wenn man es heute aufmerksam be-
trachtet, so kann man an die Worte
denken, die Prentice Mulford in
seinem Buche vom „Unfug des
Sterbens‘“ geprägt hat: „Die Unsitte
der Hast ruiniert mehr Existenzen,
als man ahnt. Die geruhsamen Men-
schen aber halten das Leben in star-
ken Händen!“
Erst jetzt war für Ludwig Späth
der Zeitpunkt gekommen, in dem er
glaubte, sich einen „Luxus‘“ leisten
zu können. Er, der es noch als
„luxuriös und unhygienisch‘“ be-
mängelte, dass sein Sohn einen ihm
zur Hochzeit geschenkten Teppich
benutzte, er, der sich täglich mit
einer einzigen Zigarre begnügte, die
er nach wenigen Zügen ausgehen
liess, um sie später wieder anzu-
zünden, erinnerte sich — wie er
später humorvoll erzählte‘:—, dass er
BE RSDMICH von einem benachbarten
attlermeister einen brauchbaren
Sattel billig erstanden hatte. Bald
machte ihn der Zufall auch zum Be-
sitzer eines guten Zaumzeuges. Nun
glaubte er, es vor sich und den
einigen verantworten zu können,
wenn er durch den Ankauf eines
Ludwig Späth. Reitpferdes diese bisher unbenutzten
Dinge zu nutzbarer Anwendung
bringe. Und nun sehen wir den Greis im wallenden, schneeweissen Haar täglich auf aus-
Lee m Spazierritten in die Umgebung Berlins und im Tiergarten, Hier ritt auch täg-
ich die volkstümlichste Persönlichkeit des damaligen Berlins, der noch neun Jahre ältere
Generalfeldmarschall Graf Wrangel. Bei ihren täglichen Spazierritten wurden die beiden
Männer bekannt, fanden aneinander Gefallen, und so kam es, dass Ludwig Späth wieder-
holt zum Frühstück in das Wrangel’sche Palais am Brandenburger Tor geladen wurde.
Der zweite „Luxus“, den sich der alte Herr gönnte, war eine alljährliche Badereise
nach Misdroy. Die würzige Luft der Ostsee und die waldreiche Umgebung des Ortes
übten — in Verbindung mit dem täglichen Reitsport — den wohltuendsten Sinfluss auf
seine Gesundheit aus. Und da er auch sonst spartanisch einfach lebte, jeden Morgen Schlag
5 Uhr sich erhob und frühzeitig schlafen ging, so war es ihm vergönnt, noch bis zum
86. Lebensjahre zu reiten.
Als sich schliesslich doch das Reiten verbot, wurde ein kleines Wägelchen angeschafft,
ein Schimmel von gemässigtem Temperament vorgespannt, und nun fuhr der alte
Herr — stets in bestem Einvernehmen mit seinem Gaul — täglich durch die Köpenicker
Strasse über Treptow nach den neuen Baumschulanlagen seines Sohnes in Neu-Britz.
Diese Ausfahrten erlangten in dem Stadtviertel vor dem Schlesischen Tor sehr bald eine
gewisse Berühmtheit. Denn die Jugend fand schnell heraus, dass sie keinen verständnis-
volleren, nachsichtigeren Freund hatte als diesen ehrwürdigen Greis, der ihnen von
jeder Fahrt aus den neuen Anlagen des Sohnes Blumen, besonders Rosen, mitbrachte
und auf dem Heimwege in der Köpenicker Strasse verteilte. Konnte er wegen der
Jahreszeit keine Blumen mitbringen, so verschenkte er regelmässig Geldmünzen an die
Kinder. Wie sollte auch ein Mann, der als einer der ersten in Berlin einen Kindergarten
für 200 Jugendliche gegründet hatte und auf seine Kosten unterhielt, nicht kinderlieb
sein! Alte Berliner Damen und Herren, die aus jener Gegend stammen, erinnern sich
noch heute daran, vom „Vater Späth“ so beschenkt worden zu sein. So schrieb ein alter
Herr beim 200jährigen Geschäftsjubiläum an den heutigen Inhaber:
„Meine Jugendzeit verlebte ich in der Köpenicker Strasse, wo wir in Nr. 39a, dem
ehemaligen Schuldgefängnis, später ‚Mörsers Ruh‘, wohnten. Als ‚Pfuel’schen Schwim-
mern‘ war es uns damals ruppigen Jungen immer eine grosse Freude, wenn wir beim
Nachhauseweg oder auch Hinweg das uns allen wohlbekannte Wägelchen und den Schimmel
davor, gelenkt von ‚Vater Späth‘, treffen konnten. Im Hui waren wir da herum, und wie
mancher freute sich. die kurze Strecke bis zum Hause mitfahren zu können; die anderen
..
SPATH-BUCH
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