Berlin: mobiler
Ergänzende Instrumente zur Finanzierung
des Berliner ÖPNV
Machbarkeitsstudie
ERGÄNZENDE INSTRUMENTE
ZUR FINANZIERUNG DES
BERLINER ÖPNV
MACHBARKEITSSTUDIE
ERGÄNZENDE INSTRUMENTE ZUR FINANZIERUNG DES
BERLINER ÖPNV
MACHBARKEITSSTUDIE
Ramboll
Neue Grünstraße 17-18
10179 Berlin
T +49 30 302020-0
F +49 30 302020-299
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F +49 30 611 28 40-99
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Projektname
Machbarkeitsstudie – Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des
Berliner ÖPNV
Projekt Nr.
301000943
Empfänger
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
Am Köllnischen Park 3
10179 Berlin
Datum
20. November 2020
Autoren
Michael Holzhey, Thomas Petersen, Carolin Thalhofer (Ramboll)
Dr. Roman Ringwald, Dr. Christian Jung, Dr. Sascha Michaelis, Tim Schwandt,
Tobias Wernicke (BBH)
Ramboll
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
INHALT
1
Einleitung
5
2
Kurzfassung
7
2.1
Rechtliche Stellungnahme
7
2.1.1
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag und Umlagefinanzierung
7
2.1.2
Finanzierung durch Nutznießer*innen
7
2.1.3
Gäste-Ticket
8
2.1.4
City-Maut
9
2.1.5
Parkgebühren
9
2.2
Verkehrswirtschaftliche Bewertung
10
2.2.1
Methodik und Berechnung der Einnahmen je Instrument
10
2.2.2
Ergebnis: zusätzliches Einnahmenpotenzial
13
2.2.3
Gesamthafte Einordnung der Instrumente
14
2.2.4
Fazit
16
TEIL I: RECHTLICHE STELLUNGNAHME
17
3
Umlagefinanzierung
19
3.1
Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
19
3.2
Gesetzgebungskompetenz des Landes
19
3.3
Materielle Voraussetzungen
20
3.3.1
Belastungsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG
20
3.3.2
Aspekte der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG
28
3.3.3
Europarechtliche Aspekte
29
3.4
Einziehung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
31
3.5
Zwischenergebnis
32
4
Finanzierung durch Nutznießer*innen des ÖPNV
33
4.1
Einführung eines Beitrags
33
4.1.1
Ausgangspunkt
33
4.1.2
Ausgestaltung als Beitrag
35
4.1.3
Zwischenergebnis
42
4.2
Anpassung der bestehenden City-Tax (Übernachtungssteuer)
44
4.2.1
Ausgangslage
44
4.2.2
Ausgestaltung
44
1/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
4.2.3
Höhe der Steuer
44
4.2.4
Zusammenfassung
47
5
Gäste-Ticket
47
5.1
Kur-/Gästebeiträge
47
5.1.1
Rechtsnatur
47
5.1.2
Erhebungsmodalitäten der Gästebeiträge (Beispiel Sachsen)
48
5.1.3
ÖPNV-Leistungen
48
5.1.4
Anwendung in Berlin
49
5.2
Zwischenergebnis
50
6
City-Maut
50
6.1
Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage
50
6.2
Ausgestaltung als Steuer
50
6.2.1
Der Begriff der Steuer
50
6.2.2
Ausgestaltung als Zwecksteuer
51
6.2.3
Gesetzgebungskompetenz und Ertragshoheit für eine City-Maut als
Steuer
51
6.3
Ausgestaltung als Gebühr
52
6.3.1
Gesetzgebungskompetenz für eine City-Maut als
Straßennutzungsgebühr
52
6.3.2
Gebührenschuldner*innen
53
6.3.3
Maßgebliche Gebührenhöhe
54
6.3.4
Durchsetzbarkeit durch Kennzeichenerfassung
55
6.4
Ausgestaltung als Sonderabgabe
55
6.4.1
Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Sonderabgabe
55
6.4.2
Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion
55
6.4.3
Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion
56
6.5
Grundrechtliche Aspekte
57
6.6
Zwischenergebnis
57
7
Parkgebühren
58
7.1
Allgemeine Kompetenz für die Erhebung von Parkgebühren
58
7.2
Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung
58
7.2.1
Einschränkende Vorgaben der StVO
58
7.2.2
Bestimmtheit der Maßnahme und verkehrspolitische Zielsetzung
59
7.2.3
Geordnete städtebauliche Entwicklung
59
7.2.4
Schutz vor Lärm und Abgasen
60
7.3
Gebührenhöhe für Kurzzeitparken
61
7.4
Handlungsspielräume bei Gebühren für Bewohnerparken
61
7.4.1
Bewohnerparkausweis gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO
61
7.4.2
Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 StVO
62
7.5
Überschüsse und Ertragshoheit
63
7.6
Durchsetzung
64
7.7
Zwischenergebnis
64
2/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
TEIL II: VERKEHRSWIRTSCHAFTLICHE BEWERTUNG
65
8
Grundlagen
65
8.1
Methodik und Prozessablauf
65
8.2
Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
70
9
Darstellung und finanzielle Bewertung der Instrumente
71
9.1
Umlagefinanzierung
72
9.1.1
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
72
9.1.2
Gäste-Ticket
95
9.2
Nutznießerfinanzierung
99
9.2.1
Grundstückseigentümerbeitrag
100
9.2.2
Gewerbebetriebebeitrag
103
9.2.3
Übernachtungsgewerbebeitrag
106
9.3
Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente)
108
9.3.1
City-Maut
108
9.3.2
Parkgebühren
115
10
Gesamthafte Einordnung der Finanzierungsinstrumente
119
10.1
Finanzielle Ergiebigkeit
120
10.2
Verwaltungskosten
122
10.3
Verkehrliche Effekte
124
10.3.1
Kriterien
125
10.3.2
Wirkungsanalyse Umlagefinanzierung
126
10.3.3
Wirkungsanalyse Nutznießerfinanzierung
127
10.3.4
Wirkungsanalyse Instrumente mit Lenkungswirkung
127
10.4
Politische Sensibilität
130
10.5
Umsetzungsgeschwindigkeit
133
11
Fazit
134
3/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1:
Übersicht Finanzierungsinstrumente
5
Abbildung 2:
Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente
14
Abbildung 3:
Bewertung der Finanzierungsinstrumente
15
Abbildung 4:
Übersicht vergleichbarer Studien
67
Abbildung 5:
Überblick des Gesamtprozesses der Machbarkeitsstudie
70
Abbildung 6:
Steckbrief allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
72
Abbildung 7:
VBB-Zeitkarten nach Bevölkerungsgruppen
75
Abbildung 8:
Bevölkerungsgruppen und deren Überschneidungen, vereinfachte Darstellung
76
Abbildung 9:
Herleitung beitragspflichtiger Bevölkerungsgruppen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
77
Abbildung 10: Beitragshöhen im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h
78
Abbildung 11: Beitragshöhen in den Sondervorteilsmodellen Freifahrt 21h und Bahncard
78
Abbildung 12: Erschließungsstandards des NVP Berlin 2019 – 2023 (eigene Hervorhebung)
79
Abbildung 13: Gewichtung der Finanzierungssäulen in den Beitragsvarianten
81
Abbildung 14: Annahmen (Auszug) Bartarifanteile
82
Abbildung 15: Annahmen Zeitkartenanteile
82
Abbildung 16: Beitragshöhen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket)
84
Abbildung 17: Jährliche Beitragseinnahmen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
85
Abbildung 18: Tarifeinnahmenausfälle der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
(Bürger*innenticket) in Mio. EUR p.a.
87
Abbildung 19: Prozentualer Tarifeinnahmenausfall gegenüber 2018 nach Modellen
87
Abbildung 20: Saldobetrachtung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen
90
Abbildung 21: Finanzierungssaldo des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen
91
Abbildung 22: Steckbrief Gäste-Ticket
95
Abbildung 23: Steckbrief Grundstückseigentümerabgabe
100
Abbildung 24: Steckbrief Gewerbebetriebebeitrag
103
Abbildung 25: Einflussfaktor Publikumsverkehr nach Wirtschaftszweigen
104
Abbildung 26: Beitragshöhen je Beschäftigtenkategorie
104
Abbildung 27: Steckbrief Übernachtungsgewerbebeitrag
106
Abbildung 28: Steckbrief City-Maut
108
Abbildung 29: Steckbriefe City-Maut London und Stockholm
110
Abbildung 30: Jährliche Gebühreneinnahmen City-Maut in Mio. EUR
112
Abbildung 31: Steckbrief Parkgebühren
115
Abbildung 32: Jährliche Einnahmen aus Parkgebühren
117
Abbildung 33: Ergebnisübersicht der Finanzierungsinstrumente
119
Abbildung 34: Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente
120
Abbildung 35: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
126
Abbildung 36: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Gäste-Ticket
127
Abbildung 37: Verkehrliche Wirkungsanalyse – City-Maut
128
Abbildung 38: Verkehrliche Wirkungsanalyse – Flächendeckende Parkgebühren
129
4/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
1
EINLEITUNG
Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Berlin steht vor zwei großen Herausforderungen, die
beide in einen Wachstumsauftrag an ihn münden:
•
Die Klimaschutzziele sind im Verkehrsbereich nur zu erfüllen, wenn der ÖPNV mit den
anderen Verkehrsträgern im Umweltverbund seinen Anteil am Modal Split deutlich ausbaut.
•
Sofern die Einwohner*innenzahl Berlins auch künftig weiter zunimmt, nähern sich die
bestehenden Angebotskapazitäten ihrer Auslastungsgrenze, was heute bereits auf
bestimmten Linien in der Hauptverkehrszeit zu beobachten ist.
Bereits die Absicherung des bestehenden Verkehrsangebots bedeutet im kommenden Jahrzehnt
einen finanziellen Kraftakt, da ein erheblicher Teil der kostspieligen Infrastruktur erneuert und ein
wesentlicher Teil der Fahrzeugflotten ersetzt werden müssen. Umso ambitionierter ist die
Finanzierung zusätzlicher Aufgaben wie die notwendige Angebotsausweitung.
Vor diesem Hintergrund erscheint das politische Ansinnen plausibel, sich nicht nur auf die maximale
Ausschöpfung der beiden vorhandenen Finanzierungssäulen im ÖPNV – Fahrgeldeinnahmen und
Zuschüsse der öffentlichen Hand – zu verlassen, sondern weitere, neue Finanzierungsmöglichkeiten
auszuloten und im Bestfall zu erschließen. Im Mittelpunkt stehen solche Personenkreise, die den
Berliner ÖPNV bis dato (noch) nicht nutzen, jedoch
•
als Einwohner*innen Berlins oder als Gäste der Stadt aus der Existenz des Systems einen
Optionsnutzen ziehen könnten (Umlagemodelle) oder
•
mittelbar davon profitieren, dass andere Nutzer*innen des ÖPNV sie erreichen können
(Nutznießer*innen) oder
•
die den konkurrierenden Verkehrsträger MIV in Berlin nutzen, der wie der ÖPNV den
knappen Straßenraum in Anspruch nimmt und aus verkehrlichen und ökologischen Gründen
einer preislich und/oder kapazitären Lenkung unterzogen werden soll.
Ziel dieser im geltenden Koalitionsvertrag sowie gemäß § 26 Abs. 3 Satz 6 Berliner Mobilitätsgesetz
eingeforderten Machbarkeitsstudie ist es, die sieben nachstehenden Finanzierungsinstrumente zu
prüfen:
Abbildung 1:
Übersicht Finanzierungsinstrumente
5/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
In der Gesamtschau soll herausgearbeitet werden, inwieweit K.O.-Kriterien – vorgelagert auf der
Rechtsebene - zur Aussonderung eines Instrumentes führen oder das Ergebnis der Abwägung von
Chancen und Risiken eine solche nahelegen. Umgekehrt wird positiv deutlich, welche Instrumente
nach dem ersten Grobfilter für die Umsetzung in Frage kommen („sind machbar“) und hierauf
vertiefend geprüft werden sollten.
Entsprechend gliedert sich diese Machbarkeitsstudie in zwei Teile:
I.
Die rechtliche Stellungnahme von BBH beleuchtet die Voraussetzungen und Ausgestaltungsmöglichkeiten
der
Instrumente
aus
juristischer
Sicht.
Kernfrage
dieser
Untersuchung ist es, aufzuzeigen, welche der untersuchten Instrumente nicht im Einklang
mit dem geltendem Rechtsrahmen stehen können. Nachgelagert ist zu eruieren, welche
prinzipiellen Randbedingungen bzw. Freiheitsgrade für den Landesgesetzgeber bei der
Umsetzung herrschen.
II.
Die verkehrswirtschaftliche Bewertung von Ramboll untersucht primär, welche
fiskalische Ergiebigkeit die Instrumente aufweisen, differenziert nach Höhe und Verlässlichkeit der Einnahmen unter Einbeziehung der administrativen Kosten. Daneben sind auch
deren organisatorisch-technischen Voraussetzungen und die verkehrlichen wie gesellschaftlichen Wirkungen sowie die politische Sensibilität zu beleuchten.
6/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
2
KURZFASSUNG
2.1 Rechtliche Stellungnahme
Im Grundsatz sind alle der angeführten Finanzierungsinstrumente entweder auf Basis des
bestehenden Rechtsrahmens oder unter Annahme einer landesgesetzlichen Anpassung umsetzbar.
2.1.1
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag und Umlagefinanzierung
Für die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) bedarf es einer neuen
gesetzlichen Grundlage, für die das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz besitzt.
Für eine Beitragserhebung muss anhand von noch zu bestimmenden Kriterien, wie z. B. der
räumlichen und zeitlichen Erreichbarkeit des ÖPNV, ein individuell-konkreter Vorteil festgestellt
werden.
Ein
hohes
Aufkommen
an
Nutzer*innen,
das
zur
zeitweisen
Erreichung
von
Kapazitätsgrenzen führt, steht der Annahme eines Vorteils aber nicht an sich entgegen.
Als Beitragsschuldner*innen kommen alle in Berlin gemeldeten Personen in Betracht, wobei auf
Antrag Befreiungen von der Beitragspflicht zu erteilen sind, wenn eine Nutzung faktisch nicht
möglich ist (z. B. Bettlägerigkeit). Bisherige Befreiungen können beibehalten werden.
Im Rahmen der Beitragshöhe ist auf die Einhaltung des Äquivalenzprinzips zu achten, wobei im
Rahmen
der
Zumutbarkeit
durchschnittliche
der
Beitragshöhe
Bruttomonatsentgelt
und
für
für den
den
regulären
reduzierten
Beitragssatz
allgemeinen
auf
das
ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket) auf den BAföG-Satz abgestellt werden könnte.
2.1.2
Finanzierung durch Nutznießer*innen
Bei der Finanzierung durch Nutznießer*innen ist zwischen der Einführung eines neuen Beitrages
und der Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer zu differenzieren.
2.1.2.1 Einführung eines neuen Beitrags
Neue Abgaben, die mittelbar begünstigte Nutznießer*innen des öffentlichen Personenbeförderungsnetzes in
die
Finanzierungsverantwortung
nehmen, können
hingegen
bereits nach
dem
bestehenden Berliner Landesrecht geschaffen werden.
Die nach Art. 87 Abs. 1 Verfassung von Berlin erforderliche gesetzliche Grundlage ist in Gestalt der
§§ 4, 6, 8 und 10 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge des Landes Berlin (GebBtrG)
vorhanden. Im Rahmen des GebBtrG erfolgt die Einführung einer neuen Abgabe durch eine
Rechtsverordnung des Senats. Dem Land Berlin bleibt es gleichwohl unbenommen, für die
Finanzierung durch Nutznießer*innen des ÖPNV ein besonderes Landesgesetz zu erlassen.
Eine solche Abgabe hätte die Rechtsform eines Beitrags. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG erlauben es
bereits ausdrücklich, Beiträge von Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibenden zu
erheben, im Gegenzug für mittelbare Vorteile, die ihnen aus der Existenz einer öffentlichen Anlage
erwachsen. Das ÖPNV-System in Berlin ist aufgrund seiner konsequent öffentlich-rechtlichen
7/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Organisation mit einer Anstalt öffentlichen Rechts als Betreiber geradezu der exemplarische Fall
einer im öffentlichen Interesse liegenden Anlage i. S. v. § 4 GebBtrG. Grundstückseigentümer*innen
und Gewerbetreibende, einschließlich der Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes, sind in §
10 Abs. 3 GebBtrG als legitime Betragsschuldner*innen ausdrücklich genannt. Zum Ausgleich der
Vorteile, die diesem Personenkreis durch die Anbindung ihrer Grundstücke oder Gewerbebetriebe
an das öffentliche Personenbeförderungsnetz entstehen, können somit Beiträge erhoben werden.
Rechtliche Schwierigkeiten wirft dabei allein die Ausgestaltung des Beitragstatbestands und der
Beitragshöhe auf. Der aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit verlangt eine Differenzierung zwischen den Beitragspflichtigen und den nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des beitragsrelevanten Vorteils. Dabei kommt es vor allem bei
Grundstücken nicht auf einen finanziellen Wertzuwachs an, sondern auf eine Steigerung des
Gebrauchsvorteils. Die Möglichkeit der ÖPNV-Nutzung muss sich als Lagevorteil auf den
Gebrauchswert des Grundstücks auswirken.
Dasselbe Differenzierungsgebot gilt für Gewerbebetriebe. Dort wird es auf die Gesamtheit der
betriebsbezogenen Vorteile ankommen, die sich aus einer mehr oder weniger guten Anbindung an
das ÖPNV-Netz ergeben. Sachlich liegen diese Vorteile zum einen in der Erreichbarkeit der
jeweiligen Betriebstätte für Arbeitnehmer*innen, zum anderen aber auch in der Erreichbarkeit für
Kund*innen und der Intensität der Abhängigkeit des Unternehmenserfolgs von realen Kontakten zu
Kund*innen.
Eine Beitragsregelung muss dabei nicht jeden Sachverhalt vollständig wirklichkeitsgetreu erfassen.
Ihre Grenze findet die Freiheit des Gesetzgebers, Vereinfachungen und praktikable Typisierungen
vorzunehmen, vielmehr erst dann, wenn überhaupt kein sachlicher Grund für getroffene
Differenzierung gefunden werden kann und sich die jeweilige Beitragsregelung als willkürlich
erweist.
2.1.2.2 Anpassung der bestehenden City-Tax
Es kommt zudem eine Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer in Betracht. Der für die
Erhebung der Übernachtungssteuer maßgebliche Aufwand ist das Übernachtungsentgelt ohne
Nebenleistungen.
Das Land orientierte sich bei der Festlegung des Steuersatzes an anderen Kommunen. Vereinzelt
wurden dort aber inzwischen höhere Steuersätze festgelegt, so dass diesbezüglich Handlungsspielräume auch für Berlin bestehen.
2.1.3
Gäste-Ticket
Die Einführung eines Gäste-Tickets für Besucher*innen Berlins erscheint grundsätzlich möglich,
bedarf jedoch eines gesetzgeberischen Tätigwerdens. Angesichts der Regelungen in anderen
Bundesländern ist jedoch – gerade in Hinblick auf die Übernachtungssteuer – die dann bestehende
Doppelbelastung zu berücksichtigen.
8/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
2.1.4
City-Maut
Die Einführung einer City-Maut bedürfte hingegen einer neuen, landesgesetzlichen Grundlage.
Als vorzugswürdig erweist sich dabei die Einführung als Straßenbenutzungsgebühr im Sinne von
Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG. Dies wäre möglich, weil der Bund im Rahmen der konkurrierenden
Gesetzgebungskompetenz lediglich bezüglich einer Maut auf Fernstraßen tätig geworden ist. Die
vom Land Berlin einzuführende Straßenbenutzungsgebühr dürfte deswegen auch nicht die Nutzung
von Bundesfernstraßen einer Gebührenpflicht unterwerfen.
Gebührenschuldner*innen wären die Autofahrer*innen, die Straßen im Bereich der City-Maut
nutzen (unter Ausnahme der Bundesfernstraßen).
Bei der Gebührenhöhe besteht ein erheblicher Spielraum. Sie darf aber nicht in einem groben
Missverhältnis zu der vom Land Berlin erbrachten Leistung stehen. Maßgeblich sind damit die
Vorteile, die dem*der Einzelnen aus der Leistung des Landes Berlin beim Straßenunterhalt
entstehen.
2.1.5
Parkgebühren
Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung ist nach unserem Verständnis insbesondere im SBahn-Ring möglich. Anordnungsgründe sind dabei neben dem hohen Parkdruck auch eine geordnete
städtebauliche Entwicklung oder der Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen, vgl. § 45 Abs.
1b Straßenverkehrsordnung (StVO).
Ebenso bestehen Handlungsspielräume hinsichtlich der Gebührenhöhe und der Gebührenstruktur,
die derzeit noch nicht flächendeckend genutzt werden.
In Bezug auf die Parkraumbewirtschaftung für Bewohner*innen kann – zumindest zonal – das
Konzept der Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO erwogen werden. Diese wäre zulässig, wenn
die Erteilung (gegenüber einem Parkausweis nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO) an zusätzliche
Bedingungen gebunden ist – wie etwa die mangelnde Verfügbarkeit eines privaten Stellplatzes. Die
Gebühr für eine solche Ausnahmegenehmigung dürfte dann bis zu 767,00 Euro betragen.
Angesichts der Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) besteht jedoch nunmehr ein weiter
Handlungsspielraum bezüglich des Gebührenrahmens für Parkausweise für Bewohner*innen nach
§ 45 StVO. Dabei kann insbesondere der wirtschaftliche Wert der Parkmöglichkeit mitberücksichtigt
werden.
9/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
2.2 Verkehrswirtschaftliche Bewertung
2.2.1
Methodik und Berechnung der Einnahmen je Instrument
Die methodischen Vorarbeiten liegen darin, zunächst je Instrument eine Konzeption zu unterwerfen,
die auf theoretischen Überlegungen sowie empirischen Referenzbeispielen basiert und in
Wechselwirkung mit den verfügbaren Daten steht. Anschließend werden die Daten gesammelt,
verprobt und in die Modellrechnung eingespeist. Sämtliche Berechnungen stehen unter dem
Vorbehalt, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht zu berücksichtigen.
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
Kernidee dieser Umlagefinanzierung für den Berliner ÖPNV ist es, dass grundsätzlich alle
Berliner*innen einen regelmäßigen Beitrag an das Land Berlin leisten – unabhängig davon, ob sie
den Nahverkehr in Anspruch nehmen. Anders als bei der Steuer können die Beitragseinnahmen
zweckgebunden für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des ÖPNV eingesetzt werden. Als
Gegenleistung gewährt das Land als ÖPNV-Aufgabenträger den
Beitragspflichtigen einen
Sondervorteil, und zwar in Gestalt der Fahrtberechtigung.
Für dieses Ticket werden drei Modellvarianten des Bürger*innentickets als Sondervorteil für die
Beitragspflichtigen betrachtet:
a) Modell Freifahrt 24h: Berechtigung zur unentgeltlichen Nutzung des ÖPNV, jeden Tag zu
jeder Stunde.
b) Modell Freifahrt 21h (Off-Peak): Berechtigung zur unentgeltlichen Nutzung außerhalb
der morgendlichen Hauptverkehrszeit (HVZ); ermäßigter Tarif für werktägliche Fahrten
zwischen 6 und 9 Uhr.
c)
Modell Bahncard: Berechtigung zum Erwerb vergünstigter Fahrkarten, beispielsweise wie
bei einer „Bahncard 50“ zur Hälfte des üblichen Preises.
Das Bürger*innenticket gilt ausschließlich im Stadtgebiet Berlin (Tarifbereich AB). Für Fahrten im
Tarifbereich C müssen Berliner*innen weiterhin einen Fahrausweis erwerben – ebenso wie alle
Nicht-Berliner*innen im Stadtgebiet Berlins.
Einnahmenseitig zeitigt der ÖPNV-Beitrag zwei gegenläufige Wirkungen im Vergleich zum Status
quo: Auf der einen Seite verbreitert sich die Einnahmenbasis, weil nicht nur die Nutzer*innen des
ÖPNV, sondern alle Einwohner*innen Berlins veranlagt werden
(positiver Mengeneffekt).
Ausgenommen sind annahmegemäß 4% der Einwohner*innen wegen unzureichender ÖPNVErschließung. Im Gegenzug entfallen die Fahrgeldeinnahmen der heutigen ÖPNV-Fahrgäste
(negativer Preiseffekt). Um die Saldierungswirkung in ihrer maximalen Spanne zu veranschaulichen, werden drei Szenarien berechnet:
•
„Obergrenze“: die heutigen Preishöhen je Tarifprodukt werden beibehalten und auf die
Gruppen der Beitragszahler*innen projiziert. Der volle Mengeneffekt maximiert die
Einnahmen.
10/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
•
„Neutral“: Hier werden die differenzierten Beiträge umgekehrt so lange abgesenkt, wie das
heutige Einnahmenniveau konstant gehalten werden kann („aufkommensneutral“).
•
„Beispiel“ als realitätsnaher Vorschlag in der Mitte beider Pole: Hier werden die künftigen
Beiträge je Beitragszahler*innengruppe in Höhe von 75% der heutigen gruppenspezifischen Preise des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) angesetzt.
Wichtige Grundprämisse ist, dass keine der heutigen Nutzer*innengruppen schlechter als im Status
quo gestellt wird.
Die aufwendige Herleitung der Mengengerüste, insbesondere zur Eingruppierung der Berliner
Bevölkerung in die unterstellte Beitragsstruktur, sowie der unterstellten Beitragshöhen ist der
Langfassung zu entnehmen.
Gäste-Ticket
Auch das Gäste-Ticket fußt auf einer Umlagefinanzierung, die sich jedoch auf den Personenkreis der
Besucher*innen Berlins beschränkt, die in gewerblichen Übernachtungsbetrieben einschließlich
Airbnb nächtigen. Diese müssen pro Nacht und Person einen Beitrag entrichten, der in zwei
Varianten gerechnet wird: 5 EUR und 8 EUR pro Nacht und Erwachsenen, Kinder zwischen 6 und 18
Jahren zahlen die Hälfte. Im Gegenzug erhalten die Übernachtungsgäste vom Anreise- bis zum
Abreisetag einen Fahrausweis für den Nahverkehr (Tageskarte Tarifbereich ABC). Weil schon mit
der Hotelbuchung zur Verifikation ein QR-Code an den Übernachtungsgast versendet wird, kann
dieser den Fahrausweis vom Bahnhof oder vom Flughafen aus verwenden. Die Beigabe des Tickets
unterscheidet das Gäste-Ticket von der vorhandenen City-Tax, die abgabensystematisch eine
Steuer auf private Übernachtungen darstellt und dem ÖPNV nicht zweckgebunden zur Verfügung
steht.
Zentrales
Mengengerüst
der
Beitragseinnahmen
ist
die
Zahl
der
gewerblich
erfassten
Übernachtungen, die für 2020 – ohne Pandemie-Effekt – in Höhe von 35,5 Mio. angesetzt werden.
Hinzu kommen 5,5 Mio. Übernachtungen über Webplattformen, z.B. Airbnb. Gegenzurechnen ist
der Einnahmenausfall über alle Tarifprodukte, die Tourist*innen erwerben.
Grundstückseigentümerbeitrag
Der Grundstückseigentümerbeitrag richtet sich an die Eigentümer*innen von Wohn- und Gewerbeimmobilien im Stadtgebiet Berlin als Nutznießer*innen des ÖPNV-Systems. Diese werden zur
Entrichtung eines wiederkehrenden, z.B. jährlichen Beitrags in der Annahme verpflichtet, auf diese
Weise die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der ÖPNV-Anbindung gegenüber der Allgemeinheit
auszugleichen. Die Beiträge müssen rechtlich wie politisch anhand transparenter Kriterien
angemessen differenziert sein.
Während die Fläche der Wohnimmobilien auf Berliner Stadtgebiet statistisch gut erfasst ist, muss
die Nutzfläche der Gewerbeimmobilien hilfsweise ermittelt werden, indem zwischen 50% und 75%
der Bodenfläche herangezogen werden. 8% der Gewerbeflächen werden als beitragsbefreit
angenommen, um dem unzureichenden Erschließungsgrad an Teilen des Stadtrandes Rechnung zu
tragen. Als mittlere Beitragshöhe werden 2 EUR je qm bei Wohnimmobilien und 4 EUR je qm bei
Gewerbeimmobilien angesetzt.
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Gewerbebetriebebeitrag
Der Gewerbebetriebebeitrag stellt eine Abgabe zur Internalisierung des wirtschaftlichen Vorteils der
ÖPNV-Anbindung für Wirtschaftsbetriebe in Berlin dar. Beitragspflichtig sind demnach alle in Berlin
gemeldeten Unternehmen. Die Höhe des Beitrags bemisst sich an dem individuellen Nutzen, der
dem jeweiligen Betrieb entsteht.
Um diesen hinreichend zu differenzieren, konzentriert sich die Modellrechnung erneut auf zwei
Strukturmerkmale:
•
die Zugehörigkeit zu einem Wirtschaftszweig, um die Abhängigkeit vom Publikumsverkehr
grob zu clustern. Die Spanne reicht von 100% im Gastgewerbe bis zu 0% in der Wasserversorgung.
•
die Betriebsgröße, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, und zwar zwischen den
Kategorien 0 bis 9, 10 bis 49, 50 bis 249 sowie 250 und mehr Beschäftigte.
Die Beitragshöhe wird in zwei Varianten mit 50 und 60 EUR je Mitarbeiter*in gerechnet.
Übernachtungsgewerbebeitrag
Der Übernachtungsgewerbebeitrag ist eine Untervariante einer (allgemeinen) Beitragspflicht für
Gewerbebetriebe. Er beschränkt sich auf die Abschöpfung der wirtschaftlichen Vorteile, die Hotels,
Pensionen, Jugendherbergen oder gewerblich vermietende Onlineportale aus dem vorhandenen
Nahverkehrssystem ziehen. Dabei muss sich die Beitragshöhe am individuellen Nutzen ausrichten,
der den Betrieben entsteht.
Maßgebliche Strukturmerkmale für die Modellrechnung sind die Anzahl der (gemeldeten) Betten
sowie die Zentrumsnähe eines Übernachtungsbetriebs. Letztere wird in 3 Zonen untergliedert, für
die Beitragssätze je Bett in zwei Varianten unterstellt werden (innere Zone 150/200 EUR, mittlere
Zone 20/30 EUR, äußere Zone ist beitragsbefreit).
City-Maut
Das primäre verkehrspolitische Ziel der City-Maut liegt darin, eine verkehrslenkende Wirkung
zugunsten des Umweltverbunds zu entfalten. Neben der erhofften Verringerung von Lärm und
Luftschadstoffen ist auch die Erzielung von Einnahmen ein wichtiger und willkommener Nebeneffekt.
Dieser ist im Zweifel jedoch nachrangig, da im Erfolgsfall die Einnahmenbasis sinkt. Unterstellt wird
die Bepreisung des motorisierten Verkehrs als einfaches Kordonsystem auf dem Gebiet innerhalb
des S-Bahn-Rings, auch großer Hundekopf genannt, der nahezu deckungsgleich mit der
Umweltzone ist. Die Mautgebühr soll werktäglich fällig werden, sobald ein Kraftfahrzeug (Kfz) in
dieses Gebiet zwischen 6 und 18 bzw. 21 Uhr einfährt (2 Varianten).
Rechtlich kann das Land Berlin eine Straßennutzungsgebühr nur für „eigene“ Liegenschaften
erheben, nicht für Bundesfernstraßen. Die Benutzung der querenden B1 und B2 sowie der B96,
B96a und B109 in dem Gebiet darf somit grundsätzlich nicht bemautet werden, wenn diese Straßen
nicht verlassen werden. Dies stellt eine konzeptionelle Herausforderung dar.
Die Modellrechnung basiert auf folgenden Annahmen: Ausgangspunkt ist die Schätzung von
750.000 täglichen Einfahrten. Hiervon werden ein Mehrfahrtenanteil in Höhe von 20% sowie ein
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beitragsbefreiter Anteil von 3% für hoheitlich motivierte Fahrten abgezogen. Die Mauthöhe wird
den Nahverkehrstarifen angelehnt und mit 5 bzw. 8 EUR pro Tag in zwei Varianten angesetzt. Dies
deckt sich auch mit den internationalen Vorbildern in Stockholm, Göteborg und London. Um den
erwartbaren Rückgang der MIV-Nutzung als Preisreaktion zu modellieren, werden die empirisch
gemessenen Reduktionen der Nachfrage von 20% (Stockholm, kurzfristig) und 40% (London,
langfristig) angenommen. Zahlreiche weitere Ausgestaltungsoptionen einer Mautpflicht sind denkbar
(zeitliche/entfernungsabhängige/emissionsbezogene
Bepreisung,
Ausnahmetatbestände,
horizontale Ausdehnung des Mautgebiets, Erhebungstechnik usw.), wären jedoch separat zu
untersuchen.
Parkraumbewirtschaftung
Das Instrument einer stadtweiten konsequenten Bewirtschaftung des Parkraums sieht vor,
Parkgebühren für die Nutzung öffentlicher Flächen innerhalb der Umweltzone flächendeckend nach
einheitlichen Strukturmerkmalen einzuführen. Hiermit soll die ökonomische Wertigkeit des bisher
nahezu kostenfreien Parkraums den Knappheitspreisen anderer Nutzungen wie Wohnen und
Gewerbe
angeglichen
werden.
Derzeit
weisen
fünf Berliner Bezirke
solche
Parkraumbe-
wirtschaftungsgebiete aus. Darüber hinaus sind die dosierte Reduzierung und Umverteilung des
Parkraums zugunsten anderer Nutzungszwecke ein vielversprechender Push-Ansatz.
Im Status quo können Anwohner*innen einen stark verbilligten Anwohner*innenausweis (bisher
10,20 EUR p.a.) für ein bestimmtes Gebiet beziehen, Gelegenheitsparker*innen müssen zeitabhängige Berechtigungen erwerben, z.B. in Form eines Parkscheins. Die Bezirke können über die
Höhe der Gebühren für Gelegenheitsparker*innen und die gebührenpflichtigen Tageslagen im
Rahmen einer landesrechtlichen Vorgabe entscheiden. Für Handwerksbetriebe bieten einige Bezirke
fallweise besondere Parkausweise an.
Die Berechnung der Einnahmen aus der künftig angestrebten Parkraumbewirtschaftung beschränkt
sich in dieser Studie auf das Gebiet innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Dabei sind einheitliche
Gebührenhöhen und Bewirtschaftungszeiten unterstellt. Ausgegangen wird von 300.000 legalen
Parkplätzen, die zu 75% am Tag belegt sind. Zudem wird angenommen, dass 90% der Plätze durch
Anwohner*innen beansprucht werden, demnach 10% durch Gelegenheitsparker*innen. Als
Preisgerüst unterstellen wir 240 EUR pro Jahr für Anwohner*innenparkausweise in der oberen
Variante und 120 EUR in der unteren. Gelegenheitsparker*innen sollen 4 bzw. 3 EUR pro Stunde
zahlen. An Sonntagen und an allen anderen Tagen zwischen 0 und 6 Uhr kann kostenlos geparkt
werden.
2.2.2
Ergebnis: zusätzliches Einnahmenpotenzial
Um den Quervergleich der Ergiebigkeit der sieben Instrumente – ohne Verwaltungskosten,
Preisstand 2020 – graphisch zu unterstreichen, werden die Ergebniskorridore in Abbildung 2 mit
Hilfe horizontaler Balken maßstabsgetreu dargestellt.
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Abbildung 2:
Die
starke
Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente
Spreizung
der
Werte
ist
insofern
plausibel,
als
das
Gäste-Ticket
und
der
Übernachtungsgewerbebeitrag selektiv auf eine relativ kleine Akteursgruppe ausgerichtet sind,
wohingegen der ÖPNV-Beitrag und die beiden Instrumente mit Lenkungswirkung (PushInstrumente) von einer breiten Bemessungsgrundlage profitieren (alle Einwohner*innen bzw.
wesentliche Teilmenge der Autofahrer*innen). Folgerichtig sind die Einnahmenpotenziale dort auch
am höchsten.
Nach dem gleichen Muster der Mengenwirkung weist der Grundstückseigentümerbeitrag unter den
drei Nutznießerfinanzierungsinstrumenten die höchste Ergiebigkeit auf.
2.2.3
Gesamthafte Einordnung der Instrumente
Auch wenn die Berechnung der Einnahmenpotenziale einen Schwerpunkt dieser Studie bilden, wäre
es (verkehrs-)politisch kurzsichtig, die Bewertung der Machbarkeit und das Umsetzungsinteresse
an den Instrumenten ausschließlich oder primär an die Höhe ihrer Ergiebigkeit zu knüpfen. Vielmehr
sind weitere vier Kriterien – insbesondere auch die verkehrlichen Effekte – in die gesamthafte
Abwägung des Für und Wider einzubeziehen, wie Abbildung 3 mit Hilfe einer Rot-Grün-Ampel
veranschaulicht.
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Abbildung 3:
Bewertung der Finanzierungsinstrumente
Zentrale Aussagen der qualitativen Bewertung sind:
•
Verwaltungskosten: Für alle Finanzierungsinstrumente gilt, dass ihre fiskalische
Ergiebigkeit erst nach Abzug der administrativen Kosten („costs of running the system“) –
also netto – abschließend zu bewerten ist. Von diesen wie auch weiteren mittelbaren Kosten
haben wir (zunächst) abstrahiert, weil sie mit Hilfe der vorhandenen Daten nicht hinreichend
zu validieren sind. Am ehesten lassen sich grobe Erfahrungswerte für die beiden
Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente) finden, die jedoch schwer auf Berlin
übertragbar sind. Zudem hängt die Höhe der Verwaltungskosten in erheblichem Maße von
der konkreten Konzeption des Instrumentes ab. Letzteres gilt vor allem für die City-Maut
und die Nutznießerfinanzierung. Relativ verwaltungsarm erscheint das Gäste-Ticket, zumal
es auf der Infrastruktur der City-Tax aufsetzen könnte.
•
Verkehrliche Effekte: Die Bewertung der verkehrlichen Effekte spaltet die Instrumente in
zwei Lager. Während die Nutznießerfinanzierung bestehende Vorteile abschöpft und somit
keine verkehrliche Wirkung entfaltet, sind der allgemeine ÖPNV-Beitrag und die beiden MIVrestringierenden Maßnahmen geeignet, das Verkehrsmittelwahlverhalten spürbar zu
beeinflussen. Dies gilt bei City-Maut und Parkraumbewirtschaftung desto mehr, je höher die
zusätzliche Kostenbelastung des*der Pkw-Fahrers*in/-Halters*in ausfällt – allerdings um
den Preis abnehmender Einnahmen, sobald eine bestimmte Schwelle überschritten wird.
Beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag dürfte der verkehrliche Erfolg maßgeblich davon abhängen,
inwieweit der obligatorische Charakter mit einer deutlichen Leistungssteigerung des ÖPNV
einhergeht.
•
Politische Sensibilität: Die Einführung einer (weiteren) Abgabe ist politisch stets sensibel,
weil sie in Besitzstände eingreift und der*die Abgabenpflichtige zusätzliche Kostenbelastungen naturgemäß skeptisch beäugt bis womöglich zunächst ablehnt. Entscheidend für
die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit ist, inwieweit der Mehrwert der Abgabe auf der
Leistungsseite glaubwürdig erkennbar wird, z.B. in Form einer Angebotsoffensive
(Ausweitung Verkehrsangebot, Steigerung Qualität, Nutzbarkeit weiterer Verkehrsträger),
einer vereinfachten digitalen Nutzung des ÖPNV oder auch einer stringenteren Organisation
des ÖPNV. Hier ist die transparente Zweckbindung der Einnahmen ein wesentliches
Gestaltungselement, die Bürger*innen zu überzeugen bzw. umgekehrt den Vorwurf des
„Abkassierens“ zu widerlegen. Es bedarf des Mutes und der Fähigkeit, gute Politik zu
erklären und dabei konsistent zu handeln.
Im Quervergleich der Instrumente schneidet das Gäste-Ticket hier am besten ab, weil es
sich auf die abgegrenzte Gruppe der Berliner Tourist*innen konzentriert und diese
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erfahrungsgemäß
eine
vergleichsweise
hohe
Preisunempfindlichkeit
aufweisen.
Im
Vergleich zur heutigen City-Tax erhält der Gast Berlins mit dem Ticket immerhin ein
Mehrwert auf der Leistungsseite.
Am anderen Ende der Sensibilitätsskala rangieren die Nutznießerinstrumente. Sie sollen
einen pekuniären Vorteil abschöpfen, ohne jedoch mit einer unmittelbaren Verbesserung
des ÖPNV aufzuwarten. Die Adressaten sind Akteursgruppen, die gut organisiert sind und
die Mittel haben, sich klar gegen die Mehrbelastung rechtlich wie öffentlich zu positionieren.
So werden die Grundstückseigentümer auf die Doppelbelastung in Verbindung mit dem
Mietendeckel verweisen, während die Gewerbebetriebe die Verteuerung des Faktors Arbeit
und die Folgen für den Standortwettbewerb ins Feld führen.
Dass die Instrumente mit Lenkungswirkung und der allgemeine ÖPNV-Beitrag ebenfalls
kontroverse Diskussionen – insbesondere unter MIV-Nutzer*innen – verursachen, wird
niemanden überraschen. Im Unterschied zur Nutznießerfinanzierung ist jedoch eine
verkehrliche Lenkungsabsicht bzw. eine (glaubwürdigere) Intention zur Aufwertung des
ÖPNV mit ihnen verknüpft. Dies bietet zumindest die Chance, mittelfristig auch Skeptiker*innen zu überzeugen. Entscheidend wird sein, bei der Bemessung der Preis-/Beitragshöhen
das richtige Maß zu finden und die Zweckbindung der Mittel mit einer absehbaren Angebotsverbesserung im ÖPNV zu koppeln.
•
Umsetzungsgeschwindigkeit: Keines der sieben Instrumente sollte die Erwartung einer
schnellen Umsetzung wecken. Handwerklich-konzeptionell sind das Gäste-Ticket und die
Parkraumbewirtschaftung am ehesten auf den Weg zu bringen – sofern bei dem Lenkungsinstrument Land und Bezirke einen Konsens über die Gebührenhöhe und -struktur sowie
die Mittelverwendung erzielen können. Für alle anderen Instrumente müssen „dicke Bretter
gebohrt werden“. So bedarf die City-Maut einer vielschichtigen Designentscheidung
(Technik, Organisation, Flächenausdehnung, Bepreisungsstrategie, rechtlicher Umgang mit
Bundesstraßen). Der allgemeine ÖPNV-Beitrag stellt vor allem hohe institutionelle
Ansprüche, indem die Finanzierungsstruktur des ÖPNV gravierend verändert wird. Die Nutznießerfinanzierung setzt hohe Hürden für die rechtlich-administrative Ausgestaltung der
Instrumente.
2.2.4
Fazit
Im Hinblick auf die Kombination aus Einnahmenerzielungspotenzial und verkehrlicher Wirkung
schneiden die beiden Lenkungsinstrumente sowie der allgemeine ÖPNV-Beitrag mit Abstand am
besten ab. Hier lohnt es sich, eine konkrete Umsetzbarkeit im Detail zu untersuchen. Der Weg zu
einer Einführung ist jedoch noch weit. Das Gäste-Ticket ist am schnellsten einführbar und politisch
eher unkritisch, als selektives Instrument jedoch nicht hinreichend, um die Finanzierung des ÖPNV
substanziell zu verbessern. Zu beachten ist das Konkurrenzverhältnis zur City-Tax. Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente sollten hingegen nicht weiterverfolgt werden.
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TEIL I: RECHTLICHE STELLUNGNAHME
Im Rahmen dieser rechtlichen Stellungnahme werden die folgenden Finanzierungsinstrumente
näher untersucht:
•
Umlagefinanzierung (insb. für ein allgemeinen ÖPNV-Beitrag): Die Grundidee einer
Umlagefinanzierung durch einen allgemeinen ÖPNV-Beitrag ist es, dass bestimmte Gruppen
an Nutzer*innen, beim Bürger*innenticket beispielsweise „alle Bürger*innen Berlins“, einen
verpflichtenden, regelmäßigen und zweckgebundenen Beitrag für die Möglichkeit entrichten
müssen, den Berliner ÖPNV unentgeltlich in Anspruch zu nehmen. Die Bereitstellung eines
guten ÖPNV-Angebotes stellt im Sinne des Beitragsrechts einen individuellen Sondervorteil
dar, für den eine Abgabe erhoben werden kann. Dafür wird – auf Grundlage der Erlöse des
allgemeinen ÖPNV-Beitrages – den Berliner*innen der unentgeltliche Erwerb einer ÖPNVZeitkarte ermöglicht (sog. „Bürger*innenticket“). Dabei sind die folgenden Ausgestaltungsmöglichkeiten zu betrachten:
o
Modell Freifahrt 24h: Durch Zahlung eines verpflichtenden, regelmäßigen und
zweckgebundenen Beitrages erhalten alle Bürger*innen Berlins die Möglichkeit, den
Berliner ÖPNV unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.
o
Modell Freifahrt 21h (Off-Peak): Als Variante soll ein „Off-Peak-Bürger*innenticket“
mitbetrachtet werden, das eine unentgeltliche Nutzung außerhalb des morgendlichen Berufsverkehrs zulässt. Der Preis für eine ÖPNV-Zeitkarte für den
Berufsverkehr könnte dann pro Person – auch in Kombination mit dem ÖPNVBeitrag – merklich niedriger liegen, als es bei den heutigen Zeitkarten der Fall ist.
o
Modell BahnCard: Als Variante soll eine Ausgestaltung mitbetrachtet werden, bei
der auf Grundlage der Erlöse aus einer Umlage den Berliner*innen der vergünstigte
Erwerb einer ÖPNV-Zeitkarte ermöglicht wird (Wirkung ÖPNV-Beitrag ähnlich DBBahncard).
•
Finanzierung durch die Nutznießenden des ÖPNV: Als Nutznießende des ÖPNV werden
jene Personen bezeichnet, die einen Vorteil aus der ÖPNV-Anbindung generieren, auch
wenn sie diesen selbst ggf. gar nicht nutzen. Durch die Einbeziehung der Nutznießenden
des ÖPNV in die ÖPNV-Finanzierung sollen die diesen Privat- oder juristischen Personen
entstehenden Vorteile (so genannte „positive externe Effekte“) internalisiert werden.
o
Eigentümer*innen von Grundstücken und Immobilien: Eigentümer*innen profitieren von teilweise erheblichen Wertsteigerungen, wenn im Einzugsbereich ihrer
Grundstücke oder Immobilien ÖPNV-Angebote bestehen, neu errichtet oder
bestehende ÖPNV-Angebote ausgebaut oder aufgewertet werden. Zugleich sind
sowohl das Land Berlin als auch die in Immobilien Investierenden darauf
angewiesen, dass das ÖPNV-Angebot den Bedürfnissen der wachsenden Stadt
entsprechend weiterentwickelt wird. Mehrere internationale Metropolen (z. B.
London, Montréal) haben Modelle entwickelt und erfolgreich umgesetzt, die mit der
Verbesserung des ÖPNV-Angebots verbundenen Wertsteigerungen teilweise für die
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Finanzierung
dieser
Infrastruktur
verfügbar
zu
machen,
auch
ohne
Eigentümer*innen von Bestandsimmobilien zu belasten („Land Value Capture“).
o
Beherbergungsgewerbe („Gäste-Ticket“): Einige Hotels bieten ihren Gästen bereits
heute an, dass diese mit der Zimmerkarte ein Kombiticket zur Nutzung des lokalen
ÖPNV erwerben können. Für Gäste in gewerblichen Übernachtungsbetrieben,
insbesondere in Hotels, Hostels und Ferienwohnungen soll das Gäste-Ticket als
verpflichtender Beitrag untersucht werden, die im Gegenzug einen Fahrausweis für
Berlin AB beinhaltet.
o
Anpassung
der
bestehenden
City-Tax:
Bereits
heute
wird
in
Berlin
eine
Übernachtungssteuer, sog. City-Tax, erhoben. Es soll untersucht werden, inwieweit
eine Anpassung dieser zum Zwecke der ÖPNV-Finanzierung erfolgen kann.
o
Unternehmen: Unternehmen profitieren von einer attraktiven ÖPNV-Erschließung
insbesondere
durch
eine
bessere
Erreichbarkeit
für
Mitarbeitende,
Geschäftspartner*innen sowie Kund*innen. Speziell für Unternehmen im Übernachtungs- und Veranstaltungsgewerbe stellt eine attraktive Anbindung an das
ÖPNV-Netz ein wesentliches Standortkriterium dar. Denkbar ist, diesen Nutzen
durch eine Abgabe zu internalisieren und hierfür – im Gegenzug – je nach
Ausgestaltung den Mitarbeitenden, Geschäftspartner*innen oder Gästen die sehr
stark vergünstigte oder unentgeltliche Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen.
•
City-Maut: Die Nutzer*innen des MIV profitieren indirekt von einem attraktiven ÖPNV,
wenn Verlagerungseffekte zu geringerer Verkehrsdichte, weniger Staus und einer besseren
Verfügbarkeit von Parkplätzen führen. Es ist zu prüfen, inwiefern der Vorteil dieser
Verlagerungseffekte durch geeignete Finanzierungsformen abgeschöpft werden kann.
•
Parkraumbewirtschaftung:
Der
Umgang
mit
Parkraum
ist
eine
wesentliche
Weichenstellung der kommunalen Verkehrspolitik. Je nach dem Umfang der für das Parken
verfügbaren Stellplätze und deren etwaiger Bepreisung über Gebühren entsteht ein
unterschiedlich hoher Anreiz, den eigenen PKW zu nutzen. Ähnlich wie bei der City-Maut
lässt sich zudem anführen, dass auch ein gut ausgebauter ÖPNV zu einer besseren
Verfügbarkeit von Parkplätzen führen kann. Es ist daher zu prüfen, ob Einnahmen aus der
Parkraumbewirtschaftung geeignet sind, als zusätzliche Finanzierungsform des ÖPNV
herangezogen zu werden.
Im Rahmen der zu erstellenden Machbarkeitsstudie wird vor diesem Hintergrund interdisziplinär
untersucht, ob und wie die ÖPNV-Finanzierung im Land Berlin durch die vorstehenden Instrumente
erweitert werden kann.
Gegenstand dieser Stellungnahme ist eine rechtliche Bewertung der Umsetzbarkeit neuer
Finanzierungsinstrumente
im
bestehenden
Rechtsrahmen
sowie
unter
Berücksichtigung
gesetzlicher Anpassungsoptionen (insbesondere auf Landesebene).
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
3
UMLAGEFINANZIERUNG
3.1 Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
Die Einführung einer ÖPNV-Umlage könnte im Wege eines Beitrags erfolgen. Der Beitrag als
Vorzugslast dient der vollen oder teilweisen Deckung der Kosten einer öffentlichen Einrichtung, die
von denjenigen erhoben werden, denen die Einrichtung einen besonderen Vorteil gewährt. 1 Hierbei
genügt bereits die potentielle Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung oder Einrichtung. 2
Für eine Ausgestaltung als allgemeiner ÖPNV-Beitrag, der alle Bürger*innen betrifft – mithin alle,
die in Berlin gemeldet sind – bedarf es einer neuen gesetzlichen Grundlage, da Beitragsschuldner*innen nach § 10 Abs. 3 GebBtrG Berlin nur Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibende sein
können. Dies kann entweder durch eine Ergänzung des GebBtrG (etwa die Erstreckung des
möglichen Kreises der Beitragspflichtigen auf sonstige Personen, denen durch eine öffentliche
Einrichtung ein Vorteil erwächst) oder durch die Verabschiedung eines Gesetzes mit einer konkreten
Bestimmung für den allgemeinen ÖPNV-Beitrag erfolgen.
