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Full text: Ein Jahr Gewässerforschung (Rights reserved) Ausgabe 2020 (Rights reserved)

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Ein Jahr Gewässerforschung Jahresforschungsbericht 2020 Biodiversität Wie Arten überleben und was die aquatische Vielfalt fördert Ökosystemleistungen Wie wir Gewässer besser schützen und nachhaltig bewirtschaften können Globaler Wandel Wie Ökosysteme und Lebensgemeinschaften widerstandsfähiger werden Angelfischerei Aquakultur und Aquaponik Biodiversität Dialog und Transfer Gewässerökosysteme Nutzung und Management Schadstoffe und Belastungen Umweltwandel Verhaltensbiologie und Schwarmintelligenz Wasser- und Stoffkreisläufe Forschen für die Zukunft unserer Gewässer Das IGB ist das größte deutsche und eines der international führenden Zentren für die Binnengewässerforschung. Unsere Vision ist es, aquatische Systeme in all ihrer Komplexität zu verstehen und mit diesem Forschungswissen den nachhaltigen Umgang mit gewässerbasierten Ressourcen und Ökosystemen zu unterstützen. Wir denken: Wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf exzellenter Forschung beruhen, sind eine zentrale Grundlage für kluge Entscheidungen. Ein besseres Verständnis der Gewässer und all ihrer ökologischen Aspekte unterstützt Politik und Gesellschaft dabei, globalen Herausforderungen zu begegnen und Gewässer zum Wohl von Mensch und Natur zu nutzen und zu erhalten. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen ausgewählte Forschungsergebnisse und Aktivitäten aus dem Jahr 2020 vor. Sie sind zehn Themenbereichen zugeordnet, in denen wir alles bündeln, was für Sie rund um unsere Forschungsarbeit interessant sein könnte. Zu den einzelnen Themen finden Sie auf unserer Website weitere Informationen, Materialien, Fachleute sowie Hintergründe und aktuelle Meldungen. Wir wünschen viel Freude beim Lesen und Entdecken! Inhalt 9 Forschung 9 4 Vorwort IGB-Direktor Luc De Meester blickt auf sein erstes Jahr am Institut zurück. Es waren in vielerlei Hinsicht besondere 12 Monate, in denen die globalen Herausforderungen unserer Zeit noch deutlicher geworden sind. Trotz aller bekannten Einschränkungen haben Forscher*innen am IGB auch 2020 Experimente durch­ geführt, Daten gesammelt sowie aus­ gewertet, unzählige Video­konferenzen geführt und gemeinsam neues Wissen gewonnen – all das, um Umwelt­ veränderungen nachhaltig zu begegnen und Gewässer und ihre Lebensge­ meinschaften besser zu schützen. 6 Nachrichten Gute Neuigkeiten aus unserer Forschung. 2 Ökosystemleistungen Mehr als eine Millionen Barrieren zerschneiden Europas Flüsse – nur ein Beispiel dafür, wie intensiv wasserbasierte Ressourcen und Ökosysteme vom Menschen genutzt und beeinflusst werden. Forschende am IGB wollen genau wissen, welche Ökosystemleistungen Seen, Flüsse und ihre Auen erbringen, wie sie auf verschiedene Nutzungsarten reagieren und wie wir sie besser ­schützen können. Unsere Erkennt­nisse sollen dazu beitragen, natür­liche ­Ressourcen künftig nachhaltiger zu bewirtschaften – in Fischerei und Aquakultur, bei der Binnenschifffahrt und Energiegewinnung oder bei F­reizeitaktivitäten. 19 Biodiversität Binnengewässer beherbergen eine einzigartige Vielfalt an Lebewesen, die komplexe Gemeinschaften ­bilden. Doch sie sind bedroht: Gene, Populationen, ganze Arten und Lebensräume verschwinden im Süßwasser deutlich schneller als an Land oder im Meer. Dieser Verlust gefährdet auch das menschliche Wohlergehen und bleibt dennoch zu häufig unbemerkt. Um die biologische Vielfalt zu schützen und zu erhalten, entschlüsseln IGB-Wissenschaftler*innen die Rätsel und Anpassungsstrategien unterschiedlichster Süßwasser­ organismen – vom aquatischen Bakterium Achromatium oxaliferum über den Stör bis hin zu ganzen Fischschwärmen. Sie erkunden, was deren Vielfalt ermöglicht oder ­gefährdet; wie es etwa invasiven Arten gelingt, sich zu etablieren oder wie sich die Corona-Pandemie auf die globalen Fischbestände auswirkt. Jahresforschungsbericht 2020 Inhalt 36 Extra: Datenschatz Internet Fotos: Porträt De Meester u. Biodiversität © David Ausserhofer; Nachrichten © Solvin Zankl; Ökosystemleistungen © Francisco Kemeny/unsplash; Globaler Wandel © Lukas Kleine/IGB; Social Media © Dmytrenko Vlad/Shutterstock; Jahresrückblick/Aquacosm © Frederico Cheda Um wissenschaftliche ­Erkenntnisse zu generieren, brauchen Forscherinnen und ­Forscher Daten. Zwei neue F­ orschungszweige, Culturomics und iEcology, nutzen dafür das Internet. Das bietet viele Chancen, insbesondere auch für die Erforschung aquatischer Lebens­ räume. 27 46 Über uns Globaler Wandel Gewässer reagieren sensibel auf Klima- und Umweltveränderungen, z.B. auf steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse, aber auch auf zu viele Nähr- und Schadstoffe, die in Flüsse und Seen ­gelangen. Manche Gewässer trocknen ­temporär aus, schrumpfen oder ­verschwinden dauerhaft. Einige leiden unter Überdüngung und entwickeln intensive Algenblüten. Aus anderen entweichen Treibhausgase, die die globale Erwärmung zusätzlich beschleunigen. Wir wollen verstehen, was die Widerstandskraft von Ökosystemen und Lebens­ gemeinschaften fördert und wie die Anpassung an den Klimawandel gelingen kann. Forschende am IGB analysieren, wie sich z.B. das wenige Niederschlagswasser während Dürren verteilt oder was gegen die Eutrophierung von Seen und die Massenentwicklung von Cyano­ bakterien helfen könnte. 46 2020 in Zahlen 48 Köpfe 52 53 Publikationen Finanzen 54 Struktur 39 Jahresrückblick 56 Impressum Zwölf Monate am IGB, prall gefüllt mit gestarteten Projekten und Initiativen sowie zumeist virtuellem Austausch. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 3 Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s | Luc De Meester Liebe Leserin, lieber Leser, Zwei Worte fassen für mich die Zeit der Pandemie ganz gut zusammen: Hoffnung und Verzweiflung. Hoffnung, weil sich die Arbeitsweise des IGB in Zeiten des Coronavirus als sehr widerstandsfähig erwiesen hat – wir haben unsere Arbeit flexibel reorganisiert, Protokolle für den Umgang mit der Pandemie entwickelt, Kolleginnen und Kollegen unterstützt, die von zu Hause aus arbeiten, und alle wesentlichen Funktionen aufrechterhalten. Ich hoffe, das spiegelt die Profes- 4 sionalität und das Engagement ­aller Mitarbeitenden wider. Dennoch hätte ich mir zu Beginn meines ersten Jahres viel mehr Möglichkeiten für persönliche Besprechungen und engagierte Diskussio­ nen in größeren Gruppen gewünscht – Aspekte unserer Arbeit, die unter unserer virtuellen Arbeitsweise gelitten haben. Ich hatte nur wenige Gelegenheiten, mich zum Mittagessen in einen der Sozialräume des Instituts zu setzen, bevor es auf den Fluren des IGB sehr leer und still wurde. Und obwohl viele die Gelegenheit nutzten, um sich in die Datenanalyse und das Schreiben zu vertiefen, hat COVID-19 unsere Forschung doch massiv beeinflusst. Als ökologisches Institut sind wir stark auf Feldarbeit und Experimente angewiesen, auch auf groß angelegte Versuche mit internationalen Gastwissenschaftler*innen. Und gerade neue Doktorierende und Post­ doktorand*innen, die empirische Daten sammeln mussten, haben sehr gelitten. Das werden wir in den nächsten Jahren spüren. Und sicher mussten viele Kolle- ginnen und Kollegen – mehr als früher – mit Arbeit und Betreuungspflichten ­jonglieren. Die weltweite Pandemie hat vielen Menschen bewusst gemacht, wie wichtig verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen sind. Zugleich sind zwei zentrale Herausforderungen, vor denen die Welt steht, vorübergehend etwas vom Radar verschwunden, obwohl sie drohender denn je sind: der Klimawandel und die tiefe Biodiversitäts- und Naturkrise. Für mich fühlten sich 2019 und 2020 wie zwei Jahre an, in denen der Klimawandel mehr denn je außer Kontrolle geriet – mit den immer größer werdenden Bränden in Kalifornien, Australien und dem Amazonas, den Hitzewellen und anhaltenden Dürren, einem Temperaturrekord nach dem anderen. Es war verheerend zu sehen, wie das Pantanal, das größte Feuchtgebiet der Welt und eines der artenreichsten Systeme weltweit, brannte. Süßwassersysteme gehören zu den am stärksten bedrohten Jahresforschungsbericht 2020 Foto: Porträt De Meester © David Ausserhofer ich habe lange mit mir gerungen: Corona­virus oder kein Coronavirus in diesem Vorwort? Muss ich Ihnen wirklich erzählen, dass 2020 das (erste) Jahr mit dem Virus war, und dass auch das IGB betroffen ist? Dass viele Abläufe und Routinen plötzlich hinfällig waren? Dass ich mir mein erstes Jahr am Institut etwas anders vorgestellt hatte? Nun, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht drum herum komme, denn das Coronavirus hat und wird unsere Forschung und unser Denken über Krisen beeinflussen. Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s Lebensräumen der Erde. Daten belegen einen rasanten Rückgang der Artenvielfalt im Süßwasser in den letzten Jahrzehnten. Kein schönes Bild! Diese Krisen dürften schädlicher als COVID-19 sein, wirken sich aber weniger akut auf uns Menschen aus und machen die Welt dennoch allmählich zu einem viel weniger angenehmen Ort zum Leben. Dieser schleichende Prozess dürfte es erschweren, die zahlreichen gesellschaftlichen Reformen durchzusetzen, die notwendig sind, um zum Beispiel unsere Energieversorgung neu zu organisieren, und den Druck massiv zu reduzieren, den wir auf die natürlichen Systeme ausüben. Aber es gibt Hoffnung. Erstens dürfte die Pandemie zu einem gesteigerten Bewusstsein dafür geführt haben, dass die globalisierte Welt ein fragiler Ort ist, und sie hat gezeigt, dass es tatsächlich möglich ist, Veränderungen umzusetzen, die man vorher für unmöglich gehalten hätte. Zweitens gibt es zumindest die Absicht, unsere Wirtschaft bei ihrem Neustart in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. Es bleibt zu hoffen, dass dies mehr als nur ein kleiner Anstoß ist, ein echter Vorstoß für ein Gleichgewicht mit unseren globalen natürlichen Ressourcen und den Ökosystemen der Welt. Dabei wird es sehr wichtig sein, sich nicht allein auf technische Lösungen zu verlassen, sondern auch die regulierenden Ökosystemleistungen zu verbessern und damit die Resilienz zu fördern. Süßgewässer spielen bei diesen regulierenden Ökosystemleistungen eine Schlüsselrolle. Das IGB ist gerne bereit, diesen Wandel mit seiner Expertise zu unterstützen. Auf den folgenden Seiten skizzieren wir einige unserer Ergebnisse, die die zentralen Themen unserer Mission auf den Punkt bringen. Sie zeigen einige der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir darüber gewonnen haben, wie natürliche Systeme funktionieren und wie sie auf Stressoren und Managementmaßnahmen reagieren. Die Beiträge verdeutlichen auch, wie wichtig diese Erkenntnisse und Aktivitäten sind, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Ab p Seite 9 konzentrieren wir uns auf die Ökosystemleistungen unserer Flüsse, Auen und gewässerbasierten Ressourcen. Welche Phänomene setzen sie unter Druck? Was kann man tun, um sie zu erhalten und nachhaltig zu bewirtschaften? Nur ein Beispiel: Europas Flüsse sind durch nicht weniger als eine Million Barrieren fragmentiert, was, wie man sich vorstellen kann, enorme Auswirkungen auf ihre Struktur und Funktion hat und viele Arten in Gefahr bringt. Unsere Erkenntnisse sind wichtig, um den Zielkonflikt zwischen Binnenschifffahrt, Energieerzeugung und Nahrungsmittelproduktion einerseits und dem Schutz der Umwelt und der Erhaltung von Natur und Biodiversität andererseits in Einklang zu bringen. Auf p Seite 19 widmen wir uns den Treibern und Folgen der aquatischen Biodiversität. Forschende am IGB entschlüsseln die Geheimnisse und Anpassungsstrategien ganz unterschiedlicher Süßwasserorganismen – von Riesenbakterien wie Achromatium oxaliferum bis hin zur aquatischen Megafauna wie Störe. Was fördert oder bedroht ihre Vielfalt? Unsere Arbeit trägt dazu bei, eine wissenschaftliche Grundlage für die stärkere Berücksichtigung der Süßwasser-Biodiversität in nationalen und internationalen Regelwerken zu entwickeln. Der globale Wandel und dessen Auswirkungen auf Ökosysteme und Lebensgemeinschaften ist ein weiterer wichtiger Forschungsschwerpunkt am IGB. Wo bleibt das Wasser bei einer Dürre? Haben wir die CO2-Emissionen aus trockenen Binnengewässern unterschätzt? Können Pilzparasiten helfen, Cyanobakterien in zunehmend wärmeren Seen einzudämmen? Und wie kann Phosphor in Gewässern zurückgehalten werden, um Eutrophierung zu vermeiden? Unsere neuesten Erkenntnisse zu Themen wie diesen stellen wir ab p Seite 27 vor. Forschung am IGB beruht auf dem Verständnis, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Projekte grundsätzlich allen Interessierten zur Verfügung stehen sollen. Dieser jährliche Forschungsbericht ist ein Versuch – neben vielen anderen –, dies zu erreichen. Wir freuen uns, wenn er eine gewisse Resonanz in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und bei anderen gesellschaftlichen Akteuren erzeugt. Und wir freuen uns noch mehr, wenn er zu neuen Partnerschaften führt Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und uns hilft, unser Forschungswissen in die Praxis zu übertragen. Apropos Praxis: Es war eine Freude, mit so vielen engagierten Partnern und Stakeholdern zusammenzuarbeiten, die unsere Forschungs-, Lehr- und Transferaktivitäten unterstützt und inspiriert haben und die das von uns gewonnene Wissen nutzen. Was mich zu einer weiteren Anerkennung führt: Nur dank der finanziellen und praktischen Unterstützung der Berliner Senatskanzlei für Wissenschaft und Forschung und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) kann das IGB überhaupt arbeiten. Nach einem Jahr, meist vor dem Computerbildschirm, bin ich noch recht neu im deutschen und Berliner Forschungssystem. Allerdings habe ich bereits die große Unterstützung des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts erfahren, mit dem wir schon einige sehr inspirierende Diskussionen geführt haben. Ich habe auch den starken Mehrwert der Verbünde und Netzwerke erlebt, in die wir eingebettet sind, vor allem die professionelle gemeinsame Verwaltung des Forschungsverbundes Berlin und die Leibniz-Gemeinschaft. Wir am IGB sind stolz auf das, was wir tun. Gerade in diesem Jahr kann nicht oft genug betont werden, dass alle am IGB einen hervorragenden Job gemacht haben. Sie haben sich um ihre Kolleginnen und Kollegen gekümmert, sie bei Laune gehalten, mich in meinem ersten Jahr unterstützt, andere neue Mitglieder bestmöglich willkommen geheißen und „einfach“ ihren Job gemacht, obwohl wir alle die täglichen sozialen Interaktionen – vom Plaudern bis zum Brainstorming – vermissen, die diesen Job so viel lohnender machen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine angenehme und inspirierende Lektüre dieses jährlichen Forschungsberichts, entweder als gedrucktes Exemplar oder als elektronische Version. Ihr Luc De Meester Direktor 5 Nachrichten Im Februar 2020 schlossen sich fast alle außeruniver­ sitären Institute und Zentren im Berliner Raum zur Initiative BR50 (Berlin Research 50) zusammen. Sie soll vor Ort die Zusammenarbeit mit den Universitäten und den Austausch mit Gesellschaft und Politik fördern und darüber hinaus eine Dialogplattform für die beteiligten Institutionen bereitstellen. Das Interesse an dieser Vernetzung ist groß – insbesondere um bei übergeordneten Themen gemeinsam auftreten zu können. Von dieser Kooperation sollen aber nicht nur die Forschungseinrichtungen selbst profitieren, sondern auch die Politik, die Hochschulen und die Öffentlichkeit. BR50 ist Ansprechpartner, Multiplikator und Katalysator für aktuelle wissenschaftliche und auch gesellschaftliche Fragen. Als Mitgliedsinstitution mit von der Partie: das IGB. Mehr erfahren p www.br50.org Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de IUCN EICATStandard eingeführt Invasive gebietsfremde Arten gelten weltweit als eine der Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt. Will man Managementmaßnahmen zum Schutz der einheimischen Biodiversität ergreifen, muss man diese Auswirkungen zunächst besser verstehen. Sind zum Beispiel die Ressourcen knapp, ist es sinnvoll, dem Management jener gebietsfremder Arten Priorität einzuräumen, die die schädlichsten Auswirkungen haben. Aus diesem Grund hat die Weltnaturschutzunion (IUCN) die Environmental Impact Classification for Alien Taxa (EICAT) entwickelt. EICAT ist ein einfaches und objektives Instrument, das gebietsfremde Arten nach Schwere und Art ihrer bekannten Umweltauswirkungen klassifiziert. Für die Entwicklung und Umsetzung des neuen Standards ist die EICAT-Authority verantwortlich. Sie besteht derzeit aus zehn internationalen Expert*innen für biologische Invasionen, darunter die IGBWissenschaftler Thomas Evans und ­Jonathan Jeschke. In einem Video stellt die IUCN den neuen EICAT-Standard vor p https://youtu.be/7GAax3xakJs Dr. Thomas Evans, evans@igb-berlin.de querFELDein Prof. Dr. Jonathan Jeschke, jeschke@igb-berlin.de Die Online-Wissensthek querFELDein der Leibniz-Gemeinschaft bündelt Fakten, News und Ideen rund um die Landwirtschaft der Zukunft. Wie sehen nachhaltige Anbausysteme aus? Was leistet die Digitalisierung auf dem Acker, was der Ökolandbau? Wie wird die Aquakultur der Zukunft aussehen? Welche Auswirkungen hat die Lichtverschmutzung auf die Landwirtschaft? Sie ahnen es: Das IGB ist ebenfalls mit Themen vertreten. Initiiert wurde das Projekt vom LeibnizZentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Wissen finden p https://quer-feld-ein.blog/ 6 Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Berlin © Werner März/Pixabay; ZALF © suze/photocase; IUCN © IUCN YouTube Channel/Animation Riccardo Scalera; Grundstein © Glass Kramer Loebbert BDA Gesellschaft von architekten; Invasionsbiologie © Webseite hi-knowledge.org Außeruniversitäre Forschung in und für Berlin Nachrichten Grundstein für gemeinsames Gebäude von IGB und FU Im Dezember 2020 wurde der Grundstein für das Gemeinsame Wissenschaftsgebäude Biodiversität auf dem Forschungscampus Berlin-Dahlem gelegt. Das Kooperationsprojekt von IGB und Freier Universität Berlin soll Forschung und Lehre zum Zukunftsthema Biodiversität vernetzen und stärken. Bislang sind es vor allem die gemeinsa- Navigationshilfe für den Hypothesendschungel men Professuren, über die der spontane Fachaustausch vor Ort stattfindet. Das neue, fünfeckige Gebäude soll diesem Austausch im Wortsinne mehr Raum geben und über 100 Biodiversitätsforscher*innen und Studierende zusammenbringen. Wenn es 2023 fertig ist, wird es nicht nur der Umweltforschung dienen, sondern auch strengen Umweltstandards folgen. Derweil geht die Biodiversitätsforschung an den bisherigen Standorten weiter. Wir freuen uns auf die gemeinsame, interdisziplinäre Zukunft. Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de Wie und warum werden manche gebietsfremde Arten invasiv, andere jedoch nicht? Zu dieser und anderen Fragen hat das Fachgebiet der Invasionsbiologie viele Hypothesen und Konzepte parat – einige davon überlappen sich, manche sind sogar wider­ sprüchlich. Ein internationales Team unter der Leitung von IGB und der Freien Universität Berlin bietet Orientierungshilfe. Die Forschenden definierten 39 Invasionshypothesen und gruppierten sie in Cluster, die jeweils eine bestimmte Perspektive auf biologische Invasionen einnehmen. So vereint zum Beispiel der Trait cluster Hypothesen, die einen Schwerpunkt auf die biologischen Eigenschaften invasiver Arten legen, wohingegen der Propa­ gule cluster Hypothesen enthält, die sich auf den Faktor Mensch beziehen, insbesondere wie häufig und in welcher Anzahl Individuen oder Populationen gebietsfremder Arten durch Menschen eingeführt werden. Daraus entstand eine interaktive Übersichtskarte für die Invasionsbiologie, die seit Juni 2020 online frei zur Verfügung steht. Nutzer*innen können in die wichtigsten Konzepte und Hypothesen hineinzoomen sowie Studien und Meta-Daten auffinden. Im September 2021 startet das Team ein neues Projekt, aus dem das Wissensportal enKORE (EvolviNg Knowledge REsource) entstehen soll. EnKORE wird modernste Visualisierungstechniken, künstliche Intelligenz und neuartige Methoden zur Wissenssynthese anwenden. Navigationshilfen für verwandte Disziplinen wie die Stadtökologie, die Renaturierungsökologie oder andere Teilbereiche der Biodiversitätsforschung sind ebenfalls denkbar. Hi Knowledge 2.0 finden Sie online unter p www.hi-knowledge.org Prof. Dr. Jonathan Jeschke, jeschke@igb-berlin.de Enders, M., et al. (2020). A conceptual map of invasion biology: integrating hypotheses into a consensus network. Global Ecology and Biogeography, 29(6), 978-991. https://doi.org/10.1111/geb.13082 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 7 Nachrichten Citizen Science Projekt ausgezeichnet Das Projekt „Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung“ (AuBe) wurde im Oktober 2020 als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Mehr Informationen unter p www.tatort-strassenbeleuchtung.de Twitter p @AubeNews Facebook p @AubeProjekt Instagram p @aubenews Dr. Sibylle Schroer, schroer@igb-berlin.de PD Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de Projekt: AuBe – Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung, Laufzeit: 06/201905/2025, Gefördert durch: BfN und BMU Im Rahmen der Auftaktveranstaltung des Projekts nahm das Team die Auszeichnung in Neuglobsow entgegen. Praxisleitfaden zum Streuabbau in Gewässern Nichts als welke Blätter? Der Abbau von Pflanzenstreu ist nach der Produktion von Biomasse durch Pflanzen der bedeutendste Ökosystemprozess der Biosphäre. Mark Gessner und Kolleg*innen aus Kanada und Portugal haben eine neue Auflage ihres umfassenden Methodenbuchs zum Streuabbau in Gewässern herausgegeben. Der Praxisleitfaden Methods to Study Litter Decomposition richtet sich an Studierende ebenso wie an Forscherinnen und Forscher, die ihren methodischen Werkzeugkasten erweitern wollen. Einen besonderen Schwerpunkt legt die stark erweiterte und überarbeitete 2. Ausgabe auf die Fließgewässer. In 63 Kapiteln auf 600 Seiten widmen sich die Autor*innen dem Umsatz der Pflanzenstreu in Ökosystemen, chemischen und physikalischen Streueigenschaften, der Bestimmung, Quantifizierung und Aktivität von Mikroorganismen (Pilze und Bakterien) und streukonsumierender wirbelloser Tiere sowie der Datenanalyse. Prof. Dr. Mark Gessner, gessner@igb-berlin.de Bärlocher, F., et al. (Eds.). (2020). Methods to study litter decomposition. A practical guide (2nd ed.). Springer International Publishing. GEWÄSSER-NEWS Sie interessieren sich für Gewässerforschung und möchten ­wissen, welche neuen Aktivitäten es am IGB gibt? Dann ­abonnieren Sie unseren Newsletter, der Ihnen alle zwei Monate Informationen rund ums IGB und unsere Themen ins Postfach liefert. Jetzt anmelden p www.igb-berlin.de/newsletter 8 Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: AuBe © David Ausserhofer; Streuabbau © Solvin Zankl „Lieber ein atemberaubender Sternenhimmel als artenberaubende Straßenleuchten“, das ist das Credo des AuBe-Teams, zu dem Forschende und Bürgerwissenschaftler*innen gleichermaßen zählen. In den Kommunen Neuglobsow und Gülpe (beide BB), Krakow am See (MV) und Fulda (HS) untersuchen sie, welche Insektenarten durch Straßenbeleuchtung beeinträchtigt werden und wie umweltgerechte Beleuchtungslösungen aussehen könnten. Gemeinsam werden Fallen aufgestellt und geleert, Insekten bestimmt und die Nachthimmelshelligkeit gemessen. In Interviews wird erhoben, wie die Anwohnerschaft und Besuchende das Straßenbeleuchtungsdesign empfinden. Die Forschenden gehen davon aus, dass weniger Licht dem Wohlbefinden aller dient – dem der Insekten und dem der Menschen. Zerschnittene Flüsse p Seite 10 Risiko Wasserkraft p Seite 14 Ausbau an der Oder p Seite 16 Empfehlungen für die Angelfischerei p Seite 16 Nachhaltige Therapien für die Aquakultur p Seite 17 Neues über Lichtverschmutzung p Seite 18 Ökosystemleistungen Gewässer schützen und nachhaltig nutzen Foto: Frank Masese Mehr als eine Millionen Barrieren zerschneiden Europas Flüsse. Das hat enorme Auswirkungen auf die natürlichen Lebensräume, aber auch auf die Funktionen der Gewässer. Und es ist nur ein Beispiel ­dafür, wie ­intensiv wasserbasierte Ressourcen und Ökosysteme vom Menschen ­genutzt und beeinflusst werden. Forschende am IGB ­wollen g­enau ­wissen, welche Ökosystemleistungen Seen, Flüsse und ihre Auen ­­erbringen, wie sie auf verschiedene Nutzungsarten reagieren und wir wir sie besser schützen können. Unsere Erkenntnisse sollen dazu ­beitragen, natürliche Ressourcen nachhaltiger zu bewirtschaften – in Fischerei und Aquakultur, bei der Binnenschifffahrt oder Energiegewinnung sowie bei Freizeit­aktivitäten. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 9 Fo r s c h u n g | Im Zeichen des Klimawandels Verstopfte Lebensadern: zu viele Barrieren in Europas Flüssen Im Fluss Lim (Bosnien und Herzegowina) verhindert ein Seil mit Kanistern, dass Müll in die Turbinen eines flussabwärts gelegenen Wasserkraftwerks gelangt. Frau Huđek, Herr Pusch, Sie haben für AMBER Querbauwerke in Flussläufen in Deutschland und 14 weiteren europäischen Ländern gezählt. Warum? Martin Pusch: Das Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, einen europäischen Atlas bestehender Querbauwerke in Flüssen zu erstellen. Aus den EU-Mitgliedsländern wurde hierzu eine offizielle Zahl von insgesamt 630.000 Barrieren gemeldet. Weil die Statistiken der Behörden erfahrungsgemäß unvollständig sind, haben wir in 15 Ländern durch Fahrten entlang der Flüsse erfasst, wie hoch die tatsächliche Zahl der Bauwerke ist. Daraus wurde dann eine realistischere, aber immer noch konservative Zahl errechnet: 1,2 Millionen Barrieren in Europas Flüssen, davon in Deutschland 225.000 Barrieren, von denen 179.000 den Behörden bekannt waren. Helena Huđek: Ich habe die Barrieren in insgesamt 25 Flüssen in Deutschland, Tschechien und Ungarn sowie sechs Balkan-Ländern jeweils auf einer Länge von 20 Kilometern dokumentiert. Wir haben alle Barrieren erfasst, das heißt ihren Typ, ihre Nutzung, und ob in den Flüssen noch ausreichend Wasser fließt. Was haben Sie bei Ihren Erkundungen vorgefunden? Helena Huđek: Wir haben viel mehr Barrieren entdeckt als erwartet. Insbesondere in Tschechien fanden wir 10  zahlreiche kleine selbstgebaute Barrieren, etwa einen Meter hoch, die einst errichtet wurden, um im Fluss besser fischen oder schwimmen zu können. Niemand wusste, dass diese Barrieren existieren. Welche Auswirkungen haben Barrieren auf die Fließgewässer? Helena Huđek: Sie zerschneiden den Fluss, das heißt, Fische können die Barrieren nicht überwinden. Wandernde Fischarten müssen zum Ablaichen stromaufwärts schwimmen, gelangen aber nicht mehr dorthin… Martin Pusch: … und die vorhandenen Fischtreppen funktionieren meist nicht. Sie führen oft zu wenig Wasser, sind außerdem oft zu steil, und die Fische können ihren Eingang nur schlecht finden. Dämme und Wehre haben außerdem zur Folge, dass der Sedimenttransport unterbrochen wird. Dadurch bilden sich keine frischen Kiesbänke im Flussbett, die für eine erfolgreiche Fortpflanzung etwa von Forellen notwendig sind, und außerdem für die natürliche Selbstreinigungsfunktion der Flüsse. Warum wurden in Europas Flüssen so viele Barrieren gebaut? Martin Pusch: Die ältesten Querbauwerke stammen aus dem Mittelalter und dienten dazu, Mühlen zu betreiben, die ab dem 20. Jahrhundert oft in kleine Wasserkraftwerke umgebaut wurden. Viele andere Barrieren wurden gebaut, um die Auswirkungen von Flussbegradigungen zu kompensieren, die oft im Zuge landwirtschaftlicher Bodenverbesserungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Die Begradigung eines Baches oder Flusses führt ja wegen des erhöhten Gefälles unweigerlich zur Tiefenerosion, das heißt, das Sediment Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Müllbarriere © Helena Huđek; Porträt Pusch © David Ausserhofer; Porträt Huđek © privat Das EU-Forschungsvorhaben AMBER deckte 2020 auf, wie zerstückelt unsere Flüsse sind: 1,2 Millionen Querbauwerke zerschneiden Europas Fließgewässer, davon etwa 225.000 in Deutschland. Helena Huđek und Martin Pusch überprüften in 15 Ländern vor Ort, inwieweit behördliche Angaben mit der tatsächlichen Zahl an Barrieren übereinstimmen. Die Doktorandin und der sie betreuende Gewässerforscher berichten über den Zustand der Flüsse, und wie man sie wieder zum Fließen bringt. Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g wird vom fließenden Wasser mitgeführt. Dadurch wird das Fließgewässer tiefer, und Ufer und Brückenfundamente werden instabil. Um das zu vermeiden, verlegte man viele Sohlschwellen, brachte also weitere Barrieren in den Fluss. Welche aktuellen Entwicklungen sind besonders problematisch? Helena Huđek: Auf dem Balkan gab es 2015 noch 590 Wehre für kleine Wasserkraftwerke, inzwischen sind es über 1.300, die Zahl hat sich also binnen fünf Jahren mehr als verdoppelt. In den kommenden Jahren will man weitere 3.000 Wasserkraftwerke bauen. Die geplanten Wasserkraftwerke sind mit einer Kapazität bis zu zehn Megawatt meist klein, sie erzeugen also wenig Strom. Dennoch haben sie schlimme Auswirkungen, weil sie oft das gesamte Bachwasser über lange Kanäle zu den Turbinen leiten, so dass weite Fließstrecken komplett trocken fallen, mit verheerenden Auswirkungen für das Leben darin. Der Bau kleiner Kraftwerke wird leider durch staatliche Subventionen gefördert, übrigens auch in Deutschland. Frau Huđek, wie würden Sie insgesamt das Bild beschreiben, das Sie vorgefunden haben? Helena Huđek: Im Vergleich zu den Flüssen in Mitteleuropa gibt es auf dem Balkan noch mehr naturbelassene Flüsse, aber diese werden dort derzeit durch eine „Welle“ von Wasserkraftwerken sehr schnell zerstört. Wir haben gesehen, wie Flusswälder abgeholzt, natürliche Flussbetten begradigt, neue Barrieren gebaut, Flüsse kanalisiert wurden, wie Wasser verschmutzt und Müll in Flüssen abgelagert wurde, und standen vor ausgetrockneten Flussbetten. Diese Probleme verbreiten sich in der Balkanregion wie eine Krankheit, unberührte Flüsse verschwinden dort vor unseren Augen. Sie und Ihre Kolleg*innen schlagen vor, möglichst viele vor allem kleinere Querbauwerke rückzubauen. Wo lassen sich Barrieren am effektivsten entfernen? Martin Pusch: Viele Querbauwerke werden tatsächlich nicht mehr genutzt, so dass man diese systematisch zurückbauen könnte. Auch viele der etwa 72.000 Verrohrungen hierzulande könnte man relativ einfach durch größere Unterführungsprofile ersetzen oder die Bäche wieder ans Tageslicht holen. Solche Verrohrungen finden sich überall, wo Straßen über Bäche geführt werden oder die Bäche bei anderen Nutzungen störten. Sie schrecken durch ihre glatte Oberfläche Fische, aber auch andere Tiere wie den Fischotter ab. Wenn größere Querbauwerke abgerissen werden, ist es allerdings oft auch notwendig, frühere Flussbegradigungen wieder rückgängig zu machen. Somit steht dann eine komplette Renaturierung an, damit der Bach oder Fluss wieder länger und flacher wird. Dafür muss man Ufergelände Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei aufkaufen, das Gewässer verbreitern und in Kurven legen. Das bedeutendste Beispiel in Deutschland für eine solche Renaturierung ist die Lippe in NordrheinWestfalen, wo man mittlerweile auf langen Strecken wieder einen schönen Fischbestand und eine sehr interessante dynamische Flussaue vorfindet. Die Ergebnisse dieser Fluss-Bestandsaufnahme flossen direkt in die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 ein: Bis dahin sollen europaweit 25.000 Kilometer Flussläufe von Querbauwerken befreit werden. Ist das realistisch? Martin Pusch: Das Ziel ist ambitioniert, weil viele Flüsse dazu ja auch renaturiert werden müssen, aber unserer Einschätzung nach machbar! Wir haben für Europa bereits 27 Flüsse mit einer Gesamtlänge von 5.500 Kilometern identifiziert, wo sich Querbauwerke mit eher geringem Aufwand abreißen lassen. Über welche Kosten sprechen wir dabei? Martin Pusch: Die Renaturierung der genannten 27 Flüsse wird etwa 315 Mio. € kosten, was umgerechnet auf die Einwohnerzahl der EU einen Betrag von 70 Cent pro Bürger*in ergibt. Zum Vergleich: Die Landwirtschaft wird durch jede/n EU-Bürger*in mit etwa 100€ pro Jahr finanziell unterstützt. Dennoch erscheinen die Kosten für Flussrenaturierungen zunächst einmal hoch. In einem neuen EU-Projektantrag machen wir deswegen Vorschläge, wie man die Akzeptanz von Renaturierungsmaßnahmen bei der Bevölkerung erhöhen kann. Die Idee: den Leuten zu vermitteln, welche Vorteile sie davon haben, wenn „ihr“ Fluss für viel Geld renaturiert wird. Diese so genannten Ökosystemleistungen sind beispielsweise der Rückhalt von Hochwasserwellen, die Stabilisierung des Grundwasserstands in Trockenperioden, bessere Selbstreinigung und ein größerer Erholungswert beim Spazierengehen, Angeln oder Baden. Ein Positivbeispiel: ein renaturierter Abschnitt des Flusses Ruhr in Arnsberg (NRW) hat sich zu einem beliebten Fotohintergrund für frisch vermählte Paare entwickelt! Das Gespräch führte Wiebke Peters. PD Dr. Martin Pusch, pusch@igb-berlin.de Helena Huđek, hudek@igb-berlin.de Belletti, B., et al. (2020). More than one million barriers fragment Europe’s rivers. Nature, 588, 436–441. https://doi.org/10.1038/s41586-020-3005-2 Projekt: Adaptive Management of Barriers in European Rivers (AMBER), Laufzeit: 06/2016-09/2020, Gefördert durch: EU Horizon 2020 11 Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Weltweit werden Wildtiere durch Viehzucht verdrängt, so zum Beispiel Flusspferde durch Rinderherden in Kenia. | Foto: Frank Masese/ Clara Romero González-Quijano Alles Mist? In Savannen gelangen über den Dung großer Weidegänger – wie zum Beispiel Flusspferde – terrestrische Nährstoffe und organischer Kohlenstoff in Gewässer. Werden Flusspferde von großen Rinderherden verdrängt, verändert sich die Art und Menge dieses eingetragenen Dungs. Wie ein Team vom IGB und der Universitäten Innsbruck (Österreich) und Eldoret (Kenia) herausfand, hat das Konsequenzen für die Ökosystemfunktionen in Flüssen. Zwar bringt ein einzelnes Rind weniger Dung ins Gewässer als ein Flusspferd, viele Rinder erhöhen jedoch den Einfluss dieser Tiergruppe. Experimente am Mara-Fluss in Kenia zeigten außerdem: Mit dem Rinderdung gelangen mehr Nährstoffe ins Gewässer, was zu mehr Algenwachstum führt. Der Eintrag von Flusspferden dient eher dem Wachstum von Bakterien und fördert Algen nur indirekt und zeitverzögert. Prof. Dr. Gabriel A. Singer, gabriel.singer@igb-berlin.de Clara Romero González-Quijano, romero@igb-berlin.de Masese, F. O., et al. (2020). Hippopotamus are distinct from domestic livestock in their resource subsidies to and effects on aquatic ecosystems. Proceedings of the Royal Society of London: Ser. B, Biological Sciences, 287(1926), Article 20193000. https://doi.org/10.1098/rspb.2019.3000 Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Erneuerbare Energien und Barrieren gefährden Fischvielfalt Wasserkraftanlagen, Staudämme und Wehre zerstückeln aquatische Lebensräume. Wie sich das auf die dort lebenden und wandernden Fische auswirkt, haben IGB-Forschende in mehreren Vorhaben untersucht. Die zentralen Ergebnisse: Insbesondere kleine Wasserkraftanlagen sind ökologisch problematisch und wären oft unrentabel, würden sie mit dem notwendigen Fischschutz ausgerüstet. Wehre und Staudämme tragen dazu bei, dass einheimische Fischarten zurückgehen und invasive Fischarten sich leichter ausbreiten, wie eine Untersuchung im Ebro in Spanien zeigt. Forschende unter Leitung des IGB entwickelten ein Verfahren für die Bewertung der Fischsterblichkeit an Wasserkraftanlagen und den Europäischen Fischgefährdungsindex (European Fish Hazard Index, EFHI). Beides hilft, die Risiken von Wasserkraftwerken einzuordnen. Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare Energiequelle, aber nicht unbedingt umweltfreundlich: Wasserkraftanlagen haben starke Auswirkungen auf die Fluss-Ökosysteme, in denen sie errichtet werden. Insbesondere der Turbinenbetrieb ist eine Gefahr für viele Fischarten. In Planungs- und Genehmigungsverfahren birgt diese Sterblichkeit Konfliktpotenzial, denn bislang gab es keine standardisierten objektiven Verfahren, um Mortalitätsrisiken zu bewerten. Gefahr Turbine: Neuer Index bewertet Sterberisiko für Fische Das Team von Christian Wolter hat im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz einen Bewertungsindex zum Sterberisiko von Fischen durch Wasserkraftanlagen entwickelt. Im ersten Schritt definierten die Forschenden das allgemeine Sterberisiko für alle im Süßwasser vorkommenden, einheimischen Fisch- und Neunaugenarten, im zweiten Schritt bewertete das Team, wie groß das Tötungsrisiko verschiedener Fischarten je nach Art der Wasserkraftanlage ist. Bei der Turbinenpassage nimmt etwa die Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Verletzung abwandernder Fischarten mit der Körpergröße zu. Mortalitätsraten sind aber auch abhängig vom Turbinentyp oder der Fallhöhe. 14  Das Tötungsrisiko an Wasserkraftanlagen kann gemäß der Studie nur dann verringert werden, wenn ein effektiver Fischschutz installiert ist. Dazu gehören beispielsweise mechanische Barrieren (z.B. Rechen) und Fischaufstiegs- und -abstiegshilfen, deren Funktionalität zudem geprüft und laufend sichergestellt werden muss. Das lohnt oft nicht bei kleinen Wasserkraftanlagen mit einer installierten Leistung von weniger als einem Megawatt, von denen es in Deutschland rund 7.000 gibt. Mit etwa 14 Prozent des Gesamtstroms aus Wasserkraft, der etwa drei Prozent der gesamten Stromproduktion ausmacht, ist ihr Beitrag zur Energiewende gering. Die von den Anlagen verursachten Schäden in Gewässerökosystemen und an den Fischbeständen sind aber vergleichsweise hoch. Im Rahmen eines internationalen, EU-geförderten Vorhabens (FIThydro, Koordination TU München) wurde, ebenfalls unter Federführung des Teams von Christian Wolter, ein Index entwickelt, der dabei hilft, die Umweltauswirkungen einzelner Wasserkraftanlagen objektiv zu prüfen. Eine solche Bewertungshilfe ist dringend nötig: Bald muss ein beträchtlicher Teil aller Wasserkraftwerke weltweit umgerüstet oder modernisiert werden, denn etwa 65 Prozent der Kleinwasserkraftwerke in Westeuropa und 50 Prozent in Osteuropa sind über 40 Jahre alt. Jahresforschungsbericht 2020 Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g sächlich können sich gebietsfremde Fische durch die veränderten Strömungs- und Lebensraumbedingungen, die sich durch das Aufstauen von Flüssen ergeben, sogar leichter ansiedeln. Fischgemeinschaften in stark fragmentierten und vom Klimawandel betroffenen Flüssen sind besonders vom Artenverlust bedroht. Dr. Christian Wolter, wolter@igb-berlin.de Dr. Johannes Radinger, jradinger@igb-berlin.de Ruben van Treeck, van.treeck@igb-berlin.de Van Treeck, R., et al. (2021). The European Fish Hazard Index – An assessment tool for screening hazard of hydropower plants for fish. Sustainable Energy Technologies and Assessments, 43, Article 100903. https://doi.org/10.1016/j.seta.2020.100903 Das BFN-Skript zum Bewertungsindex lesen Sie unter Fotos: Staudamm Santa Ana (l.) © Manuel Portero; Damm Chile © FranciscoKemeny/Unsplash p www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/ Skript561.pdf Der Europäische Fischgefährdungsindex (European Fish Hazard Index, EFHI) lässt sich für verschiedenste Anlagentypen anwenden und macht es möglich, das Sterberisiko von 168 in europäischen Gewässern beheimateten Fischarten zu beurteilen. Der EFHI unterstützt die Planung von Schutzmaßnahmen, indem er deren Auswirkungen in einem Gefährdungsscore abbildet. Dabei berücksichtigt der Index vor Ort relevante Gewässer- oder Fischschutzziele und geltende europäische Regelwerke. Die Forschenden hoffen, dass eine weitverbreitete Anwendung des EFHI potenziell gravierende negative Auswirkungen der Wasserkraft systematisch aufdeckt und somit die Bemühungen, Europas Flüsse zu schützen, effektiv unterstützen kann. Ohne Ausweg: Dämme verschärfen die Folgen des Klimawandels Ein weiteres Vorhaben unter IGB-Beteiligung beschäftigt sich mit der Frage, welche Folgen Barrieren in Form von Staudämmen und Wehren für Fische haben: Die daraus resultierende Fragmentierung führt dazu, dass einheimische Fische entlang eines Flusses oft keine neuen Lebensräume besiedeln können, auch wenn die Auswirkungen des Klimawandels wie Veränderungen der Wassertemperatur und -qualität sie dazu treiben. Wie sich Lebensräume von einheimischen und gebietsfremden Fischarten unter verschiedenen Klimaszenarien verändern und welche Rolle Staudämme dabei spielen, haben IGB-Forschende gemeinsam mit einem Team der Universität Girona am Beispiel des Flusses Ebro im Nordosten Spaniens untersucht. Dort sind die Fische besonders von den Auswirkungen des Klimawandels und der Invasion gebietsfremder Fischarten betroffen. Zudem ist der Ebro durch 300 große Staudämme und viele kleine Querbauwerke unterbrochen. Johannes Radinger, Hauptautor der Studie, und das Projektteam fanden heraus, dass Staudämme oft nicht die Ausbreitung invasiver Arten wie Moskitofisch, Wels und Karpfen verhindern. Tat- Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Van Treeck, R., et al. (2020). Fish species sensitivity classification for environmental impact assessment, conservation and restoration planning. Science of the Total Environment, 708, Article 135173. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2019.135173 Radinger, J., et al. (2020). The role of connectivity in the interplay between climate change and the spread of alien fish in a large Mediterranean river. Global Change Biology, 26(11), 6383-6398. https://doi.org/10.1111/gcb.15320 Projekt: FIThydro – Fischfreundliche innovative Technologien für Wasserkraft, Laufzeit: 11/2016-03/2021, Gefördert duch: EU Horizon 2020 Fallbeispiel: Fische im Anden-Amazonas Klimawandel und physische Barrieren wie Dämme bedrohen auch Fische des in den Anden liegenden Teils des Amazonasgebietes. Das zeigt eine Studie, bei der IGB-Forschende Artverbreitungsmodelle mit funktionalen Merkmalen von Fischen des Anden-Amazonas kombinierten und dies mit Staudammstandorten und Klimaprojektionen koppelten. Das Team konnte zeigen, dass der Klimawandel für die meisten Fischarten des Anden-Amazonas zu einer Verkleinerung des Verbreitungsgebiets führen wird. Dass Staudämme zukünftige Arealverschiebungen für die meisten Arten stark einschränken werden, sagte das Modell jedoch nicht aus. Einige dieser Barrieren dürften jedoch für viele Arten die Ausbreitung flussaufwärts verhindern. Langfristig führt die Fragmentierung der Flüsse zusammen mit dem Klimawandel zu einer beträchtlichen Abnahme der Wahrscheinlichkeit, dass Arten dauerhaft überleben. Dr. Johannes Radinger, jradinger@igb-berlin.de Herrera-R, G. A., et al. (2020). The combined effects of climate change and river fragmentation on the distribution of Andean Amazon fishes. Global Change Biology, 26(10), 5509-5523. https://doi.org/10.1111/gcb.15285 15 Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Schont die Alten! Entnahmefenster schützen Fischbestände IGB Policy Brief IGB Policy Brief: Ausbaupläne an der Oder Die Oder ist einer der letzten großen, relativ naturnahen Flüsse Europas. Noch, denn die Regierung der Republik Polen plant den Ausbau des Flusses – und auch Deutschland hat sich in einem beidseitigen Abkommen dazu verpflichtet. In einem Policy Brief machen die IGB-Experten Christian Wolter und Jörn Geßner darauf aufmerksam, dass die Maßnahmen wertvolle Lebensräume vieler seltener und vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich zerstören werden. Die Planungen verstoßen nach Meinung der Forscher in mehrfacher Hinsicht gegen geltendes EU-Recht und gefährden neben der Umwelt auch die Landwirtschaft beidseitig der Oder. Die vorgebrachten Argumente für den Ausbau seien inhaltlich nicht belastbar. Die Forscher plädieren daher dafür, Auen-Retentionsflächen an der Oder zu erhalten und auszuweiten. Und sie empfehlen dringend, politische Schritte gegen das Ausbauvorhaben und für den Erhalt der Oder als ökologisches Vorranggebiet einzuleiten. Den IGB Policy Brief können Sie kostenfrei herunterladen p https://bit.ly/IGBPolicyBrief_Oder-Ausbau 16  Mit Fischereibiologen der Universitäten in Florida und Vancouver untersuchte Robert Arlinghaus die optimalen Fangbestimmungen für eine große Bandbreite an Fischarten. Sie verglichen die Wirkung klassischer Mindestmaße mit einer selteneren Bewirtschaftungsmethode: dem Entnahmefenster, bei dem nur mittelgroße Fische entnommen werden. Die Forschenden fanden heraus: Das Entnahmefenster stabilisiert die Bestandsdynamik ohne relevante Einbußen bei den Erträgen und steigert die Durchschnittsgröße im Fang. Entnahmefenster sind vor allem dann dem klassischen Mindestmaß überlegen, wenn intensiv genutzte Bestände von Berufs- und Angelfischerei gemeinsam befischt werden. Große Laichfische sollten in einer Population nicht fehlen, denn ein einzelnes besonders großes Weibchen kann die Eizahl vieler kleiner Fische kompensieren. Außerdem vermehren sich verschieden große und alte Fische zu unterschiedlichen Zeiten und häufig auch an unterschiedlichen Orten. Wenn Umweltereignisse die Brut vernichten, kann eine altersgemischte Population trotzdem eine Nachkommenschaft sicherstellen und so zu stabileren Populationen beitragen. Zudem haben Alt und Jung unterschiedliche Standplätze, Zugrouten und Speisepläne, und junge Fische lernen von den erfahrenen Leittieren.  Prof. Dr. Robert Arlinghaus, arlinghaus@igb-berlin.de Projekt: BODDENHECHT, Laufzeit 01/2019-06/2023, Gefördert durch: EU und Land Mecklenburg-Vorpommern Ahrens, R. N. M., et al. (2020). Saving large fish through harvest slots outperforms the classical minimum-length limit when the aim is to achieve multiple harvest and catch-related fisheries objectives. Fish and Fisheries, 21(3), 483-510. https://doi.org/10.1111/faf.12442 Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Oder © Harald Schulz; Hecht © Philipp Czapla Ausbaupläne an der Oder – Gefahren für Natur und nachhaltige Nutzung Maßnahmen gegen Überfischung schonen mit dem „Mindestmaß“ bislang die jungen Fische. Ein Forscherteam um Robert Arlinghaus empfiehlt jedoch, neben dem Nachwuchs auch die besonders großen, älteren Exemplare am Leben zu lassen. Diese Art der Bewirtschaftung erzielt gute Kompromisse zwischen den Ansprüchen von Berufs- und Angelfischerei und der natürlichen Vermehrungsfähigkeit der Fischbestände. Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g Aquakultur: Fischkrankheiten umweltfreundlich behandeln Sie ist gefürchtet: die Samtkrankheit. Die Infektion wird durch Dinoflagellaten der Gattungen Amyloodinium und Piscinoodinium verursacht und befällt Zier- und Speisefische im Süß- und Meerwasser. In Aquarien und Aquakultur sorgt sie immer wieder für erhebliche Sterberaten und daher finanzielle Verluste. Thora Lieke hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit Risiken und Vorteile aktueller Behandlungsmöglichkeiten und neuer Ansätze kombiniert. Ihr Artikel wurde als „Top Downloaded Paper“ ausgezeichnet. Fotos: Siamesischer Kampffisch © Bernard Ladenthin, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons; Cover Policy Brief © IGB Hüllen sich Fische in Samt, ist das ein Alarmsignal. Dann handelt es sich oft um die parasitäre Samtkrankheit. Sie ist hoch infektiös und endet, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird, tödlich. Traditionell standen Therapeutika zur Verfügung, die Kupfer, Malachitgrün oder Methylenblau enthalten. Deren Rückstände gelangen aber in die Umwelt und sind für andere Organismen hoch toxisch. Mehrere europäische Länder haben diese Chemikalien deshalb für den Einsatz in der Aquakultur verboten; für die kommerzielle Zierfischhaltung werden ebenfalls Verbote erwartet. Deshalb wird intensiv nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten gesucht, auch gegen andere Erreger. In der Fachzeitschrift Reviews in Aquaculture geben Thora Lieke und Kolleg*innen einen Überblick zu althergebrachten und neuen Mitteln gegen verschiedene parasitäre Erkrankungen. Sie raten, sich bei der umweltfreundlichen Behandlung von Fischkrankheiten auf zwei Aspekte zu konzentrieren: Parasiten mit rückstandsfreien oder natürlich vorkommenden Substanzen zu behandeln sowie das Immunsystem der Fische zu stärken. Zu den rückstandsfreien, sogenannten „alternativen“ Therapeutika gehören Wasserstoffperoxid und Per­ Warmwasserfische wie hier der Siamesische Kampffisch (Betta splendens) sind häufiger bedroht, denn die Reproduktion der Krankheits­ erreger verläuft bei höheren Temperaturen schneller. essigsäure. Sie haben sich als wirksam gegen eine Vielzahl von aquatischen Krankheitserregern erwiesen, auch bei der Behandlung der Samtkrankheit. Jedoch können sie das Stressniveau der infizierten Fische zusätzlich erhöhen. In zahlreichen Studien wird daher der Einsatz natürlicher Futterzusätze wie Vitamine, Pflanzenextrakte und Prä- und Probiotika untersucht. Diese aktivieren das Immunsystem und steigern das Wohlbefinden der Tiere. Dadurch verringert sich deren Anfälligkeit gegenüber Krankheiten. Auch Huminstoffe sind als Immunstimulanzien bekannt und Gegenstand weltweiter Forschungen. Als natürlicher Teil aquatischer Ökosysteme können sie über die Kiemen aufgenommen werden, wie Thora Lieke und Kolleg*innen in einer weiteren Studie nachgewiesen haben.  Thora Lieke, lieke@igb-berlin.de Dr. Thomas Meinelt, meinelt@igb-berlin.de Projekt: Entwicklung von Produkten auf Basis von Huminstoffen zur Steigerung der Resistenz gegen Stress und Infektionen in der Aquakultur, Laufzeit: 08/2017-01/2020, Gefördert durch: AiF Projekt GmbH, BMWi Lieke, T., et al. (2020). Sustainable aquaculture requires environmental-friendly treatment strategies for fish diseases. Reviews in Aquaculture, 12(2), 943-965. https://doi.org/10.1111/raq.12365 Lieke, T., et al. (2021). Phenol-rich fulvic acid as a water additiIGB Policy Brief: ve enhances growth, reduces stress, and stimulates Hat die Nachhaltige Aquakultur in Deutschland eine Zukunft? the immune system of fish in aquaculture. Die Aquakultur gilt als der am schnellsten wachsende Zweig der Lebensmittelproduktion weltweit – in Deutschland fristet sie ein Nischendasein. Unter 3 Prozent des Fischkonsums werden zurzeit durch heimische Aquakultur abgedeckt. Dabei könnte das Potenzial für eine stärkere Eigenversorgung und für den Export von Fisch mit nachhaltigen Verfahren entwickelt werden, statt den Nutzungsdruck auf aquatische Ökosysteme und mögliche Umweltfolgen ins Ausland zu verlagern. Verbraucher*innen kennen Fisch oftmals nur als verarbeitetes und verzehrfertiges Produkt im Warenregal, das in den meisten Fällen importiert wurde. Häufig findet die Aquakultur-Produktion im Ausland unter geringeren Sozial- oder Umweltstandards statt. Das ließe sich ändern, sagen die IGB-Forscher Fabian Schäfer und Werner Kloas. Deutschland verfüge bezüglich Wasser, Fläche, Technik, Know-how und Kaufkraft prinzipiell über genügend Ressourcen, um die eigene Produktion von Speisefischarten für den Binnen- und Exportmarkt Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei mit nachhaltigen Verfahren deutlich zu erhöhen. Im einem IGB Policy Brief zeigen die Autoren das Potenzial landbasierter (teil-) geschlossener Kreislaufanlagen (KLA) auf und regen eine gesellschaftliche Diskussion an. Ohne eine höhere Zahlungsbereitschaft von Handel und Konsument*innen wird sich diese Form der Aquakultur voraussichtlich nicht flächendeckend in Deutschland durchsetzen können, denn nachhaltiger Fisch hat seinen Preis. Der IGB Policy Brief steht kostenlos als Download zur Verfügung p https://bit.ly/IGBPolicyBriefNachhaltigeAquakultur  Dr. Fabian Schäfer, schaefer@igb-berlin.de Prof. Dr. Werner Kloas, werner.kloas@igb-berlin.de 17 Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Mehr Sterne durch Corona? Schlafen Stadt-Fische schlechter? Als Maßnahme gegen COVID-19 wurde das öffentliche Leben im März 2020 zum ersten Mal stark eingeschränkt. Hat sich dadurch auch die Lichtverschmutzung verändert – die Aufhellung des Nachthimmels durch zu viel künstliches Licht? Das Hormon Melatonin taktet unsere innere Uhr. Dank eines hohen Melatoninspiegels werden Menschen abends müde. Auch bei Tieren ist es wichtig für den Biorhythmus. Künstliches Licht bei Nacht kann die Bildung von Melatonin bei Fischen schon bei sehr niedrigen Lichtintensitäten unterdrücken, fanden Forschende des IGB heraus. Diese Frage stellten sich die IGB-Wissenschaftler Andreas Jechow und Franz Hölker und analysierten den Skyglow (Lichtglocke) in der Region Berlin. Dazu verglichen die Forscher Daten der Himmelshelligkeit vom März 2017 mit denen vom März 2020, jeweils unter den fast identischen Verhältnissen einer mondlosen, klaren Nacht. Unter normalen Bedingungen – ohne Corona – hätte der Nachthimmel über der Stadt heller werden müssen. Wie LangzeitSatellitendaten belegen, nimmt hier die künstliche Beleuchtung wie nahezu überall auf der Welt zu. Doch das Gegenteil war der Fall: Der Skyglow über Berlin verringerte sich um 20 Prozent im Stadtzentrum und sogar um mehr als 50 Prozent in etwa 60 Kilometern Entfernung. Trotz erhöhter Lichtemissionen direkt nach oben wurde in der Atmosphäre weniger Licht nach unten zurück gestreut. Als Ursache vermuten die Forscher die verbesserte Luftqualität durch weniger Flug- und Staßenverkehr. Ihre These wird durch statistische Daten und detaillierte Satellitenbildanalysen gestützt. Andere mögliche Ursachen sind Veränderungen in der privaten Beleuchtung und reduziertes horizontales Licht durch weniger Autoverkehr. Luftverschmutzung scheint bei der Aufhellung des Nachthimmels eine größere Rolle zu spielen als bislang vermutet. Das macht sie zu einem wichtigen Faktor, will man Lichtverschmutzung besser verstehen und eindämmen. Dr. Andreas Jechow, jechow@igb-berlin.de PD Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de Jechow, A., et al. (2020). Evidence that reduced air and road traffic decreased artificial night-time skyglow during COVID-19 lockdown in Berlin, Germany. Remote Sensing, Article 3412. https://doi.org/10.3390/rs12203412 Was sind Lichtglocken? Lichtglocken entstehen, wenn nachts künstliches Licht in den Himmel strahlt und durch Wolken und Partikel in der Atmosphäre zur Erde zurück gestreut wird. Sie bilden sich vor allem über und um urbane Bereiche. Von dieser Art der Lichtverschmutzung sind weltweit große Areale betroffen, denn Lichtglocken sind noch aus vielen Kilometern Entfernung zu sehen. Sie schränken astronomische Beobachtungen ein und wirken sich negativ auf den Tag-Nacht-Rhythmus von Tieren und Menschen aus. Wie hell ist 1 Lux? 18  Lichtglocken wie hier über Berlin entstehen, wenn nachts zu viel künstliches Licht in den Himmel strahlt. In einer sternenklaren Nacht liegt die Beleuchtungsstärke bei weniger als 0,001 Lux. In einer Vollmondnacht erreicht sie ein Maximum von 0,3 Lux. Die Lichtglocke einer Stadt kann Beleuchtungsstärken bis zu 1 Lux und mehr, eine Straßenbeleuchtung sogar bis zu 150 Lux erreichen. Fische „verschlafen“ einen Großteil ihres Lebens, man sieht es nur nicht, denn sie haben keine Augenlider. Wie auch bei anderen Lebewesen dient ihnen der Schlaf zur Regeneration. Doch was passiert, wenn Fische nachts zu viel künstlichem Licht ausgesetzt sind? Um das herauszufinden, untersuchte das Forschungsteam die Melatoninbildung von Europäischen Flussbarschen. Tagsüber herrschte für alle Tiere Tageslicht, nachts variierte die Beleuchtung je nach Gruppe: Die Kontrollgruppe verbrachte die Nacht in vollkommener Dunkelheit, die anderen drei Gruppen waren Lichtintensitäten von 0,01, 0,1 oder 1 Lux ausgesetzt. Nach zehn Tagen bestimmten die Forschenden die Melatoninkonzentrationen im Abstand von drei Stunden über 24 Stunden hinweg. Das Ergebnis: Schon die geringste Beleuchtungsintensität von 0,01 Lux verringerte die Melatoninbildung, bei den höheren Beleuchtungsintensitäten reduzierte sich Melatonin stufenweise immer stärker. Die Intensitäten von Skyglow reichen also aus, die Melatoninbildung bei Fischen zu unterdrücken. Ob Stadt-Fische deshalb unter einem Schlafdefizit leiden, kann mit dieser Methode nicht bewertet werden. Bekannt ist allerdings, dass Melatonin ein wichtiger Einflussfaktor für den Schlaf von Fischen ist, und dass andere Körperfunktionen wie die Immunabwehr, das Wachstum und die Fortpflanzung durch eine veränderte Melatoninbildung beeinflusst werden können.  PD Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de Prof. Dr. Werner Kloas, werner.kloas@igb-berlin.de Projekt: ILES – Seeökosysteme erleuchten, Laufzeit: 07/2015-06/2018, Gefördert durch: Leibniz-Wettbewerb 2015 Kupprat, F., et al. (2020). Can skyglow reduce nocturnal melatonin concentrations in Eurasian perch? Environmental Pollution, 226, Article 114324. https:// doi.org/10.1016/j.envpol.2020.114324 Jahresforschungsbericht 2020 Foto: Andreas Jechow Lichtverschmutzung Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g Biodiversität Ursachen und Effekte aquatischer Vielfalt verstehen Binnengewässer beherbergen eine einzigartige Vielfalt an ­Lebewesen, die komplexe Gemeinschaften bilden. Doch sie sind bedroht: Gene, P­opulationen, ganze Arten und Lebensräume verschwinden im ­Süßwasser deutlich schneller als an Land oder im Meer. Dieser ­Verlust gefährdet auch das menschliche Wohlergehen und bleibt dennoch zu häufig unbemerkt. Um die biologische Vielfalt zu schützen und zu erhalten, entschlüsseln IGB-Wissenschaftler*innen die Rätsel und ­Anpassungsstrategien unterschiedlichster Süßwasserorganismen – vom aquatischen Bakterium Achromatium oxaliferum über den Stör bis hin zu ganzen Fischschwärmen. Sie erkunden, was deren Vielfalt fördert oder gefährdet; wie es etwa invasiven Arten gelingt, sich zu etablieren oder wie sich die Corona-Pandemie auf die globalen Fischbestände ­auswirkt. Geschlechtsbestimmung beim Stör p Seite 20 Besserer Schutz für die Biodiversität p Seite 21 Invasive Arten mit Charisma Foto: Solvin Zankl p Seite 22 Anpassungsgenie Achromatium oxaliferum p Seite 22 Kollektives Verhalten im Schwarm Fischbestände im Lockdown p Seite 26 p Seite 23 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 19 Fo r s c h u n g | Biodiversität Genetischer Geschlechtsmarker bei Stören entdeckt Ob Männchen oder Weibchen – das könnte sich beim Sterlet (Acipenser ruthenus) künftig einfacher bestimmen lassen. Forschende haben im Rahmen des internationalen Projekts STURGEoNOMICS unter Leitung des IGB ­einen molekularen Marker zur Geschlechtsidentifizierung bei Stören entdeckt. Dies ist ein wissenschaftlicher Durchbruch für die Evolutionsbiologie, den Artenschutz und die kaviarproduzierende Aquakultur. Der genetische Nachweis charakterisiert das älteste bekannte System genetischer Geschlechtsbestimmung bei Wirbeltieren mit ­mikroskopisch nicht unterscheidbaren Geschlechtschromosomen. Die kurze geschlechtsspezifische DNA-Sequenz wurde bei mehreren Störarten nachgewiesen und geht auf einen gemeinsamen Stör-Vorfahren vor 180 Millionen ­Jahren zurück. Bislang wird das Geschlecht der Störe per Ultraschalldiagnostik oder durch Biopsien identifiziert. Mit Hilfe des entwickelten Markers reicht künftig ein Hautabstrich mit einem Wattestäbchen, um anhand der DNA Weibchen von ­Männchen zu unterscheiden. Ein solcher Test ist zuverlässiger und einfacher durchzuführen als die bisher verwendeten Methoden. Wichtiger Fortschritt für Artenschutz und Aquakultur Viele Störarten sind stark gefährdet. Für den Artenschutz ist der Marker ein gutes Instrument, um das Geschlecht von Zuchttieren für Wiederansiedlungsprogramme zu bestimmen. Fische, die nicht für den Aufbau von Laichbeständen ausgewählt werden, könnten dann ausgewildert werden. In der Aquakultur könnte die Methode künftig der Früherkennung von Fischen dienen, die für die Aufzucht genutzt werden sollen. Das ermöglicht eine Spezialisierung der Produktion auf Kaviar mit den weiblichen und auf Fleisch mit den männlichen Tieren. Der Test sollte jedoch keinesfalls zum „Verwerfen“ männlicher Störe führen, wie die Forschenden explizit betonen. 