Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Forschungsbericht Nr. 68
Optimierte Schutzkleidung
für Motorradfahrer
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Wilhelmstraße 43 / 43G
10117 Berlin
Postfach 08 02 64
10002 Berlin
Tel. 030/2020-5000
Fax 030/2020-6000
berlin@gdv.org, unfallforschung@gdv.de
www.gdv.de, www.udv.de
Klaus Bauer
Sylvia Schick
Raúl Aranda
Andreas Thalhammer
Steffen Peldschus
Matthias Kühn
Antje Lang
Im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer (UDV)
Forschungsbericht Nr. 68
Optimierte Schutzkleidung
für Motorradfahrer
Bearbeitet durch:
Biomechanik und Unfallforschung
Institut für Rechtsmedizin München
Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Ing. (FH) Klaus Bauer
Dr. med. Sylvia Schick, M.P.H. postgrad., CAISS
Dipl.-Ing. Raúl Aranda
M.Eng. Dipl.-Ing. (FH) Andreas Thalhammer
Prof. Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Ing. Steffen Peldschus
Projektleitung bei der UDV:
Dr. Matthias Kühn
Antje Lang
Impressum
Herausgeber
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Unfallforschung der Versicherer
Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin
Postfach 08 02 64, 10002 Berlin
Tel. 030 / 20 20 - 50 00, Fax 030 / 20 20 - 60 00
E-Mail: unfallforschung@gdv.de
Internet: www.udv.de
Facebook: www.facebook.com/unfallforschung
Twitter: @unfallforschung
YouTube: www.youtube.com/unfallforschung
Redaktion
Dr. Matthias Kühn
Bildnachweise
UDV und siehe Quellenangaben
Erschienen
04/2020
ISBN-Nr.
978-3-939163-98-5
2
Kurzfassung
Ziel des vorliegenden Projekts ist es, aus dem Unfallgeschehen typische
Unfallsituationen
und
Anprallszenarien
für
Motorradfahrer
herauszuarbeiten.
Basierend
auf
diesen
Erkenntnissen
und
weiterführenden
verletzungsmechanischen
Betrachtungen
wird
ausgewählte „optimierte Schutzkleidung“ in Hinblick auf das Potential zur
Verletzungsvermeidung
bzw.
zur
möglichen
Reduktion
der
Verletzungsschwere differenziert bewertet. Zudem werden Empfehlungen
für die Anpassung aktuell gültiger Prüfverfahren dargestellt.
Es wurden die zur Verfügung stehenden Unfalldaten des Instituts für
Rechtsmedizin der LMU, eines kooperierenden Sachverständigenbüros und
der UDB analysiert. Bei den verfügbaren Daten handelt es sich
überwiegend um Schwerstunfallkollektive. Bei weniger schwer verletzten
Motorradfahrern sind Verletzungen an den unteren Extremitäten führend.
Insbesondere bei schweren und tödlichen Unfällen ist der Thorax die mit
Abstand relevanteste und sehr häufig auch am schwersten verletzte
Körperregion. Deshalb wurde im Rahmen des vorliegenden Projekts
schwerpunktmäßig der Thoraxanprall adressiert. Ergänzend ist zu
erwähnen, dass der Anteil an Kopfverletzungen in den betrachteten
Fallkollektiven ebenfalls hoch ist. Im vorliegenden Projekt wurde jedoch die
Festlegung getroffen, diese Körperregion nicht vertiefender zu betrachten.
Mit einer eigens entwickelten Kinematikkodierung bzw. VorabKlassifizierung wurde eine Gruppierung und Identifikation von besonders
häufigen und relevanten Anprallparametern durchgeführt. Es lassen sich
folgende Schwerpunkte bei den relevanten Anprallszenarien für den Thorax
feststellen:
Anprall Straße, Vertikalgeschw. vereinfachend ca. 17 km/h
Anprallobjekt Radius ca. 0,075 m, Anprallgeschw. ca. 25 km/h
Anprallobjekt Radius ca. 0,075 m, Anprallgeschw. ca. 60 km/h
Anprallobjekt Radius ca. 0,25 m, Anprallgeschw. ca. 50 km/h
Eine zielführende Eingrenzung von Anprallparametern für die unteren
Extremitäten war mit der gewählten Methodik nicht möglich. Hier konnten
lediglich wenige eher allgemeine Auffälligkeiten festgestellt werden.
Anschließend wurden die ermittelten Anprallszenarien simuliert und
verletzungsmechanisch bewertet. Um das Schutzpotential eines heutigen
und optimierten Thorax-Airbags bestimmen zu können, wurde ein
3
entsprechendes generisches, d.h. allgemeines, FE-Airbagmodell entwickelt
und an das verwendete Menschmodell angepasst.
Fasst man die Ergebnisse der durchgeführten Analysen zusammen, so ist
festzustellen, dass ein heutzutage erhältlicher Thorax-Airbag insbesondere
bei eher geringen Anprallgeschwindigkeiten Verletzungsfolgen reduzieren
kann. Je höher die Anprallgeschwindigkeit bzw. je kleiner der Radius des
Anprallobjekts, desto geringer ist die zu erwartende Schutzwirkung.
Spätestens ab einer Anprallgeschwindigkeit von 50 km/h ist keine
nennenswerte Reduktion der Verletzungsschwere mehr zu erwarten. Selbst
ein großzügig optimierter generischer Airbag, der in diesem
Geschwindigkeitsbereich noch eine potentielle Schutzwirkung aufweist,
kommt bei spätestens 70 km/h Anprallgeschwindigkeit an das Ende seiner
Wirksamkeitsspanne.
Bezogen auf das Unfallgeschehen bedeutet dies, dass ein Thorax-Airbag
insbesondere bei eher leichten Unfällen ein gutes Schutzpotential aufweist.
