiden. Unabhängig von der Ausgabe der Bürger*innentickets selbst wären für alle weiteren Fahrgäste Vertriebsmöglichkeiten zu offerieren. Die Vertriebskosten für die unterschiedlichen Vertriebskanäle sind aufgrund der Bindung von Assets kurzfristig weitgehend unabhängig vom (zurückgehenden) Umsatz. Eine mögliche Konsequenz könnte sein, vergleichsweise kostenintensive Vertriebskanäle wie Fahrkartenautomaten und den personenbetriebenen Verkauf einzuschränken und stärker auf digitale Vertriebsangebote zu setzen. Hierzu bedarf es detaillierter gesonderter Analysen. o Schließlich wäre auch zu erwarten, dass sich die eingeübte Entscheidungsstruktur über eine gemeinsame Anpassung der Tarife zwischen den beteiligten Ländern und Kreisen verändert. Schließlich würde Berlin seine Stellung als „Kraftzentrum“ innerhalb des Verbunds durch einen ÖPNV-Beitrag ein Stück weit aufgeben. o Grundsätzlich ist für den Fall der Einführung eines Bürger*innentickets anzuraten, eine vertiefte Untersuchung auf die Wirkungen auf den Verkehrsverbund BerlinBrandenburg und seinen Tarif anzustrengen, mit besonderem Blick auf die Finanzierungsflüsse und verkehrliche Auswirkungen in den beiden Ländern. 94/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9.1.2 Gäste-Ticket Gäste-Ticket Kategorie Umlagefinanzierung Abgabentyp Beitrag (einmalig, je Übernachtung) Abgabendifferenzierung Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren Abgabenpflichtige Private und geschäftliche Übernachtungsgäste Sondervorteil Tageskarte Tarifbereich ABC für die Dauer des Aufenthalts Organisatorische Änderungen im Tarif und in der Einnahmenaufteilung sowie Herausforderungen Kündigung von Verträgen mit Tourismus-Partnern der Kombitickets (z.B. WelcomeCard) sind nötig. Abbildung 22: Steckbrief Gäste-Ticket 9.1.2.1 Beschreibung Das Gäste-Ticket stellt eine verpflichtende Abgabe für Personen dar, die in gewerblichen Übernachtungsbetrieben in Berlin zu privaten oder geschäftlichen Zwecken übernachten. Es wird von den Gewerbetreibenden je Person und Nacht erhoben und der Landeskasse zugeführt. Im Gegenzug erhalten die Übernachtungsgäste vom Anreise- bis zum Abreisetag einen Fahrausweis für den Nahverkehr (Tageskarte Tarifbereich ABC). Weil schon mit der Hotelbuchung zur Verifikation ein QR-Code an den Übernachtungsgast versendet wird, kann dieser den Fahrausweis schon vom Bahnhof oder vom Flughafen aus verwenden. Damit ist das Gäste-Ticket der Art nach eine zeitlich begrenzte Ausweitung des ÖPNV-Beitrags auf die Übernachtungsgäste in der Stadt. Es kann entgegnet werden, dass mit der City-Tax bereits eine sehr ähnliche Abgabenart existiert, welche für das Ansinnen des Gäste-Tickets, Übernachtungsgäste verpflichtend an den Kosten des Nahverkehrs zu beteiligen, ebenso geeignet ist. Die City-Tax ist eine Steuer auf private Übernachtungen. Eine Erhöhung der City-Tax anstelle der Einführung eines Gäste-Tickets wäre im Gegenzug für eine Übereignung eines verpflichtenden Fahrausweises an die Übernachtungsgäste möglich. Dies würde aber nicht die Einnahmen zugunsten des ÖPNV zweckbinden. Exkurs: Baseler Gasttaxe Als Beispiel eines erfolgreich umgesetzten Gästetickets wird häufig auf die Baseler Gasttaxe abgestellt. Der Kanton Basel-Stadt erhebt diese in Höhe von 4 Schweizer Franken (CHF) pro Person und Nacht. Abgabenbefreit sind Personen mit Wohnsitz im Kanton sowie Kinder unter 12 Jahren. Wer außerdem mehr als 30 Nächte im selben Beherbergungsbetrieb übernachtet, ist ab dem 31. Tag befreit. Welcher Übernachtungszweck – privat oder geschäftlich – vorliegt, spielt für die Zahlungspflicht keine Rolle. Die Gasttaxenpflicht setzt allerdings erst dann bei Beherbergungsbetrieben ein, wenn gewerbsmäßig bzw. an mindestens fünf Tagen pro Kalenderjahr gegen Entgelt Personen beherbergt werden. Die Taxe wird den Betrieben monatlich vom Amt für Wirtschaft und Arbeit in Rechnung gestellt. Die Übermittlung der 95/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Übernachtungszahlen durch die Unterkünfte bildet hierfür die Grundlage. Bei Buchungen über Airbnb wird die Gasttaxe automatisiert beim Buchungsvorgang eingezogen. Mit der Zahlung der Taxe erhält der Übernachtungsgast eine kostenlose Fahrtberechtigung im öffentlichen Verkehr der Stadt Basel und der Region. Bei der Ankunft gilt zunächst die Reservationsbestätigung als Fahrausweis. Die sogenannte „Basel-Card“ wird beim Einchecken, d.h. nach gezahlter Gasttaxe, ausgehändigt. Beitragsbefreite Kinder erhalten diese unentgeltlich. Die Basel-Card gilt für die Dauer des Aufenthalts nicht nur als Fahrausweis, sondern bietet neben dem Zugang zum kostenlosen Gäste-Wifi an öffentlichen Plätzen vergünstigten Eintritt zu Kultur- und Freizeitangeboten. Darunter fällt beispielsweise die einmalige Ermäßigung von 50% auf den Eintritt in Museen und in den Zoo Basel oder auch ein Guest Bike Basel für 20 CHF am Tag. Bei dieser Kombination aus Freifahrt und vergünstigtem touristischen Angebot kann eine klare Analogie zu bestehenden touristischen Tarifprodukten in Berlin wie der „WelcomeCard“ gezogen werden. Das in dieser Studie vorgeschlagene Gäste-Ticket soll allerdings kein verpflichtend zu erwerbendes Kombiticket sein. Dazu passt, dass während in Basel die Einnahmen der Gasttaxe in die Schaffung und den Unterhalt der touristischen Infrastruktur investiert werden, in Berlin die vereinnahmten Mittel die Finanzierung des ÖPNV stützen sollen. Den Anfang machte in Basel allerdings ein 1997 eingeführtes „Mobility Ticket“, das ein reines ÖV-Ticket umfasste und bei Zahlung der Gasttaxe erworben wurde. Die Basel-Card wird an dessen Stelle erst seit 2018 im Gegenzug für eine erhöhte Gasttaxe ausgegeben. 9.1.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Da beim Gäste-Ticket der Beitragspflichtige in Form des Fahrausweises einen Sondervorteil erhält, sind für dieses Instrument neben Beitragseinnahmen auch Tarifeinnahmenausfälle zu berechnen. Beitragseinnahmen Mengenseitig dient die Anzahl an Übernachtungen als Ausgangspunkt der Modellrechnung. Nach Daten des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg konnten 2018 insg. 32,8 Mio. Übernachtungen gezählt werden. Wir gehen von einer jährlichen Steigerung von 4% aus, was leicht unter der bisherigen Entwicklung der letzten Jahre liegt. Für 2020 liegen der Modellrechnung damit ca. 35,5 Mio. Übernachtungen zugrunde. Hinzu kommen ca. 5,5 Mio. Übernachtungen über Webplattformen (z.B. Airbnb). Im Lichte der Covid-19-Pandemie sind diese Werte derzeit obsolet. Auf diese wurden die folgenden Varianten an Beitragshöhen unterstellt: • Variante 1: Erwachsene 5 EUR • Variante 2: Erwachsene 8 EUR • Für Kinder ab 6 Jahren gelten jeweils 50% des Normalbeitrags, Kinder bis 6 Jahre sind befreit Im Vergleich zu den Preisen der Tageskarten (Tarifbereich AB 8,60 EUR Regeltarif/5,50 EUR ermäßigt, Tarifbereich ABC 9,60 EUR/6,00 EUR) heute stellt vor allem die 1. Variante eine deutliche Vergünstigung und damit ein attraktives Angebot für die Gäste dar. 96/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Tarifeinnahmenausfall Beim Ausfall der Einnahmen aus touristisch genutzten Produkten (z.B. CityTourCard, QueerCityPass, WelcomeCard) sind wir davon ausgegangen, dass diese zu 99% von beitragspflichtigen Gästen in Anspruch genommen werden – und daher die VBB-Einnahmenanteile künftig entfallen. Mit Einführung des Gäste-Tickets werden aber auch die Absatzzahlen anderer Bartarifprodukte (Einzelfahrkarte, Tageskarte, Kleingruppen-Tageskarte und 4-Fahrten-Karte) schrumpfen. Dafür sind die von der BVG ermittelten Käuferanteile von Nicht-Berliner*innen berücksichtigt, die weiter annahmengestützt nach Übernachtungsgästen und anderen Nicht-Berliner*innen disaggregiert sind. Insgesamt entfällt damit bei den genannten Bartarifprodukten in den Bereichen AB, ABC und BC etwas mehr als ein Viertel der Einnahmen. 9.1.2.3 Ergebnis Auch beim Gäste-Ticket sind die gegenläufigen Wirkungen aus Beitragseinnahmen und dem Tarifeinnahmenausfall zu modellieren. Die zu erwartenden Einnahmen aus Beiträgen der Übernachtungsgäste sind von der gewählten Beitragshöhe (Varianten: 5 EUR und von 8 EUR pro Tag) abhängig. Die Modellrechnung kommt zu Beitragseinnahmen zwischen 180 – 290 Mio. EUR auf Jahresbasis. Demgegenüber steht ein Rückgang der Einnahmen aus dem Bartarif und bei touristischen Produkten in Höhe von ca. 115 Mio. EUR, so dass per Saldo eine jährliche Mehreinnahme für das Land Berlin von 65 – 175 Mio. EUR verbleibt. Der Härtegrad der Berechnung ist hoch einzustufen, sie ist von wenigen Annahmen abhängig. Für die Entwicklung der Zahl an Übernachtungsgästen als zentraler Parameter lässt sich auf lange Zeitreihen zurückgreifen. Allerdings machen die im Zuge der Covid-19-Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen nach Deutschland eine Neubewertung vor Einführung eines Gäste-Tickets notwendig. Offen ist inwieweit und in welcher Geschwindigkeit die künftigen Besucher*innenzahlen bisherige Größenordnungen erreichen werden. 9.1.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Wie im Fall des allgemeinen ÖPNV-Beitrags wird es mit der Einführung eines Gäste-Tickets nötig sein, innerhalb der Berliner Verwaltung eine für die Erhebung und Abrechnung der Beiträge zuständigen Stelle zu schaffen. Dabei kann von einer geringeren Aufgabenbreite ausgegangen werden. Mit der Einführung des Gäste-Tickets ist es notwendig, die Prozesse der Beitragserhebung, der Ausstellung von Fahrtberechtigungen und der Abrechnung und Kontrolle zu beschreiben und vorzubereiten. Denkbar ist folgendes Vorgehen: • Beitragsschuldner*innen sind die Übernachtungsgäste. Die Übernachtungsbetriebe und gewerbliche Vermieter*innen in Berlin werden zur Erhebung des Gäste-Tickets bei ihren Übernachtungsgästen verpflichtet. Sie melden die Beiträge wiederkehrend an das Land und führen diese dahin ab. 97/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Die Vermieter*innen übermitteln den Gästen per E-Mail vor Anreise personalisierte und für die Dauer des Aufenthalts gültige Fahrberechtigungen mittels QR-Codes. • Dieser Datensatz dient als Berechtigungsnachweis und wird in das Vertriebshintergrundsystem übernommen. Er kann durch das Fahrpersonal bzw. Kontrollpersonal überprüft werden. Gleichzeitig dient die Zahl der ausgegebenen Codes zur Plausibilisierung der Beitragseinnahmen. Zwar kann ein messbarer Mehrverkehr bei diesem Instrument wahrscheinlich ausgeschlossen werden. Da aber hier ein Tarifeinnahmenausfall resultiert, sind auch einige der Aspekte zu beachten, die bereits beim ÖPNV-Beitrag genannt wurden (Kap. 9.1.1.4): • Die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Verkehrsunternehmen im VBB wird ähnlich, wenngleich in kleinerem Maßstab als beim Bürger*innenticket wirksam werden. Rückläufige Einnahmen könnten durch das Land ausgeglichen werden. • Mit der Einführung des Gäste-Tickets sind verschiedene touristische Tarifprodukte verzichtbar. Als Nebenwirkung würde dies auch bei deren Anbietern zu Einnahmerückgängen führen. Vielfach werden diese Fahrkarten mit gekoppelten Leistungen vermarktet, u.a. dem freien oder ermäßigter Eintritt in Museen, Theatern, Veranstaltungen, Freizeiteinrichtungen und Sehenswürdigkeiten. Die bestehenden Vereinbarungen mit diesen Anbietern sind daher rechtzeitig abzukündigen. • Wenn mit dem Beitrag auch der Tarifbereich C nutzbar sein soll – wofür mit Blick auf den neuen Flughafen ein großer Komfort verbunden wäre –, ist das Land Brandenburg im Rahmen der Einnahmenaufteilung des VBB zu beteiligen. 98/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9.2 Nutznießerfinanzierung Der Status quo kennt neben den allgemeinen Zuweisungen allein die Fahrgeldeinnahmen als Quellen der ÖPNV-Finanzierung. Der Gleichklang aus Steuer- und Nutzerfinanzierung stellt sich auf den ersten Blick als sinnvoll dar. Dies trägt sowohl der Aufgabe des ÖPNV als öffentliches Daseinsvorsorgeinstrument Rechnung als auch der Forderung nach dem anreizfreundlichen Verursacherund Äquivalenzprinzip. Die Nutznießerfinanzierung stellt darüber hinaus auf besondere wirtschaftliche Vorteile von juristischen oder natürlichen Personen ab, die durch das Vorhandensein des öffentlichen Gutes (ÖPNV) in Berlin entstehen. Ökonomen sprechen davon, dass durch die Bereitstellung einer öffentlichen Leistung ein positiver pekuniärer externer Effekt198 ausgelöst wird, der diesen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Als typisches Beispiel wird der Wertzuwachs zitiert, der Immobilien durch eine gute ÖPNV-Erschließung wiederfährt: Der finanzielle Ertrag der „sozialisierten“ Kosten für den ÖPNV wird an dieser Stelle „privatisiert“. Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente streben danach, diesen geldwerten Vorteil abzuschöpfen und wieder der Allgemeinheit zuzuführen. Dadurch können – in der Sprache der Ökonomen – die positiven externen Effekte „internalisiert“ werden. Da sie diesen bestehenden Vorteil ausgleichen, steht der Abgabenerhebung der Nutznießerfinanzierungsinstrumente auch kein Sondervorteil – wie beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag – gegenüber. Die große Herausforderung dabei ist, dass eine sachgerechte und diskriminierungsfreie Berechnung des individuellen Nutzens notwendig ist. Demnach wird im Gegenzug für die zu leistende Zahlung kein zusätzlicher Sondervorteil gewährt. Es kommt zu keinen Tarifausfällen. Die Einnahmen, die erzielt werden, stehen für eine Saldobetrachtung lediglich Verwaltungskosten gegenüber. Die hier betrachteten Instrumente zielen konkret auf die folgenden wirtschaftlichen Vorteile: • Die Grundstückseigentümer*innen profitieren, wie oben bereit erwähnt, direkt von der Erschließung durch Busse und Bahnen (vgl. Kap. 9.2.1). Vergleicht man zwei ansonsten in Ausstattung und Fläche identische Immobilien, wird diejenige mit der besseren Anbindung an Bus und Bahn einen höheren Gebrauchswert aufweisen. Dies übersetzt sich entweder in höhere Vermietungserlöse oder Anlagen-/Verkaufswerte. • Von einer guten Zugänglichkeit durch den ÖPNV profitieren die Wirtschafts- bzw. Gewerbebetriebe in vielerlei Hinsicht (vgl. Kap. 9.2.2). So erreichen beispielsweise Mitarbeiter*innen/Angestellte den Betrieb bequem, dieser muss daher auch keine oder deutlich weniger Parkmöglichkeiten vorhalten. Der geringere Autoverkehr erleichtert es damit auch, dass Lieferanten den Betrieb besser erreichen können. Entscheidend für Unternehmen aber ist vor allem die Erreichbarkeit von Kund*innen. Abhängig vom Wirtschaftszweig wird die Qualität der Zugänglichkeit beispielsweise von Verkaufsräumen mit Bus und Bahn entscheidend für deren wirtschaftlichen Erfolg sein. • In besonderem Maß betrifft dies die Übernachtungsgewerbebetriebe (vgl. Kap. 9.2.3). Da Gäste und Tourist*innen in der Mehrzahl ohne Auto die Hauptstadt besuchen, ist der 198 Das bekanntere Gegenteil sind negative externe Effekte. Diese entstehen beispielsweise bei der Produktion eines Gutes durch die Emission von Luftschadstoffen. Vom Verkauf des Gutes profitiert wirtschaftlich allein der Unternehmer, während die Luftverschmutzung bei anderen, unbeteiligten Personen zu Kosten führt. 99/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Nahverkehr für deren Mobilität in der Stadt von großer Bedeutung. Deswegen ziehen vor allem die Hotels, Pensionen usw. als unmittelbare Profiteure des Tourismus einen Nutzen aus dem öffentlichen Verkehrsangebot. Da Zielsetzung ist, dass Finanzierungsinstrumente wiederkehrende Einnahmen generieren sollen, werden die bereits etablierten Erschließungsbeiträge nicht betrachtet. Diese sind v.a. bekannt im Fall des Ausbaus von Straßen oder Plätzen und könnten auch auf eine neue ÖPNV-Anbindung bezogen werden. Vielmehr fokussieren sich die in dieser Machbarkeitsstudie näher betrachteten Maßnahmen auf einen Ausgleich des Nutzens aus dem bestehenden ÖPNV-Angebot. 9.2.1 Grundstückseigentümerbeitrag Grundstückseigentümerbeitrag Kategorie Nutznießerfinanzierung Abgabentyp Beitrag (wiederkehrend) Abgabendifferenzierung Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln Abgabenpflichtige Eigentümer*innen von Wohn-/Gewerbeimmobilien in Berlin Sondervorteil Entfällt (Nutznießerfinanzierung) Organisatorische typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs- Herausforderungen kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig Abbildung 23: Steckbrief Grundstückseigentümerabgabe 9.2.1.1 Beschreibung Der Grundstückseigentümerbeitrag richtet sich an die Eigentümer*innen von Wohn- und Gewerbeimmobilien im Stadtgebiet Berlin. Diese werden zur Entrichtung eines wiederkehrenden, beispielsweise jährlichen Beitrags verpflichtet, um die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der ÖPNV-Anbindung gegenüber der Allgemeinheit auszugleichen. Die Beitragshöhe kann sich dabei an mehreren Faktoren ausrichten, beispielsweise der Gebäudenutz- oder Wohnfläche oder dem Wert der Immobilie. 9.2.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Zentrale Herausforderung der Modellierung eines solchen Beitrages ist eine hinreichend valide Abschätzung der Summe der unterschiedlichen individuellen wirtschaftlichen Vorteile. Aufgrund des Beitragscharakters ist es nicht zwingend nötig, eine Äquivalenz zwischen der Beitragshöhe und dem wirtschaftlichen Vorteil herzustellen – auch wenn dies politisch angestrebt werden dürfte. Wichtiger ist hingegen, eine komparative Angemessenheit der Beitragserhebung zu garantieren, d.h. durch klare und nachvollziehbare Kriterien eine diskriminierungsfreie Beitragserhebung zwischen den einzelnen Nutznießer*innen herzustellen (siehe auch Kap. 9.2.1.3). Die Einnahmen sind mittels einer einfachen Näherung abgeschätzt. Hierfür sind diese Eingangswerte maßgeblich: 100/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Mengenseitig ist die Fläche der Wohnimmobilien gut durch das Amt für Statistik BerlinBrandenburg dokumentiert. Im Jahr liegt diese in Berlin ohne Nichtwohngebäude bei 142,17 Mio. qm. Dieser Wert ist mit der durchschnittlichen Steigerung der Flächen zwischen 2010 – 2018 in Höhe von 0,66% p.a. auf 2020 fortgeschrieben. • Bei den Gewerbeimmobilien liegt leider mit 66,63 Mio. qm nur die Bodenfläche für Industrie und Gewerbe vor, nicht die Nutzfläche der gewerblichen Aktivitäten. Dieser Wert wird mit der gutachterlichen Annahme qualifiziert, dass zwischen 50% und 75% dieser Bodenflächen beitragspflichtig werden. • Analog zu dem Erschließungsstandard bei Privatpersonen (vgl. Kap. 3.1.1.3) ist auch unterstellt, dass Immobilien zum Teil nur ungenügend an den Nahverkehr angebunden sind. Die Berechnung des Grundstückseigentümerbeitrags legt mit pauschal 8% einen doppelt so hohen Anteil der von der Beitragspflicht befreiten Flächen an als bei den Wohnimmobilien. Dies folgt aus der Annahme, dass flächenintensive Betriebe oft am Stadtrand liegen. • Die mittlere Beitragshöhe wird festgelegt mit o 2 EUR je qm bei Wohnimmobilen o 4 EUR je qm bei Gewerbeimmobilien Bei Gewerbeimmobilien ist unterstellt, dass durch den unmittelbaren wirtschaftlichen Betrieb ein höherer Nutzen resultiert, während bei Wohnimmobilien auch die Selbstnutzung von Wohneigentum zu berücksichtigen ist. Zu beachten ist, dass eine Veränderung der Beitragshöhe bei Wohnimmobilien aufgrund der mengenseitigen Dominanz einen deutlich größeren Effekt auf die Beitragseinnahmen ausübt als bei Gewerbeimmobilien. 9.2.1.3 Ergebnis Das Ergebnis der erwartenden Beitragseinnahmen aus dem Grundstückseigentümerbeitrag ist einzig von der Höhe des gewählten mittleren Beitragssatzes abhängig (2 EUR je qm Nutzfläche in Wohnimmobilen und 4 EUR je qm in Gewerbeimmobilien). Die Modellrechnung ergibt Beitragseinnahmen von 400 – 460 Mio. EUR pro Jahr für einen Grundstückseigentümerbeitrag. Die größte Unsicherheit für den Wert der Ergebnisspanne wurzelt in dem fehlenden Nutzflächenwert der Gewerbeimmobilien. Weil hier nur die Grundflächen verfügbar sind, muss die Herleitung sich auf Annahmen stützen (vgl. Kap. 9.2.1.2). 9.2.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Die Umsetzung wird – wie bei den anderen Nutznießerfinanzierungsinstrumenten – von zwei wesentlichen zu klärenden Themen bestimmt: 1. Die Herstellung eines definitorischen Gerüsts von klaren und nachvollziehbaren Kriterien für die Beitragshöhen. 2. Die Schaffung bzw. Ertüchtigung einer Verwaltungseinheit, welche die Beiträge anhand dieser Kriterien erhebt und vereinnahmt. 101/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Der erste Punkt ist insofern komplex, als ein juristisch möglichst „wasserdichtes“ Kriteriengerüst zu definieren ist, das zudem auf verfügbaren Daten und Informationen beruht. Am Beispiel des Grundstückseigentümerbeitrags kann eine Reihe von Themen benannt werden, die die Komplexität der Herstellung eines solchen Kriteriengerüstes belegen, z.B.: • Bei Gewerbeflächen sind die tatsächlich gewerblich genutzten Flächen zu definieren und zu erheben. Dabei wäre beispielsweise methodisch abzugrenzen, welche Flächen- und Gebäudeteile erfasst werden (z.B. Parkplätze, Lager, Verkaufsräume). Diese müssten ggf. auch unterschiedlich bei der Beitragshöhe bewertet werden. • Dabei wird es aus politischen Motiven auch um die Frage gehen können, bestimmte Institutionen wie genossenschaftliche oder städtische Wohnbaugesellschaften von einer Beitragszahlung ausnehmen zu können. Dies sollte nach transparenten Kriterien vorgenommen werden, was erneut eine spezielle Informationenbeschaffung und -verarbeitung nach sich ziehen kann. • Der Wert speziell von Wohnimmobilien ist von einer großen Zahl an Faktoren abhängig, die bei der Beitragshöhe möglicherweise als sachgerechte Differenzierungskriterien zu berücksichtigen sind. Neben der Lage (Stockwerk), Ausstattung und Größe können sogar Merkmale der Umgebung im „Kiez“ wie Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen, Schulen, Kindertagesstätten usw. relevant sein. Wenn solche Faktoren bei der Beitragsbemessung – neben den ÖPNV-spezifischen Kriterien (z.B. Haltestellenabstand) – berücksichtigt werden müssen, wird dies augenscheinlich einen laufend hohen Erhebungs- und Datenverarbeitungsaufwand implizieren. In der Gesamtschau ist damit zu rechnen, dass die rechtssichere Differenzierung der Beiträge einen erheblichen Aufwand verursacht. Diese könnte im Extremfall auf eine Beitragsfestsetzung auf Basis von Einzelfallentscheidungen hinauslaufen. Beispielsweise würde eine Koppelung der Beiträge an die Miete bzw. den Mietspiegel eine relativ handhabbare Lösung ermöglichen, die aber möglicherweise keinen hinreichenden Differenzierungsgrad erfüllt. Bereits Externalitäten wie Verkehrslärm oder Erschütterungen könnten verhindern, dass die Berechnung der Beiträge anhand eines linearen Faktors wie der Entfernung der Wohnung zu Haltestellen durchgeführt werden darf. Jedenfalls werden die Komplexität der Beitragsbemessung und die Verfügbarkeit der hierfür nötigen Daten wesentlich den Arbeitsumfang der für die Erhebung zu schaffenden bzw. zu ertüchtigenden Verwaltungseinheit determinieren. Der absehbar hohe Verwaltungsaufwand wird durch vorhandene Behörden mutmaßlich nicht gestemmt werden können. Demzufolge ist davon auszugehen, eine entsprechende Verwaltung aufbauen zu müssen. Die Summe der vorgenannten Themen impliziert eine hinreichende Vorbereitungszeit bis zum tatsächlichen Start dieses Finanzierungsinstruments (insbes. Erstellung von Studien, Daten- und Informationsbesorgung, Aufbau der Verwaltung). 102/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9.2.2 Gewerbebetriebebeitrag Gewerbebetriebebeitrag Kategorie Nutznießerfinanzierung Abgabentyp Beitrag (wiederkehrend) Abgabendifferenzierung Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln Abgabenpflichtige Alle in Berlin ansässige Gewerbebetriebe Sondervorteil Entfällt (Nutznießerfinanzierung) Organisatorische typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs- Herausforderungen kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig Abbildung 24: Steckbrief Gewerbebetriebebeitrag 9.2.2.1 Beschreibung Der Gewerbebetriebebeitrag stellt eine Abgabe zur Internalisierung des wirtschaftlichen Vorteils der ÖPNV-Anbindung für Wirtschaftsbetriebe in Berlin dar. Beitragspflichtig sind demnach alle in Berlin gemeldeten Unternehmen. Die Höhe des Beitrags bemisst sich an dem individuellen Nutzen, der dem jeweiligen Betrieb entsteht. Da es nur um den Ausgleich dieses wirtschaftlichen Vorteils geht, werden den Beitragspflichtigen keine weiteren Sondervorteile gewährt. Es kann argumentiert werden, dass durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer die Berliner Unternehmen einfacher an einer stärkeren Finanzierung des ÖPNV beteiligt werden können. Diesem an sich richtigen Argument ist allerdings entgegenzuhalten, dass damit zum einen die individualisierte Berechnung der durch die ÖPNV-Leistungen entstehenden positiven externen Effekte entfällt. Wesentlich schwerer aber wiegt die Tatsache, dass Steuereinnahmen aus dem haushaltspolitischen Grundsatz der Non-Affektation nicht für den Zweck des Angebotsausbaus im ÖPNV gesichert werden kann. 9.2.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Die Herleitung der Beitragseinnahmen kann auch beim Gewerbebetriebebeitrag nur vereinfacht dargestellt werden. Die für die individuelle Vorteils- und Beitragsbemessung anhängigen Kriterien müssen erst begründet und definiert werden (vgl. Kap. 9.2.2.3). Gleichwohl ist in der Berechnung eine Näherung durch Berücksichtigung von zwei Strukturmerkmalen Berliner Betriebe enthalten, die mit wichtigen Differenzierungsmerkmalen korrelieren: 1. Zugehörigkeit zum Wirtschaftszweig: Ein entscheidendes Differenzierungskriterium wird der Anteil wirtschaftlicher Kenngrößen durch persönlichen Kontakt, insbesondere zu Kund*innen sein. So können, trotz der holzschnittartigen Clusterung der Berliner Betriebe, den verschiedenen Wirtschaftssegmenten unterschiedliche Faktoren zur wirtschaftlichen Bedeutung der Erreichbarkeit durch Kund*innen zugeordnet werden (vgl. Gutachterannahmen in der Abbildung 25). Erkennbar werden Branchen wie das 103/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Gastgewerbe, der Handel und Erziehungseinrichtungen stärker von der Erreichbarkeit mit dem Nahverkehr profitieren als das Baugewerbe oder die Abfallentsorgung. Wirtschaftszweig Faktor Sortierung nach WZ2008 Publikumsverkehr E Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung F Baugewerbe 10% G Handel; Instandhaltung und Reparatur von KFZ 90% H Verkehr und Lagerei 10% I Gastgewerbe J Information und Kommunikation 30% K Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 30% L Grundstücks- und Wohnungswesen 30% M Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen 50% N Erbringung von sonst. wirtschaftlichen Dienstleistungen 50% P Erziehung und Unterricht 90% Q Gesundheits- und Sozialwesen 90% R Kunst, Unterhaltung und Erholung S Erbringung von sonstigen Dienstleistungen Abbildung 25: 0% 100% 100% 0% Einflussfaktor Publikumsverkehr nach Wirtschaftszweigen 2. Betriebsgröße: Auch die Anzahl der in den Betrieben Beschäftigten ist ein entscheidendes Merkmal für den wirtschaftlichen Vorteil der ÖPNV-Erschließung. Die Unternehmen profitieren davon, dass die Mitarbeiter*innen die Betriebe gut und sicher erreichen können. Obendrein wird gerade an besonders gut erschlossenen Standorten die Vorhaltung von ausreichend Parkraum entbehrlich. Das Amt für Statistik Berlin Brandenburg weist die Anzahl der Berliner Betriebe nach Wirtschaftssegmenten in vier Kategorien aus (von 0 – 9, von 10 – 49, von 50 – 249 sowie mehr als 250 Mitarbeiter). Da Daten zur Verteilung der Betriebe innerhalb dieser Kategorien fehlen, wird die Beitragshöhe der Bertriebe jeweils anhand der mittleren Mitarbeiter*innenzahlen (5, 30, 150 und – abweichend von der Annahme des mittleren Wertes – 250) konfiguriert. Dabei sind zwei Varianten der Beitragshöhe mit 50 EUR und 60 EUR je Mitarbeiter*in unterstellt worden, so dass sich die folgenden mittleren jährlichen Beiträge ergeben: Beschäftigte 0–9 10 – 49 50 – 249 250 und mehr Variante 1 250 € 1.500 € 7.500 € 12.500 € Variante 2 300 € 1.800 € 9.000 € 15.000 € Abbildung 26: Beitragshöhen je Beschäftigtenkategorie Auf diese Beitragshöhen werden für die verschiedenen Wirtschaftszweige die in Abbildung 25 aufgeführten Faktoren in Form von Hebesätzen angewendet. Analog zum Grundstückseigentümerbeitrag wird für 8% der Betriebe unterstellt, dass der Mindesterschließungsstandard nicht erfüllt wird, wodurch die Beitragspflicht negiert wird. Nicht auszuschließen ist, dass bestimmte, formal als 104/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Wirtschaftsbetriebe zählende Einrichtungen (z.B. Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser) von einer Beitragspflicht befreit werden, weil sie einem übergeordneten öffentlichen Zweck dienen. Anzumerken ist, dass die Annahmen der Modellrechnung nur als ein Beispiel für eine Differenzierung der Beiträge zu verstehen sind. Im Fall einer Umsetzung des Instruments ist es notwendig, nähere Untersuchungen auch zu Folgewirkungen einer solchen Maßnahme einzuholen. Beispielsweise wäre als eine Folge der in diesem Beispiel vorgesehenen Koppelung an die Anzahl der Mitarbeiter*innen der Betriebe zu vermeiden, dass Unternehmen vor allem in beschäftigungsintensiven Branchen stärker dazu übergehen könnten, statt Festangestellten stärker auf Zeitarbeit zu setzen. 9.2.2.3 Ergebnis Bei der Berechnung der Einnahmen sind die in Kap. 9.2.2.2 genannten vereinfachten Differenzierungskriterien zugrunde gelegt. Letztlich wird auch der Gewerbebetriebebeitrag ganz wesentlich von der Beitragshöhe und etwaigen Ausnahmen von der Beitragspflicht abhängig sein. Hier wird von einem mittleren Beitrag zwischen 50 und 60 EUR pro Jahr und Mitarbeiter*in ausgegangen. Die Einführung eines Beitrages für die etwa 192.000 Gewerbebetriebe in Berlin würde in jährliche Beitragseinnahmen zwischen 145 – 175 Mio. EUR resultieren. Die methodische Verlässlichkeit dieser Berechnung beruht wesentlich auf der Frage, ob die in diesem Beispiel angesetzten mittleren Beiträge im Fall der Einführung dieses Instruments durchgesetzt werden könnten. Schließlich wird aber die Gesamtbetrachtung unter Einrechnung der einhergehenden Verwaltungskosten gewichtiger sein als der Bruttoeffekt der Beitragseinnahmen. 9.2.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Wie schon beim Grundstückseigentümerbeitrag liegt auch hier die besondere Herausforderung darin, die wirtschaftlichen Vorteile für die Betriebe hinreichend individuell zu differenzieren. Der geldwerte Vorteil aus der ÖPNV-Anbindung unter den Unternehmen ist augenscheinlich nicht gleich verteilt. Der Nutzen ist mindestens vom Geschäftszweck bzw. der Branche sowie der Unternehmensgröße abhängig. Auch die „Zentrumsnähe“ kann beispielsweise beim Handel als wichtiger Faktor angesehen werden. Umgekehrt können gerade Betrieb abseits der Zentren stärker von der ÖPNV-Anbindung abhängig sein. Zu der Messbarkeit des individuellen wirtschaftlichen Vorteils von Betrieben sind im Falle einer politischen Entscheidung für diese Abgabenform detaillierte Festlegungen zu treffen. Eine mögliche Vereinfachung besteht darin, die Beitragshöhe auf vermeintlich objektive wirtschaftliche Kennzahlen anzuwenden, wie beispielsweise den Umsatz, den Gewinn oder die Beschäftigtenzahl. Jedoch erscheint es für die notwendige Individualisierung der Kriterien wahrscheinlich nicht angemessen. Schließlich können von ansonsten in Größe und Geschäftszweck gleichen Betrieben unterschiedliche Voraussetzungen geltend gemacht werden, welche bei der Beitragsbemessung möglicherweise Berücksichtigung finden müssen. Als Beispiele können hier starke Unterschiede in bereitgestellten Parkplätzen oder unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit vs. Festangestellte) genannt werden. 105/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Dabei kann selbst die Verfügbarkeit der notwendigen Datengrundlagen zu einer Herausforderung werden. Schließlich werden viele wirtschaftliche- und Strukturdaten von unterschiedlichen Stellen erhoben bzw. publiziert und können auch unterschiedliche „Zeitstempel“ besitzen. Auch bei diesem Instrument ist eine Einheit in der Berliner Verwaltung zu schaffen oder zu befähigen, die Beitragserhebung umzusetzen. Im Vergleich zum Grundstückseigentümerbeitrag ist von einer geringeren, wenngleich nicht kleinen Anzahl an beitragspflichtigen Subjekten auszugehen. 9.2.3 Übernachtungsgewerbebeitrag Übernachtungsgewerbebeitrag Kategorie Nutznießerfinanzierung Abgabentyp Beitrag (wiederkehrend) Abgabendifferenzierung Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln Abgabenpflichtige Alle in Berlin ansässige Übernachtungsgewerbebetriebe Sondervorteil Entfällt (Nutznießerfinanzierung) Organisatorische typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs- Herausforderungen kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig Abbildung 27: Steckbrief Übernachtungsgewerbebeitrag 9.2.3.1 Beschreibung Der Übernachtungsgewerbebeitrag ist eine Untervariante einer (allgemeinen) Beitragspflicht für Gewerbebetriebe. Er beschränkt sich auf die wirtschaftlichen Vorteile, die Hotels, Pensionen oder Jugendherbergen usw. aus dem vorhandenen Nahverkehrssystem ziehen. Dabei sollten auch die gewerblichen Vermietungen über Onlineportale erfasst (z.B. Airbnb) werden, die in Berlin etwa 10% der Übernachtungen ausmachen. Wie beim Gewerbebetriebebeitrag muss sich die Beitragshöhe am individuellen Nutzen ausrichten, der den Betrieben entsteht. Weil auch hier bestehende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen werden, stehen den Beitragspflichtigen keine weiteren Sondervorteile zu. 9.2.3.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Wie beim Gewerbebetriebebeitrag ist für die modellhafte Berechnung der Beitragseinnahmen ein vereinfachtes Kriterienset unterstellt. Dabei wird auf zwei Strukturmerkmale abgestellt: 1. Anzahl Betten: Als zentrale Bemessungsgröße werden die Übernachtungsmöglichkeiten eines Betriebes angesetzt. Diese liegen beim Amt für Statistik Berlin Brandenburg nach Bezirken aggregiert vor. Die Beitragshöhe wächst also linear mit der Größe des Betriebes. Eine andere mögliche Maßzahl ist die Anzahl an Übernachtungen, welche eine am Kundenerfolg ausgerichtete Größe ist, die jedoch einen höheren Informationsgewinnungsaufwand auslöst. 106/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 2. Darüber hinaus wird auch die Zentrumsnähe des Übernachtungsbetriebes berücksichtigt. Anhand der Lage der Übernachtungsbetriebe sind – in relativer Entfernung zum Berliner Zentrum – drei Zonen anhand pauschaler Verteilungsfaktoren in den Bezirken gebildet worden. In der Zone innerhalb und nahe des S-Bahn-Rings werden etwa 79% der insgesamt ca. 147.000 Betten angeboten. Außerhalb davon liegen etwa 20%, während für 1% eine so ungünstige Lage angenommen wird, dass diese von der Beitragspflicht entbunden sind. Für die Zonen werden jeweils unterschiedliche Varianten an Beitragshöhen gerechnet. Für die innere Zone sind mittlere jährliche Beiträge in Höhe von 150 und 200 EUR, für die mittlere Zone von 20 und 30 EUR je Bett angesetzt - die äußere Zone bleibt beitragsfrei.199 Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, dass zentrumsnahe Übernachtungsbetriebe einen höheren wirtschaftlichen Vorteil aus dem Nahverkehrsangebot ziehen, beispielsweise indem mehr Gäste oder höhere Preisspannen resultieren. 9.2.3.3 Ergebnis Die resultierenden Beitragseinnahmen für einen Gewerbebeitrag für Übernachtungsbetriebe fußen auf den in Kap. 9.2.3.2 beschriebenen Annahmen. Vereinfacht unterstellt sind drei Kategorien an Beitragshöhen, die umso höher sind, je zentrumsnaher sich der Betrieb befindet. Die mittleren Beiträge sind in Höhe von 150 – 200 EUR je Bett in der zentrumsnächsten Kategorie und 20 – 30 EUR je Bett in der mittleren Kategorie unterstellt. Daraus ergeben sich Beitragseinnahmen zwischen 18 – 24 Mio. EUR pro Jahr. Dieser Wert stellt sich als relativ gering dar, auch im Vergleich zu den beiden anderen Nutznießerfinanzierungsinstrumenten. Dies liegt auch daran, dass im Vergleich zu dem allgemeinen Betriebebeitrag hier nur eine einzelne Wirtschaftsbranche im Fokus steht. Selbst deutlich höhere Beiträge würden nicht zu einem signifikant höheren Finanzierungsbeitrag führen – der überdies noch mit den administrativen Kosten zu saldieren ist. 9.2.3.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Die Herausforderungen ähneln in hohem Maße denen des Grundstückseigentümer- bzw. Gewerbebetriebebeitrags: • Es sind sachgerechte Differenzierungskriterien für die Beitragsbemessung zu entwickeln, die einerseits möglichst pauschal angewendet werden können aber andererseits auch möglichst viele Merkmale von Übernachtungsbetrieben und deren wirtschaftlicher Vorteil durch die ÖPNV-Anbindung anspricht. • Darüber hinaus muss eine Verwaltungseinheit gefunden bzw. geschaffen werden, welche die Beitragserhebung umsetzt. 199 Jedoch erscheint auch eine andere Argumentation der Beitragshöhen möglich: Da Übernachtungsgewerbe in peripher gelegenen Bereichen Berlins in höherem Ausmaß von der Bereitstellung eines leistungsfähigen ÖPNV-Angebots wirtschaftlich abhängig sind, könnten hier höhere Beiträge gerechtfertigt sein. 107/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Diese wird, um die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der Unternehmen bewerten zu können, voraussichtlich diverse Informationen sammeln, bewerten und verarbeiten müssen, beispielsweise wirtschaftliche Ergebnisse der Übernachtungsbetriebe. Die aufgeführten Punkte werden auch im Fall dieses Instruments zu dem Schluss führen, dass ein erhöhter Verwaltungsaufwand mit der Beitragserhebung einher geht. 9.3 Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente) 9.3.1 City-Maut City-Maut Kategorie Instrument mit Lenkungswirkung Abgabentyp Gebühr zur Nutzung der Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings Abgabendifferenzierung Zeitliche Differenzierung Abgabenpflichtige In die Mautzone einfahrende Kfz Sondervorteil Entfällt (Nutznießerfinanzierung) Organisatorische Datenschutzkonforme Erfassungssysteme sind zu entwickeln; Herausforderungen Planung von begleitenden Maßnahmen zur Steuerung von Ausweichbewegungen Abbildung 28: Steckbrief City-Maut 9.3.1.1 Beschreibung Die City-Maut verfolgt primär das Ziel, die Wahl des Verkehrsmittels zu beeinflussen. Durch eine Bepreisung der Straßennutzung gewinnt der Umweltverbund an Attraktivität, Lärm- und Schadstoffemissionen werden reduziert. Die resultierenden Einnahmen ermöglichen es dem Land Berlin wiederum, den Umweltverbund zu attraktiveren und damit einen wichtigen Beitrag für eine lebenswerte Stadt zu legen. Ansatzpunkt für die Abgabenerhebung sind bei einer City-Maut die indirekten Vorteile eines attraktiven ÖPNV-Systems für die Nutzer*innen motorisierter Individualfahrzeuge aufgrund der dadurch geringeren Verkehrsdichte – die Straßennutzung würde in Berlin wesentlich höher ausfallen als ohne ÖPNV-Angebot. Darüber hinaus profitieren Autofahrer*innen damit auch von der besseren Verfügbarkeit von Parkplätzen. Eine City-Maut stellt die Bepreisung des motorisierten Verkehrs innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebiets dar. Für Berlin bietet sich das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings – auch 108/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV großer Hundekopf genannt – an.200 Dieses ist auch als Umweltzone ausgewiesen, d.h. hier dürfen Fahrzeuge mit besonders hohen Emissionen nicht einfahren. Die Ausgestaltungsoptionen einer Mautkonzeption sind vielfältig. Bekannt sind beispielsweise Systeme, die für ein bestimmtes Gebiet gelten. Denkbar und technisch möglich sind aber auch distanzbezogene Systeme wie bei der Lkw-Maut. Auch eine zeitbasierte Erfassung und Abrechnung der Gebühr sind möglich. Die Ausgestaltung der Gebühren im Detail kann auch sehr unterschiedlich gefasst werden, angefangen von mautfreien Tagen oder Tagesstunden, über Freigrenzen oder Mautbefreiungen für bestimmte Fahrzeugklassen oder Fahrzeughalter*innen bis hin zu einer Differenzierung nach emissionsbedingten Kriterien. Für Berlin ist im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie mit dem sogenannten Kordonsystem eine relativ einfache Variante unterstellt. Es geht von einer automatisierten visuellen Erfassung der Fahrzeugkennzeichen bei der Einfahrt als Grundlage für die Gebührenerhebung und -abrechnung aus. Dieses System wird „aufwärtskompatibel“ sein, es lässt sich also auf andere Varianten, zum Beispiel auf eine entfernungsbezogene Maut erweitern. Das Kordonsystem wird dadurch charakterisiert, dass täglich bei einer Einfahrt in dieses Gebiet eine Mautgebühr fällig wird, sofern es sich nicht um eine gebührenfreie Tageszeit handelt. Das Land Berlin kann dabei eine Straßennutzungsgebühr nur für „eigene“ Liegenschaften erheben, eine Gebührenerhebung auf Bundesfernstraßen ist nicht möglich. Während die Stadtautobahn den Hundekopf nur im Süden tangiert und damit einfach auszuschließen ist, verlaufen die Bundesstraßen B1 und B2 über eine längere Strecke durch den S-Bahn-Ring hindurch. Dagegen stellen die B96, die B96a und die B109 dort nur vergleichsweise kleinere bzw. Stichstrecken dar. Die Benutzung dieser Straßen alleine dürfte also nicht mit Gebühren belegt werden. In der Feinkonzeption der Maut sind dabei verschiedene Strategien eines Umgangs mit den Bundesstraßen zu prüfen und zu bewerten, z.B. • Schaffung einer bundesgesetzlichen Grundlage, die eine Einbeziehung der Bundesstraßen in die City-Maut erlauben würde. • Erfassung der Fahrzeuge nur an der Außengrenze des Hundekopfes und Formulierung einer Regelvermutung, dass mit der Einfahrt in die Mautzone auch Straßen in der Baulast des Landes genutzt werden. • Erfassung der Fahrzeuge bei der Einfahrt und ergänzende Erfassung im Umfeld der in den Ring einfallenden Bundesstraßen. Im Kanon der betrachteten Finanzierungsinstrumente ist die City-Maut eines derer, die in anderen europäischen Städten bereits eingeführt wurden. Um die hier ausgeführten Überlegungen für Berlin darin einordnen zu können, wirft Abbildung 29 einen Blick auf die internationalen Beispiele London und Stockholm. 