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Brauen auf eine Weise, daß der Beschaner, wenn er jede dieser Einzelheiten besonders betrachtete, unmöglich günstig für diese
Physiognomie gestimmt werden konnte.
Vermehrt ward dieser Eindruck durch die dieke , zwei Hände breite schwarzseidene Halsbinde, aus der ein spitzes Kinn fra-
gend hervorschaute, so wie durch eine gleichfalls schwarzseidene Weste, dicht bis oben am Halstuche zugeknöpft und grell kontrastirend
mit den zwei mageren Schenkeln , in dicht anliegenden schmutzig gelben hixschledernen Beinkleidern , an welchen zwei lange dürre
Arme und Hände ungrazibs herabhingen.
So unheimlich und gespensterhaft nun diese Gestalt nach dieser Schilderung dastehen mag, so wohlthuend, kann ich ver-
sichern , wirkte sie auf mich, als der Künstler von seiner Tribüne herabgestiegen war, meine Hand zum zweiten Male ergriff und
ein Strom herzlicher Rede zwischen zwei Ufern blendend weißer Zähne, die der festgeschlossene, schön geformte Mund bisher nicht
erblicken ließ, hervorquoll. Der Ton seiner Stimme war kräftig, klangreich , seine Worte ungesucht und doch bedeutend, bestimmt-
männlich. Die scharfe Vetonung des »R« in seiner Aussprache, ohne zu schnarren, übte einen seltenen Wohllaut aus: und sal) man
ihm bei seiner Rede in's Gesicht, so mußte die Wärme, die aus demselben entgegen kam , unbedingt für ihn einnehmen und jede
frühere mephistophelische Einwirkung einzelner Theile verschwand in der Harmonie des schönen Ganzen.«
Am Dessauer Theater, das unter der Leitung des Direktor Bossann stand, debütirte nun der uns eben geschilderte
Herzberg =- Devrient, welcher für das Fach der Intriguants und <argirten Charaktere engagirt war, als »Paolo Manfrone«
im »Bayard« von Kokebue und erntete außerordentlichen Beifall. Seine zweite Rolle war »Otto von Lövenstein« in der »Teufel-
mühle« , =- nach und nach gelang e8 ihm, besonders durch seines Freundes Fun > Vermittelung , mehrere Rollen , die bisher der Direk-
tor , ein ziemlich mittelmäßiger Schauspieler, inne gehabt, zu erhalten , wie z. B. den »Geizigen« von Moliere und den »Franz
Movor«, die, obgleich sie Anfangsstudien, doch schon von hoher Kunstvollendung zeugten. »Talbot« in der » Jungfrau von Orleans«,
»Amtmann« in »Den Jägern«, »Wurm« in »Kabale und Liebe« ; diese Rollen, wie alle ihm übertragenen studirte er mit unermüd-
lichem Eifer und lernte sie so wörtlich auswendig, daß er nie des Souffleurs bedurfte. Devrient lernte und probirte vor dem
durch zwei Kerzen erleuchteten Spiegel ; durch die Stube auf und abschreitend, oft ein Glas Wein hinunter stürzend , wurde die
Rolle deklamirt, mit einem Eifer und Feuer, als wenn es hier gelte die größten Triumphe zu erringen. In dieser stillen Werkstatt
seines Geistes, zu der nur vertraute Freunde Zutritt hatten, von denen es aber Devrient gern sah, wenn sie den Dialog lasen,
so daß er mit seiner Rolle nur einzufallen brauchte, erlangte er mit sich und seiner Kunst die Zufriedenheit, die ihm selbst die
glänzendsten Bühnenerfolge, die günstigste Kritik nicht gewähren konnten. Außer den Shakespear'schen Königen / die er in Dessau,
wie schon oben gesagt, eifrig studirte, beschäftigte er sich besonders eingehend mit »König Philipp« in »Don Carlo8«, den er mit
seinem schönen Organ und einer unbeschreiblich salbungsvollen Betonung, die zugleich etwas Schanererregendes hatte, vortrug.
So lebte er hier ein künstlerisches Stillleben ; er war wie Fun> sagt: »die personificirte Poesie in ihrer Selbstbetrachtung«.
Aus dieser sollte er aber plößlich aufgeschreckt , in neuen Kampf, in verstärkte Zweifel gestürzt werden.
Sein Freund, der diesen Sturm in Devrients Gefühlswelt mit durchlebt und ihn uns treu geschildert hat, mag hier
wörtlich angeführt sein, da sein Rath dazu beigetragen, daß Devrient ihn glücklich überstand und der Kunst erhalten blieb,
Funck schreibt:
» Devrients VBater hatte dem Sohne Verzeihung angekündigt und zugleich Bezahlung einiger damals gemachten Schulden
zugesagt, wenn er die Bühne verlassen und in das väterliche Haus zurückkehren wolle.