Dort wären jedoch auch ohne bzw. mit konventioneller Schutzkleidung
keine schwersten Verletzungsfolgen zu erwarten. Die ermittelten typischen
Anprallbedingungen (ca. 25 km/h) bewegen sich dabei in einem Bereich, für
den auch heutige Motorradhelme ausgelegt sind und gut vor Verletzungen
schützen. Allerdings zeigt
sich
in
der Unfallanalyse,
dass
Thoraxverletzungen in diesem leichten Unfallkollektiv weniger häufig
vorkommen und selten schwerwiegend sind. Es stehen insbesondere
Verletzungen an den Extremitäten im Vordergrund.
Bei schwereren Unfällen mit höheren Anprallgeschwindigkeiten nimmt die
Relevanz an schweren Thoraxverletzungen deutlich zu, allerdings in
gleichem Maße das Schutzpotential von Airbags in der Schutzkleidung ab.
Für zukünftige Entwicklungen von optimierter Schutzkleidung ist eine
Anpassung der Prüfparameter, wie diese beispielsweise in der aktuell
gültigen Norm DIN EN 1621 (Teil 1 – 4) vorgeschrieben sind, zu
diskutieren. Insbesondere sollte neben einer Überarbeitung des
Prüfaufbaus das verwendete Prüfgewicht und die Prüfgeschwindigkeit
sinnvoll erhöht werden.
4
Abstract
Motorcyclists still have a significantly higher risk than car occupants of
being injured or even killed in an ac-cident. That means, in relation to the
covered distance, motorcyclists have a considerably higher risk of being
killed in a road accident than car occupants. In 2017 the risk was higher by
a factor of 20. Moreover, the level of risk is constantly increasing. The
accidents of motorcyclists are often serious collisions, since they do not
have the benefit of the protective crumple zones or highly developed safety
systems that have become standard in virtually all cars. Depending on the
circumstances of the impact, the motorcyclist’s body may have to absorb
most of the energy involved, which often results in severe and fatal injuries.
Accordingly, there is significant scope for optimizing the protective clothing
of motorcyclists. In particular, new developments such as airbags in
protective clothing are highly promising. However, a detailed analysis of the
injury patterns and protective mechanisms is essential so that solutions can
be developed and their effectiven-ess assessed.
The aim of this study is to analyse the accidents that occur in order to
identify typical accident situations and impact scenarios. In addition, a list
ranking the regions of the body most badly affected will be produced. Based
on these findings, selected “optimized protective clothing” will be thoroughly
assessed in terms of its potential to prevent injuries and mitigate the
severity of any injuries.
Taking the results of the analyses together, it is clear that today’s
commercially available thorax airbags can mitigate injuries at lower speeds
of impact. The higher the speed of the impact and the smaller the radius of
the object involved in the impact, the smaller is the protective effect that can
be expected. As of a speed of impact of at most 50 km/h, no appreciable
mitigation of injury severity can be expected. Even a significantly optimized
airbag, which can still have a protective effect in this speed range, is no
longer effective as of a speed of impact of at most 70 km/h.
5
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
2
Abstract
4
Inhaltsverzeichnis
5
Einleitung
7
Literatur und Testverfahren
10
1
Datengrundlage und Rangfolge betroffener
Körperregionen
14
1.1
Verfügbares Datenmaterial
14
1.1.1
Institut für Rechtsmedizin der LMU
14
1.1.2
Kooperierendes Sachverständigenbüro
15
1.1.3
Unfallforschung der Versicherer (UDV)
16
1.2
Ergebnisse der Datenauswertung
17
1.2.1
Allgemein
18
1.2.2
Verletzungen und Ranking der zu betrachtenden
Körperregionen
22
2
Sturz/Anprallszenarien
32
2.1
Vorgehen Kinematikkodierung Daten LMU und SV-Büro
32
2.1.1
Unterteilung in separate Anprallgeschehen
32
2.1.2
Ermittlung des verletzungsmechanisch relevantesten Anpralls
33
2.1.3
Aufteilung von Einzelfällen zur Reduzierung von Unschärfen
33
2.1.4
Eingrenzung der zu erwartenden Qualität der
Anprallparameter
34
2.1.5
Klassifizierung der Anprallobjekte
34
2.1.6
Stoßmechanische Anprallparameter
40
2.2
Ergebnisse der Kinematikanalyse
44
2.2.1
Fallkollektiv Thorax AIS 2+
46
2.2.2
Fallkollektiv untere Extremitäten
53
3
Wirkmodell des Thorax-Airbags für die FEM-Simulation
59
3.1
Modellierung des Thorax-Airbags
60
3.2
Bestätigung der aktuellen Norm für Airbag-Protektoren
62
4
Ermitteltes Potential der Schutzkleidung auf Basis der
verletzungsmechanischen FEM-Simulationen
67
6
4.1
Thorax
67
4.2
Untere Extremitäten
78
5
Empfehlungen zur Effektivitätsbewertung und zum Tragen
intelligenter Schutzkleidung
85
5.1
Prüfaufbau und Bewertung
85
5.1.1
Prüfgeschwindigkeit
86
5.1.2
Geometrie Impaktor / Prüfobjekt
86
5.2
Fazit und Empfehlungen zum Tragen von intelligenter
Schutzkleidung
87
Abbildungsverzeichnis
89
Tabellenverzeichnis
93
Literaturverzeichnis
94
7
Einleitung
Motorradfahrer haben im Vergleich zu Pkw-Insassen auch heutzutage
immer noch ein deutlich erhöhtes Risiko, bei einem Unfall verletzt oder
sogar getötet zu werden. Etwa 19% (619) aller getöteten
Verkehrsteilnehmer waren im Jahr 2018 Motorradfahrer. Dies bedeutet
einen deutlichen Anstieg gegenüber den beiden Vorjahren (2016: 536,
2017: 583) und ein annähernd gleiches Niveau wie im Jahr 2010. Über
10.000 Motorradfahrer wurden im Jahr 2018 bei Verkehrsunfällen schwer
verletzt, das entspricht mehr als einem Drittel der Anzahl schwerverletzter
Pkw-Insassen und liegt über dem Wert von vor 10 Jahren (Destatis 2019).