3.2 Gesetzgebungskompetenz des Landes
Für die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags besitzt das Land die Gesetzgebungskompetenz. Für
nichtsteuerliche Abgaben ist die Kompetenz von der jeweiligen Sachmaterie umfasst und richtet
sich nicht nach Art. 105 ff. GG.3 Der ÖPNV ist Teil des Kraftfahrtwesens nach Art. 74 Nr. 22 GG und
unterliegt somit der konkurrierenden Gesetzgebung.4 Den Ländern steht damit die Befugnis zur
Gesetzgebung zu, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch
Gesetz Gebrauch gemacht hat, Art. 72 Abs. 1 GG. Der Bund hat von dieser Kompetenz Gebrauch
gemacht und die Rahmenbedingungen für Planung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV im
Regionalisierungsgesetz (RegG) geregelt.5
In § 1 RegG ist festgelegt, dass die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung
mit Verkehrsleistungen im ÖPNV eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist und dass die Stellen, die
diese Aufgabe wahrnehmen, durch Landesrecht bestimmt werden. Die Länder haben Regelungen
hierzu in den ÖPNV-Gesetzen erlassen – in Berlin regelt das Mobilitätsgesetz6 (MobG) die Ausgestaltung und Finanzierung des ÖPNV. Nach § 27 Abs. 1 MobG ist das Land Berlin der Aufgabenträger
für den gesamten ÖPNV. Die Zuständigkeit für die Beitragserhebung folgt aus der Äquivalenz von
Aufgaben- und Ausgabenverantwortung.7
1
BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10.
2
BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10; BVerfG, Urteil v. 06.07.2005 – 2 BvR 2335/95 u. 2391/95.
3
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17.
4
Ebenso Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 268/12, 10.12.2012, Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV), S. 4; Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 255.
5
Wissenschaftliche
Dienste,
WD
4
–
3000
–
268/12,
10.12.2012,
Umlagefinanzierung
für
den
fahrscheinlosen
Öffentlichen
10.12.2012,
Umlagefinanzierung
für
den
fahrscheinlosen
Öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV), S. 4.
6
Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2018, S. 464.
7
Wissenschaftliche
Dienste,
WD
4
–
3000
–
268/12,
Personennahverkehr (ÖPNV), S. 8, 10.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
3.3 Materielle Voraussetzungen
3.3.1
Belastungsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG
Die Ausgestaltung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) muss den Anforderungen
des Art. 3 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Gleichheitssatz, genügen. Dieser gebietet es, alle Menschen
vor dem Gesetz gleich zu behandeln – woraus zunächst folgt, dass wesentlich Gleiches gleich und
wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist.8
Für das Abgabenrecht folgt daraus der Grundsatz der Belastungsgleichheit. Zur Wahrung dieses
Grundsatzes bedarf es bei nichtsteuerlichen Abgaben eines über den Zweck der Einnahmeerzielung
hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes. Der Rechtfertigungsgrund muss
eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglichen sowie der Belastungsgleichheit
Rechnung tragen. Neben den Zwecken des Vorteilsausgleichs und der Kostendeckung können auch
soziale Zwecke und Zwecke der Verhaltenslenkung die Vorzugslast rechtfertigen. 9
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist dabei sowohl für die Anknüpfung des allgemeinen ÖPNVBeitrags (Bürger*innenticket), also die Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen und damit
auch für evtl. Ausnahmen hiervon, von Bedeutung, möglicherweise aber auch für die Ausgestaltung
desselben, d. h. für die Bestimmung der Beitragshöhe.
a)
Vorteil
Der besondere Vorteil, der, anders als bei den gegenleistungsunabhängig erhobenen Steuern,
notwendig vorliegen muss, liegt hier in der Möglichkeit der – je nach Ausgestaltung – erleichterten
ÖPNV-Nutzung. Da ein Vorteil erst dann angenommen werden kann, wenn die Inanspruchnahme
auch tatsächlich möglich ist, wird dies zum Teil auch als Kriterium der Leistungsfähigkeit
bezeichnet.10 Das heißt, die öffentliche Einrichtung muss leistungsfähig sein.
Zur Beurteilung der Frage, ob eine hierfür angemessene Verkehrsbedienung sichergestellt ist, wird
zum Teil darauf abgestellt, ob der ÖPNV als Äquivalent zum MIV im innergebietlichen Verkehr
angesehen werden kann, wobei insbesondere auf die zeitliche Flexibilität und die räumliche
Erreichbarkeit abgestellt wird.11
Das bedeutet: Für die Bestimmung des Kreises der Beitragspflichtigen, hier alle Bürger*innen des
Landes Berlin, etwa ab einem bestimmten Lebensalter, dürfte vermutlich nicht allein auf die
abstrakte Möglichkeit der Nutzung des ÖPNV innerhalb der Landesgrenzen abgestellt werden,
sondern dürfte es erforderlich sein, wenn auch mit einem gewissen Maß notwendiger
Pauschalierung, festzustellen, dass die Möglichkeit der (kostenlosen, teilweise kostenlosen oder
kostenermäßigten) Nutzung des ÖPNV einen tatsächlichen Vorteil darstellt.
8
Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. A 2016, Art. 3 Rn. 8 m.w.N.
9
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17.
10
Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 191 f., 225 ff., die z.T. die rechtlichen Wertungen des Anschluss- und Benutzungszwangs für den
ÖPNV-Beitrag heranzieht.
11
Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 225 ff.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Hier ist auf verkehrswirtschaftliche Untersuchungen abzustellen, in welchem Umfang, in einem
großstädtisch verdichteten Raum wie Berlin, der ÖPNV als alltägliches Verkehrsmittel tatsächlich zu
Verfügung steht und bei objektiver Betrachtung eine realistische Alternative zum MIV darstellt. Hier
sind Gesichtspunkte wie die Entfernung des Wohnortes der Betroffenen von der nächsten Haltestelle
und die Bedienhäufigkeit etc. einzubeziehen. Hierbei könnte auf die heute schon angewandten
Standards des Nahverkehrsplans (NVP) zurückgegriffen werden, insbesondere den Erschließungsstandard. Danach gelten alle Berliner Siedlungsflächen als vom ÖPNV erschlossen, wenn der
Abstand zur nächstgelegenen Haltestelle, an der im Tagesverkehr mindestens ein 20-Minuten-Takt
und im Nachverkehr mindestens ein 30-Minuten-Takt angeboten wird und im Tagesverkehr 400
Meter bei hoher Nutzungsdichte bzw. 500 Meter bei niedriger nicht überschreitet.12 Dieser
Erschließungsstandard ist derzeit für 96,1 % der Gesamtbevölkerung erfüllt. Die Zielwerte für die
Erschließung liegen im Tagverkehr bei 300 Meter Haltestellenabstand bei hoher Nutzungsdichte und
400 Meter bei niedriger Nutzungsdichte, im Nachtverkehr bei 400 Meter bzw. 500 Meter. (vgl. auch
Abbildung 12).13 Nicht erforderlich ist dabei eine jeweilige Anknüpfung an individuell-konkrete
Verhältnisse
eines*einer
Beitragsunterworfenen.
So
lässt
etwa
die
verfassungsrechtliche
Rechtsprechung anstelle eines „Wirklichkeitsmaßstabes“ auch einen „Wahrscheinlichkeitsmaßstab“
zu, wenn es um die Bestimmung eines tatsächlichen Vorteils, hier in der Möglichkeit der
Inanspruchnahme einer Leistung, geht.14 In bestimmten typisierbaren Einzelfällen ist freilich an
Ausnahmen von der generellen Beitragspflicht zu denken, notfalls auch über Befreiungsverfahren.
Erst recht kommt es nicht auf die tatsächliche Nutzung an15, denn dies unterscheidet den Beitrag
bereits von der Gebühr. Erforderlich ist allein die realistische Möglichkeit der Nutzung. 16 Es kommt
nicht einmal drauf an, ob, was gegenwärtig für den ÖPNV in Berlin ggf. sogar bejaht werden könnte,
die Nutzungsmöglichkeit weitgehend in Anspruch genommen wird.17
Die genaue Abgrenzung muss anhand einer tatsachenbasierten Bestimmung des Vorteils vorgenommen werden.
b)
Individuell-konkrete Zurechnung
Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem
Beitrag abgegolten werden soll. Insbesondere lässt sich die erforderliche individuelle Zurechenbarkeit aus der rechtlichen oder tatsächlichen Sachherrschaft oder -nähe und der damit
einhergehenden Möglichkeit herleiten, aus der Sache konkrete Vorteile oder Nutzen zu ziehen. 18
Dabei darf der Sondervorteil, dessen mögliche Inanspruchnahme durch die Beitragserhebung
ausgeglichen werden soll, nicht in einer Weise aufgelöst werden, dass Beitragspflichtige keinen
12
Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.2.
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Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.2.
14
S. etwa BVerfG, Urt. v. 4.2.2009,1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, Rn. 59 - Spielgerätesteuer Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR
745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17., Rn. 88 – Rundfunkbeitrag.
15
S. nur BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76 m.w.N. zur vorangegangen Rspr.
16
S. nur BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76.
17
S. nur BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76, 82 (ausdrücklich gegen BVerwGE
154, 275 (285).
18
BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10.
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größeren Vorteil aus der möglichen Inanspruchnahme haben als die nichtbeitragspflichtige
Allgemeinheit.19
Bei der Ausgestaltung in Form des Modells Freifahrt 24h können die Beitragspflichtigen den ÖPNV
ohne Fahrschein ganztägig nutzen – womit der Vorteil in der ganztägigen Fahrtberechtigung liegt.
Insgesamt wird daher zwischen Beitragspflichtigen und Nicht-Beitragspflichtigen differenziert.
Beim
Modell
Freifahrt
21h
(Off-Peak)
steht
den
Beitragspflichtigen
die
fahrscheinlose
Nutzungsmöglichkeit nur außerhalb eines als Rush Hour festgelegten Zeitrahmens zu. Je nach
Ausgestaltung könnte ein für die Rush Hour angebotener ermäßigter Ticketpreis ebenso als Vorteil
zu sehen sein. Mit der Herauslösung der Rush Hour aus dem fahrscheinlosen Angebot verringert
sich jedoch der verbleibende Vorteil, was im Rahmen der Vorteilsberechnung zu berücksichtigen ist.
Denn auch bei einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab müsste vermutlich festgestellt werden, dass ein
Großteil der berufstätigen oder im Studium/der Ausbildung befindlichen Bevölkerung maßgebliche
Verkehrsbedürfnisse jedenfalls auch in der Hauptverkehrszeit befriedigen muss.
In dem letzten zu untersuchenden Modell – Modell BahnCard – liegt der Vorteil in der zeitlich
unbeschränkten Möglichkeit eines ermäßigten Ticketerwerbs. Da auch in dieser Ausgestaltung noch
ein Ticket zu lösen ist, ist der verringerte Vorteil bei der Beitragsberechnung ebenso zu
berücksichtigen, wie beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak). Der Vorteil ist hier greifbarer als beim
Modell Freifahrt 21h, da dieser unabhängig vom zeitlichen Verkehrsverhalten der Person monetär
zu beziffern ist.
Ein individuell-konkreter Vorteil würde dann nicht mehr vorliegen, wenn auch nicht der
Beitragspflicht unterliegende Besucher*innen Berlins – mithin die Allgemeinheit – die in den oben
genannten Ausgestaltungen enthaltenen Vorteile in Anspruch nehmen könnten.
c)
aa)
Kapazitätsengpässe
Problemverortung
Ebenso ist die Frage zu erörtern, ob trotz Vorliegens der oben (vgl. Kap. 3.3.1 a)) genannten
objektiven Anbindungs- und Taktkriterien tatsächlich noch von der Möglichkeit eines Vorteils
gesprochen werden kann, wenn vermehrt Beitragspflichtige den ÖPNV nutzen würden und dieser
dadurch zeitweise an seine Kapazitätsgrenzen gelangte. Zwar ist es auch heute schon das Ziel, alle
an einer Haltestelle wartenden Fahrgäste zu befördern20, die Frage ist jedoch insofern relevant, als
der ÖPNV in Teilen des Systems die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht, insbesondere bei
hoher Nachfrage und starkem Verkehrsaufkommen.21 Das BVerfG führt in seinem Urteil zum
Rundfunkbeitrag aus, dass für Beitragspflichtige eine realistische Möglichkeit zur Nutzung der
öffentlichen Leistung bestehen muss – die beim Rundfunkbeitrag gewahrt sei, da bei Vorhandensein
geeigneter Empfangsgeräte jederzeit das Angebot abgerufen werden könnte.22
19
BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10.
20
Vgl. Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.2.4.2.3.
21
Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel I.3, VI.2.
22
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 76.
22/134
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bb)
Rechtliche Einordnung
In Hinblick auf die Ausgestaltung in Form des ermäßigten Ticketerwerbs (Modell BahnCard) mag
sich dies als weniger problematisch darstellen, da der ermäßigte Zeitkartenerwerb weiterhin
möglich ist und der Vorteil nur mittelbar an die Nutzung selbst anknüpft.
Relevanter
erscheint
dies
bei
den
weiteren
Modellen
des
allgemeinen
ÖPNV-Beitrages
(Bürger*innenticket), wobei sich die Frage beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) in tatsächlicher
Hinsicht – je nach tatsächlichem Anstieg der Nutzung – weniger dringend stellen könnte, da die
Rush Hour von vornherein ausgenommen ist. Ungeachtet der Frage, ob es tatsächlich zu einem
solchen, die Kapazitäten erreichenden Zuwachs kommen würde, könnte argumentiert werden, dass
nicht jede Verzögerung zu einem Wegfall der Nutzungsmöglichkeit per se führt. Andernfalls müsste
man auch bei wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen, bei denen der Vorteil in Form der besseren
Erreichbarkeit
der
beitragspflichtigen
Grundstücke
Gesamtverkehrssystems und dessen Verbesserung
liegt23
und
der
besseren
Nutzbarkeit
des
– die Frage stellen, ob das Vorliegen eines
morgendlichen Staus auf den betroffenen Straßen zu einem Wegfall des Vorteils und damit der
Beitragspflicht führt. Allenfalls könnten Kapazitätsprobleme den Umfang des Vorteils schmälern,
führen aber, wenn sie sie nicht so massiv auftreten, dass eine Nutzung des ÖPNV zu gewissen
Zeiten praktisch unmöglich ist, nicht zu einem gänzlichen Wegfall des Vorteils. Auch hier lässt sich,
wie oben (unter a)) angedeutet, möglicherweise die Rechtsprechung des BVerfG heranziehen,
wonach anstelle eines Wirklichkeitsmaßstabes ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausreicht. Dies
könnte auch für die Frage an Bedeutung gewinnen, ob der Gesetzgeber bei Einführung eines
allgemeinen ÖPNV-Beitrags davon ausgehen muss, dass sämtliche Beitragsschuldner*innen sofort
einen Umstieg vom MIV auf den ÖPNV vornehmen und der Vorteil dann anhand dieser theoretisch
berechneten Nachfragesteigerung und der hierdurch ausgelösten Kapazitätsprobleme zu ermitteln
ist.
Zieht man die oben (vgl. Kap. 3.3.1 a)) bereits unter dem Aspekt der Leistungsfähigkeit (der
öffentlichen Einrichtung) erwähnte Parallele zum MIV, erscheint die Wertung konsistent. Danach
stellt die ÖPNV-Nutzungsmöglichkeit dann einen Vorteil dar bzw. liegt Leistungsfähigkeit vor, wenn
sie als ein Äquivalent zum MIV angesehen werden kann. Da auch der MIV Staus unterliegt, scheinen
geringe Verzögerungen in der ÖPNV-Abwicklung hinnehmbar.
Ebenso könnten derartige, den Vorteil kurzfristig beeinträchtigende Verzögerungen im Rahmen der
Beitragsbemessung berücksichtigt werden.
Insgesamt wird der Instandhaltung und dem Ausbau des ÖPNV eine zentrale Rolle im Rahmen des
allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) zukommen, da nur ein leistungsfähiger ÖPNV zur
(dauerhaften) Heranziehung des Beitrages berechtigt – was bei steigenden Fahrgastzahlen mit einer
Weiterentwicklung einhergeht. Dieser Betrachtung wird das Gesetz in § 26 Abs. 2 Satz 2 MobG
gerecht, das bereits eine Entwicklung des Strecken- und Liniennetzes, unter Beachtung der
längerfristigen Mobilitätsentwicklung, insbesondere auch der Anforderungen der vorhandenen und
potenziellen Fahrgäste, vorsieht.
23
Vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10.
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d)
In
Beitragsschuldner*innen
allen
Ausgestaltungsmöglichkeiten
sollen
die
Bürger*innen
Berlins
der
Beitragspflicht
unterliegen. Allein die Weite dieses Personenkreises steht der rechtlichen Einordnung als Beitrag
nicht entgegen. Es kann also nicht aus der bloßen Weite des Kreises der Beitragspflichtigen dem
Beitrag die Qualifikation als solcher abgesprochen und eine Steuerähnlichkeit behauptet werden.
Denn dies würde den Umstand geringschätzen, dass es im Falle der Steuer gerade an einer
konkreten Gegenleistung fehlt. Das BVerfG führte in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag
diesbezüglich aus, dass gar alle Bürger*innen zu Beiträgen herangezogen werden können, sofern
ihnen jeweils ein individuell-konkreter Vorteil zugerechnet werden kann.24 Unter Zugrundelegung
des bereits in Kap. 3.3.1 a) genannten objektiven Kriteriums der Leistungsfähigkeit erscheint es –
je nach Bewertungsmaßstab für das Kriterium – möglich, dass allen in Berlin gemeldeten Personen
der Vorteil in Form der Nutzungsmöglichkeit zur Verfügung steht.
aa)
Zweitwohnungsinhaber*innen
Zunächst wirft das Urteil zum Rundfunkbeitrag die Frage auf, ob auch Berliner*innen erfasst sind,
die lediglich ihren Zweitwohnsitz in Berlin und ihren Erstwohnsitz in einem anderen Bundesland
haben. Das BVerfG sieht es als unzulässig an, wenn Zweitwohnungsinhaber*innen für denselben
Vorteil doppelt herangezogen werden, es führt dazu aus:
„Der Vorteil ist personenbezogen in dem Sinne, dass es auf denjenigen Vorteil aus dem
Rundfunkempfang ankommt, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen
können […]. Das Rundfunkangebot kann aber von einer Person auch in mehreren
Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden. Das Innehaben weiterer
Wohnungen erhöht den Vorteil der Möglichkeit zur privaten Rundfunknutzung nicht […].
[…] Da der durch den Beitrag abgeschöpfte Vorteil nicht in einer Wertsteigerung der
Wohnung liegt […], erhöht sich der Vorteil der Möglichkeit des Rundfunkempfangs durch
die Nutzung einer weiteren Wohnung nicht. Nach der derzeitigen Regelung ist mit der
Heranziehung einer Person in der Erstwohnung der Vorteil abgeschöpft, und kommt
insoweit eine erneute Heranziehung einer Zweitwohnung nicht in Betracht.“25
In Bezug auf den allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) lässt sich festhalten, dass es
wesentliche Unterschiede zum Rundfunkbeitrag gibt. Zwar kann der Vorteil nur genutzt werden,
wenn die beitragspflichtige Person in der Stadt ist, jedoch wäre der Vorteil – selbst, wenn am Ort
des Erstwohnsitzes auch ein ÖPNV-Beitrag erhoben werden würde oder reguläre Fahrpreise zu
entrichten wären – nicht durch die Heranziehung zum Beitrag am Ort des Erstwohnsitzes
abgeschöpft, denn am Zweitwohnsitz bestünde ja gerade die Nutzungsmöglichkeit, die nicht mit
derjenigen am Erstwohnsitz in eins fällt oder abgegolten wäre. Es handelt sich diesbezüglich um
zwei unterschiedliche Vorteile, die jeweils die (ggf. aus Gründen der Vorteilsgerechtigkeit
preisreduzierte)
Nutzungsmöglichkeit
des
räumlich-begrenzten
Tarifverbundes
ermöglichen.
Insofern erhöht das Innehaben der weiteren Wohnung den Vorteil der Nutzungsmöglichkeit.
24
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 67; BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1
BvR 668/10, 1 BvR 2104/10, Rn. 52.
25
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 107.
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bb)
Weitere Konkretisierung und soziale Staffelung
Sowohl bei der Auswahl der Schuldner*innen als auch bei der Bemessung der Beitragshöhe (dazu
e) bb)) stellt sich die Frage nach der sozialen Ausgestaltung des Beitrages. Dies betrifft zum einen
den Umgang mit bereits nach geltender Rechtslage privilegierten Nutzergruppen sowie zum anderen
die Möglichkeit weiterer Privilegierungen im Rahmen der Beitragsausgestaltung.
Hinsichtlich der Heranziehung als Beitragsschuldner*in lässt sich feststellen, dass mehrere Kriterien
zur Konkretisierung herangezogen werden können. Zum Teil werden Ansätze diskutiert, nach denen
die Zahlungspflicht auf bestimmte Altersgruppen (z. B. alle über 18 Jahren oder alle zwischen 18
und 65 Jahren) oder Personengruppen mit bestimmten Einkommen beschränkt wird. 26 Zieht man
die Parallele zum Rundfunkbeitrag, so ist festzustellen, dass § 4 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag
(RBeitrStV) mehrere Befreiungs- bzw. Ermäßigungstatbestände enthält. Befreit sind z.B.
Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Empfänger*innen
von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II). Eine ähnliche, katalogähnliche, Ausgestaltung wäre auch im Rahmen
eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) denkbar.
Der Nachteil einer Heranziehung allein Anhand des Alters liegt in der Benachteiligung
einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen. Im Ergebnis wird daher eine Kombination der beiden
genannten Ansätze in Form der Beitragsstaffelung nach Alters- und Einkommensaspekten
befürwortet, da so der Nachteil einer Heranziehung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen
abgemildert werden könnte.27
Ausgenommen sind Personen, bei denen bereits höherrangiges (Bundes-)Recht eine unentgeltliche
Beförderung vorsieht.28 So sieht das Bundesrecht in § 228 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) z.B.
die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen vor, die infolge ihrer Behinderung in
ihrer Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind.
Da sich die Erstattung der Fahrgeldausfälle an den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen 29 orientiert
und die Zumutbarkeit des Eingriffs in das Recht der freien Berufsausübung, der aus der
Verpflichtung zur unentgeltlichen Mitnahme resultiert, nur aufgrund der Koppelung mit einem
Erstattungsanspruch gegeben ist, ist jedoch im Rahmen der Umsetzung eine Ausgleichslösung zu
finden. Eine neue Ausgleichslösung erscheint notwendig, da ein Beitrag wohl nicht als
Fahrgeldeinnahme anzusehen ist. Dabei handelt es sich jedoch eher um eine Frage der Umsetzung,
als um eine Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit. Allgemein wird dafür plädiert, die bestehenden
Befreiungen auch im Rahmen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) bestehen zu
lassen.30
26
Vgl. Maaß/Waluga/Weyland, Grundlagen- und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin, Endbericht des Hamburg Instituts für die
Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, 2015, S. 49 f.
27
So auch: Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 232; Maaß/Waluga/Weyland, Grundlagen- und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in
Berlin, Endbericht des Hamburg Instituts für die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, 2015, S. 50.
28
Vgl. z.B. § 228 Abs. 1 SGB IX für schwerbehinderte Menschen.
29
Vgl. dazu § 231 Abs. 2 SGB IX: Fahrgeldeinnahmen im Sinne dieses Kapitels sind alle Erträge aus dem Fahrkartenverkauf. Sie umfassen
auch Erträge aus der Beförderung von Handgepäck, Krankenfahrstühlen, sonstigen orthopädischen Hilfsmitteln, Tieren sowie aus erhöhten
Beförderungsentgelten.
30
Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 232.
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Ebenso
sind
diejenigen
Bürger*innen
nicht
erfasst,
bei
denen
schon
eine
realistische
Nutzungsmöglichkeit nicht besteht, z. B. Bettlägerigen. Das BVerfG hat hinsichtlich der Befreiung
von Zweitwohnungsinhaber*innen im Rahmen des Rundfunkbeitrages zugelassen, dass diese auf
Antrag befreit werden können, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. 31 Da im Beispielsfall
noch weniger Daten zur Verfügung stehen als im Falle einer Zweitwohnung, erscheint eine Befreiung
auf Antrag sachgemäß.
e)
Beitragshöhe
Auch bei der Bemessung der Beitragshöhe sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen
einzuhalten, wobei einzelne der insbesondere aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Grundsätze
auch einfachrechtlichen Niederschlag im GebBtrG gefunden haben.
aa)
Verwendungszweck und Grundprinzipien des Gebühren- und Beitragsrechts
Die Beitragserhebung darf nur für die im Gesetz zu benennenden Zwecke stattfinden 32 - im Bereich
des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket) also zur funktionsgerechten Ausstattung des
ÖPNV.
Darüber hinaus gilt im Bereich des Beitrages das Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass der
erhobene Beitrag nicht im Missverhältnis zu dem Vorteil stehen darf, den er abgelten soll. 33 Das
Prinzip spiegelt sich auch in § 8 Abs. 5 GebBtrG wider, wonach die Höhe des Beitrages nach den
durch die Anlage begründeten Vorteilen zu bemessen ist. Auch, wenn der allgemeine ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket) einer neuen gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. Kap. 3.1), ist das Prinzip
gleichwohl heranzuziehen, da es einen verfassungsrechtlichen - mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG
abzuleitenden Grundsatz der Belastungsgleichheit - Gehalt aufweist.
Der Vorteil bei einem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) liegt, wie bereits ausgeführt,
in der fahrscheinlosen Nutzungsmöglichkeit des ÖPNV. Der Wert dieser Möglichkeit entspricht dem
Wert einer derzeit käuflichen Monatskarte in dem Geltungsbereich des Nutzungsrechts.34 Für das
Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) könnte der Wert des derzeit zu erwerbenden 10-Uhr-Tickets ein
Maßstab sein. Bei der Ausgestaltung in Form des preisreduzierten Ticketerwerbs – Modell BahnCard
– fehlt eine solch naheliegende Bezugsgröße – eventuell ließe sich hier jedoch mit den bereits
vorhandenen Ermäßigungen ein Maßstab finden. Da jedoch mit dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket) nur ein Teil der ÖPNV-Kosten gedeckt werden soll und der Vorteil insofern
über die Beitragshöhe hinausgeht, ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips ohnedies nicht zu
erwarten.
Ebenso ist das Kostendeckungsprinzip zu beachten, das einerseits ein Kostendeckungsgebot und
andererseits ein Kostenüberschreitungsverbot umfasst.35 Für den allgemeinen ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket)
bedeutet
dies,
dass
das
Beitragsaufkommen
nicht
die
tatsächlich
entstehenden Kosten überschreiten darf. Wenn dieser Beitrag im Rahmen einer vollständigen
31
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 111.
32
BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn. 96.
33
BVerwG, Beschluss vom 21.09.2001 – 9 B 51/01.
34
So Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 237.
35
Schönenbroicher, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, D Rn. 591.
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Umlage – die neben der staatlichen Grundfinanzierung erhoben wird – allein die bisherigen
Fahrscheinerlöse der Berliner*innen ersetzt, liegt keine Verletzung des Prinzips vor.
bb)
Senkung und Staffelung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages (Bürger*innenticket)
Der allgemeine ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) darf keine unzumutbare Belastung für die
Beitragspflichtigen darstellen, die den ÖPNV nicht nutzen wollen.
Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zum Semesterticket für die Frage der Zumutbarkeit auf den
einem Studierenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehenden monatlichen
Bedarfssatz als Vergleichsgröße abgestellt.36 Ebenso führte das Gericht aus, dass ergänzend zu
dieser quantitativen Betrachtung nachrangig eine Reihe qualitativer Faktoren, wie verbesserte
örtliche Umweltbedingungen und eine Entspannung der Parkplatzsituation in Folge der ÖPNVNutzung, zu berücksichtigen seien.37 Zum Teil werden diese Grundsätze auf die Bemessung eines
ÖPNV-Beitrages übertragen und als Vergleichsgröße auf das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt
abgestellt, wobei ein Prozentsatz von 1 bis 1,5 Prozent vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen
als zumutbar angesehen wird.38 Für einen ermäßigten ÖPNV-Beitrag wird die Orientierung am
BAföG-Satz (inkl. Wohnpauschale sowie Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag) bzw. an Regelbedarfssätzen diskutiert39, wobei sowohl beim regulären als auch beim ermäßigten Beitragssatz ein
günstigerer Satz herauskommt, als beim Erwerb eines Monatstickets.40 Das Äquivalenzprinzip ist
danach gewahrt.
Ebenso sind weitere Ermäßigungen denkbar. Derzeit sind Fahrscheine für Auszubildende und
Schüler*innen oft ermäßigt sind. Da Schüler*innen über kein Einkommen verfügen, erscheint,
sofern ein Pro-Kopf-Maßstab gewählt wird, eine Befreiung sinnvoll (vgl. auch d) bb)), für
Auszubildende eine Ermäßigung. Dabei müsste jedoch in jedem Fall die bundesrechtliche Pflicht
nach § 45a Personenbeförderungsgesetz (PBefG) berücksichtigt werden. Ebenso könnte man über
eine besondere Bemessung für Senior*innen nachdenken und auf die durchschnittlich gewährte
Rente abstellen.
Eine weitere Ausdifferenzierung könnte anhand der bereits existierenden Tarifzonen erfolgen (A/BBereich). Dafür könnte sprechen, dass – bei Betrachtung des für die Gebührenhöhe maßgeblichen
Vorteils – dieser im A-Bereich größer sein könnte als im B-Bereich, da in diesem, durch ein
Zusammentreffen mehrerer Linien, eine bessere Anbindung erreicht wird. Andererseits legt die im
B-Bereich wohnende Person ggf. größere Strecken zurück, um insbesondere in die innerstädtischen
Bezirke zu gelangen, wo sich ggf. der Arbeitsplatz sowie kulturelle Einrichtungen etc. befinden, so
dass insoweit möglicherweise auch von einem größeren Vorteil gesprochen werden könnte. Zwar
findet eine derartige Differenzierung im Bereich der jetzt zu kaufenden Monatskarten nicht statt –
die für den A/B- oder den B/C-Bereich gekauft werden können, jedoch unterliegen diese Fahrscheine
auch nicht dem Erfordernis einer Bemessung anhand eines konkret-individuellen Vorteils.
36
BVerwG, Urteil vom 12.05.1999 – 6 C 14.98 = BVerwGE, 109, 97, 113 f., der Beitrag von monatlich 14 DM wurde angesichts eines
Bedarfssatzes von monatlich 865 DM als verhältnismäßig gering (ca. 1,6 %) und damit als zumutbar eingestuft.
37
BVerwG, Urteil vom 12.05.1999 – 6 C 14.98 = BVerwGE, 109, 97, 113 f.
38
So Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 233 ff.
39
Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 235 f.
40
Vgl. Gruber, Die ÖPNV-Abgabe, 2018, S. 237 f.
27/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Eine Orientierung könnte auch – jenseits der Orientierung an örtlichen Tarifzonen – anhand von
Kriterien, wie z. B. Bedienungs- und Attraktivitätsstandards41 erfolgen.
Angesichts des avisierten ÖPNV-Ausbaus in Berlin, könnte – parallel mit der damit einhergehenden
Vorteilssteigerung – auch der Beitragssatz steigen.
cc)
Wiederkehrende Erhebung
Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung steht dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket) nicht entgegen. Nach diesem Grundsatz kann ein Beitrag nur einmal für
dieselbe Leistung erhoben werden; die weitere Beitragsveranlagung setzt somit einen zusätzlichen
Vorteil voraus.42 Dass eine wiederkehrende Beitragserhebung zulässig ist, hat das BVerfG in seiner
Entscheidung zu wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen entschieden.43 Da vorliegend der
Vorteil, die Möglichkeit der – beim Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) zeitlich eingeschränkten –
fahrscheinlosen ÖPNV-Nutzung bzw. des preisreduzierten Ticketerwerbs (Modell BahnCard), jeden
Monat neu zur Verfügung steht, lässt sich feststellen, dass eine wiederkehrende Erhebung möglich
ist.
f)
ÖPNV als öffentliche Einrichtung
Bei dem ÖPNV handelt es sich letztlich auch um eine öffentliche Einrichtung für deren Unterhaltung
ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) erhoben werden kann. Der Begriff der
öffentlichen Einrichtung umfasst Einrichtungen, mit denen die Gemeinde die ihr zugewiesenen
Aufgaben erfüllt - die Einrichtungen werden im Interesse der Allgemeinheit betrieben und stehen
zur allgemeinen Benutzung offen.44 Wie bereits festgestellt erfüllt das Land Berlin mit dem ÖPNV
die ihm nach § 1 RegG in Verbindung mit dem MobG obliegende Sicherstellung mit einer
ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV.
3.3.2
Aspekte der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG
Ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) würde keinen Verstoß gegen die allgemeine
Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Das Grundrecht schützt die Handlungsfreiheit
im umfassenden Sinne – womit jedes Tun und Lassen nach dem eigenen Willen, frei von staatlichem
Zwang, verstanden wird.45 Somit ist auch die Freiheit geschützt, etwas nicht zu müssen, im Sinne
eines Benutzungszwangs.46 Vorliegend besteht keine Pflicht zur Nutzung des ÖPNV, womit eine
Verletzung ausscheidet.47
41
Vgl. zu diesen Kriterien: Nahverkehrsplan Berlin 2019-2023, Stand: 25. Februar 2019, Kapitel III.1.3, III.1.5.
42
Vgl. Göppl, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, E Rn. 9.
43
BVerfG, Beschluss v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10, Rn. 46 ff.
44
Wissenschaftliche
Dienste,
WD
4
–
3000
–
268/12,
10.12.2012,
Umlagefinanzierung
für
den
fahrscheinlosen
Öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV), S. 11.
45
Ständige Rechtsprechung seit BVerfG, Urteil v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – Elfes-Urteil; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 87. EL März 2019, Art. 2 Rn. 12.
46
Lang, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 41. Ed. 15.02.2019, Art. 2 Rn. 7.
47
Vgl. hierzu auch zum Rundfunkbeitrag: BVerfG, Urteil v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, Rn.
135, das jedoch schon einen Eingriff verneint.
28/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Im Rahmen einer Beitragserhebung ist ebenfalls die Verhältnismäßigkeit zu wahren,48 was, je nach
konkreter Ausgestaltung – wie bereits unter Kap. 3.3.1 e) aa) ausgeführt – möglich ist.
3.3.3
a)
Europarechtliche Aspekte
Beihilfenrecht
Weiterhin
stellt
sich
die
Frage
der
Zulässigkeit
des
allgemeinen
ÖPNV-Beitrages
(Bürger*innenticket) unter beihilferechtlichen Aspekten. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind
als Anstalt öffentlichen Rechts im Rahmen der Daseinsvorsorge als sogenannter „interner Betreiber“
mit der Aufgabe des ÖPNV in Berlin betraut, während für den S-Bahn-Betrieb ein Vergabeverfahren
durchgeführt wird. Beides erfolgte in Anwendung der Verordnung (EG) 1370/2007 im Einklang mit
den Bestimmungen des EU-Beihilfenrechts.
Im Rahmen des öffentlichen Personenverkehrs knüpft die Verordnung (EG) 1370/2007, die
Ausgleichsleistungen
für
gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen
enthält,
an
bestimmte
Voraussetzungen an. Art. 2 lit. e) VO 1370/2007 definiert die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung
als eine
„[…] von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick
auf
die
Sicherstellung
von
im
allgemeinen
Interesse
liegenden
öffentlichen
Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen
wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen
Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte“.
Die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) wird mit der Verpflichtung
der Verkehrsbetriebe einhergehen, die Beitragsschuldner*innen fahrscheinlos bzw. zu reduzierten
Tarifen zu transportieren, was im Rahmen der Betrauung bzw. Vergabe zu berücksichtigen ist. Für
die Verkehrsbetriebe handelt es sich – gemessen an der Definition – um eine (zusätzliche)
gemeinwirtschaftliche Verpflichtung, da diese unter Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen
Interessen49 eine Beförderung nicht ohne Gegenleistung anbieten würden. Insoweit müsste der
Betrauungsakt, der der Indienstnahme des internen Betreibers zugrunde liegt, erweitert werden.
Bei der Bemessung der Kompensation unterscheidet die Verordnung nach dem Zustandekommen
der Verpflichtung. Bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens nach allgemeinem Vergaberecht
geht die Verordnung davon aus, dass das Verfahren eine der Höhe nach angemessene –
Überkompensierung vermeidende – Ausgleichsleistung sicherstellt, während im Rahmen der
direkten Vergabe an einen internen Betreiber Art. 4 Abs. 1b Satz 2 und Art. 6 Abs. 1 Satz 2 VO
1370/2007 zu beachten sind.50 Danach darf die Ausgleichsleistung nicht den Betrag überschreiten,
der erforderlich ist, um die finanziellen Nettoauswirkungen auf die Kosten und Einnahmen zu
decken, die auf die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung zurückzuführen sind, wobei
48
Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. A 2016, Art. 2 Rn. 27a.
49
Der nicht primär kommerzielle Daseinsvorsorgeauftrag der BVG (vgl. § 3 Abs. 1 S. 4 BerlBG) bliebe bei dieser abstrakt-generellen
europarechtlichen Betrachtung notwendigerweise außer Betracht.
50
Núñez Müller, in: Säcker (Hrsg.), Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 5, 2. A. 2018, Teil 8 Sektoren, Rn. 642.
29/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
die vom Betreiber eines öffentlichen Dienstes erzielten und einbehaltenen Einnahmen und ein
angemessener Gewinn zu berücksichtigen sind. Die unmittelbare Nettoauswirkung wäre eine
Senkung der Fahrgeldeinnahmen (Zeitkarten und Einzelfahrscheine) um einen erheblichen Betrag.
Dieser müsste ausgeglichen werden. Ob dieser erhöhte Ausgleich aus Steuermitteln oder bei
Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) teilweise aus Beiträgen
finanziert würde, ist beihilfenrechtlich irrelevant, da es in jedem Fall um staatliche Mittel i.S. des
Art. 106 Abs. 1 AEUV und um eine Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen i.S.
des Art. 2 lit. g VO 1370/2007 handeln würde.
Im Falle der S-Bahn würde eine Anpassung des entsprechenden Verkehrsvertrags jedenfalls im
Hinblick auf die kostenlose Benutzung der S-Bahnen durch die Beitragspflichtigen nicht aus Gründen
von Ausgleichsleistungen für die Betreiberin erforderlich sein. Denn nach Informationen durch die
SenUVK wurde hier ein sog. „Brutto-Vertrag“ geschlossen, bei dem die Betreiberin (S-Bahn Berlin
GmbH) kein Erlösrisiko trägt. Der Verzicht auf Fahrgeldeinnahmen durch Einführung eines
Bürger*innentickets würde sich daher unmittelbar beim Land Berlin einstellen. Die Zahlung bliebe
insoweit gleich und stiege nur bei Ausweitung des Verkehrsangebots.
Beihilfenrechtliche Erwägungen stehen dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) somit
nicht entgegen.
b)
Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV
Eine Beitragseinführung wirft weitere europarechtliche Fragen auf, da das Diskriminierungsverbot
des Art. 18 AEUV nicht nur Sachverhalte erfasst, die direkt an die Staatsbürgerschaft anknüpfen,
sondern auch solche, die an ähnliche Merkmale – wie den Wohnsitz51 – anknüpfen.52 Bei diesem
Merkmal wird angenommen, dass es sich eher auf Ausländer*innen als auf Inländer*innen
auswirkt.53 Dabei ist es unerheblich, wenn gleichzeitig die weit überwiegende Mehrheit der
Inländer*innen benachteiligt wird.54
Nach dem Konzept des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) in seinen drei Ausgestaltungsvarianten hätten die Beitragspflichtigen ein Recht auf kostenlose Nutzung des ÖPNV in
Berlin über den ganzen Tag, oder in den Off-Peak-Zeiten oder zu ermäßigten Preisen. Die
Nichtbeitragspflichtigen würden dagegen allgemeine Fahrpreise (Einzelfahrscheine oder Zeitkarten)
zu zahlen haben, auch in den Off-Peak-Zeiten etwa ein (ermäßigtes) 10-Uhr-Ticket zu lösen haben
oder generell die allgemeinen (nicht ermäßigten) Fahrpreise zu teilen haben, soweit sie nicht in
anderer Weise Ermäßigungsansprüche haben. Hierzu könnten auch (neben Inländer*innen, die
keinen Wohnsitz in Berlin haben) Angehörige aus anderen EU-Mitgliedsstaaten zählen. Unter diesem
Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob einer solchen Regelung das Verbot der Diskriminierung aus Gründen
der Staatsangehörigkeit aus Artikel 18 AEUV entgegensteht. Es ist zwar nicht von vorneherein
ausgeschlossen, dass auch Gründe einer dem Klimaschutz dienenden innovativen ÖPNV-
51
Vgl. EuGH, Urteil v. 16.01.2003 – Rs. C-388/01.
52
Allgemein dazu: Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. A. 2016, Art. 18 AEUV Rn. 12 f.
53
Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2017, Art. 18 AEUV Rn. 18 m.w.N.
54
EuGH, Urteil v. 14.06.2012 – Rs. C-542/09; EuGH, Urteil v. 16.01.2003 – Rs. C-388/01.
30/134
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Finanzierung als Rechtfertigung taugen. Die Umweltrechtfertigung ist jedoch im Bereich der
Grundfreiheiten noch nicht so stark entwickelt, um eine vollständige Aussage treffen zu können.
Die Rechtsprechung geht jedoch inzwischen davon aus, dass gerade mittelbare Diskriminierungen
rechtfertigungsfähig sind.55 Zur Rechtfertigung können alle öffentlichen Interessen, nicht jedoch
wirtschaftliche Gründe herangezogen werden – wobei stets die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.56
Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit ist zu empfehlen, die durch eine Beitragserhebung
hervorgerufene Ungleichbehandlung aufzuheben. Dies könnte durch die Möglichkeit einer
freiwilligen Beitragsunterwerfung auf Antrag geschehen. Nach positiver Bescheidung des Antrages
dürften die Antragsteller*innen dieselben Vergünstigungen in Anspruch nehmen wie die in Berlin
Gemeldeten.
3.4 Einziehung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
Weiterhin stellt sich die Frage, ob ein so ausgestalteter allgemeiner ÖPNV-Beitrag durch die Berliner
Finanzämter eingezogen werden müsste oder ob die Einziehung durch andere Stellen, z.B. einen
ÖPNV-Betreiber, erfolgen kann. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob – wenn ein ÖPNVBetreiber den allgemeinen ÖPNV-Beitrag einziehen kann – dieser weitergeleitet werden müsste.
Betrachtet wird zunächst die BVG, welche als sog. interner Betreiber mit der Aufgabe des ÖPNV
betraut ist. Begutachtet wird insofern allein die Frage des rechtlichen Dürfens bzgl. der Einziehung;
Änderungen im (jeweiligen) Verhältnis BVG-VBB-Land Berlin, insbesondere bzgl. der nachfolgenden
Mittelverteilung und -verwendung, gehen damit nicht einher. Die bereits bestehenden Aufgaben der
BVG lassen sich § 3 Abs. 4 Berliner Betriebe-Gesetz entnehmen:
„Aufgabe der BVG ist die Durchführung von öffentlichem Personennahverkehr für Berlin
mit dem Ziel kostengünstiger und umweltfreundlicher Verkehrsbedienung sowie aller
hiermit in technischem und wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Die
BVG wird im Wesentlichen für das Land Berlin tätig.“
Der
allgemeine
ÖPNV-Beitrag
wird
gerade
für
den
Vorteil
der
kostenlosen
ÖPNV-
Nutzungsmöglichkeit erhoben. Auch bei jetziger Gesetzeslage könnte man daher argumentieren,
dass die Beitragserhebung mit der Verkehrsbedienung in einem wirtschaftlichen Zusammenhang
steht, womit eine Kompetenz angenommen werden könnte. Dagegen ließe sich jedoch einwenden,
dass es sich vielmehr um einen rechtlichen Zusammenhang handele, der gerade nicht umfasst sei.
Angesichts des Umfangs einer Beitragserhebung und der ohnehin notwendigen Gesetzesänderung
erscheint es jedoch vorzugswürdig, sofern diese Art der Ausgestaltung favorisiert wird, eine
Erhebungskompetenz der BVG ausdrücklich mit zu regeln, da sich Auslegungsschwierigkeiten auf
diesem Wege vermeiden ließen.
Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob die BVG den allgemeinen ÖPNV-Beitrag lediglich einzieht
oder ob dieser auch bei ihr verbleiben könnte. Betrachtet man die Parallele zum Rundfunkbeitrag,
55
Vgl. EuGH Urteil v. 3.10.2000 – Rs. C-411/98; Allgemein zum Streitstand: Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht
der Europäischen Union, Band I, 68. Ergänzungslieferung Oktober 2019, Art. 18 AEUV Rn. 20 ff.
56
Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. A. 2016, Art. 18 AEUV Rn. 38 f.
31/134
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der von einem Beitragsservice, einer öffentlich-rechtlichen, nicht rechtsfähigen Gemeinschaftseinrichtung, erhoben und an die Landesrundfunkanstalten der ARD, das ZDF und das Deutschlandradio weitergeleitet wird,57 so zeigt dies, dass eine Einziehung möglich ist. Die BVG ist eine Anstalt
des öffentlichen Rechts, was zunächst für eine Übertragbarkeit dieser Abwicklung spricht. Für eine
Weiterleitung an das Land spricht im vorliegenden Fall, dass Berlin Aufgabenträger für den
Schienenpersonennahverkehr und den übrigen Personennahverkehr ist und die ÖPNV-Beiträge nicht
vollumfänglich bei der BVG verleiben, sondern auch weitergeleitet werden müssen.
Insgesamt erscheint es daher möglich, durch Gesetzesänderung einen ÖPNV-Betreiber zur
Einziehung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages zu ermächtigen. Diesen müsste dieser dann an das
Land abführen. Dabei gilt es zu bedenken, dass – bei einer parallelen Ausgestaltung zum
Rundfunkbeitrag – der*die ÖPNV-Betreiber*in dann auch für das Forderungsmanagement
insgesamt zuständig wäre, also für die Eintreibung von Zahlungsrückständen.58
3.5 Zwischenergebnis
Für die Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrages bedarf es einer neuen gesetzlichen
Grundlage, für die das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Für eine Beitragserhebung
muss anhand von noch zu bestimmenden Kriterien, wie z. B. räumlicher und zeitlicher
Erreichbarkeit des ÖPNVs, ein individuell-konkreter Vorteil festgestellt werden. Ein hohes
Aufkommen an Nutzer*innen, das zur zeitweisen Erreichung von Kapazitätsgrenzen führt, steht der
Annahme eines Vorteils nicht per se entgegen.
Als Beitragsschuldner*innen kommen alle in Berlin gemeldeten Personen in Betracht, wobei auf
Antrag Befreiungen von der Beitragspflicht zu erteilen sind, wenn eine Nutzung faktisch nicht
möglich ist (z. B. Bettlägerigkeit). Bisherige Befreiungen werden beibehalten.
Im Rahmen der Beitragshöhe ist auf die Einhaltung des Äquivalenzprinzips zu achten, wobei im
Rahmen der Zumutbarkeit der Beitragshöhe für den regulären Beitragssatz auf das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt und für den reduzierten Beitragssatz auf den BAföG-Satz
abgestellt werden könnte.
57
Vgl. https://www.rundfunkbeitrag.de/der_rundfunkbeitrag/beitragsservice/index_ger.html;
https://www.rundfunkbeitrag.de/impressum/index_ger.html (letzter Aufruf: 28.05.2020).
58
Vgl. zum Rundfunkbeitrag: ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice, Jahresbericht 2018, S. 20 f.
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4
FINANZIERUNG DURCH NUTZNIEßER*INNEN DES
ÖPNV
Es stellt sich die Frage, ob die Finanzierung des ÖPNV auch durch Nutznießer*innen, die zwar nicht
selbst aber abgeleitet aus der ÖPNV-Nutzung Dritter Vorteile erlangen, möglich ist. Auf Grundlage
dieser Überlegung werden nachfolgend zwei Varianten der Umsetzung darstellt:
•
Einführung eines Beitrags für Nutznießer*innen wie Grundstückseigentümer*innen oder –
nutzungsberechtigte,
Gewerbebetriebe
mit
und
ohne
Arbeitgeberfunktion
sowie
Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes.
•
Erhöhung der bestehenden Übernachtungssteuer für Beherbergungsbetriebe.
Nachfolgend werden die beiden Instrumente getrennt dargestellt, da für Beiträge und Steuern
finanzverfassungsrechtlich andere Voraussetzungen gelten.
4.1 Einführung eines Beitrags
4.1.1
Ausgangspunkt
Als Nutznießende des ÖPNV werden jene Akteur*innen bezeichnet, die einen Vorteil aus der ÖPNVAnbindung generieren, auch wenn sie selbst dieses öffentliche Beförderungsangebot gar nicht
nutzen. Vielmehr werden Nutznießer*innen als Finanzierungsverantwortliche betrachtet, weil sie
aus der ÖPNV-Nutzung Dritter einen mittelbaren, abgeleiteten Vorteil erlangen, weshalb dieser
Finanzierungsweg - etwas missverständlich – auch als „Drittnutzerfinanzierung“ bezeichnet wird.
Tatsächlich werden aber in keiner Variante der Nutznießerfinanzierung Personen herangezogen, die
selbst das ÖPNV-Angebot nutzen, sondern es geht um einen Zugriff auf geldwerte Vorteile, die
aufgrund der Existenz eines attraktiven ÖPNV-Angebots gleichsam als Tatsachenreflex bei NichtNutzer*innen entstehen. Mit der Ausdehnung der Finanzierungsverantwortung auf solche
Nutznießer*innen gelingt es, bisher brachliegende positive externe Effekte für die Deckung des
ÖPNV-Aufwands zu erschließen.
In Deutschland ist eine Nutznießerfinanzierung öffentlicher Personenbeförderungsleistungen noch
nie in der Praxis realisiert worden. In anderen Ländern stellt sie dagegen eine wesentliche
Komponente des Finanzierungssystems dar. So werden in Paris etwa 50 % des ÖPNVGesamtaufwands durch Nutznießerbeiträge abgedeckt; in Hong Kong sind es etwa 35 %.59
Als Nutznießer*innen des ÖPNV, deren Bevorteilung durch das System besonders naheliegt,
kommen insbesondere drei Gruppen von Abgabenschuldner*innen in Betracht:
1. Grundstückseigentümer*innen oder -nutzungsberechtigte
2. Gewerbebetriebe mit und ohne Arbeitgeberfunktion
3. Inhaber*innen eines Übernachtungsgewerbes.
59
CODATU, Qui paie quoi en matière de transport urbain, 2014, page 136.
33/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Bevor die rechtliche Zulässigkeit der Erhebung einer Nutznießerabgabe geprüft werden kann, ist
zunächst der tatsächliche Bezugspunkt unserer rechtlichen Analyse klar herauszuarbeiten.
Ausgangspunkt ist die Frage, was eine Nutznießerfinanzierung definiert und was sie von verwandten
Kostenumlagevarianten unterscheidet.
Unter den Begriff der Nutznießerfinanzierung werden je nach Definitionstoleranz oft recht
verschiedenartige öffentlich-rechtliche Belastungsvarianten subsumiert. In der vorliegenden
rechtlichen Untersuchung möchten wir uns in Abgrenzung zu den anderen hier beleuchteten
Abgabenarten auf Nutznießerfinanzierungen im strengen Sinne konzentrieren. In ihrem engen
Begriffsverständnis setzt die Nutznießerfinanzierung nur bei Personen an, die nicht selbst Vorteile
aus eigener ÖPNV-Nutzung ziehen, sondern einen abgeleiteten Vorteil davon haben, dass andere
Personen das gegebene ÖPNV-Angebot nutzen oder nutzen können. Es geht also um
Abgabenschuldner*innen, die allein aufgrund ihrer sachlichen oder räumlichen Nähe zum
öffentlichen Personenbeförderungsangebot und dessen unmittelbaren Leistungen für andere eine
mittelbare Verbesserung ihrer eigenen Position erfahren.