200 In diesem Bericht werden die Begriffe „S-Bahn-Ring“, „Umweltzone“ und „Hundekopf“ synonym verwendet, auch wenn die Gebiete in Einzelfällen nicht deckungsgleich sind (siehe z.B. Elsenbrücke oder Kanzowstraße). Mit Blick auf die Gesamtfläche und Verkehrsströme ist von keiner signifikanten Unterscheidung der Verkehrsmengen auszugehen. 109/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Merkmal London Stockholm Einführung 2003 2007, nach Testphase in 2006 Größe des Mautgebiets ca. 21 km² ca. 36 km² System Area Pricing (Maut zum Befahren eines Gebiets für spezifizierten Zeitraum) Cordon-Pricing (Mautfälligkeit beim Passieren einer Grenze) Bewirtschaftungszeit Mo-Fr, 7:00 - 18:00 Uhr; Geltungsdauer der Mautzahlung: jeweiliger Tag Mo-Fr, 6:00-18:29 Uhr Technische Erfassung Kameraerfassung (Video License Plate Reading-System) im Mautgebiet Kameraerfassung (Video License Plate Reading-System) an Kontrollpunkten Mauthöhe 13 EUR201 lokal und zeitlich differenziert: Bandbreite Stadtzentrum: 1,044,25 EUR202, Höchstbetrag pro Tag: 12,75 EUR Jährliche Einnahmen Betriebskosten 260 Mio. EUR (2018/2019) o ca. 94,1 Mio. EUR (04/2018-03/2019), entspricht 36% der Mauteinnahmen Einführungskosten ca. 266 Mio. EUR Verkehrliche Wirkung - - 140 Mio. EUR (2016) o ca. 10,3 Mio. EUR (2016), entspricht 7% der Mauteinnahmen (hoher Automatisierungsgrad) ca. 200 Mio. EUR Nach Etablierung der City-Maut ging die Anzahl der Fahrzeuge innerhalb von 8 Jahren um 44% zurück Der Großteil an wegfallenden PkwFahrten verlagert sich auf den ÖPNV. Die meisten Zuwächse an Passagieren gab es bei der Nutzung von Taxis (+13%) und Bussen (+25%) - - Vom ersten Tag der Maut an reduzierte sich das tägliche Verkehrsaufkommen um durchschnittlich 20% (etwa 100.000 Fahrten pro Tag in HVZ) Anpassungsmechanismen: Pendler stiegen auf öffentliche Verkehrsmittel um (etwa 50% der Fahrer waren Pendler) o Emissionsrückgang im ersten Jahr - CO2 –16% NOX –13% Feinstaub –16% - CO2 –13% NOX –8% Feinstaub –13% Akzeptanz in der Bevölkerung - breit angelegte Informationskampagne im Vorfeld Umfrage im Juli 2000: über 85 % der befragten Bürger*innen- und Interessensvertreter*innen für die Einführung der Maut - Referendum nach der Testphase: 51,3% für eine permanente Einführung öffentliche Unterstützung für die Maut war kurz vor Beginn der Testphase am geringsten, stieg währenddessen stark an und blieb danach konstant hoch In 2011 unterstützten fast 70% der Öffentlichkeit die Maut, über 50% unter denjenigen, die die Gebühren am häufigsten bezahlen. - - - Abbildung 29: Steckbriefe City-Maut London und Stockholm 9.3.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Die Einnahmen einer City-Maut in Berlin zu prognostizieren ist kein einfaches Unterfangen. Schließlich wird – wie auch die Beispiele der Einführung innerstädtischer Mautsysteme im Ausland zeigen – eine solche Maßnahme voraussichtlich zu Änderungen des MIV-Nutzer*innenverhaltens im Stadtgebiet führen: Zeigen die Erfahrungen aus Stockholm, dass schon sehr kurzfristig der Verkehrsaufwand um 20% zurückging, hat sich in London nach 8 Jahren City-Maut eine Reduzierung um über 40% ergeben. Die Auswirkung des Instruments auf die Verkehrsmittelwahl, schließlich die 201 Für die Umrechnung wurde folgender Kurs angesetzt: 0,88 Pfund = 1 EUR. 202 Für die Umrechnung wurde folgender Kurs angesetzt: 10,72 Schwedische Kronen = 1 EUR. 110/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Kernmotivation der Maut, führt letztlich dazu, dass ein Teil der Nachfrage – und damit Einnahmen – mittel- bis langfristig schwindet: „Der Erfolg frisst seine Kinder.“ Hinzu kommt, dass neben dem Nachfragerückgang auch eine Änderung von Wegen zu erwarten ist: Bemautete Wegstrecken werden auf Kosten einer längeren Fahrtstrecke vermieden. Dieser Effekt könnte bei einer flächenmäßig so großen Mautzone wie in Berlin nicht nur zu einer Verringerung der Einfahrten in den Hundekopf führen, sondern könnte sogar lokal zu sich verschärfenden Verkehrssituationen führen. Noch verschärft wird die Prognosesicherheit durch die vielen Variablen, die sich bei der konkreten Konzeption der Gebührenpflicht ergeben, z.B. • Ausnahmen von der Gebührenpflicht • mautfreie Tage oder Tageszeiten • Gebührenhöhe (z.B. Differenzierung Pkw/Lkw) Hiervon unbenommen bilden die Wege die Basis für die Berechnung der Mauteinnahmen in einem Kordonsystem, die aktuell mit dem Auto zurückgelegt werden. Dabei muss schon die Anzahl der in den S-Bahn-Ring täglich einfahrenden Kfz eine Schätzung sein. In Ermangelung besserer Daten wird dieser Wert mit 750.000 (Werktag) festgelegt. Dies entspricht der Hälfte des Wertes der ermittelten ÖPNV-Relationen zwischen innerhalb und außerhalb S-Bahn-Ring203 und ergibt sich damit aus der Erwartung, dass zwischen den beiden Verkehrszonen gleich viele Relationen im MIV wie im ÖPNV zurückgelegt werden. Da pro Tag nur eine Einfahrt zur Mautpflicht führt, sind die Anteile der Mehrfacheinfahrten abzuziehen. Hier ist ein Anteil von 20% unterstellt, der beispielsweise Taxis und Carsharing-Fahrzeuge betrifft. Weitere 3% werden als der Gebührenpflicht nicht unterworfene Fahrten wie Polizei, Rettungsdienst usw. abgezogen. Für die Wochenenden ist keine Gebührenpflicht unterstellt. Darüber hinaus werden zwei Untervarianten der Mautpflicht an Werktagen analysiert: • Mautpflicht Mo – Fr von 6 – 18 Uhr • Mautpflicht Mo – Fr von 6 – 21 Uhr Die hieraus resultierenden Fahrzeugmengen werden anhand der Untersuchung Mobilität in Deutschland 2013 ermittelt. Zwar liegt inzwischen eine Neuauflage der Daten vor, jedoch bieten die „alten“ Daten den Vorteil, dass die Verkehrsmittelnutzung explizit für den Bereich der inneren Stadt, d.h. des hier betrachteten Mautgebiets, ausgewiesen wird. Die Neuauflage stellt die Daten hingegen bezirksscharf dar.204 Wird diese Verkehrsnachfrage als maßgebliche Eingangsgröße für die Mauteinnahmen unterstellt, fehlt mit der Mauthöhe noch ein zentraler Parameter. Im Gegensatz zu anderen Gebühren ist der Bereich der zulässigen Höhe bei Straßeninfrastrukturen nicht einfach zu ermitteln. Möglich ist aber eine Koppelung an die Nahverkehrstarife – weshalb mit 5 EUR und 8 EUR pro Tag der gleiche Korridor unterstellt wird wie beim Gäste-Ticket. 203 Vgl. NVP Berlin 2019 – 2023, Tabelle 2. 204 Vgl. Mobilität in Deutschland, SrV 2013, Tabelle 8.1 Tagesgang nach Hauptverkehrsmittelgruppen innere Stadt. 111/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Den Vergleich mit anderen Mautsystemen brauchen die Referenzgebührenhöhen nicht zu scheuen. In London liegt die Gebühr innerhalb des kleineren Mautgebiets bei 11,50 Pfund pro Tag, was umgerechnet etwa 13 EUR entspricht. In Stockholm und Göteborg ist die Gebührenhöhe im Halbstundentakt ausdifferenziert und wird pro Einfahrt in das Mautgebiet erhoben. Allerdings gibt es festgesetzte Tageshöchstsätze. Während in Stockholm eine Einfahrt ins Stadtzentrum in der Hauptsaison, je nach Tageszeit, bei 11 – 45 SEK (1 – 4 EUR) und der Tageshöchstsatz bei 135 SEK (13 EUR) liegen, kostet das Einfahren in Göteborg zwischen 9 SEK und 22 SEK (0,80 – 2 EUR). Maximal werden dort 60 SEK (5,50 EUR) pro Tag fällig. Um die erwartbare Preiselastizität der MIV-Nutzung zu modellieren, werden als Grenzfälle die empirisch beobachteten Rückgänge von 20% (Stockholm, kurzfristig) und 40% (London, langfristig) angesetzt. Die konkrete Detaillierung der Mautvorgaben kann im Fall ihrer Einführung weitere Aspekte berücksichtigen. Beispielsweise können besondere Härten durch Ausnahmeregelungen oder preisliche Mechanismen ausgeglichen werden. Die Verknüpfung der Mauthöhe mit dem Emissionsausstoß der Fahrzeuge kann einen ökologischen Anreiz für einen veränderten Fahrzeugmix in der Stadt auslösen. Im Rahmen dieser Modellrechnung wird von diesen Ausgestaltungsparametern gleichwohl abgesehen. 9.3.1.3 Ergebnis Den Berechnungen liegen Varianten in zwei Dimensionen zugrunde: • Der Gebührenhöhe je Einfahrt als Tageshöchstwert für Pkw und Lkw und • der Verkehrsverlagerungseffekt. Die Ergebniskorridore in Abbildung 30 stellen unterschiedliche zeitliche Gültigkeiten der Mautpflicht (Mo – Fr 6 – 18 bzw. 6 – 21 Uhr) dar. Eine Unterscheidung der Mauthöhe für Pkw und Lkw wird nicht angenommen. Nachfrage- Nachfrage- Rückgang 20% Rückgang 40% 5 EUR Maut/Tag 449 – 550 Mio. EUR 337 – 412 Mio. EUR 8 EUR Maut/Tag 718 – 880 Mio. EUR 539 – 660 Mio. EUR Abbildung 30: Jährliche Gebühreneinnahmen City-Maut in Mio. EUR Wie die Ergebnisse in Abbildung 30 zeigen, üben alle drei Variablen einen sichtbaren Einfluss auf das Finanzierungsergebnis der City-Maut aus. Je länger der Zeitraum in einer Woche ist, in der die Mautpflicht gilt, je höher die Gebühr und je größer die Verkehrsnachfrage sind (ergo: je geringer der Nachfragerückgang), desto höher sind die zu erwartenden Einnahmen. Im besten Fall liegen die jährlichen Mauteinnahmen zwischen 720 – 880 Mio. EUR, jedoch sinkt der erwartbare Betrag unter der Rahmenbedingung einer höheren Verkehrsverlagerung auf eine Spanne zwischen 337 – 412 Mio. EUR. Dies zeigt einerseits, dass viele Faktoren – mehr noch als 112/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV in den zwei Dimensionen abgebildet – die finanzielle Bilanz dieses Instruments beeinflussen. Vollkommene Gewissheit darüber, welcher Betrag dem Landeshaushalt zufließen wird, kann es nicht geben. Denn am Beispiel der City-Maut lässt sich auch einfach nachvollziehen, dass ein Instrument dynamische Prozesse auslösen kann und soll: Je höher man mit dem Ziel eines größtmöglichen Erlöses den Beitragssatz „heute“ wählt, desto stärker kann der gewünschte Verlagerungseffekt wirken und „morgen“ die Einnahmen aus diesem Grund umso schneller zurückgehen. Da die konfligierenden Ziele (verkehrliche Lenkung und Einnahmeerzielung für den ÖPNV) in einem Spannungsverhältnis stehen, können beide Ziele ohnehin nicht erreicht, sondern nur austariert werden. Aus verkehrspolitischer Sicht ist die Einführung einer City-Maut ein Gewinn. Was den Härtegrad der Berechnungen angeht, ist bereits eine Vielzahl an Determinanten genannt, welche eine Vorhersage innerhalb einer engen Bandbreite einschränken. Viele Faktoren werden die finanzielle Ergiebigkeit bzw. den verkehrlichen Effekt des Instrumentes beeinflussen. Maßgeblich hierfür sind Änderungen des Verkehrsverhaltens im Sinne einer insgesamt verringerten Nutzung des Kfz bzw. von Ausweichreaktionen, abhängig von der tatsächlichen Nachfrageelastizität: • Verzicht auf die MIV-Nutzung • Inkaufnahme von Umwegen, um den Mautbereich zu meiden • Veränderte zeitliche Inanspruchnahme der Straßen in der Umweltzone oder fallweise Verzicht auf Ausfahrt aus der Mautzone, um der Mautpflicht zu entgehen • Möglichkeiten der Abstellung des Kfz außerhalb der Mautzone und Weiterfahrt mit dem Nahverkehr Daher ist eine weitaus größere Unsicherheit bei der Abschätzung der Einnahmenseite zu konstatieren als beispielsweise beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag. Dabei kann nicht nur die Festlegung der Gebührenhöhe eine zentrale Steuerungswirkung entfalten, wie die obige Aufzählung zeigt. 9.3.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Mit der Einführung der City-Maut wird eine Vielzahl neuer Aufgaben durch die Verwaltung oder ein beauftragtes Unternehmen ausgeführt werden müssen. Hierzu gehören: • Gebührenerhebung und Gebührennacherhebung • Datenverarbeitung • Abrechnung und Zahlungshandlung • Bereitstellung der Kontroll- und Erfassungssysteme Solche spezialisierten Aufgaben werden in der Regel nicht durch Verwaltungseinheiten selbst durchgeführt. Deshalb wird davon ausgegangen, dass ein Unternehmen – unabhängig ob öffentlich und/oder privat – mit diesen Aufgaben zu betrauen ist. Hierfür sind auf verschiedenen Ebenen Vorarbeiten mit entsprechendem Vorlauf zu leisten. 113/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV An den einfallenden Straßen werden die Kfz-Kennzeichen der einfahrenden Fahrzeuge per Kamera erfasst, was eine Rechnungsstellung an den Kfz-Halter auslöst. Hierfür sind mindestens an den 72 Einfallstraßen (mit 134 Fahrspuren) in den S-Bahn-Ring entsprechende Kameras zu installieren. Es ist anzunehmen, dass in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle bei einer Einfahrt über eine Bundesstraße im Hundekopf auch eine Nutzung von Straßen der Baulast des Landes Berlin geschehen wird. Tatsächlich dürfte das Land aber im Zweifel die Bringschuld haben, das Verlassen der Bundesstraßen – und damit die Gebührenpflicht – nachzuweisen. Hierzu sind dann weitere Erfassungssysteme entlang der Bundesstraßen vorzusehen. Für die Datenerhebung, Auswertung und Abrechnung ist ein schlüssiges Datenschutzkonzept zu erarbeiten. Da es sich bei der automatischen Kennzeichenerfassung durch Kameras um einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht handelt, ist eine hinreichende rechtliche Grundlage zu schaffen, welche Vorgaben für die Verarbeitung, Nutzung und Löschung der erhobenen Datensätze regelt. Gleichzeitig wird es notwendig sein, eine breite Palette an begleitenden Maßnahmen zu entwickeln, um sich wirksam gegen unerwünschte Ausweichbewegungen des Kfz-Verkehrs zu wappnen. Dazu gehören beispielsweise: • Rechtzeitige Gegenmaßnahmen gegen den zu erwartenden Parkdruck am äußeren Rand des S-Bahn-Rings, insbesondere durch Parkraumbewirtschaftungszonen. • Schaffung punktueller Mehrkapazitäten im ÖPNV, um Mehrnachfrage abdecken zu können und ggf. Prüfung spezieller Tarifprodukte für Umsteiger*innen. • Maßnahmen zur aktiven Verkehrslenkung auf arrondierenden Straßen bieten die Möglichkeit, einen Teil der Verkehrsströme von inner- auf außerhalb des Hundekopfs verlaufende Straßen verlagern zu können. 