20  Rätsel um Geschlechtsevolution beim Stör Heute gibt es 27 Stör- und Löffelstör-Arten, die sich vor etwa 330 Millionen Jahren von der Linie der 31.000 lebenden Knochenfische abgespalten haben, wie eine weitere unter Beteiligung des IGB entstandene Veröffentlichung des ersten Störgenoms ergab. Anders als bei vielen anderen Wirbeltieren war die Evolution der Störe durch erstaunlich geringe Veränderungen im Erbgut und im „Bauplan“ geprägt. Die Konservierung der weibchenspezifischen Sequenz über 180 Millionen Jahre der Störevolution und trotz ­Polyploidisierung – einer Vervielfachung der Chromosomen in der Familie der Störe – wirft viele interessante biologische Fragen auf: Wie konnte der Geschlechtslokus diese Verdopplung des gesamten Erbgutes überstehen? Warum wurde bei Stören die genetische Geschlechtsbestimmung anscheinend konserviert, während viele Fischarten vielfach wechselnde Geschlechtsbestimmungssysteme evolviert haben? Dr. Heiner Kuhl, kuhl@igb-berlin.de PD Dr. Matthias Stöck, matthias.stoeck@igb-berlin.de Dr. Jörn Geßner, sturgeon@igb-berlin.de Projekt: STURGEoNOMICS, Laufzeit: 09/2017-12/2020, Gefördert durch: COFASP/ERA-NET Kuhl, H., et al. (2020). A 180 My-old female-specific genome region in sturgeon reveals the oldest known vertebrate sex determining system with undifferentiated sex chromosomes. bioRxiv. https:// doi.org/10.1101/2020.10.10.334367 Du, K., et al. (2020). The sterlet sturgeon genome sequence and the mechanisms of segmental rediploidization. Nature Ecology & Evolution, 4(6), 841-852. https://doi.org/10.1038/s41559-020-1166-x Jahresforschungsbericht 2020 Foto: Stör © Andreas Hartl Jahrzehntelang wurde international nach geschlechtsgebundenen genetischen Markern bei Stören gesucht, denn an äußeren Merkmalen lässt sich das Geschlecht der Tiere nicht ablesen. Wie bei vielen Fischen und Amphibien unterscheiden sich ihre Geschlechtschromosomen nur auf der DNA-Ebene. Dem Genomiker Heiner Kuhl und dem Evolutionsbiologen Matthias Stöck ist die Entdeckung einer winzigen, nur bei Störweibchen vorhandenen genetischen Region gelungen. Mit der Entdeckung dieses genetischen Elements wiesen die Forschenden gleichzeitig das älteste bekannte geschlechtsbestimmende System mit undifferenzierten Geschlechtschromosomen bei Wirbeltieren nach – es ist rund 180 Millionen Jahre alt. Biodiversität | Fo r s c h u n g Die Biodiversität in Binnengewässern besser schützen Weltweit geht die biologische Vielfalt in alarmierendem Ausmaß zurück. Die UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) hat im September 2020 in ihrem Bericht dargelegt, dass keines ihrer 20 Ziele für die Zeit von 2011 bis 2020 erfüllt wurde. Ein Folgeabkommen ist in Arbeit. Auch die Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union wird aktuell neu ausgearbeitet. Für beide internationalen Regelwerke haben IGB-Forschende gemeinsam mit anderen Biodiversitätsexpert*innen Empfehlungen entwickelt, um die Artenvielfalt insbesondere in Binnengewässern besser zu schützen. Eine der beiden Studien, erschienen in Science, skizziert wissenschaftliche Empfehlungen für die Neugestaltung der Ziele der UNKonvention. Die mehr als 60 Forschenden aus 26 Ländern schlagen vor, drei Punkte bei der Festlegung der neuen Biodiversitätsziele zu berücksichtigen: So sollte kein Ziel ausgegeben werden, das sich nur auf eine einzige Facette stützt. Gene, Arten, Ökosysteme und die ökosystemaren Leistungen für den Menschen erfordern gleich mehrere, unterschiedliche Ziele. Da in der Natur sämtliche biologische und ökologische Prozesse eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen, müssten diese Ziele zudem miteinander verwoben und ganzheitlich umgesetzt werden. Der dritte Punkt: Die einzelnen Ziele sollten äußerst ambitioniert angesetzt werden. Nur dann ergibt sich eine realistische Chance, den rasant voranschreitenden Biodiversitätsrückgang bis 2050 aufzuhalten. „Die Biodiversität ist multidimensional. Die verschiedenen Dimensionen und Ebenen müssen synergetisch ausgerichtet werden, um unser Ziel der Erhaltung der biologischen Vielfalt zu erreichen. Wir sind zum Scheitern verurteilt, wenn wir diese Multidimensionalität nicht berücksichtigen“, fasst IGB-Direktor Luc De Meester zusammen. Foto: Moorfrosch © Solvin Zankl In einem weiteren Papier formuliert ein internationales Team unter Federführung des IGB 14 Empfehlungen für politische Folgeabkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt in und an Binnengewässern. Die Empfehlungen für den weltweiten Schutz der Süßwasser-Biodiversität basieren auf aktuellem Forschungswissen und Praxiserfahrungen und richten sich an die europäische Politik und Verwaltung. „Politische Strategien und Entscheidungen müssen viel stärker die einzigartige Ökologie von Süßwasserleben und deren vielfältigen Bedrohungen berücksichtigen. Populationen von Süßwasserwirbeltieren sind im Vergleich mit Meeresoder Landwirbeltieren zwischen 1970 und 2016 am dramatischsten zurückgegangen, um 84 Prozent. Unsere Empfehlungen können helfen, die politischen Rahmenbedingungen für den Schutz der aquatischen Biodiversität zu verbessern“, betont Sonja Jähnig, die die Studie geleitet hat. Eine zentrale Empfehlung der Autor*innen lautet, Binnengewässer neben dem Land und dem Meer als eigenen ökologischen „dritten Bereich“ mit besonderen Mana­ge­ mentanforderungen in zukünftigen Biodiversitätsabkommen zu berücksichtigen. Süßwasser-Monitoringprogramme sollten auf nationaler und internationaler Ebene ausgebaut, koordiniert und besser finanziert werden. Des Weiteren empfehlen die Biodiversitätsexpert*innen, hydrologische und biologische Daten zu Binnengewässern nach den FAIR-Prinzipien (auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar) zu verwalten, um Zugang zu ihnen und ihre Nutzung zu erleichtern. Auch Monitoring und Management invasiver Süßwasserarten müssen nach Ansicht der Forschenden verbessert werden. Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de Prof. Dr. Sonja Jähnig, sonja.jaehnig@igb-berlin.de Díaz, S., et al. (2020). Set ambitious goals for biodiversity and sustainability. Science, 370(6515), 411-413. https://doi.org/10.1126/science.abe1530 Van Rees, C. B., et al. Safeguarding freshwater life beyond 2020: Recommendations for the new global biodiversity framework from the European experience. Conservation Letters, Article e12771. https://doi.org/10.1111/conl.12771 Der Moorfrosch (Rana arvalis) ist in Deutschland nur selten anzutreffen und aktuell als gefährdet eingestuft. Besonders der Verlust an Lebensräumen wie Flussauen, Bruch- und Auwälder oder feuchtes Grünland durch großräumige Trockenlegung bedroht diese Art. Geschützt oder wiederhergestellt, bieten solche Feuchtgebiete nicht nur viele Vorteile für die Biodiversität, sondern beeinflussen auch positiv die Kohlenstoffspeicherung als Maßnahme gegen den Klimawandel. Fo r s c h u n g | Biodiversität Invasive Arten mit Charisma haben’s leichter Bilder der fluoreszierenden in-situ Hybridisierung einer eingefärbten Achromatium oxaliferum Zelle. Das größte Süßwasserbakterium, Achromatium oxaliferum, ist außerordentlich flexibel in seinen Ansprüchen: Es lebt an Orten mit extrem unterschiedlichen Lebensbedingungen. Die Anpassung gelingt vermutlich durch einen für Bakterien einzigartigen Vorgang: Relevante Gene werden in den Genomen angereichert und abgelesen, die anderen bleiben für alle Fälle in Zellkammern archiviert. Achromatium ist in vielerlei Hinsicht besonders: Es ist 30.000 Mal größer als andere im Wasser lebende Bakterien und dank seiner Kalkeinlagerungen sogar mit dem bloßen Auge erkennbar. Es hat einige hundert Chromosomen, die höchstwahrscheinlich nicht identisch sind. Damit ist Achromatium das einzige bekannte Bakterium mit mehreren verschiedenen Erbgut-Sätzen. Unter Leitung des IGB haben Forschende Genarchive von Sedimenten analysiert und gezeigt, dass Achromatium weltweit in vielen Ökosystemen verbreitet ist. Man findet es in heißen Quellen und eiskaltem Wasser; in sauren und alkalischen Umgebungen und in besonders salzhaltigen Gewässern. Typischerweise führt ein solch breites Spektrum an Umweltbedingungen zur Etablierung neuer Arten mit unterschiedlichen Genomen, die an die jeweilige Umwelt angepasst sind. Bei Achromatium ist es anders: Bakterien aus unterschiedlichen Ökosystemen haben das gleiche Erbgut, unterscheiden sich aber in ihren Genexpressionsmustern, indem sie nur die jeweils relevanten Gene ablesen. Das Team vermutet, dass Achromatium Genome, die keinen unmittelbaren Nutzen haben, in Zellkammern archiviert. Dadurch enthält jede Zelle eine Vielzahl an funktionellen Genen und kann sich schnell an sehr Mina Bizic unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen. ist nicht nur Diese Erkenntnis hat weitreichende Implikatioengagierte Forscherin, nen für die mögliche Evolution der Vielzelligsondern auch leidenschaftliche keit in prokaryotischen und wahrscheinlich Taucherin und Mutter von auch in eukaryotischen Organismen. zwei kleinen Entdeckern.  Mehr über ihren Weg in die Dr. Danny Ionescu, ionescu@igb-berlin.de Wissenschaft und ihr Leben Prof. Dr. Hans-Peter Grossart, hgrossart@ jenseits der Forschung erzählt sie im igb-berlin.de Marthe-Vogt-Podcast Dr. Mina Bizic, mbizic@igb-berlin.de des FVB Dr. Luca Zoccarato, zoccarato@igb-berlin.de p http://bit.ly/ Podcast_Mina_Bizic Ionescu, D., et al. (2020). Heterozygous, polyploid, giant bacterium, Achromatium, possesses an identical functional inventory worldwide across drastically different ecosystems. Molecular Biology and ­Evolution, Article msaa273. https://doi.org/10.1093/molbev/msaa273 22  Immer mehr Tiere und Pflanzen werden von Menschen aus ihrem Verbreitungsgebiet verschleppt – bewusst und unbewusst. Die meisten davon können sich nicht an die neuen Lebensbedingungen anpassen, manche aber etablieren sich fest. Einige werden für die heimischen Arten zum Problem – als Räuber, Konkurrenten um Nahrung und Lebensraum oder Überträger von Krankheiten. Als Zierpflanze, Aquarienbewohner oder exotisches Haustier werden charismatische Arten häufiger bewusst eingeschleppt als unscheinbare Spezies, wie die Forschenden deutlich machen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von attraktiven invasiven Arten mit Charisma ist generell höher als von unattraktiven invasiven Arten. Das kann zum Beispiel Naturschutzmaßnahmen behindern, die die Ausbreitung einer Art eindämmen sollen: Ein als schön oder niedlich empfundenes Äußeres kann das Management erschweren, weil die öffentliche Unterstützung fehlt. In der Forschung beschäftigt man sich häufig mit jenen invasiven Arten, die ökologisch oder wirtschaftlich besonders problematisch sind. Und doch gibt es einen stärkeren Fokus auf invasive Wirbeltiere sowie auf große und charismatische Arten. Fazit: Das Interesse der Öffentlichkeit und auch der Forschung konzentriert sich überproportional auf solche Arten. So können einseitige Wissenslücken entstehen, die dazu führen, dass Schutzmaßnahmen falsch priorisiert werden.  Prof. Dr. Jonathan Jeschke, jeschke@igb-berlin.de Dr. Gregor Kalinkat, kalinkat@igb-berlin.de Jarić, I., et al. (2020). The role of species charisma in biological invasions. Frontiers in Ecology and the Environment, 18(6), 345-353. https://doi.org/10.1002/fee.2195 Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Waschbär © shutterstock; Bakterium © Mina Bizic Aquatisches Riesenbakterium ist ein Anpassungsgenie Die äußeren Werte zählen: Ihr Charisma hat einen Einfluss auf die Einschleppung und das Image gebietsfremder Arten und kann sogar die Eindämmung behindern. Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung des Biology Centre of the Czech Academy of Sciences und des IGB hat den Einfluss von Charisma auf den Umgang mit invasiven Arten untersucht. Biodiversität | Fo r s c h u n g Durch Parasiten ausgebremst Viele Beutetiere reagieren kollektiv auf Fressfeinde. Sie übertragen zum Beispiel in Windeseile Informationen über potenzielle Raubtiere, um Fluchtwellen auszulösen und zu koordinieren. Jens Krause und IGBGastwissenschaftler Ralf Kuvers fanden mit Kolleg*innen heraus, dass Parasiteninfektionen diese Übertragung in einem Schwarm stören können. Der Robofish mit echten Guppys. Von der schnellen Sorte Fotos: Stichlinge © David Ausserhofer; Robofish © David Bierbach Ein Forschungsteam der Universität Konstanz, des Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ und des IGB zeigt mithilfe modernster Robotik, dass die individuelle Geschwindigkeit einzelner Tiere innerhalb der Gruppe kollektive Verhaltensmuster erklären kann, und dass das Gruppenverhalten durch die schnelleren Individuen bestimmt wird. Um das Verhalten einzelner Tiere in einem Sozialverband gezielt zu steuern und so Theorien zu generellen Mechanismen im kollektiven Verhalten zu testen, baute das Forschungsteam den „Robofish“, einen Roboter-gesteuerten künstlichen Fisch. Er sieht aus wie ein Guppy – ein kleiner tropischer Süßwasserfisch – und interagiert mit den echten Fischen. Das Team nutzte eine hochauflösende Videoerkennung und ein Feedback-System, um den Robofish in Echtzeit auf die Aktionen der lebenden Fische reagieren zu lassen. Zunächst wurde die natürliche Bewegungsgeschwindigkeit der Guppys gemessen. Kamen die Fische anschließend mit dem Robofish in Kontakt, schwammen Fisch und Robofish als Paar zusammen. Es gab jedoch große Unterschiede im Sozialverhalten zwischen den Paaren: Paare mit einem schnelleren echten Guppy schwammen viel synchroner, aber weniger dicht beisammen und der echte Guppy kristallisierte sich zu einem klareren Anführer heraus – anders als bei Paaren mit einem langsameren Guppy. Dies zeigt, dass die individuelle Geschwindigkeit ein grundlegender Faktor bei der Entstehung kollektiver Verhaltensmuster ist. Zukünftige Studien mit dem interaktiven Robofish sollen untersuchen, wie sich ein ganzer Schwarm fast zeitgleich bewegen kann, obwohl die einzelnen Tiere nur auf die Aktionen ihrer Nachbarn reagieren. Wie das genau gehen kann, hat das Team um Jens Krause in einem Übersichtsartikel beschrieben. Das Gruppenleben birgt viele Vorteile, es verringert zum Beispiel das Risiko, gefressen zu werden. Doch einige Parasiten können beeinflussen, wie Tiere auf Angriffe von Fressfeinden reagieren. Die Forschenden interessierte deshalb, ob infizierte, verhaltensveränderte Individuen die Ausbreitung von Fluchtreaktionen innerhalb eines Schwarms beeinträchtigen. Sie infizierten Stichlinge mit dem Bandwurm Schistocephalus solidus, denn dieser erhöht das risikofreudige Verhalten und verringert die soziale Reaktionsfähigkeit seines Wirts. Dann konfrontierten sie die Stichlinge mit einem künstlichen Vogelangriff, wobei eine Gruppe infizierte Individuen enthielt, die andere nicht. Bei nicht infizierten Stichlingen breiteten sich die Fluchtwellen schnell durch den gesamten Schwarm aus und die Fische suchten längere Zeit in der Tiefe Schutz. Mit infizierten Stichlingen wurde die Fluchtwelle unterbrochen und auch nicht infizierte Fische kehrten schneller an die Wasseroberfläche zurück. Sie sind also einem höheren Risiko ausgesetzt, wenn sie sich mit infizierten Individuen zusammenschließen. Die beobachteten Prozesse könnten auch bei vielen anderen Beutearten und ihren Parasiten eine Rolle spielen.  Prof. Dr. Jens Krause, j.krause@igb-berlin.de Demandt, N., et al. (2020). Parasite infection disrupts escape behaviours in fish shoals. Proceedings of the Royal Society of London: Ser. B, Biological Sciences, 287(1938), Article 20201158. https://doi.org/10.1098/rspb.2020.1158 Prof. Dr. Jens Krause, j.krause@igb-berlin.de Dr. David Bierbach, bierbach@igb-berlin.de Jolles, J. W., et al. (2020). Group-level patterns emerge from individual speed as revealed by an extremely social robotic fish. Biol Lett, 16(9), Article 20200436. https://doi.org/10.1098/ rsbl.2020.0436 Landgraf, T., et al. (2021). Animal-in-the-Loop: Using Interactive Robotic Conspecifics to Study Social Behavior in Animal Groups. Annual Review of Control, Robotics, and Autonomous Systems, 4. https://doi.org/10.1146/annurev-control-061920-103228 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 23 Fo r s c h u n g | Biodiversität Treibhausgase in Gewässern Unermüdlicher Einsatz 245.000 kleine Baltische Störe (Acipenser oxyrinchus) haben 2020 ihren ursprünglichen Lebensraum zurückerobert – die Oder. Ziel des Besatzes ist es, eines Tages wieder Elterntierbestände dieser vom Aussterben bedrohten Art im gesamten Ostseegebiet heimisch zu machen. Bis es soweit ist, stammt der Stör-Nachwuchs aus Zuchten in Brandenburg und Polen. Das Vorhaben erfordert nicht nur eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, sondern vor allem einen langen Atem: Erst in ungefähr 15 Jahren werden die freigelassenen Störe als Elterntiere in ihre Heimatgewässer zurückkehren – wenn alles gut geht. Koordiniert wird das Wiederansiedlungsprogramm von IGB-Wissenschaftler Jörn Geßner. Dr. Jörn Geßner, sturgeon@igb-berlin.de 24  Jahresforschungsbericht 2020 Treibhausgase in Gewässern | Fo r s c h u n g Masterstudentin Janina Fuest unterstützt die Besatzaktion an der Oder. | Foto: Jörn Geßner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 25 Pandemie mit Folgen: Wie sich Corona auf Gewässer und Fischerei auswirken könnte Schon vor COVID-19 waren Gewässer und Fischbestände einem hohen Nutzungsdruck und vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Doch der Zustand der Süßwasserökosysteme und der Fischbestände könnte sich nach der Pandemie weiter verschlechtern, zumindest wenn der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung Priorität eingeräumt wird. Vor allem in Entwicklungsländern wird diese Dynamik erwartet, während in Europa die EU-Wasserrahmenrichtlinie und die Biodiversitätsstrategie viele Risiken abmildern dürften. Einige Beispiele: 1. Invasive Arten gelten als eine der Hauptursachen für den Rückgang der aquatischen Biodiversität. Durch weniger Reiseverkehr sinkt auch der unbeabsichtigte Transport solcher Arten, aber nur auf kurze Sicht. Erholt sich die Wirtschaft, beschleunigen sich auch die Invasionen wieder. Erschwerend kommt hinzu, dass COVID-19 weltweit zu erheblichen Budgetkürzungen bei der Kontrolle invasiver Arten geführt hat; Überwachungs- und Regulierungsmaßnahmen sowie wissenschaftliche Programme wurden vielerorts eingeschränkt. 2. Ein weiteres Beispiel ist die Fragmentierung von Fließgewässern durch den Bau von Staudämmen. Zwar hat sich die Bautätigkeit zwischenzeitlich verlangsamt, nach der Pandemie könnten jedoch Vorschriften und Umweltschutzmaßnahmen gelockert und umstrittene Projekte schneller denn je vorangetrieben werden – vor allem in Ländern, in denen Umweltfragen schon vor der Pandemie eine untergeordnete Rolle spielten. Umwelt­belange und Ausgaben für Renaturierungsprogramme könnten aufge­ schoben oder zurückgestellt werden. 26  3. In der Berufsfischerei sank während des Lockdowns vorübergehend der Druck auf die Fischbestände. Vielfach brachen Absatzmärkte zusammen, insbesondere auch in der Direktvermarktung. Unterbrechungen in anderen Sektoren der Landwirtschaft und der Verlust von Einkommen könnten jedoch dazu führen, dass Menschen vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern stärker auf die Süßwasserfischerei als Nahrungsquelle angewiesen sind. Die Forschenden befürchten auch eine Reduktion der Kontrolldichte. Gleichzeitig hat das Angelinteresse durch die Pandemie in vielen Gebieten spürbar zugenommen. Möglicherweise hat das den Fangdruck sogar gesteigert, insbesondere an vielen kleineren Seen und Fließgewässerabschnitten. Reduzierte Angelbeteiligungen in touristisch relevanten Gebieten dürften den Beständen hingegen eher zugute kommen. 4. Ähnlich ambivalent ist das Urteil hinsichtlich des Klimawandels: Die gesunkenen globalen Emissionen können die Klimaauswirkungen zwar kurzfristig reduzieren, die Zeitspanne ist jedoch zu kurz, um negative Trends umkehren zu können. Entscheidend wird deshalb sein, ob eine neue Klimapolitik umgesetzt wird, die eine Umstellung auf saubere Energie vorantreibt. Die Expertinnen und Experten empfehlen, Managementmaßnahmen und politische Entscheidungen so anzupassen, dass sie die biologische Vielfalt schützen. Konkret heißt das: Umweltschutzbestimmungen überprüfen und effektiv gestalten, groß angelegte Renaturierungs- und Monitoringprogramme in Konjunkturpakete einbinden und eine Rückkehr zu hohen Emissionswerten verhindern. Die Fachleute plädieren außerdem dafür, die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt der Fische nach Aufhebung der Einschränkungen gründlich zu untersuchen und zu bewerten. Prof. Dr. Robert Arlinghaus, arlinghaus@igb-berlin.de Cooke, S. J., et al. (2021). A global perspective on the influence of the COVID-19 pandemic on freshwater fish biodiversity. Biological Conservation, 253, Article 108932. https://doi.org/10.1016/j.biocon.2020.108932 Jahresforschungsbericht 2020 Foto: © Krisztian Tabori/unsplash Profitieren Gewässer und Fischbestände von der globalen COVID-19-Pandemie und ihren Einschränkungen für Wirtschaft und Gesellschaft? Kurzfristig ja, langfristig vermutlich nicht – zu diesem Schluss kommt ein internationales Expertenteam, darunter IGBWissenschaftler Robert Arlinghaus. Die Forschenden haben mögliche negative und positive Auswirkungen auf die Biodiversität von Süßwasserfischen zusammengetragen. Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g Globaler Wandel Veränderungen aquatischer Ökosysteme abschätzen Gewässer reagieren sensibel auf Klima- und Umweltveränderungen, z.B. auf steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse, aber auch auf zu viele Nähr- und Schadstoffe, die in Flüsse und Seen gelangen. Manche Gewässer trocknen temporär aus, schrumpfen oder verschwinden dauerhaft. Einige leiden unter Überdüngung und entwickeln intensive Algenblüten. Aus anderen entweichen Treibhausgase, die die globale Erwärmung zusätzlich beschleunigen. Wir wollen verstehen, was die Widerstandskraft von Ökosystemen und Lebensgemeinschaften fördert und wie die Anpassung an den Klimawandel gelingen kann. Forschende am IGB analysieren, wie sich z.B. das wenige Niederschlagswasser während Dürren verteilt oder was gegen die Eutrophierung von Seen und die Massenentwicklung von Cyanobakterien helfen könnte. Widerstandskraft von Landschaften während Dürren Phosphorbindung im Sediment p Seite 29 p Seite 28 Treibhausgase aus trockenen Gewässern Foto © Carlo Verso/Unsplash p Seite 30 Hoffnungsträger Pilzparasiten Gewässer unter vielfältigem Druck p Seite 30 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei p Seite 32 Verbreitung von Arten im Klimawandel p Seite 35 Extra: Datenschatz Internet p Seite 36 27 Fo r s c h u n g | Globaler Wandel Wie Phosphor langfristig im Sediment von Seen gebunden wird Zu hohe Einträge von Phosphor durch Landwirtschaft und Klärwerke verursachen die Anreicherung dieses Nährstoffs in Gewässern. Seesedimente können Phosphor speichern. Wenn diese Speicherung langfristig wirkt, hilft sie, die Eutrophierung zu verhindern. In Laborversuchen hat ein IGB-Team einen Prozess erforscht, der Phosphor dauerhaft im Sediment binden kann. Gelangt Phosphor in den See, läuft unter anderem der folgende Prozess ab: Unter sauerstoffreichen Bedingungen entsteht an der Sediment-Wasser-Grenze an Eisenhydroxid gebundener Phosphor. Das Eisen bildet in Anwesenheit von Sauerstoff rostrote Partikel, und Phosphor lagert sich an der Oberfläche dieser Partikel an. Am Grund des Sees sammelt sich organisches Material (z.B. von abgestorbenen Algen) und wird dort abgebaut. Dabei wird Sauerstoff verbraucht, und es tritt Sauerstoffarmut oder das vollständige Fehlen von Sauerstoff, Anoxie, auf. Unter diesen Bedingungen sind die Eisenhydroxide, die den Phosphor binden, nicht langfristig stabil. Lena Heinrich und Michael Hupfer haben daher in Laborversuchen untersucht, was mit den Eisenhydroxiden und dem daran Blaue Mineralkörner am Grund des Müggelsees: Der blaue Vivianit ist ein Eisenphosphat, das sich unter sauerstofffreien Bedingungen in Sedimenten bilden kann. Zur besseren Sichtbarmachung wurden die relativ schweren Vivianitpartikel mit Hilfe einer Dichte­ trennung ange­ reichert. angelagerten Phosphor unter Anoxie passiert. Die Bedingungen am Grund eines Sees haben sie in einer abgeschlossenen Box simuliert, in der sich kein Sauerstoff befand. So konnten sie beobachten, dass Eisenhydroxide mit angelagertem Phosphor, die sie natürlichen Sedimenten beigemischt hatten, in Vivianit umgewandelt wurden. Da die Umwandlung unter Laborbedingungen nur einige Wochen dauerte, vermuten die Forschenden, dass sich auch bei saisonaler Anoxie Vivianit bilden kann. Die Bindung von Eisen und Phosphor als Vivianit ist für die langfristige Festlegung von Phosphor in Seesedimenten besonders interessant, da das Mineral sich nicht nur unter sauerstofffreien Bedingungen bildet, sondern unter diesen Bedingungen auch stabil ist. Eisen und Phosphor bleiben so in Partikelform im Sediment gebunden, und der Phosphor kann nicht zurück in die Wassersäule gelangen und steht langfristig nicht für das Algenwachstum zur Verfügung. Wenn sich Vivianit bildet, wirkt das Seesediment somit als eine dauerhafte Senke für Phosphor auch unter sauerstofffreien Bedingungen. Förderlich für die Bildung von Vivianit ist laut der Versuchsbedingung, dass an der Sediment-Wasser-Grenze zumindest saisonal Sauerstoff verfügbar ist. Unter dieser Bedingung können sich Eisenausfällungen bilden, und an das ausgefällte Eisen kann sich Phosphor anlagern. Beim Auftreten von Anoxie werden diese Verbindungen dann in Vivianit umgewandelt. Bekannt ist, dass dieser Prozess nicht in allen Seen abläuft und seine Wirkung zeigt. Ein Grund dafür kann ein Mangel an Eisen sein. In eutrophierten Seen mit Eisenmangel kann eine Zugabe von Eisen die Bildung von Vivianit und die dauerhafte Phosphor-Speicherung im Sediment fördern und so zur Verbesserung des Seezustands beitragen. Dies muss aber wohlüberlegt sein. Denn auch wenn viel Eisen vorhanden ist, können Konkurrenzreaktionen (zum Beispiel mit Schwefel) das Eisen vorrangig binden, so dass für die Bildung von Vivianit nichts übrig bleibt. Diese Konkurrenzreaktionen möchten die IGBWissenschaftler*innen im nächsten Schritt erforschen. Lena Heinrich, heinrich@igb-berlin.de Dr. Michael Hupfer, hupfer@igb-berlin.de Heinrich, L., et al. (2021). Transformation of redox-sensitive to redox-stable iron-bound phosphorus in anoxic lake sediments under laboratory conditions. Water Research, 189, Article 116609. https://doi.org/10.1016/j.watres.2020.116609 28  Jahresforschungsbericht 2020 Foto: © Lena Heinrich Projekt: Urban Water Interfaces (UWI), Teilprojekt “Controlling of phosphorus fluxes in urban systems: Analogous processes in limnic sediments and sewage sludges” (F3), Laufzeit: 10/2018-9/2021, Gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), GRK 2032/2 Globaler Wandel | Fo r s c h u n g mit Daten von Vegetationsdynamiken gekoppelt, lässt sich zum Beispiel feststellen, woher, wann und in welcher Geschwindigkeit Pflanzen ihr Wasser beziehen. Ausgetrockneter Bach am Demnitzer Mühlenfließ in Brandenburg. Dürren: Wie Landschaften widerstandsfähiger werden Wie das Wasser nach einem Regen in der Landschaft aufgeteilt wird, hängt zum großen Teil von Böden und der Landnutzung ab. Ein Forschungsteam um Dörthe Tetzlaff untersuchte Landschaften in Brandenburg, wie sie typisch für die Nordeuropäische Tiefebene sind. Sie stellten fest, dass in dieser Region zu viel Niederschlagswasser verdunstet, kaum Grundwasser gebildet wird und Dürreperioden deshalb schlecht überbrückt werden können. Besonders betroffen: Wälder auf sandigen Böden. Sie speichern Wasser noch schlechter als Grünland. Fotos: © Lukas Kleine/IGB Dörthe Tetzlaff untersuchte mit ihrem Team, wie viel Niederschlag direkt verdunstet und wie viel Grundwasser sich unter verschiedenen Böden und Landnutzungsarten neu bildet. Dafür wählten die Forschenden zwei Standorte am Demnitzer Mühlenfließ in Brandenburg, einem dürreempfindlichen Teileinzugsgebiet der Spree: das eine ein Mischwald mit sandigen Böden und tief reichenden Wurzeln, das andere Grünland mit lehmigerem und nur oberflächennah durchwurzeltem Boden. Dort analysierten sie die ­Wasserflüsse zwischen Kronendach und Grundwasser während und kurz nach der großen ­Trockenheit 2018. Dafür nutzten sie sogenannte stabile Isotope, die als „Markierstoffe“ dienen, um Fließwege, Alter und Herkunft von Wasser zu bestimmen. Werden diese Informationen Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Die Ergebnisse zeigen: Der Waldboden war wesentlich trockener. Im obersten Meter des sandigen Bodens waren zeitweise nur 37 Liter Wasser pro Quadratmeter vorhanden, denn das Blätterdach der Bäume schirmte einen Teil des Regens ab, der direkt verdunstete und nie bis zum Boden gelangte. Die verbleibenden Niederschläge, die tiefer in den Boden drangen, wurden während der Wachstumsperiode von Bäumen aufgenommen, noch bevor sie das Grundwasser erreichten. Unter der Grünlandfläche hingegen sickerte der Niederschlag kontinuierlich in Richtung des für Ökosysteme so wichtigen Grundwasserspeichers. Der Boden selbst konnte auch mehr Wasser aufnehmen: 146 Liter waren es pro Quadratmeter. Die Untersuchung zeigt exemplarisch, wie schlecht Landschaften in der Nordeuropäischen Tiefebene Niederschlagswasser speichern und Perioden mit weniger Regen ausgleichen können. Um die Widerstandsfähigkeit dieser Ökosysteme gegenüber Dürren und anderen Klimaveränderungen langfristig zu verbessern, müssen Bodeneigenschaften geschaffen werden, die es erlauben, mehr Wasser zu speichern, zum Beispiel durch höhere Humusgehalte und eine verbesserte Bodenstruktur. Zusätzlich spielt die Landnutzung eine zentrale Rolle: Es gilt, die Bodenverdunstung in der Agrowaldwirtschaft zu vermindern und von intensiven Monokulturen zu geringeren Vegetationsdichten überzugehen. Damit könnten Verdunstungsraten reduziert und die Grundwasserneubildung gefördert werden. Prof. Dr. Dörthe Tetzlaff, d.tetzlaff@igb-berlin.de Dr. Aaron Smith, smith@igb-berlin.de Lukas Kleine, l.kleine@igb-berlin.de Projekt: VeWa, Laufzeit: 10/2013-03/2019, Gefördert durch: European Research Council Smith, A. A., et al. (2020). Isotope-aided ­modelling of ecohydrologic fluxes and water ages under mixed land use in Central Europe: the 2018 drought and its recovery. Hydrological Processes, 34(16), 34063425. https://doi.org/10.1002/hyp.13838 Kleine, L., et al. (2020). Using water stable isotopes to understand e ­ vaporation, moisture stress, and re-wetting in catchment forest and grassland soils of the summer drought of 2018. Hydrology and Earth System Sciences, 24(7), 3737-3752. https://doi.org/10.5194/hess-24-3737-2020 29 Fo r s c h u n g | Globaler Wandel Was passiert, wenn mehrere Stressoren gleichzeitig auf aquatische Ökosysteme wirken? Eine Studie der Universität Duisburg-Essen, des IGB und weiterer Partner untersuchte, wie etwa erhöhte Nährstofffrachten, veränderte Flussmorphologie sowie der Klimawandel ineinandergreifen. Die Forschenden fanden heraus, dass verschiedene Stressoren gemeinsam oft viel stärker wirken, als die Summe der Einzelwirkungen zunächst vermuten ließe. Sie untersuchten Seen und Fließgewässer in ganz Europa, führten Experimente durch (u.a. am IGB Seelabor im Stechlinsee) und unternahmen umfassende europaweite Modellierungen zu Nährstoffemissionen, dem Rückhalt im Gewässer und den daraus resultierenden Belastungen unter natürlichen, gegenwärtigen und durch den Klimawandel zu erwartenden Bedingungen. Wie die breite Synthese zeigt, belasten vor allem Stickstoff­ einträge aus der Landwirtschaft und Phosphoreinträge aus urbanen Gebieten die Gewässer. Kommen steigende Temperaturen oder Wasserknappheit hinzu, verstärken sich die negativen Auswirkungen der einzelnen Stressoren. Ein nachhaltiges Gewässermanagement darf sich daher nicht auf einzelne Belastungen beschränken, sondern muss deren lokale Kombination identifizieren und diese gleichsam angehen. Dr. Markus Venohr, m.venohr@igb-berlin.de Prof. Dr. Mark Gessner, gessner@igb-berlin.de Projekt: MARS, Laufzeit: 03/2014-02/2018, Gefördert durch: Europäische Union Der Stechlinsee war eines der Forschungsobjekte im MARS-Projekt. Unterschätzt: CO2-Emissionen trockengefallener Gewässerbereiche Binnengewässer wie Flüsse, Seen oder Talsperren spielen im globalen Kohlenstoffkreislauf eine wichtige Rolle. In Hochrechnungen zum Kohlendioxidausstoß von Land- und Wasserflächen werden zeitweise trockenfallende Bereiche von Gewässern in der Regel nicht berücksichtigt. Die tatsächlichen Emissionen werden dadurch deutlich unterschätzt, fand ein Forschungsteam heraus, an dem das IGB maßgeblich beteiligt war. Ein Team aus sechs deutschen und spanischen Wissenschaftler*innen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), vom IGB und vom Katalanischen Institut für Wasserforschung (ICRA) startete 2016 das Forschungsprojekt dryflux, das sich mit dem Ausstoß von Treibhausgasen aus trockengefallenen Gewässerzonen beschäftigt. Im Laufe des Projekts untersuchten 24 Forschungsteams in weltweit fast 200 Gewässern den Kohlendioxidausstoß in diesen Zonen. Aus Proben des Sediments bestimmten sie den Gehalt an Wasser, organischen Substanzen und Salzen sowie die Temperatur und den pH-Wert. IGB-Forscher Hans-Peter Grossart hat sich dabei die Kleinstlebewesen genauer angesehen, denn bei den Atmungsprozessen von Mikroorganismen entsteht CO2. Je größer das Nahrungsangebot – die organische Substanz im Boden – und je höher die Temperatur und die Bodenfeuchte, desto aktiver sind sie und umso mehr Kohlendioxid wird aus den Sedimenten freigesetzt. Über alle Klimazonen hinweg stellten die Forschenden deutliche Kohlendioxidemissionen aus den trockenengefallenen Bereichen von Gewässern fest. Diese waren häufig sogar höher als die Emissionen durchschnittlicher Wasseroberflächen vergleichbarer Größe. Am IGB wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen, dass Gewässer eine signifikant unterschätzte Quelle für klimarelevante Gase wie Methan oder Kohlendioxid sind. Die Empfehlung der Wissenschaftler*innen lautet, trockenliegende Bereiche von Gewässern in künftige globale Bilanzierungen einzubeziehen. Dies könnte die Kohlendioxidemission rechnerisch um insgesamt sechs Prozent erhöhen.  Prof. Dr. Hans-Peter Grossart, hgrossart@igb-berlin.de p https://gleon.org/research/projects/dryflux Keller, P. S., et al. (2020). Global CO2 emissions from dry inland waters share common drivers across ecosystems. Nature Communications, 11, Article 2126. https://doi.org/10.1038/s41467-020-15929-y 30  Jahresforschungsbericht 2020 Foto: Stechlin © Solvin Zankl Zu viel von allem: Klimawandel und Nährstoffeinträge Globaler Wandel | Fo r s c h u n g Vier Wochen lang nahmen Wissenschaftler*innen Proben in der Antarktis – und trafen dabei auch auf neugierige Beobachter wie diesen Eselspinguin. | Foto: Hans-Peter Grossart Nichts als Eis? Dort, wo es das ganze Jahr über kalt und rau ist – in der Antarktis –, vermutete man lange Zeit nur sehr wenige Arten. Heute weiß man es besser, es gibt sogar Parasiten im Eis. Als Teil eines internationalen Teams reisten Hans-Peter Grossart und Alexandra Livenets zur Potter Cove, einer Bucht an der Südwestküste von King George Island im Archipel der Südlichen Shetlandinseln, um dort benthische polare Algen, Parasiten und deren Anpassungsstrategien zu untersuchen. Benthische Algen stehen am Anfang der polaren Nahrungskette und beeinflussen somit indirekt auch das Leben von Pinguinen und See-Elefanten. Höhere Temperaturen könnten zu höherem Parasitenbefall dieser Algen führen und somit die Nahrungsnetze grundlegend verändern. Prof. Dr. Hans-Peter Grossart, hgrossart@igb-berlin.de Mehr Fotos von der Expedition p www.igb-berlin.de/news/igb-forschende-im-endlichen-eis Fo r s c h u n g | Globaler Wandel Krankheit kann auch etwas Positives sein Justyna Wolinska und Ramsy Agha erforschen Organismen, die bislang eher ein Schattendasein in der wissenschaftlichen Welt fristeten: Parasiten. Im Interview erklären die beiden, warum es sich lohnen kann, das Gute im scheinbar Schlechten zu suchen, und wie sich aus künstlich erwärmten Seen Schlüsse auf den globalen Klimawandel ziehen lassen. Gegenteil eine positive Rolle im Ökosystem spielen dürften. Und das war etwas Unerwartetes, es war wirklich faszinierend! Ramsy Agha: Es ist eine Art Paradigmenwechsel. Krankheit ist etwas Schlechtes, aber im ökologischen Kontext kann sie auch etwas Positives sein. Frau Wolinska, Herr Agha, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit mit Parasiten, einer ziemlich speziellen Gruppe von Organismen. Was ist für Sie daran spannend? Ramsy Agha: Wir haben uns die Beziehung von Parasiten und Wirt angeschaut, in unserem Fall Pilzparasiten und Cyanobakterien. Dabei haben wir entdeckt, dass dieser Parasit auch einen Effekt auf einen dritten Organismus hat, nämlich auf Daphnien, eine der wichtigsten Zooplankton-Spezies in aquatischen Ökosystemen. Unsere Beobachtung war: Daphnien profitieren vom Pilzbefall der Cyanobakterien. Das ist insofern interessant, als diese Art Beute für sie normalerweise schlechte Nahrung ist. Der Parasit wird hier selbst vom Zooplankton als Beute genutzt, und da er wichtige Fettsäuren enthält, verbessert er dessen Nahrung. Das lässt sich daran ablesen, dass die Daphnienpopulationen stark anwachsen. Justyna Wolinska: Der Pilzbefall bewirkt außerdem, dass die Cyanobakterien effizienter von den Daphnien konsumiert werden können. Cyanobakterien bestehen aus langen Filamenten, was sie als Nahrungsquelle Aber Parasiten sind nicht immer schlecht, richtig? Justyna Wolinska: Genau. In unserer Gruppe haben wir dann auch herausgefunden, dass Parasiten ganz im 32  „ Es ist eine Art Paradigmen­ wechsel. Krankheit ist etwas Schlechtes, aber im öko­ logischen Kontext kann sie auch etwas Positives sein.“ Ramsy Agha  Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Daphnien © David Ausserhofer; Porträt Agha © privat Ramsy Agha: Wir Biologinnen und Biologen vernachlässigen Parasiten meistens, weil wir sie als Ausnahmefall in der Natur betrachten. Inzwischen wissen wir jedoch, dass sie zahlreich und oft auftreten. Deswegen finde ich es wichtig, mehr Aufmerksamkeit auf diese bislang übersehene Organismengruppe zu richten: Welche Rolle kommt ihnen in Ökosystemen zu? Wir wollen Parasiten aus dem Hintergrund in den Vordergrund holen. Justyna Wolinska: Ein Grund, warum sie bisher übersehen wurden, liegt darin, dass es schwierig ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Parasiten sind meist sehr klein, und auch wenn sie es nicht sind, können wir sie nicht sehen, denn in der Regel befinden sie sich mitten in einem anderen Organismus. Man muss sich also dem Inneren zuwenden, um zu erkennen, wie verbreitet Parasiten sind. Ein wichtiger Grund, weshalb ich mich für Parasiten zu interessieren begann, war diese negative Einstellung, mit der wir ihnen begegnen: Sie verursachen Krankheiten, also glauben wir, dass Parasiten schlecht sind. Was haben Sie untersucht? Globaler Wandel | Fo r s c h u n g „ Bislang dachte man über aquatische Nahrungsnetze in einer simplen Kaskade: Phytoplankton, Zooplankton und Fische sind über eine Räuber-Beute-Wechselwir­ kung miteinander verbunden. Aber da ist dieser weit verbreitete Parasit, der eine sehr häufig vorkommende Phytoplankton-Art infiziert, die Cyanobakterien, und es stellt sich heraus: Das Nahrungsnetz ist viel komplexer!“ Justyna Wolinska  ungünstig macht: Die Fäden verstopfen die Filterapparate der Daphnien, mit denen sie im Wasser Nahrung aufnehmen. Durch die parasitäre Infektion werden die Filamente in kleinere Stücke zerteilt, wie wir beobachten konnten, so dass sie besser von den Daphnien aufgenommen werden können. Ramsy Agha: Ich will das mit einem Beispiel illustrieren: Im Sommer sind die Berliner Seen häufig nicht blau, sondern grün, weil an ihrer Oberfläche massenweise Phytoplankton schwimmt, häufig Cyanobakterien. Warum ist das so? Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sie von ihren Fraßfeinden nicht effizient konsumiert werden. Schlechte Nahrung eben. Mit dem Parasiten gewinnt diese Nahrungsquelle an Qualität, und Cyanobakterien werden dadurch besser in Schach gehalten. Das heißt, gäbe es die Parasiten nicht, wären unsere Seen noch schmutziger im Sommer? Justyna Wolinska: Davon kann man ausgehen. Diese Parasiten sind eine Gruppe sehr primitiver Pilze, die fast überall zu finden sind und sehr virulent sein können, das heißt, sie können Cyanobakterien-Vorkommen in kurzer Zeit beseitigen. Das hat uns auf den Gedanken gebracht, dass sie einen sehr wichtigen Einfluss auf die Kohlenstoffübertragung in ihrem jeweiligen Ökosystem haben. Da diese Parasiten jegliche Phytoplanktongruppen befallen können und etwa die Hälfte der Kohlenstofffixierung weltweit auf das Konto des Phytoplanktons geht, dürften solche Infektionen einen Einfluss auf den globalen Kohlenstoffzyklus und die Klimaregulierung haben. Foto: Porträt Wolinska © David Ausserhofer Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht? Ramsy Agha: Dass Parasiten auch als Beute dienen! Die Infektion liefert nicht nur Nahrung, sie erleichtert ebenso die Aufnahme einer anderen Beute. Parasiten haben also sehr komplexe Effekte: Sie agieren als ein zusätzlicher Link im Nahrungsnetz, und sie verändern existierende Verbindungen. Justyna Wolinska: Bislang dachte man über aquatische Nahrungsnetze in einer simplen Kaskade: Phytoplankton, Zooplankton und Fische sind über eine RäuberBeute-Wechselwirkung miteinander verbunden. Aber da ist dieser weit verbreitete Parasit, der eine sehr häufig vorkommende Phytoplankton-Art infiziert, die Cyano- Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei bakterien, und es stellt sich heraus: Das Nahrungsnetz ist viel komplexer! Haben Sie eine Idee, was sich aus Ihren Erkenntnissen in Zeiten der globalen Erwärmung ergibt? Ramsy Agha: Darüber können wir noch nicht viel sagen, wollen uns mit dieser Frage aber auch beschäftigen. Wir wissen, dass Cyanobakterien infolge des Klimawandels häufiger auftreten werden. Im Labor haben wir uns angeschaut, was bei unterschiedlichen Temperaturen passiert, und konnten feststellen, dass bei höheren Temperaturen auch die Infektionen zunehmen. Aber so funktioniert es ja nicht in der Natur: Dort steigen die Temperaturen langsam und über längere Zeiträume, und Parasiten und Wirtsorganismen haben Zeit, sich anzupassen. Solche Bedingungen wollen wir im Labor simulieren und mit Ansätzen der experimentellen Evolution untersuchen: Das heißt wir erlauben den Organismen, sich an den neuen Bedingungen über einen längeren Zeitraum anzupassen, und vergleichen Krankheitsdynamiken. Diese Experimente sind besonders spannend, da wir Evolution in Echtzeit beobachten können! Ein Jahr haben wir dafür eingeplant. Mit welcher Fragestellung werden Sie sich dabei beschäftigen? Justyna Wolinska: Wir wollen grundlegende Prozesse besser verstehen, an denen parasitäre Organismen beteiligt sind, und werden auch weitere Parasiten untersuchen, die Zooplankton beeinflussen. Außerdem planen wir ausgefeiltere Experimente, bei denen wir versuchen, in die Zukunft zu schauen. In Polen gibt es eine kleine Zahl von Seen, in die seit 60 Jahren Kühlwasser aus Kohlekraftwerken eingeleitet wird. In diesen Gewässern ist die Temperatur deswegen um insgesamt 4 Grad angestiegen. Sie sind also perfekte Modelle für das, was wir in den kommenden Jahrzehnten erwarten. In einem großangelegten Projekt nehmen wir Proben von Phytoplankton und Zooplankton aus diesen Seen und vergleichen sie mit anderen Seen in der Umgebung, in die kein wärmeres Wasser eingeleitet wurde, die also als Kontrollgewässer dienen können. Wir vergleichen insbesondere, wie sich parasitäre Epidemien in den erwärmten Seen im Vergleich zu den Kontrollseen ausbreiten. Frau Wolinska, Sie engagieren sich über Ihre Forschung hinaus am IGB auch in der Inclusion and Diversity Group, die 2019 gegründet wurde. Warum ist Ihnen dieses Thema wichtig? Justyna Wolinska: Ich denke, ein Institut, das stärker auf Inklusion und Diversität achtet, bietet eine freundliche und sichere Umgebung. Diversität meint Unterschiede, die uns alle ausmachen, etwa geografische oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, Fähigkeiten, Religion, und es ist wichtig, diese anzuerkennen. Jeder Einzelne bringt einzigartige Perspek- 33 Fo r s c h u n g | Globaler Wandel Unter dem Rasterelektronenmikroskop sind Cyanobakterienfäden erkennbar, die mit einem Chytrid-Parasiten infiziert sind. Was haben Sie bislang erreicht? Justyna Wolinska: Untersuchungen belegen, dass eine lange Liste von Anforderungen in Stellenausschreibungen dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sich Frauen bewerben. Wir haben der Institutsleitung vorgeschlagen, Jobangebote am IGB künftig anders auszuschreiben und die Liste der Anforderungen auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Das ist bereits umgesetzt worden. Außerdem haben wir ein Kolloquium organisiert, bei dem es um unbewusste Vorurteile geht und darum, wie man damit umgehen kann. Denn auch wenn man gute Absichten hat, wird man häufig von Einstellungen gesteuert, die das eigene Urteil beeinflussen, etwa in Bewerbungsverfahren. Das gilt übrigens auch für die wissenschaftliche Arbeit, wie ich vor längerer Zeit bei einer Lehrveranstaltung für 200 Studierende feststellen konnte... Bitte erzählen Sie mehr darüber. Justyna Wolinska: Wir hatten ein Experiment vorbereitet, bei dem es darum ging, die Reaktivität zweier unterschiedlicher Gruppen von Daphnien zu messen: die einen hatten Erfahrung mit Räubern gemacht, die anderen nicht. Die Studierenden sollten ermitteln, wie stark die Daphnien reagieren, wenn sie mit einer Nadel bedroht werden, die in die Petrischale eingetunkt wird, also messen, wie weit sie zurückweichen. 34  Und? Justyna Wolinska: 80 Prozent der Studierenden wiesen bei diesem Experiment nach, dass die Daphnien mit „Räuber-Erfahrung“ stärker reagieren. Der Punkt war bloß, dass es tatsächlich keine Unterschiede zwischen den zwei Gruppen gab, alle Daphnien waren unter gleichen Bedingungen aufgezogen worden. Ein klarer Fall von Observer Bias also, der mich damals schockierte: Ich spielte sogar kurz mit dem Gedanken, die Wissenschaft zu verlassen. Heute sehe ich dieses Experiment als überzeugendes Beispiel dafür, dass wir unsere Proben immer, wirklich immer blind untersuchen müssen. Und mehr Unvoreingenommenheit wäre auch in anderen Bereichen des wissenschaftlichen Lebens wichtig. Das Gespräch führte Wiebke Peters. Prof. Dr. Justyna Wolinska, wolinska@igb-berlin.de Dr. Ramsy Agha, agha@igb-berlin.de Projekt: Paradapt, Laufzeit: 06/2020-06/2023, Gefördert durch: NCN-DFG funding initiative Projekt: Parasites in food webs, Laufzeit 03/2019-03/2022, Gefördert durch: DFG Frenken, T., et al. (2020). Infection of filamentous phytoplankton by fungal parasites enhances herbivory in pelagic food webs. Limnology and Oceanography, 65(11), 2618-2626. https://doi.org/10.1002/lno.11474 Dziuba, M. K., et al. (2020). Countergradient variation concealed adaptive responses to temperature increase in Daphnia from heated lakes. Limnology and Oceano­graphy, Early View. https://doi.org/10.1002/lno.11680 Jahresforschungsbericht 2020 Foto: REM Cyanobakterien © Ramsy Agha tiven ein, und dieser Mix von Perspektiven ermöglicht klügere Entscheidungen, bessere Ideen und Ergebnisse, mehr Innovation, man maximiert das Potenzial, das in einer Gruppe steckt. Wenn wir mehr auf Diversität und Inklusion achten, können wir also enorm profitieren und sowohl die die Kultur im Institut als auch unsere wissenschaftliche Arbeit stärken. Globaler Wandel | Fo r s c h u n g Ein neues Modell, um die räumliche Verteilung von Arten besser zu verstehen Wie verteilen sich verschiedene Arten in bestimmten Patches bzw. Habitaten in einer Landschaft, und wie steht es um die Dynamik ihrer Ausbreitung? Mit dieser Frage beschäftigt sich die so genannte Theorie zu Meta-Gemeinschaften, zu der auch am IGB gearbeitet wird. Sabine Wollrab und Rajat Karnatak haben im Rahmen des Projekts Bridging in Biodiversity Science (BIBS) einen neuen, wahrscheinlichkeitsbasierten Formalismus zur Modellierung der Artenverteilung entwickelt. Er wird als netzwerkbasierte probabilistische Verbindung (Network based Probabilistic Connectivity – NPC) bezeichnet. Der Ansatz verspricht, wichtige Merkmale der Ausbreitung zu erfassen: Diese ist stochastischer Natur, das heißt, einzelne Ereignisse der Artenverbreitung sind nicht vorhersagbar. Außerdem ermöglicht der neue Formalismus eine allgemeinere Beschreibung des Prozesses als bisherige Modelle, die oft die räumliche Struktur der Landschaft zu stark vereinfachen und annehmen, dass der Ausbreitungsprozess deterministisch festgelegt ist. Der neue Ansatz liefert insbesondere Vorhersagen über die Verteilung und den Fortbestand von Arten auf verschiedenen Zeitskalen sowie deren Abhängigkeit von der PatchVerteilung und Patch-Dichte in der Landschaft. Bisherige Ergebnisse, die Rajat Karnatak und Sabine Wollrab mit dem NPC-Ansatz gewonnen haben, belegen, dass höhere Ausbreitungsraten tatsächlich den Fortbestand von Arten beeinflussen: In Abhängigkeit von der Balance zwischen lokalem Wachstum und ein- bzw. abgehender Biomasse wird eine höhere Ausbreitungsrate ab einem bestimmten Grenzwert zu einer starken Abnahme der Wahrscheinlichkeit führen, dass die Art fortbesteht. Dies scheint zwar logisch zu sein, wird aber von klassischen Ansätzen (Deterministic Spatially Implicit Approaches) aufgrund einer inhärenten mathematischen Symmetrie tatsächlich nicht erfasst. Darüber hinaus konnten die beiden Forschenden zeigen, dass die Patch-Dichte die Wahrscheinlichkeit des Fortbestands von Arten signifikant beeinflusst, wobei Schematische Darstellung eines probabilistischen Konnektivitätsnetzwerks am Beispiel von Söllen im nördlichen Brandenburg: Die Linien zwischen den Kleinstgewässern zeigen, ob die Ausbreitungswahrscheinlichkeit eher hoch (durchgezogene Linie) oder gering (gestrichelte Linie) ist. Bei der Berechnung mit dem NPC-Ansatz wird nicht nur die räumliche Entfernung zwischen den Söllen, sondern auch die artenspezifische Verbreitungsdistanz und die Größe der Patches berücksichtigt. eine größere Patch-Dichte diese erhöht, weil selbst bei niedriger Verbreitungsrate Individuen andere Habitate mit größerer Wahrscheinlichkeit erreichen. Die Konnektivität zwischen Patches, also das Ausmaß und die Art der Verbundenheit von Habitaten, ist kurzlebig und veränderlich. Die räumlich-zeitliche Flexibilität des NPC-Formalismus verspricht, dies besser zu erfassen, und macht ihn breit anwendbar. Beispielsweise kann das NPC-Konzept dazu genutzt werden, den Einfluss von Klima- und Landnutzungsänderungen auf die Verteilungsmuster von Arten vorherzusagen.  Dr. Rajat Karnatak, karnatak@igb-berlin.de Dr. Sabine Wollrab, wollrab@igb-berlin.de Karnatak, R., et al. (2020). A probabilistic approach to dispersal in spatially explicit meta‑populations. Scientific Reports, 10, Article 22234. https://doi.org/10.1038/s41598-020-79162-9 Partner beim Climate Change Center Berlin Brandenburg Mit einer Website und der Veranstaltungsreihe CLIMATE:Lab ging im Dezember 2020 das Climate Change Center Berlin Brandenburg (CCC) an die Öffent­lichkeit. Das CCC ist eine Gemeinschaftsinitiative von Technischer ­Universität ­Berlin, Freier Universität Berlin, Charité – Univer­sitätsmedizin Berlin, der Universität der Künste Berlin, der ­Universität Potsdam und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Auch das IGB ist beteiligt. Die Gemeinschaftsinitiative versteht sich als transdisziplinäres Zentrum für Forschung und Wissenstransfer zu den Themen Klimawandel und Klimaanpassung. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei p www.climate-change.center 35 EXTR Um Rückschlüsse auf das Nutzungsverhalten an Gewässern zu ziehen, nutzen IGB-Forschende unter anderem Social-Media-Daten. Datenschatz Internet Um wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren, brauchen Forscherinnen und Forscher Daten. Zwei neue Forschungszweige, Culturomics und iEcology, nutzen dafür das Internet. Das bietet viele Chancen, insbesondere auch für die Erforschung aquatischer Lebensräume. Jeden Tag werden im Internet gigantische Mengen Fotos, Videos und Texte aller Art veröffentlicht. Allein auf YouTube laden User*innen pro Minute 500 Stunden Videomaterial hoch, die englischsprachige Wikipedia umfasst inzwischen mehr als 6.000.000 Artikel. Diese internetbasierten Datenmengen macht sich seit einiger Zeit auch die Wissenschaft zunutze: Bereits 2010 tauchte der Begriff Culturomics erstmals in einem Science-Artikel über digitalisierte Bücher auf, während der letzten fünf Jahre hat die neue Forschungsrichtung auch in der Biodiversitätsforschung an Bedeutung gewonnen. „Bei Culturomics geht es darum zu analysieren, wie der Mensch auf die Umwelt reagiert, bei iEcology liegt der Fokus auf der Naturseite der Daten. Wir suchen beispielsweise nach Anzeichen, wie sich Populationen bestimmter Spezies entwickeln oder ökologische Zustände verändern“, sagt Gregor Kalinkat, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie. 36  Der Forscher hat schon bei verschiedenen Untersuchungen mit den neuen Methoden gearbeitet; oft zusammen mit einem der Pioniere der beiden neuen Forschungszweige, mit dem ehemaligen IGB-Forscher Ivan Jarić vom Institut für Hydrobiology an der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Für eine Studie unter Leitung von Ivan Jarić, deren Ergebnisse im Sommer 2020 erschienen sind, analysierte ein Forschungsteam deutsche, britische und französische Webseiten, auf denen über Spezies berichtet wurde, die auf der Roten Liste gefährdeter Arten stehen. „Uns interessierte, welche Bedrohungsfaktoren im Mittelpunkt der Darstellungen stehen, und dabei insbesondere, welchen Stellenwert invasive Arten einnehmen“, sagt Ivan Jarić. Am häufigsten genannter Bedrohungsfaktor war der Klimawandel, während über die Rolle invasiver Arten selten berichtet wurde. „Dass die Bedeutung des Klimawandels für den Artenverlust viel bekannter ist und darüber häufiger berichtet wird, hatte man zuvor angenommen, wir konnten das nun aber mit unserer Analyse auf einfache, schnelle und kostengünstige Art nachweisen“, bemerkt Gregor Kalinkat. Schlüsselbereiche wären Artenmonitoring, der Ökosystemstatus und menschliche Einflüsse Das Beispiel zeigt, welches Potenzial Culturomics und iEcology haben. Insbesondere um aquatische Lebensräume zu erfor- Jahresforschungsbericht 2020 Foto: Social Media © Dmytrenko Vlad/Shutterstock Wie IGB-Forschende die Netzwelt für Forschungswissen nutzbar machen Datenschatz Internet | Fo r s c h u n g „ Bei Culturomics geht es darum zu ana­ schen, bieten die neuen, internetbasierten Methoden zahlreiche Möglichkeiten, sind Gregor Kalinkat und Ivan Jarić überzeugt. Beide haben mit weiteren Forschenden eine Übersichtsstudie verfasst, in der sie Schlüsselbereiche identifizieren, für die Culturomics und iEcology besonders hilfreiche Erkenntnisse liefern können. Dazu gehören die Verbreitung bedrohter, seltener und gebietsfremder Arten, der Ökosystemstatus und anthropogene Auswirkungen. Besonders große Potenziale sieht Gregor Kalinkat im Bereich Monitoring: „Uns schwebt eine automatisierte Artenerkennung vor, mit der sich Hintergrundinformationen in digitalen Daten analysieren lassen, wie zum Beispiel im Hintergrund von Fotos und Videos unbeabsichtigt aufgenommene Arten. Das würde das Monitoring weniger auffälliger Elemente der Biodiversität, etwa der Vegetation, erheblich erleichtern“, sagt er. Fotos: Porträt Podschun © privat; Porträt Kalinkat © David Ausserhofer Auch Probleme, die mit den neuen, internetbasierten Methoden einhergehen, benennt die Ende Oktober 2020 erschienene Studie. So existieren nur spärliche Daten von weiter entfernten Punkten in Gewässern und unter Wasser. Zudem verwenden nur bestimmte Nutzergruppen Social Media, sodass online veröffentlichtes Material von Touristen beispielsweise Einschätzungen und Verhaltensweisen von Ortsansässigen widersprechen kann. Eines der Hauptprobleme ist ein beträchtliches Bias bei der Auswahl: Während es zahllose Filme über oder Fotos von Vögeln, Amphibien und Säugetieren gibt, ist Material zu Fischen oder Wirbellosen rar. Und auch der Datenabruf birgt Probleme. Bei kommerziellen Plattformen wie Twitter, Google oder Facebook nutzen die Forschenden ein Interface, um die gewünschten Daten herunterzuladen. „Nehmen die Dienste Änderungen an der Schnittstelle vor, ist das für uns ein Problem. Veränderte Algorithmen erschweren zeitliche Analysen, denn die vor und nach einer Änderung erhobenen Daten sind nur bedingt miteinander vergleichbar“, sagt Ivan Jarić. Ein Vergleich mit Offline-Daten hilft, die Ergebnisse zu validieren Das Problem kennt auch Simone Podschun, Projektkoordinatorin von AQUATAG. Bei dem Projekt geht es darum zu erkennen, wann und wo Gewässer besonders intensiv für Freizeitbeschäftigungen genutzt werden, und herauszufinden, wie sich die Freizeitnutzung besser managen lässt. Um Besucherzahlen zu ermitteln, nutzt das Team Social-Media-Daten – und immer wieder kommt es vor, dass der Code, der zum Abruf der „ Onlinedienste liefern uns Informationen fast in Echtzeit: Wir konnten sofort sehen, dass durch Corona die Freizeitaktivitäten an Spree und Havel im Sommer anstiegen.“ Simone Podschun  Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei lysieren, wie der Mensch auf die Umwelt reagiert, bei iEcology liegt der Fokus auf der Naturseite der Daten.“ Gregor Kalinkat  Daten verwendet wird, nicht mehr funktioniert oder dass die Datenstruktur sich geändert hat. Die Forschenden werten unter anderem Daten von Twitter und Strava aus, einer App für Lauf-, Rad- und Wassersportler*innen. „Wir sind besonders an georeferenzierten Tweets interessiert; das heißt, wir sehen, wann und wo er abgegeben wurde. Die Daten von Strava sind eine gute Ergänzung, denn sie liefern uns zusätzlich Angaben wie Distanzen, Zeiten, Art der Aktivität und Zahl der Sporttreibenden für ein beliebiges Gebiet“, sagt Simone Podschun. Weil die Nutzerzahlen von Social Media zugenommen haben, könne man zurückliegende Jahre nur mit Vorsicht vergleichen: „Immer mehr Leute nutzen Fitnesstracker und stellen ihre Daten online“, sagt die Biologin und Expertin für Geoinformationssysteme. Deswegen achtet das Forschungsteam unter Leitung von Markus Venohr vor allem auf die Relationen – wie viele kommen, wenn es warm ist, und wie viele bei niedrigeren Temperaturen? Die Vorteile der Nutzung von Social-Media-Daten liegen für Simone Podschun auf der Hand: „Zählungen vor Ort sind enorm aufwändig, und man hat immer nur einen kleinen Ausschnitt. Onlinedienste liefern uns dagegen Informationen fast in Echtzeit: Wir konnten sofort sehen, dass durch Corona die Freizeitaktivitäten an Spree und Havel im Sommer anstiegen“, sagt sie. Die Forschenden sind sich auch bewusst, dass Social-Media-Daten anfällig für Ausreißer sind, beispielsweise bei einem Marathonlauf oder in Gebieten ohne Mobilfunkanschluss. Daher verlassen sich die Forschenden nicht alleine auf die Daten von Twitter und Strava. „Das AQUATAGTeam glich die über Social Media generierten Besucherzahlen für Badeseen um Berlin mit Daten der Berliner-Bäderbetriebe ab“, berichtet die Forscherin. Auch mit den elektronischen Zählungen, die die Stadt Berlin für Radfahrer eingeführt hat, vergleicht das AQUATAG-Team die Werte. Mittels YouTube Artenverteilungen aufzeigen oder Erkenntnisse zum Freizeitfischen gewinnen Wie die Analyse von Videos wertvolle Einsichten liefert, zeigen zwei aktuelle Studien des ehemaligen IGB-Forschers Valerio Sbragaglia, die im Team von Robert Arlinghaus entstanden sind. Der Verhaltensökologe wertete gemeinsam mit weiteren Forschenden YouTube-Videos aus, die von Freizeitfischern aufgenommen und online gestellt worden waren. In einer der Studien ging es darum, Freizeitangler und Speerfischer zu vergleichen. Das Team nahm dafür Videos italienischer Freizeitfischer unter die Lupe, die eine bedeutende Mittelmeer-Fischart, die Zahnbrasse, gefangen hatten. Dabei interessierte die Forschenden, wie die Größe der gefangenen Fische und das soziale Feedback der YouTube-User korrelieren. „Wir haben dafür YouTube nach für unsere Forschungsfrage passenden Videos durchsucht und anschließend die Metadaten analysiert, also 37 EXTR Fo r s c h u n g | Datenschatz Internet Beide Forschungszweige stehen vor Herausforderungen und Hindernissen, die sich in fünf ­Gruppen unterteilen lassen: soziokulturelle Aspekte, Probleme mit der Zugänglichkeit, geografische Faktoren, Datenquellen und ethische Fragen. 