Auch die Nutznießerfinanzierung findet ihre Rechtfertigung also im Ausgleich für eine durch
öffentliche Einrichtungen vermittelte Besserstellung der Abgabenschuldner*innen. Diese folgt aber
nicht aus der eigenen Nutzung oder Nutzungsmöglichkeit jener Einrichtung, sondern ausschließlich
aus der tatsächlichen Nutzung oder Nutzungsmöglichkeit Dritter. Darin erschöpft sich die
Legitimation der Nutznießerfinanzierung. Es ist weder begrifflich noch rechtlich erforderlich, dass
daneben für die realen ÖPNV-Nutzer*innen neue oder günstigere Bedingungen geschaffen werden.
Die so definierte Form der reinen Nutznießerfinanzierung ist von Kombinationsangeboten
abzugrenzen, die auf den ersten Blick ähnlich erscheinen. Solche Kombiangebote zeichnen sich
dadurch aus, dass der*die Endverbraucher*in – der potenzielle Fahrgast – im Rahmen des Erwerbs
eines anderweitigen Produktes gleichzeitig eine Fahrkarte für den ÖPNV erwirbt. Kombiangebote
dieser Art findet man regelmäßig im Zusammenhang mit Großveranstaltungen, wie Konzerten,
Fußballspielen usw., bei denen viele Menschen an einem Ort zusammen kommen. Die Eintrittskarte
bietet den Kund*innen damit gleichzeitig die Möglichkeit, den ÖPNV an einem bestimmten Tag ohne
weiteren Aufpreis zu nutzen. Die Fahrkarte stellt damit jedoch lediglich einen Annex zu dem
eigentlich erworbenen Produkt dar. Diesen Annex erkauft sich der*die Endverbraucher*in
üblicherweise mit einem, wenn auch geringeren als den üblichen Fahrpreis, erhobenen Aufpreis auf
den Kaufpreis des gewünschten Produktes. Der*die Endverbraucher*in erwirbt zwar mittelbar nur
eine Nutzungsmöglichkeit für den ÖPNV, es zahlt am Ende jedoch unmittelbar der*diejenige,
der*die den Nutzen aus dem Angebot ziehen kann. Darin unterscheiden sich Kombiangebote
grundlegend von der hier zu untersuchenden Nutznießerfinanzierung.
Wenn man solche Kombinationsangebote, die nun gerade keine Form der Nutznießerfinanzierung
darstellen, ausblendet, bleiben drei Archetypen echter Nutznießerfinanzierung, die nachfolgend auf
ihre rechtliche Zulässigkeit hin untersucht werden sollen:
1. Grundstückseigentümerabgabe:
Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der Gebrauchswertsteigerung von Grundstücken
aufgrund Anbindung an das ÖPNV-Netz.
34/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
2. Gewerbebetriebsabgabe:
Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der betriebsspezifischen kommerziellen Vorteile
aufgrund Anbindung an das ÖPNV-Netz.
3. Übernachtungsgewerbeabgabe:
Erhebung einer Abgabe zum Ausgleich der spezifischen kommerziellen Vorteile für
Anbieter*innen gewerblicher Übernachtungsmöglichkeiten aufgrund Anbindung an das
ÖPNV-Netz.
Allen diesen potentiellen Abgabenschuldner*innen ist gemeinsam, dass ihnen aus der Anbindung
ihrer Grundstücke oder Unternehmen an das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs
mittelbarere Vorteil erwachsen, weil nämlich Dritte in die Lage versetzt werden, die entsprechenden
Grundstücke oder Unternehmen einfacher und schneller zu erreichen.
4.1.2
Ausgestaltung als Beitrag
Fraglich ist, mit welcher Abgabenart sich eine Nutznießerfinanzierung zielführend erreichen lässt.
Ziel ist die Schaffung eines möglichst zweckgebundenen Finanzierungsinstrumentes zum Erhalt und
Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes in Berlin. Dieses Ziel lässt sich durch eine Steuer
grundsätzlich nicht erreichen. Der Begriff der Steuer ist im Grundgesetz nicht definiert. Das BVerfG
legt für die Beschreibung einer Steuer jedoch in ständiger Rechtsprechung die Merkmale der
Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Abgabenordnung („AO“) zugrunde.60 Eine Steuer zeichnet sich gem.
§ 3 Abs. 1 AO dadurch aus, dass es sich um eine Geldleistung handelt, der keine Gegenleistung
entgegensteht und die ohne weitere Spezifizierungen zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs
eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben wird. Steuern sind damit explizit nicht zweckgebunden.
Eine Zweckbindung im Hinblick auf Finanzierung eines höheren ÖPNV-Standards könnte mit dem
Mittel einer Steuer nur mittelbar erreicht werden, durch eine bindende Zuweisung in den jeweiligen
Haushaltsgesetzen.61
Auch eine Gebühr scheidet als Finanzierungsinstrument für die zweckgerichtete Nutznießerfinanzierung des ÖPNV aus.
Eine Gebühr wird gem. § 3 Abs. 1 GebBtrG als Gegenleistung für die Benutzung öffentlicher
Einrichtungen sowie für damit im Zusammenhang stehende Leistungen erhoben. Die Nutznießerfinanzierung soll jedoch ihrem Sinn und Zweck nach ausschließlich den mittelbaren Vorteil
abschöpfen, der nicht in der konkreten Nutzung des ÖPNV durch die Abgabenschuldner*innen
besteht. Die Ausgestaltung der Nutznießerfinanzierung im Rahmen einer Gebühr kommt mithin
auch nicht in Betracht.
In Betracht kommt daher einzig die Ausgestaltung der Nutznießerfinanzierung in der hier
untersuchten Form als Beitrag i. S. d. § 4 GebBtrG, wonach Beiträge zur Deckung der Kosten für
die Herstellung und die Unterhaltung der durch ein öffentliches Interesse bedingten Anlagen von
den Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibenden erhoben werden können, denen durch die
60
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 53.
61
BVerfG, Urt. v. 20.04.2019 – 1 BvR 1748/99, Ziff. C. II. 1.; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 53.
35/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Veranstaltung besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Die Belastung einer mittelbaren
Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation von Drittbegünstigten erfüllt sowohl nach
allgemeinem Finanzverfassungsrecht als auch spezifisch nach dem GebBtrG des Landes Berlin in
exemplarischer Weise den Tatbestand eines Beitrags. Wesentlich für das Rechtsinstitut des Beitrags
ist in der Diktion des BVerfG „… der Gedanke der Gegenleistung, also des Ausgleichs von Vorteilen
und Lasten …“, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Nutzung einer von der öffentlichen Hand
zur Verfügung gestellten Einrichtung.62 Legitime Anknüpfungspunkte für die Erhebung eines
Beitrags sind daher auch mittelbare Vorteile, die sich im weitesten Sinne als wirtschaftlich
beschreiben lassen (vgl. § 4 GebBtrG). § 10 Abs. 2 lit. c). Das GebBtrG erkennt für die Erhebung
von Gebühren mittelbare Begünstigungen durch „… die Leistung einer Einrichtung …“ ausdrücklich
an. Dies gilt erst recht für Beiträge, die nicht für aktive Nutzung erhoben werden, sondern als
Ausgleich für die Entstehung von wirtschaftlichen Vorteilen jeder Art (vgl. §§ 4, 8 Abs. 5 GebBtrG).
Somit kann gerade in Berlin die qualifizierte Anbindung eines Grundstücks oder eines
unternehmerischen Betriebs an das öffentliche Personenbeförderungsangebot als beitragslegitimierender „… besondere[r] wirtschaftliche[r] Vorteil[e] …“ i. S. v. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG
gelten.
a)
Gesetzgebungskompetenz
Nach Art. 87 Abs. 1 der Berliner Landesverfassung bedarf jede Erhebung von Steuern oder Abgaben
einer gesetzlichen Grundlage. Es gilt also ein strikter Gesetzesvorbehalt. Dies deckt sich mit dem
allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass die Auferlegung einer Geldleistungspflicht
stets einen hoheitlichen Eingriff in die Grundrechte der Beitragsschuldner*innen darstellt und aus
diesem Grund immer einer gesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf.63
Die Zuständigkeit zum Erlass von Gesetzen über Beiträge und Gebühren richtet sich nicht nach den
besonderen finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen der Art. 105 ff. GG, sondern nach den
Kompetenzzuweisungen für die jeweilige Sachmaterie. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes
Berlin, für die Einführung eines Beitrages für Nutznießende des ÖPNV, ergibt sich aus den
konkurrierenden Landeskompetenzen für Wirtschaft, das Kraftfahrwesen und Straßenbahnen gem.
Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 22 und 23 GG. Was die Refinanzierung der Aufgabenträger angeht, hat der
Bund von seiner Regelungskompetenz nur punktuell, jedoch keinesfalls abschließend Gebrauch
gemacht. Damit ist bereits nach Art. 72 Abs. 1 GG der Weg frei für eine landesrechtliche Regelung
neuer Finanzierungsquellen; im Anwendungsbereich von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und Nr. 22 GG
besteht gem. Art. 72 Abs. 2 GG sogar eine Vermutung für die Gesetzgebungskompetenz der Länder.
Berlin als Stadtstaat kann sich darüber hinaus bei der Einführung neuer Abgaben zur Finanzierung
seines örtlichen Personenbeförderungsangebots auch auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG berufen.
Dabei muss nicht unbedingt ein neues Gesetz erlassen werden, um die hier besprochenen
Nutznießerbeiträge einzuführen. Das geltende Gesetz über Gebühren und Beiträge des Landes
Berlin vom 22.05.1957 enthält in seinen §§ 4, 6, 8 und 10 bereits qualifizierte Ermächtigungen für
62
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 55.
63
Vgl. BVerfGE 87, 153; BVerfGE 93, 121.
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den
Senat,
durch
Rechtsverordnungen
ÖPNV-Beiträge
zu
Lasten
der
in
§ 10
Abs. 3
GebBtrG genannten mittelbar Begünstigten einzuführen. Dessen ungeachtet bleibt es dem Land
Berlin natürlich unbenommen, diese neuen Beiträge in einem spezifischen Landesgesetz zu
verankern.64
b)
Beitragsschuldner*innen
Als Beitragsschuldner*innen einer Nutznießerfinanzierung im oben definierten, engeren Sinne
kommen nach der besonderen Bestimmung in § 10 Abs. 3 GebBtrG
•
Eigentümer*innen von Grundstücken und Immobilien sowie
•
Gewerbebetriebe
in Betracht, denen die Benutzung oder Leistung des ÖPNV mittelbar zugutekommt.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht könnte man bei der grundstücksbezogenen Beitragsvariante
überlegen, ob das sachenrechtliche Eigentum immer der sachgerechteste Anknüpfungspunkt zur
Bestimmung der Beitragsschuldner*innen ist. Wie das BVerfG zutreffend ausführt, ist konstitutives
Merkmal eines Beitrags die Verknüpfung von Abgabenlast und individueller Zurechenbarkeit eines
wenigstens potentiellen Sondervorteils. Bei der Anbindung von Grundstücken an ein öffentliches
Personenbeförderungsnetz liegt dieser Sondervorteil in der Steigerung des Gebrauchswerts des
betreffenden Grundstücks.65 Da es sich bei den hier diskutierten ÖPNV-Beiträgen aber nicht um
dingliche
Belastungen
des
Immobiliareigentums
handeln
soll,
sondern
um
persönliche
Zahlungsverpflichtungen, bedarf es auch einer persönlichen Verknüpfung zwischen Sondervorteil
und Beitragsschuld. Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, dass die Verbesserung des
Gebrauchswerts eines Grundstücks aufgrund einer ÖPNV-Anbindung primär bei den konkret
nutzungsberechtigten Personen eintritt. Das wird häufig der*die Eigentümer*in sein, aber nicht
notwendigerweise in jedem Fall. Gerade bei Grundstücken sind verschiedene Arten von
Nutzungsberechtigungen auf dinglicher (z. B. Nießbrauch) und schuldrechtlicher Grundlage (z. B.
Pacht oder Leasing) denkbar.
Gleichwohl
ist
es
verfassungsrechtlich
nicht
zu
beanstanden,
als
Schuldner*in
eines
grundstücksbezogenen ÖPNV-Beitrags stets den*die zivilrechtliche*n Grundstückseigentümer*in
heranzuziehen. Der Gesetzgeber hat bei der Zurechnung eines individualisierbaren Vorteils an
bestimmte Personen und damit bei der Bestimmung des beitragspflichtigen Personenkreises einen
weiten Gestaltungsspielraum. Die Rechtsprechung lässt Typisierungen ausdrücklich zu. 66 Bei der
Zuordnung und Bemessung des beitragsrelevanten Vorteils braucht der Gesetzgeber nicht die
Wirklichkeit abzubilden. Vielmehr genügt es, wenn nach einem „… einigermaßen sicheren Schluss
…“67 der Vorteil „typischerweise“ bei der in Anspruch genommenen Personengruppe entsteht 68.
Ferner darf sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Beitragsregeln „… in erheblichem
Umfang auch von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten
64
Ähnlich dem Gesetz über eine Übernachtungssteuer in Berlin (ÜnStG BE) vom 18.12.2013.
65
BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 53; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 100.
66
BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 50.
67
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 69.
68
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 73, 86 – 88.
37/134
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lassen.“69 Alle diese Wahrscheinlichkeits- und Praktikabilitätsanforderungen werden durch den*die
Grundstückseigentümer*in erfüllt. Vor allem aber erlaubt der Wortlaut der §§ 4 und 10 Abs. 3
GebBtrG nur grundstücksbezogene Beiträge, die den „Grundeigentümer“ als Schuldner in die Pflicht
nehmen.
Somit wäre es auch im Falle einer grundstücksbezogenen Nutznießerabgabe zur ÖPNV-Finanzierung
völlig legitim, die Beitragsschuld an das zivilrechtliche Grundstückseigentum zu knüpfen.
c)
Verfassungskonforme Ausgestaltung eines ÖPNV-Beitrages für Nutznießende
Während sich die Frage der allgemeinen Zulässigkeit eines Beitrages zur Heranziehung von
Nutznießenden zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs vergleichsweise einfach
bejahen lässt, bedingt die verfassungskonforme Ausgestaltung eines entsprechenden Beitrages in
der Praxis deutlich größeren Schwierigkeiten.
Diese sind auf rechtlicher Ebene für alle Erscheinungsformen der Nutznießerfinanzierung nahezu
dieselben, so dass die gesetzlichen Vorgaben einer verfassungskonformen Ausgestaltung von
Grundstückseigentümer-, Gewerbebetriebs- und Übernachtungsabgabe hier zusammenfassend
diskutiert werden können.
Der alles umfassende Maßstab bei der Bemessung und Gestaltung öffentlicher Abgaben ist der aus
Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit70. Der allgemeine Gleichheitssatz
in Art. 3 Abs. 1 GG verlangt von jedem Hoheitsträger, auch bei der Schaffung neuer Abgaben,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit ungleich
zu behandeln71. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen 72.
Im Kontext bestimmter Sachverhalte können diese allgemeinen, von der Rechtsprechung
herausgearbeiteten Verfassungsprinzipien durch Sondergesetze durchaus verengt und in eine
bestimmte Richtung konkretisiert sein.
Gem. § 4 GebBtrG werden Beiträge zur Deckung der Kosten für die Herstellung und die Unterhaltung
der durch ein öffentliches Interesse bedingten Anlagen von den Grundeigentümer*innen und
Gewerbetreibenden erhoben, denen durch die Veranstaltung besondere wirtschaftliche Vorteile
erwachsen.
Dass hiervon auch mittelbare wirtschaftliche Vorteile umfasst sind, ergibt sich im Zusammenspiel
mit § 10 Abs. 2 lit. c) GebBtrG wonach Schuldner*in einer Benutzungsgebühr der*diejenige ist,
dem*der die Benutzung oder die Leistung der Einrichtung mittelbar zugutekommt. Dieser
Rechtsgedanke, dass auch mittelbare Vorteile Anknüpfungspunkt einer Abgabe sein können, gilt für
Beträge erst recht. Die Belastung mittelbarer Vorteile durch einen Beitrag ist zudem rechtskräftig
durch das OVG Berlin-Brandenburg entschieden worden.
In einer Entscheidung über die Fremdenverkehrsabgabe im Land Brandenburg hat das OVG BerlinBrandenburg ausgeführt:
69
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 71.
70
BVerfGE107, 1; 124, 235; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, NVwZ 2014, 646.
71
BVerfGE 98, 365; 130, 240.
72
BVerfGE 79, 1; 126, 400; 130, 240.
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„Richtig ist, dass mit dem Fremdenverkehrs-/Tourismusbeitrag ein Finanzierungsbeitrag
derjenigen selbstständig Tätigen zum „Tourismusförderungsaufwand“ der Gemeinde
erzielt werden soll, die aus diesem Tourismusförderungsaufwand einen besonderen, d. h.
unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil ziehen.“.73
Das OVG Berlin-Brandenburg greift damit explizit auf, dass der Fremdenverkehrsbeitrag auch
mittelbare wirtschaftliche Vorteile abschöpfen soll und stellt dessen Rechtmäßigkeit in dieser
Hinsicht nicht in Frage. Insoweit ist das Grundkonzept eines Beitrages für Nutznießende des ÖPNV
grundsätzlich unproblematisch zulässig.
Die Grundsätze zur Bemessung der Beitragshöhe sind in § 8 Abs. 5 GebBtrG geregelt. Hiernach ist
die Höhe des Beitrages nach den durch die Anlage begründeten Vorteilen zu bemessen. Wie genau
dieser Vorteil zu bestimmen ist, ist nicht weiter konkretisiert. Eine strikte Orientierung an den
Herstellungs- und Unterhaltungskosten der zugrundeliegenden öffentlichen Einrichtung ist
jedenfalls nicht zwingend erforderlich, da § 8 Abs. 5 GebBtrG als lex specialis zur Bemessung der
Beitragshöhe ausschließlich auf den begründeten Vorteil abstellt, unabhängig von den dafür
entstandenen Kosten. Für diese Auslegung lassen sich die vom BerlVerfGH zur Bemessung der
Gebührenhöhe aufgestellten Grundsätze vergleichend heranziehen. In seiner Entscheidung über die
Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe hat der BerlVerfGH folgendes entschieden:
„Der gebührenrechtliche Grundsatz, dass die Gebühr nur zur Deckung der Kosten des
Verwaltungsaufwandes, nicht aber zur Erzielung von Überschüssen erhoben werden darf,
folgt weder aus Verfassungsrecht noch aus dem Wesen der Gebühr, sondern gilt nur nach
Maßgabe einfachen Rechts.
[…]
Weder die Verfassung von Berlin noch das Grundgesetz enthalten einen eigenständigen
Gebührenbegriff, aus dem sich unmittelbar Kriterien für die Verfassungsmäßigkeit von
Gebührenmaßstäben, Gebührensätzen oder Gebührenhöhen ableiten ließen.
[…]
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verfügt der Gebührengesetzgeber innerhalb
seiner jeweiligen Regelungskompetenz vielmehr über einen weiten Entscheidungs- und
Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer
Gebührenpflicht unterwerfen und welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er
hierfür aufstellen will.
[…]
Aus der Zweckbestimmung der Gebühr, Einnahmen zu erzielen, um speziell die Kosten
der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung ganz oder teilweise zu decken, ergibt
sich keine verfassungsrechtliche begründete Begrenzung der Gebührenhöhe durch die
tatsächlichen Kosten der staatlichen Leistung.“74
73
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.02.2015 – OVG 9 S 24.14.
74
BerlVerfGH, Urt. vom 21.10.1999 – VerfGH 42/99.
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Die vom BerlVerfGH aufgestellten Grundsätze zum weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim Erlass von Gebührenordnungen lassen sich analog auf die Frage zur
zulässigen Ausgestaltung der Beitragshöhe übertragen. Die Sach- und Rechtslage ist vergleichbar,
so dass davon auszugehen ist, dass der BerlVerfGH auch für die Beitragshöhe eine entsprechende
Entscheidung treffen würde.
Dem Gesetzgeber wird damit ein weiter Ermessensspielraum zur Ausgestaltung eines Beitrages in
Bezug auf dessen Höhe zugestanden. Entscheidendes Kriterium ist, wie in § 8 Abs. 5 GebBtrG
bestimmt, der durch die jeweilige öffentliche Einrichtung vermittelte individuelle Vorteil. Dabei sind
wegen des Grundsatzes der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) Differenzierungen geboten.
Aber auch insoweit steht dem Gesetzgeber ein denkbar weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.
Die Grenzen liegen erst dort, wo Differenzierungskriterien keinen sachlichen Bezug mehr zu dem
konkreten Vorteil haben und sich damit als willkürlich herausstellen, oder wenn die Höhe eines
Beitrags in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten Abgabenzwecken steht.
In seiner jüngsten Entscheidung zu den neuen Rundfunkbeiträgen hat das BVerfG diese
verfassungsrechtlichen Grundsätze der Ausgestaltung eines Beitrags exemplarisch zusammengefasst:
„Bei der Entscheidung darüber, ob ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich eines
Abgabengesetzes
einbezogen
wird,
kommt
dem
Gesetzgeber
hier
ein
weiter
Gestaltungsspielraum zu, (…). Der Gestaltungsspielraum ist allerdings dann überschritten,
wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorteil und den
Abgabepflichtigen mehr erkennbar ist (vgl. BVerfGE 137, 1 [23] = NVwZ 2014, 1448 Rn.
54). Der Gleichheitssatz ist eingehalten, wenn der Gesetzgeber einen Sachgrund für seine
Wahl des Abgabengegenstands vorbringen kann, die Berücksichtigung sachwidriger,
willkürlicher Erwägungen ausgeschlossen ist und die konkrete Belastungsentscheidung
nicht mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt gerät (vgl. BVerfGE 137, 350 [367] =
NVwZ 2015, 288 Rn. 42). Maßgeblich ist, ob es für die getroffene Unterscheidung einen
sachlichen
Grund
gibt,
der
bei
einer
am
Gerechtigkeitsgedanken
orientierten
Betrachtungsweise nicht als willkürlich angesehen werden kann (…).“. 75
Spezifisch bei der Einführung eines ÖPNV-Beitrages ist jedoch zu beachten, dass die späteren
Beitragsschuldner*innen in der Mehrzahl gleichzeitig auch steuerpflichtig sind. Als Steuerpflichtige
werden die Beitragsschuldner*innen bereits zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen.
Der Grundsatz der Belastungsgleichheit gebietet es daher, dass die zusätzliche Belastung
eines*einer Steuerpflichtigen mit weiteren Abgaben, hier in Form eines Beitrages, einer über den
Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf. 76 In
Betracht
kommen
hierfür
neben
dem
Zweck
der
Vorteilsausgleiches, der Verhaltenslenkung sowie soziale
Kostendeckung
auch
Zwecke
des
Zwecke. 77
75
BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 68 m.w.N.
76
BVerfGE 75, 108; 93, 319; 108, 1; 124, 235; 132, 334; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, NVwZ
2014, 646.
77
BVerfGE 132, 334.
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Abgabenrechtlichen Tatbeständen ist es dabei grundsätzlich immanent, dass sie eine Vielzahl von
Schuldner*innen erreichen sollen. Um dem Gesetzgeber die Ausgestaltung eines Beitrages für
solche Massenvorgänge zu ermöglichen und zu vereinfachen, sieht das BVerfG deshalb vor, dass
Sachverhalte, an die dieselben abgabenrechtlichen Folgen geknüpft werden sollen, typisiert und die
Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigt werden dürfen. Die Erhebung einer Abgabe,
insbesondere wenn sie in Form einer kommunalen Satzung erfolgen soll, soll praktikabel sein und
nicht übermäßig mit Rechtsunsicherheit verbundenen Differenzierungsanforderungen belastet
werden. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Abgabenpflichtigen darf allerdings „ein
gewisses Maß“ nicht übersteigen. Die Vorteile der Typisierung müssen deshalb stets im rechten
Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der Belastung stehen.78
Das BVerfG gewährt dem Gesetzgeber damit einen weiten Ermessenspielraum bei der
Ausgestaltung von abgabenrechtlichen Tatbeständen. Der Gesetzgeber muss nicht für jeden
Einzelfall eine konkrete Regelung treffen, sondern wird in die Lage versetzt, im größeren Rahmen
für ähnliche Sachverhalte dieselbe Rechtsfolge vorzusehen. Dies kann regelmäßig im Rahmen einer
gesetzlichen Typisierung erfolgen. Entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, Sachverhalte zu
typisieren, darf er dabei selbstverständlich keinen atypischen Fall als Leitbild wählen. Vielmehr muss
er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren.79
Weiter führt das BVerfG aus, dass eine Beitragserhebung zur Einhaltung des Grundsatzes der
Belastungsgleichheit eine Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen
nach Maßgabe des Vorteils zu erfolgen hat. Dem folgt die Regelung des § 4 GebBtrG. Es gilt daher
bei
der
Ausgestaltung
eines
ÖPNV-Beitrages,
den
individuellen
Sondervorteil
der
Beitragsschuldner*innen durch ihre Anbindung an das Netz des öffentlichen Nahverkehrs zu
ermitteln und zu beziffern. Konkret betrachtet stellt sich dabei die Frage, ob Grundstückseigentümer*innen oder Gewerbetreibenden durch die Anbindung an das Netz des öffentlichen
Personennahverkehrs ein Sondervorteil entsteht, der sich von dem der Allgemeinheit der
unmittelbaren ÖPNV-Nutzer*innen unterscheidet.
Da bisher in keinem Bundesland ein vergleichbarer Beitrag für Nutznießende des ÖPNV besteht,
kann in diesem Bereich auf keine gesicherte Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Es lassen sich
jedoch vergleichend die vom BVerfG zur Erhebung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge aufgestellten Grundsätze heranziehen.80
Die Erhebung eines wiederkehrenden Straßenausbaubeitrages ist von ihrem Grundgedanken her
mit einem wiederkehrenden Beitrag für die Anbindung eines Grundstückes an das Netz des
öffentlichen Personennahverkehrs vergleichbar. Beide Beiträge dienen dazu, mittelbare Vorteile, die
über die generelle Nutzung einer öffentlichen Infrastruktur durch die Allgemeinheit hinausgehen,
zu bepreisen. Die Beiträge zielen damit gleichermaßen darauf ab, einen individuellen Sondervorteil
abzuschöpfen.
Nach den durch das BVerfG aufgestellten Grundsätzen erfordert die Erhebung eines Beitrages
sachliche Gründe, welche eine individuelle Zurechnung des mit dem Beitrag belasteten Vorteils zum
78
BVerfGE 96, 1; 99, 280; 105, 73; 110, 274; 116, 164; 117, 1; 120, 1; 123, 1; 127, 224.
79
BVerfGE 112, 268; 117, 1; 120, 1; 123, 1; 127, 224.
80
BVerfGE 137, 1.
41/134
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Kreis der Belasteten rechtfertigen. Wesentlich für den Begriff des Beitrages ist der Gedanke der
angebotenen Gegenleistung, des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten: Wenn das Gemeinwesen in
Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, so sollen
diejenigen, die daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen oder ziehen können, zu den
Kosten ihrer Errichtung und Unterhaltung beitragen.81 Die für die Kostentragungspflicht
erforderliche individuelle Zurechenbarkeit lässt sich insbesondere aus der rechtlichen oder
tatsächlichen Sachherrschaft oder –nähe und der damit verbundenen Möglichkeit herleiten, aus der
Sache konkrete wirtschaftliche Vorteile oder Nutzen zu ziehen.82
Die Annahme eines individuellen Sondervorteils wird dabei nicht bereits dadurch ausgeschlossen,
dass eine unbestimmte Vielzahl von Bürger*innen zu Beiträgen herangezogen wird, sofern ihnen
jeweils ein Sondervorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann.83
Das BVerfG hat bei der rechtlichen Beurteilung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge
definiert, dass eine Beitragserhebung, die grundstücksbezogen erfolgt, gleichfalls einen
grundstücksbezogenen Sondervorteil voraussetzt. Dieser Sondervorteil könne
„z.B. in einer Erhöhung des Gebrauchswertes des Grundstücks durch die Belegenheit in
einem verkehrsmäßig erschlossenen Gebiet oder in der Möglichkeit der Inanspruchnahme
einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage bestehen, welche ihrerseits den Gebrauchswert
des Grundstücks steigert. Eine Steigerung des Verkehrswertes ist nicht erforderlich (vgl.
Arndt, in Henneke/Plünder/Waldoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 16 Rn. 130;
Driehaus, a.a.O.; Schneider, Driehaus-Festschrift, 2005, S. 179 <184>).
Weitergehende verpflichtende Anforderungen, wie zum Beispiel die Existenz eines
„funktionalen
Ausbaubeitrag
Zusammenhangs“
belasteten
zwischen
Grundstücken
Verkehrsanlagen
sind
und
verfassungsrechtlich
den
mit
nicht
einem
geboten.
Allerdings darf sich aus Gründen der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs.1 GG) der
Sondervorteil, dessen Inanspruchnahme durch die Erhebung eines Beitrags ausgeglichen
werden soll, nicht in der Weise auflösen, dass der Beitragspflichtige keinen größeren
Vorteil aus der potentiellen Inanspruchnahme der Gegenleistung ziehen kann als die
nichtbeitragspflichtige Allgemeinheit. Damit bleibt Raum für eine Ausgestaltung der
Beitragsverpflichtung durch den Gesetz- oder Satzungsgeber. Der danach eröffnete
Spielraum ist erst dann überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich
definierten Vorteil und den Abgabenpflichtigen mehr erkennbar ist (vgl. Wilke,
Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S. 88)“. 84
4.1.3
Zwischenergebnis
Neue Abgaben, welche mittelbar begünstigte Nutznießer*innen des öffentlichen Personenbeförderungsnetzes in die Finanzierungsverantwortung nehmen, können bereits nach dem
bestehenden Berliner Landesrecht prinzipiell ohne weiteres geschaffen werden. Die nach Art. 87
81
BVerfGE 137, 1; 14, 312.
82
BVerfGE 137,1; 91, 207.
83
BVerfGE 137, 1; VerfGH RP, Urteil vom 13. Mai 2014 – VGH B 35/12.
84
BVerfGE 137, 1.
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Abs. 1 Verf BE erforderliche gesetzliche Grundlage ist in Gestalt der §§ 4, 6, 8 und 10 GebBtrG
vorhanden. Im Rahmen des GebBtrG erfolgt die Einführung einer neuen Abgabe durch eine
Rechtsverordnung des Senats. Dem Land Berlin bleibt es gleichwohl unbenommen, für die
Nutznießerfinanzierung des ÖPNV ein besonderes Landesgesetz zu erlassen.
Eine solche Nutznießerabgabe hätte die Rechtsform eines Beitrags. § 4 und § 10 Abs. 3 GebBtrG
erlauben es bereits ausdrücklich, Beiträge von Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibenden zu erheben, im Gegenzug für mittelbare Vorteile, die ihnen aus der Existenz einer
öffentlichen Anlage erwachsen. Das ÖPNV-System in Berlin ist aufgrund seiner konsequent
öffentlich-rechtlichen Organisation mit einer Anstalt öffentlichen Rechts als Betreiberin geradezu
der exemplarische Fall einer im öffentlichen Interesse liegenden Anlage i. S. v. § 4 GebBtrG.
Grundstückseigentümer*innen und Gewerbetreibende einschließlich der Inhaber*innen eines
Übernachtungsgewerbes sind in § 10 Abs. 3 GebBtrG als legitime Betragsschuldner*innen
ausdrücklich genannt. Zum Ausgleich der Vorteile, die diesem Personenkreis durch die Anbindung
ihrer Grundstücke oder Gewerbebetriebe an das öffentliche Personenbeförderungsnetz entstehen,
können somit bedenkenlos Beiträge erhoben werden.
Rechtliche Schwierigkeiten wirft dabei allein die Ausgestaltung des Beitragstatbestands und der
Beitragshöhe auf. Der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Grundsatz der Belastungsgleichheit verlangt
eine „… Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe
des Vorteils …, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll (…).“ 85 Dabei
kommt es vor allem bei Grundstücken nicht auf einen finanziellen Wertzuwachs an, sondern auf
eine Steigerung des Gebrauchsvorteils. Das bedeutet, die Möglichkeit der ÖPNV-Nutzung muss sich
als Lagevorteil auf den Gebrauchswert des Grundstücks auswirken.86
Sollte man sich für einen Grundstückseigentümerbeitrag entscheiden, wird es also verfassungsrechtlich geboten sein, auf die Qualität der verkehrlichen Erschließung der jeweiligen Grundstücks
abzustellen und sowohl die Beitragspflicht erst ab einer bestimmten Erschließungsqualitätsschwelle
eingreifen zu lassen als auch die Beitragshöhe nach der Erschließungsqualität zu staffeln. Dasselbe
Differenzierungsgebot gilt für Gewerbebetriebe. Dort wird es auf die Gesamtheit der betriebsbezogenen Vorteile ankommen, die sich aus einer mehr oder weniger guten Anbindung an das ÖPNVNetz ergeben. Sachlich liegen diese Vorteile zum einen in der Erreichbarkeit der jeweiligen
Betriebstätte für Arbeitnehmer*innen, zum anderen aber auch in der Erreichbarkeit für Kund*innen
und der Intensität der Abhängigkeit des Unternehmenserfolgs von realen Kontakten mit
Kund*innen.
Die Gerichte verlangen zwar auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG Abstufungen im
Beitragstatbestand, wo dies durch Sachgründe gerechtfertigt ist, um willkürliche Ungleichbehandlungen auszuschließen.87 Allerdings hat der Gesetzgeber hier einen denkbar weiten
Gestaltungsspielraum. Er darf sich bei der Ausgestaltung von Beiträgen „… in erheblichem Umfang
auch von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten lassen.“88
85
So grundlegend BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 47, 50 ff.; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 66
m.w.N.
86
Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 53 u.63; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 100.
87
Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 51; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 64.
88
Vgl. BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 71.
43/134
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Das bedeutet, Typisierungen, die nur „… einen einigermaßen sicheren Schluss …“ auf die konkret
gegebene Vorteilsintensität zulassen, sind ausdrücklich zulässig. Eine Beitragsregelung muss nicht
jeden Sachverhalt vollständig wirklichkeitsgetreu erfassen.89 Ihre Grenze findet die Freiheit des
Gesetzgebers Vereinfachungen und praktikable Typisierungen vorzunehmen, erst dann, wenn
überhaupt kein sachlicher Grund mehr für getroffene Differenzierung gefunden werden kann und
die jeweilige Beitragsregelung „… bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise … als willkürlich angesehen werden …“ muss.90
4.2 Anpassung der bestehenden City-Tax (Übernachtungssteuer)
4.2.1
Ausgangslage
Am 1. Januar 2014 trat in Berlin das Gesetz über eine Übernachtungssteuer in Berlin
(Übernachtungssteuergesetz – ÜnStG), auch als „City-Tax“ bezeichnet, in Kraft.91 Die Einführung
der Steuer erfolgte vor dem Hintergrund ansteigender Übernachtungszahlen – zur zusätzlichen
Generierung von Haushaltseinnahmen und zur Erreichung einer finanziellen Beteiligung der Gäste
an den entstehenden Kosten für ein „attraktives Angebot an öffentlichen und öffentlich geförderten
Einrichtungen“.92
4.2.2
Ausgestaltung
Die Übernachtungssteuer stellt eine örtliche Aufwandsteuer dar. 93 Sie wird gem. § 1 Abs. 1 Satz 1
ÜnStG auf den Aufwand für entgeltliche Übernachtungen in Berlin in einem Beherbergungsbetrieb
erhoben.
Die Steuer ist als indirekte Steuer ausgestaltet, so dass der*die Steuerschuldner*in nicht der Gast
ist, dessen Aufwand für die Übernachtung Gegenstand der Steuer ist, sondern vom Beherbergungsbetrieb, vgl. § 2 Abs. 1 ÜnStG.
4.2.3
a)
Höhe der Steuer
Steuermaßstab und Belastungsgleichheit gem. Art. 3 GG
Aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG folgt das Gebot der Besteuerung nach wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit. Bei Aufwandsteuern kommt es nicht auf die Höhe des individuell verfügbaren
Einkommens und Vermögens an, maßgebend ist vielmehr die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die
typischerweise in dem Aufwand zum Ausdruck kommt, der zur Deckung des als Steuergegenstand
festgelegten, über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgehenden Konsums getätigt wird.
89
Vgl. BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn.70.
90
Vgl. BVerfG, Urt. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668/10 u.a., Rn. 54; BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a., Rn. 68 m.w.N.
91
GVBl. 2013, 924.
92
Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 8.
93
Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 8.
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Diesem Gebot steuerlicher Belastungsgleichheit genügt bei Aufwandsteuern grundsätzlich nur eine
an den jeweiligen Umfang des Aufwands anknüpfende steuerliche Belastung.94 Gem. § 4 Abs. 1
ÜnStG bemisst sich die Steuer nach dem Aufwand für die Übernachtung (dem „Übernachtungsentgelt“95) – wobei die Umsatzsteuer und der Aufwand für andere Dienstleistungen unberücksichtigt
bleiben.
b)
Steuersatz
Hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes besteht ein Handlungsspielraum. Der derzeitige Steuersatz
beträgt nach § 5 ÜnStG fünf Prozent der Bemessungsgrundlage. Der proportionale Steuermaßstab
gewährt dabei eine bessere Besteuerungsgleichheit als Pauschalbeträge. 96 Der Steuersatz orientiert
sich an dem Beispiel anderer Kommunen, bei denen vergleichbare, von der Höhe der
Übernachtungsleistung abhängige Steuern eingeführt wurden.97
Es ist festzuhalten, dass andere, meist zu einem späteren Zeitpunkt erlassene, Satzungen höhere
Sätze vorsehen. Die ursprünglich in Dresden geltende Regelung sah an der Höhe des
Übernachtungspreises ausgerichtete Staffelbereiche vor. Bei der Überprüfung der Regelung wurde
die Höhe gerichtlich nicht beanstandet – das OVG Bautzen führte in seinem Urteil hierzu aus:
„Die Antragsgegnerin hat als Steuersatz ein Fünfzehntel des Durchschnittswertes in jedem
Staffelbereich bestimmt. Dies hat zur Folge, dass die im Einzelnen zu entrichtende
Beherbergungssteuer entsprechend der Einordnung des tatsächlich zu entrichtenden
Beherbergungsentgeltes in den Staffelbereich um bis zu 1 € nach oben (Beginn des
Staffelbereichs) oder nach unten (Ende des Staffelbereichs) von diesem Durchschnittswert
abweicht. Der die Besteuerungspflicht auslösende Aufwand des Beherbergungsgastes wird
mit einer solchen Regelung noch hinreichend abgebildet […].“. 98
Im Rahmen einer Satzungsänderung wurden die Staffelbereiche abgeschafft und § 4 Abs. 2
Beherbergungssteuersatzung der Stadt Dresden regelte zunächst, dass der auf eine einzelne
Übernachtung
entfallende
Beherbergungssteueranteil
Bemessungsgrundlage, abgerundet auf volle Euro-Cent,
ein
Fünfzehntel
beträgt.99
des
Wertes
der
Inzwischen wurde dieser Satz
auf sechs Prozent reduziert.100 Bemessungsgrundlage sind die jeweils für die einzelnen
Übernachtungen der Beherbergung des Gastes geschuldeten Entgelte, § 4 Abs. 1 Beherbergungssteuersatzung der Stadt Dresden.
Ebenso hat die Stadt Dortmund einen höheren Steuersatz festgelegt. Dort regelt § 4 Abs. 1
Beherbergungsabgabensatzung der Stadt Dortmund, dass die Beherbergungsabgabe 7,5 vom
94
Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 284.
95
Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 12.
96
BVerwG, Urt. v. 11.07.2012 – 9 CN 1.11, 9 CN 2.11.
97
Abgeordnetenhaus-Drs. 17/0951, S. 13.
98
OVG Bautzen, Urt. v. 6.10.2016 – 5 C 4/16.
99
Vgl. https://www.dresden.de/media/pdf/satzungen/satzung-beherbergungssteuer.pdf, letzter Aufruf: 14.10.2019.
100
Dresdner Amtsblatt Nr. 11/18 vom 15.03.2018, S. 31.
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Hundert der Bemessungsgrundlage beträgt. Die Bemessungsgrundlage ist der vom Beherbergungsgast für die Beherbergung aufgewendete Betrag, einschließlich Mehrwertsteuer, § 3 Beherbergungsabgabensatzung der Stadt Dortmund.101
Das VG Gelsenkirchen stellte bezüglich eines Steuersatzes von 7,5 von Hundert auch keinen Verstoß
gegen die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung bzw. das Gebot zur bundesstaatlichen Rücksichtnahme fest. Es führte aus:
„Dass der Bundesgesetzgeber […] den Steuersatz für die Umsatzsteuer für die in § 12 Abs.
2 Nr. 11 Umsatzsteuergesetz genannten Beherbergungsleistungen von 19 % auf 7 %
herabgesetzt
hat,
steht
dem
nicht
entgegen.
Die
Steuer
nach
der
Beherbergungsabgabesatzung konterkariert auch bei einer Steuerhöhe von 7,5 %
angesichts ihres geringen Umfangs nicht den Zweck, den der Bundesgesetzgeber mit der
Herabsetzung des Umsatzsteuersatzes erreichen wollte, nämlich die Förderung der
Wirtschaft.“.102
c)
Erdrosselungsverbot
Die äußerste Grenze der Besteuerung ist erreicht, wenn die Steuer dazu führt, dass die Betätigung
des Aufwands wirtschaftlich unmöglich wird – und damit erdrosselnd wirkt.103
d)
Gegenleistungsunabhängigkeit der Steuer
Die Einnahmen der Steuer könnten grundsätzlich für die Finanzierung des ÖPNV verwendet werden.
Es ist festzuhalten, dass Steuern – anders als Gebühren und Beiträge – stets ohne eine direkte
Gegenleistung erhoben werden, ihr Zweck ist die Erzielung von Einnahmen. 104 Ebenso gilt der
Grundsatz der Gesamtdeckung („Non-Affektation“), wonach prinzipiell alle in den Haushalt
eingestellten Einnahmen zur Deckung aller im Haushalt vorgesehenen Ausgaben zur Verfügung
stehen und nicht von vornherein zweckgewidmet sind.105
e)
Änderung nur für die Zukunft
Eine nachträgliche Steuererhöhung scheidet, da es sich um eine indirekte Steuererhebung handelt,
aus. Soweit der Aufwand bereits getätigt ist und das Entgelt hierfür entrichtet wurde, ist es dem*der
Unternehmer*in nicht möglich, die Erhöhung mit Wirkung für zurückliegende Erhebungszeiträume
nachträglich auf die Aufwandtreibenden zu überwälzen.106
101
Vgl. https://www.dortmund.de/media/p/stadtkasse_und_steueramt/pdf_20/satzungen_1/Satzung_zur_Beherbergungsabgabe_ab_
01112014_.pdf, letzter Aufruf 14.10.2019.
102
VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.06.2016 – 2 K 543/15.
103
BVerwG, Urt. v. 15.10.2014 – 9 C 8.13; Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 298.
104
Schmidt, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 5, 11.
105
Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. Ergänzungslieferung 2019, Art. 110 Rn. 143.
106
Christ, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, C Rn. 293 m.w.N.
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4.2.4
Zusammenfassung
Der Steuermaßstab muss grundsätzlich einen Bezug zum zu besteuernden Aufwand haben. Bei der
Übernachtungssteuer ist der zugrundeliegende Aufwand das Übernachtungsentgelt ohne Nebenleistungen.
Das Land orientierte sich bei der Festlegung des Steuersatzes an anderen Kommunen. Vereinzelt
wurden später höhere Steuersätze festgelegt, so dass diesbezüglich Handlungsspielräume auch für
Berlin bestehen.
Da es sich um eine Steuer handelt, die dem Haushalt zufließt, erscheint – unter der Voraussetzung,
dass eine Zweckverwendung nicht vorgesehen ist – eine Nutzung zugunsten des ÖPNV möglich.
5
GÄSTE-TICKET
Da gerade die Besucher*innen Berlins von einer Umlagefinanzierung nicht betroffen wären, stellt
sich die Frage, ob diese durch ein sog. Gäste-Ticket zur ÖPNV-Finanzierung herangezogen werden
könnten. Die zu untersuchende Konzeption sieht vor, dass Besucher*innen in gewerblichen
Übernachtungsbetrieben ein verpflichtender Beitrag auferlegt wird, wofür sie im Gegenzug einen
Fahrausweis
für
Berlin
(Bereich
AB)
erhalten.
Die
Beschränkung
auf
gewerbliche
Übernachtungsbetriebe erfolgt dabei vor dem Hintergrund einer praktikablen Verwaltungshandhabung.
5.1 Kur-/Gästebeiträge
5.1.1
Rechtsnatur
Angesichts der oben beschriebenen Konzeption besteht eine Parallele zu der Kur- oder inzwischen
oft Gästebeitrag genannten Abgabe. Gästebeiträge zählen am ehesten zu den neben der Steuer,
den Gebühren und Beiträgen erhobenen Sonderabgaben – hoheitlich auferlegten Geldleistungen,
denen keine unmittelbare Gegenleistung der öffentlichen Hand gegenüber steht; anders als die
Steuer wird sie jedoch nur von einer homogenen Gruppe erhoben, die durch eine Interessenlage
oder besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit abgrenzbar ist, wobei die
Einnahmen gruppennützig zu verwenden sind.107 Die Einnahmen sind daher zweckgebunden.108
Auch, wenn sie zum Teil als Abgabe sui generis bezeichnet wird,109 so ist unzweifelhaft, dass sie
gebühren- und beitragsähnliche Merkmale aufweist.110 Dabei wird die Kurabgabe für die mögliche
Inanspruchnahme der örtlichen Fremdenverkehrseinrichtungen erhoben; den Ortsfremden muss
107
So Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 5.
108
Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 5.
109
So Benedens, in: Kommunalpraxis kompakt – Brandenburg, Bd. 5, Stand: 1. EL 2020 – 04.02.2020, § 11 KAG Bbg Rn. 8.
110
Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 8; Benedens, in: Kommunalpraxis kompakt – Brandenburg,
Bd. 5, Stand: 1. EL 2020 – 04.02.2020, § 11 KAG Bbg Rn. 8.
47/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
dementsprechend ein Vorteil vermittelt werden, der die Beitragserhebung – auch unter dem Aspekt
der Abgabengerechtigkeit – rechtfertigt.111
5.1.2
Erhebungsmodalitäten der Gästebeiträge (Beispiel Sachsen)
Vergleicht man das geplante Gäste-Ticket mit den Gästebeiträgen, so muss zunächst betrachtet
werden, durch wen und für was diese erhoben werden können. Da das GebBtrG keine explizite
Regelung zu Kur- bzw. Gästebeiträgen enthält, werden zum Vergleich Regelungen aus anderen
Bundesländern herangezogen und sodann die Anwendung auf Berlin näher betrachtet. Die sog.
Gästetaxe in § 34 Sächsisches Kommunalabgabengesetz (sKAG) sieht zum Beispiel vor:
„Gemeinden können zur Deckung ihrer besonderen Kosten, die ihnen 1. Für die
Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und Unterhaltung der zu touristischen Zwecken
bereitgestellten Einrichtungen und Anlagen, […] und 3. für die, gegebenenfalls auch im
Rahmen eines überregionalen Verbunds, den Abgabepflichtigen eingeräumte Möglichkeit
der kostenlosen oder ermäßigten Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und
anderer Angebote entstehen, eine Gästetaxe erheben.“
Mit der Benennung als „Gästebeitrag“ und der Öffnung des Tatbestandes, weg von „Kurorte,
Erholungsgebiete und sonstigen Fremdenverkehrsgemeinden“ in der alten Fassung hin zu
„Gemeinden“,
sollte
klargestellt
werden,
dass
der
Tourismus
nicht
der
dominierende
Wirtschaftszweig der Gemeinde sein muss; vielmehr soll die Abgabenerhebung allen Gemeinden
offen stehen, die eine touristische Infrastruktur vorhalten.112
Die Abgabenpflicht besteht bei Personen, die in der Gemeinde Unterkunft nehmen, aber nicht
Einwohner*innen der Gemeinde sind oder, obwohl sie Einwohner*innen sind, den Schwerpunkt der
Lebensbeziehungen in einer anderen Gemeinde haben nicht in der die Gästetaxe erhebenden
Gemeinde arbeiten oder in Ausbildung stehen, § 34 Abs. 2 S. 2 sKAG; die Pflicht zur Einziehung
kann in Sachsen durch Satzung Beherbergungsunternehmen auferlegt werden, vgl. § 34 Abs. 3
sKAG.113 Die Erträge sind gem. § 34 Abs. 1 S. 3 sKAG zudem ausdrücklich zweckgebunden.
5.1.3
ÖPNV-Leistungen
Für § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 sKAG müssen die Einrichtungen für touristische Zwecke bereitgestellt
werden;
Einrichtungen,
die
der
allgemeinen
Daseinsvorsorge
dienen,
sind
daher
nicht
berücksichtigungsfähig.114
Dies ist für Nr. 3 so nicht festgehalten. In § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 sKAG ist jedoch festgehalten, dass
die Gästetaxe auch für die den Abgabepflichtigen eingeräumte Möglichkeit der kostenlosen oder
ermäßigten Benutzung des ÖPNV erhoben werden kann. Ähnliche Regelungen finden sich in anderen
111
BVerwG, Beschluss v. 15.04.2008 – 9 B 66/07.
112
Vgl. Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787.
113
Ähnliche Regelungen bestehen in anderen Bundesländern, vgl. § 10 Abs. 2, 4 Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz (ndsKAG).
114
Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787.
48/134
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Bundesländern.115 Regelungen dieser Art stellen darauf ab, dass die gebotene Möglichkeit der
kostenlosen ÖPNV-Nutzung zu den zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen
und Veranstaltungen gehören und die dafür anfallenden Kosten kurtaxfähig sind.116 Die sächsische
Vorschrift soll sog. Gästecard-Leistungen umfassen, d.h. Leistungen, die den Gäste-CardInhaber*innen kostenlos oder zu einem ermäßigten Preis zur Verfügung gestellt werden; die der
Gemeinde aus dem Angebot entstehenden Kosten sind gästetaxfähig.117 Die Beispiele zeigen, dass
auch die Kosten für den ÖPNV im Rahmen einer Kurabgabe berücksichtigt werden können, wenn
dieser im Gegenzug kostenfrei bzw. ermäßigt zur Verfügung gestellt wird. Gerade die Formulierung
in Sachsen und die dazugehörige Gesetzesbegründung zeigt zudem, dass bereits das Vorhandensein
touristischer Infrastruktur sowie die Feststellung eines kausalen finanziellen Aufwands die
Abgabenerhebung rechtfertigt – unabhängig von der „Kur“-Eigenschaft.