Die Entwicklung der Anzahl tödlich verunglückter und schwerverletzter
Motorradfahrer seit 2008 ist ergänzend in nachfolgender Abbildung 1
dargestellt.
Entwicklung der relativen Häufigkeit tödlich- und
schwerverletzter Motorradfahrer
110%
100%
90%
80%
70%
Getötete Motorradfahrer (100% = 656)
Schwerverletzte Motorradfahrer (100% = 9506)
60%
50%
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abbildung 1: Entwicklung der tödlich verunglückten und schwerverletzten
Motorradfahrer 2008 - 2018 (Berechnung basierend auf DESTATIS 2019)
Die Fahrleistung von Motorradfahrern beträgt nur einen Bruchteil der
Fahrleistung von Pkw (ca. 2%, BASt 2018). Dies bedeutet, dass
Motorradfahrer - bezogen auf die jeweilige Jahresgesamtfahrleistung - ein
erheblich höheres Risiko mit sich tragen, bei einem Verkehrsunfall tödlich
zu verunglücken. Das Risikoverhältnis geht zudem immer weiter
auseinander (Abbildung 2). So betrug die Jahresfahrleistung für Pkws im
Jahr 2000 ca. 559 Mrd. Kilometer. Es starben dabei 4396 Pkw-Insassen.
Die Gesamtfahrleistung für Motorräder betrug im Jahr 2000 ca. 13,0 Mrd.
Kilometer. Es starben 945 Motorradfahrer. Das Risiko, als Motorradfahrer
8
tödlich zu verunglücken, war demnach ca. 9-mal höher als für PkwInsassen. Im Jahr 2017 war das fahrleistungsbezogene Risiko für
Motorradfahrer tödlich zu verunglücken um den Faktor 27 höher als für
Pkw-Insassen. Es starben 1434 Pkw-Insassen bei 642 Mrd. Fzg-Kilometer
und 583 Motorradfahrer bei 9,8 Mrd. Fzg.-Kilometer (Destatis 2019, BASt
2018). Ergänzend muss erwähnt werden, dass ab dem Jahr 2017 seitens
der BASt eine Neuberechnung der Fahrleistungs- und Verbrauchsrechnung
zugrunde liegt. Das fahrleistungsbezogene Risiko hat sich für
Motorradfahrer gegenüber Pkw-Insassen ungeachtet dessen über die
vergangenen 17 Jahre annähernd verdreifacht.
Entwicklung fahrleistungsbezogenes Risikoverhältnis (Motorrad/Pkw)
30
25
20
15
10
5
0
Abbildung 2: Entwicklung des fahrleistungsbezogenen Risikoverhältnisses
tödlicher verunglückter Motorradfahrer und Pkw-Insassen 2000 – 2017
(Berechnung basierend auf DESTATIS 2019, BASt 2018)
Unfälle sind für Motorradfahrer häufig schwere Kollisionen, da hier
schützende Knautschzonen oder hoch entwickelte Sicherheitssysteme, wie
diese inzwischen in fast jedem Pkw zum Standard geworden sind, fehlen.
Einen Großteil der auftretenden Energie muss der Motorradfahrer je nach
Anprallkonstellation direkt mit seinem Körper absorbieren, was oft in
schwersten und tödlichen Verletzungen resultiert.
Im Bereich der Schutzkleidung für Motorradfahrer scheint demnach
prinzipiell deutliches Optimierungspotential vorhanden. Insbesondere neue
Entwicklungen
wie
Airbags
in
der
Schutzkleidung
scheinen
vielversprechend zu sein. Viele Zweiradfahrer sind bereit, größere
Geldbeträge für derartige Ausrüstung auszugeben. Jedoch ist hier eine
9
detaillierte Analyse der Verletzungsmuster und Schutzmechanismen,
welche bisher nur unzureichend erforscht sind, für eine zielgerichtete
Entwicklung und Effektivitätsbewertung unumgänglich. Nur so kann das
Schutzpotential dieser „optimierten Schutzkleidung“ für Motorradfahrer
sinnvoll bewertet werden und Empfehlungen für die Zukunft ausgesprochen
werden. Dies erfordert einen interdisziplinären Ansatz der Fachgebiete
Unfallforschung und Verletzungsmechanik.
Ziel dieses Projekts ist es, aus dem Unfallgeschehen typische
Unfallsituationen und Anprallszenarien herauszuarbeiten. Zudem wird eine
Rangfolge besonders betroffener Körperregionen abgeleitet. Basierend auf
diesen Erkenntnissen wird ausgewählte Schutzkleidung für Motorradfahrer
in Hinblick auf das Potential zur Verletzungsvermeidung bzw. zur möglichen
Reduktion der Verletzungsschwere bewertet. Des Weiteren werden
Empfehlungen für eine möglichst sinnvolle Bewertung bzw. Differenzierung
des Schutzpotentials einzelner Schutzbekleidungen erarbeitet.
10
Literatur und Testverfahren
COST 327
Die COST-Studie (COST 2001) wurde von der Europäischen Kommission
finanziert und in Kooperation einiger europäischer Forschungseinrichtungen
und Firmen durchgeführt. Es wurden über zwei Jahre (1996 – 1998) in
Deutschland, Finnland und Großbritannien insgesamt 253 Unfälle mit
Beteiligung motorisierter Zweiräder aus einer noch größeren
Datensammlung zur Analyse ausgewählt. Dabei lag der Fokus auf
Motorradhelmen und Kopf-/ Halsverletzungen. Die Aufsassen kollidierten
häufig mit einem Pkw (53,9 %) oder der Straße. 73 % der Aufsassen waren
an den unteren Extremitäten verletzt, 54,8 % an den oberen Extremitäten.