38  Angaben wie Titel und Beschreibung des Videos. Außerdem haben wir uns angeschaut, welche Videos wie viele Likes, Views und Kommentare haben“, berichtet der Forscher, der 2017 über ein Leibniz-DAAD-Postdoc-Stipendium in der Gruppe von Robert Arlinghaus arbeitete und heute am Institute of Marine Sciences des Spanish National Research Council forscht. Die Suche erledigte dabei eine in R (einer freien Programmiersprache) entwickelte Software – bei fast 20.000 Videos eine enorme Arbeitserleichterung. Gregor Kalinkat ist überzeugt, dass den neuen Methoden die Zukunft gehört: „Das Potenzial von Culturomics und iEcology wächst so schnell, dass die aktuellen Probleme an Bedeutung verlieren werden“, sagt der Forscher. Auf klassische Forschungsmethoden werde man aber nicht verzichten können: Fotos von Anglern, die ausgewertet werden, um mehr über den Zustand eines Sees zu erfahren, können eine Beprobung nicht ersetzen. In der zweiten Studie standen makroökologische Muster der Verteilung zweier Fischarten im Vordergrund, des Braunen und des Weißen Zackenbarschs im Mittelmeer. Auch hierfür analysierte das Team um Valerio Sbragaglia eine hohe Anzahl an YouTube-Videos. „Um die Arten korrekt zuzuordnen, haben wir uns für diese Untersuchung die Videos teilweise auch angeschaut – aber wir arbeiten daran, diesen Prozess ebenfalls zu automatisieren“, erläutert der Forscher. Das Team fand heraus, dass der Braune Zackenbarsch in größeren Meerestiefen häufiger ein höheres Gewicht erreicht. Ein solches Muster scheint nicht ausschließlich durch die Fischerei begründet und fügt einer kontroversen Diskussion in der Fischereiwissenschaft eine neue Perspektive hinzu. Und für den Weißen Zackenbarsch konnten die Forschenden nachweisen, dass die Art weiter in den Norden des Mittelmeeres gezogen ist. Die Analyse lieferte also wertvolle Aufschlüsse – ohne dass die Forschenden einen einzigen Fisch selbst vors Gesicht bekamen. Dr. Gregor Kalinkat, kalinkat@igb-berlin.de Prof. Dr. Robert Arlinghaus, arlinghaus@igb-berlin.de Dr. Simone Podschun, podschun@igb-berlin.de Dr. Markus Venohr, m.venohr@igb-berlin.de Jarić, I., et al. (2020). Expanding conservation culturomics and iEcology from terrestrial to aquatic realms. PLoS Biology, 18(10), Article e3000935. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000935 Jahresforschungsbericht 2020 Abb.: © Ivan Jarić Projekt: AQUATAG, Laufzeit: 03/2019-02/2022, Gefördert durch: BMBF Jahresrückblick Foto: © David Ausserhofer 2020 am IGB Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 39 J a h r e s r ü c k b l i c k | 2020 IGB Academy: Nachhaltiges ­Hygiene-Management für die Aquakulturpraxis Die IGB Academy widmete sich im Januar dem Wissensaustausch zwischen Forschung und Aquakulturpraxis. Beleuchtet wurde insbesondere das Potenzial des Einsatzes von Peressigsäure (PES), durch die Keime im Haltungswasser und Fischverluste effizient reduziert werden können – ohne negative Effekte auf Umwelt, Tiere, anwendende Betriebe und Verbraucher*innen. Dr. Dibo Liu, liu@igb-berlin.de Dr. Thomas Meinelt, meinelt@igb-berlin.de Beratung: EU-Biodiversitätsstrategie Das IGB hat sich an der EU-Konsultation zur Biodiversitätsstrategie beteiligt. Ihre Expertise brachten Sonja Jähnig, Michael Monaghan, Jonathan Jeschke und Hans-Peter Grossart ein. Die Forschenden unterstrichen, dass selbst in der Biodiversitätspolitik die hohe ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz von Binnengewässer-Ökosystemen und deren aquatischer Biodiversität oft übersehen wird. Sie empfahlen, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse in diesem Bereich in den EU-Fahrplan für die EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 zu integrieren und diese auch in die Strategie selbst aufzunehmen. Intern: IGB unter neuer Führung Der belgische Gewässerökologe und Evolutionsbiologe Luc De Meester ist seit Januar 2020 neuer IGB-Direktor und Professor für Freshwater Science an der Freien Universität Berlin. Zuvor wurde das Institut kommissarisch von Mark Gessner, Leiter der Abteilung Experimentelle Limnologie, geführt. Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de Projektstart: Langzeitentwicklung von Seen infolge des Klimawandels Wie verändern sich durch den Klimawandel die physikalischen Prozesse in Seen? Dieser Frage gehen Forschende in einem neuen IGB-Projekt nach. In unterschiedlichen Seen installieren sie Messketten, mit denen sie untersuchen, wie sich Temperaturen und Schichtungsverhalten entwickeln und wie die Gewässer auf sich wandelnde meteorologische Randbedingungen reagieren. Veränderte physikalische Verhältnisse können sich zum Beispiel auf den Nährstoffhaushalt oder die Treibhausgasbilanz auswirken. Aus den Ergebnissen sollen Empfehlungen für ein deutschlandweites Klimamonitoring in Seen abgeleitet werden. Dr. Michael Hupfer, hupfer@igb-berlin.de 40  Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Porträt De Meester © David Ausserhofer; IGB-Academy © IGB; Langzeitentwicklung © Sylvia Jordan JANUAR 2020 | J a h r e s r ü c k b l i c k Projektstart: AQUA-KI Veranstaltung: Aquakultur in nachhaltige Bahnen lenken Angesichts des wachsenden Bedarfs an Proteinen spielen Aquakulturen im Süß- und Salzwasser eine immer wichtigere Rolle. Gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) lud das IGB deshalb zum Workshop The Blue Sector at the Crossroad – Moving Aquaculture Into More Sustainable Waters. 31 Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Leibniz-Instituten und Universitäten sowie der FAO diskutierten neue Forschungsansätze und Strategien, die ein nachhaltiges und vielfältiges Wachstum des blauen Sektors unterstützen können. Dr. Hendrik Monsees, monsees@igb-berlin.de Mikroorganismen wie Phyto- und Zooplankton spielen eine wichtige Rolle in aquatischen Ökosystemen. Bislang fehlen jedoch geeignete Methoden, um diese in ausreichend hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung in ihrer natürlichen Umgebung untersuchen zu können. Dieser Herausforderung begegnet ein interdisziplinäres Forschungsteam im Projekt AQUA-KI, das künstliche Intelligenz mit neuartigen ökologischen Ansätzen kombiniert. Ziel sind automatisierte Komplettsysteme, die planktonische Mikroorganismen in-situ und im Labor erfassen und somit Frühwarnsysteme für Algenblüten oder invasive Arten verbessern. Dr. Stella A. Berger, berger@igb-berlin.de Dr. Jens C. Nejstgaard, nejstgaard@igb-berlin.de Fotos: Tagliamento & ITN RIBES © Alexander Sukhodolov; Aquakultur-Workshop © Gabriele Heinzel MÄRZ Unterwegs: Forschung am Tagliamento Alexander Sukhodolov reiste zu einem der letzten frei fließenden Alpenflüsse, dem Tagliamento (Italien). Dort dokumentierte er die Folgen eines Hochwassers auf die Morphologie der Flussaue, etwa vertikale und flächige Flussbettverformungen, die durch Erosion und Ablagerungen an Treibholz und bewachsenen Uferzonen entstehen. Dr. Alexander Sukhodolov, sukhodolov@igb-berlin.de Projektstart: ITN RIBES Mit gleich zwei Teilprojekten ist die Forschungsgruppe von Alexander Sukhodolov am Europäischen Trainingsnetzwerk RIBES (River flow regulation, fish BEhavior and Status) beteiligt. Es soll Nachwuchswissenschaftler*innen in der Ökohydraulik ausbilden, um Lösungen für den Schutz von Flüssen und Fischbeständen zu entwickeln. Hintergrund ist die zunehmende Fragmentierung von Fließgewässern durch Kleinwasserkraftwerke, die endemische Fischarten wie z.B. die Marmorforelle gefährdet. Dr. Alexander Sukhodolov, sukhodolov@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 41 J a h r e s r ü c k b l i c k | 2020 Projektstart: Zukunft der limnischen Megafauna Groß, größer, weg? Die limnische Mega­ fauna – also im Süßwasser vorkommende Organismen mit einer Körpermasse von über 30 Kilogramm wie Flusspferde, Schildkröten oder Störe – ist besonders stark vom Aussterben bedroht. Doch was passiert mit Ökosystemen, wenn diese sehr großen Arten verschwinden? Wie nehmen Menschen diese Arten wahr und wie kann dies für Schutzkonzepte genutzt werden? Das im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs geförderte IGB-Projekt Zukunft der limnischen Megafauna soll diese Wissenslücken schließen, ein internationales und interdisziplinäres Kooperationsnetzwerk aufbauen und den Schutz der Süßwasser-Biodiversität unterstützen. Veranstaltung: Leibniz im Bundestag Bei Leibniz im Bundestag können Abgeordnete Beratungsgespräche mit Leibniz-Forscher*innen buchen. Markus Venohr erläuterte die Nährstoffbelastung von Grundwasser durch undichte Kanalisationen; Gösta Baganz und Hendrik Monsees informierten zur kombinierten Fisch- und Gemüsezucht (Aquaponik). Prof. Dr. Sonja Jähnig, sonja.jaehnig@igb-berlin.de MÄRZ APRIL MAI Intern: IGB Task Force Corona Der erste Corona-Lockdown war auch die Geburtsstunde einer weiteren Video-Runde: anfangs täglich, nun wöchentlich treffen sich Vertreter*innen aus allen Bereichen und Standorten, um die Umsetzung der CoronaPräventionsmaßnahmen am Institut zu besprechen und Lösungen für die einhergehenden Widrigkeiten zu finden. Das IGB arbeitet seit März 2020 – auf Abstand – eng zusammen, um die Sicherheit und Gesundheit aller zu gewährleisten. Wir gehen trotz der Einschränkungen für unsere Forschungsaktivitäten, die nicht am heimischen Schreibtisch stattfinden können, gerne mit gutem, kontaktfreiem Beispiel voran. 42  AQUACOSM-plus verbindet experimentelle Binnengewässer- und Meeresforschung in Europa. Das EU-geförderte Infrastrukturprojekt mit 31 Partnern soll u.a. den Zugang zu experimentellen Forschungsinfrastrukturen fördern und Expertisen, Daten sowie Kapazitäten bündeln. Gemeinsam möchten die Forschenden Zukunftsaufgaben der Gewässerforschung definieren, Anforderungen an Forschungsinfrastrukturen erfassen und enger mit anderen Forschungsinfrastrukturen (z.B. LTER) zusammenarbeiten. Koordiniert wird das Netzwerk vom IGB. Dr. Jens C. Nejstgaard, nejstgaard@igb-berlin.de Dr. Katharina Makower, makower@igb-berlin.de Dr. Stella A. Berger, berger@igb-berlin.de Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Limnische Megafauna © Zeb Hogan; Aquacosm © Frederico Cheda Projektstart: AQUACOSM-plus 2020 | J a h r e s r ü c k b l i c k Projektstart: IDES Im Juli startete das aus dem EU INTERREG Danube Transnational Programme geförderte Verbundprojekt IDES. Es untersucht am Beispiel der Donau, wie Auen mittels naturbasierter Lösungen zu einer Verbesserung der Wasserqualität beitragen können, zum Beispiel indem sie Pflanzennährstoffe zurückhalten. Das Projekt wendet dabei den unter Federführung des IGB entwickelten River Ecosystem Service Index (RESI) im gesamten Flusseinzugsgebiet an. Darauf aufbauend wird ein mit bestehenden Bewertungsmethoden harmonisiertes IDES-Tool entwickelt. Es soll in Pilotregionen zum Einsatz kommen und aufzeigen, wie sich verschiedene Managementszenarien auf die Ökosystemleistungen des Flusses und seiner Auen auswirken. Veranstaltung: ARS ELECTRONICA Und ACTION! Mehr partizipative Wissenschaft gegen Umweltverschmutzung hat sich das ACTION LAB auf die Fahne geschrieben. Reinhören, zusehen und mitmachen konnten Interessierte bei einer ganzen Reihe von öffentlichen Live-Streams im Rahmen des ARS ELECTRONICA Festivals zwischen dem 9. und 11. September. Dr. Kat Austen, austen@igb-berlin.de Dr. Sibylle Schroer, schroer@igb-berlin.de PD Dr. Martin Pusch, pusch@igb-berlin.de Fotos: IDES ©Martin Pusch; Besuch Bender © Sarah Bude; Ars Elcetronica © Charis Dittmar ; Soapbox © soapbox science JUNI JULI AUGUST Beratung: Chemikalien in der Umwelt Welche Gefahren gehen von hormonstörenden Chemikalien in der Umwelt und im Wasser aus? Zu dieser Frage berichtete Werner Kloas am 17. Juni im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags. Prof. Dr. Werner Kloas, werner.kloas@igb-berlin.de SEPTEMBER Veranstaltung: Soapbox Science Besuch von: Staatssekretärin Silvia Bender Die Agrar- und Umweltstaatssekretärin von Brandenburg, Silvia Bender, besuchte am 20. August das IGB am Stechlinsee. Mark Gessner informierte die Politikerin über die besorgniserregende Entwicklung der Gewässerqualität des berühmten Klarwassersees. Spannende Kurzvorträge von Forscher­ innen – leicht verständlich, kostenlos und unter freiem Himmel – gab es am 19. September vor dem Berliner Hauptbahnhof. Mit dabei: IGB-Nachwuchsforscherinnen Mina Bižić und Marta Alirangues. Die Initiative Soapbox Science wirbt für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft. Das IGB unterstützt die Veranstaltungsreihe als Mitorganisator. p Twitter: @berlin_soapbox Prof. Dr. Mark Gessner, gessner@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 43 J a h r e s r ü c k b l i c k | 2020 Veranstaltung: Bürger*innen forschen mit Projektstart: BiCEST Im Oktober startete ein DFG-gefördertes Graduiertenkolleg zur Rolle von Biota im Kohlenstoffkreislauf von Ästuaren (BiCEst). 26 Nachwuchsforscher*innen untersuchen an der Elbemündung, welchen Einfluss Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen auf den Kohlenstoffkreislauf haben. Ihr Ziel ist es, diese Prozesse besser in Erdsystemmodellen abbilden zu können und die Auswirkungen des Klimawandels zu erfassen. Die Leitung hat die Universität Hamburg inne. Beteiligt sind neben dem IGB auch das Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, das Max-Planck-Institut für Meteorologie sowie die Bundesanstalt für Wasserbau. Am 30. Oktober waren Bürgerinnen und Bürger zur hybriden Auftaktveranstaltung des Citizen Science Projekts AuBe eingeladen. Präsentiert wurden Informationen rund um die Themen Lichtverschmutzung und umweltverträgliche Beleuchtung. Live dazugeschaltet war auch die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN), Prof. Beate Jessel, die Handlungsempfehlungen aus der Bundessicht vorstellte. p Seite 8 PD Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de Dr. Sibylle Schroer, schroer@igb-berlin.de Prof. Dr. Hans-Peter Grossart, hgrossart@igb-berlin.de Sven Hünefeldt, sven.huenefeldt@igb-berlin.de SEPTEMBER OKTOBER Im September fand die erste Konferenz des gemeinsam von IGB und TU Berlin organisierten DFG Graduiertenkollegs Urban Water Interfaces (UWI) statt. Die 53 Präsentationen und 5 Keynotes von Expert*innen aus Forschung, Praxis und Verwaltung stellten den aktuellen Wissensstand zum urbanen Wassermanagement vor. Etwa 170 Teilnehmer*innen nahmen an dem Online-Format teil – mehr als bei der ursprünglich in Berlin geplanten Präsenzveranstaltung Platz gefunden hätten. Vorträge unter p http://bit.ly/UWI-Konferenz PD Dr. Sabine Hilt, hilt@igb-berlin.de Prof. Dr. Mark Gessner, gessner@igb-berlin.de Veranstaltung: 2. Nationales Wasserforum Mit dem 2. Nationalen Wasserforum, organisiert von Bundesumweltministerium (BMU) und Bundesumweltamt (UBA), wurde im Oktober ein zweijähriger Dialogprozess zur Zukunft der Wasserwirtschaft in Deutschland abgeschlossen. Aus dem IGB haben sich Jörg Lewandowski, Martin Pusch und Markus Venohr in den Fachpanels eingebracht. Die Ergebnisse fließen in die Erarbeitung der Nationalen Wasserstrategie ein, die die Bundesregierung 2021 vorlegen will. p www.bmu.de/wasserdialog 44  Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: BiCEST © Gaby Stein/pixabay; AuBe © David Ausserhofer Veranstaltung: UWI-Konferenz Intern: Für mehr Gleichstellung Im November hat das IGB einen Gleichstellungsplan für die nächsten zwei Jahre verabschiedet. Er umfasst zentrale Grundsätze, Ziele und Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Zu den Aktionsbereichen gehören zum Beispiel eine Verbesserung des Geschlechtergleichgewichts der Forschenden in allen Karrierestadien und die Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen am Institut. Dr. Kirsten Pohlmann, kpohlmann@igb-berlin.de Projektstart: Ponderful Seit Dezember ist das IGB Teil des EU-Projekts PONDERFUL. Der Name ist Programm, geht es doch um Teich-Ökosysteme (engl. Ponds). Studien deuten darauf hin, dass diesen wegen ihrer Anzahl, ihrer Heterogenität und Biodiversität sowie ihrer biogeochemischen Besonderheiten eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels zukommt. Unter der Leitung der Universität Vic (Spanien) untersuchen Forschende aus elf Ländern – unter ihnen Thomas Mehner und Luc De Meester –, welchen Nutzen Teiche und Teichlandschaften für die Bewältigung des Klimawandels, für die Biodiversität und für den Menschen haben. PD Dr. Thomas Mehner, mehner@igb-berlin.de Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de NOVEMBER DEZEMBER Fotos: Book a Scientist © Leibniz Gemeinschaft; Ponderful © Thomas Mehner Veranstaltung: Falling Walls Die Falling Walls Conference in ­Berlin fand dieses Jahr digital statt – aber nicht ohne IGB-Themen: Sonja Jähnig und Robert Arlinghaus gehörten zu den Finalist*innen der Science Break­ throughs of the Year. In fünfminütigen Videos haben sie erklärt, welche Mauern ihre Forschung zum Einstürzen bringen soll. Veranstaltung: Book a scientist Bei Book a Scientist, dem Speeddating mit der Wissenschaft, hatte jedermann Gelegenheit, sich 25 Minuten lang mit einer Expertin oder einem Experten der Leibniz-Gemeinschaft zu dessen Forschungsthemen auszutauschen. Mit von der Partie waren die IGB-Forschenden Sibylle Schroer, Gregor Kalinkat, Ruben van Treeck und Fabian Schäfer. Alle Finalist*innen p https://falling-walls.com/remote2020/ finalists/ Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Beratung: Nationaler Strategieplan Aquakultur Im Jahr 2020 wurde der Nationale Strategieplan Aquakultur für Deutschland (NASTAQ) überarbeitet und aktualisiert. Auch das IGB brachte sich ein, u.a. beim Runden Tisch zur Aquakultur des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL), wo Fabian Schäfer über die Erfahrungen zu Verbraucherwahrnehmung und -information mit dem IGB-Portal www.aquakulturinfo.de berichtete. Mehr zum dazugehörigen IGB Policy Brief p Seite 17 Dr. Fabian Schäfer, schaefer@igb-berlin.de 45 Ü b e r u n s | 2020 in Zahlen Über uns 2020 in Zahlen 365 Institutsangehörige darunter 155 Wissenschaftler*innen und 94 wissenschaftsunterstützende Mitarbeiter*innen, 114 Gäste und sonstige am IGB tätige Personen 289 Berichte in Print-Medien 1.246 Berichte in Online-Medien 323 Publikationen davon 171 Open Access davon 276 referierte Zeitschriftenbeiträge 32 wissenschaftliche Veranstaltungen und Workshops 17 davon mit internationaler Beteiligung 123 eingeladene Vorträge inklusive Plenarvorträge und Keynote Lectures sowie weitere wissenschaftliche Gesprächsrunden mit insgesamt 46  Stand: 31.12.2020 1.550 Teilnehmenden Jahresforschungsbericht 2020 2020 in Zahlen | Ü b e r u n s 25 Mitarbeitende aktiv in der Lehre 54 Doktorand innen 9 Promotionen 19 Diplom-, Master- und Bachelorarbeiten * 12 gemeinsame Berufungen mit Universitäten . 