114/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 9.3.2 Parkgebühren Parkgebühren Kategorie Instrument mit Lenkungswirkung Abgabentyp Gebühr Abgabendifferenzierung Zeitliche Differenzierung (Bewirtschaftungszeiten) Abgabenpflichtige Öffentlichen Parkraum beanspruchende Kfz-Nutzer*innen Sondervorteil Entfällt Organisatorische Vereinbarung zwischen Land und Bezirken zur Herausforderungen Einnahmenverwendung Abbildung 31: Steckbrief Parkgebühren 9.3.2.1 Beschreibung Zu guter Letzt steht das verkehrliche Lenkungsinstrument einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung in Berlin. Konkret bedeutet dies die flächendeckende Einführung von Parkgebühren für die Nutzung öffentlicher Flächen innerhalb der Umweltzone. Einige Berliner Bezirke (Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Pankow, Spandau und Tempelhof-Schöneberg) haben schon heute – innerhalb wie außerhalb der Umweltzone – Parkraumbewirtschaftungsgebiete ausgewiesen. Hier ist für das Abstellen des Fahrzeugs zu bestimmten Tageszeiten die Entrichtung einer Gebühr bereits vorgeschrieben. Voraussetzung der Straßenverkehrsordnung für die Ausweisung einer gebietsbezogenen Parkraumbewirtschaftung ist, dass ein erhöhter Parkdruck besteht, was in Berlin üblicherweise durch eine durchschnittliche Stellplatzauslastung von 90% belegt wird.205 Anwohner*innen können einen stark verbilligten Anwohner*innenausweis für ein bestimmtes Gebiet beziehen, Gelegenheitsparker*innen müssen zeitabhängige Berechtigungen erwerben, z.B. in Form eines Parkscheins. Die Gebührenhöhe für Anwohner*innen war durch die StVO bislang auf 30,70 EUR p.a. begrenzt. Tatsächlich werden in Berlin aktuell Anwohner*innenparkausweise mit einer zweijährigen Gültigkeit im Wert von 20,40 EUR p.a. ausgegeben. Die Bezirke können über die Höhe der Gebühren für Gelegenheitsparker*innen und die gebührenpflichtigen Tageslagen im Rahmen einer landesrechtlichen Vorgabe entscheiden. Für Handwerksbetriebe bieten einige Bezirke fallweise besondere Parkausweise an. Die Gebührenhöhen für Anwohner*innenparkausweise wie für Gelegenheitsparker*innen orientieren sich jeweils an den Verwaltungskosten, die mit deren Erhebung und Kontrolle einhergehen. Eine die Nachfrage lenkende Wirkung der Gebühren kann damit nicht unterstellt werden. Zielsetzung der gegenwärtigen Parkraumbewirtschaftung ist es vorrangig, den Parkdruck und damit den entstehenden Parksuchverkehr zu senken. 205 Vgl. Leitfaden Parkraumbewirtschaftung, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2004. 115/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Gerade vor dem Hintergrund der stetig steigenden Preise bei Wohn- und Gewerbeimmobilien erscheint die Praxis, die Benutzung des öffentlichen Raumes quasi kostenlos zu gestatten, zunehmend aus der Zeit gefallen. Schließlich ist es aus ökonomischer Sicht nicht notwendig, sich bei dem Kostenbezug der Gebühren nur auf die Kosten der Verwaltung zu beschränken, sondern auch die Kosten der öffentlichen Hand einzubeziehen, die z.B. durch die Instandhaltung, Reinigung und Regenentwässerung dieser Flächen entstehen. Der Umgang mit der Parkraummenge kann ein wesentlicher Hebel der kommunalen Verkehrspolitik sein. Das Angebot verfügbarer Stellplätze im öffentlichen Straßenraum und deren Bepreisung wirken sich unmittelbar auf die Verkehrsmittelwahl aus. Gleichzeitig können durch Parkgebühren Einnahmen für den öffentlichen Haushalt generiert werden, die wenigstens anteilig für den Betrieb und den Ausbau des Nahverkehrs einzusetzen sind. Vor dem geschilderten Hintergrund ist die Überlegung dieses Ansatzes zu verstehen, die flächendeckende Einführung von Parkgebühren in der Umweltzone zu einem ergänzenden Finanzierungsinstrument für die ÖPNV-Finanzierung zu machen. Dies steht zudem im Einklang mit der durch den Koalitionsvertrag der Landesregierung bestätigten Zielsetzung des Luftreinhalteplans, bis 2023 die Parkraumfläche innerhalb des Hundekopfes vollständig zu bewirtschaften.206 Um eine positive Finanzierungswirkung zu erhalten, wird gleichzeitig die Gebührenhöhe über dem heutigen Niveau angesetzt. 9.3.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung Die Berechnung der Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung bezieht sich jeweils nur auf das Gebiet innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Dabei sind einheitliche Gebührenhöhen und Bewirtschaftungszeiten unterstellt. Die Ermittlung des Mengen- wie des Preisgerüstes ist von verschiedenen Annahmen abhängig. Mengengerüst Entscheidende Größe ist die Menge an Parkmöglichkeiten im öffentlichen Straßenraum im betreffenden Gebiet. Hier ist ein Wert von fast 300.000 legalen Parkplätzen für Kfz angesetzt. Dieser Wert wurde aus einer Schätzung der beparkbaren Straßenlänge innerhalb des S-Bahn-Rings hergeleitet und mit Daten der Bezirke verprobt. Um die zeitabhängige „Parkmenge“ im Sinne von Nutzungsakten zu erfassen, sind weitere Eingangsdaten nötig: • Zum einen wird von einer durchschnittlichen Belegung der Plätze über einen Tag von 75% ausgegangen, das bedeutet, dass von 4 Parkplätzen jeweils einer ganztägig nicht belegt ist. • Weiter wird unterstellt, dass 90% der Parkvorgänge durch Anwohner*innenfahrzeuge geschehen und nur 10% durch Fahrzeuge, bei denen keine Anwohner*innenausweis vorliegt. Dies ist wichtig, um die Umsätze ermitteln zu können. 206 Vgl. Luftreinhalteplan für Berlin 2. Fortschreibung, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, 2019, S. 146. Zum Vergleich: Aktuell wird innerhalb des S-Bahn-Rings eine Flächendeckung von etwa 35% erreicht. 116/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Die beiden vorgenannten Annahmen sind vorsichtig gesetzt, tatsächlich ist insbesondere von einer geringeren Anwohner*innenquote auszugehen. Preisgerüst Die Wahl der Höhe der Parkgebühren liegt grundsätzlich im Ermessensspielraum der politischen Entscheider*innen, wenn von dem Kostenbezug der Verwaltungskosten abgewichen wird, darum liegt der Berechnung eine „obere“ und eine „untere“ Variante zugrunde: • Die Gebührenhöhe für Anwohner*innenparkausweise orientiert sich in der „oberen“ Variante bei 240 EUR pro Jahr – dieser Wert war Gegenstand eines kürzlichen Vorstoßes zur StVONovellierung, der jedoch im Bundesrat scheiterte. In der „unteren“ Variante ist die Hälfte der Jahresgebühr unterstellt (120 EUR). • Bei den Gelegenheitsparker*innen wird in der „unteren“ Variante eine Gebühr von 3 EUR pro Stunde und in der „oberen“ Variante von 4 EUR pro Stunde angenommen. Weiterhin basiert die Berechnung auf der Annahme, dass das Parken an Sonntagen und darüber hinaus an allen anderen Tagen täglich zwischen 0 und 6 Uhr kostenlos ist. 9.3.2.3 Ergebnis Unter den genannten Bedingungen wird eine flächendeckende Einführung von Parkgebühren zwischen ca. 360 – 500 Mio. EUR pro Jahr nur in der Umweltzone (S-Bahn-Ring) erlösen. Wie die Abbildung 32 zeigt, ist auch bei diesem Instrument die Bemessung der Abgabenhöhe sehr wesentlich für das Ergebnis verantwortlich: Einnahmen Abbildung 32: Obere Variante Gebührenhöhe (240 EUR Anwohner*innen, 4 EUR Gelegenheitsparker*innen) Untere Variante Gebührenhöhe (120 EUR Anwohner*innen, 3 EUR Gelegenheitsparker*innen) 497,8 Mio. EUR 362,5 Mio. EUR Jährliche Einnahmen aus Parkgebühren Diese Ergebnisse sehen wir, auch in Anbetracht der vorsichtigen Schätzung des Mengengerüstes, als äußerst robust im Sinne einer klaren Eignung als Finanzierungsinstrument an. Umgekehrt könnte bei der unteren Variante der Gebührenhöhe ein um 10% erhöhter Anteil von Kfz ohne Anwohner*innenparkausweis an den beparkten Flächen in eine knappe Verdoppelung der Einnahmen (703,5 Mio. EUR) münden. Voraussetzung für diese Ergebnisse ist allerdings, dass die Gebührenpflicht auch konsequent umgesetzt wird, was eine erhöhte Kontrolldichte notwendig macht.207 Dies wiederum könnte entsprechend höhere laufenden Aufwendungen nach sich ziehen (vgl. Kap. 10.2). Hier läge es aber auch am Gesetzgeber, den Rahmen für entsprechende Bußgelder anzupassen. Wie schon die City-Maut impliziert eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung den politischen Willen, die Nutzung von Kfz in der Stadt zurückzudrängen. Und auch hier steht zwischen dem 207 In den Ergebnissen in Abbildung 32 sind Einnahmen aus Bußgeldern nicht enthalten. Ausweislich der Bezirkshaushalte von FriedrichshainKreuzberg und Pankow fallen dort zwischen 180 und 250 EUR p.a. je Parkplatz an. Hochgerechnet auf das hier betrachtete Mautgebiert würde dies eine zusätzliche Einnahme zwischen 50 – 75 Mio. EUR p.a. einbringen. 117/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV finanziellen und dem verkehrlichen Erfolg ein Widerspruch. Die Tendenz, in der Stadt einen Teil des öffentlichen Parkraums v.a. zu Gunsten von Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen umzuverteilen, zeigt sich beispielsweise in der Konzeption von Radschnellwegen und der Ausweitung von Busspuren ebenso wie bei kleinteiligen Maßnahmen wie Gehwegvorstreckungen oder Fußgängerüberwegen. In der Folge gehen im Straßenraum die Parkmöglichkeiten ohnehin zurück. Umso sinnvoller könnte es sein, den kleiner werdenden Raum nicht nach dem Motto „wer zuerst kommt“ aufzuteilen, sondern auch preisliche Instrumente als Lenkungsfunktion einzuführen. 9.3.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen Angesichts der vielen Praxiserfahrungen wird die technische Umsetzung der flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung im Hundekopf selber geringe Herausforderungen bereiten. In Berlin sind die Bezirke nicht nur für die Einrichtung und Ausweisung der Parkraumbewirtschaftungszonen zuständig, sie vereinnahmen auch die anfallenden Gebühren. Um auf Landesebene eine flächendeckende Bewirtschaftung des öffentlichen Parkraums einzuführen und zu koordinieren, ist das Land daher auf die Kooperation mit den Bezirken angewiesen. Insbesondere ist eine Vereinbarung über die Verwendung/Weitergabe der Einnahmen mit den Bezirken auch Voraussetzung dafür, diese Mittel für den ÖPNV einzusetzen. 118/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10 GESAMTHAFTE EINORDNUNG DER FINANZIERUNGSINSTRUMENTE Auch wenn die Berechnung der Einnahmenpotenziale im Abschnitt 9 im Vordergrund stand, wäre es (verkehrs-)politisch aus mehreren Gründen zu kurz gesprungen, ein Umsetzungsinteresse an den Instrumenten ausschließlich oder primär an die Höhe ihrer Ergiebigkeit zu knüpfen. Denn: • Der monetäre Bewertungskomplex ist erst abgeschlossen, wenn die Verwaltungskosten für die Einführung und dauerhafte Pflege der Maßnahmen von den zusätzlich erzielbaren Einnahmen abgezogen und somit die Nettomehreinnahmen miteinander verglichen werden. Problematisch hieran ist, dass die Kosten des Administrierens der Instrumente nur grob abzuschätzen sind, solange das genaue Umsetzungskonzept im Detail nicht feststeht. • Zweitens liegt der Primärauftrag aus der Sicht einer Fachbehörde für Verkehr und hier im Besonderen für den ÖPNV „im Zweifel“ darin, die verkehrs- und klimapolitischen Ziele zu erreichen, anstatt Haushaltseinnahmen zu maximieren. Deutlich wird dies bei den Lenkungsinstrumenten City-Maut und Parkgebühren: Entfalten diese die gewünschte verkehrliche Lenkungswirkung, sinken die Einnahmen – ein objektives Spannungsverhältnis der Interessen, das SenFin und SenUVK unterschiedlich bewerten werden. Anders formuliert: Aus verkehrlicher Sicht sind Mehreinnahmen lediglich das Mittel zum Zweck, um Angebotsausweitungen finanzieren zu können. • Der Zusammenhang liegt nahe, dass Instrumente tendenziell desto politisch sensibler sind, je höhere Einnahmepotenziale sie in Aussicht stellen. Dieser Effekt tritt nur ein, wenn die Maßnahmen breit streuen, d.h. für viele Akteure wirksam werden. • Nicht zuletzt wirkt die Frage, wie schnell eine geplante Maßnahme umgesetzt werden kann, im politischen Betrieb auch auf die inhaltliche Bewertung zurück. Daher wird eine indikative vergleichende Einschätzung zur Umsetzungsgeschwindigkeit getroffen. Abbildung 33 vermittelt einen Überblick, welche Einnahmepotenziale je Instrument zu erwarten sind (Ergebniskorridor) und wie jedes Instrument bei vier weiteren Kriterien qualitativ abschneidet. Grüne Punkte signalisieren positive, rote Punkte negative Eigenschaften. Abbildung 33: Ergebnisübersicht der Finanzierungsinstrumente Im horizontalen Quervergleich kristallisiert sich eine Tendenzaussage heraus, welches Instrument unter Abwägung aller Argumente vorzugswürdig erscheint und für eine Umsetzung in Frage kommen könnte und welche eher auszusondern sind. Im Weiteren werden die Einzelbewertungen näher erörtert. 