Die Frage, inwieweit Infrastruktureinrichtungen berücksichtigt werden können, ist eine Frage des
abgabefähigen Aufwandes. Abgabefähig ist regelmäßig der besondere Aufwand einer Gemeinde für
vorhandene Einrichtungen, die Fremdenverkehrszwecken dienen; wo die Grenze zwischen den –
unabhängig vom Fremdenverkehr – notwendigen örtlichen Maßnahmen der Daseinsvorsorge und
der auch fremdenverkehrsbezogenen Aufgabenerledigung verläuft, kann dabei schwer zu beurteilen
sein.118
5.1.4
Anwendung in Berlin
In Berlin gibt es keine speziellen Regelungen für eine Kur- oder Gästeabgabe. Gerade wenn man
sich an den Vorschriften zur Beitragserhebung orientiert, so wird deutlich, dass diese in Berlin nur
gegenüber Grundeigentümer*innen und Gewerbetreibenden möglich ist, vgl. § 4 GebBtrG. Eine
Erhebung bedarf somit eines gesetzgeberischen Tätigwerdens. Zudem ist zu berücksichtigen, dass
Sachsen im Rahmen der Gesetzesreform – zwecks der Vermeidung von Doppelbelastungen – klargestellt hat, dass es Gemeinden, die eine Gästetaxe und/oder Tourismusabgabe erheben, untersagt
ist,
zusätzlich
eine
Betten-
oder
Übernachtungssteuer
zu
erheben.119
Aufgrund
der
unterschiedlichen Zielrichtung von Beherbergungssteuer (vorliegend City Tax) und Kurbeitrag –
erstere dient der gegenleistungslosen Einnahmenbeschaffung – stehen die besonderen Regelungen
der Kurabgabe der Beherbergungssteuer nicht prinzipiell im Wege der Spezialität entgegen; dies
gilt soweit der Landesgesetzgeber nicht ein Nebeneinander von Abgabe und Steuer explizit verboten
hat.120
115
Vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ndsKAG; § 43 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg; In Baden-Württemberg gibt es bereits
die sog. Konus-Karte (Kostenlose Nutzung des ÖPNV im Schwarzwald), die u.a. zur freien Fahrt mit Bus und Bahn berechtigt, vgl.
https://www.schwarzwald-tourismus.info/planen-buchen/konus-gaestekarte/; https://www.badherrenalb.de/de/gastgeber/konusgaestekarte/konus-gaestekarte-id_3/ (letzter Aufruf: 27.05.2020).
116
Für Baden-Württemberg vgl. dazu: VG Freiburg, Urteil v. 22.09.2015 – 5 K 686/14.
117
Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787.
118
Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 24, 31, 33.
119
Sächsischer Landtag-Drs. 6/4787.
120
Vgl. Pommer, in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, G Rn. 13 m.w.N.
49/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
5.2 Zwischenergebnis
Das hiesige Modell eines Gäste-Tickets sieht vor, dass Besucher*innen Berlins für ein Gäste-Ticket
bezahlen und im Gegenzug kostenfrei den ÖPNV in der Stadt benutzen können. Dieses Modell wird
andernorts im Rahmen der Kur- oder Gästeabgabe gesetzlich geregelt, weshalb ein ähnliches Modell
in Berlin grundsätzlich möglich ist. Für die Umsetzung bedürfte es jedoch einer Gesetzesänderung,
da vergleichbare Vorschriften in Berlin nicht existieren. Gerade in Hinblick auf die City Tax gilt es
jedoch eine mögliche Doppelbelastung zu berücksichtigen.
6
CITY-MAUT
6.1 Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage
Trotz der vielfältigen Ausgestaltungsoptionen einer City-Maut als gebiets-, distanzbezogenem oder
zeitbasierten System, ist allen Optionen gemein, dass sie einen grundrechtlich geschützten Bereich
betreffen. Damit der Staat Geldleistungen erheben kann, bedarf es daher einer formal-gesetzlichen
Grundlage – für das Land Berlin ergibt sich diese Notwendigkeit aus Art. 87 Abs. 1 der Verfassung
von Berlin. Eine gesetzliche Grundlage für die City-Maut ist derzeit weder auf Bundes- noch auf
Landesebene gegeben, so dass hierzu ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
Für die Beurteilung, ob das Land Berlin für die Verabschiedung einer derartigen gesetzlichen
Grundlage die Gesetzgebungskompetenz hat, kommt es auf deren rechtliche Einordnung an.
Öffentlich-rechtliche Geldleistungen können durch Abgaben, Gebühren oder Steuern erhoben
werden.
6.2 Ausgestaltung als Steuer
6.2.1
Der Begriff der Steuer
Unter den Begriff der Steuer fasst § 3 Abs. 1 AO Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für
besondere Leistungen darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung
von Einnahmen allen auferlegt werden. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Frage, ob
eine City-Maut eine gegenleistungsunabhängige Abgabe darstellt – und damit die Ausgestaltung als
Steuer möglich ist – unterschiedlich beurteilt.
Zum Teil wird die Straßenbenutzung lediglich als Maßstab für eine Steuererhebung bzw. als
Bemessungsgrundlage der Mauthöhe herangezogen.121
Vorzugswürdig erscheint jedoch die Auffassung, nach der es sich bei der City-Maut nicht um eine
gegenleistungsunabhängige Abgabe handelt – mithin nicht um eine Steuer. Denn die City-Maut wird
121
Manssen, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer sog. Nahverkehrsabgabe, DÖV 1996, 12, 13; Wissenschaftliche Dienste,
WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut, S. 5.
50/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
anfallen, wenn in Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes eingefahren wird. Als Anknüpfungspunkt für die Zahlungspflicht kann somit die Benutzung der Straße angesehen werden.122
Nach beiden Auffassungen ist jedoch eine Ausgestaltung, die bereits im Steuergesetz angelegt und
ausschließlich der Finanzierung der Verbesserung des öffentlichen Personenbeförderungsangebots
dient, nicht möglich.
6.2.2
Ausgestaltung als Zwecksteuer
Würde man der Ansicht folgen, nach der die City-Maut eine Steuer darstellt, wäre es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Land Berlin das Aufkommen einer
voraussetzungslos erhobenen Steuer bestimmten Verwendungszwecken zuordnet. 123 Da die
Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, zu deren Finanzierung die Zwecksteuer dient, nicht den
Charakter einer Gegenleistung hat, besteht der Vorteil einer solchen Regelung darin, dass der Kreis
der Abgabenpflichtigen nicht auf solche Personen begrenz ist, die einen wirtschaftlichen Vorteil aus
dem Vorhaben ziehen.124 Eine verfassungswidrige Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers wird hierbei erst dann angenommen, wenn Zweckbindungen in unvertretbarem
Ausmaß stattfinden.125 In jedem Fall stellt die Zweckbindung jedoch einen zu rechtfertigenden
Ausnahmefall dar.126
Angesichts des Gesamtumfanges des Landeshaushaltes und der avisierten Einnahmen durch eine
City-Maut, dürfte ein unvertretbares, den Haushaltsgesetzgeber einschränkendes Maß nicht erreicht
werden.
Zudem darf die Zwecksteuer nicht zweckuntauglich sein. Eine solche Zweckuntauglichkeit wird
angenommen, wenn der Zweck nicht erfüllbar ist oder bundesrechtlich zu missbilligen ist. Danach
darf das Aufkommen der Zwecksteuer nicht außerhalb „jeder vernünftigen Relation zu dem stehen,
was die Erfüllung des Zwecks erfordert“.127 Somit hängt es von der konkreten Ausgestaltung der
City-Maut und deren Ertrag ab, ob dessen Relation zur Zweckerfüllung als noch erforderlich
angesehen werden kann. Da die Zweckbindung einen weiteren Ausbau des ÖPNV und dessen
Aufrechterhaltung sicherstellen soll und die avisierte City-Maut nur einen Teil dieser Kosten tragen
wird, wird eher von einer Tauglichkeit auszugehen sein.
6.2.3
Gesetzgebungskompetenz und Ertragshoheit für eine City-Maut als Steuer
Der Bund hat gem. Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG das Recht der
konkurrierenden Gesetzgebung über die „[…] Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern
ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG vorliegen“.
122
Klinger, ZUR 2016, 591, 593.
123
Zur Zulässigkeit von Verwendungszwecken BVerfGE 110, 274, 294.
124
BVerfGE 65, 325, 344.
125
BVerfGE 110, 274, 294.
126
Seiler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. EL März 2019, Art. 105 Rn. 38.
127
BVerwG, NVwZ 1983, 349, 350.
51/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Zwar hat der Bund von einer City- bzw. Pkw-Maut in der hier diskutierten Form bisher keinen
Gebrauch gemacht, so dass auch die Länder eine gesetzliche Regelung diesbezüglich erlassen
könnten. Jedoch stehen gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 GG ausschließlich dem Bund „sonstige
auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrssteuern“ zu. Die Einnahmen aus einer Maut, auch
wenn sie sich auf Straßen der Länder erstreckt, werden als von dieser Regelung umfasst
angesehen.128
Für den vorliegenden Fall, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch
gemacht hat, ihm jedoch die Ertragshoheit gem. Art. 106 Abs. 1 GG zustünde, werden
unterschiedliche Ansichten vertreten.
Mit Verweis auf die Abhängigkeit des Bundes von Landesgesetzgeber, wird zum Teil eine
ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes angenommen bzw. ihm die Ertragshoheit nur
dann zugesprochen, wenn es sich bei dem Steuergesetz um ein Bundesgesetz handelt. In Hinblick
auf den Wortlaut des Grundgesetzes sind diese Ansichten jedoch abzulehnen, so dass das
Auseinanderfallen von Gesetzgebungs- und Ertragskompetenz hinzunehmen ist.129
Angesichts der Zielvorgabe, der Stärkung des ÖPNV auf Landesebene, ist eine Ausgestaltung als
Steuer, sofern man diese für möglich erachtet, nicht zielführend, da die Mittel nicht dem Land als
ÖPNV-Träger zu Gute kommen.
6.3 Ausgestaltung als Gebühr
Die Einführung einer City-Maut als Straßennutzungsgebühr kommt in Betracht. Unter dem Begriff
der
Benutzungsgebühr versteht
man
eine
Gegenleistung
für
die
Benutzung
öffentlicher
Einrichtungen sowie für damit in Zusammenhang stehende Leistungen. In § 3 Abs. 2 GebBtrG wird
überdies klargestellt, dass auch die Möglichkeit der Nutzung ausreicht. Die in Anspruch
genommenen öffentlichen Einrichtungen bzw. Leistungen sind die Straßen, die von der City-Maut
umfasst werden.
6.3.1
a)
Gesetzgebungskompetenz für eine City-Maut als Straßennutzungsgebühr
Rechtsgrundlage
Die Zuständigkeit der Länder zur Einführung einer City-Maut als Straßennutzungsgebühr resultiert
aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG, der die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des
„Straßenverkehr[s], […] sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die
Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“ enthält. Die Länder haben daher so lange die
Gesetzgebungskompetenz, so lange der Bund nicht durch Gesetz von seiner Kompetenz Gebrauch
gemacht hat.
128
Wissenschaftliche Dienste, WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut, S.
6 f.; so wohl auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012, Art. 106 Rn. 19.
129
Mit Übersicht zum Meinungsstand und weiteren Nachweisen: Heintzen, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012,
Art. 105 Rn. 49.
52/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Die Norm regelt nicht nur die Zuständigkeit für Bundesstraßen des Fernverkehrs sondern für alle
zum Straßenverkehr oder einzelne Arten des Straßenverkehrs bestimmte Flächen130. Da der
Bundesgesetzgeber in den § 7 Abs. 1 Satz 4 und § 8 Abs. 3 FStrG vom Recht der konkurrierenden
Gesetzgebung Gebrauch gemacht und bereits Regelungen für Bundesfernstraßen getroffen hat, sind
diese von einer landesrechtlichen Regelung ausgenommen. Im Übrigen hat der Bund keine
weitergehenden Gesetze erlassen.
Da Art. 72 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz
durch den Bund an weitere Voraussetzungen knüpft und dieser dadurch nur bei Bedarf tätig werden
kann, ist eine bundesgesetzliche Regelung derzeit nicht abzusehen. Weder ist ein handfester
Missstand zu erkennen, der das bundesstaatliche Sozialgefüge erheblich beeinträchtigen muss131
und eine Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich macht. Noch ist eine Regelung
zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich. Gerade die für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes notwendige Rechtszersplitterung132 ist durch die Einführung einer
City-Maut nicht erkennbar, was bereits an der Existenz gebührenpflichtiger Straßenbauprojekte und
Tunnel zu sehen ist.133
Das Land Berlin hat daher eine Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Landesstraßen.
b)
Bundesfernstraßen innerhalb des Landes Berlin
Der Bund hat die Gebührenerhebung bislang nur hinsichtlich der Bundesfernstraßen geregelt.
Hierunter fallen gem. § 1 Abs. 2 FStrG sowohl Bundesautobahnen als auch Bundesstraßen mit den
Ortsdurchfahrten. Für die auf Berliner Gebiet verlaufenden Bundesfernstraßen besteht daher seitens
des Landes keine Gesetzgebungskompetenz. Auch, wenn eine Ausklammerung der Bundesfernstraßen von der City-Maut in Hinblick auf den Lenkungszweck zum Teil als nicht sinnvoll erachtet
und der Bund als geeigneter Gesetzgeber angesehen wird, 134 berührt dies nicht die Zuständigkeit
des Landes für die übrigen Straßen.135 Dass sich Verkehrsteilnehmer ausschließlich auf Bundesfernstraßen durch die Stadt bewegen, dürfte zudem eine Ausnahme darstellen. 136 Wie die
Ausklammerung in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann, hängt von der konkreten Ausgestaltung der City-Maut und ihren Kontrollmöglichkeiten ab. In Betracht käme eine Beschilderung an
den Ausfahrtsstraßen und Kreuzungen.137
6.3.2
Gebührenschuldner*innen
Die Frage, wer als Gebührenschuldner*in heranzuziehen ist, stellt bei der Ausgestaltung als
Benutzungsgebühr keine Schwierigkeit dar, da gem. § 10 Abs. 2 GebBtrG der*diejenige
130
Kunig, in: in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. A. 2012, Art. 74 Rn. 98.
131
BVerfG, NJW 2015, 2399, 2400.
132
Seiler, in: BeckOK Grundgesetz, 41. Edition, Art. 72 Rn. 13.
133
So auch: Wissenschaftliche Dienste, WD 3 v. 13.02.2013 – 3000 – 015/13, Bundeskompetenz zur Einführung einer Maut auf Straßen der
Länder und der Kommunen, S. 7.
134
Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1439.
135
So auch: Klinger, ZUR 2016, 591, 594.
136
So auch: Klinger, ZUR 2016, 591, 594.
137
Vgl. Klinger, ZUR 2016, 591, 591 f., der das Zeichen 391 („Mautpflichtige Strecke“) heranzieht, das seiner Ansicht nach auch für eine
gebietsbezogene Anordnung verwendet werden kann.
53/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
heranzuziehen ist, der*die die Einrichtung benutzt oder dem*der die Nutzung zuzurechnen ist.
Gebührenschuldner*innen wären damit die Autofahrer*innen, die Straßen im Bereich der City-Maut
nutzen.
6.3.3
Maßgebliche Gebührenhöhe
Die Höhe einer Straßennutzungsgebühr ist gem. § 8 Abs. 1 GebBtrG in einer Gebührenordnung
unter näherer Bezeichnung der Art und des Inhalts der die Zahlungspflicht begründenden Anlage
im Voraus nach festen Sätzen zu bestimmen.
Problematisch erscheint die Festsetzung der maßgeblichen Gebührenhöhe, da dem Gebührenrecht
der Grundsatz der Kostendeckung und das Äquivalenzprinzip zu Grunde liegen.
Der Grundsatz der Kostendeckung hat über § 8 Abs. 3 GebBtrG eine Regelung im Berliner Recht
erfahren und schreibt fest, dass die „Höhe der Benutzungsgebühren […] so zu bemessen [ist], daß
alle Kosten der Einrichtungen gedeckt sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und technische
Entwicklung gebildet werden können.“. Da die City-Maut jedoch nicht zur Unterhaltung der
Straßeninfrastruktur erhoben wird, sondern es ausschließlich um die Straßennutzung geht, scheidet
eine Orientierung an diesem Grundsatz aus.138
Das Äquivalenzprinzip ist die Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und besagt, dass
die Gebühr, bezogen auf den gesetzlich bestimmten Zweck, nicht in einem groben Missverhältnis
zu der vom Träger erbrachten Leistung stehen darf, deren Wert sich insbesondere in den dafür
erbrachten staatlichen Aufwendungen niederschlägt.139 Es dient somit der Abschöpfung von
Vorteilen, die dem*der Einzelnen aus der Leistung der öffentlichen Hand entstehen.
Die Bemessung der Gebühr anhand der bereitgestellten staatlichen Leistung in Form der
Verkehrsinfrastruktur ist schwer, da für diese kein Marktpreis existiert.140 Daher wird zum Teil eine
Orientierung an ÖPNV-Ticketpreisen erwogen.141
Es ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass gebührenrechtliche Regelungen auf eine gewünschte
Verhaltenssteuerung ausgerichtet werden dürfen und damit eine Lenkungswirkungen bezwecken
können.142 Die sachlichen Gründe, die die Gebührenbemessung rechtfertigen können, sind daher
auch soziale Zwecke und Zwecke der Verhaltenslenkung.143
Der Gesetzgeber hat bei der Gebührenbemessung aufgrund der häufig nicht exakt und im Voraus
quantifizierbaren Bestimmungsgrößen einen gewissen Gestaltungsspielraum.144 Zu beachten ist
hierbei jedoch, dass die Lenkungsziele allein nicht die Erhebung der Gebühren rechtfertigen können
138
So Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440.
139
BVerfG, Urteil v. 04.08.2010 – 9 C 6/09, Rn. 38; Schönenbroicher, in Christ/Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016,
Kapitel D Rn. 589.
140
Münzing, NZV 2014, 197, 200.
141
So Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440.
142
BVerfG, Urt. v. 04.08.2010 – 9 C 6/09, Rn. 17.
143
BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvL 2/14, 2 BvL 5/14, 2 BvL 4/14, 2 BvL 3/14, Rn. 64.
144
BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvL 2/14, 2 BvL 5/14, 2 BvL 4/14, 2 BvL 3/14, Rn. 66 f.
54/134
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– sie können vielmehr erst bei der Rechtfertigung von Differenzierungen bei der Gebührenhöhe eine
Rolle spielen, um dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG gerecht zu werden.
6.3.4
Durchsetzbarkeit durch Kennzeichenerfassung
Je nach Ausgestaltung der City-Maut stellen sich weitere Fragen zur Durchsetzbarkeit und Kontrolle.
Bei einer City-Maut durch automatische Kennzeichenerfassung durch Kameras, muss diese
datenschutzrechtlichen Anforderungen genügen. Da bei dieser Form der Ausgestaltung in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen würde, bedarf es einer gesetzlichen
Grundlage.145 Die gesetzliche Grundlage muss Regelungen umfassen, dass die Daten nur zum
Zweck der Überwachung der Einhaltung der City-Maut erhoben, verarbeitet und genutzt werden
dürfen. Ebenso ist die unverzügliche Löschung der Daten anzuordnen, nachdem die Entrichtung der
City-Maut festgestellt wurde.
6.4 Ausgestaltung als Sonderabgabe
Bei der Ausgestaltung der City-Maut als Sonderabgabe ist zwischen der Sonderabgabe mit
Finanzierungsfunktion und der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion zu unterscheiden. Der
Unterschied zu einer Straßennutzungsgebühr bestünde darin, dass die Sonderabgabe nicht von
einer Gegenleistung abhinge, der Unterschied zur Steuer besteht darin, dass die Sonderabgabe sich
an einer bestimmten Gruppe mit besonderer Verantwortung orientiert.146
6.4.1
Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Sonderabgabe
Die Gesetzgebungskompetenz für eine Sonderabgabe, gleich ob mit Finanzierungs- oder
Lenkungsfunktion, resultiert aus der Sachgesetzgebungszuständigkeit der Art. 70 ff GG. 147 Hierzu
kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Den Ländern steht die Gesetzgebungskompetenz
gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG zu, wobei die vom Bund bereits geregelten Materien auszunehmen
sind.
6.4.2
Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion
Aufgrund
der
Nähe
zur
Steuer
und
den
nicht
zu
unterlaufenen
föderalen
Gesetz-
gebungskompetenzen, steht die Sonderabgabe unter einem strengen Rechtfertigungsdruck.148 Sie
ist daher nur zulässig, wenn sie
145
Eine Orientierung kann anhand der Regelungen des Bundesfernstraßenmautgesetzes vom 12.07.2011 (insb. §§ 4 und 9 BFStrMG) erfolgen,
BGBl. I, S. 1378.
146
Pommer, in Christ/Oebbecke (Hrsg.), Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, Kapitel G Rn. 5.
147
Wissenschaftliche Dienste, WD 4 v. 26.02.2013 – 3000 – 017/13, Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer Pkw-Maut,
S. 9.
148
Seiler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 87. EL März 2019, Art. 105 Rn. 84.
55/134
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•
von einer homogenen Gruppe von Abgabenpflichtigen, die durch eine vorgegebene
Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit
abgrenzbar ist, erhoben wird,
•
zwischen dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck und der Gruppe eine spezifische
Sachnähe im Sinne einer Gruppenverantwortung besteht,
•
das Abgabenaufkommen gruppennützig verwendet wird
•
und die Sonderabgabe regelmäßig überprüft wird.149
Die City-Maut als Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion für den ÖPNV kommt nicht in Betracht.
Während sich die Gruppenzugehörigkeit noch aus den Nutzer*innen der mautpflichtigen Straßen
ergibt, fehlt es vorliegend an der gruppennützigen Verwendung. Die positiven Effekte eines
ausgebauten ÖPNV und dessen stärkere Nutzung, die sich in einer Entlastung des Innenstadtverkehrs und einer Staureduzierung bemerkbar macht, sind mittelbare Effekte. Der unmittelbare
Nutzen des ÖPNV kommt allen Bewohner*innen und Pendler*innen in diesem Bereich zu Gute, so
dass eine Mittelverwendung im Interesse der Allgemeinheit vorliegt.150
6.4.3
Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion
Möglich erscheint jedoch die Ausgestaltung in Form der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion.
Lenkungssonderabgaben sind Abgaben, die Anreize zu bestimmten Verhalten setzen sollen. Die
Voraussetzungen zur Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion gelten hier in eingeschränkter
Form.151 Insbesondere kommt es bei der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion nicht darauf an, dass
das Abgabenaufkommen nach seiner Erhebung den Abgabepflichtigen zugutekommt.
Dies resultiert aus dem Anlass der Abgabe, die nicht primär der Finanzierung dient, sondern Anreiz
für ein bestimmtes Verhalten setzen will. Mit der City-Maut können verschiedene Ziele verfolgt
werden, wie eine Intensivierung des Umweltschutzes oder die Reduzierung des innerstädtischen
Verkehrs im mautpflichtigen Bereich. Da eine Finanzierung nicht primäres Ziel dieser Ausgestaltung
ist, liegt das Ziel vorliegend darin, die Kraftfahrzeuge aus der Innenstadt fern zu halten und die
Nutzer*innen auf den ÖPNV umzusteigen zu lassen.
Die Abgabe betrifft eine homogene Gruppe, die sich von der Allgemeinheit abgrenzen lässt –
Autofahrer*innen, die in den mautpflichtigen Bereich einfahren. Ebenso liegt die erforderliche
Sachnähe vor, da MIV zur Luftverschmutzung und zur Bildung von Staus beiträgt. Die
gruppennützige
Verwendung
lenkungszweckbezogenen
wird
dahingehend
Verwendung
zugeführt
modifiziert,
wird.152
als
Bei
dass
der
die
Abgabe
einer
naturschutzrechtlichen
Ausgleichsabgabe sah das Gericht die gruppennützige Verwendung darin, dass das Abgabeaufkommen insgesamt für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwenden ist
149
BVerfG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3/77.
150
Klinger, ZUR 2016, 591, 595; Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440.
151
BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 50/83.
152
Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
und dazu „Eingriffe zu vermeiden und Unvermeidbare auszugleichen oder dafür Ersatz zu
schaffen“.153
Parallel dazu dient der Ausbau des ÖPNV und dessen Betrieb dem Zweck, Belastungen der
Allgemeinheit durch Staus und überhöhtes Verkehrsaufkommen zu reduzieren, da durch bessere
Verkehrsanbindungen und günstigere Ticketpreise der Gebrauch des eigenen Autos unattraktiver
erscheint.154
Im Gegensatz zur Ausgestaltung der City-Maut als Straßennutzungsgebühr, der eine Gegenleistung
gegenübersteht, ist die Bemessung der Höhe der Sonderabgabe hier weniger problematisch.
6.5 Grundrechtliche Aspekte
Die Einführung einer City-Maut betrifft in jeder Ausgestaltung den grundrechtlich geschützten
Bereich der Bürger*innen.
Ein Eingriff in Art. 14 GG dürfte nicht anzunehmen sein, da der Eigentumsschutz des Grundgesetztes
nicht das Vermögen als solches umfasst und staatliche Abgabepflichten, durch Steuern oder
Gebühren, nicht umfasst.155 Auch wenn man mit Anknüpfung an die konkrete Eigentumsposition
der Kraftfahrzeuginhaber*innen und die eingeschränkte Benutzungsmöglichkeit eine Beeinträchtigung annimmt,156 müsste eine hohe Belastungswirkung erreicht werden, um sie einem
klassischen Eingriff gleichzustellen.157
Die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dürfte durch den legitimen
Zweck der Verkehrsverminderung auf innerstädtischen Straßen, die Eignung sowie die Erforderlichkeit der Maßnahme, gerechtfertigt sein. Die Angemessenheit der Maßnahme dürfte von der
konkreten Ausgestaltung abhängen.
Aufgrund des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG sind Befreiungen für Personen vorzunehmen, die, wie
Schwerbehinderte, auf eine Benutzung von Kraftfahrzeugen in der Innenstadt zwingend angewiesen
sind.158
6.6 Zwischenergebnis
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Einführung einer City-Maut einer gesetzlichen Grundlage
bedarf. Eine Ausgestaltung als Steuer ist, sofern man sie überhaupt für einschlägig erachtet,
angesichts der Ertragshoheit nicht zielführend. Die Einführung als Straßenbenutzungsgebühr
beziehungsweise als Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion erscheint möglich – auch, wenn
hinsichtlich der Gebührenhöhe rechtliche Schwierigkeiten vorliegen.
153
BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 50/83.
154
So auch Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1440 f.
155
BVerfG, Urt. v. 08.04.1997 – 1 BvR 48/94.
156
So: Klinger, ZUR 2016, 591, 597.
157
Zur Eingriffsqualität von Zahlungspflichten: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, 14. A. 2016, Art. 14 Rn. 28 f.
158
Schröder, NVwZ 2012, 1438, 1443.
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7
PARKGEBÜHREN
7.1 Allgemeine Kompetenz für die Erhebung von Parkgebühren
Der Bund hat in § 6a Abs. 6 StVG, §§ 13, 45 StVO eine Straßennutzungsgebühr in Form der
Parkgebühr geregelt – also ausschließlich eine Gebühr für den ruhenden Verkehr. Diese
Parkgebühren sind von dem Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Var. 4 GG umfasst, der die
Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung von öffentlichen Straßen
regelt.
In § 6a Abs. 6 StVG ist geregelt, dass für „das Parken auf öffentlichen Wegen und Plätzen […] in
Ortsdurchfahrten die Gemeinden, im Übrigen die Träger der Straßenbaulast, Gebühren erheben
[können]. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt,
Gebührenordnungen zu erlassen.“. Die nun vorliegende Ausgestaltung der Norm verfolgt das Ziel,
„die Parkgebührenerhebung künftig vollständig der freien Disposition der Kommunen zu
überlassen.“.159
7.2 Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung
Durch den § 6a Abs. 6 StVG kommt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass die Nutzung
des öffentlichen Raums eine öffentliche Leistung darstellt. Die Schaffung und Einräumung von
Parkraum
geht
über
die
üblichen
Leistungen
des
Gemeinwesens
hinaus,
so
dass
Verkehrsteilnehmer*innen, die diese Leistung nutzen, angemessen an den Kosten beteiligt werden,
die der „Aufrechterhaltung des Fahrzeugverkehrs durch bauliche und verkehrstechnische
Maßnahmen dienen.“.160
7.2.1
Einschränkende Vorgaben der StVO
Obwohl die Regelung in § 6a Abs. 6 StVG die Erhebung von Gebühren voraussetzungslos vorsieht,
muss die Einführung einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung, die eine Beschränkung des
Verkehrs darstellt, verkehrlich begründet werden.
Die Rechtsgrundlage für die Anordnung des gebührenpflichtigen Kurzzeitparkens ist § 45 Abs. 1
Satz 1 StVO,161 da § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO nur für die Anordnung von Bewohnerparkzonen gilt.
Die Vorgaben in § 45 StVO sehen jedoch einen Numerus clausus von Tatbeständen vor. Daher
bedarf es einer verkehrlichen Begründung, wie etwa hohem Parkdruck162, um die Nutzung
einschränken zu können. Eine Parkraumbewirtschaftung findet daher dort statt, wo die Zahl der
parkenden Autos die Zahl der vorhandenen Parkplätze übersteigt und somit eine Überschussnachfrage besteht. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Parkdruck“ ist nicht vorhanden.
159
BT-Drs. 15/1496, S. 6.
160
BT-Drs. 15/1496, S. 6.
161
VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00.
162
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Leitfaden Parkraumbewirtschaftung, Berlin 2004, S. 28.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Verursacht
der
hohe
Parkdruck,
dass
der
Verkehrsfluss
oder
die
Sicherheit
anderer
Verkehrsteilnehmer*innen beeinträchtigt wird, kann aufgrund von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO die
Anordnung des Kurzzeitparkens in Betracht kommen.
Dafür muss das geschützte Gut, die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, konkret gefährdet sein
– wobei es ausreichend ist, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist. Es reicht aus,
dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle
eintreten können.163
7.2.2
Bestimmtheit der Maßnahme und verkehrspolitische Zielsetzung
Die Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können nur für bestimmte Straßen oder
Straßenstrecken, also konkrete örtliche Verkehrssituationen getroffen werden.164 Flächendeckende
Maßnahmen können daher nur dann ganze Gemeindegebiete oder Ortsteile umfassen, wenn die
Voraussetzungen bei jeder einzelnen Straße vorliegen.165 Das gilt ebenso für flächendeckende
Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen. In aller Regel bildet § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO keine
geeignete Rechtsgrundlage zur Erreichung einer „autofreien Innenstadt“.166
Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, die allein der Verwirklichung allgemeiner
verkehrspolitischer Ziele, wie der Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs, oder der
Förderung des ÖPNV dient, scheidet aus.167 Dies gilt auch dann, wenn die Parkraumbewirtschaftung
gerade das Ziel verfolgt, Fahrzeugverkehr zugunsten des Wirtschafts-, Anwohner- und öffentlichen
Nahverkehrs zu verdrängen.168 Anordnungen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO müssen aus Gründen
der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs notwendig sein. Eine Beschränkung auf Grundlage des
§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt daher allenfalls dann in Betracht, wenn jedenfalls straßenverkehrsbezogene Gründe vorliegen, die für sich allein die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen.169
7.2.3
Geordnete städtebauliche Entwicklung
Eine Anordnung von flächendeckenden Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen – außerhalb von
Fußgänger- und verkehrsberuhigten Bereichen – mit Verweis auf die geordnete städtebauliche
Entwicklung gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO stößt auf rechtliche Bedenken.
Die Straßenverkehrsbehörden werden durch § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO ermächtigt, notwendige
Anordnungen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen oder zur Unterstützung einer
geordneten städtebaulichen Entwicklung zu treffen.
163
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 6, 8.
164
König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 27.
165
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 4.
166
König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 27.
167
König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 28.
168
VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00.
169
KG Berlin, Beschl. vom 05.07.1990 – 2 Ss 157/90 – 3 Ws (B) 163/90; VG Berlin, Beschl. v. 27.03.2001 – 27 A 332.00; König, in:
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 28 m.w.N.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Für die Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung mittels Anordnungen bedarf
es zunächst eines hinreichend konkreten Verkehrskonzepts für den betroffenen Bereich. 170
Der Anwendungsbereich der Norm wird jedoch durch das BVerwG mit Verweis auf deren
Rechtsgrundlage, § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG, auf den Immissionsschutz in Fußgängerbereichen und
verkehrsberuhigten Bereichen beschränkt.171 In § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG wird das Bundesministerium
für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt, Rechtsverordnungen über „[…] die Kennzeichnung
von Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen und die Beschränkungen oder Verbote
des Fahrzeugverkehrs zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit in diesen Bereichen, zum Schutz
der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen und zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen
Entwicklung“ zu erlassen.
Dieses Verständnis mag unter dem Gesichtspunkt, dass Fußgänger- und verkehrsberuhigte
Bereiche ohnehin schon geringerer Lärm- und Abgasbelastung ausgesetzt sind nicht sinnvoll
erscheinen. Ebenso bestehen getrennte Regelungen zu Fußgänger- und verkehrsberuhigten
Bereichen einerseits (§ 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 StVO), und zu Lärm- und Abgasschutz (§ 45 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3) und zur städtebaulichen Entwicklung andererseits (§ 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO).
Auch ein Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur vertritt jedoch die Auffassung, dass § 45 Abs.
1b Satz 1 Nr. 5 StVO keine Ermächtigung für flächendeckende Verkehrsbeschränkungen umfasse.172
7.2.4
Schutz vor Lärm und Abgasen
Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung unter Bezugnahme auf die Luftreinhaltung
erscheint ungewiss.
Zur Kompetenz gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO gelten die zuvor gemachten einschränkenden
Ausführungen. Gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können verkehrsbeschränkende Maßnahmen
auch zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen erlassen werden.
Der nach der Vorschrift zulässige Lärmschutz ist grundsätzlich subsidiär – da planerische
Maßnahmen nach Bundesimmissionsschutzgesetz und passive Schallschutzmaßnahmen vorrangig
sind.173 Die Immission braucht jedoch nicht die Gefahrenschwelle zu überschreiten, es genügt, dass
die Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird.174
Obwohl § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch Maßnahmen zum Schutz vor Abgasen, also die Luft
verunreinigende Stoffe, die vom Motor durch den Auslass in die Atmosphäre gelangen,175 umfasst,
hat das BVerwG die Vorschrift nicht als taugliche Grundlage zur flächendeckenden Beschränkung
zum Schutz vor erhöhten Ozonkonzentrationen angesehen.176
170
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 63.
171
BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25.98; Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 63.
172
König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 35.
173
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 33.
174
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 34.
175
Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 45 StVO Rn. 40.
176
BVerwG, Urt. v. 15.04.1999 – 3 C 25.98; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 45 StVO Rn. 29 –
im Übrigen handelt es sich bei Ozon schon nicht um ein Abgas, da es erst aufgrund chemischer Umwandlung entsteht.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Hinsichtlich des Zieles der Einhaltung von Schadstoff-Grenzwerten ist zu beachten, dass das VG
Wiesbaden
nunmehr
die
Aufnahme
eines
Parkraumbewirtschaftungskonzepts
in
den
Luftreinhalteplan als erforderlich ansah. Zur Begründung wurde auf die erhebliche Abnahme des
innerstädtischen motorisierten Individualverkehrs und die damit einhergehende SchadstoffMinderung
abgestellt.
Kostenloser
Parkraum
solle
grundsätzlich
Anwohner*innen
und
Schwerbehinderten vorbehalten bleiben.177 Die hierfür notwendigen tatsächlichen Feststellungen
fehlten jedoch aus Sicht der Berufungsinstanz.178
7.3 Gebührenhöhe für Kurzzeitparken
Die Gebühren und deren Höhe werden von den Landesregierungen festgesetzt und weisen eine
besondere Steuerungswirkung auf.
Die Gebührenerhebung in Berlin ist gem. § 1 Abs. 1 S. 2 der Verordnung zur Erhebung von
Gebühren an Parkuhren und an Parkscheinautomaten (ParkGebO BE) nach dem Wert festzusetzen,
den der Parkraum für die Nutzer*innen nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen hat. Daher sind
andere öffentliche Interessen, wie lokale Luftreinheit, bei der Festlegung der Gebührenhöhe
unberücksichtigt zu lassen. Die konkrete Wertermittlung wird durch § 1 ParkGebO BE nicht
vorgegeben. Die Wertermittlung könnte sich an den Mietkosten für private Pkw-Stellplätze
orientieren.
Eine Ausgestaltung durch dynamisch, zeitlich gestaffelte Gebühren, ist möglich, so dass
Nachfrageschwankungen berücksichtigt werden können. Da der schwankenden Attraktivität der
Parkflächen und unterschiedlichen Bedarfen zu verschiedenen Tageszeiten Rechnung getragen wird,
orientiert sich eine solche dynamische Regelung eher am Wert des Parkraums für die Benutzer*innen.
Die für die Gebührenhöhe festgelegte – beschränkende – Orientierung am Wert des Parkraums für
die Benutzer*innen könnte durch eine Gesetzesänderung auf Landesebene geändert werden.
7.4 Handlungsspielräume bei Gebühren für Bewohnerparken
Bei Maßnahmen der Parkraumbewirtschaftung, die mit der Erhebung einer Gebühr verbunden sind,
erfolgt in der Regel eine Bevorrechtigung von Bewohner*innen der jeweiligen Gebiete.
7.4.1
Bewohnerparkausweis gem. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO
Die Bevorrechtigung nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO wird entweder durch Reservierung von
Parkraum oder durch Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen
eingeräumt.
Der Handlungsspielraum bei der Festlegung der Gebührenhöhe für das Bewohnerparken war hierbei
bisher eingeschränkt. Die Kommune war an den vom Bund festgesetzten Gebührenrahmen der
177
VG Wiesbaden, Urt. v. 05.09.2018 – 4 K 1613/15.WI.
178
VGH Kassel, Urteil v. 10.12.2019 – 9 A 2691/18.
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Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) gebunden. Nach Gebührennummer
265 der Anlage zu § 1 GebOSt konnte für Bewohnerparkausweise maximal eine Gebühr in Höhe
von 30,70 Euro pro Jahr erhoben werden.
Durch die Reform des Straßenverkehrsgesetzes haben sich jedoch weitere Handlungsspielräume
ergeben. Der nunmehr neu eingefügte § 6a Abs. 5a StVG lautet:
„Für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit
erheblichem Parkraummangel können die nach Landesrecht zuständigen Behörden
Gebühren erheben. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen
ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen. In den Gebührenordnungen können auch
die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige
Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. In
den Gebührenordnungen kann auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung
kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen werden.“
In Berlin beträgt die Verwaltungsgebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises bei bis
zu zweijähriger Geltungsdauer 20,40 Euro.179 Angesichts des neuen § 6a Abs. 5a StVG besteht
nunmehr die Möglichkeit für das Land Berlin von dem bisherigen Gebührenrahmen abzuweichen
und insbesondere den wirtschaftlichen Wert der Parkmöglichkeit für die Bewohner*innen
angemessen zu berücksichtigen.
7.4.2
a)
Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 StVO
Rechtsgrundlage und Erteilungsvoraussetzungen
Ein Parkausweis für Anwohner*innen kann gem. § 46 Abs. 1 StVO auch als Ausnahmegenehmigung
erteilt
werden,
wobei
die
Erteilung
im
Ermessen
der
Behörde
liegt. 180
Betraf
die
Ausnahmegenehmigung in der Regel Betriebsvignetten und Handwerkerparkausweise, 181 so sind
einige Städte, wie Leipzig und München, inzwischen dazu übergegangen, Bewohnerparkausweise
nach § 46 Abs. 1 StVO zu erteilen.
Die Ausgestaltung kann zum Beispiel in der Form der Ausnahmegenehmigung zum gebührenfreien
Parken an Parkscheinautomaten (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4a StVO) 182 erfolgen. Die Form einer
Ausnahmegenehmigung steht der wiederkehrenden Erteilung dabei nicht entgegen – da die
Genehmigung erneuert werden kann, solange die Voraussetzungen vorliegen. 183 VI. VwV zu § 46
StVO schreibt lediglich fest, dass Dauerausnahmegenehmigungen auf höchstens drei Jahre zu
befristen sind.
179
https://service.berlin.de/dienstleistung/121721/ - letzter Aufruf: 25.09.2019.
180
Sächsisches OVG, Beschl. v. 08.10.2012 – 3 A 431/11.
181
Vgl. hierzu https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/ordnungsamt/betriebsvignetten-handwerkerparkausweise/,
letzter Aufruf 07.10.2019.
182
Vgl. https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-unddienstleistungen/dienstleistung/erteilung-von-ausnahmegenehmigungen-fuer-das-anwohnerparken-nach-46-abs-1-stvo-530f03b542b99/,
letzter Aufruf 07.10.2019.
183
Müller/Rebler, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, 3. Auflage 2017, § 46 StVO Rn. 4.
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Nach den VwV zu § 46 StVO kann eine Ausnahmegenehmigung nur in dringenden Fällen erteilt
werden, wobei an den Nachweis der Dringlichkeit strenge Anforderungen zu stellen sind. Die
praktische
Umsetzung
dieser
Voraussetzung
erfolgt
zum
Teil
dergestalt,
dass
die
Ausnahmegenehmigung nur erteilt wird, wenn nachgewiesen wird, dass private Stellplätze nicht
genutzt werden können.184 Dadurch wird auch dem rechtlichen Einwand begegnet, dass die
Gestaltung
von
Bewohnerparkausweisen
als
Ausnahmegenehmigung
eine
Umgehung
der
Vorschriften zu Bewohnerparkausweisen in § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2b StVO sei. Bei dem
beschriebenen Vorgehen ist der Kreis der Berechtigten nämlich nicht deckungsgleich, da im Fall der
Ausnahmegenehmigung zusätzliche Nachweise geführt werden müssen.
Darüber hinaus sind nur Ausnahmen zu gewähren, deren Notwendigkeit aus der konkreten Situation
heraus resultieren – und nicht aus einem allgemeinen Verkehrskonzept. Die Literatur führt daher
aus, dass ein an städtebauliche Belange anknüpfendes Konzept der Anwohnerprivilegierung nicht
über §§ 45, 46 StVO möglich sei, vielmehr muss sich die Parkraumbeschränkung als notwendig
erweisen, so dass sich die besondere Behandlung der Anwohner*innen als Nachteilsausgleich
erweist, sofern sie die Regelung übermäßig hart trifft.185
Bisher beschränkt sich die Anwendung des § 46 StVO in Hinblick auf das Bewohnerparken jedoch
auf begrenzte innerstädtische Bereiche – nicht auf eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung.
Da diesbezüglich keine Rechtsprechung vorliegt, kann nicht abschließend beurteilt werden, wie ein
mit dieser Frage befasstes Gericht entscheiden wird.
b)
Gebührenrahmen
Bei der Ausnahmegenehmigung handelt es sich um eine gebührenpflichtige Verwaltungshandlung.
Gem. Gebührennummer 264 der Anlage zu § 1 GebOSt kann für die Ausnahmegenehmigung eine
Gebühr zwischen 10,20 Euro und 767,00 Euro je Ausnahmetatbestand und je Fahrzeug/Person
erhoben werden – womit der Gebührenrahmen deutlich über dem bisher bundesrechtlich festgelegten Gebührenrahmen nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO liegt.
Aufgrund des bereits genannten Prinzips der Kostendeckung sowie des Äquivalenzprinzips dürfte
bei der Festlegung der Gebührenhöhe der finanzielle Vorteil der Ausnahmegenehmigung gegenüber
der privaten Anmietung eines Stellplatzes bzw. der hohen Parkgebühren zu berücksichtigen sein.
Ebenso dürften auch die Betriebskosten, die der Stadt durch die Bereitstellung einer Parkfläche auf
einer öffentlichen Straße entstehen, in die Bewertung mit einfließen.
7.5 Überschüsse und Ertragshoheit
Bei der Erhebung von Parkgebühren kann neben verkehrspolitischen Zwecken auch die
Einnahmenerzielung berücksichtigt werden. Die Erhebung von Parkgebühren basiert auf der
bundesrechtlichen Grundlage des § 6a Abs. 6 StVG, weshalb ein aus Kommunalabgabengesetzen
184
Vgl. https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-unddienstleistungen/dienstleistung/erteilung-von-ausnahmegenehmigungen-fuer-das-anwohnerparken-nach-46-abs-1-stvo-530f03b542b99/,
letzter Aufruf 08.10.2019.
185
Tettinger/Tettinger, NZV 1998, 481, 484.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
stammendes Kostenüberschreitungsverbot nicht gilt.186 Da die Einnahmen aus den Parkgebühren
nicht zweckgebunden sind,187 sind die Gemeinden grundsätzlich frei, diese im Rahmen des Haushaltsrechts einzusetzen. Auch eine Verwendung für den ÖPNV ist damit denkbar.
Teilweise
wird
vertreten,
die
fehlende
Zweckbindung
indiziere
zugleich,
dass
eine
Einnahmenerzielung stattfinden darf, ohne dass der Kostenaufwand für die Errichtung und
Unterhaltung der Gemeindestraßen exakt gegengerechnet werden müsse.188
Vor dem Hintergrund der beabsichtigten verbesserten ÖPNV-Finanzierung erscheint die Parkraumbewirtschaftung jedoch unter dem Aspekt der Ertragshoheit als problematisch, da die Einnahmen
den Berliner Bezirken zustehen. Eine direkte Kopplung zwischen den Einnahmen aus der
Parkraumbewirtschaftung und ÖPNV-Finanzierung ist daher nicht ohne Weiteres möglich.
7.6 Durchsetzung
Hinsichtlich der Durchsetzung eines erweiterten oder flächendeckenden Parkraumkonzeptes ist auf
das Erfordernis von ausreichenden Sach- und Personalressourcen hinzuweisen. Im Rahmen der
Überwachung der Einhaltung der Vorschriften wird zum Teil auch die Einführung höherer Bußgelder
– die insbesondere über den erhobenen Parkgebühren liegen sollten – als ratsam erachtet.189
7.7 Zwischenergebnis
Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung ist insbesondere in Bereichen mit hohen Parkdruck
möglich. Ebenso bestehen derzeit schon Handlungsspielräume hinsichtlich der Gebührenhöhe, die
noch nicht genutzt wurden. In Bezug auf die Parkraumbewirtschaftung für Bewohner*innen eines
bestimmten
Quartiers
kann
zwar
grundsätzlich
auch
die
Umsetzung
über
eine
Ausnahmegenehmigung erwogen werden. Durch die Neueinfügung des § 6a Abs. 5a StVG steht
jedoch ein Handlungsspielraum zur Verfügung, der diesen Rückgriff obsolet macht. Für eine
flächendeckende Ausweitung bestehen insoweit rechtliche Unsicherheiten.
186
OVG Greifswald, Urt. v. 27.02.2018 – 1 K 21/14; VG München, Urt. v. 11.08.2010 – M 23 K 10.462.
187
VG Aachen, Beschl. v. 19.01.2007 – 2 L 432/06.
188
OVG Greifswald, Urt. v. 27.02.2018 – 1 K 21/14.
189
VG Wiesbaden, Urt. v. 05.09.2018 – 4 K 1613/15.WI.
64/134
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TEIL II: VERKEHRSWIRTSCHAFTLICHE BEWERTUNG
8
GRUNDLAGEN
8.1 Methodik und Prozessablauf
In den letzten Jahren hat die Diskussion über eine zukunftsträchtige Finanzierung des ÖPNV wieder
deutlich an Fahrt gewonnen. Dabei sind drei Stoßrichtungen zu beobachten:
•
Auf kommunaler wie auf Landesebene sind zahlreiche Ansätze in der Erprobung, durch
tarifpolitische Maßnahmen die Attraktivität des ÖPNV zur Unterstützung der Klimaschutzziele zu steigern oder seine Nutzung sozialpolitisch zu fördern. Beispiele hierfür sind 365Euro-Tickets für bestimmte Nutzer*innengruppen wie Schüler*innen/Auszubildende,
verschiedene Sozialtickets oder auch ein kostenloser Nahverkehr wie in Luxemburg oder
geplant in Monheim. Diesen Maßnahmen ist gemein, auf freiwilliger Basis angeboten zu
werden. Die Finanzierungsdimension ergibt sich mittelbar, indem Einnahmenausfälle im
Vergleich zum Status quo des Einführungszeitpunktes entstehen und kompensiert werden
müssen.
•
Ein zweiter Impuls folgt der Überlegung, das klassische ÖPNV-Ticket auf der Leistungsseite
hin zu einem Mobilitätsticket auszuweiten. Auch hierbei handelt es sich um Flatrates, die –
zudem digital vertrieben – den Nutzer*innen anheimstellen, verschiedene Verkehrsmittel
nach seiner Wahl nutzen zu können („Mobility as a service“). Beispiele hierfür sind das
Konzept der Stadtwerke Augsburg (umfasst Straßenbahn, Bus, Car-Sharing und Leihräder)
oder im internationalen Maßstab Helsinki, das sogar den Flugverkehr in der weitesten
Auslegung einschließt. Die Herausforderung an die Finanzierung dieser Geschäftsmodelle
liegt in der Mischkalkulation eines auskömmlichen Preises und der Einnahmeaufteilung,
insbesondere solange das Nachfrageverhalten für neue Mobilitätsformen und deren
Kostenfunktionen noch schwer einzuschätzen sind.
•
Die dritte Stoßrichtung – die den Schwerpunkt dieser Studie bildet – speist sich im
Wesentlichen aus der Idee, eine Ausweitung des ÖPNV-Angebotes durch eine allgemeine
Abgabe zu finanzieren, deren Einnahmen hierfür zugunsten des ÖPNV zweckgebunden
werden. Die Analyse der beiden vorgenannten Fallgruppen ist hierfür insofern wertvoll, als
die tarifären Zusammenhänge wichtige Erkenntnisse liefern können oder die Ausdehnung
des Leistungsspektrums eine Chance bietet, den Mehrwert des Instrumentes Abgabe zu
erhöhen und zu bewerben.
In der Gesamtschau wird deutlich, dass es sich zu Beginn dieser Studie lohnt, sowohl auf der
theoretisch-konzeptionellen Ebene wie auch empirisch „über den Tellerrand“ zu schauen, welche
Vorarbeiten und Praxisbeispiele Anschauungsunterricht für den Berliner ÖPNV liefern können.
Konzeptionell sind vier vergleichbare Vorarbeiten erwähnenswert, für die in Abbildung 4 die untersuchten Instrumente sowie der Analyseansatz und die Kernaussagen aufgeführt werden.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Auftraggeber,
Studie
Piratenfraktion im
Berliner
Abgeordnetenhaus
Jahr
2015
Instrumente
Bürger*innenticket
Methodik / Kernaussagen
▪
Methodik: Schätzung des konsumtiven
Finanzierungsbedarfs für einen fahrscheinlosen
Berliner ÖPNV auf Sollkosten-Basis, und zwar
durch Hochrechnung der Kosten je Pkm unter
Einbeziehung von Verlagerungswirkungen, die zu
Mehrbedarf an öffentlichen Verkehrsleistungen
führen.
▪
Finanzierungsbedarf von 2,2 bis 2,7 Mrd. EUR
p.a. (ohne Investitionen, bei moderaten
Verlagerungswirkungen).
▪
Refinanzierung: Instrumente der Nutzer*innenund Nutznießerfinanzierung (s. links) wurden
rechtlich wie monetär bewertet – fast
deckungsgleich mit dem hier zugrunde gelegten
Instrumentenkasten.
▪
Bewertung: Finanzierbarkeit über verschiedene
Maßnahmen-Sets herstellbar, wenn jeweils das
Bürger*innenticket oder der
Erschließungsbeitrag mit
Drittnutzerfinanzierungsinstrumenten und
flankierenden Maßnahmen wie der City-Maut
oder der Parkraumbewirtschaftung kombiniert
werden.
▪
Diskussion einer großen Bandbreite an
drittnutzerbasierten Finanzierungsinstrumenten,
differenziert nach rechtlich bereits umsetzbaren
Maßnahmen und solchen neuen, die rechtlichen
Änderungsbedarf induzieren
▪
Vertiefte Analyse - ohne Berechnung der
Einnahmenpotentiale - einzelner Instrumente
der Nutzer*innen- und Nutznießerfinanzierung
(s. links)
▪
Kfz-Nahverkehrs-abgabe
(inkl. Abgrenzung zur
Straßenbenutzungsgebühr)
Weiteres Vorgehen: in 2018 Beauftragung einer
detaillierteren Untersuchung der drei
Instrumente Mobilitätspass für alle
Einwohner*innen einer Kommune
(Bürger*innenticket), Nahverkehrsabgabe von
Kfz-Halter*innen und Straßenbenutzungsgebühr
für Kfz-Nutzer*innen; hierzu Auswahl der vier
Modellkommunen Mannheim/Heidelberg,
Stuttgart, Tübingen und Bad Säckingen.