28 IGB-Kolloquien Drittmittel insgesamt: 7,474 Mio. € Institutionelle Förderung: 16,161 Mio. € Gesamtbudget: 23,635 Mio. € Drittmittelquote: 32 % Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 47 Ü b e r u n s | Köpfe Köpfe Das IGB hat eine neue Professorin: Sonja Jähnig wurde im Leibniz-Professorinnenprogramm ausgewählt und im April 2020 gemeinsam durch das IGB und die Humboldt-Universität zu Berlin zur Professorin für Aquatische Ökogeographie berufen. Im Rahmen der Förderung erforscht sie große Süßwasserarten (Megafauna) wie Störe, Biber oder Flussdelfine und wie sich deren Verschwinden auf die Stabilität und die Funktionen von Süßwasserökosystemen auswirkt. Zudem untersucht sie die gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Tierarten und wie Erkenntnisse hierzu für den Naturschutz genutzt werden können. Das Leibniz-Professorinnenprogramm richtet sich an internationale Spitzenwissenschaftlerinnen aller Disziplinen. Sonja Jähnig ist Mitbegründerin der Alliance for Freshwater Life und gilt in der Limnologie als exzellente Wissenschaftlerin. p Seite 42 Prof. Dr. Sonja Jähnig, sonja.jaehnig@igb-berlin.de Communicator-Preis Für sein vielfältiges Engagement hat Robert Arlinghaus den Communicator-Preis 2020 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten. Die höchste nationale Auszeichnung für Wissenschaftskommunikation ist mit 50.000 € dotiert und soll den Austausch zwischen Forschung und Gesellschaft 48  stärken. Mit dem Preis wird er für seine herausragende Kommunikation zu einer nachhaltigen Fischerei im Spannungsfeld zwischen Gewässernutzung und dem Erhalt der biologischen Vielfalt unter Wasser geehrt. Ihm gelingt es, „ein scheinbares Spezialthema wie das Angeln mit den gesellschaftlich relevanten Fragen der Nachhaltigkeit, des Umweltschutzes und des verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur zu verknüpfen“, urteilte die Jury. Die Preisverleihung musste wegen Corona leider ausfallen. Stattdessen präsentierte die DFG einen Film über den Preisträger p https://youtu.be/zifRTURfk7c. p Seiten 16 und 26 Prof. Dr. Robert Arlinghaus, arlinghaus@igb-berlin.de Gleichstellungsbeauftragte Die IGB-Nachwuchswissenschaftlerin Marta Alirangues wurde im November 2020 durch alle weiblichen Beschäftigten des Forschungsverbundes Berlin (FVB) zur ersten Zentralen Gleichstellungsbeauftragten gewählt. Mit der neu geschaffenen Stelle stärkt der FVB seine Gleichstellungsarbeit erheblich. In den kommenden vier Jahren soll Marta Alirangues vor allem die strategische Entwicklung in den Themenfeldern Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Jahresforschungsbericht 2020 Fotos: Porträts Arlinghaus, Jähnig © David Ausserhofer; Porträt Aliranguez © privat Neue Professur Köpfe | Ü b e r u n s Beruf und Familie in der Wissenschaft vorantreiben. „Ich möchte die Situation von Frauen in der Wissenschaft verbessern. Und ich bin überzeugt, dass große Veränderungen nur gemeinsam erreicht werden können. Deshalb möchte ich ein Netzwerk und eine Austauschplattform mit Vertreterinnen und Vertretern anderer nationaler und internationaler Forschungseinrichtungen aufbauen“, sagt sie über ihre neue Aufgabe. Marta M. Alirangues Núñez, alirangues@igb-berlin.de Mehr Informationen zur Chancengleichheit im FVB p https://www.fv-berlin.de/karriere/chancengleichheit Institutsangehörige 2020 155 Wissenschaftler*innen inkl. 57 Postdoktorand*innen inkl. 36 Doktorand*innen 94 wissenschaftsunterstützende Mitarbeiter* innen 2 Auszubildende 1 Stipendiat*innen des IGB 24 Hilfskräfte und Aushilfen 114 Gäste (sonstige am Institut tätige Personen wie Gastwissenschaftler*innen, Fremdstipendiat*innen, Student*innen, Praktikant*innen, FÖJ) 365 gesamt Anteil nach Geschlecht Wissenschaft: Frauen 41% Männer 59% Wissenschaftsunterstützender Bereich: Außerdem gratulieren wir: • Dörthe Tetzlaff wurde im April 2020 zum Fellow der Geological Society of America (GSA) gewählt. Damit wird ihr nachhaltiger Beitrag zu den Geowissenschaften anerkannt. Die ausgewiesene Expertin ist außerdem Mitglied des ERC Advanced Grant Panels 2020. • Fengzhi He belegte den 1. Platz beim Studierenden-Wettbewerb der International Society of Limnology (SIL), die den Preis alle zwei Jahre für die drei besten Publikationen im Fachgebiet Limnologie vergibt. Fengzhi He erhielt ihn für seinen Fachartikel zum weltweiten Rückgang großer Süßwassertierarten. • Mandy Velthuis hat beim gleichen Wettbewerb den 2. Platz für ihre Publikation zum Einfluss der globalen Erwärmung auf den Kohlenstoffkreislauf in flachen Gewässern erhalten. • Philipp Wolke, einstiger Masterand am IGB, belegte den 3. Platz des Schwoerbel-Benndorf-Nachwuchspreises der Deutschen Gesellschaft für Lim­ nologie (DGL). Ausgezeichnet wurde er für seine Masterarbeit und einen Fachartikel zum Einfluss der Migrationsgeschwindigkeit von Bettformen auf die Sauerstoffdynamik in der hyporheischen Zone. • Mina Bizic ist eine von 25 Frauen, die für das 16-monatige Leibniz-Mentoring-Programm ausgewählt wurden. Das Programm unterstützt exzellente promovierte Forscherinnen auf ihrem Weg in eine Führungsposition oder Professur. • Hans-Peter Grossart wurde von der Fachzeitschrift Limnology and Oceanography (L&O) als „Outstanding Associate Editor“ geehrt. Für das Aushängeschild der Association for the Sciences of Limnology and Oceanography (ASLO) betreute er im Jahr 2020 mehr als 35 Manuskripte. • Robert Schwefel, Postdoktorand am IGB, wurde von der L&O als “Outstanding Reviewer” hervorgehoben. • Alexander Sukhodolov ist zum Mitglied des Führungsteams des Strömungsmechanik-Ausschusses (Fluid Mechanics Committee) der International Association of Hydraulic Research (IAHR) ernannt worden. • Klement Tockner, der das IGB von 2007 bis 2016 leitete, ist neuer Senckenberg-Generaldirektor. Wir freuen uns, unseren ehemaligen Direktor und Gastwissenschaftler in der Leibniz-Gemeinschaft wiederzusehen! Frauen 65% Männer 35% Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 49 Ü b e r u n s | Personalentwicklung Ausgezeichnete Personalentwicklung am IGB Für unsere Personalentwicklungsstrategie wurden wir von der Europäischen Kommission mit dem „HR Excellence in Research Award“ ausgezeichnet. Alle drei Jahre nehmen wir neue Aufgaben ins Visier, deren Umsetzung regelmäßig extern begutachtet wird. Kirsten Pohlmann, unsere Koordinatorin für Karriereentwicklung, erklärt den Prozess hinter der „Human Resources Strategy for Researchers“ (HRS4R). Das IGB durchläuft zurzeit die dritte Evaluierung nach dem HRS4R-Standard der Europäischen Kommission. Die erste Frage ist einfach: Warum? Der Statistikkurs hat also Karriere gemacht… Kirsten Pohlmann: Die Antwort ist eigentlich auch simpel: Wir wollen dafür sorgen, dass gute Leute gerne und unter den besten Bedingungen bei uns arbeiten – und dass die, die noch am Anfang stehen, bestmöglich auf ihre Laufbahn innerhalb und außerhalb der Wissenschaft vorbereitet werden. Warum hat sich das IGB für den „extra Aufwand“ eines EU-Programms entschieden? Als ich als Postdoktorandin ans Institut kam, gab es weniger Doktorand*innen und Postdocs als heute, sodass deren Weiterbildung noch leichter individuell durch die Betreuer*innen abgedeckt werden konnte. Dann wurde unser wissenschaftlicher Nachwuchs erfreulicherweise immer internationaler und zahlreicher, und damit die Schwerpunkte in den Studiengängen unterschiedlicher. Aus anfänglichen Statistikkursen entwickelte sich das IGB-Promotionsprogramm. Und dadurch wiederum erkannten wir den Bedarf für eine systematische Karriereunterstützung für alle Mitarbeitenden am IGB. Förderung von Doktorand*innen 64 12 5 47 67 66 7 5 10 10 7 6 43 45 …und den Weg für weitere zentral organisierte Personalentwicklungsmaßnahmen geebnet. Es folgten Schulungen für junge Gruppenleiter*innen und dann für alle Führungskräfte – und schließlich der Wunsch nach noch mehr Stringenz und Verbindlichkeit. Weil das IGB ein international ausgerichtetes Forschungsinstitut ist, haben wir uns für das HRS4R-Programm der EU entschieden. Ein weiterer Pluspunkt ist hier, dass wir viel von anderen europäischen Institutionen lernen, die schon weiter bzw. besser sind. Was hat sich durch den HRS4R-Prozess für die Mitarbeitenden am IGB verändert? Wir hätten natürlich auch weiterhin „aus freien Stücken“ an uns arbeiten können. Aber durch den offiziellen Prozess hat die Personalentwicklung am IGB noch einmal an Priorität gewonnen – und wir können die nötigen Veränderungen gezielter vorantreiben. Die Entwicklung der Maßnahmen ist sehr partizipatorisch angelegt: dass wir unsere Personalentwicklungsstrategie verbessern, wurde von der Institutsleitung entschieden. Die konkreten Maßnahmen aber werden von Vertreter*innen aller 50+31+4211v Afrika: 1 Süd- und Lateinamerika: 1 53 54 5 8 6 4 5 37 6 36 Nordamerika: 2 Asien: 5 Herkunft Doktorand*innen 2020 weitere am IGB betreute Doktorand*innen Deutschland: 26 Europa (ohne D): 19 sonstige extern finanzierte Doktorand*innen Fremdstipendiat*innen angestellte Doktorand*innen 2016 50  2017 2018 2019 2020 jeweils per 31.12. Jahresforschungsbericht 2020 Personalentwicklung | Ü b e r u n s Mitarbeitendengruppen entwickelt und mit der Direktion abgestimmt. Eine hervorragende Arbeitsteilung, die sicherstellt, dass alle hinter den Maßnahmen stehen. Dank des Prozesses müssen wir uns immer wieder ehrlich und strukturiert fragen, in welchen Bereichen es bei uns hapert. Und wo hapert es am IGB? Das waren zu Beginn zum Beispiel die Themen Internationalisierung und die damit einhergehende Zweisprachigkeit des Instituts, die „vergessenen“ Postdoktorand*innen oder intransparente Stellenvergabe- und Entfristungsverfahren. Inzwischen sind wir in Sachen Englisch gut aufgestellt und müssen eher wieder ein Auge auf die deutschsprachigen Inhalte haben – die Mehrsprachigkeit für alle zufriedenstellend umzusetzen, begleitet uns also über längere Zeit. Für die Postdoktorand*innen haben wir jetzt eine Postdoc-Society, einen Fortbildungsetat und jährliche Vernetzungstreffen. Und unsere Rekrutierungsrichtlinie und das TenureTrack-Verfahren sind nun klar strukturiert, verbindlich und dienen sogar anderen Instituten als Vorlagen. Welche Maßnahmen haben es in den aktuellen Aktionsplan geschafft? Mittlerweile interpretieren wir „4R“ – also „for Researchers“ – deutlich breiter und haben auch unseren Blick für das wissenschaftsunterstützende Personal geschärft, ohne das die IGB-Forschung ja nicht möglich wäre. Wir wollen unsere technischen und methodischen Kompetenzen besser bündeln und in diesem Feld auch die Weiterbildung unserer Mitarbeitenden stärken. Außerdem wollen wir bis 2023 ein Diversity-Konzept fürs IGB Abschlüsse & Co. 56 2 Foto: Porträt Pohlmann © David Ausserhofer 19 17 40 35 2 20 24 29 1 9 14 13 9 10 9 4 2016 Sorgen Sie sich um das Ergebnis der aktuellen Evaluierung? Nun ja, wer wird schon gerne examiniert? Eigentlich bin ich vor allem gespannt. Die Gutachter*innen schauen sich an, ob wir unseren Aktionsplan 20172020 erfolgreich umgesetzt haben. Und sie beurteilen, ob wir für 2021-2023 zu ambitioniert oder nicht ambitioniert genug sind, ob die Maßnahmen erfolgsversprechend sind oder ob wir wichtige Aspekte unter den Tisch haben fallen lassen. Natürlich könnten wir uns freuen, wenn das Ergebnis lautet, dass einfach alles perfekt gedacht und umgesetzt ist. Aber besser geht ja bekanntlich immer. Also sind wir gespannt auf die Vorschläge, wo und wie wir noch an uns arbeiten können. Die Gutachter*innen bringen die Erfahrungen aus ihren eigenen und anderen europäischen Forschungseinrichtungen ein, sodass wir mit vielen guten Ideen rechnen können. Das Gespräch führte Katharina Bunk. Dr. Kirsten Pohlmann, kpohlmann@igb-berlin.de Mehr Informationen zu unserer Philosophie sowie zum Arbeiten und Forschen am IGB haben wir auf unserer Website zusammengestellt. Hier finden Sie auch aktuelle Stellenangebote. p www.igb-berlin.de/karriere 50 16 35 erarbeiten und unsere Gleichstellungsbemühungen noch einmal deutlich intensivieren. Fast fertig sind wir mit unserer Richtlinie gegen sexuelle Belästigung, die dann auch durch Schulungen flankiert wird. Weitere Schwerpunkte für die nächsten drei Jahre sind die Themen Open Science, unsere interne Kommunikation sowie die Erneuerung unserer IT-Infrastruktur, wodurch unter anderem hybrides Arbeiten erleichtert werden soll. Die Unterstützung internationaler Forschungspraktika für unsere Nachwuchswissenschaftler*innen steht auch im Plan – um nur einige der rund 70 Maßnahmen zu nennen. 2017 2018 2019 6 2020 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Rufe an IGB-Mitarbeiter*innen Dissertationen Diplom- und Masterarbeiten Bachelorarbeiten jeweils per 31.12. 51 Ü b e r u n s | Publikationen Publikationen Wissenschaftliche Highlights Auf der IGB-Website präsentieren wir Ihnen eine neue Übersicht ausgewählter Publikationen, die Sie nach Themen, Abteilungen und Programmbereichen filtern können: p www.igb-berlin.de/ausgewaehltepublikationen Im Jahr 2020 wurden insgesamt 323 Publikationen des IGB veröffentlicht, darunter 276 Beiträge in referierten Fachzeitschriften. Alle Veröffentlichungen sind im OnlineKatalog (OPAC) unserer Bibliothek nachgewiesen und recherchierbar: p www.igb-lib.igb-berlin.de Das IGB unterstützt die Prinzipien einer offenen Wissenschaft (Open Science). Mit unserer Open Access Policy machen wir stetig mehr Forschungswissen frei zugänglich: So erschienen im Jahr 2020 171 IGB-Publikationen direkt im Open Access. Die Open-Access-Quote liegt somit bei 53 Prozent. Durch die Teilnahme an Transformationsverträgen konnten 27 Publikationen im Hybrid Open Access veröffentlicht werden. Aus Mitteln des IGB-Publikationsfonds wurden zudem die Article Processing Charges (APC) für 25 Publikationen im Gold Open Access übernommen. Darüber hinaus bemühen wir uns, alle Nicht-OpenAccess-Artikel, die am IGB entstanden sind, als Zweitveröffentlichung im Fachrepositorium PUBLISSO frei zugänglich zu machen. 2020 kamen so 14 Publikationen im Green Open Access hinzu. Bibliothek Der bisher am meisten zitierte Artikel aus 2020 Die Bibliothek des IGB ist eine limnologische Spezialbibliothek mit einem Bestand von etwa 46.000 gedruckten Medieneinheiten und umfangreichen elektronischen Lizenzen. Sie bietet ein breites Serviceangebot und berät bei Fragen rund ums Publizieren und Open Access. Wijayawardene, N. N., et al. (2020). Outline of fungi and fungus-like taxa. Mycosphere, 11(1), 1060-1456. https://doi.org/10.5943/mycosphere/11/1/8 In erster Linie ist die Bibliothek eine Serviceeinrichtung für die Mitarbeiter*innen des Instituts. Als Präsenzbibliothek steht sie aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit nach telefonischer Anmeldung zur Verfügung. p www.igb-berlin.de/bibliothek Dr. Thomas Gerdes und Caroline Schmunck, library@igb-berlin.de Transformationsverträge ■ gesamt ■ referierte Publikationen 89 OAAnteil 26 % 2016 52  105 OAAnteil 32 % 2017 115 OAAnteil 32 % 2018 360 342 331 323 295 273 345 291 276 273 Publikationen Open-Access-Publikationen ■ Monografien p bit.ly/IGB-Publikationen-2020 Foto: David Ausserhofer Ein Weg hin zu einer offeneren Wissenschaft ist die Umwandlung der Subskriptionsmodelle etablierter Fachzeitschriften in Open-Access-Modelle. Transformationsverträge, wie DEAL, enthalten dabei Lese- und Publikationskomponenten. Durch die Zahlung von Publish and Read Fees werden die im Rahmen der Verträge in Closed-Access-Zeitschriften publizierten Artikel im Open Access zugänglich (Hybrid Open Access). Alle IGB-Publikationen 2020 als Liste 171 ■ gesamt (ohne Abschlussarbeiten) 163 ■ Monografien ■ referierte Publikationen 130 OAAnteil 45 % 2019 OAAnteil 53 % 6 9 9 5 8 2020 2016 2017 2018 2019 2020 Stand: 30.01.2021 Jahresforschungsbericht 2020 Finanzen | Ü b e r u n s Finanzen 2020 Stand 31.12.2020 Institutionelle Förderung durch Bund und Länder����� 16.161.100 € davon Kernhaushalt ������������������������������������������������������������ 14.127.100 € davon für große Baumaßnahmen�������������������������������������� 2.034.000 € 36+14+26742101v Stiftungen EU/international Wirtschaft Sonstige öff. Bund Drittmittel auf Ausgabenbasis Leibniz-Wettbewerb Drittmittel inkl. fremdverwaltete Drittmittel��������������������7.474.168 € davon Bund���������������������������������������������������������������������������������������2.507.181 € davon Länder��������������������������������������������������������������������������������������� 870.478 € davon DFG�����������������������������������������������������������������������������������������1.751.530 € davon Leibniz-Wettbewerb������������������������������������������������������������� 531.728 € davon sonstige öffentliche Zuwendungsgeber������������������������ 158.629 € davon Wirtschaft/nichtöffentliche Zuwendungsgeber�������� 111.242 € davon EU/internationale Zuwendungsgeber��������������������������� 961.934 € davon Stiftungen����������������������������������������������������������������������������������84.865 € Mitarbeitende nach Finanzierung 229 85 144 235 233 98 93 242 104 Länder DFG 251 92 drittmittelfinanziert 137 140 138 159 haushaltsfinanziert Wissenschaftler*innen, wissenschaftsunterstützende Mitarbeiter*innen und Auszubildende (ohne Stipendiat*innen des IGB, Hilfskräfte/Aushilfen und Gäste) 2016 2017 2018 2019 2020 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 53 Ü b e r u n s | Struktur Struktur Immer aktuell auf unserer Webseite p www.igb-berlin.de/structure Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei im Forschungsverbund Berlin e.V. Wissenschaftlicher Beirat Direktor Geschäftsführerin Forschungsverbund Berlin e.V. Vorsitz: Bernhard Wehrli Luc De Meester Manuela Urban Wissenschaftliche Referentin Kommunikation und Wissenstransfer Karriereentwicklung Ina Severin Angelina Tittmann MD 310 MD 310 Verwaltung Gwendolyn Billig Einkauf, Finanzen, Personal IT Bibliothek Betriebstechnik Kirsten Pohlmann Gwendolyn Billig Enrico Willenbücher Thomas Gerdes Bernd Schubert NGL MD 310 MD 310 MD 310 MD 301 Forschungsabteilungen 1 Ökohydrologie 2 Ökosystemforschung 3 Experimentelle Limnologie 4 Biologie und Ökologie der Fische 5 Ökophysiologie und Aquakultur 6 Chemische Analytik und Biogeochemie Dörthe Tetzlaff Rita Adrian Mark Gessner Jens Krause Werner Kloas Michael Hupfer (a.i.) MD 310 MD 301 NGL MD 310 MD 310 MD 301 Querschnittsthemen PB 1 – Aquatische Biodiversität Hans-Peter Grossart und Jonathan Jeschke NGL und FU Berlin PB 2 – Aquatische Stoff- und Energieflüsse im globalen Wandel Tobias Goldhammer (a.i.) und Sabine Hilt (a.i.) MD 301 Stand: Febraur 2021 PB 3 – Interaktion Mensch-Gewässerökosystem Christian Wolter MD 310 MD 310: Müggelseedamm 310, Berlin | MD 301: Müggelseedamm 301, Berlin | NGL: Neuglobsow, Stechlin 54  Jahresforschungsbericht 2020 Struktur | Ü b e r u n s Wissenschaftlicher Beirat des IGB Prof. Bernhard Wehrli Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Abteilung Oberflächengewässer, Eawag, Schweiz Prof. Christoph Schneider Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland Prof. Beatrix Beisner Département de Sciences Biologiques, Université du Québec à Montréal, Kanada Prof. Petra Döll Institut für Physische Geographie, Johann Wolfgang Goethe-University Frankfurt am Main, Deutschland Prof. Nelson G. Hairston Jr. Frank H. T. Rhodes Professor of Environmental Science, Emeritus, USA Prof. Ken Irvine UNESCO-IHE Institute for Water Education, Niederlande Dr. Anita J. T. Narwani Abteilung Aquatische Ökologie, Eawag, Schweiz Prof. Gunilla Rosenqvist Uppsala University - Campus Gotland, Schweden Vertretungen und Beauftragte Ombudsperson Sabine Hilt, Sabine Wollrab (Stellvertreterin) Gleichstellungsbeauftragte Kirsten Pohlmann, Justyna Wolinska (Stellvertreterin) Schwerbehindertenvertretung Stand: Febraur 2021 Georg Staaks Doktorand* innenvertretung Benjamin Archer, Laura Jentzsch, Birgit Müller, Hanna Schulz, Kai-Ti Wu Postdoc-Vertretung Andreas Jechow (Sprecher), Gregor Kalinkat, Renee van Dorst, Simone Podschun, Kingsly Chuo Beng Betriebsrat Sascha Behrens (Vorsitzender), Thomas Hintze, Eva Kreuz, Marén Lentz, Kerstin Schäricke, Claudia Schmalsch, Viola Schöning, Georg Staaks, Antje Tillack Immer aktuell auf unserer Webseite p www.igb-berlin.de/structure Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 55 Impressum Der Jahresforschungsbericht des IGB soll Ihnen einen Einblick in die Forschungsarbeit, Struktur und Organisation unseres Instituts geben. Wenn Sie mehr über uns erfahren wollen, besuchen Sie unsere Webseite oder wenden Sie sich direkt an uns: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Berlin e.V. Müggelseedamm 310 12587 Berlin www.igb-berlin.de Telefon: +49 30 64181-500 E-Mail: info@igb-berlin.de Facebook: IGB.Berlin Twitter: @LeibnizIGB Newsletter: www.igb-berlin.de/newsletter Impressum Vielen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Jahresforschungsbericht mitgewirkt und uns unterstützt haben! Herausgeber: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) V.i.S.d.P.: Luc De Meester, Manuela Urban Redaktion: Angelina Tittmann Lektorat: Wiebke Peters Gestaltung: Stephen Ruebsam Alle nicht gezeichneten Fotos: IGB Druck: dieUmweltDruckerei GmbH Gedruckt auf Recycling Circle Offset Premium White. klimaneutral natureOffice.com | DE-275-24FDVL5 gedruckt Copyright: IGB, März 2021 https://dx.doi.org/10.4126/FRL01-006426131 Mit Ausnahme von Fotos und Abbildungen ist der Inhalt dieses Dokuments lizenziert unter Creative Commons BY-NC 4.0 Germany. 56  Jahresforschungsbericht 2020 Leibniz Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Berlin e.V. Standorte Berlin-Friedrichshagen: Müggelseedamm 301 und 310 12587 Berlin Standort Berlin-Adlershof: Justus-von-Liebig-Str. 7 12489 Berlin Standort Stechlin: Zur alten Fischerhütte 2 16775 Stechlin OT Neuglobsow Foto: © Solvin Zankl www.igb-berlin.de
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