119/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.1 Finanzielle Ergiebigkeit Um den Quervergleich der Ergiebigkeit der sieben Instrumente – ohne Verwaltungskosten, Preisstand 2020 – graphisch zu unterstreichen, werden die Ergebniskorridore in Abbildung 34 mit Hilfe horizontaler Balken maßstabsgetreu dargestellt. Der dunkelblaue Balken bildet das offensive Szenario mit dem oberen Einnahmenwert ab, der hellblaue markiert das Szenario am unteren Rand. Abbildung 34: Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente Auffällig ist die starke Streuung der Werte. So liegen das Defensivszenario des Übernachtungsgewerbebeitrag und das Offensivszenario des allgemeinen ÖPNV-Beitrags im Modell Freifahrt um mehr als Faktor 50 auseinander. Bei näherem Hinsehen ist eine solche Spreizung logisch, da einzelne Instrumente wie das Gäste-Ticket sich auf einen speziellen Personenkreis mit begrenztem Nutzungspotenzial beschränken (Tourist*innen mit durchschnittlich 2,4 Tagen Aufenthaltsdauer), während der allgemeine ÖPNV-Beitrag auf alle Einwohner*innen als potenzielle Dauernutzer*innen oder die City-Maut auf alle Autofahrer*innen im S-Bahn-Ring abzielen. Im Einzelnen sind folgende Ergebnisse erwähnenswert: • Der höchste zusätzliche Finanzierungsbeitrag ist von einem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) zu erwarten. Für die Modellvariante Freifahrt 24h ergeben sich unter der Annahme, den Beitrag in Höhe des Preises der heutigen VBB-Umweltkarte festzusetzen, zusätzliche Einnahmen von gut einer Mrd. EUR pro Jahr (abzüglich Verwaltungskosten). Hiermit würde der volle Mengeneffekt wirksam, alle Berliner*innen in die Finanzierung einzubeziehen. Das Einnahmepotenzial vermindert sich in den beiden Untervarianten, weil annahmegemäß mit einem geringeren Sondervorteil auch eine geringere Beitragshöhe 120/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV einher gehen sollte. Grundsätzlich schrumpft der Finanzierungssaldo, je mehr Menschen von der Beitragspflicht ausgenommen werden und je geringer die Beitragshöhen sind. • Mit Einnahmen zwischen 337 – 880 Mio. EUR könnte auch die City-Maut in der Lage sein, eine maßgebliche ergänzende Finanzierungssäule für den Nahverkehr zu werden. Die Höhe der tatsächlichen Einnahmen wird dabei nicht nur von den Mautpreisen selber abhängen, sondern auch von der Wirksamkeit der verkehrlichen Lenkungseffekte: Je stärker der Autoverkehr verdrängt würde, desto geringer fiele der Finanzierungsbeitrag der Maut aus. • Die Höhe der berechneten Einnahmen aus einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung im S-Bahn-Ring und einer maßvollen Anhebung der Parkgebühren beträgt zwischen 360 – 500 Mio. EUR jährlich. Damit würde auch das, neben der City-Maut, zweite Lenkungsinstrument einen signifikanten Beitrag zur ÖPNV-Finanzierung leisten können, wenngleich die laufenden Kosten des Instrumenteneinsatzes noch abzuziehen sind. In jedem Fall verbliebe ein hoher dreistelliger Millionenbeitrag. Dieser symbolisiert gleichsam den Wert des öffentlichen Straßenraums, der heute – quasi kostenlos – durch die KfzHalter*innen genutzt wird. • Ebenfalls eine hohe Beitragseinnahme könnte durch einen Grundstückseigentümerbeitrag erzielt werden. Etwa 400 – 460 Mio. EUR p.a. liegen hier im Bereich des Möglichen, jedoch wird sich dieser Wert um die Verwaltungskosten mindern, welche in allen Formen der Nutznießerfinanzierung (siehe Kap. 10.2) umfangreich ausfallen werden. • Auch der Gewerbebetriebebeitrag kommt einnahmenseitig mit 145 – 175 Mio. EUR auf einen jährlich dreistelligen Millionenbetrag. Jedoch tragen bei diesem Instrument die Bedenken schwer, ob nach Abzug des erheblichen Verwaltungsaufwandes noch ein nennenswerter Finanzierungsbeitrag für den ÖPNV möglich erscheint. • Das Gäste-Ticket wird – je nach gewählter Beitragshöhe – zu jährlichen Einnahmen zwischen 65 – 175 Mio. EUR führen. In diesem Wert ist bereits der resultierende Tarifeinnahmenausfall berücksichtigt. In Summe kann bei diesem Instrument von einem positiven Finanzierungsbeitrag ausgegangen werden, weil vergleichsweise geringe Verwaltungskosten zu erwarten sind. • Offensichtlich ineffizient wäre die Einführung eines Beitrags für Übernachtungsbetriebe. Hier schlagen auf der Einnahmenseite nur 18 – 24 Mio. EUR zu Buche, die sehr wahrscheinlich durch die notwendigen administrativen Kosten überstiegen würden. Daher sollte auf die Einführung dieses Instruments verzichtet werden. Die finanziellen Ergebnisse sind im Rahmen dieser Studie auf der Basis der bestehenden Fahrgästeund Verkehrsnachfrage – also statisch – ermittelt worden. In die Entscheidungsfindung müssen bei der Auswahl von ergänzenden Finanzierungsinstrumenten allerdings auch weitere (verkehrs-) wirtschaftliche Effekte eingehen: • Voraussetzung für eine insgesamt höhere Finanzierungskulisse ist, dass die Zuweisungen des Landeshaushalts nicht in gleichem Maße zurückgefahren werden, wie die 121/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Mehreinnahmen aus den ergänzenden Finanzierungsinstrumenten fließen (Nullsummenspiel). Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Zuschuss konstant bleibt, ebenso die fortlaufenden Tarifausgleichszahlungen an den Verkehrsverbund. • Induzieren die Maßnahmen eine erhöhte Fahrgästenachfrage (bei bestehendem Angebotsniveau), ist davon auszugehen, dass die Verkehrsunternehmen zusätzliche Ausgleichszahlungen verlangen, beispielsweise für zusätzlich anfallende Personal- und Energiekosten oder für Tarifsubstitute. Dagegen ist zu rechnen, dass bei den Lenkungsinstrumenten (PushInstrumenten) – anteilig auch in den Modellen Bahncard und Freifahrt 21h (Off-Peak) des allgemeinen ÖPNV-Beitrages – mit der induzierten Fahrgästemehrnachfrage auch höhere Tarifeinnahmen verbunden sind. • Bei der wirtschaftlichen Bewertung der ergänzenden Finanzierungsinstrumente sind auch die Folgekosten relevant, die durch eine Ausweitung der öffentlichen Verkehrsangebote notwendig werden. Diese können in den finanziellen Resultaten noch nicht enthalten sein, werden im Fall einer Umsetzung eines der Instrumente aber rechtzeitig anzulegen sein. Dabei kann gerade die Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags es notwendig machen, vorab für eine ausreichende Kapazität zu sorgen, um nicht Gefahr zu laufen, dass Kapazitätsbeschränkungen dazu führen, dass Bürger*innen von der, womöglich kostenlosen, Nutzung des ÖPNV aus schlichtem Platzmangel in den Fahrzeugen abgehalten werden. Mit Zunahme der Verkehrsnachfrage wird es neben dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag auch bei den Instrumenten mit Lenkungswirkung zu einer signifikanten Ausweitung des ÖPNVAngebotes kommen müssen (vgl. Kap. 10.3). Dies zieht zwangsläufig Mehraufwendungen nach sich, die – auch unter Verwendung der zusätzlich generierten Finanzmittel – ausgeglichen werden müssen. Geht es um eine ressourcenneutrale Angebotsausweitung, d.h. ohne zusätzliche Betriebsmittel beschaffen zu müssen, fällt der Kostenschub mit Blick auf zusätzliche Personalstunden und Materialverbräuche noch überschaubar aus. Angesichts der schon hohen Auslastung der Verkehrsmittel werden auch Investitionen in neue Fahrzeuge nötig werden, die weitere Folgekosten nach sich ziehen (z.B. Finanzierung, Instandhaltung) und entsprechende Planungsvorläufe notwendig machen. Erst recht lange Vorlaufzeiten sind notwendig, wenn zusätzlich auch noch infrastrukturelle Erweiterungen geplant sind. 10.2 Verwaltungskosten Die Finanzierungsinstrumente ziehen unterschiedlich hohe Verwaltungskosten nach sich. Diese fallen beispielsweise bei der Erhebung, Durchsetzung und Abrechnung der Abgaben an, können aber auch die Anschaffung von Anlagegütern umfassen. Neben Personalaufwendungen und Sachkosten, z.B. für die Miete, können in einer weiteren Definition auch die Finanzierungs- und Bereitstellungskosten für bauliche Anlagen subsumiert werden. In Summe ist dieser Aufwand aus der Sicht des Landes gegen die zusätzlichen Einnahmen zu rechnen. Nicht zwangsläufig müssen die Verwaltungskosten tatsächlich auf behördlicher Ebene anfallen, in bestimmten Funktionen kann 122/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV auch die Einbindung privatwirtschaftlicher Unternehmen möglich sein. Hierüber wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Während eine tatsächliche Projektierung der Kosten anhand einer sehr groben Umschreibung der notwendigen Prozesse gerade bei neuen Maßnahmen noch nicht valide möglich ist, können doch erste vergleichende Hinweise gegeben werden. • Für die Lenkungsinstrumente (Push-Instrumente) liegen jeweils Vergleichswerte vor, die eine grobe Abschätzung des Verwaltungskostenaufwands ermöglichen: So kann den Haushalten der Berliner Bezirke der Aufwand für die Parkraumbewirtschaftung in einigen Zonen entnommen werden. In Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow lag in den Jahren 2016 – 2019 die Spanne zwischen 300 – 340 EUR p.a. je öffentlichem Parkplatz. Wendet man, in Vorsehung einer erhöhten Kontrollnotwendigkeit, einen Wert von 400 EUR auf die in der Umweltzone detektierte Menge öffentlicher Parkplätze an, resultiert ein vergleichbarer Verwaltungsaufwand von ca. 120 Mio. EUR p.a. für die flächendeckende Umsetzung. Mit der Einführung der City-Maut ist eine beträchtliche Anfangsinvestition für die Datenverarbeitungssysteme sowie das Kameraerfassungssystem notwendig sein. Deren Umsetzung, die Finanzierung wie auch die laufenden Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der Gebührenerhebung können durch eine eigenständige Gesellschaft übernommen werden. In Anlehnung an verschiedene internationale Mautbeispiele kann in Summe von einem laufenden Aufwand für Finanzierungs- und Verwaltungskosten zwischen 20 – 30% von den Beitragseinnahmen ausgegangen werden. Angesichts der großen Einnahmenspanne unterschiedlicher Mautkonzeptionen ist aber offensichtlich, dass diese Spanne nur ein grober Schätzwert einer detaillierten Bemessung der technischen Anforderungen sein kann. • Bei den Instrumentarien der Nutznießerfinanzierung muss jeweils von einem vermutlich beträchtlichen Kostenumfang ausgegangen werden. Grund hierfür ist, dass bei der Nutznießerfinanzierung nicht nur eine sachgerechte und angemessene Unterscheidung der Beitragsbemessung vorgenommen werden muss, sondern deren Sachgerechtheit notfalls auf Einzelfallebene prüfen muss. Die Festlegung von allgemeinen Kriterien für eine Beitragsunterscheidung (z.B. Entfernung zur Haltestelle) ermöglicht schließlich nur eingeschränkt spezielle Merkmale (z.B. Nutzenbeitrag der ÖV-Anbindung). Hinzu kommt, dass die Beitragsbemessung auf Kennziffern beruhen kann, die zunächst ermittelt und überprüft werden müssen – beispielsweise den Umsatz von Unternehmen im Fall des Gewerbebeitrags. Dies kann im Grenzfall eine individuelle Bewertung des wirtschaftlichen Vorteils von Unternehmen oder Immobilien notwendig machen, etwa, weil besondere Umstände vorliegen. Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente werden daher wahrscheinlich zu dauerhaft hohen Verwaltungskosten führen. Dabei zeigt die Ergiebigkeit speziell des Übernachtungsgewerbebeitrags (vgl. Kap. 9.2.3.3), dass diese schnell die Einnahmen überkompensieren können. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Land im Zweifel den Nachweis der Angemessenheit von Beitragshöhen gegenüber deren Schuldner*innen vor Gericht verantworten müsste, 123/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV legt den Schluss nahe, dass die Höhe der Verwaltungskosten in allen drei Instrumenten der Nutznießerfinanzierung eine gewichtige Risikoposition darstellen. • Bei der Umlagefinanzierung kann von einem unterschiedlichen Umfang der Verwaltungsaufwendungen ausgegangen werden, die wahrscheinlich beide unter dem Kostenniveau der Nutznießerfinanzierungsinstrumente liegen. Eine genaue Eingrenzung ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt schwierig. Eine Einschätzung zu dem Verwaltungskostenumfang beim Bürger*innenticket zu entwickeln würde eine dezidierte Beschreibung der notwendigen Prozesse und die Übersetzung in einen entsprechenden Personalbedarf notwendig machen. Grundsätzlich ist vor allem von einem hohen Anfangsaufwand bei der Ermittlung und Zuordnung der Beitragspflichtigen auszugehen. Hierzu werden Daten mit mehreren Behörden abzugleichen sein (z.B. Meldeämter, Sozialämter). Schließlich wären auch laufend personenbezogene Änderungen nachzuhalten (z.B. Prüfung Ausnahme Beitragspflicht, Ende der Ausbildung, Zuzug/Wegzug, Bedürftigkeit, …) sein. Parallel dazu kann auch die Administration von personalisierten Fahrausweisen nötig werden. Ein Gäste-Ticket wird demgegenüber voraussichtlich deutlich geringere Aufwendungen auf Landesseite zeitigen, wenn eine Koppelung an den Buchungsvorgang im Übernachtungsbetrieb oder auf entsprechenden Portalen, wie in Kap. 9.1.2.4 skizziert, möglich ist. Gleichzeitig ist auf Seiten der Verkehrsunternehmen keine signifikante Verringerung der Vertriebskosten zu erwarten. In allen Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags werden sich ebenfalls Veränderungen auf die Vertriebskosten ergeben. So wird die Ausgabe der Bürger*innentickets zweifellos zu temporärem Mehraufwand führen. Hinzu kommen die Mehrkosten durch die ggf. notwendige Anpassungen der Vertriebstechnik (z.B. eigene Tarifstufe für Berliner*innen) der Verkehrsunternehmen. Andererseits können auch kleinere Gegenbewegungen zu verzeichnen sein, insbesondere durch den Rückgang der Verkaufszahlen im Bartarif. Ohnehin ist davon auszugehen, dass die mittel- bis langfristige Vertriebskostenentwicklung stark davon abhängt, wie sich digitale Vertriebssysteme im Öffentlichen Personenverkehr durchsetzen werden. 10.3 Verkehrliche Effekte An die Finanzierungsinstrumente kann als vergleichende Bewertung auch der Maßstab der voraussichtlichen verkehrlichen Auswirkung angelegt werden. Dabei stehen mit den beiden Lenkungs- bzw. Push-Instrumenten bereits zwei zur Auswahl, die neben der Einnahmeerzielung primär das Ziel verfolgen, die Verkehrsgewohnheiten der Berliner*innen hin zu den Verkehrsträgern des Umweltverbundes zu verlagern. 