67% der Verunfallten erlitten eine Kopfverletzung, 57% eine
Thoraxverletzung. Auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten wurden
die Anprallparameter des Kopfes ermittelt. Der Mittelwert der
Kopfanprallgeschwindigkeit lag zwischen 50 und 60 km/h. Mit steigender
Anprallgeschwindigkeit wurde eine zunehmende Verletzungsschwere
beobachtet. Auf Basis der durchgeführten Analysen wurden zudem
Vorschläge für eine Verbesserung von Helmen und deren Prüfverfahren
erarbeitet.
MAIDS
Bei der MAIDS-Studie (MAIDS 2009) handelt es sich um eine europäische
sog. In-Depth-Studie, die Unfälle mit Beteiligung motorisierter Zweiräder
analysierte. Datengrundlage waren 921 Unfälle, die in den Jahren 1999 und
2000 in fünf europäischen Ländern erhoben wurden. Es wurde festgestellt,
dass Motorradfahrer am häufigsten mit einem Pkw kollidierten, gefolgt von
einem Anprall auf die Straße. Aufgrund der überwiegend innerörtlichen
Unfälle im Datenkollektiv war die Fahr- und Anprallgeschwindigkeit der
motorisierten Zweiräder häufig geringer als 50 km/h. Die Kinematik der
Motorradfahrer im Unfallablauf wurde in skizzenhaft in Gruppen eingeteilt,
allerdings wurde die Anprallgeschwindigkeit der Motorradfahrer gegen das
Objekt bzw. die Straße nicht dediziert ermittelt. Etwas über die Hälfte der
verletzten Motorradfahrer war bis zu acht Tagen zur Behandlung im
Krankenhaus. Am häufigsten waren die Aufsassen an den unteren
Extremitäten (31,8%) und den oberen Extremitäten (24,3%) verletzt. Dabei
handelte es sich in der Mehrzahl um leichte Verletzungen wie
Abschürfungen und Platzwunden. Bei den MAIs 3+ verletzten
Motorradfahrern war der Thorax die am häufigsten verletzte Körperregion.
Etwas über 10% aller Aufsassen im Fallkollektiv verstarben innerhalb von
30 Tagen an den Unfallfolgen.
11
MOSAFIM
Im Rahmen der MOSAFIM-Studie (MOSAFIM 2013) wurden vor dem
Hintergrund der Weiterentwicklung von Prüfverfahren u.a. für
Nackenschutzsysteme mehrere Studien und Datenbanken mit schwersten
Motorradunfällen analysiert. Bei tödlichen Motorradunfällen wurde
festgestellt, dass der Thorax die am häufigsten schwerstverletzte
Körperregion war. Thoraxverletzungen waren prinzipiell mit einem hohen
Risiko für schwerste Verletzungen verbunden. Annähernd die Hälfte aller
MAIS 6 Verletzungen waren im Bereich des Halses lokalisiert. Es wurde ein
mögliches Testverfahren für Nackenschutzsysteme vorgestellt.
Schmucker et al. (2008). Two wheels – too dangerous? Eine Analyse
von Unfalldaten und Bundesstatistik
Es wurden Unfalldaten in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2001 –
2005 erhoben. Dabei konnten 66 Unfälle mit jeweils MAIS 2+ verletzten
Motorradfahrern gesammelt werden. In diesem Datenkollektiv waren häufig
Verletzungen an den Extremitäten sowie am Kopf zu beobachten.
Kombinationsverletzungen mit Beteiligung der Thoraxregion zeichneten
sich durch eine hohe Verletzungsschwere aus. Durch Analyse der
Bundesstatisktik wurden eher allgemeine Auffälligkeiten dargestellt,
beispielsweise das eher geringe Absinken von verletzten Fahrern
motorisierter Zweiräder. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass der
Hochrasanzmotorradunfall
als
primäre
Kategorie
für
tödlichen
Verletzungsausgang verantwortlich ist. Er dominiere die Statistik der
Unfalltoten.
Ballester et al. (2019). Analysis of trunk impact conditions in
motorcycle road accidents based on epidemiological, accidentological
data and multibody simulations
Es wurde Motorradunfälle mit Beteiligung von 252 Aufsassen analysiert.
Das Datenkollektiv wurde in den Jahren 2016 und 2017 in zwei
Krankenhäusern (Lyon und Marseille) in Frankreich erhoben. Es wurde eine
Analyse der Verletzungsmuster durchgeführt. Sowohl bei den AIS 1+ als
auch den AIS 3+ verletzten Aufsassen war der Thorax mit über 50% die am
häufigsten betroffene Körperregion. Anschließend wurde auf Basis von
ermittelten typischen Unfallsituationen eine Parameterstudie unter
Verwendung von Mehrkörpermodellen durchgeführt. Dafür wurden
Unfallkonstellationen zwischen einem Pkw und Motorrad generisch variiert.
Es wurden zwei Arten von Anprallobjekten (flach und penetrierend) ermittelt
und drei Schwerpunkte der Anprallgeschwindigkeiten für den Thorax (5, 7
und 13 m/s) sowie zwei Schwerpunkte der Anprallgeschwindigkeiten für das
Abdomen (5 und 11 m/s) eingegrenzt. Weiter wurde vorgeschlagen, dass
12
ein Airbag innerhalb von 70 ms aufgeblasen sein soll und eine Standzeit
von mindestens 3 Sekunden aufweisen soll.