▪
Ergebnisse dieser Pilotuntersuchungen stehen
zum Redaktionsschluss dieses Gutachtens noch
aus.
Bürger*innenticket
▪
Anlass für die Untersuchung: Ambition, den
steigenden Finanzierungsbedarf im ÖPNV mit der
politischen Forderung nach möglichst flachen
Tarifsteigerungen in Einklang zu bringen
▪
Vorgehen: neben Rechtsgutachten zu ÖPNVBeitragsmodellen wurden fünf Einzelgutachten
von verschiedenen Auftragnehmern zur
Umsetzbarkeit und wirtschaftlichen Ergiebigkeit
unterschiedlicher Instrumente der Nutzer*innenund Nutznießerfinanzierung (s. links) erstellt
▪
Ergebnis: verschieden hohe
Finanzierungsbeiträge und unterschiedliche
Eignungen der Instrumente für große Städte
bzw. Kreise im Quervergleich; umgesetzt wurde
bis dato noch kein konkreter Handlungsvorschlag
Beiträge von:
Arbeitgeber*innen,
Gästen und
Veranstaltungsorganisator*innen
„Grundlagen- und
Machbarkeitsstudie für
einen fahrscheinlosen
ÖPNV in Berlin“
Erschließungsbeiträge
Erhöhung inkl.
Zweckbindung der
Grund-, Gewerbe- und
Grunderwerbsteuer
City-Maut
Parkraumbewirtschaftung
Ministerium für
Verkehr BadenWürttemberg
2016
ÖPNV-Erschließungsbeiträge
ÖPNV-Grundgebühr
Bürger*innentickets
(inkl. Erweiterung um
Arbeitnehmer*innen,
Arbeitgeber*innen,
Einzelhandel,
Veranstalter)
„Instrumente zur
Drittnutzerfinanzierung
für den ÖPNV in BadenWürttemberg“
gesetzliche Stellplatzablöse
Transport Development
Districts
kommunale
Parkplatzsteuer
Mitteldeutscher
Verkehrsverbund
(MDV)
„Ergänzende Wege der
ÖPNV-Finanzierung im
Mitteldeutschen
Verkehrsverbund“
2016
flächenbezogener ÖVBeitrag
Erhöhung Grundsteuer/Kreisumlage
Arbeitgeber*innenbeitrag
ÖPNV-Beitrag
ÖPNV-Taxe
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Bremer
Bürgerinitiative
„einfach einsteigen“
2019
Umlagefinanzierung
(Einwohner*innen und
Pendler*innen)
Erhöhung
Gewerbesteuer (oder
Mitarbeiterabgabe)
Erhöhung Flughafenund Haltegebühren
(Fernbusse)
▪
Konkreter Vorschlag inklusive Modellrechnung für
den Umbau der Finanzierung des Bremer ÖPNV
▪
Konzept: paritätische Finanzierung von Betrieb
und Unterhalt des Nahverkehrs durch eine
Umlage auf Bürger*innen und Unternehmen
mittels Kombination von Instrumenten (s. links)
▪
Methodik: Ermittlung der Umlagenhöhen für
Bürger*innen und Unternehmen unter Annahme
einer 30%igen Steigerung der Fahrgästeanzahl
und Betriebskosten
▪
Ergebnis: freiwerdende Mittel für den
Nahverkehrsausbau i.H. von 75,5 Mio. EUR p.a.
durch Wegfall bisheriger Zuschüsse von Stadt
und Land an die Verkehrsunternehmen
▪
Umsetzung: Vorschlag eines Fahrplans für die
Einführung des Konzeptes in 2023
Erhöhung City-Tax
Pflichtabgabe
Großveranstalter
Abbildung 4:
Übersicht vergleichbarer Studien
Die Zahl der empirischen Fallbeispiele für in die Praxis umgesetzte Instrumente ist national wie
international deutlich dünner gesät. So gibt es für die Umlagefinanzierung, die Nutznießerfinanzierungsvorschläge und die City-Maut bisher in Deutschland keine Prototypen. Die Gründe der
Zurückhaltung sind vielschichtig, lassen sich aber im Kern auf die Faktoren der fachlichen
Komplexität und politischen Sensibilität reduzieren. Obschon das gewachsene Dickicht der
Mischfinanzierung im ÖPNV – auch als Spaghetti-Finanzierung bezeichnet – seit mindestens 20
Jahren als reformbedürftig gilt, geraten neue, ergänzende Instrumente leicht unter den
Generalverdacht, die Intransparenz noch zu erhöhen. Darüber hinaus waren Instrumente wie die
City-Maut/Nahverkehrsabgabe
oder
Parkraumbewirtschaftung
lange
Zeit
verkehrspolitisch
tabuisiert, da sie als Gängelung des MIV gebrandmarkt wurden. Erst seit wenigen Jahren wird
zunehmend parteiübergreifend diskutiert, dass auch der Straßenraum einen Knappheitspreis haben
sollte und seine Dimensionierung eine wichtige Stellgröße darstellt.
Zu den real beobachtbaren Instrumenten zählen:
•
Verschiedene Städte in Deutschland erheben von Tourist*innen eine City-Tax (z.B. Berlin,
Dresden,
Dortmund),
um
die
höhere
Zahlungsbereitschaft
von
Besucher*innen
abzuschöpfen. Abgabensystematisch handelt es sich allerdings um eine Steuer ohne
Zweckbindung. Ein Kombiticket für den ÖPNV ist hiermit bisher nicht verbunden.
Ausnahmen hiervon sind im deutschsprachigen Raum in Basel (Gasttaxe) oder Südtirol
(MeranCard) zu finden.
•
Bei den Push-Faktoren lassen sich für die City-Maut einzelne internationale Beispiele
finden. Die bekanntesten stammen aus London und Stockholm, die wir für die Berliner
Überlegungen vertiefend analysierten.
•
Beispiele einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung gibt es einige, bezogen auf die
Stellplatzmenge für ausgewählte Bereiche einer Stadt (in der Regel der klassische mittelalterliche Innenstadtkern mit Fußgängerzonen-Anteil) und die Preishöhe, jedoch selten mit
größerer Flächenausdehnung. In Leipzig wurde ein Konzept unter Nutzung der Ausnahmegenehmigung (§ 46 StVO) umgesetzt, das einen anderen Gebührenrahmen ermöglicht.
•
Die in Europa derzeit interessanteste „Laborwerkstatt“ einer Kombination von Maßnahmen
zur Aufwertung des ÖPNV als Kernelement einer lebenswerten und smarten City steht in
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
der österreichischen Hauptstadt Wien. Während in der öffentlichen Diskussion häufig das
365-Euro-Ticket für Jedermann im Vordergrund steht, liegt der Charme dieses Beispiels
bei näherem Hinsehen darin, diese tarifliche Maßnahme mit zahlreichen weiteren
Instrumenten zu flankieren und diese in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet zu
haben. So wurde schon 1969 die Dienstgeberabgabe eingeführt, um zweckgebundene
Einnahmen für den U-Bahn-Bau zu erhalten. Über Jahre wurde das Angebot des ÖPNV in
Vorleistung gezielt ausgebaut, die Parkraumbewirtschaftung verschärft und 2012 das 365Euro-Ticket eingeführt, dessen Preis seitdem konstant geblieben ist. Inzwischen besitzen
mehr Wiener*innen das Jahresticket als ein Auto.
Nach der Sondierung der Vorarbeiten und Praxisbeispiele lässt sich festhalten, dass sie wertvolle
Anregungen für Art und Zuschnitt der ergänzenden Instrumente liefern können. Eine Blaupause
lässt sich jedoch nicht ableiten, weil die rechtlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und
verkehrlichen Voraussetzungen im konkreten Anwendungsfall stets abweichen und somit spezifisch
betrachtet werden müssen.
Um die Machbarkeit der 7 ergänzenden Finanzierungsinstrumente für Berlin zu prüfen, sind wir
methodisch in folgenden Schritten vorgegangen:
•
Schritt 1a: Rechtliche Prüfung
Primärzweck der vorgeschalteten Rechtsprüfung war es, die bestehenden Regelungen –
insbesondere im Landes- und Kommunalrecht – dahingehend abzuklopfen, inwieweit sie mit
den Anforderungen an die einzelnen Instrumente vereinbar sind bzw. an diese mit welchem
Aufwand anzupassen wären. Hierdurch sollen die Maßnahmen frühzeitig ausgesiebt werden,
deren Umsetzung rechtlich unmöglich erscheint oder einen unverhältnismäßig hohen
Änderungsbedarf voraussetzen, so dass keine weiteren Prüfschritte unternommen werden
sollten. Vorweggenommen sei, dass im Sinne einer Null-Eins-Entscheidung keines der
Instrumente vorzeitig durch das Raster gefallen ist, d.h. sie sind für Berlin grundsätzlich
rechtlich gestaltbar.
•
Schritt 1b: Sondierung der Datenverfügbarkeit je Instrument
Parallel haben wir für jedes Instrument die Verfügbarkeit und Qualität der Daten im groben
sondiert, die zur Berechnung der fiskalischen Ergiebigkeit benötigt werden. Dieser
Prüfschritt kann bei negativem Ergebnis auf die Konzeption der Instrumente rückwirken,
etwa indem eine andere Bemessungsgrundlage gewählt wird (Beispiel Übernachtungsgewerbebeitrag: Zahl der Betten statt Zahl der Übernachtungen). Zugleich liefert dieser Check
einen Fingerzeig, inwieweit das spätere Ergebnis mit Unsicherheiten behaftet sein wird und
eher als Spanne ausgewiesen werden sollte.
•
Schritt 2: Beschaffung und Aufbereitung der Daten sowie Setzen der Modellprämissen
Mit diesem Schritt begann die gutachterliche Kärrnerarbeit, die Daten zu beschaffen,
aufzubereiten, über verschiedene Dreisätze zu plausibilisieren, etwaige Lücken durch eigene
Schätzungen zu ergänzen usw. Daneben musste für jedes Instrument ein Rechenmodell
aufgesetzt werden, bei dem die Annahmen klar herausgearbeitet werden und die Zahl der
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Untervarianten je Parameter festzulegen ist. Dieser Prozess wird im Abschnitt 9 im Detail
beschrieben.
•
Schritt 3: Berechnung der fiskalischen Wirkungen
Sind die Vorarbeiten im Modell geleistet, ist die Berechnung der Einnahmen für jedes
Instrument relativ schnell vollzogen. Erst dann setzt die zeitaufwendige Folgephase ein, die
Ergebnisse mit den Annahmen zu verproben, d.h. deren Sensitivität zu testen –
insbesondere um ein Gefühl für die graduelle Hebelwirkung bei Änderungen schwer
einschätzbarer Eingangswerte zu gewinnen. Beispiele: Beim umlagefinanzierten Bürger*innenticket ist nicht sicher abschätzbar, wie hoch der Anteil der Brandenburger bei
Zeitkarteneinnahmen im Tarifbereich BC ausfällt. Das Ergebnis der City-Maut hängt unter
anderem maßgeblich davon ab, wie stark die Autofahrer*innen in Abhängigkeit der
Mauthöhe reagieren (sog. Preiselastizität der Nachfrage) und welche Ausnahmetatbestände
zugelassen werden. Zu beachten ist, dass die Verwaltungskosten zur Einführung und Pflege
der Instrumente nur kursorisch abgeschätzt werden können.
•
Schritt 4: Gesamthafte Einordnung der Ergebnisse
Die Gesamtbewertung beginnt mit einem horizontalen Quervergleich der (Netto-)
Ergiebigkeit aller 7 Instrumente. Darüber hinaus werden jedoch weitere Kriterien herangezogen, um die Sinnhaftigkeit einer Tiefenprüfung bis zur möglichen Umsetzung
einschätzen zu können. Hierzu zählen die verkehrliche Lenkungswirkung, die politische
Sensibilität und die Umsetzungsgeschwindigkeit.
•
Schritt 5: Bericht und Dokumentation
Die vorliegende Langfassung des Berichts dokumentiert den Prozessablauf, die Methodik,
die Rechenergebnisse sowie die Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen.
Abbildung 5 verschafft einen Überblick über den Gesamtprozess, d.h. wie sich die vorgenannten
Schritte mit den wesentlichen Tätigkeiten auf der Zeitachse verteilen sowie welche Meilensteine
gesetzt und Termine absolviert wurden. Intensiv eingebunden wurden die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK), die Berliner Senatsverwaltung für
Finanzen (SenFin), die Senatskanzlei, das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung
Brandenburg (MIL) und der VBB im Hinblick auf die Einnahmenaufteilung.
Zeit
Termin/Meilenstein
Aufgabenschwerpunkte
30.8.2019
Auftaktworkshop
•
Austausch der Erwartungen, organisatorische Abstimmung
•
Erste Diskussion der Instrumente
Sep/Okt 19
28.10.2019
Nov/Dez 19
Schritte 1a, 1b und 2
2. Workshop
•
Erstes Zwischenergebnis der rechtlichen Prüfung: keine K.O.Kriterien
•
Ergebnis der Datenverfügbarkeitsprüfung – Nachsteuerungsbedarfe/offene Fragen
•
Vorstellung der Modellansätze je Instrument
•
Schritte 3 und in Ansätzen 4
•
Abstimmungen mit dem VBB zu Tarifdaten in Vor-Ort-Terminen
am 5.11. und 16.12. sowie telefonisch
69/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
12.12.2019
18.12.2019
3. Workshop
Rechtsgutachten
Jan/Feb 20
4.3.2020
Abbildung 5:
Abschließende rechtliche Einordnung
•
Vorstellung der Rechenergebnisse für fiskalische Ergiebigkeit je
Instrument mit ausführlicher Diskussion
•
Gesamthafte Bewertung mit Diskussion
Vorgezogene Überstellung des rechtlichen Gutachtenteils
(Langfassung)
Schritte 4 und 5
Präsentation
Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse im SenUVK
(Hausleitung), auch in Vorbereitung der geplanten Sitzung der AG
Tarife am 23.3. (wegen Covid-19-Pandemie später abgesagt)
Einzelne Nacharbeiten (z.B. Daten 2019), Schritt 5 und kursorische
Überlegungen zu Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Mrz/Apr 20
12.5.2020
•
Ökonomisches Gutachten
Überstellung des Endberichts (Langfassung, 1. Entwurf)
Überblick des Gesamtprozesses der Machbarkeitsstudie
8.2 Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Im Zuge der sich derzeit global auswirkenden Virus-Pandemie wird auch der ÖPNV-Sektor in
Deutschland massiv in Mitleidenschaft gezogen. Die Finanzierungssäule der Fahrgeldeinnahmen ist
seit der Verhängung der Kontaktverbote/Ausgangsbeschränkungen nach ersten Erkenntnissen
zwischen 60 und bis zu 90% im Einzelfahrscheinsegment eingebrochen, während die Kosten der
Leistungserbringung weitgehend fix sind. Auch die Entwicklung der Zeitkartenverkäufe sind
gebremst, so dass im Ergebnis zahlreiche Verkehrsunternehmen – insbesondere mit Nettoverträgen
– in ihrer Existenz gravierend bedroht sind. Spiegelbildlich werden die öffentlichen Haushalte der
ÖPNV-Finanzierung erheblich zusätzlich belastet werden, und zwar sowohl durch das Aufspannen
eines Rettungsschirms als auch direkt durch den Wegfall von Fahrgeldeinnahmen in Bruttoverträgen.
Aus heutiger Sicht ist nicht abschätzbar, wie lange die Pandemie mit welcher Intensität andauern
wird und welche Langzeitfolgen zurückbleiben. Das Spektrum reicht von einer relativ schnellen und
vollständigen Überwindung bis zu der Möglichkeit, auf unbestimmte Zeit mit dem Infektionsrisiko
leben zu müssen. Ebenso offen bleibt, inwieweit sich das in hohem Maße ritualisierte Verkehrsmittelwahlverhalten infolge der gegenwärtigen Erfahrungen dauerhaft verschieben könnte (z.B.
Aufwertung der Arbeitsform Home-Office, Bevorzugung MIV aus Sicherheitsgründen, u.a.).
Sowohl die Berechnungen als auch die Gesamtbewertung der Instrumente blenden das aktuelle
Geschehen – vorerst – aus. Datenseitig ist ein solches Vorgehen unvermeidlich, da ein valider
Kassensturz für 2020 bis weit in das Folgejahr hinreichen wird. Insofern stehen die monetären
Ergebnisse unter dem Vorbehalt, derzeit nicht als unmittelbare Absprungbasis für die Umsetzung
geeignet zu sein. Allerdings ist zu beachten, dass selbst ohne wirtschaftlichen Einbruch eine
Machbarkeitsanalyse in erster Linie als Kompass der Meinungsbildung dient, um sich nach dem
ersten Filter anschließend auf einzelne Instrumente zur möglichen Umsetzung zu konzentrieren.
Konzeptionell kann die gegenwärtige Krise durchaus die Chance bieten, die Finanzierung des ÖPNV
grundlegend zu überdenken. Je länger die künftigen Einnahmen hinter dem Niveau vor Ausbruch
der Krise zurückbleiben sollten, desto stärker drängen sich Strukturfragen auf, die zu einem Umbau
genutzt werden könnten.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
9
DARSTELLUNG UND FINANZIELLE BEWERTUNG DER
INSTRUMENTE
Die Machbarkeit wird für sieben verschiedene Finanzierungsinstrumente untersucht, die sich in drei
Gruppen klassifizieren lassen – und nachfolgend im Detail dargestellt sind:
1) Instrumente der Umlagefinanzierung
Hierbei wird die Finanzierung auf eine bestimmte Personengruppe umgelegt,
•
im Fall des allgemeinen ÖPNV-Beitrags auf alle Bürger*innen Berlins und
•
im Fall des Gäste-Tickets auf die Übernachtungsgäste in der Stadt.
2) Instrumente der Nutznießerfinanzierung
Idee der Instrumente der Nutznießerfinanzierung ist es, bestimmte Personenkreise bzw.
Unternehmen
zu
identifizieren
und
zur
Finanzierung
heranzuziehen,
die
einen
wirtschaftlichen Vorteil aus dem ÖPNV ziehen.
Konkret betrachtet wird eine Abgabenpflicht für
•
Grundstückseigentümer*innen,
•
alle Gewerbebetriebe und
•
als Teilmenge davon nur die Übernachtungsgewerbebetriebe.
3) Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente)
Eine separate Kategorie stellen mit der City-Maut und Parkraumbewirtschaftung zwei
Instrumente dar, die primär nicht der Finanzierungsfunktion dienen. Die für sie wichtige
Motivation, die der Finanzierungsfunktion auch zuwiderläuft, ist der Zweck der Anreizsetzung für eine nachhaltige Verkehrsmittelnutzung.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
9.1 Umlagefinanzierung
9.1.1
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag
Kategorie
Umlagefinanzierung
Abgabentyp
Beitrag (wiederkehrend)
Abgabendifferenzierung
Differenzierung nach sozialen Kriterien
Abgabenpflichtige
Alle in Berlin wohnende Personen
Sondervorteil
Drei Sondervorteilsmodelle als Bürger*innenticket (jeweils
Tarifbereich AB):
a) Freifahrt 24h für alle Beitragspflichtigen im Berliner
ÖPNV
b) Freifahrt 21h – vergünstigte Fahrscheine sind nur in
der morgendlichen HVZ von 6 – 9 Uhr (Mo – Fr) nötig
c)
Bahncard – Beitragspflichtige erhalten stark
vergünstigte Fahrscheine
Organisatorische
Neben hohem Einsatz von Verwaltungskapazität sind
Herausforderungen
Änderungen im VBB-Tarif und der Einnahmenaufteilung nötig.
Abbildung 6:
Steckbrief allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
9.1.1.1 Beschreibung
Kernidee des Bürger*innentickets ist es, eine Umlagefinanzierung für den Berliner ÖPNV
einzuführen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Berliner*innen eine regelmäßige Abgabe an das
Land Berlin leisten – unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr in Anspruch nehmen. Hierfür wird
von den dauerhaft in Berlin wohnenden Personen wiederkehrend ein ÖPNV-Beitrag erhoben.
Damit werden die Aufwendungen (teilweise) gedeckt, welche dem Land aus der Bereitstellung eines
attraktiven ÖPNV-Angebotes entstehen. Vorteil eines Beitrages ist es, dass die Mittel – anders als
bei einer Steuer – zweckgebunden für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des ÖPNV eingesetzt
werden.
Als Gegenleistung gewährt das Land als ÖPNV-Aufgabenträger den Beitragspflichtigen einen
Sondervorteil in Form eines Bürger*innentickets. Für dieses Ticket werden unterschiedliche
Modellvarianten betrachten:
a) Modell Freifahrt 24h: Das Bürger*innenticket ermöglicht den Bürger*innen die unentgeltliche Nutzung des ÖPNV, jeden Tag zu jeder Stunde.
72/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
b) Modell Freifahrt 21h: In diesem Fall können die Bürger*innen Busse und Bahnen in Berlin
außerhalb der morgendlichen Hauptverkehrszeit (HVZ) unentgeltlich nutzen. Für werktägliche Fahrten zwischen 6 und 9 Uhr wird ein ermäßigter Tarif erhoben.190
c)
Modell Bahncard: Der*die Beitragspflichtige kann vergünstigte Fahrkarten erwerben,
beispielsweise wie bei einer „Bahncard 50“ zur Hälfte des üblichen Preises.
Das Bürger*innenticket gilt ausschließlich im Stadtgebiet Berlin (Tarifbereich AB). Für Fahrten im
Tarifbereich C müssen Berliner*innen wie heute einen Fahrausweis erwerben.
Für alle Nicht-Berliner*innen ändert sich zu heute ebenfalls nichts: Voraussetzung für die Nutzung
der öffentlichen Verkehrsmittel ist der Erwerb eines gültigen Fahrausweises. Beispielsweise in
Potsdam wohnhafte Personen müssen für die Fahrt nach Berlin-Mitte einen Fahrschein für den
Tarifbereich ABC vorweisen können.
9.1.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Die finanziellen Folgen eines ÖPNV-Beitrages zu modellieren macht es notwendig, zwei gegenläufige
Auswirkungen zu berechnen:
1. Beitragseinnahmen: Abzuschätzen sind einerseits die resultierenden Einnahmen für das
Land Berlin durch die Erhebung des Beitrages. Da die Beitragshöhen nach sozialen Merkmalen gestaffelt werden, ist eine Betrachtung der Bevölkerungsstruktur notwendig.
2. Tarifeinnahmenausfall: Weil die Beitragspflichtigen in den drei Sondervorteilvarianten
mit dem Bürger*innenticket bereits Fahrtberechtigungen erhalten, werden sich die Tarifeinnahmen im VBB vermindern. Dieser Ausfall an Tarifeinnahmen ist anhand der heutigen
Nachfragestruktur zu ermitteln.
Die hierbei angewandten Überlegungen und Annahmen werden im Folgenden beschrieben.
Beitragseinnahmen
Die Berechnung der Beitragseinnahmen untergliedert sich in die Ermittlung der gruppenspezifischen
Größen der Berliner Bevölkerung (Mengengerüst) und Festlegungen zur Beitragshöhe (Preisgerüst).
Handlungsleitend sind folgende Prämissen:
1. Grundsätzlich sind alle mit einem Erst- oder Zweitwohnsitz gemeldeten Berliner*innen
beitragspflichtig.
2. Die Höhe des ÖPNV-Beitrages ist nach sozialen Kriterien differenziert. Dabei gilt der
Grundsatz, dass mit der Einführung des Berliner*innentickets für die Nutzer*innen des
öffentlichen Verkehrs (ÖV) keine höheren Kosten als heute entstehen sollen. Im Modell
Freifahrt 24h ist die Höhe des Beitrages damit auf die Preise der vergleichbaren
Tarifprodukte begrenzt.
190
Der hier verwendete Zeitraum der morgendlichen Hauptverkehrszeit entspricht der Definition im Nahverkehrsplan für Berlin 2019 – 2023.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
3. Ausnahmen von der Beitragspflicht sind nur für solche Berliner*innen vorgesehen, deren
Wohnort durch den ÖPNV derzeit nicht akzeptabel erschlossen wird oder die heute den
ÖPNV bereits unentgeltlich nutzen können (Schüler*innen, Kinder, Schwerbehinderte).
a) Mengengerüst: Bevölkerung
Das Grundgerüst für die Abschätzung der Einnahmen bildet die Gesamtheit der Berliner*innen aus
dem Jahr 2018.191 Insgesamt haben demnach 3,748 Mio. Menschen ihren Erstwohnsitz in Berlin,
etwa 130 Tausend sollen nach dem Berliner Mieterverein mit einem Zweitwohnsitz gemeldet sein.
Diese Gesamtheit ist wegen der oben an 2. Stelle genannter Prämisse auf Bevölkerungsgruppen
aufzufächern. Diese werden entlang der spezifischen Zeitkartentarifstruktur des VBB gebildet:
•
„Normalzahlende“: Alle Berliner*innen, denen im VBB-Tarif keine Vergünstigungen zu den
normalen Tarifprodukten gewährt werden. Als Referenztarifprodukt kann die VBBUmweltkarte im Tarifbereich AB angesehen werden.
•
Senior*innen: Personen ab dem 65. Lebensjahr werden als eine Bevölkerungsgruppe
definiert. Diese können mit dem vergünstigten Abonnement VBB-Abo 65plus im gesamten
Verbundgebiet fahren.
•
Studierende: An teilnehmenden Hochschulen erhalten Studierende nach Zahlung eines
Beitrags mit der Immatrikulation ein stark rabattiertes VBB-Semesterticket. An Berliner
Hochschulen ist dieses im Tarifbereich ABC gültig, an Brandenburger Hochschulen im
Gesamtnetz des VBB.
•
Auszubildende können mit dem VBB-Abo Azubi zu einem vergünstigten Preis die
Nahverkehrsmittel im gesamten VBB-Netz zu nutzen.
•
„Bedürftige“: Die höchste Vergünstigung wird den Bezugsberechtigten des Berlin-Ticket S
zuteil. Dieses Tarifprodukt wendet sich an einkommensschwache Personen und damit
Bezugsberechtigte des sog. Berlinpass wie
o
Sozialhilfeempfänger*innen
o
Arbeitslosengeld II- oder Sozialgeldempfänger*innen
o
Asylbewerber*innen
o
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von Leistungsempfänger*innen
•
Berliner Schüler*innen können seit August 2019 das kostenlose Schülerticket nutzen.
•
Kinder bis 6 Jahren werden im VBB unentgeltlich befördert.
•
Schwerbehinderte werden nach § 228 SGB IX ebenfalls unentgeltlich befördert.
Die folgende Abbildung fasst die jährlichen Kosten der betrachteten Bevölkerungsgruppen
zusammen.
191
Die sozioökonomischen Daten der Bevölkerungsgröße und -struktur entstammen öffentlich zugänglichen Daten des Amtes für Statistik
Berlin-Brandenburg.
74/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Preis Zeitkarte p.a. (monatl.
Abschlagszahlung)
Gruppenspezifische
VBB-Zeitkarte
Gültigkeit
(Tarifbereich)
Normalzahler*innen
VBB-Umweltkarte
AB
761,00 EUR
Senior*innen
VBB-Abo 65plus
Gesamtnetz
612,00 EUR
Studierende
VBB Semesterticket
ABC/Gesamtnetz
387,60 EUR (an Berliner Hochschulen)
Auszubildende
VBB-Abo Azubi
Gesamtnetz
365,00 EUR
Bedürftige
Berlin-Ticket S
AB
330,00 EUR
Schüler*innen
Schülerticket Berlin
AB
0 EUR
Bevölkerungsgruppe
Abbildung 7:
Stand: 2020
VBB-Zeitkarten nach Bevölkerungsgruppen
Um die Einnahmen eines ÖPNV-Beitrages zu modellieren, ist die gesamte Berliner Bevölkerung in
die vorgenannten Bevölkerungsgruppen aufzuteilen. Hierzu werden nacheinander einzelne Gruppen
identifiziert und von der Grundgesamtheit saldiert:
•
Zunächst wird die Gruppe der 225.000 Kinder unter sechs Jahren von der Gruppe der
Beitragspflichtigen abgezogen.
•
Auch die 357.000 Berliner Schüler*innen werden von der Grundgesamtheit ausgenommen. Vermindert berücksichtigt werden müssen hierbei etwa 6.000 aus Brandenburg
einpendelnde Schüler, welche nicht vom Bürger*innenticket berührt sind.
•
Am anderen Ende der Altersskala bilden 715.000 Einwohner*innen ab 65 Jahren (zunächst)
die Gruppe der Senior*innen.
•
Auszubildende werden analog zum bestehenden Tarifsystem separat behandelt. Dabei
wird unterstellt, dass 25% der 39.000 Auszubildenden in Berliner Betrieben in Brandenburg
leben und dementsprechend nicht beitragspflichtig sind.
•
Zur Ermittlung der Zahl der in Berlin lebenden Studierenden werden die Studierendenzahlen an Berliner (192.000) sowie an Brandenburger Hochschulen (50.000) herangezogen.
Des Weiteren wird angenommen, dass alle Student*innen älter als 18 Jahre sind. In
Anlehnung an Daten des Brandenburger Sozialministeriums wird angenommen, dass
•
o
10% der Studierenden an Berliner Hochschulen aus Brandenburg einpendeln und
o
30% der in Brandenburg eingeschriebenen Studierenden in Berlin leben.
Die Gruppe der Bedürftigen zieht sich durch alle bisher genannten Bevölkerungsgruppen.
Die Zahl der Anspruchsberechtigten eines Berlinpass liegt für die Jahre 2011 – 2015192 vor.
Für die Ermittlung der Anzahl an Anspruchsberechtigten in 2018 ist der über die Jahre 2011
bis 2015 gemittelte Anteil der Anspruchsberechtigten an den Über-18-Jährigen auf dieselbe
Alterskohorte in 2018 projiziert. Um diese nur im Rahmen des Personenkreises der
Bedürftigen zu berücksichtigen, müssen die weiteren Personengruppen, wie unten weiter
beschrieben ist, entsprechend reduziert werden.
192
Vgl. Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE)
vom 07. Juni 2016.
75/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
•
Auch unentgeltlich im ÖPNV beförderte Schwerbehinderte193 treten in allen Altersgruppen
(und damit auch Personenkreisen) auf. Für die unentgeltliche Beförderung ist ein
Schwerbehindertenausweis mit Beiblatt und gültiger Wertmarke Voraussetzung. Da die
Anzahl an Berliner*innen, auf die dies zutrifft, nicht vorliegt, wird als Näherung die Zahl der
Schwerbehinderten mit einem Behinderungsgrad ab 70% herangezogen. Es werden nur
Schwerbehinderte über 18 Jahren von der Grundgesamtheit der Normalzahler*innen
abgezogen. Bei den unter 18-Jährigen wird angenommen, dass diese bereits in den
ebenfalls kostenlos beförderten Gruppen der Kinder und Schüler*innen berücksichtigt sind.
•
Zuletzt
sind
die
ca.
130.000
Personen
mit
Zweitwohnsitz
einzurechnen.194
In
Ermangelung weiterer Angaben wird vereinfacht davon ausgegangen, dass sich diese
Gruppe hälftig aus Normalzahlenden und Studierenden zusammensetzt.
b) Überschneidung der Gruppen
Wie Abbildung 8 vereinfacht in einem Einkommen-Alter-Diagramm darstellt, existieren Überschneidungen: Personenkreise fallen teilweise in mehrere Gruppen. Können Personen durch ihre
spezifischen Charakteristika theoretisch unter mehreren Personengruppen subsumiert werden,
werden sie der für sie finanziell günstigsten Kategorie zugeordnet. Diese Doppelzählungen müssen
bereinigt werden, um die Größe der jeweiligen Personenkreise korrekt abzuschätzen.
Abbildung 8:
Bevölkerungsgruppen und deren Überschneidungen, vereinfachte Darstellung
Um das Vorgehen transparent zu machen, sind die Annahmen im Folgenden beschrieben. Im Zweifel
sind Zuordnungen gewählt, die in einer vorsichtigeren Schätzung der Einnahmen resultieren.
Der Modellrechnung liegen Annahmen zugrunde für die Schnittmengen aus
193
Anmerkung: Wenn im Folgenden von „Schwerbehinderten“ die Rede ist, sind damit stets diejenigen gemeint, die aufgrund ihrer Behinderung
gem. § 228 SGB IX unentgeltlich im ÖPNV befördert werden. Tatsächlich ist der Kreis der schwerbehinderten Personen deutlich größer.
194
Quelle: https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-167-23-fragen-und-antworten-zur-berliner-zweitwohnungsteuer.htm
76/134
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•
Auszubildenden und Bedürftigen sowie Studierenden und Bedürftigen: Hier ist unterstellt,
dass jeweils 10% der Auszubildenden und Studierenden bedürftig sind.
•
Senior*innen, Bedürftigen und Schwerbehinderten: Für die dreifache Überlappung ist
zunächst angenommen, dass alle Schwerbehinderten bedürftig sind. Dementsprechend wird
die Gesamtzahl Schwerbehinderter von der Gruppe der „Bedürftigen“ abgezogen. Zusätzlich
wird davon ausgegangen, dass keine Schwerbehinderten eine Ausbildung absolvieren oder
einem Studium nachgehen. Die Schnittmenge Bedürftige/Senior*innen musste hilfsweise
über die alterskohortenspezifische Verteilung derer, die unter die Armutsschwelle fallen,
berechnet werden.195
c) Mengengerüst: Ergebnis
Abbildung 9 fasst die Ergebnisse für den Umfang der Bevölkerungsgruppen zusammen. Dabei sind
die Werte – wie bereits in den Ausführungen zuvor – auf Tausend gerundet.
Personengruppe
Anzahl
Erstwohnsitz
Kommentar
3.748.000
Normalzahler*innen
1.864.000
Wert zzgl. 50% Personen mit Zweitwohnsitz
Senior*innen
632.000
Wert ohne Bedürftige und Schwerbehinderte
Studierende
234.000
Wert berücksichtigt: 10% der Studierenden an Berliner
Hochschulen wohnen in Brandenburg (BB); 30% der ca. 50.000
Studierende an Brandenburger Hochschulen wohnen in Berlin
(BE); 10% der Berliner Studierenden fallen in die Kategorie
„Bedürftige“; Zzgl. 50% Personen mit Zweitwohnsitz
Auszubildende
26.000
Bedürftige
373.000
Beitragsbefreit
Wert berücksichtigt, dass ca. 25% der Berliner Auszubildenden
in BB wohnen; 10% der Berliner Auszubildenden fallen in die
Kategorie „Bedürftige“
Annahmegemäß um die Gruppe der unentgeltlich beförderten
Schwerbehinderten vermindert
749.000
Kinder
225.000
Kinder bis 6 Jahre
Schüler*innen
351.000
ohne Berufsschüler*innen; 6.000 der Schüler*innen an Berliner
Schulen wohnen in BB
Schwerbehinderte
173.000
ab 70% Schwerbehinderungsgrad
Beitragspflichtige
Abbildung 9:
3.129.000
mit Erst- und Zweitwohnsitz in Berlin
Herleitung beitragspflichtiger Bevölkerungsgruppen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
d) Preisgerüst: Beitragshöhen
Den Ausgangspunkt der Berechnungen stellen die heutigen Fahrpreise der gruppenspezifischen
Zeitkarten dar. Diese sind als Obergrenzen definiert, liegt der politische Ansporn doch sicher darin,
195
Vgl. Regionaler Sozialbericht Berlin und Brandenburg, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, 2018.
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die bisherigen Nutzer*innen des ÖPNV entlasten zu können. Da Bürger*innen, die heute schon
Zeitkarten besitzen, in Zukunft nicht stärker belastet werden sollen, ist eine realistische Variante
der Beitragshöhe als Beispiel definiert, in dem die gruppenspezifischen Beiträge auf 75% der
heutigen Zeitkartenwerte liegen. In der Abbildung 10 sind für die nicht per se von der Beitragspflicht
befreiten Bevölkerungsgruppen die Werte ausgewiesen. Diese werden für das Sondervorteilsmodell
Freifahrt 24h definiert, in dem alle Berliner*innen den ÖPNV unentgeltlich nutzen.
Bevölkerungsgruppe
Beitragshöhe 24h Obergrenze
Basis: heutige VBB-Preise
Beitragshöhe 24h Beispiel
Basis: 75% der VBB-Preise
Normalzahler*innen
761,00 EUR
570,75 EUR
Senior*innen
612,00 EUR
459,00 EUR
Studierende
388,00 EUR
291,00 EUR
Auszubildende
365,00 EUR
273,75 EUR
Bedürftige
330,00 EUR
247,50 EUR
Abbildung 10:
Beitragshöhen im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h
Da in den beiden anderen Sondervorteilsmodellen (Freifahrt 21h und Bahncard) keine vollumfängliche kostenlose Inanspruchnahme von Bussen und Bahnen enthalten ist, wird davon
ausgegangen, dass sich die Beitragshöhen gegenüber der 24h-Freifahrt verringern. Für die
Modellrechnung werden folgende Beziehungen zu der Beitragshöhe im Modell Freifahrt 24h
definiert:
•
Die Beitragshöhen im Modell Freifahrt 21h werden auf 80% der Werte aus dem Modell
Freifahrt 24h festgelegt, um die ausgeschlossene – aber besonders nachgefragte – Morgenlage wertmäßig auszugleichen.
•
Im Bahncard-Modell liegt der Wert bei 50% der gewählten Referenzbeitragshöhe.
Somit ergeben sich in Ableitung des in Abbildung 10 aufgeführten Beispiels die folgenden Beitragshöhen für die weiteren Modelle:
Bevölkerungsgruppe
Beitragshöhe 21h
Basis: 80% von 24h Beispiel
Beitragshöhe Bahncard
Basis: 50% von 24h Beispiel
Normalzahler*innen
456,60 EUR
285,38 EUR
Senior*innen
367,20 EUR
229,50 EUR
Studierende
232,80 EUR
145,50 EUR
Auszubildende
219,00 EUR
136,88 EUR
Bedürftige
198,00 EUR
123,75 EUR
Abbildung 11:
Beitragshöhen in den Sondervorteilsmodellen Freifahrt 21h und Bahncard
e) Ausnahmen von der Beitragspflicht
Drei Bevölkerungsgruppen werden im Modell des ÖPNV-Beitrages pauschal unentgeltlich befördert
(Kinder, Schüler*innen, Schwerbehinderte). Jugendliche Schüler*innen werden – wie heute bereits
Praxis mit dem VBB Schülerticket Berlin – eine Fahrtberechtigung erhalten, um sich als Berliner*in
auszuweisen.
78/134
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Darüber hinaus sind wie eingangs erwähnt alle Berliner*innen grundsätzlich beitragspflichtig.
Jedoch ist vom Gesetzgeber eine Grenze zu definieren, ab der pauschal ein individuell-konkreter
Vorteil nicht mehr festgestellt werden kann. Denn es ist notwendig, dass der*die Beitragspflichtige
die Möglichkeit einer kostenlosen oder stark vergünstigten Nutzung des ÖPNV tatsächlich in
Anspruch nehmen kann.
Um diese Grenze zu definieren, eignet sich der Erschließungsgrad als ein etablierter verkehrswirtschaftlicher Standard, der im Nahverkehrsplan des Landes Berlin ausgewiesen ist. Dieser hebt
auf die maximale Entfernung des Siedlungsbereichs zur nächstgelegenen Haltestelle ab, die am Tag
mindestens im 20-Minuten-Takt und im Nachtverkehr mindestens im 30-Minuten-Takt angebunden
sein muss. In Anbetracht des an sich sehr hohen Angebotsstandards wird für die Modellrechnung
der in Abbildung 12 als Toleranzwert gekennzeichnete Erschließungsstandard gewählt. Dieser wird
für 96,1% aller Berliner*innen erfüllt.
Abbildung 12:
Erschließungsstandards des NVP Berlin 2019 – 2023 (eigene Hervorhebung)
Umgekehrt gilt, dass für 3,9% der Berliner*innen damit – bei unterstellt gleichem Angebot – die
Möglichkeit der Befreiung von der Beitragspflicht besteht. Aus diesem Grund werden bei der
Berechnung der Beitragseinnahmen pauschal 4% des Aufkommens abgezogen.
Tarifeinnahmenausfall
Die Einführung eines ÖPNV-Beitrages und die gleichzeitige Ausgabe von Bürger*innentickets
werden sich auf die Nachfrage nach entgeltpflichtigen Fahrausweisen auswirken. Abhängig davon,
welchen Sondervorteil das Bürger*innenticket ausmacht, sind folgende Auswirkungen zu erwarten:
•
Im Sondervorteilsmodell Freifahrt 24h wird die Ticketnachfrage stark sinken, weil alle
Berliner*innen keine Fahrausweise mehr im Tarifbereich AB benötigen. In Folge dessen
werden die Einnahmen der VBB-Tarife sinken – jedoch durch (neue) Beitragseinnahmen
kompensiert. Im Tarifbereich AB beschränkt sich der Fahrkartenverkauf auf alle den ÖPNV
nutzende
Nicht-Berliner*innen,
also
Brandenburger*innen
und
Tourist*innen/Gäste.
79/134
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Berliner*innen werden aber weiter Tickets für Fahrten in den Tarifbereich C und darüber
hinaus erwerben müssen.
•
Im Modell Freifahrt 21 h (Off-Peak) stellt sich die Situation ganz ähnlich dar – mit einer
Ausnahme: Es wird für Berliner*innen weiter nötig sein, Tickets für Fahrten in der
morgendlichen Hauptverkehrszeit zu erwerben. Diese können als Zeitkarten (Abonnements)
zu einem im Vergleich zu heute reduzierten Preis erworben werden. Der Bartarif in diesem
Zeitraum bleibt unverändert. Auch abhängig von der Anpassung der Verkehrsnachfrage
wird es in diesem Modell zu einer weitgehenden Substitution der VBB-Einnahmen durch
Beitragseinnahmen kommen.
•
Besteht der Sondervorteil des Beitrags wie im Modell Bahncard darin, dass die
Bürger*innen lediglich zu stark vergünstigten Konditionen Fahrkarten erwerben können,
werden sich bei gleicher Nachfrage die Tarifeinnahmen ebenfalls reduzieren. Dies führt
ebenso zu einer Senkung der Tarifeinnahmen, jedoch nicht in selbem Maße wie in den
anderen Modellen.
Vorausgesetzt, dass das Land Berlin die öffentlichen Zuwendungen weiter in gleicher Höhe für die
Finanzierung des ÖPNV einsetzen wird, unterscheiden sich die drei Sondervorteilsmodelle darin, wie
stark die Verlagerung der Einnahmen vom VBB-Tarif in den ÖPNV-Beitrag ausfallen wird. In der
Abbildung 13 sind diese Wirkungen schematisch dargestellt.
Heute beschränkt sich die Finanzierung auf die beiden Säulen der Zuwendungen aus dem Landeshaushalt und der Tarifeinnahmen. Während ein gleicher Umfang der öffentlichen Zuwendungen in
allen Modellen unterstellt wird, ändert sich das Gewicht der Einnahmenanteile zwischen Tarif- und
Beitragseinnahmen in den Sondervorteilsmodellen:
•
Im Modell Freifahrt 24h entfällt die Säule der Tarifeinnahmen von Berliner Fahrgästen im
Vergleich zum Status quo komplett. Der Entfall dieser Einnahmen wird dort durch den
solidarisch getragenen ÖPNV-Beitrag substituiert.
•
Im Fall Freifahrt 21h (Off-Peak) fällt ein geringeres Einnahmenvolumen als bei Freifahrt 24h
an, gleichzeitig werden Tarifeinnahmen noch in gewisser Höhe erzielt.
•
Das Modell Bahncard weist schließlich gegenüber der Freifahrt 24h noch signifikante
Fahrgeldeinnahmen aus, erzeugt aber auch Beitragseinnahmen – letztere fallen jedoch
geringer aus als in den beiden anderen Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags.
80/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Abbildung 13:
Gewichtung der Finanzierungssäulen in den Beitragsvarianten
Die Wirkung lässt sich grob so zusammenfassen: Je größer der gewährte Sondervorteil ausfällt,
•
desto höher sind im Vergleich die Beitragseinnahmen und
•
desto höher ist der spiegelbildliche Ausfall an Tarifeinnahmen.
a) Vorgehen und Datengrundlage
Um eine valide Berechnung der Tarifeinnahmenverluste zu erhalten, ist eine detaillierte Analyse der
Tarifeinnahmen des VBB im Status quo nötig. Die für diese Berechnung vom VBB zur Verfügung
gestellten Daten enthalten die nach Tarifprodukten differenzierten Tarifeinnahmen des VBB aus dem
Bartarif, für Zeitkarten, spezielle touristische Produkte, das Berlin-Ticket S und das VBB-Abo 65plus
aus den Jahren 2016 – 2018. Die seit 2018 in der Tarifstruktur umgesetzten Anpassungen,
insbesondere die Einführung des unentgeltlichen Schülertickets und des VBB-Abos Azubi, sind in
der Modellierung berücksichtigt.
Zentraler Grundsatz der Berechnung ist, dass eine im Vergleich zu der Datengrundlage konstante
Verkehrsnachfrage und damit auch Nachfrage nach den jeweiligen Tarifprodukten unterstellt
wird. Dies ist eine Hilfsannahme, da grds. erwartet werden kann, dass die Einführung eines
allgemeinen ÖPNV-Beitrags zur Ausweitung der ÖV-Nutzung führen wird (vgl. Kap. 10.3.2.1).
Zum Vorgehen bei der Ermittlung der Tarifeinnahmenverluste:
1. Basis für die Berechnungen sind die Tarifeinnahmen je Tarifprodukt. Diese ergeben sich aus
dem Produkt von verkauften Fahrkarten (Absatz) und Preis. Die 2018er Werte werden dabei
auf das Jahr 2020 mit einem Mischsatz für die Preis- und Mengenentwicklung
fortgeschrieben. Diese sog. Dynamisierung wird getrennt für Bartarife (+1,5% p.a.) und
81/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Zeitkarten (+3,5% p.a.) vorgenommen. Diese Werte sind aus den Zuwächsen der VBBTarifeinnahmen zwischen 2016 und 2018 abgeleitet.
2. Je Tarifprodukt wird dann ermittelt, welcher Anteil der Einnahmen durch Berliner*innen
und welcher durch Nicht-Berliner*innen aus der heutigen Verkehrsnachfrage resultiert.
a.
Bei den Bartarifprodukten ist die Differenzierung in den Tarifprodukten unterstellt,
z.B.:
Tarifprodukt
„Berliner“ Anteil
am Tarifumsatz
Kurzstrecke
70%
Kurzstrecke 4 Fahrten
85%
Einzelfahrausweis
56%
Tageskarte
28%
Tageskarte Kleingruppen
16%
Abbildung 14: Annahmen (Auszug) Bartarifanteile
Bei dem Annahmengerüst der Bartarife sind u.a. Marktforschungsdaten der BVG
berücksichtigt.
b.
Hingegen gelten bei den Zeitkarten generelle Annahmen über alle Tarifprodukte,
was den „Berliner“ Anteil an den Umsätzen angeht:
Tarifbereich
„Berliner“ Anteil
am Tarifumsatz
AB
97%
BC
30%
ABC
30%
Abbildung 15: Annahmen Zeitkartenanteile
Der unterstellte Wert für den Tarifbereich AB weicht nur deswegen von 1 ab, um
insb. die tarifliche Ausweichstrategie von grenznah wohnenden Brandenburger*innen und gelegentliche Nachfragen von zeitweise in Berlin lebenden/arbeitenden
Gästen zu berücksichtigen. Der Wert für die beiden anderen Tarifbereiche ist der
Statistik der Pendlerbewegungen zwischen Berlin und Brandenburg entlehnt, hier
stehen etwa 80 Tausend Auspendlern etwa 200 Tausend Einpendlern nach Berlin
gegenüber.196
3. Im nächsten Schritt werden die Auswirkungen der verschiedenen Sondervorteilsmodelle auf
die Höhe der Tarifeinnahmen ermittelt.
Dabei ist es nicht ausreichend, alleine auf die Zahl der verkauften Tickets abzustellen. Da
die Wirkung des Bürger*innentickets auf die Nutzung des ÖPNV im Land Berlin, d.h. den
Tarifbereich AB, beschränkt ist, werden Berliner*innen bei Fahrten in den Tarifbereich C
weiter (Anschluss-)Fahrausweise erwerben müssen. Da sich die Abschätzung des Tarifausfalls an den Einnahmen der Tarifprodukte orientiert, ist es daher nötig, den Fahrpreis bei
196
vgl. Mobilität der Stadt. Berliner Verkehr in Zahlen 2017, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, 2017, S. 19.
82/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Tickets mit Gültigkeit in mehr als einem der Bereiche A, B (Berlin) und C (Brandenburg)
zwischen den korrespondierenden Tarifstufen aufzuteilen.
Beispiel: Fährt eine Berlinerin heute mit einem ABC-Ausweis nach Potsdam (aktuell im
Regeltarif für 3,60 EUR), würde sie künftig für diese Fahrt nur den Tarifbereich C lösen
müssen. Gleiches gilt für die Fahrt von Frohnau nach Oranienburg (Tarifbereich BC zu
3,30 EUR). Folglich ist es notwendig, den (verbleibenden) C-Anteil sowohl des ABCals auch des BC-Fahrscheins zu schätzen.
Für die Modellrechnung ist eine lineare Aufteilung nach der Anzahl der Tarifstufen
unterstellt, d.h. der C-Anteil an Fahrkarten der Tarifstufe ABC wird mit einem Drittel
festgelegt (entspricht 1,20 EUR im obigen Beispiel), bei der Tarifstufe BC mit der Hälfte
(entspricht im obigen Beispiel 1,65 EUR).
4. Außerdem sind in den Varianten Freifahrt 21h (Off-Peak) und Bahncard die reduzierten
Tarifeinnahmen für die Berliner*innen in der Berechnung abzubilden. In beiden Varianten
wird weiter unterstellt, dass die Verkehrs- und Ticketnachfrage unveränderlich bleibt:
a.
Im Modell Bahncard wird für Beitragspflichtige jedes Tarifprodukt im Bereich AB
(anteilig auch BC und ABC, siehe oben Ziffer 3) um 50% reduziert. Daher resultiert
hier im Bereich AB ein Tarifeinnahmenausfall in Höhe der Hälfte des durch Berliner*innen verursachten Umsatzes.
b. Im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) ist für die Nutzung des Nahverkehrs für
Berliner*innen in der morgendlichen HVZ eine Reduktion der Zeitkartentarife um
30% gegenüber dem heutigen Niveau angenommen. Dabei wird der tageszeitliche
Anteil der ÖV-Nutzung von ca. 21% angelegt, der erst kürzlich für den Tagesgang
zwischen 6 – 9 Uhr im ÖPNV ermittelt wurde.197
9.1.1.3 Ergebnis
Um die finanziellen Auswirkungen eines ÖPNV-Beitrages für die Landeskasse zu ermitteln, sind zwei
gegenläufige Effekte zu evaluieren:
•
die resultierenden Beitragseinnahmen, abhängig von den Beitragshöhen, und
•
die entfallenden Tarifeinnahmen.
Daneben ist unterstellt, dass die öffentlichen Zuwendungen aus dem Landeshaushalt zur
Defizitdeckung in gleicher Höhe fortbestehen.
Untersucht werden drei unterschiedliche Varianten des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (vgl. Kap.