124/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.3.1 Kriterien Es sind unterschiedliche Wirkungsrichtungen der Maßnahmen feststellbar. Um die verkehrlichen Effekte grob evaluieren zu können, dienen die folgenden Kriterien einer verkehrsplanerischen Wirkungsanalyse: • Verkehrsnachfrage: Zentraler Indikator sind die Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl im Personenverkehr in Berlin einschließlich des Quell- und Zielverkehrs, d.h. auch Berufspendler*innen, Einkaufs- und Freizeitverkehr von und nach Brandenburg. Dies wird im sog. Modal split der wesentlichen Verkehrsträger abgebildet: • o MIV o ÖPNV o Fahrrad- und Fußverkehr Innerhalb des Segments der ÖPNV-Nutzung bedeutsam sind Auswirkungen auf die Nachfrage in der HVZ. Grund hierfür ist, dass die Spitzennachfrage ganz wesentlich die Verkehrsplanungen determiniert und gleichzeitig besonders teure Produktionskosten aufweist, da hierfür die entsprechenden Systemkapazitäten vorzuhalten sind. • Aus den vorgenannten Indikatoren abgeleitet wird die Notwendigkeit von ÖPNVAngebotsanpassungen auf einer sehr aggregierten Ebene evaluiert. • Aus logistischer und verkehrsplanerischer Sicht relevant ist die Frage der Verbesserung der Situation für die Lieferverkehre. Diese dienen zur Feinerschließung der Warenversorgung in der Stadt. Mit der wachsenden Bedeutung von Paketdiensten wachsen aber auch verkehrsplanerische Konfliktpunkte. In den Wohnquartieren sind in zweiter Reihe bzw. auf Fahrrad- oder Schutzstreifen parkende Fahrzeuge ein Sicherheitsproblem, insbesondere für den Fahrradverkehr. An Hauptstraßen leidet zudem häufig die Pünktlichkeit der Busse. • Darüber hinaus werden aus den veränderten Verkehrsgewohnheiten abgeleitete Auswirkungen auf punktuelle Emissionen von Schadstoffen und Lärm im Stadtgebiet thematisiert. Die Wirkungsanalysen werden jeweils in tabellarischer Form dargestellt. Dabei werden in Stichpunkten die Auswirkungen auf die obigen Indikatoren skizziert. 125/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.3.2 Wirkungsanalyse Umlagefinanzierung 10.3.2.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag Die Auswirkungen der Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages wird für alle Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) aggregiert dargestellt, wobei ggf. auf unterschiedliche Nuancen verwiesen wird. Allgemeiner ÖPNV-Beitrag Auswirkungen Verkehrsnachfrage - In allen Modellen ist aufgrund der geringeren Grenzkosten der ÖV-Nutzung eine deutliche Veränderung der Verkehrsnachfrage zu Lasten des MIV und zu Gunsten des ÖPNV in Berlin zu erwarten. Mindestens mittelfristig kann dies auch in einem weiteren Rückgang des Kfz-Bestandes in Berlin niederschlagen. - Auswirkungen auf die Verkehrsnachfrage der Einpendler*innen, insb. die MIVNutzung, ist nicht zu erwarten. - Die Ausweichwirkung auf den ÖPNV wird im Modell Freifahrt 24h am größten sein, da hier Nutzungskosten und der Kauf eines Fahrscheins entfallen. - Insbesondere im Modell Freifahrt 24h (anteilig auch Freifahrt 21h) wird aus diesem Grund der höhere Verkehrsanteil des ÖPNV auch zu Lasten des Fußund Fahrradverkehrs gehen. In diesen Modellen kann auch eine insgesamt erhöhte Verkehrsnachfrage resultieren. - Im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) ist ein Rückgang der Nutzung in der morgendlichen HVZ zu erwarten. Stattdessen kann eine neue Nachfragespitze in den Stunden unmittelbar davor (5 – 6 Uhr) und danach (9 – 10 Uhr) entstehen. Ohnehin zeigt die Tagesganglinie schon heute, dass die Grenzen in diesen Bereichen fließend sind. - In den beiden anderen Modellen sind über die generelle Mehrnachfrage hinaus keine Auswirkungen zu erwarten. - In allen Modellen werden aufgrund der steigenden Nachfrage mind. mittelfristig erhebliche Angebotsausweitungen vonnöten sein. Im Modell Freifahrt 24h sind Angebotsausweitungen in der Spitzenstunde unumgänglich. - Idealerweise wird die Einführung des Instruments von einem Angebotssprung begleitet. Lieferverkehre - Infolge geringeren Kfz-Verkehrs und einer geringeren Kfz-Dichte sind leichte Verbesserungen zu erwarten. Punktuelle Emissionen - Der Rückgang der MIV-Nutzung durch Berliner*innen wird zu einer deutlichen Verbesserung der Luftschadstoffe führen. HVZ-Nachfrage ÖPNV Angebotsanpassungen ÖPNV Abbildung 35: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) Zusammenfassend kann für den ÖPNV-Beitrag in allen Kategorien eine Verbesserung gegenüber der heutigen Verkehrssituation notiert werden. Darauf weisen die empirischen Erfahrungen aus Solidarmodellen hin, die mit einer deutlichen Verringerung – oder gar Abschaffung – der Fahrpreise einher gingen. Haupttreiber ist der – in den Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) allerdings unterschiedlich starke – Anreiz, die öffentlichen Verkehrsmittel insbesondere dem eigenen Kfz gegenüber für die Fortbewegung zu bevorzugen. Dabei ist sogar punktuell eine Kannibalisierung des Rad- und Fußverkehrs zu erwarten, insbesondere in den Freifahrt-Modellen. Damit gehen auch Erhöhungen der Schadstoffemissionen bzw. des Energieverbrauchs einher. Im Saldo ist aber durch die Verlagerungen vom Kfz-Verkehr zum ÖPNV aber von weniger Emissionen und Energieverbrauch auszugehen. 126/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.3.2.2 Gäste-Ticket Die verkehrliche Wirkungsanalyse des Gäste-Tickets kann sich alleine auf ein geändertes Verkehrsverhalten von Tourist*innen und weiteren Übernachtungsgästen beziehen: Gäste-Ticket Auswirkungen Verkehrsnachfrage - Eine signifikante ÖPNV-Mehrnachfrage ist nicht zu erwarten, obwohl die Übernachtungsgäste den Nahverkehr in höherem Maße nutzen werden. - Negativ auswirken kann sich das Gäste-Ticket auf die Umsätze von Taxiunternehmen. - Weil die Zielgruppe des Gäste-Tickets eher nicht in der HVZ verkehren wird, sind hier auch keine signifikanten Änderungen der Nachfrage zu erwarten. - Stattdessen kann aber eine höhere Nachfrage an touristischen Hotspots resultieren. - Daher kann es notwendig sein, die Angebote punktuell, besonders in der Mitte Berlins, anzupassen. - Darüber hinaus sind keine Anpassungen nötig. Weiterhin ist auf eine gute Auffindbarkeit von Haltestellen und Linieninformationen zu achten, ggf. auch in englischer Sprache. Lieferverkehre - Keine signifikanten Auswirkungen zu erwarten. Punktuelle Emissionen - Keine signifikanten Auswirkungen zu erwarten. HVZ-Nachfrage ÖPNV Angebotsanpassungen ÖPNV Abbildung 36: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Gäste-Ticket Da das Gäste-Ticket nur ein (kleines) Segment der Mobilität in der Stadt anspricht, sind die verkehrlichen Wirkungen zusammengefasst eher gering. Indem die Besucher*innen den Nahverkehr durchweg kostenlos nutzen können, können vereinzelte Kfz-Fahrten, v.a. die Taxifahrt vom und zum Flughafen, entfallen. 10.3.3 Wirkungsanalyse Nutznießerfinanzierung Für alle Modelle sind keine Änderungen des Verkehrsgeschehens in der Stadt zu erwarten. Dies folgt aus der Tatsache, dass mit den Beitragsmodellen für Unternehmen, Immobilieneigentümer*innen und Übernachtungsbetriebe lediglich bestehende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen (internalisiert) würden. Dabei ist jedoch darauf zu verweisen, dass in allen Modellen ein gesteigerter Rechtfertigungsdruck für die Berliner Verkehrsplanung entsteht. Insbesondere Unternehmen, die für eine bislang kostenlose öffentliche Leistung eine wiederkehrende Abgabe leisten müssen, werden mit Sicherheit auf individuell verbesserte Anbindungen oder Haltestellensituationen drängen. 10.3.4 Wirkungsanalyse Instrumente mit Lenkungswirkung 10.3.4.1 City-Maut Die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren hat primär zum Ziel, die individuelle Verkehrsmittelwahlentscheidungen der Berliner*innen durch eine Verteuerung der Kfz-Nutzung zu beeinflussen und gleichzeitig die Straßeninfrastruktur effizienter zu nutzen. Diese Zielsetzung steht im Widerspruch zu dem Wunsch, Einnahmen zu erzielen, die für die Finanzierung eines besseren 127/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Nahverkehrs eingesetzt werden können. Denn je mehr MIV-Nutzer*innen auf das Auto verzichten, desto geringer wird der Ergebnisbeitrag dieses Finanzierungsinstruments sein. City-Maut Auswirkungen Verkehrsnachfrage - Innerhalb des Mautgebiets wird die Kfz-Nutzung stark zurückgehen. - Die Verkehrsnachfrage wird sich insgesamt zugunsten des ÖPNV entwickeln: Mit Einführung einer City-Maut wird die Nutzung des MIV zur Fahrt in den SBahn-Ring verteuert. - Daneben ist auch eine Zunahme des Rad- und Fußverkehrs v.a. im Mautgebiet zu erwarten. - Diverse Ausweicheffekte des MIV-Verhaltens werden ausgelöst. Beispielsweise wird Mehrverkehr um den Ring herum entstehen, an Umsteigepunkten außerhalb des Rings kann es zu vermehrtem Parkdruck kommen. - Die Ausweicheffekte können insgesamt zu einer Zunahme des Autoverkehrs außerhalb der Mautzone – und einer zeitlichen Veränderung der Nachfrage innerhalb führen. HVZ-Nachfrage ÖPNV - Es ist von einer Verschärfung der Nachfrage in der HVZ auszugehen, da Berufstätige vermehrt auf den ÖPNV umsteigen werden. Angebotsanpassungen ÖPNV - Um die erhöhte ÖPNV-Nachfrage – insbesondere in der HVZ – abdecken zu können, wird eine rechtzeitige Angebotsausweitung notwendig sein. - Idealerweise wird die Einführung des Instruments von einem Angebotssprung begleitet. Insbesondere für Pendlerrelationen wird eine verbesserte Anbindung notwendig sein. Lieferverkehre - Infolge eines deutlich geringeren Kfz-Verkehrs ist von einer spürbaren Verbesserung auszugehen. Punktuelle Emissionen - Im Mautgebiet wird die Luftqualität deutlich verbessert. - Dagegen können Verkehrsemissionen und Lärm außerhalb der Mautzone punktuell zunehmen. - Punktuell auch Verschlechterungen durch erhöhten Parkdruck an Umsteigepunkten. Abbildung 37: Verkehrliche Wirkungsanalyse – City-Maut Zusammenfassend wird die Maut eine starke Verdrängungswirkung vom Auto in Richtung ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr ausüben – zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings. Obwohl insgesamt von einer Verlagerung der Verkehrswahl in Richtung Umweltverbund auszugehen ist, können Ausweicheffekte zu punktuellen Mehrbelastungen führen. Diesen kann jedoch durch Gegenmaßnahmen begegnet werden (z.B. Verkehrslenkung, Parkraumbewirtschaftung). Das ÖPNV-Angebot und die Fahrradinfrastruktur müssen rechtzeitig auf die Mehrnachfrage angepasst werden. 128/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.3.4.2 Parkgebühren Auch das zweite Lenkungsinstrument hat zum Ziel, die Kfz-Nutzung innerhalb des S-Bahn-Rings einzudämmen. Anders als die Maut richten sich die Parkgebühren aber auf den ruhenden Verkehr. Damit sind sie insbesondere auch ein Instrument zur effizienteren Flächennutzung und Schaffung von Wohnraum und sonstigen Flächen für soziale und wirtschaftliche Aktivitäten. Parkgebühren Auswirkungen Verkehrsnachfrage - Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung verteuert das Abstellen von Kfz im öffentlichen Straßenraum, wenngleich der Verteuerungseffekt für Anwohner*innen wegen der derzeitigen Gebührenordnung – verglichen mit Kosten privater Stellplätze – überschaubar ist. - Im Ergebnis wird die Anzahl der Fahrten in den Hundekopf hinein – und innerhalb des Gebiets – mit dem Kfz zurückgehen. Gerade bei Fahrten im Hundekopf ist davon auszugehen, dass häufiger auf das Rad oder den Nahverkehr ausgewichen wird, um Parkgebühren zu vermeiden. - Zwar zeigen die Erfahrungen, dass in neu bewirtschaftete Parkraumzonen zunächst die Parkplatznachfrage zurückgeht (Ausweicheffekt). Unklar ist aber, ob die Parkplatznachfrage bei einer flächendeckenden Einführung ebenso spürbar zurückgeht. - Steigende Preise für Anwohner*innenparkausweise werden mittelfristig die Zahl der gehaltenen Kfz zurückgehen lassen. HVZ-Nachfrage ÖPNV - Da die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung vor allem Berufstätige und Einpendler*innen treffen würde, ist von einer Mehrnachfrage in der HVZ auszugehen. Angebotsanpassungen ÖPNV - Um die steigende ÖPNV-Nutzung befriedigen zu können, wird eine Verbesserung des Angebots nötig sein. Fokus ist auch hier der Verkehr in der HVZ und auf Pendlerrelationen. Lieferverkehre - Infolge geringeren Kfz-Verkehrs und einer geringeren Kfz-Dichte sind Verbesserungen für den Lieferverkehr innerhalb des Hundekopfes zu erwarten. Punktuelle Emissionen - Die Luftqualität wird verbessert, wenn weniger Kfz in den Ring einfahren. - Wie bei der City-Maut wird es zu vermehrtem Verkehr am Rand der bewirtschafteten Zone kommen. Der Parksuchverkehr und -druck wird dort ohne Gegenmaßnahmen steigen und punktuelle Belastungen zunehmen. Abbildung 38: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Flächendeckende Parkgebühren Die Erfahrungen der aktuellen Parkraumbewirtschaftungszonen in Berlin zeigen, dass die verkehrlichen Wirkungen dieses Instruments sehr stark von einer angemessenen Gebührenhöhe für die Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums abhängen. Eine entsprechende Erhöhung vorausgesetzt, wird dessen Wirkung auf den MIV-Anteil der in den Ring einbrechenden Verkehre nicht das Ziel verfehlen. Auch Fahrten mit dem Pkw von Anwohnenden innerhalb der Parkzone würden verteuert. Dies wird zu einem größeren Anteil des Fahrrad- und Nahverkehrs führen – die dafür zu ertüchtigen sind. Wie bei der City-Maut kann sich ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen die verkehrliche Lage an den Rändern der Parkraumzone und an Umsteigepunkten durch Ausweichreaktionen anspannen. 