Trotz einer ähnlichen Zielsetzung ist ein deutlicher Unterschied in der
methodischen Herangehensweise im Vergleich zum vorliegenden Projekt
festzustellen. Es wurde auf eine dedizierte Kinematikanalyse von
Realunfällen verzichtet und ein generischer Ansatz zur Ermittlung der
Anprallparameter gewählt.
Serre et al. (2019). Airbag Jacket for Motorcyclists: Evaluation of Real
Effectiveness
Basierend auf überwiegend per Fragebogen und teilweise auch per
Datensammlung erhobenen Unfällen sowie per experimentellen Tests
wurde das Schutzpotential von Airbags bewertet. Bei eher leichten Unfällen
bzw. Stürzen ohne weiteren Anprall wurde ein gutes Schutzpotential
festgestellt. Bei schwereren Unfällen, z.B. einem direkten Anprall mit 40
km/h oder einem Sturz mit 60 km/h, konnte eine Airbagjacke schwere
Verletzungen am Rumpf nicht verhindern. Unter Heranziehung der
experimentellen Ergebnisse wurde davon ausgegangen, dass eine
Airbagjacke bis zu einem Anprall mit ca. 30 – 40 km/h eine gewisse
Schutzwirkung aufweist, wenngleich dies auch von der Anprallkonfiguration
abhängt.
Otte et al. (2002). Möglichkeiten der Belastungsreduktion durch
Beinprotektoren in der Schutzkleidung von Motorradfahrern –
technische, medizinische und biomechanische Zielsetzung
In der Studie wurde mittels Analyse von Unfalldaten festgestellt, dass die
häufigsten Verletzungen bei Unfällen von Motorradfahrern vorwiegend die
unteren Extremitäten betreffen. Mittels experimentellen Pendelversuchen
wurde die stoßdämpfende Wirkung von Beinprotektoren auf die Entstehung
von Unterschenkelfrakturen untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass
sich die maximale Stoßbelastung mittels eines Schaumstoffprotektor um
etwa 40 reduziert, was mit einem verringerten Risiko für Frakturen
einhergeht.
Testverfahren für Motorradschutzkleidung
Die für die zugelassene und kennzeichnungspflichtige Vermarktung von
Motorradfahrer-Schutzkleidung bzw. den darin enthaltenen Protektoren und
Airbags im deutschen Raum aktuell gültige Norm ist die DIN EN 1621, Teil
1 - 4. Die einzelnen Abschnitte der Norm regeln die jeweiligen Teilbereiche
für verschiedene Gruppen in den Schutzbekleidungen. In Teil 1 (DIN EN
1621-1: 2013-03) werden die Anforderungen und das Prüfverfahren für die
13
Gelenksprotektoren beschrieben. Teil 2 (DIN EN 1621-2:2014-05) regelt
Anforderungen und Prüfverfahren zu Rückenprotektoren. Teil 3 (DIN EN
1621-3:2019-03) deckt die Brustprotektoren ab; Teil 4 (DIN EN 16214:2013-04) die Reglungen für aufblasbare Protektoren.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Aspekte der
jeweiligen Normen gegeben. Für eine ausführlichere Darstellung wird auf
die Normen selbst verwiesen.
Als Prüfeinrichtung kommt jeweils eine Fallkörpervorrichtung zum Einsatz.
Hierbei wird der zu prüfende Protektor auf einen Amboss positioniert,
welcher je nach abzudeckendem Teil der Norm etwas unterschiedliche
Geometrien aufweist. Ein senkrecht darüber positioniertes Prüfgewicht wird
anschließend geführt mit definierter Geschwindigkeit bzw. Aufprallenergie
auf das auf dem Amboss positionierte Prüfmuster fallen gelassen. Für
Rücken- und Brustprotektoren ist der Fallkörper stabförmig ausgeführt. Die
nach unten gerichtete Aufprallfläche muss halbkugelförmig mit einem
Krümmungsradius von 12,5 ± 0,1 m ausgeführt sein. Die hinter dem
Protektor auf den Amboss wirkenden Kräfte werden über das Zeitfenster
des Aufpralls gemessen und dokumentiert.
Für die Ergebnisse der Anprallprüfung werden Grenzwerte zur Festlegung
der Leistungsklasse des Protektors herangezogen. Es wird unterschieden
zwischen „Stufe 1“-Protektoren und leistungsfähigeren „Stufe 2“Protektoren. Bei Gelenkprotektoren muss die gemessene Kraft im Mittel
unter 35 kN / 20 kN liegen, um Stufe 1 / Stufe 2 zu erfüllen. Die Grenzwerte
für Rückenprotektoren liegen im Mittel bei ≤ 18 kN (Stufe 1) bzw. ≤9 kN
(Stufe 2). Bei der Aufpralldämpfung für Brustprotektoren muss die
übertragene Kraft eine mittlere Höchstkraft (Stufe 1) von weniger als 18 kN
aufweisen, zudem darf kein Einzelwert größer als 24 kN sein. Bei der
Prüfung der Kraftverteilung (optional für Erfüllung der Stufe 2) muss die
übertragene Kraft eine mittlere Höchstkraft von weniger als 15 kN haben
und kein Einzelwert darf größer als 20 kN sein.
Airbagprotektoren müssen die in den jeweils anderen Normteilen
festgeschriebenen Mindestschutzzonen aufweisen. Weiter werden
Anforderungen an die Interventionszeit (max. 200 ms), Verweildauer der
Befüllung (mindestens 5 Sekunden) sowie Schutz vor harten Bestandteilen
und dem Rückhaltevermögen des Airbags definiert. Die Grenzwerte zum
Erfüllen der Stufe 1 liegen bei ≤ 4,5 kN (Mittelwert) bzw. ≤ 6 kN (höchster
Einzelwert) und ≤ 2,5 kN (Mittelwert) bzw. ≤ 3 kN (höchster Einzelwert).