9.1.1.1), die jeweils unterschiedliche Beitragseinnahmen und Tarifeinnahmenausfälle nach sich
ziehen. Durch einen Vergleich mit den heutigen Tarifeinnahmen kann der Saldoeffekt der Einführung
dieses Instruments dargestellt werden.
197
vgl. Tabellenbericht zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV 2018“ in Berlin, Technische Universität Dresden, 2019, Tabelle 8.1.
83/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Beitragshöhen und Beitragseinnahmen
Die Höhe des vereinnahmten Beitragsvolumens ist abhängig von der Anzahl der beitragspflichtigen
Bürger*innen und den jeweils für sie anfallenden Beitragshöhen. Wie in Kap. 9.1.1.2 ausgeführt,
werden die Beiträge für verschiedene Bevölkerungsgruppen differenziert.
Bei der Festlegung der Beitragshöhe besteht für die politischen Entscheider*innen grundsätzlich ein
erheblicher Spielraum. Wenn vorausgesetzt wird, dass ein Beitrag nicht über dem Preis der heutigen
Referenztarife als Obergrenze liegt, kann zunächst jede Kombination aus Beiträgen unterhalb
dieser Grenzen angesetzt werden. Als Beispiel werden jeweils Beiträge gewählt, die um 25%
gegenüber den Obergrenzen vermindert sind. Der Spielraum, die Beiträge „nach unten“ anzupassen, ist jedoch nicht unbegrenzt.
Der Beitrag Neutral zeigt – als Ergebnis der Modellrechnung – diejenige Beitragshöhe an, die unter
den gegebenen Annahmen, insb. der konstanten Fahrgästenachfrageentwicklung, zu einem Finanzierungssaldo von Null, also zu einer aufkommensneutralen Einführung des ÖPNV-Beitrags führen
würde.
Die folgende Tabelle weist diese Beträge aus:
Bevölkerungsgruppe
Beitragshöhe
Freifahrt 24h
Freifahrt 21h
Bahncard
„Normalzahler*innen“
Obergrenze
761,00 EUR
608,80 EUR
380,50 EUR
(VBB-Umweltkarte)
Beispiel
570,75 EUR
456,60 EUR
285,38 EUR
1.864.000
Neutral
358,07 EUR
312,60 EUR
218,12 EUR
Senior*innen
Obergrenze
612,00 EUR
489,60 EUR
306,00 EUR
(Abo 65plus)
Beispiel
459,00 EUR
367,20 EUR
229,50 EUR
632.000
Neutral
287,96 EUR
251,39 EUR
175,41 EUR
Studierende
Obergrenze
388,00 EUR
310,40 EUR
194,00 EUR
(Semesterticket)
Beispiel
291,00 EUR
232,80 EUR
145,50 EUR
234.000
Neutral
182,56 EUR
159,38 EUR
111,21 EUR
Auszubildende
Obergrenze
365,00 EUR
292,00 EUR
182,50 EUR
(Abo Azubi)
Beispiel
273,75 EUR
219,00 EUR
136,88 EUR
26.000
Neutral
171,74 EUR
149,93 EUR
104,62 EUR
„Bedürftige“
(Berlin-Ticket S)
Obergrenze
330,00 EUR
264,00 EUR
165,00 EUR
Beispiel
247,50 EUR
198,00 EUR
123,75 EUR
Neutral
155,27 EUR
135,55 EUR
94,59 EUR
(Referenztarif)
Menge
373.000
Abbildung 16:
Beitragshöhen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket)
Wendet man die in Abbildung 16 genannten Werte an, ergeben sich – abzüglich der nicht
beitragspflichtigen Bevölkerung von 4% – folgende Einnahmen aus den ÖPNV-Beitragsmodellen:
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Abbildung 17:
Jährliche Beitragseinnahmen der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags
Die Obergrenze an Beitragseinnahmen liegt bei 1.947,5 Mio. EUR p.a. Dieses theoretische
Maximum wird erreicht, wenn alle Berliner*innen einen Beitrag abführen, der
•
grundsätzlich in Höhe des heutigen Preises der VBB-Umweltkarte AB liegt, jedoch
•
sozialbezogene Preise für Senior*innen, Studierende, Auszubildende und „Bedürftige“ zu
heutigen Preisen der Referenztarife vorsieht und
•
alle heute von der Kostenpflicht befreiten Personengruppen (Schüler*innen, Kinder bis 6
Jahre, Schwerbehinderte) auch künftig beitragsfrei stellt.
Die weiteren Werte der Beitragseinnahmen erklären sich in der Ableitung daraus:
•
Die Beitragseinnahmen des Beispiels liegen jeweils um den angenommenen Satz von 25%
unter dem Wert der Obergrenze.
•
Die Einnahmen des Beitragsmodells Freifahrt 21h (Off-Peak) für die Beitragshöhen
Obergrenze und Beispiel liegen jeweils um 20% unter denen der Freifahrt 24h. Grund hierfür
ist die Annahme, dass der geringere Sondervorteil (keine Freifahrt in der morgendlichen
HVZ) in dieser Variante in einer verminderten Beitragshöhe resultieren muss.
•
Im Modell Bahncard liegen die Beitragseinnahmen der Beitragshöhen Obergrenze und
Beispiel jeweils um 50% unter denen der Freifahrt 24h. Hier ist maßgeblich, dass
annahmegemäß der um die Hälfte reduzierte Beitragssatz mit einer Reduzierung der Tarife
für die Berliner*innen korrespondiert.
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•
Die Beitragshöhen der aufkommensneutralen Sätze gehorchen aufgrund der unterschiedlichen Gewichtungen keiner Regelmäßigkeit. Zu beachten ist, dass die Aufkommensneutralität die Kombination aller in Abbildung 16 genannten Beitragssätze voraussetzt.
Der Härtegrad der Berechnungen zu den Beitragseinnahmen kann als hoch eingeschätzt werden.
Die Modellberechnung kennt mit der gruppenspezifischen Menge der Berliner*innen und den
gestaffelten Beitragshöhen nur wenige Eingangsdaten, wobei eine Zuordnung der Bevölkerung zu
den genannten Gruppen durch die veröffentlichten sozioökonomischen Daten gut nachvollziehbar
ist. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die Anzahl der Einwohner*innen aufgrund der Einführung
dieses Finanzierungsinstruments verändert. Die Bemessung der gruppenspezifischen Beitragshöhen
unterliegt letztlich der Gestaltungsaufgabe der Politik und determiniert damit ganz wesentlich die
Höhe der Beitragseinnahmen. Gleichzeitig wirkt der gewählte Sondervorteil der Varianten des
allgemeinen ÖPNV-Beitrags auf die Höhe des Tarifeinnahmenausfalls, der im Folgenden dargestellt
wird.
Tarifeinnahmenausfall
Die Höhe der wegfallenden Tarifeinnahmen ist unabhängig von der Beitragshöhe und damit nur von
dem gewährten Sondervorteil abhängig.
Der Rückgang lässt sich in drei Segmenten darstellen, nämlich den Tarifeinnahmen
•
aus dem Bartarif,
•
aus Zeitkarten und
•
aus den weiteren gruppenspezifischen Abonnements für Senior*innen, Studierende, Auszubildende und „Bedürftige“.
Abbildung 18 stellt die Tarifausfälle für die Varianten des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) im Vergleich zum heutigen Umsatz (fortgeschriebener Wert aus 2018) dar.
Hinzuweisen ist darauf, dass bei der Berechnung der Bartarifeinnahmen im Modell Freifahrt 21h
eine gleichbleibende Nachfrage unterstellt wurde – obwohl im Bartarif keine Ermäßigung zwischen
6 – 9 Uhr vorgesehen ist. Tatsächlich steht aber zu erwarten, dass viele Fahrgäste entweder auf die
rabattierten Zeitkarten umsteigen – oder flexibel genug sind, außerhalb der morgendlichen HVZ zu
fahren.
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Abbildung 18:
Tarifeinnahmenausfälle der Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) in Mio.
EUR p.a.
Verglichen mit den fortgeschriebenen Tarifeinnahmen aus 2018 reduzieren sich damit in der
Variante Freifahrt 24h die Tarifeinnahmen in den Segmenten um ca. 52% im Bartarif und 88% bei
den Zeitkarten. Dieser Effekt nimmt in den beiden anderen Modellen immer weiter ab, wie Abbildung
19 zeigt.
Abbildung 19:
Prozentualer Tarifeinnahmenausfall gegenüber 2018 nach Modellen
87/134
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Mit den „weiteren Abos“ sind die bisherigen Zeitkarten für die Personengruppen der Senior*innen,
Studierenden, Auszubildenden und Bedürftigen gemeint. Die daraus resultierenden Tarifeinnahmen
„wandern“ beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket) in die Beitragseinnahmen. Hierzu
ist anzumerken:
•
Übersichtlich ist die Lage beim Berlin-Ticket S, das nur für den AB-Bereich gültig ist und nur
von Berliner*innen erworben werden kann. Hier werden tatsächlich alle Tarifeinnahmen
entfallen.
•
Der vollständige Entfall der Einnahmen aus dem VBB-Semesterticket jedoch bezieht sich
alleine auf den Kreis der in Berlin wohnenden Studierenden. Natürlich könnte das
Tarifangebot weiter an Brandenburger Universitäten vertrieben werden. Darüber hinaus ist
zu erwarten, dass in Brandenburg studierende Berliner*innen (wertmäßig in geringem
Umfang) neu zu entwickelnde Tarifprodukte auf Zeitkartenbasis in den C-Bereich erwerben
werden – schließlich ist das Semesterticket ja auch im Tarifbereich ABC gültig.
•
Dies betrifft auch das VBB-Abo 65plus für Senior*innen und das VBB-Abo Azubi für
Auszubildende, die beide verbundweit gültig sind. Auch hier entfallen die Einnahmen von
Brandenburger Fahrgästen nicht. Dabei kann bei Senior*innen der Nicht-Berliner Anteil auf
etwa 5% der Umsätze geschätzt werden.
Im Vergleich zu der Prognosequalität der Beitragseinnahmen ist die Abschätzung der Verlusteffekte
in den Tarifeinnahmen von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig, was eine aggregierte
Abschätzung erschwert. In der Summe wird das Ergebnis, das eine im Vergleich zu 2018
unveränderliche Fahrgästenachfrage unterstellt, nur ein Anhaltspunkt für die tatsächlichen
Anpassungseffekte sein können. Dies gilt erst recht angesichts der noch unklaren Folgewirkungen
der Covid-19-Pandemie.
Im Einzelnen werden viele verschiedene Effekte die Verkehrsnachfrage mit Wirkung auf die
Tarifeinnahmen beeinflussen:
•
Die größte Unsicherheit liegt darin, dass die Berechnungen eine statische Nachfrage
abbilden. Real kann sich die ÖPNV-Nutzung im Laufe der Zeit deutlich ändern.
•
Prognoseunsicherheit besteht im Hinblick auf die Verschiebung der Nachfrage in der
morgendlichen HVZ im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak). Schließlich ist davon auszugehen,
dass ein harter Bruch zwischen Tarifpflicht und Freifahrt dazu führen wird, dass
Berliner*innen dort, wo es dies zulässt, Fahrten verschieben, um Kosten oder schlicht die
Mühen
des
Fahrscheinerwerbs
zu
sparen.
Dies
könnte
dazu
führen,
dass
die
Tarifeinnahmenausfälle höher als berechnet ausfallen. Dies gilt besonders für den Bartarif,
bei dem über die Hälfte der heutigen Einnahmen von ca. 375 Mio. EUR durch Berliner*innen
resultierten – und abhängig von zeitlichen und tariflichen Anpassungsstrategien der
Fahrgäste potenzielle „Drohverluste“ sind.
•
Auch allgemeine verhaltens- und verkehrspsychologische Einflussfaktoren sind möglich:
o
So kann beispielsweise eine Änderung der Nachfragestruktur eintreten, weil sich die
individuelle Entscheidungsparameter verändern. Vergünstigte Ticketpreise für
Einzelfahrten können dann attraktiver erscheinen als eine Zeitkarte.
88/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
o
Schwer zu prognostizieren sind die Folgen, die sich v.a. bei dem Modell Freifahrt
24h aus der faktischen Aufgabe der Verkehrsraumintegration ergäbe. Heute ist es
bereits vergleichsweise komfortabel, mit einem gemeinsamen Tarif den Nahverkehr
zwischen Berlin und Brandenburg zu nutzen. Künftig könnte sich für Berliner*innen
die Nutzung des ÖPNV im Stadtgebiet einerseits radikal vereinfachen – gleichzeitig
aber eine neue Hürde in den C-Bereich schaffen. Wenngleich nicht davon auszugehen ist, dass Zeitkartennachfrager*innen wie Pendler*innen sich dem Nahverkehr abwenden, könnte dies aber bei Gelegenheitsfahrten (wieder) der Fall werden.
•
Vor allem zu nennen ist die erwartbare Zusatznachfrage im Zusammenhang mit der
Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags. Abhängig von der Variante bzw. dem
verknüpften Sondervorteil ist mit einer z.T. deutlichen Mehrnutzung von Bussen und Bahnen
durch Berliner*innen zu rechnen – übrigens auch auf Kosten des Rad- und Fußverkehrs.
Dies kann Folgeeffekte zeitigen:
o
Eine höhere Fahrgastnachfrage bietet – bei gegebenem Verkehrsangebot – in den
Varianten Freifahrt 21h und Bahncard Chancen auf zusätzliche Tarifeinnahmen.
Dagegen wird im Fall der Freifahrt 24h die zusätzliche Nachfrage ausschließlich auf
der Kostenseite ausschlagen (s.u.).
o
Andererseits kann eine starke Mehrnachfrage durch Berliner*innen auch zu einer
tendenziell
geringeren
Nutzung
durch
Pendler*innen
und
entsprechenden
Mindereinnahmen führen. Beispielsweise wenn schlicht der Platz in Bus und Bahn
knapp wird – aber auch aus einem gestörten Gerechtigkeitsempfinden einer
Ungleichbehandlung heraus.
o
Darüber hinaus entstehen auch zusätzliche Einnahmechancen, wenn im Fall einer
Angebotsausweitung Zusatzverkehre angeboten werden – die aber gegen die
entstehenden Kosten beispielsweise für neue Fahrzeuge zu rechnen wären.
•
Daneben wird eine zusätzliche Nachfrage weitere, kostenwirksame Effekte nach sich ziehen,
die losgelöst von Einnahmenwirkungen sind. Hier sind insbesondere zu nennen:
o
Schon eine erhöhte Fahrgastnachfrage im bestehenden Angebot kann zu
Mehrkosten bei den Verkehrsunternehmen führen, wenngleich sich diese eher in
einem kleinen Rahmen bewegen, beispielsweise durch erhöhten Energieverbrauch
oder Reinigungskosten.
o
Steigt die Nachfrage stetig, können schnell Kosten durch dann notwendige
Anpassungen des ÖPNV-Angebotes anfallen. Eine höhere Taktung der Linien oder
neue Angebote verlangen jeweils zusätzliche Aufwendungen. Sofern es sich „nur“
um eine betriebliche Ausweitung handelt, betreffen die Ausweitungen lediglich
laufende Aufwendungen wie Personal- und Materialkosten.
o
Schnell jedoch werden auch Investitionen nötig, beispielsweise in neue Fahrzeuge.
Dies sind sog. sprungfixe Kosten, die neben einem erhöhten Finanzierungsaufwand
auch entsprechende Vorlaufzeiten in der Planung notwendig machen.
89/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Saldobetrachtung
Um eine aggregierte Sicht der beiden gegenläufigen Effekte – Beitragseinnahmen und Tarifeinnahmenausfälle – zu erhalten, sind die Beträge zu saldieren. Die folgende Tabelle stellt die
Ergebnisse der Modellberechnungen zusammen:
Beitragseinnahmen
Tarifausfälle
Saldo
(in Mio. EUR)
(in Mio. EUR)
(in Mio. EUR)
Obergrenze
1.947,5
916,4
1.031,2
Beispiel
1.460,6
916,4
544,3
Obergrenze
1.558,0
800,0
758,0
Beispiel
1.168,5
800,0
368,5
Obergrenze
973,8
558,2
415,6
Beispiel
730,3
558,2
172,1
Modell
Beitragshöhe
Freifahrt 24h
Freifahrt 21h
Bahncard
Abbildung 20:
Saldobetrachtung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen
Bei der Bewertung der untersuchten Modelle des Bürger*innentickets und der verknüpften
Einführung eines allgemeinen ÖPNV-Beitrags für alle Berliner*innen zeichnet die Modellrechnung
abschließend folgendes Bild:
•
In allen Varianten sind z.T. deutliche Mehreinnahmen aus Sicht des Landes zu
erwarten. Die Höhe der Mehreinnahmen wird durch die Beitragshöhen determiniert, für die
zwei Varianten bereitstehen:
o
Obergrenze
–
als Äquivalent
der heutigen
VBB-Zeitkartentarife
und der
reduzierten Variante
o
•
Beispiel – mit Beiträgen mit einem 25%-igen Nachlass auf die Obergrenzen.
Im Modell Freifahrt 24h verbleiben Mehreinnahmen zwischen 540 – 1.030 Mio. EUR pro
Jahr. Wegen des kompletten Entfalls von Tarifumsätzen von Berliner*innen im Stadtverkehr
liegt der gesamte Tarifausfall hier mit ca. 916 Mio. EUR am höchsten.
•
Verbleibt trotz eines grundsätzlich kostenlosen ÖPNV in der morgendlichen Hauptverkehrszeit noch die Pflicht für einen Fahrscheinerwerb (Modell Freifahrt 21h), gehen sowohl die
Beitragseinnahmen als die Tarifausfälle zurück. Jährlich verbleiben etwa 370 – 760 Mio.
EUR mehr. Senkt man die Tarife in der morgendlichen HVZ um 50% (statt um 30%),
verringert sich der Saldobetrag um etwa 20 Mio. EUR.
•
Auch im Modell Bahncard resultieren im Saldo zwischen ca. 170 – 420 Mio. EUR
Mehreinnahmen pro Jahr.
90/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Abbildung 21:
Finanzierungssaldo des allgemeinen ÖPNV-Beitrags nach Modellen
Betrachtet man die unterschiedlichen Modelle des allgemeinen ÖPNV-Beitrags, springt ein reiner
Vergleich der Finanzergebnisse zu kurz:
•
Das Modell Freifahrt 24h erbringt zwar den höchsten Finanzierungssaldo – gleichzeitig wird
die mit dem Bürger*innenticket gewährte kostenlose Fahrt zu einer starken Mehrnutzung
des ÖPNV führen, weil für die Berliner*innen schlicht keine Nutzungskosten anfallen. Damit
wird eine Angebotsausweitung unausweichlich, die wiederum den Großteil des gewonnen
Zusatzbudgets verschlingen könnte. So gesehen kann eine Entscheidung für einen allgemeinen ÖPNV-Beitrag auch als Selbstbindung für eine Angebotsoffensive verstanden
werden. Im Ergebnis aber würde dieses Modell bedeuten, – mit Ausnahme der nicht aus
Berlin stammenden Fahrgäste – den Fahrpreis als Allokationsinstrument aufzugeben.
•
Am schwierigsten einzuschätzen ist, welche tatsächliche Finanzierungswirkung aus dem
Modell
Freifahrt
21h
(Off-Peak)
resultiert.
Dies
hängt
maßgeblich
von
den
Anpassungsreaktionen der Fahrgäste in der morgendlichen HVZ ab. Vor allem der harte
Schnitt zwischen kostenloser und nicht kostenloser Beförderung könnte in diesem Modell
zu Nachfragespitzen führen. Da auch hier der Tarif als Steuerungsinstrument für den
Großteil des Tages aufgegeben wird, wird diesen möglicherweise nur durch aufwändige
Gegenmaßnahmen zu begegnen sein.
•
Im Gegensatz zu den beiden anderen Modellen fällt der Finanzierungsbeitrag der BahncardVariante deutlich zurück und ist mit Blick auf das Einnahmenerreichungsziel daher
nachrangig zu bewerten. Gleichzeitig bietet er im Vergleich zu den Freifahrt-Modellen aber
auch kleine strategische Vorteile:
91/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
o
Durch die Beibehaltung des Tarifs kann die Nachfrage über dieses Instrument weiter
gesteuert werden. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Auswirkungen auf den VBB
und die Finanzierung der Verkehrsleistungen im Verbund dosierter sein werden.
o
Im Bahncard-Modell wird keine sprunghafte Fahrgastnachfragesteigerung resultieren, da mit der Tarifpflicht immer noch der Kaufvorgang eines Tickets der
Nutzung von Bus und Bahn voranzustellen ist. Daher werden im Vergleich geringere
zusätzliche Aufwendungen für die Angebotsausweitung anfallen.
o
Durch die geringere Beitragshöhe wird möglicherweise in der Gruppe der ÖPNVNichtnutzer*innen eher eine politische Bereitschaft wachsen. Gleichzeitig kann den
Vielfahrer*innen eine Vergünstigung der ÖV-Nutzung zuteil werden.
o
Schließlich wird die Finanzierung des Nahverkehrs auf eine weitere Säule gestellt.
Mit der Diversifizierung kann eine höhere Sicherheit einhergehen, wie der aktuelle
Fahrgast- und Einnahmenrückgang in der Pandemie schmerzlich zeigt.
9.1.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag kommt nicht ohne z.T. tiefgreifende begleitende Maßnahmen aus.
•
Organisatorisch die wichtigste Anforderung ist die Zuweisung der Aufgabe der Beitragserhebung an eine dafür zuständige Verwaltungseinheit. Diese ermittelt die personenbezogenen Daten und ist für die administrativen Aufgaben, also insb. die Prüfung und die
Beitragserhebung zuständig. Diese werden voraussichtlich durch eine Behörde oder eine
mittelbare Institution, beispielsweise die BVG AöR, ausgeführt werden müssen. Aufgrund
des
Umfangs
dieser
Aufgabe
muss
davon
ausgegangen
werden,
dass
für
die
Aufgabenerledigung zusätzliches Personal gefunden werden muss.
Gleichzeitig ist auch eine Stelle nötig, welche die personalisierten Bürger*innentickets für
die 3,75 Mio. Berliner*innen ausstellt, versendet und administriert. Diese Tätigkeiten sind
nicht notwendigerweise hoheitlich, weshalb beispielsweise auch eine Unterstützung durch
den VBB möglich wäre – wenngleich dies aktuell nicht das Aufgabengebiet des VBB berührt.
Um diese Voraussetzungen für das Bürger*innenticket zu schaffen, ist ein entsprechender
zeitlicher und organisatorischer Vorlauf – und selbstverständlich auch die laufende
Vorhaltung von Kapazitäten nach Einführung – nötig.
•
Mit einer Umsetzung eines ÖPNV-Beitrages würde auch eine tiefgreifende Veränderung
der Nahverkehrsfinanzierung einhergehen. Im besonderen Maße beachtenswert ist,
dass Finanzierungsströme im großen Maßstab verändert werden. Schließlich werden
Tarifeinnahmen, die bislang bei den Verkehrsunternehmen und dem Verbund vereinnahmt
werden, in die Landeskasse „umgelenkt“. Dies impliziert zunächst den Vorteil, dass die
Einnahmen nicht versteuert werden müssen, führt aber unmittelbar dazu, dass das
bestehende System der Tarifvereinnahmung und -aufteilung innerhalb des VBB tangiert
wird. Die VBB-Einnahmeaufteilung wird im Hinblick auf die neugeordneten Finanzierungsströme und die Einsteuerung von Einnahmeausfällen neu justiert werden müssen.
Damit ist automatisch das komplizierte Gefüge der öffentlichen Dienstleistungsaufträge
zwischen öffentlichem Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen berührt. Insbesondere
92/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
bei Verkehrsverträgen, bei denen die Verkehrsunternehmen ein Einnahmenrisiko tragen
(sog. Nettoverträge), belasten zurückgehende Einnahmen die Ergebnissituation der
Unternehmen unmittelbar. Indem weniger Taifeinnahmen anfallen, wird der Topf der im
Verbund zu verteilenden Einnahmen geringer. Hier wird das Land kaum um einen
entsprechenden finanziellen Ausgleich herumkommen, wenn eine landesgesetzliche
Maßnahme Grund für den Einnahmenrückgang ist. Sind Ausgleichszahlungen berechtigt und
nötig, stellt sich weiter die Frage, wie dies unter Wahrung des Beihilferechts umzusetzen
ist. Grundsätzlich erscheint es für das Land Berlin möglich, die entfallenden Tarifeinnahmen
durch einen Zahlungsfluss über das landeseigene Verkehrsunternehmen BVG in die VBBEinnahmeaufteilung zurückzuführen.
Die
Auswirkungen
auf
die
Verkehrsverträge
in Brandenburg
wäre
im konkreten
Vorbereitungsfall näher zu untersuchen. Obwohl die Verkehrsverträge im Berliner und
Brandenburger Schienenpersonennahverkehr (SPNV) grundsätzlich als Bruttoverträge
konzipiert sind, also das Land die Erlösrisiken trägt und den Verkehrsunternehmen die
Kosten erstattet, können dort auch vertragliche Anreizelemente eine implizite Erlöswirkung
entfalten, die mit einer Beitragseinführung beeinflusst wird.
•
Noch nicht vollständig abzusehen sind die Auswirkungen auf den VBB-Tarif selbst. Klar
ist, dass nicht nur Einfluss auf die Tarifeinnahmen genommen werden wird, sondern auch
auf weitere Aspekte. Zu nennen ist:
o
In den Modellen Freifahrt 21h und Bahncard müsste jeweils eine neue Tarifstufe für
Berliner*innen geschaffen – und für den Vertrieb umgesetzt werden.
o
Eine relevante Auswirkung auf die Verbundeinnahmen wird auch die Aufteilung der
Einnahmen in den Tarifbereichen BC und ABC in einen „Berliner“ und einen
„Brandenburger“ Teil haben. Für die Modellberechnung ist vereinfacht eine lineare
Aufteilung unterstellt. Hierzu ist innerhalb des VBB eine Einigung herzustellen.
o
Diskussionspunkt wird sein, inwieweit ein Änderungsdruck auf die Tarifstruktur
entsteht, insbesondere wenn im Modell Freifahrt 24h der Tarifbereich AB nur für
Auswärtige Gültigkeit hätte.
o
Konkret wären auch neue Tarifprodukte zu entwickeln, beispielsweise Anschlussfahrscheine auf Zeitkartenbasis für Fahrten von Berliner*innen in den C-Bereich.
Diese benötigen v.a. in Berlin wohnende aber in Brandenburg Studierende oder
Auszubildende, da das Bürger*innenticket – im Gegensatz zu den heutigen Zeitkarten – nur im Bereich AB gültig ist. Aber auch andere regelmäßige Auspendler*innen sind selbstverständlich von diesen neuen Angeboten abhängig.
o
Mit einem Bürger*innenticket könnte das Modell des VBB-Semestertickets
womöglich keinen Bestand haben. Hintergrund ist das hinter dem Semesterticket
liegende Solidarmodell. Mit einem Anteil von 80% machen Studierende an Berliner
Hochschulen den Löwenanteil an den Zahlenden des Semestertickets aus. Da der
überwiegende Anteil davon auch in Berlin lebt und demnach in den Besitz eines
Bürger*innentickets käme, würde das wirtschaftliche Fundament dieses Modells
sehr wahrscheinlich berührt sein.
93/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
o
Mit der Einführung eines Bürger*innentickets würde der Tarifbereich AB im VBB
eine neue Stellung bekommen. Dies könnte zu einer Neujustierung der Tarifhöhen
im Verbund führen und beträfe mutmaßlich auch die Tarifanpassungsregelung. In
der Folge könnten auch gezielte Weiterentwicklungen der Tarife angestoßen
werden, beispielsweise eine höhere Bepreisung von Einzelfahrausweisen im Bereich
AB für Gäste und Tourist*innen.
o
Die Auswirkungen auf die Vertriebskosten im Verbund würden sich in den Modellvarianten unterscheiden. Unabhängig von der Ausgabe der Bürger*innentickets
selbst wären für alle weiteren Fahrgäste Vertriebsmöglichkeiten zu offerieren. Die
Vertriebskosten für die unterschiedlichen Vertriebskanäle sind aufgrund der
Bindung von Assets kurzfristig weitgehend unabhängig vom (zurückgehenden)
Umsatz. Eine mögliche Konsequenz könnte sein, vergleichsweise kostenintensive
Vertriebskanäle wie Fahrkartenautomaten und den personenbetriebenen Verkauf
einzuschränken und stärker auf digitale Vertriebsangebote zu setzen. Hierzu bedarf
es detaillierter gesonderter Analysen.
o
Schließlich wäre auch zu erwarten, dass sich die eingeübte Entscheidungsstruktur
über eine gemeinsame Anpassung der Tarife zwischen den beteiligten Ländern und
Kreisen verändert. Schließlich würde Berlin seine Stellung als „Kraftzentrum“
innerhalb des Verbunds durch einen ÖPNV-Beitrag ein Stück weit aufgeben.
o
Grundsätzlich ist für den Fall der Einführung eines Bürger*innentickets anzuraten,
eine vertiefte Untersuchung auf die Wirkungen auf den Verkehrsverbund BerlinBrandenburg und seinen Tarif anzustrengen, mit besonderem Blick auf die
Finanzierungsflüsse und verkehrliche Auswirkungen in den beiden Ländern.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
9.1.2
Gäste-Ticket
Gäste-Ticket
Kategorie
Umlagefinanzierung
Abgabentyp
Beitrag (einmalig, je Übernachtung)
Abgabendifferenzierung
Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren
Abgabenpflichtige
Private und geschäftliche Übernachtungsgäste
Sondervorteil
Tageskarte Tarifbereich ABC für die Dauer des Aufenthalts
Organisatorische
Änderungen im Tarif und in der Einnahmenaufteilung sowie
Herausforderungen
Kündigung von Verträgen mit Tourismus-Partnern der
Kombitickets (z.B. WelcomeCard) sind nötig.
Abbildung 22:
Steckbrief Gäste-Ticket
9.1.2.1 Beschreibung
Das Gäste-Ticket stellt eine verpflichtende Abgabe für Personen dar, die in gewerblichen
Übernachtungsbetrieben in Berlin zu privaten oder geschäftlichen Zwecken übernachten. Es wird
von den Gewerbetreibenden je Person und Nacht erhoben und der Landeskasse zugeführt. Im
Gegenzug erhalten die Übernachtungsgäste vom Anreise- bis zum Abreisetag einen Fahrausweis
für den Nahverkehr (Tageskarte Tarifbereich ABC). Weil schon mit der Hotelbuchung zur Verifikation
ein QR-Code an den Übernachtungsgast versendet wird, kann dieser den Fahrausweis schon vom
Bahnhof oder vom Flughafen aus verwenden.
Damit ist das Gäste-Ticket der Art nach eine zeitlich begrenzte Ausweitung des ÖPNV-Beitrags auf
die Übernachtungsgäste in der Stadt.
Es kann entgegnet werden, dass mit der City-Tax bereits eine sehr ähnliche Abgabenart existiert,
welche für das Ansinnen des Gäste-Tickets, Übernachtungsgäste verpflichtend an den Kosten des
Nahverkehrs zu beteiligen, ebenso geeignet ist. Die City-Tax ist eine Steuer auf private
Übernachtungen. Eine Erhöhung der City-Tax anstelle der Einführung eines Gäste-Tickets wäre im
Gegenzug für eine Übereignung eines verpflichtenden Fahrausweises an die Übernachtungsgäste
möglich. Dies würde aber nicht die Einnahmen zugunsten des ÖPNV zweckbinden.
Exkurs: Baseler Gasttaxe
Als Beispiel eines erfolgreich umgesetzten Gästetickets wird häufig auf die Baseler Gasttaxe abgestellt. Der
Kanton Basel-Stadt erhebt diese in Höhe von 4 Schweizer Franken (CHF) pro Person und Nacht.
Abgabenbefreit sind Personen mit Wohnsitz im Kanton sowie Kinder unter 12 Jahren. Wer außerdem mehr
als 30 Nächte im selben Beherbergungsbetrieb übernachtet, ist ab dem 31. Tag befreit. Welcher
Übernachtungszweck – privat oder geschäftlich – vorliegt, spielt für die Zahlungspflicht keine Rolle. Die
Gasttaxenpflicht setzt allerdings erst dann bei Beherbergungsbetrieben ein, wenn gewerbsmäßig bzw. an
mindestens fünf Tagen pro Kalenderjahr gegen Entgelt Personen beherbergt werden. Die Taxe wird den
Betrieben monatlich vom Amt für Wirtschaft und Arbeit in Rechnung gestellt. Die Übermittlung der
95/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Übernachtungszahlen durch die Unterkünfte bildet hierfür die Grundlage. Bei Buchungen über Airbnb wird die
Gasttaxe automatisiert beim Buchungsvorgang eingezogen.
Mit der Zahlung der Taxe erhält der Übernachtungsgast eine kostenlose Fahrtberechtigung im öffentlichen
Verkehr der Stadt Basel und der Region. Bei der Ankunft gilt zunächst die Reservationsbestätigung als
Fahrausweis. Die sogenannte „Basel-Card“ wird beim Einchecken, d.h. nach gezahlter Gasttaxe,
ausgehändigt. Beitragsbefreite Kinder erhalten diese unentgeltlich. Die Basel-Card gilt für die Dauer des
Aufenthalts nicht nur als Fahrausweis, sondern bietet neben dem Zugang zum kostenlosen Gäste-Wifi an
öffentlichen Plätzen vergünstigten Eintritt zu Kultur- und Freizeitangeboten. Darunter fällt beispielsweise die
einmalige Ermäßigung von 50% auf den Eintritt in Museen und in den Zoo Basel oder auch ein Guest Bike
Basel für 20 CHF am Tag.
Bei dieser Kombination aus Freifahrt und vergünstigtem touristischen Angebot kann eine klare Analogie zu
bestehenden touristischen Tarifprodukten in Berlin wie der „WelcomeCard“ gezogen werden. Das in dieser
Studie vorgeschlagene Gäste-Ticket soll allerdings kein verpflichtend zu erwerbendes Kombiticket sein. Dazu
passt, dass während in Basel die Einnahmen der Gasttaxe in die Schaffung und den Unterhalt der touristischen
Infrastruktur investiert werden, in Berlin die vereinnahmten Mittel die Finanzierung des ÖPNV stützen sollen.
Den Anfang machte in Basel allerdings ein 1997 eingeführtes „Mobility Ticket“, das ein reines ÖV-Ticket
umfasste und bei Zahlung der Gasttaxe erworben wurde. Die Basel-Card wird an dessen Stelle erst seit 2018
im Gegenzug für eine erhöhte Gasttaxe ausgegeben.
9.1.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Da beim Gäste-Ticket der Beitragspflichtige in Form des Fahrausweises einen Sondervorteil erhält,
sind für dieses Instrument neben Beitragseinnahmen auch Tarifeinnahmenausfälle zu berechnen.
Beitragseinnahmen
Mengenseitig dient die Anzahl an Übernachtungen als Ausgangspunkt der Modellrechnung. Nach
Daten des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg konnten 2018 insg. 32,8 Mio. Übernachtungen
gezählt werden. Wir gehen von einer jährlichen Steigerung von 4% aus, was leicht unter der
bisherigen Entwicklung der letzten Jahre liegt. Für 2020 liegen der Modellrechnung damit ca.
35,5 Mio. Übernachtungen zugrunde. Hinzu kommen ca. 5,5 Mio. Übernachtungen über Webplattformen (z.B. Airbnb). Im Lichte der Covid-19-Pandemie sind diese Werte derzeit obsolet.
Auf diese wurden die folgenden Varianten an Beitragshöhen unterstellt:
•
Variante 1: Erwachsene 5 EUR
•
Variante 2: Erwachsene 8 EUR
•
Für Kinder ab 6 Jahren gelten jeweils 50% des Normalbeitrags, Kinder bis 6 Jahre sind
befreit
Im Vergleich zu den Preisen der Tageskarten (Tarifbereich AB 8,60 EUR Regeltarif/5,50 EUR
ermäßigt, Tarifbereich ABC 9,60 EUR/6,00 EUR) heute stellt vor allem die 1. Variante eine deutliche
Vergünstigung und damit ein attraktives Angebot für die Gäste dar.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Tarifeinnahmenausfall
Beim Ausfall der Einnahmen aus touristisch genutzten Produkten (z.B. CityTourCard, QueerCityPass, WelcomeCard) sind wir davon ausgegangen, dass diese zu 99% von beitragspflichtigen
Gästen in Anspruch genommen werden – und daher die VBB-Einnahmenanteile künftig entfallen.
Mit Einführung des Gäste-Tickets werden aber auch die Absatzzahlen anderer Bartarifprodukte
(Einzelfahrkarte, Tageskarte, Kleingruppen-Tageskarte und 4-Fahrten-Karte) schrumpfen. Dafür
sind die von der BVG ermittelten Käuferanteile von Nicht-Berliner*innen berücksichtigt, die weiter
annahmengestützt nach Übernachtungsgästen und anderen Nicht-Berliner*innen disaggregiert
sind. Insgesamt entfällt damit bei den genannten Bartarifprodukten in den Bereichen AB, ABC und
BC etwas mehr als ein Viertel der Einnahmen.
9.1.2.3 Ergebnis
Auch beim Gäste-Ticket sind die gegenläufigen Wirkungen aus Beitragseinnahmen und dem
Tarifeinnahmenausfall zu modellieren.
Die zu erwartenden Einnahmen aus Beiträgen der Übernachtungsgäste sind von der gewählten
Beitragshöhe (Varianten: 5 EUR und von 8 EUR pro Tag) abhängig. Die Modellrechnung kommt zu
Beitragseinnahmen zwischen 180 – 290 Mio. EUR auf Jahresbasis.
Demgegenüber steht ein Rückgang der Einnahmen aus dem Bartarif und bei touristischen Produkten
in Höhe von ca. 115 Mio. EUR, so dass per Saldo eine jährliche Mehreinnahme für das Land Berlin
von 65 – 175 Mio. EUR verbleibt.
Der Härtegrad der Berechnung ist hoch einzustufen, sie ist von wenigen Annahmen abhängig. Für
die Entwicklung der Zahl an Übernachtungsgästen als zentraler Parameter lässt sich auf lange
Zeitreihen zurückgreifen. Allerdings machen die im Zuge der Covid-19-Pandemie eingeführten
Reisebeschränkungen nach Deutschland eine Neubewertung vor Einführung eines Gäste-Tickets
notwendig. Offen ist inwieweit und in welcher Geschwindigkeit die künftigen Besucher*innenzahlen
bisherige Größenordnungen erreichen werden.
9.1.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Wie im Fall des allgemeinen ÖPNV-Beitrags wird es mit der Einführung eines Gäste-Tickets nötig
sein, innerhalb der Berliner Verwaltung eine für die Erhebung und Abrechnung der Beiträge
zuständigen Stelle zu schaffen. Dabei kann von einer geringeren Aufgabenbreite ausgegangen
werden.
Mit der Einführung des Gäste-Tickets ist es notwendig, die Prozesse der Beitragserhebung, der
Ausstellung von Fahrtberechtigungen und der Abrechnung und Kontrolle zu beschreiben und
vorzubereiten. Denkbar ist folgendes Vorgehen:
•
Beitragsschuldner*innen sind die Übernachtungsgäste. Die Übernachtungsbetriebe und
gewerbliche Vermieter*innen in Berlin werden zur Erhebung des Gäste-Tickets bei ihren
Übernachtungsgästen verpflichtet. Sie melden die Beiträge wiederkehrend an das Land und
führen diese dahin ab.
97/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
•
Die Vermieter*innen übermitteln den Gästen per E-Mail vor Anreise personalisierte und für
die Dauer des Aufenthalts gültige Fahrberechtigungen mittels QR-Codes.
•
Dieser Datensatz dient als Berechtigungsnachweis und wird in das Vertriebshintergrundsystem übernommen. Er kann durch das Fahrpersonal bzw. Kontrollpersonal
überprüft werden. Gleichzeitig dient die Zahl der ausgegebenen Codes zur Plausibilisierung
der Beitragseinnahmen.
Zwar kann ein messbarer Mehrverkehr bei diesem Instrument wahrscheinlich ausgeschlossen
werden. Da aber hier ein Tarifeinnahmenausfall resultiert, sind auch einige der Aspekte zu beachten,
die bereits beim ÖPNV-Beitrag genannt wurden (Kap. 9.1.1.4):
•
Die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Verkehrsunternehmen im VBB wird
ähnlich, wenngleich in kleinerem Maßstab als beim Bürger*innenticket wirksam werden.
Rückläufige Einnahmen könnten durch das Land ausgeglichen werden.
•
Mit der Einführung des Gäste-Tickets sind verschiedene touristische Tarifprodukte
verzichtbar.
Als
Nebenwirkung
würde
dies
auch
bei
deren
Anbietern
zu
Einnahmerückgängen führen. Vielfach werden diese Fahrkarten mit gekoppelten Leistungen
vermarktet, u.a. dem freien oder ermäßigter Eintritt in Museen, Theatern, Veranstaltungen,
Freizeiteinrichtungen und Sehenswürdigkeiten. Die bestehenden Vereinbarungen mit diesen
Anbietern sind daher rechtzeitig abzukündigen.
•
Wenn mit dem Beitrag auch der Tarifbereich C nutzbar sein soll – wofür mit Blick auf den
neuen Flughafen ein großer Komfort verbunden wäre –, ist das Land Brandenburg im
Rahmen der Einnahmenaufteilung des VBB zu beteiligen.
98/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
9.2 Nutznießerfinanzierung
Der Status quo kennt neben den allgemeinen Zuweisungen allein die Fahrgeldeinnahmen als
Quellen der ÖPNV-Finanzierung. Der Gleichklang aus Steuer- und Nutzerfinanzierung stellt sich auf
den ersten Blick als sinnvoll dar. Dies trägt sowohl der Aufgabe des ÖPNV als öffentliches Daseinsvorsorgeinstrument Rechnung als auch der Forderung nach dem anreizfreundlichen Verursacherund Äquivalenzprinzip.
Die Nutznießerfinanzierung stellt darüber hinaus auf besondere wirtschaftliche Vorteile von
juristischen oder natürlichen Personen ab, die durch das Vorhandensein des öffentlichen Gutes
(ÖPNV) in Berlin entstehen. Ökonomen sprechen davon, dass durch die Bereitstellung einer
öffentlichen Leistung ein positiver pekuniärer externer Effekt198 ausgelöst wird, der diesen einen
wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Als typisches Beispiel wird der Wertzuwachs zitiert, der
Immobilien
durch
eine
gute
ÖPNV-Erschließung
wiederfährt:
Der
finanzielle
Ertrag
der
„sozialisierten“ Kosten für den ÖPNV wird an dieser Stelle „privatisiert“.
Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente streben danach, diesen geldwerten Vorteil abzuschöpfen
und wieder der Allgemeinheit zuzuführen. Dadurch können – in der Sprache der Ökonomen – die
positiven externen Effekte „internalisiert“ werden. Da sie diesen bestehenden Vorteil ausgleichen,
steht der Abgabenerhebung der Nutznießerfinanzierungsinstrumente auch kein Sondervorteil – wie
beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag – gegenüber. Die große Herausforderung dabei ist, dass eine
sachgerechte und diskriminierungsfreie Berechnung des individuellen Nutzens notwendig ist.
Demnach wird im Gegenzug für die zu leistende Zahlung kein zusätzlicher Sondervorteil gewährt.
Es kommt zu keinen Tarifausfällen. Die Einnahmen, die erzielt werden, stehen für eine
Saldobetrachtung lediglich Verwaltungskosten gegenüber.
Die hier betrachteten Instrumente zielen konkret auf die folgenden wirtschaftlichen Vorteile:
•
Die Grundstückseigentümer*innen profitieren, wie oben bereit erwähnt, direkt von der
Erschließung durch Busse und Bahnen (vgl. Kap. 9.2.1). Vergleicht man zwei ansonsten in
Ausstattung und Fläche identische Immobilien, wird diejenige mit der besseren Anbindung
an Bus und Bahn einen höheren Gebrauchswert aufweisen. Dies übersetzt sich entweder in
höhere Vermietungserlöse oder Anlagen-/Verkaufswerte.
•
Von einer guten Zugänglichkeit durch den ÖPNV profitieren die Wirtschafts- bzw.
Gewerbebetriebe in vielerlei Hinsicht (vgl. Kap. 9.2.2). So erreichen beispielsweise
Mitarbeiter*innen/Angestellte den Betrieb bequem, dieser muss daher auch keine oder
deutlich weniger Parkmöglichkeiten vorhalten. Der geringere Autoverkehr erleichtert es
damit auch, dass Lieferanten den Betrieb besser erreichen können. Entscheidend für
Unternehmen aber ist vor allem die Erreichbarkeit von Kund*innen. Abhängig vom
Wirtschaftszweig wird die Qualität der Zugänglichkeit beispielsweise von Verkaufsräumen
mit Bus und Bahn entscheidend für deren wirtschaftlichen Erfolg sein.
•
In besonderem Maß betrifft dies die Übernachtungsgewerbebetriebe (vgl. Kap. 9.2.3).
Da Gäste und Tourist*innen in der Mehrzahl ohne Auto die Hauptstadt besuchen, ist der
198
Das bekanntere Gegenteil sind negative externe Effekte. Diese entstehen beispielsweise bei der Produktion eines Gutes durch die Emission
von Luftschadstoffen. Vom Verkauf des Gutes profitiert wirtschaftlich allein der Unternehmer, während die Luftverschmutzung bei anderen,
unbeteiligten Personen zu Kosten führt.
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Nahverkehr für deren Mobilität in der Stadt von großer Bedeutung. Deswegen ziehen vor
allem die Hotels, Pensionen usw. als unmittelbare Profiteure des Tourismus einen Nutzen
aus dem öffentlichen Verkehrsangebot.
Da Zielsetzung ist, dass Finanzierungsinstrumente wiederkehrende Einnahmen generieren sollen,
werden die bereits etablierten Erschließungsbeiträge nicht betrachtet. Diese sind v.a. bekannt im
Fall des Ausbaus von Straßen oder Plätzen und könnten auch auf eine neue ÖPNV-Anbindung
bezogen werden. Vielmehr fokussieren sich die in dieser Machbarkeitsstudie näher betrachteten
Maßnahmen auf einen Ausgleich des Nutzens aus dem bestehenden ÖPNV-Angebot.
9.2.1
Grundstückseigentümerbeitrag
Grundstückseigentümerbeitrag
Kategorie
Nutznießerfinanzierung
Abgabentyp
Beitrag (wiederkehrend)
Abgabendifferenzierung
Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln
Abgabenpflichtige
Eigentümer*innen von Wohn-/Gewerbeimmobilien in Berlin
Sondervorteil
Entfällt (Nutznießerfinanzierung)
Organisatorische
typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs-
Herausforderungen
kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig
Abbildung 23:
Steckbrief Grundstückseigentümerabgabe
9.2.1.1 Beschreibung
Der Grundstückseigentümerbeitrag richtet sich an die Eigentümer*innen von Wohn- und Gewerbeimmobilien im Stadtgebiet Berlin. Diese werden zur Entrichtung eines wiederkehrenden,
beispielsweise jährlichen Beitrags verpflichtet, um die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der
ÖPNV-Anbindung gegenüber der Allgemeinheit auszugleichen. Die Beitragshöhe kann sich dabei an
mehreren Faktoren ausrichten, beispielsweise der Gebäudenutz- oder Wohnfläche oder dem Wert
der Immobilie.
9.2.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Zentrale Herausforderung der Modellierung eines solchen Beitrages ist eine hinreichend valide
Abschätzung der Summe der unterschiedlichen individuellen wirtschaftlichen Vorteile. Aufgrund des
Beitragscharakters ist es nicht zwingend nötig, eine Äquivalenz zwischen der Beitragshöhe und dem
wirtschaftlichen Vorteil herzustellen – auch wenn dies politisch angestrebt werden dürfte. Wichtiger
ist hingegen, eine komparative Angemessenheit der Beitragserhebung zu garantieren, d.h. durch
klare und nachvollziehbare Kriterien eine diskriminierungsfreie Beitragserhebung zwischen den
einzelnen Nutznießer*innen herzustellen (siehe auch Kap. 9.2.1.3).
Die Einnahmen sind mittels einer einfachen Näherung abgeschätzt. Hierfür sind diese Eingangswerte
maßgeblich:
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•
Mengenseitig ist die Fläche der Wohnimmobilien gut durch das Amt für Statistik BerlinBrandenburg dokumentiert. Im Jahr liegt diese in Berlin ohne Nichtwohngebäude bei 142,17
Mio. qm. Dieser Wert ist mit der durchschnittlichen Steigerung der Flächen zwischen 2010
– 2018 in Höhe von 0,66% p.a. auf 2020 fortgeschrieben.
•
Bei den Gewerbeimmobilien liegt leider mit 66,63 Mio. qm nur die Bodenfläche für Industrie
und Gewerbe vor, nicht die Nutzfläche der gewerblichen Aktivitäten. Dieser Wert wird mit
der gutachterlichen Annahme qualifiziert, dass zwischen 50% und 75% dieser Bodenflächen
beitragspflichtig werden.
•
Analog zu dem Erschließungsstandard bei Privatpersonen (vgl. Kap. 3.1.1.3) ist auch
unterstellt, dass Immobilien zum Teil nur ungenügend an den Nahverkehr angebunden sind.
Die Berechnung des Grundstückseigentümerbeitrags legt mit pauschal 8% einen doppelt so
hohen Anteil der von der Beitragspflicht befreiten Flächen an als bei den Wohnimmobilien.
Dies folgt aus der Annahme, dass flächenintensive Betriebe oft am Stadtrand liegen.
•
Die mittlere Beitragshöhe wird festgelegt mit
o
2 EUR je qm bei Wohnimmobilen
o
4 EUR je qm bei Gewerbeimmobilien
Bei Gewerbeimmobilien ist unterstellt, dass durch den unmittelbaren wirtschaftlichen
Betrieb ein höherer Nutzen resultiert, während bei Wohnimmobilien auch die Selbstnutzung
von Wohneigentum zu berücksichtigen ist. Zu beachten ist, dass eine Veränderung der
Beitragshöhe bei Wohnimmobilien aufgrund der mengenseitigen Dominanz einen deutlich
größeren Effekt auf die Beitragseinnahmen ausübt als bei Gewerbeimmobilien.
9.2.1.3 Ergebnis
Das Ergebnis der erwartenden Beitragseinnahmen aus dem Grundstückseigentümerbeitrag ist
einzig von der Höhe des gewählten mittleren Beitragssatzes abhängig (2 EUR je qm Nutzfläche in
Wohnimmobilen und 4 EUR je qm in Gewerbeimmobilien).
Die Modellrechnung ergibt Beitragseinnahmen von 400 – 460 Mio. EUR pro Jahr für einen Grundstückseigentümerbeitrag. Die größte Unsicherheit für den Wert der Ergebnisspanne wurzelt in dem
fehlenden Nutzflächenwert der Gewerbeimmobilien. Weil hier nur die Grundflächen verfügbar sind,
muss die Herleitung sich auf Annahmen stützen (vgl. Kap. 9.2.1.2).
9.2.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Die Umsetzung wird – wie bei den anderen Nutznießerfinanzierungsinstrumenten – von zwei
wesentlichen zu klärenden Themen bestimmt:
1. Die Herstellung eines definitorischen Gerüsts von klaren und nachvollziehbaren Kriterien für
die Beitragshöhen.
2. Die Schaffung bzw. Ertüchtigung einer Verwaltungseinheit, welche die Beiträge anhand
dieser Kriterien erhebt und vereinnahmt.
101/134
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Der erste Punkt ist insofern komplex, als ein juristisch möglichst „wasserdichtes“ Kriteriengerüst zu
definieren ist, das zudem auf verfügbaren Daten und Informationen beruht.