129/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 10.4 Politische Sensibilität Die Einführung einer (weiteren) Abgabe ist politisch stets sensibel, weil sie in Besitzstände eingreift und der*die Abgabenpflichtige zusätzliche Kostenbelastungen naturgemäß skeptisch beäugt bis womöglich zunächst ablehnt. Entscheidend für die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit ist, inwieweit der Mehrwert der Abgabe auf der Leitungsseite glaubwürdig erkennbar wird, z.B. in Form einer Angebotsoffensive (Ausweitung Verkehrsangebot, Steigerung Qualität, Nutzbarkeit weiterer Verkehrsträger), einer vereinfachten digitalen Nutzung des ÖPNV oder auch einer stringenteren Organisation des ÖPNV. Hier ist die transparente Zweckbindung der Einnahmen ein wesentliches Gestaltungselement, die Bürger*innen zu überzeugen bzw. umgekehrt den Vorwurf des „Abkassierens“ zu widerlegen. Es bedarf des Mutes und der Fähigkeit, gute Politik zu erklären und dabei konsistent zu handeln. Die spezifische Sensibilität der Instrumente ordnen wir wie folgt ein: • Der obligatorische Charakter des ÖPNV-Beitrags wird bei denjenigen Personen in der Tendenz auf Ablehnung stoßen, die als Nicht- oder Seltennutzer*innen den Optionsnutzen des ÖPNV geringer als die Beitragshöhe einschätzen. Dies gilt insbesondere a) für die kleine Gruppe der Berliner Einwohner*innen, die nicht von dem ansonsten sehr hohen Erschließungsgrad des Berliner ÖPNV profitieren. Zudem fallen b) erfahrungsgemäß ein Teil der passionierten MIV-Nutzer*innen hierunter. Wichtig für die Überzeugungsarbeit dürfte die kluge Wahl der angemessenen Beitragshöhe sein. Hiermit ist gemeint, die im Rechenmodell ausgewiesene Obergrenze nicht vollständig auszureizen (Umlegung des heutigen Umweltkartenpreises von 761 EUR auf alle Berliner*innen), sondern auf einen Teil des positiven Mengeneffektes zu verzichten, indem die heutigen Zeitkartennutzer*innen des Berliner ÖPNV von einer Preissenkung profitieren. Ebenso wichtig ist, die sozialpolitischen Ausnahmetatbestände auf dem heutigen Niveau beizubehalten. Als Modellvarianten empfehlen wir die Freifahrt 24 h, weil die anderen beiden Varianten eher als „fauler Kompromiss“ gesehen werden können. Wie eingangs skizziert muss der Zweck des Bürger*innentickets von Anfang an in aller Klarheit herausgestrichen und mit konkreten Planungen hinterlegt werden: die Ausbauoffensive des ÖPNV in einer mutmaßlich weiterhin wachsenden Metropole. Dies schließt u.E. die Aufwertung des Umweltverbundes mit ein. Im Bestfall können ÖPNV-Skeptiker*innen dem Beitragsmodell noch etwas abgewinnen, wenn sie in der Reduzierung des MIV persönliche Vorteile erkennen. Nicht unterschätzt werden sollte, dass zum einen die Umstellung auf einen umlagefinanzierten ÖPNV-Beitrag einige Zeit benötigt, ehe sich das neue System einschwingt, da alle Verträge neu verhandelt werden müssen. Zudem verlagert sich der Anpassungsdruck zu Beitragserhöhungen zum Abfedern von Kostensteigerungen noch stärker auf die Politik, da die Signalfunktion des Tarifs – etwa des Einzelfahrscheins – praktisch entfällt bzw. nur noch bei Nicht-Berliner*innen erhoben wird. • Die politische Durchsetzbarkeit eines Gäste-Tickets kann insgesamt als hoch angesehen werden. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren als ein sehr beliebtes Ziel für Tourist*innen etabliert, auch die Geschäftsreisen nach Berlin nehmen beständig zu. Jedoch 130/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV ist mit Blick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Hotel- und Gaststättengewerbe eine Neubewertung dieser Lage zwingend. Zudem ist zu beachten, dass die bestehende City-Tax und ein Gäste-Ticket als Parallelsysteme nicht vermittelbar sind, weil sie zweimal am selben Sachverhalt ansetzen. • Der Grundstückseigentümerbeitrag verspricht zwar auf der Einnahmenseite einen signifikanten Finanzierungsbeitrag zu leisten. Dennoch ist aus verschiedenen Gründen von einer Weiterverfolgung dieses Instrumentes für die ergänzende ÖPNV-Finanzierung abzuraten: o Die Landesregierung hat mit ihrer Entscheidung zur Einführung eines Mietendeckels erst kürzlich politisches Neuland Vermieter*innen Vermietungserlöse unter betreten. bestimmten auferlegt. Die Mit dem Mietendeckel Voraussetzungen politische Diskussion wurden Obergrenzen und für juristische Auseinandersetzung kreisen seither u.a. um die Thematik, dass das Gesetz in grundlegende wirtschaftliche Rechte der Immobilienbesitzer*innen eingreift. In dieser politischen Gemengelage könnte die Einführung eines zusätzlichen Beitrages zur Abschöpfung eines wirtschaftlichen Vorteils fehl gehen. o Gleichwohl könnte gegen dieses Instrument auch eingewendet werden, dass es speziell bei Wohnimmobilien zu einer weiteren Verschärfung der Mietpreisentwicklung beitragen könnte. Zwar würde die Erhöhung formal allenfalls – wenn überhaupt – über die Nebenkosten an die Mieter*innen weitergereicht werden. Im Ergebnis stünde aber so oder so möglicherweise eine weitere Belastung der Berliner Mieter*innen. • Mit Blick auf eine geplante Einführung des Gewerbebetriebebeitrags kann von einer erhöhten Abwehrhaltung der Wirtschaftsverbände ausgegangen werden. Zumindest aus wirtschaftspolitischer Sicht sprechen zwei wesentliche Gründe dafür, eine stärkere Finanzierungsbeteiligung der Berliner Wirtschaft nicht über ein Beitragsinstrument einzufordern: o Da der Gewerbebetriebebeitrag dem Grund nach an dem Produktionsfaktor Arbeit ansetzt, würde dieser mittelbar eine Verteuerung des Faktors Arbeit bedeuten. Gerade die in der Modellrechnung unterstellte Annahme der Verknüpfung der Beitragshöhe mit der Anzahl der Mitarbeiter*innen eines Betriebes könnte somit in Grenzfällen und bei großen Unternehmen zu politisch ungewollten Beschäftigungseffekten führen. o Darüber hinaus könnte der Gewerbebetriebebeitrag die Ansiedlung neuer Unternehmen erschweren. Auch wenn viele Faktoren die Wahl eines Betriebsstandortes ausmachen, wird ein zusätzlicher Kostenfaktor nur auf Berliner Seite die Gewinnung neuer Unternehmen mindestens nicht erleichtern. Auch wenn es sich im Einzelfall dabei eher um eine psychologische Nuance statt um einen echten wirtschaftlichen Faktor handeln dürfte, bietet dieses Instrument damit trotzdem eine erhöhte politische Angriffsfläche. 131/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV • Ausländische Beispiele zeigen, dass eine City-Maut nach ihrer Einführung von der Mehrheit befürwortet wird. Dies wird auch daran liegen, dass vor der Umsetzung einer solchen Maßnahme oft nur der Komfortverlust oder die Mehrkosten die individuelle Bewertung prägen – die ausgelösten verkehrlichen Verbesserungen aber noch nicht genügend vorauszusehen ist. Gleichwohl gilt, dass eine City-Maut aus verschiedenen Gründen ein sehr kontroverses Stimmungsbild auslösen wird: o Wird die City-Maut wie hier unterstellt als „Kordon-System“ für den S-Bahn-Ring konzipiert, erscheint sie technisch leichter und zeitlich schneller einführbar. Auf der Schattenseite sind jedoch erhebliche Ungerechtigkeiten innerhalb der Gruppe der MIV-Nutzer*innen und der Nutznießer*innen zu konstatieren. Am meisten profitieren die Einwohner*innen im City-Ring, die weniger Autolärm und Abgase erleiden, aber womöglich selbst innerhalb des Rings für kurze Fahrten den Pkw nutzen und dabei nicht bemautet werden. Am stärksten betroffen sind umgekehrt die Einpendler*innen der Berliner Außenbezirke oder Brandenburger. Hier bleibt zu prüfen, wie großflächig das Mautgebiet gezogen werden sollte. Eine entfernungsabhängige Bepreisung, die jeden gefahrenen km präzise misst, wäre verursachungsgerechter und im Sinne der verkehrlichen Lenkungswirkung vorteilhafter. o Darüber hinaus kann die City-Maut dazu führen, dass punktuell deutlicher Mehrverkehr entsteht, weil Autofahrer*innen der Mautpflicht durch Umwege ausweichen oder einen (möglicherweise kostenlosen) Parkplatz suchen, um mit Bus und Bahn in die City zu fahren. Insbesondere für Anwohner*innen in diesen Gebieten ginge mit der Einführung einer City-Maut eine Verschlechterung des Status quos einher. Die Umsetzung dieses Lenkungs- bzw. Push-Instruments wird dort – selbst bei Kommunikation des Verwendungszweckes, der ihnen auch zugute kommen soll - schwer vermittelbar sein; drängt sie den Kfz-Verkehr doch gerade dort hinein, anstelle ihn zu verdrängen. o Wirtschafts- und sozialpolitisch ist das Argument zu erwarten, dass beispielsweise Bürger*innen mit geringem Einkommen oder mittelständische Betriebe durch die Maut wirtschaftlich stark belastet werden, die aber nachweislich nicht oder nur sehr schwer auf das Kfz zur Einnahmeerzielung verzichten können. o Im übrigen ist aus rechtlicher Sicht die Mauterhebung für solche Ausnahmefälle mit dem Bund zu klären, bei denen MIV-Nutzer*innen nach Berlin einfahren und dabei zu keinem Zeitpunkt die Bundesstraße verlassen. In der Gesamtschau sollen die Bedenken nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bepreisung des MIV über eine Maut ein lohnenswertes verkehrspolitisches Ziel bleibt und bei überzeugendem Konzept und langjähriger Vorarbeit auch machbar erscheint. • Gegen die Einführung von Parkgebühren in einzelnen Zonen ist in Berlin mittlerweile kein nennenswerter Protest mehr bekannt. Dies mag aber auch damit zu tun haben, dass insbesondere die Gebühren für Anwohner*innen verschwindend gering sind. Dass in jüngster Zeit auf bundespolitischer Ebene über eine Anhebung der Gebühren für das 132/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV Anwohner*innenparken diskutiert wird, lässt vermuten, dass nicht nur ein Reformbedarf an dieser Stelle identifiziert wurde, sondern sich auch das politische Bewusstsein zunehmend für die Frage entwickelt, welchen Wert öffentlicher Raum hat. Eine flächendeckende Ausweisung der Parkraumbewirtschaftung selber wird darum wahrscheinlich weniger kontrovers begleitet werden. Die bestehenden Parkzonen zeigen, dass eine reine Fokussierung auf den Hundekopf vielleicht auch viel zu kurz springt, da die Grenze der Gebührenpflicht nicht an geografischen Grenzen halt machen sollte, wie die vielen Parkraumzonen außerhalb der Ringbahn heute schon zeigen. Schwierig zu lösen ist, dass damit eine Aufgabe der Bezirke angesprochen wird. Um seitens des Landes ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen und insbesondere um die Einnahmen dem ÖPNV zuführen zu können, braucht es eine enge Koordination und Kooperation der verschiedenen Akteure. 10.5 Umsetzungsgeschwindigkeit Für die Bewertung der in Rede stehenden Optionen ist es auch wichtig, den notwendigen zeitlichen Vorlauf ab der politischen Entscheidungsreife abzuschätzen. Da bekanntermaßen viele Faktoren die Umsetzung und damit auch den Zeitbedarf beeinflussen, soll an dieser Stelle nur eine Sortierung der Instrumente im Vergleich stehen: • Die Parkgebühren besitzen den Vorteil, dass hierzu vielfältige Vorerfahrungen einer Einführung bestehen, weshalb insgesamt von einem vergleichsweise kurzen Zeithorizont ausgegangen werden kann. Dies setzt aber auch eine Konsensfindung mit den Bezirken voraus. • Das Gäste-Ticket wird im Hinblick auf den administrativen Aufwand relativ schnell umzusetzen sein, insbesondere wenn sie auf den etablierten Erhebungsprozessen der CityTax aufsetzen kann. • Für alle weiteren Finanzierungsinstrumente muss ein vergleichsweise längerer Vorbereitungsprozess eingeplant werden. In jedem Fall wird das Land auf gesetzgeberischerbzw. Verordnungsebene autark eine Einführung bewerkstelligen können. o Für die Nutznießerfinanzierungsinstrumente liegen die zeitlichen Risiken vor allem in der konzeptionellen Vorbereitung der Differenzierungskriterien der Beiträge und der Herstellung der dafür nötigen Datenbasis (Prozessebene). o Der Einführungstermin der City-Maut wird u.a. von der institutionellen Einbettung bestimmt, also beispielsweise der Vergabe der initialen und wiederkehrenden Aufgaben im Betrieb der Mauterfassung an ein Unternehmen. o Beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag werden schließlich mit Blick auf die Auswirkungen der Finanzierungsumstellung (vom Tarif zum Beitrag) notwendige Anpassungen z.B. in der Einnahmenaufteilung des VBB sorgfältig evaluiert werden müssen. Soll die Beitragseinführung mit einer spürbaren Angebotsverbesserung verknüpft werden, sind die hierfür nötigen Planungs- und Beschaffungsprozesse zu berücksichtigen. 133/134 Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV 11 FAZIT Im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie wurden verschiedene Instrumentarien untersucht, welche die Finanzierung des Berliner ÖPNV auf eine breitere Basis stellen sollen. Zusätzliche Einnahmequellen sind nötig, um die verkehrspolitische Zielsetzung einer nachhaltigen, vorwiegend dem Umweltverbund zugewandten Mobilität in der Hauptstadt umsetzen zu können. Fokus dieser Machbarkeitsstudie war es, aus mehreren Alternativen jene auszuwählen, die geeignet sind, hierzu einen Beitrag zu leisten. Hierfür wurde im Rahmen der rechtlichen Stellungnahme zunächst durch BBH untersucht, ob aus juristischer Sicht Gründe gegen eines der Instrumentarien vorliegt. Dem ist nicht so: Es liegen keine grundsätzlichen Argumente gegen die Einführung der Instrumente vor. Sofern nötig, sind wesentliche Gestaltungskompetenzen auf landesgesetzgeberischer Ebene verortet. Im zweiten Schritt wurden die Optionen durch Ramboll im Hinblick auf Einnahmeerzielung und deren verkehrlichen Wirkungen hin untersucht. Hier zeigte sich, dass insbesondere • ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag, • eine City-Maut und • flächendeckende Parkgebühren sowohl aus fiskalischer Sicht als auch im Hinblick auf starke verkehrliche Effekte als wirksame Maßnahmen für Berlin in Frage kommen und daher eine Untersuchung zur konkreten Umsetzbarkeit rechtfertigen. 134/134
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