14
1
Datengrundlage und Rangfolge betroffener
Körperregionen
Durch Analyse der zur Verfügung stehenden Unfalldaten werden zunächst
neben allgemeinen und sozidemografischen Auswertungen die besonders
häufig betroffenen bzw. verletzten Körperregionen der beteiligten
Motorradfahrer bzw. Aufsassen ermittelt. Basierend darauf werden
Unfallsituationen herausgearbeitet, welche die identifizierten verletzten
Körperregionen typischerweise abbilden. Anschließend werden mit einer
eigens dafür entwickelten Vorgehensweise möglichst relevante
Anprallparameter
des
Motorradfahrers
im
Unfallgeschehen
herausgearbeitet. Damit wird die Identifikation zu analysierender und mit
intelligenter Schutzkleidung zu adressierender Körperregionen bzw.
Verletzungen ermöglicht.
1.1
Verfügbares Datenmaterial
Als Grundlage für die analytischen Auswertungen stehen drei Fallkollektive
zur Verfügung. Es handelt sich zum einen um tödliche Motorradunfälle,
welche dem Institut für Rechtsmedizin der LMU vorliegen. Diese werden
ergänzt durch weitere tödliche Motorradunfälle aus einem kooperierenden
Sachverständigenbüro. Zudem liegen Unfälle mit Kraftradbeteiligung aus
der Unfalldatenbank (UDB) der Unfallforschung der Versicherer (UDV) vor.
Bereits an dieser Stelle ist zu erwähnen, dass das vorliegende
Datenkollektiv Unfälle mit schweren bis schwersten Unfallfolgen abbildet.
Das Unfallgeschehen ist insgesamt jedoch deutlich umfassender, es
geschehen auch viele leichtere Unfälle, in denen die Motorradfahrer teils
deutlich geringeren Belastungen ausgesetzt sind und in denen
Schutzkleidung ein tendenziell höheres Schutzpotential hat.
1.1.1 Institut für Rechtsmedizin der LMU
Aus dem Fallkollektiv des Instituts für Rechtsmedizin der LMU München
wurden 76 tödliche Motorradunfälle der Jahre 2004 - 2014 selektiert. Die
Fallsammlung am Institut für Rechtsmedizin wird seit dem Jahr 2004
kontinuierlich gepflegt und weiterentwickelt und umfasst tödliche
Verkehrsunfälle mit jeglicher Beteiligungsart. Das Einzugsgebiet umfasst
Oberbayern, Niederbayern und Schwaben. Das Datenmaterial der Fälle
wird retrospektiv erhoben.
15
Die Unfälle sind jeweils umfassend durch technische und medizinische
Unterlagen dokumentiert. Dazu gehören Polizeiberichte, unfallanalytische
und technische Gutachten sowie Lichtbilder der Unfallstelle und der
beteiligten Fahrzeuge. Jeder verunfallte und getötete Verkehrsteilnehmer
wird im Institut für Rechtsmedizin obduziert. Zudem sind in Einzelfällen
weitere
ergänzende
Unterlagen
wie
Blutalkoholbestimmungen,
Drogenanalysen und Zeugenaussagen vorhanden.
Basierend auf diesen Unterlagen werden für jeden Unfall diverse Parameter
erhoben, die in eine Datenbank übernommen werden. Aus den
Polizeiberichten und Obduktionsgutachten werden soziodemografische
Daten wie Alter und Geschlecht der beteiligten Personen erhoben. Nach
Durchsicht und Überprüfung der technisch relevanten Parameter werden
u.a. Daten zu den beteiligten Fahrzeugen, der Unfalltyp analog zu dem
Unfalltypen-Katalog bzw. „Leitfaden zur Bestimmung des Unfalltyps“ des
GDV (GDV 2016) sowie weitere technische Parameter erhoben.
Die im Obduktionsbericht dokumentierten Verletzungen werden von
Fachpersonal anhand der gebräuchlichen Verletzungsklassifizierung nach
der „Abbreviated Injury Scale ©“ (AIS) (AAAM 2008) kodiert und in die
Datenbank übernommen. Der AIS-Wert ist ein Verletzungsschweregrad.
Die Schwere der Verletzung wird in den Stufen null (unverletzt) bis sechs
(maximal verletzt, per Definition heutzutage nicht behandelbar)
beschrieben. Im deskriptiven Teil des AIS-Codes wird die Körperregion der
Verletzung abgebildet.
Die Selektion der 76 zu betrachtenden Motorradunfälle erfolgte nach
folgenden Kriterien:
Beteiligung eines Kraftrads (EG-Klasse L3e und L4e nach Richtlinie
2007/46/EG: zweirädrige Kraftfahrzeuge mit oder ohne Beiwagen, mit
einem Hubraum von über 50 cm³ bei Verbrennungsmotoren, und/oder
bauartbedingter Höchstgeschwindigkeit von mehr als 45 km/h)
Kraftradfahrer oder Sozius aufgrund des Unfalls verstorben
1.1.2 Kooperierendes Sachverständigenbüro
Die tödlichen Motorradunfälle aus dem Institut für Rechtsmedizin wurden
mit 55 weiteren tödlichen Motorradunfällen der Jahre 2003 - 2016 aus
einem kooperierenden Sachverständigenbüro ergänzt, bei denen der
Motorradfahrer am Institut für Rechtsmedizin obduziert wurde. Das
Einzugsgebiet umfasst den südöstlichen Teil von Oberbayern.
16
Die Selektionskriterien waren dabei identisch zum Fallmaterial der LMU.
Die Fälle aus dem SV-Büro weisen eine mindestens gleichwertige
Dokumentationsqualität auf.
