Es war im Jahre 1775, als der Werther erschien, welcher Goeihe nicht nur eine deutsche, fondern auch eine euro-
päische Berühmtheit verschaffte. Wie er die Geister des damaligen Deutschlands aufregte, davon können wir uns jeßt keinen
Begriff machen. Man fann den Werther das hohe Lied der Sentimentalität nennen. Das war nun nichts für den ratio-
nalistisch -berlinisch räsonnirenden Nicolai. Das entstehende Genie Goethes anzuerkennen, war diesem tro>enen Kritiker und
seinem Kreise unmöglich. Er schrieb den bekannten Anti-Werther, betitelt:
„Freuden des jungen Werthers. Leiden und Freuden Werthers des Mannes. WVoran und zuleßt ein Gespräch.
Mit Titelkupfer von Chodowieki. Berlin 1775.“
Seinen Inhalt darf ich im Allgemeinen als bekannt voraussezen. Die Pointe ist, daß dem Helden statt einer
scharfgeladenen Pistole eine mit Hühnerblut geladene in die Hand gespielt wird, daß der Selbstmordversuch mißlingt und
Werther seine Lotte heirathet. Wie mußte ein solches Machwerk den Spott der jungen geistreichen Sturm- und Drangzeit
hervorrufen. Nicht ohne gemüthliche Ironie erzählt uns Goethe in seiner Dichtung und Wahrheit davon, aber in
Wirklichkeit mag er viel erbitterter gewesen sein gegen den Redanten an der Spree, der doch ein großes Publikum
das seinige nennen konnte. Goethe antwortete zuerst mit dem Gedicht: „Nicolai auf dem Grabe Werthers.“ Er bezeichnete
es in seiner Lebensgeschichte als verschollen. Wißbegierige Kommentatoren haben es jedo<h aufgespürt, und verweisen wir
Jeden, ver es näher kennen lernen will, auf S. 198 des dritten Bandes der Dempelschen Goethe- Ausgabe, da es nicht
gut möglich ist, es hier mitzutheilen. Auch eine dramatische Antwort von Seiten des Dichters erfolgte, wie er ja damals in
seinem Schaffensdrange alles, was ihn bewegte, in die Form eines Dramas brachte. Lassen wir Goethe selber darüber sprechen :
„Ich schrieb einen prosaischen Prolog zwischen Lotte und Werther, der ziemlich nekisch ausfiel. Werther beschwert
sich bitterlich, daß die Erlösung durch Hühnerblut so schlecht abgelaufen. Ex ist zwar am Leben geblieben, hat sich aber die
Augen ausgeschossen. Nun ist er in Verzweiflung, ihr Gatte zu sein und sie nicht sehen zu können, da ihm der Anbli>
ihres Gesammtwesens fast lieber wäre, als die süßen Einzelheiten, deren er sich durchs Gefühl versichern darf. Lotten, wie
man sie kennt, ist mit einem blinden Manne auch nicht sonderlich geholfen, und so findet sic) Gelegenheit, Nicolais Beginnen
höchlich zu schelten, daß er sich ganz unberufen in fremde Angelegenheiten mische. Das Ganze war mit gutem Humor
geschrieben und schilderte mit freier Vorahnung jenes unglückliche dünkelhafte Bestreben Nicolais, sich mit Dingen zu befassen,
venen er nicht gewachsen war, wodurch er sich und Andern in der Folge viel Verdruß machte und darüber zuleßt bei so ent-
schiedenen Verdiensten seine literarische Achtung völlig verlor. Das Originalblatt dieses Scherzes ist niemals abgeschrieben
worden und seit vielen Jahren verstoben.
Ich hatte für die kleime Produktion eine besondere Vorliebe, die reine, heiße Neigung der beiden jungen Personen
war durch die komische tragische Lage, in die sie sich versetzt fanden, mehr erhöht als geschwächt. Die größte Zärtlichkeit
waltete durchaus, und auch der Gegner war nicht bitter, nur humoristisch behandelt. Nicht ganz so höflich ließ ich das
Büchlein sprechen, welches, einen alten Reim nachahmend,') sich also ausdrückte:
Mag jener dünkelhafte Mann
Mich als gefährlich preisen,
Der Plumpe, der nicht shwimmen kann,
Er will's dem Wasser verweisen.
WaZ schiert mich der Berliner Bann,
Geschmäcklerpfaffenwesen!
Und wer mich nicht verstehen kann,
Der lerne besser lesen!)
Vom Berliner Bann spricht also unser Dichter und er bezeichnet damit nicht nur Nicolai, sondern den ganzen Kreis,
ver sich damals in unserer Hauptstadt an diesen Mann anschloß. Daß er es übrigens für Werth gehalten hat, seinem
Gegner noch im Faust einen Hieb zu verseßen, ist bekannt. In der Scene auf dem Bloc>ksberg wird Nicolai noch einmal
recht hart mitgenommen, der Xenien nicht zu gedenken.
Himburg und Nicolai, das waren also die Berliner, mit denen Goethe zuerst in Berührung kam, wenn auch nicht
in persönliche. Sehen wir zu, was er weiter von Berlin kennen lernte. Nur einmal hat er einen persönlichen Besuch hier
gemacht. Es war im Mai 1778, als er seinen Herzog nach Berlin begleitete. Von Leipzig reisten sie, wie wir aus
Dr. Friedrich Wilhelm Riemers Mittheilungen über Goethe (Band 11, 59--61) wissen, über Dessau, Wörlit, Treuenbrießen
nach Rotsdam, welches damals noch ziemlich nahe an der sächsischen Grenze lag. Am 15. Mai langten sie in Berlin an.
Seinen Herrn führte die Rolitik nach Berlin. Goethe hatte dafür, wie fast immer, kaum ein Interesse; ihn interessirte aber
das, was er als das wahrhaft Große und Erhabene im preußischen Staate ansah, die Person des Königs. Sah er doch nicht
nur in ihm ven größten Fürsten Deutschlands, sondern auch den, der auch der geistigen Welt Deutschlands, wenn auch
unbewußt, einen neuen Aufschwung gegeben hatte. Bekannt ist die Stelle*) aus Dichtung und Wahrheit: „Der erste wahre und
höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges in die
deutsche Poesie.“
Wie sehr er sich für ven Fürsten interessirte, geht aus den erhaltenen Briefen hervor; aber auch das militärische
Wesen, ver Nerv des preußischen Staates, konnte in jener kriegerischen Zeit =- es währte der bayerische Erbfolgekrieg no< =
nicht ohne Eindru> auf ihn bleiben. Lassen wir die bezüglichen Briefe hier folgen.
Er schreibt am 17. Mai aus Berlin an Frau v. Stein: |
„Ic<h dachte heute an des Prinzen Heinrich Tafel daran, daß ich Ihnen schreiben müsse; es ist ein wunderbarer
Zustand, eine seltsame Fügung, daß wir hier sind. Durch die Stadt und durch mancherlei Menschen Sewerb und Wesen
hab ich mich vurchgetrieben. Von den Gegenständen selbst mündlich mehr.
1) Die poetische Vorrede von Eifes v. Repgow zum Sachsenspiegel; ef. Goethe3 Werke (die Hempelsche Ausgabe ist immer
citirt), By». 23, S. 242.
2) Goethes Werke, Bd. 22, S. 135.
3) Goethes Werke, Bd. 21, S. 62.