Am Beispiel des Grundstückseigentümerbeitrags kann eine Reihe von Themen benannt werden, die
die Komplexität der Herstellung eines solchen Kriteriengerüstes belegen, z.B.:
•
Bei Gewerbeflächen sind die tatsächlich gewerblich genutzten Flächen zu definieren und zu
erheben. Dabei wäre beispielsweise methodisch abzugrenzen, welche Flächen- und
Gebäudeteile erfasst werden (z.B. Parkplätze, Lager, Verkaufsräume). Diese müssten ggf.
auch unterschiedlich bei der Beitragshöhe bewertet werden.
•
Dabei wird es aus politischen Motiven auch um die Frage gehen können, bestimmte
Institutionen wie genossenschaftliche oder städtische Wohnbaugesellschaften von einer
Beitragszahlung ausnehmen zu können. Dies sollte nach transparenten Kriterien vorgenommen werden, was erneut eine spezielle Informationenbeschaffung und -verarbeitung
nach sich ziehen kann.
•
Der Wert speziell von Wohnimmobilien ist von einer großen Zahl an Faktoren abhängig, die
bei der Beitragshöhe möglicherweise als sachgerechte Differenzierungskriterien zu
berücksichtigen sind. Neben der Lage (Stockwerk), Ausstattung und Größe können sogar
Merkmale der Umgebung im „Kiez“ wie Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen, Schulen,
Kindertagesstätten usw. relevant sein. Wenn solche Faktoren bei der Beitragsbemessung –
neben den ÖPNV-spezifischen Kriterien (z.B. Haltestellenabstand) – berücksichtigt werden
müssen, wird dies augenscheinlich einen laufend hohen Erhebungs- und Datenverarbeitungsaufwand implizieren.
In der Gesamtschau ist damit zu rechnen, dass die rechtssichere Differenzierung der Beiträge einen
erheblichen Aufwand verursacht. Diese könnte im Extremfall auf eine Beitragsfestsetzung auf Basis
von Einzelfallentscheidungen hinauslaufen. Beispielsweise würde eine Koppelung der Beiträge an
die Miete bzw. den Mietspiegel eine relativ handhabbare Lösung ermöglichen, die aber
möglicherweise keinen hinreichenden Differenzierungsgrad erfüllt. Bereits Externalitäten wie
Verkehrslärm oder Erschütterungen könnten verhindern, dass die Berechnung der Beiträge anhand
eines linearen Faktors wie der Entfernung der Wohnung zu Haltestellen durchgeführt werden darf.
Jedenfalls werden die Komplexität der Beitragsbemessung und die Verfügbarkeit der hierfür nötigen
Daten wesentlich den Arbeitsumfang der für die Erhebung zu schaffenden bzw. zu ertüchtigenden
Verwaltungseinheit determinieren. Der absehbar hohe Verwaltungsaufwand wird durch vorhandene
Behörden mutmaßlich nicht gestemmt werden können. Demzufolge ist davon auszugehen, eine
entsprechende Verwaltung aufbauen zu müssen.
Die Summe der vorgenannten Themen impliziert eine hinreichende Vorbereitungszeit bis zum
tatsächlichen Start dieses Finanzierungsinstruments (insbes. Erstellung von Studien, Daten- und
Informationsbesorgung, Aufbau der Verwaltung).
102/134
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9.2.2
Gewerbebetriebebeitrag
Gewerbebetriebebeitrag
Kategorie
Nutznießerfinanzierung
Abgabentyp
Beitrag (wiederkehrend)
Abgabendifferenzierung
Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln
Abgabenpflichtige
Alle in Berlin ansässige Gewerbebetriebe
Sondervorteil
Entfällt (Nutznießerfinanzierung)
Organisatorische
typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs-
Herausforderungen
kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig
Abbildung 24:
Steckbrief Gewerbebetriebebeitrag
9.2.2.1 Beschreibung
Der Gewerbebetriebebeitrag stellt eine Abgabe zur Internalisierung des wirtschaftlichen Vorteils der
ÖPNV-Anbindung für Wirtschaftsbetriebe in Berlin dar. Beitragspflichtig sind demnach alle in Berlin
gemeldeten Unternehmen. Die Höhe des Beitrags bemisst sich an dem individuellen Nutzen, der
dem jeweiligen Betrieb entsteht. Da es nur um den Ausgleich dieses wirtschaftlichen Vorteils geht,
werden den Beitragspflichtigen keine weiteren Sondervorteile gewährt.
Es kann argumentiert werden, dass durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer die Berliner Unternehmen einfacher an einer stärkeren Finanzierung des ÖPNV beteiligt werden können. Diesem an
sich richtigen Argument ist allerdings entgegenzuhalten, dass damit zum einen die individualisierte
Berechnung der durch die ÖPNV-Leistungen entstehenden positiven externen Effekte entfällt.
Wesentlich schwerer aber wiegt die Tatsache, dass Steuereinnahmen aus dem haushaltspolitischen
Grundsatz der Non-Affektation nicht für den Zweck des Angebotsausbaus im ÖPNV gesichert werden
kann.
9.2.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Die Herleitung der Beitragseinnahmen kann auch beim Gewerbebetriebebeitrag nur vereinfacht
dargestellt werden. Die für die individuelle Vorteils- und Beitragsbemessung anhängigen Kriterien
müssen erst begründet und definiert werden (vgl. Kap. 9.2.2.3). Gleichwohl ist in der Berechnung
eine Näherung durch Berücksichtigung von zwei Strukturmerkmalen Berliner Betriebe enthalten,
die mit wichtigen Differenzierungsmerkmalen korrelieren:
1. Zugehörigkeit zum Wirtschaftszweig: Ein entscheidendes Differenzierungskriterium wird
der Anteil wirtschaftlicher Kenngrößen durch persönlichen Kontakt, insbesondere zu
Kund*innen sein. So können, trotz der holzschnittartigen Clusterung der Berliner Betriebe,
den verschiedenen Wirtschaftssegmenten unterschiedliche Faktoren zur wirtschaftlichen
Bedeutung
der
Erreichbarkeit
durch
Kund*innen
zugeordnet
werden
(vgl.
Gutachterannahmen in der Abbildung 25). Erkennbar werden Branchen wie das
103/134
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Gastgewerbe, der Handel und Erziehungseinrichtungen stärker von der Erreichbarkeit mit
dem Nahverkehr profitieren als das Baugewerbe oder die Abfallentsorgung.
Wirtschaftszweig
Faktor
Sortierung nach WZ2008
Publikumsverkehr
E
Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung
F
Baugewerbe
10%
G
Handel; Instandhaltung und Reparatur von KFZ
90%
H
Verkehr und Lagerei
10%
I
Gastgewerbe
J
Information und Kommunikation
30%
K
Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
30%
L
Grundstücks- und Wohnungswesen
30%
M
Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen
Dienstleistungen
50%
N
Erbringung von sonst. wirtschaftlichen Dienstleistungen
50%
P
Erziehung und Unterricht
90%
Q
Gesundheits- und Sozialwesen
90%
R
Kunst, Unterhaltung und Erholung
S
Erbringung von sonstigen Dienstleistungen
Abbildung 25:
0%
100%
100%
0%
Einflussfaktor Publikumsverkehr nach Wirtschaftszweigen
2. Betriebsgröße: Auch die Anzahl der in den Betrieben Beschäftigten ist ein entscheidendes
Merkmal für den wirtschaftlichen Vorteil der ÖPNV-Erschließung. Die Unternehmen profitieren davon, dass die Mitarbeiter*innen die Betriebe gut und sicher erreichen können.
Obendrein wird gerade an besonders gut erschlossenen Standorten die Vorhaltung von
ausreichend Parkraum entbehrlich.
Das Amt für Statistik Berlin Brandenburg weist die Anzahl der Berliner Betriebe nach Wirtschaftssegmenten in vier Kategorien aus (von 0 – 9, von 10 – 49, von 50 – 249 sowie mehr als 250
Mitarbeiter). Da Daten zur Verteilung der Betriebe innerhalb dieser Kategorien fehlen, wird die
Beitragshöhe der Bertriebe jeweils anhand der mittleren Mitarbeiter*innenzahlen (5, 30, 150 und –
abweichend von der Annahme des mittleren Wertes – 250) konfiguriert. Dabei sind zwei Varianten
der Beitragshöhe mit 50 EUR und 60 EUR je Mitarbeiter*in unterstellt worden, so dass sich die
folgenden mittleren jährlichen Beiträge ergeben:
Beschäftigte
0–9
10 – 49
50 – 249
250 und mehr
Variante 1
250 €
1.500 €
7.500 €
12.500 €
Variante 2
300 €
1.800 €
9.000 €
15.000 €
Abbildung 26:
Beitragshöhen je Beschäftigtenkategorie
Auf diese Beitragshöhen werden für die verschiedenen Wirtschaftszweige die in Abbildung 25 aufgeführten Faktoren in Form von Hebesätzen angewendet. Analog zum Grundstückseigentümerbeitrag
wird für 8% der Betriebe unterstellt, dass der Mindesterschließungsstandard nicht erfüllt wird,
wodurch die Beitragspflicht negiert wird. Nicht auszuschließen ist, dass bestimmte, formal als
104/134
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Wirtschaftsbetriebe zählende Einrichtungen (z.B. Schulen, Kindertagesstätten, Krankenhäuser) von
einer Beitragspflicht befreit werden, weil sie einem übergeordneten öffentlichen Zweck dienen.
Anzumerken ist, dass die Annahmen der Modellrechnung nur als ein Beispiel für eine Differenzierung
der Beiträge zu verstehen sind. Im Fall einer Umsetzung des Instruments ist es notwendig, nähere
Untersuchungen auch zu Folgewirkungen einer solchen Maßnahme einzuholen. Beispielsweise wäre
als eine Folge der in diesem Beispiel vorgesehenen Koppelung an die Anzahl der Mitarbeiter*innen
der Betriebe zu vermeiden, dass Unternehmen vor allem in beschäftigungsintensiven Branchen
stärker dazu übergehen könnten, statt Festangestellten stärker auf Zeitarbeit zu setzen.
9.2.2.3 Ergebnis
Bei der Berechnung der Einnahmen sind die in Kap. 9.2.2.2 genannten vereinfachten Differenzierungskriterien zugrunde gelegt. Letztlich wird auch der Gewerbebetriebebeitrag ganz wesentlich
von der Beitragshöhe und etwaigen Ausnahmen von der Beitragspflicht abhängig sein.
Hier wird von einem mittleren Beitrag zwischen 50 und 60 EUR pro Jahr und Mitarbeiter*in
ausgegangen. Die Einführung eines Beitrages für die etwa 192.000 Gewerbebetriebe in Berlin würde
in jährliche Beitragseinnahmen zwischen 145 – 175 Mio. EUR resultieren.
Die methodische Verlässlichkeit dieser Berechnung beruht wesentlich auf der Frage, ob die in
diesem Beispiel angesetzten mittleren Beiträge im Fall der Einführung dieses Instruments
durchgesetzt werden könnten. Schließlich wird aber die Gesamtbetrachtung unter Einrechnung der
einhergehenden Verwaltungskosten gewichtiger sein als der Bruttoeffekt der Beitragseinnahmen.
9.2.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Wie schon beim Grundstückseigentümerbeitrag liegt auch hier die besondere Herausforderung
darin, die wirtschaftlichen Vorteile für die Betriebe hinreichend individuell zu differenzieren. Der
geldwerte Vorteil aus der ÖPNV-Anbindung unter den Unternehmen ist augenscheinlich nicht gleich
verteilt. Der Nutzen ist mindestens vom Geschäftszweck bzw. der
Branche sowie der
Unternehmensgröße abhängig. Auch die „Zentrumsnähe“ kann beispielsweise beim Handel als
wichtiger Faktor angesehen werden. Umgekehrt können gerade Betrieb abseits der Zentren stärker
von der ÖPNV-Anbindung abhängig sein. Zu der Messbarkeit des individuellen wirtschaftlichen
Vorteils von Betrieben sind im Falle einer politischen Entscheidung für diese Abgabenform
detaillierte Festlegungen zu treffen.
Eine mögliche Vereinfachung besteht darin, die Beitragshöhe auf vermeintlich objektive
wirtschaftliche Kennzahlen anzuwenden, wie beispielsweise den Umsatz, den Gewinn oder die
Beschäftigtenzahl. Jedoch erscheint es für die notwendige Individualisierung der Kriterien
wahrscheinlich nicht angemessen. Schließlich können von ansonsten in Größe und Geschäftszweck
gleichen Betrieben unterschiedliche Voraussetzungen geltend gemacht werden, welche bei der
Beitragsbemessung möglicherweise Berücksichtigung finden müssen. Als Beispiele können hier
starke Unterschiede in bereitgestellten Parkplätzen oder unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit vs. Festangestellte) genannt werden.
105/134
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Dabei kann selbst die Verfügbarkeit der notwendigen Datengrundlagen zu einer Herausforderung
werden. Schließlich werden viele wirtschaftliche- und Strukturdaten von unterschiedlichen Stellen
erhoben bzw. publiziert und können auch unterschiedliche „Zeitstempel“ besitzen.
Auch bei diesem Instrument ist eine Einheit in der Berliner Verwaltung zu schaffen oder zu
befähigen, die Beitragserhebung umzusetzen. Im Vergleich zum Grundstückseigentümerbeitrag ist
von einer geringeren, wenngleich nicht kleinen Anzahl an beitragspflichtigen Subjekten auszugehen.
9.2.3
Übernachtungsgewerbebeitrag
Übernachtungsgewerbebeitrag
Kategorie
Nutznießerfinanzierung
Abgabentyp
Beitrag (wiederkehrend)
Abgabendifferenzierung
Sachgerechte Differenzierungskriterien sind zu entwickeln
Abgabenpflichtige
Alle in Berlin ansässige Übernachtungsgewerbebetriebe
Sondervorteil
Entfällt (Nutznießerfinanzierung)
Organisatorische
typisierende und rechtssichere Auswahl der Differenzierungs-
Herausforderungen
kriterien, Aufbau einer eigenen Verwaltungseinheit nötig
Abbildung 27:
Steckbrief Übernachtungsgewerbebeitrag
9.2.3.1 Beschreibung
Der Übernachtungsgewerbebeitrag ist eine Untervariante einer (allgemeinen) Beitragspflicht für
Gewerbebetriebe. Er beschränkt sich auf die wirtschaftlichen Vorteile, die Hotels, Pensionen oder
Jugendherbergen usw. aus dem vorhandenen Nahverkehrssystem ziehen. Dabei sollten auch die
gewerblichen Vermietungen über Onlineportale erfasst (z.B. Airbnb) werden, die in Berlin etwa 10%
der Übernachtungen ausmachen.
Wie beim Gewerbebetriebebeitrag muss sich die Beitragshöhe am individuellen Nutzen ausrichten,
der den Betrieben entsteht. Weil auch hier bestehende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen werden,
stehen den Beitragspflichtigen keine weiteren Sondervorteile zu.
9.2.3.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Wie beim Gewerbebetriebebeitrag ist für die modellhafte Berechnung der Beitragseinnahmen ein
vereinfachtes Kriterienset unterstellt. Dabei wird auf zwei Strukturmerkmale abgestellt:
1. Anzahl Betten: Als zentrale Bemessungsgröße werden die Übernachtungsmöglichkeiten
eines Betriebes angesetzt. Diese liegen beim Amt für Statistik Berlin Brandenburg nach
Bezirken aggregiert vor. Die Beitragshöhe wächst also linear mit der Größe des Betriebes.
Eine andere mögliche Maßzahl ist die Anzahl an Übernachtungen, welche eine am
Kundenerfolg ausgerichtete Größe ist, die jedoch einen höheren Informationsgewinnungsaufwand auslöst.
106/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
2. Darüber hinaus wird auch die Zentrumsnähe des Übernachtungsbetriebes berücksichtigt.
Anhand der Lage der Übernachtungsbetriebe sind – in relativer Entfernung zum Berliner
Zentrum – drei Zonen anhand pauschaler Verteilungsfaktoren in den Bezirken gebildet
worden. In der Zone innerhalb und nahe des S-Bahn-Rings werden etwa 79% der insgesamt
ca. 147.000 Betten angeboten. Außerhalb davon liegen etwa 20%, während für 1% eine so
ungünstige Lage angenommen wird, dass diese von der Beitragspflicht entbunden sind.
Für die Zonen werden jeweils unterschiedliche Varianten an Beitragshöhen gerechnet. Für die innere
Zone sind mittlere jährliche Beiträge in Höhe von 150 und 200 EUR, für die mittlere Zone von 20
und 30 EUR je Bett angesetzt - die äußere Zone bleibt beitragsfrei.199 Diesem Vorgehen liegt die
Annahme zugrunde, dass zentrumsnahe Übernachtungsbetriebe einen höheren wirtschaftlichen
Vorteil aus dem Nahverkehrsangebot ziehen, beispielsweise indem mehr Gäste oder höhere Preisspannen resultieren.
9.2.3.3 Ergebnis
Die resultierenden Beitragseinnahmen für einen Gewerbebeitrag für Übernachtungsbetriebe
fußen auf den in Kap. 9.2.3.2 beschriebenen Annahmen. Vereinfacht unterstellt sind drei Kategorien
an Beitragshöhen, die umso höher sind, je zentrumsnaher sich der Betrieb befindet.
Die mittleren Beiträge sind in Höhe von 150 – 200 EUR je Bett in der zentrumsnächsten Kategorie
und 20 – 30 EUR je Bett in der mittleren Kategorie unterstellt. Daraus ergeben sich Beitragseinnahmen zwischen 18 – 24 Mio. EUR pro Jahr.
Dieser Wert stellt sich als relativ gering dar, auch im Vergleich zu den beiden anderen
Nutznießerfinanzierungsinstrumenten. Dies liegt auch daran, dass im Vergleich zu dem allgemeinen
Betriebebeitrag hier nur eine einzelne Wirtschaftsbranche im Fokus steht. Selbst deutlich höhere
Beiträge würden nicht zu einem signifikant höheren Finanzierungsbeitrag führen – der überdies
noch mit den administrativen Kosten zu saldieren ist.
9.2.3.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Die Herausforderungen ähneln in hohem Maße denen des Grundstückseigentümer- bzw.
Gewerbebetriebebeitrags:
•
Es sind sachgerechte Differenzierungskriterien für die Beitragsbemessung zu entwickeln,
die einerseits möglichst pauschal angewendet werden können aber andererseits auch
möglichst viele Merkmale von Übernachtungsbetrieben und deren wirtschaftlicher Vorteil
durch die ÖPNV-Anbindung anspricht.
•
Darüber hinaus muss eine Verwaltungseinheit gefunden bzw. geschaffen werden, welche
die Beitragserhebung umsetzt.
199
Jedoch erscheint auch eine andere Argumentation der Beitragshöhen möglich: Da Übernachtungsgewerbe in peripher gelegenen Bereichen
Berlins in höherem Ausmaß von der Bereitstellung eines leistungsfähigen ÖPNV-Angebots wirtschaftlich abhängig sind, könnten hier höhere
Beiträge gerechtfertigt sein.
107/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
•
Diese wird, um die individuellen wirtschaftlichen Vorteile der Unternehmen bewerten zu
können, voraussichtlich diverse Informationen sammeln, bewerten und verarbeiten
müssen, beispielsweise wirtschaftliche Ergebnisse der Übernachtungsbetriebe.
Die aufgeführten Punkte werden auch im Fall dieses Instruments zu dem Schluss führen, dass ein
erhöhter Verwaltungsaufwand mit der Beitragserhebung einher geht.
9.3 Instrumente mit Lenkungswirkung (Push-Instrumente)
9.3.1
City-Maut
City-Maut
Kategorie
Instrument mit Lenkungswirkung
Abgabentyp
Gebühr zur Nutzung der Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings
Abgabendifferenzierung
Zeitliche Differenzierung
Abgabenpflichtige
In die Mautzone einfahrende Kfz
Sondervorteil
Entfällt (Nutznießerfinanzierung)
Organisatorische
Datenschutzkonforme Erfassungssysteme sind zu entwickeln;
Herausforderungen
Planung von begleitenden Maßnahmen zur Steuerung von
Ausweichbewegungen
Abbildung 28:
Steckbrief City-Maut
9.3.1.1 Beschreibung
Die City-Maut verfolgt primär das Ziel, die Wahl des Verkehrsmittels zu beeinflussen. Durch eine
Bepreisung der Straßennutzung gewinnt der Umweltverbund an Attraktivität, Lärm- und
Schadstoffemissionen werden reduziert. Die resultierenden Einnahmen ermöglichen es dem Land
Berlin wiederum, den Umweltverbund zu attraktiveren und damit einen wichtigen Beitrag für eine
lebenswerte Stadt zu legen.
Ansatzpunkt für die Abgabenerhebung sind bei einer City-Maut die indirekten Vorteile eines
attraktiven ÖPNV-Systems für die Nutzer*innen motorisierter Individualfahrzeuge aufgrund der
dadurch geringeren Verkehrsdichte – die Straßennutzung würde in Berlin wesentlich höher ausfallen
als ohne ÖPNV-Angebot. Darüber hinaus profitieren Autofahrer*innen damit auch von der besseren
Verfügbarkeit von Parkplätzen.
Eine City-Maut stellt die Bepreisung des motorisierten Verkehrs innerhalb eines räumlich
abgegrenzten Gebiets dar. Für Berlin bietet sich das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings – auch
108/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
großer Hundekopf genannt – an.200 Dieses ist auch als Umweltzone ausgewiesen, d.h. hier dürfen
Fahrzeuge mit besonders hohen Emissionen nicht einfahren.
Die Ausgestaltungsoptionen einer Mautkonzeption sind vielfältig. Bekannt sind beispielsweise
Systeme, die für ein bestimmtes Gebiet gelten. Denkbar und technisch möglich sind aber auch
distanzbezogene Systeme wie bei der Lkw-Maut. Auch eine zeitbasierte Erfassung und Abrechnung
der Gebühr sind möglich. Die Ausgestaltung der Gebühren im Detail kann auch sehr unterschiedlich
gefasst werden, angefangen von mautfreien Tagen oder Tagesstunden, über Freigrenzen oder
Mautbefreiungen für bestimmte Fahrzeugklassen oder Fahrzeughalter*innen bis hin zu einer
Differenzierung nach emissionsbedingten Kriterien.
Für Berlin ist im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie mit dem sogenannten Kordonsystem eine relativ
einfache Variante unterstellt. Es geht von einer automatisierten visuellen Erfassung der Fahrzeugkennzeichen bei der Einfahrt als Grundlage für die Gebührenerhebung und -abrechnung aus. Dieses
System wird „aufwärtskompatibel“ sein, es lässt sich also auf andere Varianten, zum Beispiel auf
eine entfernungsbezogene Maut erweitern.
Das Kordonsystem wird dadurch charakterisiert, dass täglich bei einer Einfahrt in dieses Gebiet eine
Mautgebühr fällig wird, sofern es sich nicht um eine gebührenfreie Tageszeit handelt. Das Land
Berlin kann dabei eine Straßennutzungsgebühr nur für „eigene“ Liegenschaften erheben, eine
Gebührenerhebung auf Bundesfernstraßen ist nicht möglich. Während die Stadtautobahn den
Hundekopf nur im Süden tangiert und damit einfach auszuschließen ist, verlaufen die Bundesstraßen B1 und B2 über eine längere Strecke durch den S-Bahn-Ring hindurch. Dagegen stellen die
B96, die B96a und die B109 dort nur vergleichsweise kleinere bzw. Stichstrecken dar. Die Benutzung
dieser Straßen alleine dürfte also nicht mit Gebühren belegt werden.
In der Feinkonzeption der Maut sind dabei verschiedene Strategien eines Umgangs mit den
Bundesstraßen zu prüfen und zu bewerten, z.B.
•
Schaffung einer bundesgesetzlichen Grundlage, die eine Einbeziehung der Bundesstraßen
in die City-Maut erlauben würde.
•
Erfassung der Fahrzeuge nur an der Außengrenze des Hundekopfes und Formulierung
einer Regelvermutung, dass mit der Einfahrt in die Mautzone auch Straßen in der Baulast
des Landes genutzt werden.
•
Erfassung der Fahrzeuge bei der Einfahrt und ergänzende Erfassung im Umfeld der in den
Ring einfallenden Bundesstraßen.
Im Kanon der betrachteten Finanzierungsinstrumente ist die City-Maut eines derer, die in anderen
europäischen Städten bereits eingeführt wurden. Um die hier ausgeführten Überlegungen für Berlin
darin einordnen zu können, wirft Abbildung 29 einen Blick auf die internationalen Beispiele London
und Stockholm.
200
In diesem Bericht werden die Begriffe „S-Bahn-Ring“, „Umweltzone“ und „Hundekopf“ synonym verwendet, auch wenn die Gebiete in
Einzelfällen nicht deckungsgleich sind (siehe z.B. Elsenbrücke oder Kanzowstraße). Mit Blick auf die Gesamtfläche und Verkehrsströme ist
von keiner signifikanten Unterscheidung der Verkehrsmengen auszugehen.
109/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Merkmal
London
Stockholm
Einführung
2003
2007, nach Testphase in 2006
Größe des Mautgebiets
ca. 21 km²
ca. 36 km²
System
Area Pricing (Maut zum Befahren eines
Gebiets für spezifizierten Zeitraum)
Cordon-Pricing (Mautfälligkeit beim
Passieren einer Grenze)
Bewirtschaftungszeit
Mo-Fr, 7:00 - 18:00 Uhr; Geltungsdauer
der Mautzahlung: jeweiliger Tag
Mo-Fr, 6:00-18:29 Uhr
Technische Erfassung
Kameraerfassung (Video License Plate
Reading-System) im Mautgebiet
Kameraerfassung (Video License Plate
Reading-System) an Kontrollpunkten
Mauthöhe
13 EUR201
lokal und zeitlich differenziert:
Bandbreite Stadtzentrum: 1,044,25 EUR202, Höchstbetrag pro Tag:
12,75 EUR
Jährliche Einnahmen
Betriebskosten
260 Mio. EUR (2018/2019)
o
ca. 94,1 Mio. EUR (04/2018-03/2019),
entspricht 36% der Mauteinnahmen
Einführungskosten
ca. 266 Mio. EUR
Verkehrliche Wirkung
-
-
140 Mio. EUR (2016)
o
ca. 10,3 Mio. EUR (2016), entspricht 7%
der Mauteinnahmen (hoher
Automatisierungsgrad)
ca. 200 Mio. EUR
Nach Etablierung der City-Maut ging die
Anzahl der Fahrzeuge innerhalb von 8
Jahren um 44% zurück
Der Großteil an wegfallenden PkwFahrten verlagert sich auf den ÖPNV.
Die meisten Zuwächse an Passagieren
gab es bei der Nutzung von Taxis
(+13%) und Bussen (+25%)
-
-
Vom ersten Tag der Maut an reduzierte
sich das tägliche Verkehrsaufkommen
um durchschnittlich 20% (etwa 100.000 Fahrten pro Tag in HVZ)
Anpassungsmechanismen: Pendler
stiegen auf öffentliche Verkehrsmittel
um (etwa 50% der Fahrer waren
Pendler)
o
Emissionsrückgang im
ersten Jahr
-
CO2 –16%
NOX –13%
Feinstaub –16%
-
CO2 –13%
NOX –8%
Feinstaub –13%
Akzeptanz in der
Bevölkerung
-
breit angelegte Informationskampagne
im Vorfeld
Umfrage im Juli 2000: über 85 % der
befragten Bürger*innen- und
Interessensvertreter*innen für die
Einführung der Maut
-
Referendum nach der Testphase:
51,3% für eine permanente Einführung
öffentliche Unterstützung für die Maut
war kurz vor Beginn der Testphase am
geringsten, stieg währenddessen stark
an und blieb danach konstant hoch
In 2011 unterstützten fast 70% der
Öffentlichkeit die Maut, über 50% unter
denjenigen, die die Gebühren am
häufigsten bezahlen.
-
-
-
Abbildung 29:
Steckbriefe City-Maut London und Stockholm
9.3.1.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Die Einnahmen einer City-Maut in Berlin zu prognostizieren ist kein einfaches Unterfangen.
Schließlich wird – wie auch die Beispiele der Einführung innerstädtischer Mautsysteme im Ausland
zeigen – eine solche Maßnahme voraussichtlich zu Änderungen des MIV-Nutzer*innenverhaltens im
Stadtgebiet führen: Zeigen die Erfahrungen aus Stockholm, dass schon sehr kurzfristig der
Verkehrsaufwand um 20% zurückging, hat sich in London nach 8 Jahren City-Maut eine Reduzierung
um über 40% ergeben. Die Auswirkung des Instruments auf die Verkehrsmittelwahl, schließlich die
201
Für die Umrechnung wurde folgender Kurs angesetzt: 0,88 Pfund = 1 EUR.
202
Für die Umrechnung wurde folgender Kurs angesetzt: 10,72 Schwedische Kronen = 1 EUR.
110/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Kernmotivation der Maut, führt letztlich dazu, dass ein Teil der Nachfrage – und damit Einnahmen
– mittel- bis langfristig schwindet: „Der Erfolg frisst seine Kinder.“
Hinzu kommt, dass neben dem Nachfragerückgang auch eine Änderung von Wegen zu erwarten ist:
Bemautete Wegstrecken werden auf Kosten einer längeren Fahrtstrecke vermieden. Dieser Effekt
könnte bei einer flächenmäßig so großen Mautzone wie in Berlin nicht nur zu einer Verringerung der
Einfahrten in den Hundekopf führen, sondern könnte sogar lokal zu sich verschärfenden
Verkehrssituationen führen.
Noch verschärft wird die Prognosesicherheit durch die vielen Variablen, die sich bei der konkreten
Konzeption der Gebührenpflicht ergeben, z.B.
•
Ausnahmen von der Gebührenpflicht
•
mautfreie Tage oder Tageszeiten
•
Gebührenhöhe (z.B. Differenzierung Pkw/Lkw)
Hiervon unbenommen bilden die Wege die Basis für die Berechnung der Mauteinnahmen in einem
Kordonsystem, die aktuell mit dem Auto zurückgelegt werden. Dabei muss schon die Anzahl der in
den S-Bahn-Ring täglich einfahrenden Kfz eine Schätzung sein. In Ermangelung besserer Daten
wird dieser Wert mit 750.000 (Werktag) festgelegt. Dies entspricht der Hälfte des Wertes der
ermittelten ÖPNV-Relationen zwischen innerhalb und außerhalb S-Bahn-Ring203 und ergibt sich
damit aus der Erwartung, dass zwischen den beiden Verkehrszonen gleich viele Relationen im MIV
wie im ÖPNV zurückgelegt werden. Da pro Tag nur eine Einfahrt zur Mautpflicht führt, sind die
Anteile der Mehrfacheinfahrten abzuziehen. Hier ist ein Anteil von 20% unterstellt, der
beispielsweise Taxis und Carsharing-Fahrzeuge betrifft. Weitere 3% werden als der Gebührenpflicht
nicht unterworfene Fahrten wie Polizei, Rettungsdienst usw. abgezogen.
Für die Wochenenden ist keine Gebührenpflicht unterstellt. Darüber hinaus werden zwei
Untervarianten der Mautpflicht an Werktagen analysiert:
•
Mautpflicht Mo – Fr von 6 – 18 Uhr
•
Mautpflicht Mo – Fr von 6 – 21 Uhr
Die hieraus resultierenden Fahrzeugmengen werden anhand der Untersuchung Mobilität in
Deutschland 2013 ermittelt. Zwar liegt inzwischen eine Neuauflage der Daten vor, jedoch bieten
die „alten“ Daten den Vorteil, dass die Verkehrsmittelnutzung explizit für den Bereich der inneren
Stadt, d.h. des hier betrachteten Mautgebiets, ausgewiesen wird. Die Neuauflage stellt die Daten
hingegen bezirksscharf dar.204
Wird diese Verkehrsnachfrage als maßgebliche Eingangsgröße für die Mauteinnahmen unterstellt,
fehlt mit der Mauthöhe noch ein zentraler Parameter. Im Gegensatz zu anderen Gebühren ist der
Bereich der zulässigen Höhe bei Straßeninfrastrukturen nicht einfach zu ermitteln. Möglich ist aber
eine Koppelung an die Nahverkehrstarife – weshalb mit 5 EUR und 8 EUR pro Tag der gleiche
Korridor unterstellt wird wie beim Gäste-Ticket.
203
Vgl. NVP Berlin 2019 – 2023, Tabelle 2.
204
Vgl. Mobilität in Deutschland, SrV 2013, Tabelle 8.1 Tagesgang nach Hauptverkehrsmittelgruppen innere Stadt.
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Den Vergleich mit anderen Mautsystemen brauchen die Referenzgebührenhöhen nicht zu scheuen.
In London liegt die Gebühr innerhalb des kleineren Mautgebiets bei 11,50 Pfund pro Tag, was
umgerechnet etwa 13 EUR entspricht. In Stockholm und Göteborg ist die Gebührenhöhe im
Halbstundentakt ausdifferenziert und wird pro Einfahrt in das Mautgebiet erhoben. Allerdings gibt
es festgesetzte Tageshöchstsätze. Während in Stockholm eine Einfahrt ins Stadtzentrum in der
Hauptsaison, je nach Tageszeit, bei 11 – 45 SEK (1 – 4 EUR) und der Tageshöchstsatz bei 135 SEK
(13 EUR) liegen, kostet das Einfahren in Göteborg zwischen 9 SEK und 22 SEK (0,80 – 2 EUR).
Maximal werden dort 60 SEK (5,50 EUR) pro Tag fällig.
Um die erwartbare Preiselastizität der MIV-Nutzung zu modellieren, werden als Grenzfälle die
empirisch beobachteten Rückgänge von 20% (Stockholm, kurzfristig) und 40% (London, langfristig)
angesetzt.
Die konkrete Detaillierung der Mautvorgaben kann im Fall ihrer Einführung weitere Aspekte
berücksichtigen. Beispielsweise können besondere Härten durch Ausnahmeregelungen oder
preisliche Mechanismen ausgeglichen werden. Die Verknüpfung der Mauthöhe mit dem Emissionsausstoß der Fahrzeuge kann einen ökologischen Anreiz für einen veränderten Fahrzeugmix in der
Stadt auslösen. Im Rahmen dieser Modellrechnung wird von diesen Ausgestaltungsparametern
gleichwohl abgesehen.
9.3.1.3 Ergebnis
Den Berechnungen liegen Varianten in zwei Dimensionen zugrunde:
•
Der Gebührenhöhe je Einfahrt als Tageshöchstwert für Pkw und Lkw und
•
der Verkehrsverlagerungseffekt.
Die Ergebniskorridore in Abbildung 30 stellen unterschiedliche zeitliche Gültigkeiten der Mautpflicht
(Mo – Fr 6 – 18 bzw. 6 – 21 Uhr) dar. Eine Unterscheidung der Mauthöhe für Pkw und Lkw wird
nicht angenommen.
Nachfrage-
Nachfrage-
Rückgang 20%
Rückgang 40%
5 EUR
Maut/Tag
449 – 550
Mio. EUR
337 – 412
Mio. EUR
8 EUR
Maut/Tag
718 – 880
Mio. EUR
539 – 660
Mio. EUR
Abbildung 30:
Jährliche Gebühreneinnahmen City-Maut in Mio. EUR
Wie die Ergebnisse in Abbildung 30 zeigen, üben alle drei Variablen einen sichtbaren Einfluss auf
das Finanzierungsergebnis der City-Maut aus. Je länger der Zeitraum in einer Woche ist, in der die
Mautpflicht gilt, je höher die Gebühr und je größer die Verkehrsnachfrage sind (ergo: je geringer
der Nachfragerückgang), desto höher sind die zu erwartenden Einnahmen.
Im besten Fall liegen die jährlichen Mauteinnahmen zwischen 720 – 880 Mio. EUR, jedoch sinkt
der erwartbare Betrag unter der Rahmenbedingung einer höheren Verkehrsverlagerung auf eine
Spanne zwischen 337 – 412 Mio. EUR. Dies zeigt einerseits, dass viele Faktoren – mehr noch als
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in den zwei Dimensionen abgebildet – die finanzielle Bilanz dieses Instruments beeinflussen.
Vollkommene Gewissheit darüber, welcher Betrag dem Landeshaushalt zufließen wird, kann es nicht
geben. Denn am Beispiel der City-Maut lässt sich auch einfach nachvollziehen, dass ein Instrument
dynamische Prozesse auslösen kann und soll: Je höher man mit dem Ziel eines größtmöglichen
Erlöses den Beitragssatz „heute“ wählt, desto stärker kann der gewünschte Verlagerungseffekt
wirken und „morgen“ die Einnahmen aus diesem Grund umso schneller zurückgehen.
Da die konfligierenden Ziele (verkehrliche Lenkung und Einnahmeerzielung für den ÖPNV) in einem
Spannungsverhältnis stehen, können beide Ziele ohnehin nicht erreicht, sondern nur austariert
werden. Aus verkehrspolitischer Sicht ist die Einführung einer City-Maut ein Gewinn.
Was den Härtegrad der Berechnungen angeht, ist bereits eine Vielzahl an Determinanten genannt,
welche eine Vorhersage innerhalb einer engen Bandbreite einschränken. Viele Faktoren werden die
finanzielle Ergiebigkeit bzw. den verkehrlichen Effekt des Instrumentes beeinflussen. Maßgeblich
hierfür sind Änderungen des Verkehrsverhaltens im Sinne einer insgesamt verringerten Nutzung
des Kfz bzw. von Ausweichreaktionen, abhängig von der tatsächlichen Nachfrageelastizität:
•
Verzicht auf die MIV-Nutzung
•
Inkaufnahme von Umwegen, um den Mautbereich zu meiden
•
Veränderte zeitliche Inanspruchnahme der Straßen in der Umweltzone oder fallweise
Verzicht auf Ausfahrt aus der Mautzone, um der Mautpflicht zu entgehen
•
Möglichkeiten der Abstellung des Kfz außerhalb der Mautzone und Weiterfahrt mit dem
Nahverkehr
Daher ist eine weitaus größere Unsicherheit bei der Abschätzung der Einnahmenseite zu
konstatieren als beispielsweise beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag. Dabei kann nicht nur die
Festlegung der Gebührenhöhe eine zentrale Steuerungswirkung entfalten, wie die obige Aufzählung
zeigt.
9.3.1.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Mit der Einführung der City-Maut wird eine Vielzahl neuer Aufgaben durch die Verwaltung oder ein
beauftragtes Unternehmen ausgeführt werden müssen. Hierzu gehören:
•
Gebührenerhebung und Gebührennacherhebung
•
Datenverarbeitung
•
Abrechnung und Zahlungshandlung
•
Bereitstellung der Kontroll- und Erfassungssysteme
Solche spezialisierten Aufgaben werden in der Regel nicht durch Verwaltungseinheiten selbst
durchgeführt. Deshalb wird davon ausgegangen, dass ein Unternehmen – unabhängig ob öffentlich
und/oder privat – mit diesen Aufgaben zu betrauen ist. Hierfür sind auf verschiedenen Ebenen
Vorarbeiten mit entsprechendem Vorlauf zu leisten.
113/134
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An den einfallenden Straßen werden die Kfz-Kennzeichen der einfahrenden Fahrzeuge per Kamera
erfasst, was eine Rechnungsstellung an den Kfz-Halter auslöst. Hierfür sind mindestens an den 72
Einfallstraßen (mit 134 Fahrspuren) in den S-Bahn-Ring entsprechende Kameras zu installieren.
Es ist anzunehmen, dass in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle bei einer Einfahrt über eine
Bundesstraße im Hundekopf auch eine Nutzung von Straßen der Baulast des Landes Berlin
geschehen wird. Tatsächlich dürfte das Land aber im Zweifel die Bringschuld haben, das Verlassen
der Bundesstraßen – und damit die Gebührenpflicht – nachzuweisen. Hierzu sind dann weitere Erfassungssysteme entlang der Bundesstraßen vorzusehen.
Für die Datenerhebung, Auswertung und Abrechnung ist ein schlüssiges Datenschutzkonzept zu
erarbeiten. Da es sich bei der automatischen Kennzeichenerfassung durch Kameras um einen
Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht handelt, ist eine hinreichende rechtliche
Grundlage zu schaffen, welche Vorgaben für die Verarbeitung, Nutzung und Löschung der
erhobenen Datensätze regelt.
Gleichzeitig wird es notwendig sein, eine breite Palette an begleitenden Maßnahmen zu entwickeln,
um sich wirksam gegen unerwünschte Ausweichbewegungen des Kfz-Verkehrs zu wappnen. Dazu
gehören beispielsweise:
•
Rechtzeitige Gegenmaßnahmen gegen den zu erwartenden Parkdruck am äußeren Rand
des S-Bahn-Rings, insbesondere durch Parkraumbewirtschaftungszonen.
•
Schaffung punktueller Mehrkapazitäten im ÖPNV, um Mehrnachfrage abdecken zu können
und ggf. Prüfung spezieller Tarifprodukte für Umsteiger*innen.
•
Maßnahmen
zur aktiven Verkehrslenkung
auf
arrondierenden
Straßen
bieten
die
Möglichkeit, einen Teil der Verkehrsströme von inner- auf außerhalb des Hundekopfs
verlaufende Straßen verlagern zu können.
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9.3.2
Parkgebühren
Parkgebühren
Kategorie
Instrument mit Lenkungswirkung
Abgabentyp
Gebühr
Abgabendifferenzierung
Zeitliche Differenzierung (Bewirtschaftungszeiten)
Abgabenpflichtige
Öffentlichen Parkraum beanspruchende Kfz-Nutzer*innen
Sondervorteil
Entfällt
Organisatorische
Vereinbarung zwischen Land und Bezirken zur
Herausforderungen
Einnahmenverwendung
Abbildung 31:
Steckbrief Parkgebühren
9.3.2.1 Beschreibung
Zu guter Letzt steht das verkehrliche Lenkungsinstrument einer konsequenten Parkraumbewirtschaftung in Berlin. Konkret bedeutet dies die flächendeckende Einführung von Parkgebühren
für die Nutzung öffentlicher Flächen innerhalb der Umweltzone.
Einige Berliner Bezirke (Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Pankow,
Spandau und Tempelhof-Schöneberg) haben schon heute – innerhalb wie außerhalb der
Umweltzone – Parkraumbewirtschaftungsgebiete ausgewiesen. Hier ist für das Abstellen des
Fahrzeugs zu bestimmten Tageszeiten die Entrichtung einer Gebühr bereits vorgeschrieben. Voraussetzung der Straßenverkehrsordnung für die Ausweisung einer gebietsbezogenen Parkraumbewirtschaftung ist, dass ein erhöhter Parkdruck besteht, was in Berlin üblicherweise durch eine durchschnittliche Stellplatzauslastung von 90% belegt wird.205
Anwohner*innen können einen stark verbilligten Anwohner*innenausweis für ein bestimmtes
Gebiet beziehen, Gelegenheitsparker*innen müssen zeitabhängige Berechtigungen erwerben, z.B.
in Form eines Parkscheins. Die Gebührenhöhe für Anwohner*innen war durch die StVO bislang auf
30,70 EUR p.a. begrenzt.
Tatsächlich werden in Berlin aktuell Anwohner*innenparkausweise mit einer zweijährigen Gültigkeit
im Wert von 20,40 EUR p.a. ausgegeben. Die Bezirke können über die Höhe der Gebühren für
Gelegenheitsparker*innen und die gebührenpflichtigen Tageslagen im Rahmen einer landesrechtlichen Vorgabe entscheiden. Für Handwerksbetriebe bieten einige Bezirke fallweise besondere
Parkausweise an. Die Gebührenhöhen für Anwohner*innenparkausweise wie für Gelegenheitsparker*innen orientieren sich jeweils an den Verwaltungskosten, die mit deren Erhebung und
Kontrolle einhergehen. Eine die Nachfrage lenkende Wirkung der Gebühren kann damit nicht
unterstellt werden. Zielsetzung der gegenwärtigen Parkraumbewirtschaftung ist es vorrangig, den
Parkdruck und damit den entstehenden Parksuchverkehr zu senken.
205
Vgl. Leitfaden Parkraumbewirtschaftung, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2004.
115/134
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Gerade vor dem Hintergrund der stetig steigenden Preise bei Wohn- und Gewerbeimmobilien
erscheint die Praxis, die Benutzung des öffentlichen Raumes quasi kostenlos zu gestatten,
zunehmend aus der Zeit gefallen. Schließlich ist es aus ökonomischer Sicht nicht notwendig, sich
bei dem Kostenbezug der Gebühren nur auf die Kosten der Verwaltung zu beschränken, sondern
auch die Kosten der öffentlichen Hand einzubeziehen, die z.B. durch die Instandhaltung, Reinigung
und Regenentwässerung dieser Flächen entstehen.
Der Umgang mit der Parkraummenge kann ein wesentlicher Hebel der kommunalen Verkehrspolitik
sein. Das Angebot verfügbarer Stellplätze im öffentlichen Straßenraum und deren Bepreisung
wirken sich unmittelbar auf die Verkehrsmittelwahl aus. Gleichzeitig können durch Parkgebühren
Einnahmen für den öffentlichen Haushalt generiert werden, die wenigstens anteilig für den Betrieb
und den Ausbau des Nahverkehrs einzusetzen sind.
Vor dem geschilderten Hintergrund ist die Überlegung dieses Ansatzes zu verstehen, die
flächendeckende Einführung von Parkgebühren in der Umweltzone zu einem ergänzenden
Finanzierungsinstrument für die ÖPNV-Finanzierung zu machen. Dies steht zudem im Einklang mit
der durch den Koalitionsvertrag der Landesregierung bestätigten Zielsetzung des Luftreinhalteplans,
bis 2023 die Parkraumfläche innerhalb des Hundekopfes vollständig zu bewirtschaften.206 Um eine
positive Finanzierungswirkung zu erhalten, wird gleichzeitig die Gebührenhöhe über dem heutigen
Niveau angesetzt.
9.3.2.2 Vorgehen bei der Modellberechnung
Die Berechnung der Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung bezieht sich jeweils nur auf das
Gebiet innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Dabei sind einheitliche Gebührenhöhen und
Bewirtschaftungszeiten unterstellt. Die Ermittlung des Mengen- wie des Preisgerüstes ist von
verschiedenen Annahmen abhängig.
Mengengerüst
Entscheidende Größe ist die Menge an Parkmöglichkeiten im öffentlichen Straßenraum im
betreffenden Gebiet. Hier ist ein Wert von fast 300.000 legalen Parkplätzen für Kfz angesetzt. Dieser
Wert wurde aus einer Schätzung der beparkbaren Straßenlänge innerhalb des S-Bahn-Rings
hergeleitet und mit Daten der Bezirke verprobt.
Um die zeitabhängige „Parkmenge“ im Sinne von Nutzungsakten zu erfassen, sind weitere
Eingangsdaten nötig:
•
Zum einen wird von einer durchschnittlichen Belegung der Plätze über einen Tag von 75%
ausgegangen, das bedeutet, dass von 4 Parkplätzen jeweils einer ganztägig nicht belegt ist.
•
Weiter wird unterstellt, dass 90% der Parkvorgänge durch Anwohner*innenfahrzeuge
geschehen und nur 10% durch Fahrzeuge, bei denen keine Anwohner*innenausweis
vorliegt. Dies ist wichtig, um die Umsätze ermitteln zu können.
206
Vgl. Luftreinhalteplan für Berlin 2. Fortschreibung, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, 2019, S. 146.
Zum Vergleich: Aktuell wird innerhalb des S-Bahn-Rings eine Flächendeckung von etwa 35% erreicht.
116/134
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Die beiden vorgenannten Annahmen sind vorsichtig gesetzt, tatsächlich ist insbesondere von einer
geringeren Anwohner*innenquote auszugehen.
Preisgerüst
Die Wahl der Höhe der Parkgebühren liegt grundsätzlich im Ermessensspielraum der politischen
Entscheider*innen, wenn von dem Kostenbezug der Verwaltungskosten abgewichen wird, darum
liegt der Berechnung eine „obere“ und eine „untere“ Variante zugrunde:
•
Die Gebührenhöhe für Anwohner*innenparkausweise orientiert sich in der „oberen“ Variante
bei 240 EUR pro Jahr – dieser Wert war Gegenstand eines kürzlichen Vorstoßes zur StVONovellierung, der jedoch im Bundesrat scheiterte. In der „unteren“ Variante ist die Hälfte
der Jahresgebühr unterstellt (120 EUR).
•
Bei den Gelegenheitsparker*innen wird in der „unteren“ Variante eine Gebühr von 3 EUR
pro Stunde und in der „oberen“ Variante von 4 EUR pro Stunde angenommen.
Weiterhin basiert die Berechnung auf der Annahme, dass das Parken an Sonntagen und darüber
hinaus an allen anderen Tagen täglich zwischen 0 und 6 Uhr kostenlos ist.
9.3.2.3 Ergebnis
Unter den genannten Bedingungen wird eine flächendeckende Einführung von Parkgebühren
zwischen ca. 360 – 500 Mio. EUR pro Jahr nur in der Umweltzone (S-Bahn-Ring) erlösen. Wie die
Abbildung 32 zeigt, ist auch bei diesem Instrument die Bemessung der Abgabenhöhe sehr
wesentlich für das Ergebnis verantwortlich:
Einnahmen
Abbildung 32:
Obere Variante Gebührenhöhe
(240 EUR Anwohner*innen, 4 EUR
Gelegenheitsparker*innen)
Untere Variante Gebührenhöhe
(120 EUR Anwohner*innen, 3 EUR
Gelegenheitsparker*innen)
497,8 Mio. EUR
362,5 Mio. EUR
Jährliche Einnahmen aus Parkgebühren
Diese Ergebnisse sehen wir, auch in Anbetracht der vorsichtigen Schätzung des Mengengerüstes,
als äußerst robust im Sinne einer klaren Eignung als Finanzierungsinstrument an. Umgekehrt könnte
bei der unteren Variante der Gebührenhöhe ein um 10% erhöhter Anteil von Kfz ohne Anwohner*innenparkausweis an den beparkten Flächen in eine knappe Verdoppelung der Einnahmen (703,5
Mio. EUR) münden.
Voraussetzung für diese Ergebnisse ist allerdings, dass die Gebührenpflicht auch konsequent
umgesetzt wird, was eine erhöhte Kontrolldichte notwendig macht.207 Dies wiederum könnte
entsprechend höhere laufenden Aufwendungen nach sich ziehen (vgl. Kap. 10.2). Hier läge es aber
auch am Gesetzgeber, den Rahmen für entsprechende Bußgelder anzupassen.
Wie schon die City-Maut impliziert eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung den politischen
Willen, die Nutzung von Kfz in der Stadt zurückzudrängen. Und auch hier steht zwischen dem
207
In den Ergebnissen in Abbildung 32 sind Einnahmen aus Bußgeldern nicht enthalten. Ausweislich der Bezirkshaushalte von FriedrichshainKreuzberg und Pankow fallen dort zwischen 180 und 250 EUR p.a. je Parkplatz an. Hochgerechnet auf das hier betrachtete Mautgebiert
würde dies eine zusätzliche Einnahme zwischen 50 – 75 Mio. EUR p.a. einbringen.
117/134
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finanziellen und dem verkehrlichen Erfolg ein Widerspruch. Die Tendenz, in der Stadt einen Teil des
öffentlichen
Parkraums
v.a.
zu
Gunsten
von
Fahrradfahrer*innen
und
Fußgänger*innen
umzuverteilen, zeigt sich beispielsweise in der Konzeption von Radschnellwegen und der
Ausweitung von Busspuren ebenso wie bei kleinteiligen Maßnahmen wie Gehwegvorstreckungen
oder Fußgängerüberwegen. In der Folge gehen im Straßenraum die Parkmöglichkeiten ohnehin
zurück. Umso sinnvoller könnte es sein, den kleiner werdenden Raum nicht nach dem Motto „wer
zuerst kommt“ aufzuteilen, sondern auch preisliche Instrumente als Lenkungsfunktion einzuführen.