Es konnte in der Vielzahl der Unfälle zudem auf weiteres Datenmaterial
zurückgegriffen werden, welches nicht im Gutachten enthalten war. Dazu
zählen insbesondere weitere Lichtbilder zu den beteiligten Fahrzeugen und
zu Unfallstelle, welche durch den Sachverständigen direkt vor Ort erhoben
wurden. Es wurden zudem häufig technische Untersuchungen der
beteiligten Fahrzeuge durchgeführt. Die Spurensicherung wurde in der
Regel mit weit größerer Datenvielfalt betrieben, als dies im Rahmen der
strafprozessual zu erstellenden Begutachtung erforderlich gewesen wäre.
Zudem liegen häufig bereits im Rahmen der Gutachtenerstellung
durchgeführte Berechnungen zugrunde. Dies erlaubt vorab eine erste
Analyse der Kinematik des Motorradfahrers im Unfallablauf und eine
Eingrenzung der Anprallparameter, wenngleich naturbedingt gewisse
Unsicherheiten nicht ausgeschlossen werden können.
Die in die Datenbank eingepflegten und für die Auswertungen zur
Verfügung stehenden technischen und medizinischen Parameter
entsprechen denjenigen des Instituts für Rechtsmedizin. Die Fälle wurden
basierend auf den Obduktionsberichten ebenfalls vollständig nach AIS
kodiert.
1.1.3 Unfallforschung der Versicherer (UDV)
Als weiteres Datenmaterial standen Unfälle mit Kraftradbeteiligung aus der
Unfalldatenbank (UDB) der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zur
Verfügung. Grundlage waren 156 Unfälle, an denen mindestens ein
Motorrad der Typklasse L3e beteiligt war mit 213 beteiligten Motorrad- bzw.
Mitfahrern unterschiedlicher Verletzungsschwere.
Davon wiesen 23 Motorradaufsassen tödliche Verletzungen auf, von denen
wiederum bei 14 Personen verwertbare AIS / ISS / MAIS-Daten vorlagen.
112 Personen aus dem Fallkollektiv der UDB wiesen Verletzungen des
Schweregrades MAIS 1+ auf. 42 Motorradfahrer davon wiesen eine
Verletzungsschwere MAIS 3+ auf. 78 Motorradfahrer wurden als
„Leichtverletzte“ bzw. „Unverletzte“ Personen klassifiziert.
Ergänzend zu den beiden Fallkollektiven mit tödlich verunglückten
Motorradfahrern wurden auf Basis der UDB auch Auswertungen von
weniger schwer verletzten Motorradfahrern (MAIS 2) durchgeführt. Dies
geschah vor dem Hintergrund, um auch weniger schwere Unfälle und
17
Verletzungen zu adressieren und
Gesamtunfallgeschehens zu erlangen.
einen
besseren
Eindruck
des
Zusätzlich zu den Verletzungsdaten der Motorradfahrer lag im Fallkollektiv
der UDB auch eine Einteilung in kinematische Untergruppen nach Otte und
Suren (Otte 1985) vor. Hierbei handelt es sich um eine Unterteilung, welche
ursprünglich für Fahrradunfälle entwickelt wurde, jedoch aufgrund ähnlicher
Kinematik auch für Kraftradfahrer angewendet werden kann. Ein Überblick
der Kinematikgruppen ist in nachfolgender Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung 3: Einteilung Kinematikgruppen nach Otte 1985
Diese Kinematikgruppen wurden im Rahmen der Datenerhebung der UDB
mit drei weiteren Gruppen hinsichtlich der Einteilung von Alleinunfällen
ergänzt (Abbildung 4).
Abbildung 4: UDB-Merkmale bei der Einteilung von Alleinunfällen
1.2
Ergebnisse der Datenauswertung
Im Folgenden sind zunächst die Ergebnisse der Auswertungen der
verschiedenen vorliegenden Datenkollektive dargestellt. Es werden zuerst
allgemeine und sozidemografische Daten vorgestellt. Anschließend wird auf
die Verletzungen sowie die Reihenfolge der betroffenen Körperregionen
eingegangen. Abschließend werden die aus der Analyse gewonnenen
Ergebnisse hinsichtlich der Anprallparameter der Motorradfahrer im
Unfallgeschehen betrachtet.
18
1.2.1 Allgemein
Im Fallkollektiv der am Institut für Rechtsmedizin obduzierten
Motorradfahrer (Daten LMU und SV-Büro) waren bei den insgesamt 131
Unfällen 137 Aufsassen beteiligt. Neben 131 Fahrern waren auch sechs
Mitfahrer beteiligt.
Im Fallkollektiv der UDB lassen sich die 23 getöteten Personen in 19 Fahrer
und vier Mitfahrer aufteilen. Von den 112 verletzten Personen waren 79
Fahrer und 33 Mitfahrer.
Stellt man die Häufigkeitsverteilung des Alters der verunfallten
Motorradfahrer dar (Abbildung 5), so ist zu erkennen, dass im Fallmaterial
der LMU eine annähernd gleichmäßige Verteilung in den Altersgruppen von
18 - 54 Jahren mit einer leichten Häufung in der Altersgruppe 45 - 54 Jahre
vorliegt. Zudem sind auch Jugendliche bzw. Senioren in diesem
Fallkollektiv enthalten. Bei den getöteten Motorradfahrern in der UDB ist
eine Häufung bei den 25 - 34-jährigen zu erkennen. Bei den
Schwerverletzten in der UDB liegt dieser im Bereich von 35 - 44 Jahre,
wenngleich hier auf die verhältnismäßig geringe Fallzahl hingewiesen
werden muss.