Mit rothgeweinten Augen und verstörtem Angesicht kam unser Freund zu mir, fiel mir um den Hals und bat mich unter
Schluchzen, ihm zu rathen , was er beginnen sollte. Das kindliche Herz lag in heftigem Kampfe mit dem Genius seiner Kunst, der
Sieg wollte sich zu keiner Entscheidung neigen; mit beiden Parteien im Busen kämpfend , stand er da, und =- ich sollte entschei-
den! =- Das war eine der peinlichsten Lagen, in die ich je gerathen, und ich bat ihn um einige Stunden Aufschub , mich zu besinnen.
Gegen Abend, als wir wieder zusammen kamen, nahm ich ihn auf mein Zimmer, sagte ihm, daß ich die Sache ruhig
und nach allen ihren Umständen erwogen und fest dabei verharre: »Er müsse der Kunst treu bleiben, selbst wenn der Verlust der
väterlichen Liebe ihn bedrohe.« »Seien Sie versichert;« fügte ich hinzu, »daß ich hundert Anderen in ähnlichem Falle stehenden
Künstlern das Gegentheil rathen würde, wo der Beruf zur Kunst nicht so entschieden vor Augen läge; denn die Entscheidung einer
Frage, wie Sie sie an mich stellen, betrachte ich als eine der größten Gewissensfragen, und würde ich im anderen Falle, auch
nur bei halber Hinneigung zum Baterherzen, an dasselbe zurückzukehren unbedenklich rathen ; Ihnen aber rathen, die Kunst zu
verlassen , hieße einen Mord an derselben begehen! Schreiben Sie an Ihren Vater einen herzlichen Brief , stellen Sie ihm vor, wie
die Kunst mit Jhrem physischen Leben verwachsen sei, wie Sie das Gefühl in sich trügen, was Sie einst derselben werden würden,
und daß, wenn Jhre Worte sein Vaterherz nicht zu versöhnen vermöchten , die noch schlummernde That, womit Sie die Herzen aller
Edleren einst zu gewinnen gewiß wären, auch Ihr Recht auf sein Herz ausüben würde.« =- Devrient, sah mich mit großen
starren Augen an, ergriff meine Hände, preßte sie an seine Brust und sprach: »Jc< bitte Sie um Gotteswillen , jagen Sie es mir
noch einmal, ob Sie wirklich glauben, daß ich Beruf zur Kunst habe, nicht was man gemeinhin so nennt, sondern echten , wahren,
und daß es mir damit nie fehlschlagen werde.«
Ich wiederholte das Gesagte mit ähnlichen Worten und betheuerte ihm die Aufrichtigkeit meiner Meinung. »Nun«, schloß
er kalt, aber tief im Jnnersten aufgeregt, »so will ich morgen doch noch in »Den Mündeln« den »Kanzler Flessel« spielen und
sind Sie nach der Vorstellung noch derselben Meinung, meinem Vater schreiben, daß ich der Bühne verbleibe.«
Mit diesem »Kanzler Flessel« verhielt es sich folgendermaßen: Schon unter Bodes Direktion erregte diese Rolle Devrients
ganze Aufmerksamkeit durch die Darstellung eines Schauspielers, der sie, wie er sagte, gänzlich vergriff. Von jener Zeit an be-
schäftigte ihn das Lernen mid Studiren des Kanzlers, der offenbar, wie er das recht gut fühlte, seiner Individualität vollkommen
angemessen war. Seit seinem Engagement in Dessau hegte er nun fortwährend den Wunsch, als solcher aufzutreten. Aber der
Direktor Bossann selbst, wenn ich nicht irre, war im Besikße der Rolle, oder andere Steine des Anstoßes lagen im Wege, genug,
es wollte dem Freunde lange nicht gelingen, die »Mündel« auf dem Repertvir zu sehen, bis nach ungefähr einem Jahre sein Wunsch
erfüllt ward.
Diese Rolle sollte nun der Prüfsftein zu dem dereinst zu wählenden Lebenswege werden. Devrient hatte gegen alle
sonstige Gewohnheit von derselben mit soviel Selbstbewußtsein gesprochen, daß mix wirklich unter den obwaltenden Umständen etwas
bange war, um so mehr, als ich wußte, wie schneidend die geringste Selbsttäuschung auf ihn wirkte, wenn er sie wahrzunehmen
glaubte, und wie nachtheilig die Wahrnehmung auf sein Spiel, von dem diesen Abend soviel abhing, ausfallen konnte. Der Abend
kam, Devrient trat mit einer sonst nie bemerkten, aber diesmal sichtbaren Befangenheit auf, behielt diese fortwährend und ver-
gaß sie nur bei ein paar Glanzstellen. == Daß die Ausführung des Charakrers aber von einem tief durchdachten Studium zeugte
Namhafte Berliner
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