9.3.2.4 Organisatorische und prozessuale Herausforderungen
Angesichts der vielen Praxiserfahrungen wird die technische Umsetzung der flächendeckenden
Parkraumbewirtschaftung im Hundekopf selber geringe Herausforderungen bereiten.
In Berlin sind die Bezirke nicht nur für die Einrichtung und Ausweisung der Parkraumbewirtschaftungszonen zuständig, sie vereinnahmen auch die anfallenden Gebühren. Um auf Landesebene
eine flächendeckende Bewirtschaftung des öffentlichen Parkraums einzuführen und zu koordinieren,
ist das Land daher auf die Kooperation mit den Bezirken angewiesen. Insbesondere ist eine
Vereinbarung über die Verwendung/Weitergabe der Einnahmen mit den Bezirken auch Voraussetzung dafür, diese Mittel für den ÖPNV einzusetzen.
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10 GESAMTHAFTE EINORDNUNG DER
FINANZIERUNGSINSTRUMENTE
Auch wenn die Berechnung der Einnahmenpotenziale im Abschnitt 9 im Vordergrund stand, wäre
es (verkehrs-)politisch aus mehreren Gründen zu kurz gesprungen, ein Umsetzungsinteresse an
den Instrumenten ausschließlich oder primär an die Höhe ihrer Ergiebigkeit zu knüpfen. Denn:
•
Der monetäre Bewertungskomplex ist erst abgeschlossen, wenn die Verwaltungskosten für
die Einführung und dauerhafte Pflege der Maßnahmen von den zusätzlich erzielbaren
Einnahmen abgezogen und somit die Nettomehreinnahmen miteinander verglichen
werden. Problematisch hieran ist, dass die Kosten des Administrierens der Instrumente nur
grob abzuschätzen sind, solange das genaue Umsetzungskonzept im Detail nicht feststeht.
•
Zweitens liegt der Primärauftrag aus der Sicht einer Fachbehörde für Verkehr und hier im
Besonderen für den ÖPNV „im Zweifel“ darin, die verkehrs- und klimapolitischen Ziele zu
erreichen, anstatt Haushaltseinnahmen zu maximieren. Deutlich wird dies bei den
Lenkungsinstrumenten City-Maut und Parkgebühren: Entfalten diese die gewünschte
verkehrliche Lenkungswirkung, sinken die Einnahmen – ein objektives Spannungsverhältnis
der Interessen, das SenFin und SenUVK unterschiedlich bewerten werden. Anders
formuliert: Aus verkehrlicher Sicht sind Mehreinnahmen lediglich das Mittel zum Zweck, um
Angebotsausweitungen finanzieren zu können.
•
Der Zusammenhang liegt nahe, dass Instrumente tendenziell desto politisch sensibler sind,
je höhere Einnahmepotenziale sie in Aussicht stellen. Dieser Effekt tritt nur ein, wenn die
Maßnahmen breit streuen, d.h. für viele Akteure wirksam werden.
•
Nicht zuletzt wirkt die Frage, wie schnell eine geplante Maßnahme umgesetzt werden kann,
im politischen Betrieb auch auf die inhaltliche Bewertung zurück. Daher wird eine indikative
vergleichende Einschätzung zur Umsetzungsgeschwindigkeit getroffen.
Abbildung 33 vermittelt einen Überblick, welche Einnahmepotenziale je Instrument zu erwarten sind
(Ergebniskorridor) und wie jedes Instrument bei vier weiteren Kriterien qualitativ abschneidet.
Grüne Punkte signalisieren positive, rote Punkte negative Eigenschaften.
Abbildung 33:
Ergebnisübersicht der Finanzierungsinstrumente
Im horizontalen Quervergleich kristallisiert sich eine Tendenzaussage heraus, welches Instrument
unter Abwägung aller Argumente vorzugswürdig erscheint und für eine Umsetzung in Frage
kommen könnte und welche eher auszusondern sind. Im Weiteren werden die Einzelbewertungen
näher erörtert.
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10.1 Finanzielle Ergiebigkeit
Um den Quervergleich der Ergiebigkeit der sieben Instrumente – ohne Verwaltungskosten,
Preisstand 2020 – graphisch zu unterstreichen, werden die Ergebniskorridore in Abbildung 34 mit
Hilfe horizontaler Balken maßstabsgetreu dargestellt. Der dunkelblaue Balken bildet das offensive
Szenario mit dem oberen Einnahmenwert ab, der hellblaue markiert das Szenario am unteren Rand.
Abbildung 34:
Vergleich der zusätzlichen Einnahmenpotenziale der Finanzierungsinstrumente
Auffällig ist die starke Streuung der Werte. So liegen das Defensivszenario des Übernachtungsgewerbebeitrag und das Offensivszenario des allgemeinen ÖPNV-Beitrags im Modell Freifahrt um
mehr als Faktor 50 auseinander. Bei näherem Hinsehen ist eine solche Spreizung logisch, da
einzelne Instrumente wie das Gäste-Ticket sich auf einen speziellen Personenkreis mit begrenztem
Nutzungspotenzial beschränken (Tourist*innen mit durchschnittlich 2,4 Tagen Aufenthaltsdauer),
während der allgemeine ÖPNV-Beitrag auf alle Einwohner*innen als potenzielle Dauernutzer*innen
oder die City-Maut auf alle Autofahrer*innen im S-Bahn-Ring abzielen.
Im Einzelnen sind folgende Ergebnisse erwähnenswert:
•
Der höchste zusätzliche Finanzierungsbeitrag ist von einem allgemeinen ÖPNV-Beitrag
(Bürger*innenticket) zu erwarten. Für die Modellvariante Freifahrt 24h ergeben sich unter
der Annahme, den Beitrag in Höhe des Preises der heutigen VBB-Umweltkarte festzusetzen,
zusätzliche Einnahmen von gut einer Mrd. EUR pro Jahr (abzüglich Verwaltungskosten).
Hiermit würde der volle Mengeneffekt wirksam, alle Berliner*innen in die Finanzierung
einzubeziehen. Das Einnahmepotenzial vermindert sich in den beiden Untervarianten, weil
annahmegemäß mit einem geringeren Sondervorteil auch eine geringere Beitragshöhe
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einher gehen sollte. Grundsätzlich schrumpft der Finanzierungssaldo, je mehr Menschen
von der Beitragspflicht ausgenommen werden und je geringer die Beitragshöhen sind.
•
Mit Einnahmen zwischen 337 – 880 Mio. EUR könnte auch die City-Maut in der Lage sein,
eine maßgebliche ergänzende Finanzierungssäule für den Nahverkehr zu werden. Die Höhe
der tatsächlichen Einnahmen wird dabei nicht nur von den Mautpreisen selber abhängen,
sondern auch von der Wirksamkeit der verkehrlichen Lenkungseffekte: Je stärker der
Autoverkehr verdrängt würde, desto geringer fiele der Finanzierungsbeitrag der Maut aus.
•
Die Höhe der berechneten Einnahmen aus einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung im S-Bahn-Ring und einer maßvollen Anhebung der Parkgebühren beträgt
zwischen 360 – 500 Mio. EUR jährlich. Damit würde auch das, neben der City-Maut, zweite
Lenkungsinstrument einen signifikanten Beitrag zur ÖPNV-Finanzierung leisten können,
wenngleich die laufenden Kosten des Instrumenteneinsatzes noch abzuziehen sind. In
jedem Fall verbliebe ein hoher dreistelliger Millionenbeitrag. Dieser symbolisiert gleichsam
den Wert des öffentlichen Straßenraums, der heute – quasi kostenlos – durch die KfzHalter*innen genutzt wird.
•
Ebenfalls eine hohe Beitragseinnahme könnte durch einen Grundstückseigentümerbeitrag erzielt werden. Etwa 400 – 460 Mio. EUR p.a. liegen hier im Bereich des Möglichen,
jedoch wird sich dieser Wert um die Verwaltungskosten mindern, welche in allen Formen
der Nutznießerfinanzierung (siehe Kap. 10.2) umfangreich ausfallen werden.
•
Auch der Gewerbebetriebebeitrag kommt einnahmenseitig mit 145 – 175 Mio. EUR auf
einen jährlich dreistelligen Millionenbetrag. Jedoch tragen bei diesem Instrument die
Bedenken schwer, ob nach Abzug des erheblichen Verwaltungsaufwandes noch ein
nennenswerter Finanzierungsbeitrag für den ÖPNV möglich erscheint.
•
Das Gäste-Ticket wird – je nach gewählter Beitragshöhe – zu jährlichen Einnahmen
zwischen 65 – 175 Mio. EUR führen. In diesem Wert ist bereits der resultierende Tarifeinnahmenausfall berücksichtigt. In Summe kann bei diesem Instrument von einem positiven
Finanzierungsbeitrag ausgegangen werden, weil vergleichsweise geringe Verwaltungskosten zu erwarten sind.
•
Offensichtlich ineffizient wäre die Einführung eines Beitrags für Übernachtungsbetriebe.
Hier schlagen auf der Einnahmenseite nur 18 – 24 Mio. EUR zu Buche, die sehr wahrscheinlich durch die notwendigen administrativen Kosten überstiegen würden. Daher sollte
auf die Einführung dieses Instruments verzichtet werden.
Die finanziellen Ergebnisse sind im Rahmen dieser Studie auf der Basis der bestehenden Fahrgästeund Verkehrsnachfrage – also statisch – ermittelt worden. In die Entscheidungsfindung müssen bei
der Auswahl von ergänzenden Finanzierungsinstrumenten allerdings auch weitere (verkehrs-)
wirtschaftliche Effekte eingehen:
•
Voraussetzung für eine insgesamt höhere Finanzierungskulisse ist, dass die Zuweisungen
des Landeshaushalts nicht in gleichem Maße zurückgefahren werden, wie die
121/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Mehreinnahmen aus den ergänzenden Finanzierungsinstrumenten fließen (Nullsummenspiel). Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Zuschuss konstant bleibt, ebenso die
fortlaufenden Tarifausgleichszahlungen an den Verkehrsverbund.
•
Induzieren die Maßnahmen eine erhöhte Fahrgästenachfrage (bei bestehendem Angebotsniveau), ist davon auszugehen, dass die Verkehrsunternehmen zusätzliche Ausgleichszahlungen verlangen, beispielsweise für zusätzlich anfallende Personal- und Energiekosten
oder für Tarifsubstitute. Dagegen ist zu rechnen, dass bei den Lenkungsinstrumenten (PushInstrumenten) – anteilig auch in den Modellen Bahncard und Freifahrt 21h (Off-Peak) des
allgemeinen ÖPNV-Beitrages – mit der induzierten Fahrgästemehrnachfrage auch höhere
Tarifeinnahmen verbunden sind.
•
Bei der wirtschaftlichen Bewertung der ergänzenden Finanzierungsinstrumente sind auch
die Folgekosten relevant, die durch eine Ausweitung der öffentlichen Verkehrsangebote notwendig werden. Diese können in den finanziellen Resultaten noch nicht
enthalten sein, werden im Fall einer Umsetzung eines der Instrumente aber rechtzeitig
anzulegen sein. Dabei kann gerade die Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrags es
notwendig machen, vorab für eine ausreichende Kapazität zu sorgen, um nicht Gefahr zu
laufen, dass Kapazitätsbeschränkungen dazu führen, dass Bürger*innen von der,
womöglich kostenlosen, Nutzung des ÖPNV aus schlichtem Platzmangel in den Fahrzeugen
abgehalten werden.
Mit Zunahme der Verkehrsnachfrage wird es neben dem allgemeinen ÖPNV-Beitrag auch
bei den Instrumenten mit Lenkungswirkung zu einer signifikanten Ausweitung des ÖPNVAngebotes kommen müssen (vgl. Kap. 10.3). Dies zieht zwangsläufig Mehraufwendungen
nach sich, die – auch unter Verwendung der zusätzlich generierten Finanzmittel –
ausgeglichen werden müssen. Geht es um eine ressourcenneutrale Angebotsausweitung,
d.h. ohne zusätzliche Betriebsmittel beschaffen zu müssen, fällt der Kostenschub mit Blick
auf
zusätzliche
Personalstunden
und
Materialverbräuche
noch
überschaubar
aus.
Angesichts der schon hohen Auslastung der Verkehrsmittel werden auch Investitionen in
neue Fahrzeuge nötig werden, die weitere Folgekosten nach sich ziehen (z.B. Finanzierung,
Instandhaltung) und entsprechende Planungsvorläufe notwendig machen. Erst recht lange
Vorlaufzeiten sind notwendig, wenn zusätzlich auch noch infrastrukturelle Erweiterungen
geplant sind.
10.2 Verwaltungskosten
Die Finanzierungsinstrumente ziehen unterschiedlich hohe Verwaltungskosten nach sich. Diese
fallen beispielsweise bei der Erhebung, Durchsetzung und Abrechnung der Abgaben an, können
aber auch die Anschaffung von Anlagegütern umfassen. Neben Personalaufwendungen und
Sachkosten, z.B. für die Miete, können in einer weiteren Definition auch die Finanzierungs- und
Bereitstellungskosten für bauliche Anlagen subsumiert werden. In Summe ist dieser Aufwand aus
der Sicht des Landes gegen die zusätzlichen Einnahmen zu rechnen. Nicht zwangsläufig müssen die
Verwaltungskosten tatsächlich auf behördlicher Ebene anfallen, in bestimmten Funktionen kann
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
auch die Einbindung privatwirtschaftlicher Unternehmen möglich sein. Hierüber wird im Einzelfall
zu entscheiden sein.
Während eine tatsächliche Projektierung der Kosten anhand einer sehr groben Umschreibung der
notwendigen Prozesse gerade bei neuen Maßnahmen noch nicht valide möglich ist, können doch
erste vergleichende Hinweise gegeben werden.
•
Für die Lenkungsinstrumente (Push-Instrumente) liegen jeweils Vergleichswerte vor, die
eine grobe Abschätzung des Verwaltungskostenaufwands ermöglichen:
So kann den Haushalten der Berliner Bezirke der Aufwand für die Parkraumbewirtschaftung
in einigen Zonen entnommen werden. In Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow lag in den
Jahren 2016 – 2019 die Spanne zwischen 300 – 340 EUR p.a. je öffentlichem Parkplatz.
Wendet man, in Vorsehung einer erhöhten Kontrollnotwendigkeit, einen Wert von 400 EUR
auf die in der Umweltzone detektierte Menge öffentlicher Parkplätze an, resultiert ein
vergleichbarer Verwaltungsaufwand von ca. 120 Mio. EUR p.a. für die flächendeckende
Umsetzung.
Mit der Einführung der City-Maut ist eine beträchtliche Anfangsinvestition für die Datenverarbeitungssysteme sowie das Kameraerfassungssystem notwendig sein. Deren Umsetzung,
die Finanzierung wie auch die laufenden Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der
Gebührenerhebung können durch eine eigenständige Gesellschaft übernommen werden. In
Anlehnung an verschiedene internationale Mautbeispiele kann in Summe von einem
laufenden Aufwand für Finanzierungs- und Verwaltungskosten zwischen 20 – 30% von den
Beitragseinnahmen ausgegangen werden. Angesichts der großen Einnahmenspanne
unterschiedlicher Mautkonzeptionen ist aber offensichtlich, dass diese Spanne nur ein
grober Schätzwert einer detaillierten Bemessung der technischen Anforderungen sein kann.
•
Bei den Instrumentarien der Nutznießerfinanzierung muss jeweils von einem vermutlich
beträchtlichen Kostenumfang ausgegangen werden. Grund hierfür ist, dass bei der
Nutznießerfinanzierung nicht nur eine sachgerechte und angemessene Unterscheidung der
Beitragsbemessung vorgenommen werden muss, sondern deren Sachgerechtheit notfalls
auf Einzelfallebene prüfen muss. Die Festlegung von allgemeinen Kriterien für eine Beitragsunterscheidung (z.B. Entfernung zur Haltestelle) ermöglicht schließlich nur eingeschränkt
spezielle Merkmale (z.B. Nutzenbeitrag der ÖV-Anbindung). Hinzu kommt, dass die
Beitragsbemessung auf Kennziffern beruhen kann, die zunächst ermittelt und überprüft
werden
müssen
–
beispielsweise
den
Umsatz
von
Unternehmen
im
Fall
des
Gewerbebeitrags. Dies kann im Grenzfall eine individuelle Bewertung des wirtschaftlichen
Vorteils von Unternehmen oder Immobilien notwendig machen, etwa, weil besondere
Umstände vorliegen.
Die Nutznießerfinanzierungsinstrumente werden daher wahrscheinlich zu dauerhaft hohen
Verwaltungskosten führen. Dabei zeigt die Ergiebigkeit speziell des Übernachtungsgewerbebeitrags (vgl. Kap. 9.2.3.3), dass diese schnell die Einnahmen überkompensieren können.
Gerade vor dem Hintergrund, dass das Land im Zweifel den Nachweis der Angemessenheit
von Beitragshöhen gegenüber deren Schuldner*innen vor Gericht verantworten müsste,
123/134
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legt den Schluss nahe, dass die Höhe der Verwaltungskosten in allen drei Instrumenten der
Nutznießerfinanzierung eine gewichtige Risikoposition darstellen.
•
Bei der Umlagefinanzierung kann von einem unterschiedlichen Umfang der Verwaltungsaufwendungen ausgegangen werden, die wahrscheinlich beide unter dem Kostenniveau der
Nutznießerfinanzierungsinstrumente liegen. Eine genaue Eingrenzung ist jedoch zum
jetzigen Zeitpunkt schwierig.
Eine
Einschätzung
zu
dem
Verwaltungskostenumfang
beim
Bürger*innenticket
zu
entwickeln würde eine dezidierte Beschreibung der notwendigen Prozesse und die Übersetzung in einen entsprechenden Personalbedarf notwendig machen. Grundsätzlich ist vor
allem von einem hohen Anfangsaufwand bei der Ermittlung und Zuordnung der Beitragspflichtigen auszugehen. Hierzu werden Daten mit mehreren Behörden abzugleichen sein
(z.B. Meldeämter, Sozialämter). Schließlich wären auch laufend personenbezogene
Änderungen nachzuhalten (z.B. Prüfung Ausnahme Beitragspflicht, Ende der Ausbildung,
Zuzug/Wegzug, Bedürftigkeit, …) sein. Parallel dazu kann auch die Administration von
personalisierten Fahrausweisen nötig werden.
Ein Gäste-Ticket wird demgegenüber voraussichtlich deutlich geringere Aufwendungen auf
Landesseite zeitigen, wenn eine Koppelung an den Buchungsvorgang im Übernachtungsbetrieb oder auf entsprechenden Portalen, wie in Kap. 9.1.2.4 skizziert, möglich ist.
Gleichzeitig ist auf Seiten der Verkehrsunternehmen keine signifikante Verringerung der
Vertriebskosten zu erwarten.
In allen Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags werden sich ebenfalls Veränderungen auf
die Vertriebskosten ergeben. So wird die Ausgabe der Bürger*innentickets zweifellos zu
temporärem Mehraufwand führen. Hinzu kommen die Mehrkosten durch die ggf.
notwendige Anpassungen der Vertriebstechnik (z.B. eigene Tarifstufe für Berliner*innen)
der Verkehrsunternehmen. Andererseits können auch kleinere Gegenbewegungen zu
verzeichnen sein, insbesondere durch den Rückgang der Verkaufszahlen im Bartarif.
Ohnehin ist davon auszugehen, dass die mittel- bis langfristige Vertriebskostenentwicklung
stark davon abhängt, wie sich digitale Vertriebssysteme im Öffentlichen Personenverkehr
durchsetzen werden.
10.3 Verkehrliche Effekte
An die Finanzierungsinstrumente kann als vergleichende Bewertung auch der Maßstab der
voraussichtlichen verkehrlichen Auswirkung angelegt werden. Dabei stehen mit den beiden
Lenkungs- bzw. Push-Instrumenten bereits zwei zur Auswahl, die neben der Einnahmeerzielung
primär das Ziel verfolgen, die Verkehrsgewohnheiten der Berliner*innen hin zu den Verkehrsträgern
des Umweltverbundes zu verlagern.
124/134
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10.3.1 Kriterien
Es sind unterschiedliche Wirkungsrichtungen der Maßnahmen feststellbar. Um die verkehrlichen
Effekte grob evaluieren zu können, dienen die folgenden Kriterien einer verkehrsplanerischen
Wirkungsanalyse:
•
Verkehrsnachfrage: Zentraler Indikator sind die Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl im Personenverkehr in Berlin einschließlich des Quell- und Zielverkehrs, d.h. auch
Berufspendler*innen, Einkaufs- und Freizeitverkehr von und nach Brandenburg. Dies wird
im sog. Modal split der wesentlichen Verkehrsträger abgebildet:
•
o
MIV
o
ÖPNV
o
Fahrrad- und Fußverkehr
Innerhalb des Segments der ÖPNV-Nutzung bedeutsam sind Auswirkungen auf die
Nachfrage in der HVZ. Grund hierfür ist, dass die Spitzennachfrage ganz wesentlich die
Verkehrsplanungen determiniert und gleichzeitig besonders teure Produktionskosten
aufweist, da hierfür die entsprechenden Systemkapazitäten vorzuhalten sind.
•
Aus den vorgenannten Indikatoren abgeleitet wird die Notwendigkeit von ÖPNVAngebotsanpassungen auf einer sehr aggregierten Ebene evaluiert.
•
Aus logistischer und verkehrsplanerischer Sicht relevant ist die Frage der Verbesserung der
Situation für die Lieferverkehre. Diese dienen zur Feinerschließung der Warenversorgung
in der Stadt. Mit der wachsenden Bedeutung von Paketdiensten wachsen aber auch
verkehrsplanerische Konfliktpunkte. In den Wohnquartieren sind in zweiter Reihe bzw. auf
Fahrrad- oder Schutzstreifen parkende Fahrzeuge ein Sicherheitsproblem, insbesondere für
den Fahrradverkehr. An Hauptstraßen leidet zudem häufig die Pünktlichkeit der Busse.
•
Darüber
hinaus
werden
aus
den
veränderten
Verkehrsgewohnheiten
abgeleitete
Auswirkungen auf punktuelle Emissionen von Schadstoffen und Lärm im Stadtgebiet
thematisiert.
Die Wirkungsanalysen werden jeweils in tabellarischer Form dargestellt. Dabei werden in
Stichpunkten die Auswirkungen auf die obigen Indikatoren skizziert.
125/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
10.3.2 Wirkungsanalyse Umlagefinanzierung
10.3.2.1 Allgemeiner ÖPNV-Beitrag
Die Auswirkungen der Einführung des allgemeinen ÖPNV-Beitrages wird für alle Modelle des
allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket) aggregiert dargestellt, wobei ggf. auf unterschiedliche Nuancen verwiesen wird.
Allgemeiner ÖPNV-Beitrag
Auswirkungen
Verkehrsnachfrage
-
In allen Modellen ist aufgrund der geringeren Grenzkosten der ÖV-Nutzung
eine deutliche Veränderung der Verkehrsnachfrage zu Lasten des MIV und zu
Gunsten des ÖPNV in Berlin zu erwarten. Mindestens mittelfristig kann dies
auch in einem weiteren Rückgang des Kfz-Bestandes in Berlin niederschlagen.
-
Auswirkungen auf die Verkehrsnachfrage der Einpendler*innen, insb. die MIVNutzung, ist nicht zu erwarten.
-
Die Ausweichwirkung auf den ÖPNV wird im Modell Freifahrt 24h am größten
sein, da hier Nutzungskosten und der Kauf eines Fahrscheins entfallen.
-
Insbesondere im Modell Freifahrt 24h (anteilig auch Freifahrt 21h) wird aus
diesem Grund der höhere Verkehrsanteil des ÖPNV auch zu Lasten des Fußund Fahrradverkehrs gehen. In diesen Modellen kann auch eine insgesamt
erhöhte Verkehrsnachfrage resultieren.
-
Im Modell Freifahrt 21h (Off-Peak) ist ein Rückgang der Nutzung in der
morgendlichen HVZ zu erwarten. Stattdessen kann eine neue Nachfragespitze
in den Stunden unmittelbar davor (5 – 6 Uhr) und danach (9 – 10 Uhr)
entstehen. Ohnehin zeigt die Tagesganglinie schon heute, dass die Grenzen in
diesen Bereichen fließend sind.
-
In den beiden anderen Modellen sind über die generelle Mehrnachfrage hinaus
keine Auswirkungen zu erwarten.
-
In allen Modellen werden aufgrund der steigenden Nachfrage mind. mittelfristig
erhebliche Angebotsausweitungen vonnöten sein. Im Modell Freifahrt 24h sind
Angebotsausweitungen in der Spitzenstunde unumgänglich.
-
Idealerweise wird die Einführung des Instruments von einem Angebotssprung
begleitet.
Lieferverkehre
-
Infolge geringeren Kfz-Verkehrs und einer geringeren Kfz-Dichte sind leichte
Verbesserungen zu erwarten.
Punktuelle Emissionen
-
Der Rückgang der MIV-Nutzung durch Berliner*innen wird zu einer deutlichen
Verbesserung der Luftschadstoffe führen.
HVZ-Nachfrage ÖPNV
Angebotsanpassungen ÖPNV
Abbildung 35:
Verkehrliche Wirkungsanalyse – Allgemeiner ÖPNV-Beitrag (Bürger*innenticket)
Zusammenfassend kann für den ÖPNV-Beitrag in allen Kategorien eine Verbesserung gegenüber
der heutigen Verkehrssituation notiert werden. Darauf weisen die empirischen Erfahrungen aus
Solidarmodellen hin, die mit einer deutlichen Verringerung – oder gar Abschaffung – der Fahrpreise
einher gingen.
Haupttreiber ist der – in den Modellen des allgemeinen ÖPNV-Beitrags (Bürger*innenticket)
allerdings unterschiedlich starke – Anreiz, die öffentlichen Verkehrsmittel insbesondere dem
eigenen Kfz gegenüber für die Fortbewegung zu bevorzugen. Dabei ist sogar punktuell eine
Kannibalisierung des Rad- und Fußverkehrs zu erwarten, insbesondere in den Freifahrt-Modellen.
Damit gehen auch Erhöhungen der Schadstoffemissionen bzw. des Energieverbrauchs einher. Im
Saldo ist aber durch die Verlagerungen vom Kfz-Verkehr zum ÖPNV aber von weniger Emissionen
und Energieverbrauch auszugehen.
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10.3.2.2 Gäste-Ticket
Die verkehrliche Wirkungsanalyse des Gäste-Tickets kann sich alleine auf ein geändertes
Verkehrsverhalten von Tourist*innen und weiteren Übernachtungsgästen beziehen:
Gäste-Ticket
Auswirkungen
Verkehrsnachfrage
-
Eine signifikante ÖPNV-Mehrnachfrage ist nicht zu erwarten, obwohl die
Übernachtungsgäste den Nahverkehr in höherem Maße nutzen werden.
-
Negativ auswirken kann sich das Gäste-Ticket auf die Umsätze von
Taxiunternehmen.
-
Weil die Zielgruppe des Gäste-Tickets eher nicht in der HVZ verkehren wird,
sind hier auch keine signifikanten Änderungen der Nachfrage zu erwarten.
-
Stattdessen kann aber eine höhere Nachfrage an touristischen Hotspots
resultieren.
-
Daher kann es notwendig sein, die Angebote punktuell, besonders in der Mitte
Berlins, anzupassen.
-
Darüber hinaus sind keine Anpassungen nötig. Weiterhin ist auf eine gute
Auffindbarkeit von Haltestellen und Linieninformationen zu achten, ggf. auch in
englischer Sprache.
Lieferverkehre
-
Keine signifikanten Auswirkungen zu erwarten.
Punktuelle Emissionen
-
Keine signifikanten Auswirkungen zu erwarten.
HVZ-Nachfrage ÖPNV
Angebotsanpassungen ÖPNV
Abbildung 36:
Verkehrliche Wirkungsanalyse – Gäste-Ticket
Da das Gäste-Ticket nur ein (kleines) Segment der Mobilität in der Stadt anspricht, sind die
verkehrlichen
Wirkungen
zusammengefasst
eher gering.
Indem
die
Besucher*innen
den
Nahverkehr durchweg kostenlos nutzen können, können vereinzelte Kfz-Fahrten, v.a. die Taxifahrt
vom und zum Flughafen, entfallen.
10.3.3 Wirkungsanalyse Nutznießerfinanzierung
Für alle Modelle sind keine Änderungen des Verkehrsgeschehens in der Stadt zu erwarten. Dies
folgt aus der Tatsache, dass mit den Beitragsmodellen für Unternehmen, Immobilieneigentümer*innen und Übernachtungsbetriebe lediglich bestehende wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen
(internalisiert) würden.
Dabei ist jedoch darauf zu verweisen, dass in allen Modellen ein gesteigerter Rechtfertigungsdruck
für die Berliner Verkehrsplanung entsteht. Insbesondere Unternehmen, die für eine bislang kostenlose öffentliche Leistung eine wiederkehrende Abgabe leisten müssen, werden mit Sicherheit auf
individuell verbesserte Anbindungen oder Haltestellensituationen drängen.
10.3.4 Wirkungsanalyse Instrumente mit Lenkungswirkung
10.3.4.1 City-Maut
Die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren hat primär zum Ziel, die individuelle Verkehrsmittelwahlentscheidungen der Berliner*innen durch eine Verteuerung der Kfz-Nutzung zu beeinflussen und gleichzeitig die Straßeninfrastruktur effizienter zu nutzen. Diese Zielsetzung steht im
Widerspruch zu dem Wunsch, Einnahmen zu erzielen, die für die Finanzierung eines besseren
127/134
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Nahverkehrs eingesetzt werden können. Denn je mehr MIV-Nutzer*innen auf das Auto verzichten,
desto geringer wird der Ergebnisbeitrag dieses Finanzierungsinstruments sein.
City-Maut
Auswirkungen
Verkehrsnachfrage
-
Innerhalb des Mautgebiets wird die Kfz-Nutzung stark zurückgehen.
-
Die Verkehrsnachfrage wird sich insgesamt zugunsten des ÖPNV entwickeln:
Mit Einführung einer City-Maut wird die Nutzung des MIV zur Fahrt in den SBahn-Ring verteuert.
-
Daneben ist auch eine Zunahme des Rad- und Fußverkehrs v.a. im Mautgebiet
zu erwarten.
-
Diverse Ausweicheffekte des MIV-Verhaltens werden ausgelöst. Beispielsweise
wird Mehrverkehr um den Ring herum entstehen, an Umsteigepunkten
außerhalb des Rings kann es zu vermehrtem Parkdruck kommen.
-
Die Ausweicheffekte können insgesamt zu einer Zunahme des Autoverkehrs
außerhalb der Mautzone – und einer zeitlichen Veränderung der Nachfrage
innerhalb führen.
HVZ-Nachfrage ÖPNV
-
Es ist von einer Verschärfung der Nachfrage in der HVZ auszugehen, da
Berufstätige vermehrt auf den ÖPNV umsteigen werden.
Angebotsanpassungen ÖPNV
-
Um die erhöhte ÖPNV-Nachfrage – insbesondere in der HVZ – abdecken zu
können, wird eine rechtzeitige Angebotsausweitung notwendig sein.
-
Idealerweise wird die Einführung des Instruments von einem Angebotssprung
begleitet. Insbesondere für Pendlerrelationen wird eine verbesserte Anbindung
notwendig sein.
Lieferverkehre
-
Infolge eines deutlich geringeren Kfz-Verkehrs ist von einer spürbaren
Verbesserung auszugehen.
Punktuelle Emissionen
-
Im Mautgebiet wird die Luftqualität deutlich verbessert.
-
Dagegen können Verkehrsemissionen und Lärm außerhalb der Mautzone
punktuell zunehmen.
-
Punktuell auch Verschlechterungen durch erhöhten Parkdruck an
Umsteigepunkten.
Abbildung 37:
Verkehrliche Wirkungsanalyse – City-Maut
Zusammenfassend wird die Maut eine starke Verdrängungswirkung vom Auto in Richtung ÖPNV
sowie Fuß- und Radverkehr ausüben – zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings. Obwohl insgesamt
von einer Verlagerung der Verkehrswahl in Richtung Umweltverbund auszugehen ist, können
Ausweicheffekte
zu
punktuellen
Mehrbelastungen
führen.
Diesen
kann
jedoch
durch
Gegenmaßnahmen begegnet werden (z.B. Verkehrslenkung, Parkraumbewirtschaftung). Das
ÖPNV-Angebot und die Fahrradinfrastruktur müssen rechtzeitig auf die Mehrnachfrage angepasst
werden.
128/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
10.3.4.2 Parkgebühren
Auch das zweite Lenkungsinstrument hat zum Ziel, die Kfz-Nutzung innerhalb des S-Bahn-Rings
einzudämmen. Anders als die Maut richten sich die Parkgebühren aber auf den ruhenden Verkehr.
Damit sind sie insbesondere auch ein Instrument zur effizienteren Flächennutzung und Schaffung
von Wohnraum und sonstigen Flächen für soziale und wirtschaftliche Aktivitäten.
Parkgebühren
Auswirkungen
Verkehrsnachfrage
-
Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung verteuert das Abstellen von
Kfz im öffentlichen Straßenraum, wenngleich der Verteuerungseffekt für
Anwohner*innen wegen der derzeitigen Gebührenordnung – verglichen mit
Kosten privater Stellplätze – überschaubar ist.
-
Im Ergebnis wird die Anzahl der Fahrten in den Hundekopf hinein – und
innerhalb des Gebiets – mit dem Kfz zurückgehen. Gerade bei Fahrten im
Hundekopf ist davon auszugehen, dass häufiger auf das Rad oder den
Nahverkehr ausgewichen wird, um Parkgebühren zu vermeiden.
-
Zwar zeigen die Erfahrungen, dass in neu bewirtschaftete Parkraumzonen
zunächst die Parkplatznachfrage zurückgeht (Ausweicheffekt). Unklar ist aber,
ob die Parkplatznachfrage bei einer flächendeckenden Einführung ebenso
spürbar zurückgeht.
-
Steigende Preise für Anwohner*innenparkausweise werden mittelfristig die
Zahl der gehaltenen Kfz zurückgehen lassen.
HVZ-Nachfrage ÖPNV
-
Da die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung vor allem Berufstätige und
Einpendler*innen treffen würde, ist von einer Mehrnachfrage in der HVZ
auszugehen.
Angebotsanpassungen ÖPNV
-
Um die steigende ÖPNV-Nutzung befriedigen zu können, wird eine
Verbesserung des Angebots nötig sein. Fokus ist auch hier der Verkehr in der
HVZ und auf Pendlerrelationen.
Lieferverkehre
-
Infolge geringeren Kfz-Verkehrs und einer geringeren Kfz-Dichte sind
Verbesserungen für den Lieferverkehr innerhalb des Hundekopfes zu erwarten.
Punktuelle Emissionen
-
Die Luftqualität wird verbessert, wenn weniger Kfz in den Ring einfahren.
-
Wie bei der City-Maut wird es zu vermehrtem Verkehr am Rand der
bewirtschafteten Zone kommen. Der Parksuchverkehr und -druck wird dort
ohne Gegenmaßnahmen steigen und punktuelle Belastungen zunehmen.
Abbildung 38:
Verkehrliche Wirkungsanalyse – Flächendeckende Parkgebühren
Die Erfahrungen der aktuellen Parkraumbewirtschaftungszonen in Berlin zeigen, dass die verkehrlichen Wirkungen dieses Instruments sehr stark von einer angemessenen Gebührenhöhe für die
Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums abhängen. Eine entsprechende Erhöhung vorausgesetzt, wird dessen Wirkung auf den MIV-Anteil der in den Ring einbrechenden Verkehre nicht das
Ziel verfehlen. Auch Fahrten mit dem Pkw von Anwohnenden innerhalb der Parkzone würden
verteuert. Dies wird zu einem größeren Anteil des Fahrrad- und Nahverkehrs führen – die dafür zu
ertüchtigen sind. Wie bei der City-Maut kann sich ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen die
verkehrliche Lage an den Rändern der Parkraumzone und an Umsteigepunkten durch Ausweichreaktionen anspannen.
129/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
10.4 Politische Sensibilität
Die Einführung einer (weiteren) Abgabe ist politisch stets sensibel, weil sie in Besitzstände eingreift
und der*die Abgabenpflichtige zusätzliche Kostenbelastungen naturgemäß skeptisch beäugt bis
womöglich zunächst ablehnt. Entscheidend für die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit ist, inwieweit
der Mehrwert der Abgabe auf der Leitungsseite glaubwürdig erkennbar wird, z.B. in Form einer
Angebotsoffensive (Ausweitung Verkehrsangebot, Steigerung Qualität, Nutzbarkeit weiterer
Verkehrsträger), einer vereinfachten digitalen Nutzung des ÖPNV oder auch einer stringenteren
Organisation des ÖPNV. Hier ist die transparente Zweckbindung der Einnahmen ein wesentliches
Gestaltungselement, die Bürger*innen zu überzeugen bzw. umgekehrt den Vorwurf des
„Abkassierens“ zu widerlegen. Es bedarf des Mutes und der Fähigkeit, gute Politik zu erklären und
dabei konsistent zu handeln.
Die spezifische Sensibilität der Instrumente ordnen wir wie folgt ein:
•
Der obligatorische Charakter des ÖPNV-Beitrags wird bei denjenigen Personen in der
Tendenz auf Ablehnung stoßen, die als Nicht- oder Seltennutzer*innen den Optionsnutzen
des ÖPNV geringer als die Beitragshöhe einschätzen. Dies gilt insbesondere a) für die kleine
Gruppe der Berliner Einwohner*innen, die nicht von dem ansonsten sehr hohen
Erschließungsgrad des Berliner ÖPNV profitieren. Zudem fallen b) erfahrungsgemäß ein Teil
der passionierten MIV-Nutzer*innen hierunter.
Wichtig für die Überzeugungsarbeit dürfte die kluge Wahl der angemessenen Beitragshöhe
sein. Hiermit ist gemeint, die im Rechenmodell ausgewiesene Obergrenze nicht vollständig
auszureizen (Umlegung des heutigen Umweltkartenpreises von 761 EUR auf alle
Berliner*innen), sondern auf einen Teil des positiven Mengeneffektes zu verzichten, indem
die heutigen Zeitkartennutzer*innen des Berliner ÖPNV von einer Preissenkung profitieren.
Ebenso wichtig ist, die sozialpolitischen Ausnahmetatbestände auf dem heutigen Niveau
beizubehalten. Als Modellvarianten empfehlen wir die Freifahrt 24 h, weil die anderen beiden
Varianten eher als „fauler Kompromiss“ gesehen werden können.
Wie eingangs skizziert muss der Zweck des Bürger*innentickets von Anfang an in aller
Klarheit herausgestrichen und mit konkreten Planungen hinterlegt werden: die Ausbauoffensive des ÖPNV in einer mutmaßlich weiterhin wachsenden Metropole. Dies schließt u.E.
die Aufwertung des Umweltverbundes mit ein. Im Bestfall können ÖPNV-Skeptiker*innen
dem Beitragsmodell noch etwas abgewinnen, wenn sie in der Reduzierung des MIV
persönliche Vorteile erkennen.
Nicht
unterschätzt
werden
sollte,
dass
zum
einen
die
Umstellung
auf
einen
umlagefinanzierten ÖPNV-Beitrag einige Zeit benötigt, ehe sich das neue System
einschwingt, da alle Verträge neu verhandelt werden müssen. Zudem verlagert sich der
Anpassungsdruck zu Beitragserhöhungen zum Abfedern von Kostensteigerungen noch
stärker auf die Politik, da die Signalfunktion des Tarifs – etwa des Einzelfahrscheins –
praktisch entfällt bzw. nur noch bei Nicht-Berliner*innen erhoben wird.
•
Die politische Durchsetzbarkeit eines Gäste-Tickets kann insgesamt als hoch angesehen
werden. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren als ein sehr beliebtes Ziel für
Tourist*innen etabliert, auch die Geschäftsreisen nach Berlin nehmen beständig zu. Jedoch
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Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
ist mit Blick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Hotel- und
Gaststättengewerbe eine Neubewertung dieser Lage zwingend. Zudem ist zu beachten, dass
die bestehende City-Tax und ein Gäste-Ticket als Parallelsysteme nicht vermittelbar sind,
weil sie zweimal am selben Sachverhalt ansetzen.
•
Der Grundstückseigentümerbeitrag verspricht zwar auf der Einnahmenseite einen
signifikanten Finanzierungsbeitrag zu leisten. Dennoch ist aus verschiedenen Gründen von
einer Weiterverfolgung dieses Instrumentes für die ergänzende ÖPNV-Finanzierung
abzuraten:
o
Die Landesregierung hat mit ihrer Entscheidung zur Einführung eines Mietendeckels
erst
kürzlich politisches Neuland
Vermieter*innen
Vermietungserlöse
unter
betreten.
bestimmten
auferlegt.
Die
Mit dem Mietendeckel
Voraussetzungen
politische
Diskussion
wurden
Obergrenzen
und
für
juristische
Auseinandersetzung kreisen seither u.a. um die Thematik, dass das Gesetz in
grundlegende wirtschaftliche Rechte der Immobilienbesitzer*innen eingreift. In
dieser politischen Gemengelage könnte die Einführung eines zusätzlichen Beitrages
zur Abschöpfung eines wirtschaftlichen Vorteils fehl gehen.
o
Gleichwohl könnte gegen dieses Instrument auch eingewendet werden, dass es
speziell bei Wohnimmobilien zu einer weiteren Verschärfung der Mietpreisentwicklung beitragen könnte. Zwar würde die Erhöhung formal allenfalls – wenn
überhaupt – über die Nebenkosten an die Mieter*innen weitergereicht werden. Im
Ergebnis stünde aber so oder so möglicherweise eine weitere Belastung der Berliner
Mieter*innen.
•
Mit Blick auf eine geplante Einführung des Gewerbebetriebebeitrags kann von einer
erhöhten Abwehrhaltung der Wirtschaftsverbände ausgegangen werden. Zumindest aus
wirtschaftspolitischer Sicht sprechen zwei wesentliche Gründe dafür, eine stärkere
Finanzierungsbeteiligung der Berliner Wirtschaft nicht über ein
Beitragsinstrument
einzufordern:
o
Da der Gewerbebetriebebeitrag dem Grund nach an dem Produktionsfaktor Arbeit
ansetzt, würde dieser mittelbar eine Verteuerung des Faktors Arbeit bedeuten.
Gerade die in der Modellrechnung unterstellte Annahme der Verknüpfung der
Beitragshöhe mit der Anzahl der Mitarbeiter*innen eines Betriebes könnte somit in
Grenzfällen und bei großen Unternehmen zu politisch ungewollten Beschäftigungseffekten führen.
o
Darüber
hinaus
könnte
der
Gewerbebetriebebeitrag
die
Ansiedlung
neuer
Unternehmen erschweren. Auch wenn viele Faktoren die Wahl eines Betriebsstandortes ausmachen, wird ein zusätzlicher Kostenfaktor nur auf Berliner Seite die
Gewinnung neuer Unternehmen mindestens nicht erleichtern. Auch wenn es sich im
Einzelfall dabei eher um eine psychologische Nuance statt um einen echten
wirtschaftlichen Faktor handeln dürfte, bietet dieses Instrument damit trotzdem
eine erhöhte politische Angriffsfläche.
131/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
•
Ausländische Beispiele zeigen, dass eine City-Maut nach ihrer Einführung von der Mehrheit
befürwortet wird. Dies wird auch daran liegen, dass vor der Umsetzung einer solchen
Maßnahme oft nur der Komfortverlust oder die Mehrkosten die individuelle Bewertung
prägen – die ausgelösten verkehrlichen Verbesserungen aber noch nicht genügend
vorauszusehen ist. Gleichwohl gilt, dass eine City-Maut aus verschiedenen Gründen ein sehr
kontroverses Stimmungsbild auslösen wird:
o
Wird die City-Maut wie hier unterstellt als „Kordon-System“ für den S-Bahn-Ring
konzipiert, erscheint sie technisch leichter und zeitlich schneller einführbar. Auf der
Schattenseite sind jedoch erhebliche Ungerechtigkeiten innerhalb der Gruppe der
MIV-Nutzer*innen und der Nutznießer*innen zu konstatieren. Am meisten
profitieren die Einwohner*innen im City-Ring, die weniger Autolärm und Abgase
erleiden, aber womöglich selbst innerhalb des Rings für kurze Fahrten den Pkw
nutzen und dabei nicht bemautet werden. Am stärksten betroffen sind umgekehrt
die Einpendler*innen der Berliner Außenbezirke oder Brandenburger. Hier bleibt zu
prüfen,
wie
großflächig
das
Mautgebiet
gezogen
werden
sollte.
Eine
entfernungsabhängige Bepreisung, die jeden gefahrenen km präzise misst, wäre
verursachungsgerechter
und
im
Sinne
der
verkehrlichen
Lenkungswirkung
vorteilhafter.
o
Darüber hinaus kann die City-Maut dazu führen, dass punktuell deutlicher
Mehrverkehr entsteht, weil Autofahrer*innen der Mautpflicht durch Umwege
ausweichen oder einen (möglicherweise kostenlosen) Parkplatz suchen, um mit Bus
und Bahn in die City zu fahren. Insbesondere für Anwohner*innen in diesen
Gebieten ginge mit der Einführung einer City-Maut eine Verschlechterung des
Status quos einher. Die Umsetzung dieses Lenkungs- bzw. Push-Instruments wird
dort – selbst bei Kommunikation des Verwendungszweckes, der ihnen auch zugute
kommen soll - schwer vermittelbar sein; drängt sie den Kfz-Verkehr doch gerade
dort hinein, anstelle ihn zu verdrängen.
o
Wirtschafts- und sozialpolitisch ist das Argument zu erwarten, dass beispielsweise
Bürger*innen mit geringem Einkommen oder mittelständische Betriebe durch die
Maut wirtschaftlich stark belastet werden, die aber nachweislich nicht oder nur sehr
schwer auf das Kfz zur Einnahmeerzielung verzichten können.
o
Im übrigen ist aus rechtlicher Sicht die Mauterhebung für solche Ausnahmefälle mit
dem Bund zu klären, bei denen MIV-Nutzer*innen nach Berlin einfahren und dabei
zu keinem Zeitpunkt die Bundesstraße verlassen.
In der Gesamtschau sollen die Bedenken nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Bepreisung des MIV über eine Maut ein lohnenswertes verkehrspolitisches Ziel bleibt und
bei überzeugendem Konzept und langjähriger Vorarbeit auch machbar erscheint.
•
Gegen die Einführung von Parkgebühren in einzelnen Zonen ist in Berlin mittlerweile kein
nennenswerter Protest mehr bekannt. Dies mag aber auch damit zu tun haben, dass
insbesondere die Gebühren für Anwohner*innen verschwindend gering sind. Dass in
jüngster Zeit auf bundespolitischer Ebene über eine Anhebung der Gebühren für das
132/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
Anwohner*innenparken diskutiert wird, lässt vermuten, dass nicht nur ein Reformbedarf an
dieser Stelle identifiziert wurde, sondern sich auch das politische Bewusstsein zunehmend
für die Frage entwickelt, welchen Wert öffentlicher Raum hat. Eine flächendeckende
Ausweisung der Parkraumbewirtschaftung selber wird darum wahrscheinlich weniger
kontrovers begleitet werden. Die bestehenden Parkzonen zeigen, dass eine reine
Fokussierung auf den Hundekopf vielleicht auch viel zu kurz springt, da die Grenze der
Gebührenpflicht nicht an geografischen Grenzen halt machen sollte, wie die vielen
Parkraumzonen außerhalb der Ringbahn heute schon zeigen.
Schwierig zu lösen ist, dass damit eine Aufgabe der Bezirke angesprochen wird. Um seitens
des Landes ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen und insbesondere um die Einnahmen
dem ÖPNV zuführen zu können, braucht es eine enge Koordination und Kooperation der
verschiedenen Akteure.
10.5 Umsetzungsgeschwindigkeit
Für die Bewertung der in Rede stehenden Optionen ist es auch wichtig, den notwendigen zeitlichen
Vorlauf ab der politischen Entscheidungsreife abzuschätzen. Da bekanntermaßen viele Faktoren die
Umsetzung und damit auch den Zeitbedarf beeinflussen, soll an dieser Stelle nur eine Sortierung
der Instrumente im Vergleich stehen:
•
Die Parkgebühren besitzen den Vorteil, dass hierzu vielfältige Vorerfahrungen einer
Einführung bestehen, weshalb insgesamt von einem vergleichsweise kurzen Zeithorizont
ausgegangen werden kann. Dies setzt aber auch eine Konsensfindung mit den Bezirken
voraus.
•
Das Gäste-Ticket wird im Hinblick auf den administrativen Aufwand relativ schnell
umzusetzen sein, insbesondere wenn sie auf den etablierten Erhebungsprozessen der CityTax aufsetzen kann.
•
Für alle weiteren Finanzierungsinstrumente muss ein vergleichsweise längerer Vorbereitungsprozess eingeplant werden. In jedem Fall wird das Land auf gesetzgeberischerbzw. Verordnungsebene autark eine Einführung bewerkstelligen können.
o
Für die Nutznießerfinanzierungsinstrumente liegen die zeitlichen Risiken vor allem
in der konzeptionellen Vorbereitung der Differenzierungskriterien der Beiträge und
der Herstellung der dafür nötigen Datenbasis (Prozessebene).
o
Der Einführungstermin der City-Maut wird u.a. von der institutionellen Einbettung
bestimmt, also beispielsweise der Vergabe der initialen und wiederkehrenden
Aufgaben im Betrieb der Mauterfassung an ein Unternehmen.
o
Beim allgemeinen ÖPNV-Beitrag werden schließlich mit Blick auf die Auswirkungen
der Finanzierungsumstellung (vom Tarif zum Beitrag) notwendige Anpassungen z.B.
in der Einnahmenaufteilung des VBB sorgfältig evaluiert werden müssen. Soll die
Beitragseinführung mit einer spürbaren Angebotsverbesserung verknüpft werden,
sind die hierfür nötigen Planungs- und Beschaffungsprozesse zu berücksichtigen.
133/134
Ramboll und BBH - Ergänzende Instrumente zur Finanzierung des Berliner ÖPNV
11 FAZIT
Im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie wurden verschiedene Instrumentarien untersucht, welche
die Finanzierung des Berliner ÖPNV auf eine breitere Basis stellen sollen. Zusätzliche Einnahmequellen sind nötig, um die verkehrspolitische Zielsetzung einer nachhaltigen, vorwiegend dem
Umweltverbund zugewandten Mobilität in der Hauptstadt umsetzen zu können. Fokus dieser
Machbarkeitsstudie war es, aus mehreren Alternativen jene auszuwählen, die geeignet sind, hierzu
einen Beitrag zu leisten.
Hierfür wurde im Rahmen der rechtlichen Stellungnahme zunächst durch BBH untersucht, ob aus
juristischer Sicht Gründe gegen eines der Instrumentarien vorliegt. Dem ist nicht so: Es liegen keine
grundsätzlichen Argumente gegen die Einführung der Instrumente vor. Sofern nötig, sind
wesentliche Gestaltungskompetenzen auf landesgesetzgeberischer Ebene verortet.
Im zweiten Schritt wurden die Optionen durch Ramboll im Hinblick auf Einnahmeerzielung und deren
verkehrlichen Wirkungen hin untersucht. Hier zeigte sich, dass insbesondere
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ein allgemeiner ÖPNV-Beitrag,
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eine City-Maut und
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flächendeckende Parkgebühren
sowohl aus fiskalischer Sicht als auch im Hinblick auf starke verkehrliche Effekte als wirksame
Maßnahmen für Berlin in Frage kommen und daher eine Untersuchung zur konkreten Umsetzbarkeit
rechtfertigen.
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