Häufigkeitsverteilung des Alters der Motorradfahrer (LMU + SV Büro, UDB)
45%
LMU n=137
40%
UDB Getötet n=23
35%
UDB MAIS3+ n=42
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
bis 18
18 - 24
25 - 34 35 - 44 45 - 54 55 - 64 65 - 74 über 75
Abbildung 5: Häufigkeitsverteilung des Alters der Motorradfahrer (LMU + SVBüro n=137, UDB Getötet n=23, UDB MAIS 3+ n=42)
19
Betrachtet man die Unfallumstände der an der LMU obduzierten tödlich
verunglückten Motorradfahrer zunächst aus technischer Sicht etwas
detaillierter, so ist an der in Abbildung 6 dargestellten Häufigkeitsverteilung
der Unfallbeteiligten zu erkennen, dass in über 50% der Unfälle ein Pkw
beteiligt war. Ein Anprall an ein Objekt bzw. an einen Lkw folgen mit
deutlichem Abstand mit etwas über 15% bzw. etwas über 10%.
Häufigkeitsverteilung der Unfallbeteiligten (LMU + SV-Büro, n=137)
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
PKW
Objekt
LKW
kein
Landw.
weiterer
Kfz
Bet.
Krad
mehrere
Bet.
Bus
Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung der Unfallbeteiligten (LMU + SV-Büro,
n=137)
Bei der Häufigkeitsverteilung der Unfalltypen (Abbildung 7) ist zu erkennen,
dass der Fahrunfall mit ca. 35% vor dem Unfall beim Einbiegen/Kreuzen
(knapp 25%) und dem Unfall im Längsverkehr (ca. 15%) rangiert. Der
Unfalltyp beschreibt die den Unfall auslösende Situation bzw. den Konflikt.
Ob und wie die Verkehrsteilnehmer möglicherweise im weiteren Verlauf
miteinander kollidiert sind, ist für die Bestimmung des Unfalltyps nicht von
Bedeutung (GDV 2016).
So ist beispielsweise der Fahrunfall dadurch charakterisiert, dass der
Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlor (z.B. wegen nicht
angepasster
Geschwindigkeit
oder
falscher
Einschätzung
des
Straßenverlaufs), ohne das andere Verkehrsteilnehmer dazu beigetragen
haben. In der Folge kann es jedoch zu einem Zusammenstoß mit einem
weiteren Verkehrsteilnehmer oder Objekt gekommen sein.
20
Abbildung 7: Häufigkeitsverteilung der Unfalltypen (1-stelliger Code) (LMU +
SV-Büro, n=137)
Unterteilt man die jeweiligen Unfalltypen weiter und analysierte den
zugrundeliegenden dreistelligen Code (GDV 2016), welcher die
Konfliktsituation noch detaillierter beschreibt (Abbildung 8), so ist zu
erkennen, dass der Fahrunfall in der Rechtskurve mit 20% besonders
häufig vorkommt. Hier wird der Motorradfahrer häufig auf die
Gegenfahrbahn getragen, was das Risiko einer verhältnismäßig schweren
Kollision mit einem entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer erhöht.
21
Abbildung 8: Häufigkeitsverteilung der Unfalltypen (3-stelliger Code) (LMU +
SV-Büro, n=137)
Hinsichtlich der beteiligten Motorradtypen (Abbildung 9) ist festzuhalten,
dass mit etwas über 30% am häufigsten sog. Supersportmaschinen
verunfallten. Ob dies an der entsprechenden Anzahl solcher Maschinen im
Straßenverkehr, der Fahrleistung oder in der häufig sehr hohen
Motorleistung oder einem eventuell etwas risikoreicheren Fahrstil der
Fahrer begründet liegt, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht
bewerten.
Die übrigen Motorradtypen folgen mit teils deutlichem Abstand.
Insbesondere fällt der niedrige Anteil an sogenannten „Tourer“-Maschinen
auf, wenngleich hier ebenfalls u.a. die Zulassungsverteilung zu
berücksichtigen ist.
22
Häufigkeitsverteilung der Motorradtypen (LMU + SV-Büro, n=137)
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
Abbildung 9: Häufigkeitsverteilung der Motorradtypen (LMU + SV-Büro,
n=137)
1.2.2 Verletzungen und Ranking der zu betrachtenden
Körperregionen
Um eine möglichst zielgerichtete Entwicklung von Schutzkleidung
voranzutreiben, ist es zunächst erforderlich, die jeweiligen Verletzungen der
Motorradfahrer
detailliert
zu
betrachten.
Insbesondere
die
Verletzungsschwere und die jeweils am häufigsten verletzten
Körperregionen sind hierbei von besonderem Interesse.
Die Häufigkeitsverteilungen der MAIS-Werte der tödlich verunglückten
Motorradfahrer im Fallkollektiv der LMU und UDB in Abbildung 10 zeigen
deutlich, dass es sich hierbei um Schwerstunfallkollektive handelt. Etwa
35% der an der LMU obduzierten Motorradfahrer weisen eine
Verletzungsschwere MAIS 5 auf, etwas über 40% sogar die nach heutigem
Stand nicht zu behandelnde Verletzungsschwere MAIS 6. Im Datenmaterial
der UDB ist der Trend zu unbehandelbaren Verletzungen noch deutlich
ausgeprägter, allerdings bei deutlich geringerer Fallzahl und teilweise nicht
spezifizierten AIS-Kodierungen.
23
Häufigkeitsverteilung des MAIS der tödlich verunglückten
Motorradfahrer (LMU + SV-Büro n=137, UDB n=23)
50%
40%
Getötete LMU + SV-Büro (n=137)
Getötete UDB (n=23)
30%
20%
10%
0%
MAIS 3
MAIS 4
MAIS 5
MAIS 6
nicht spezifiziert
Abbildung 10: Häufigkeitsverteilung des MAIS der tödlich verunglückten
Motorradfahrer (LMU + SV-Büro n=137, UDB n=23)
Stellt man die Häufigkeitsverteilung der ISS-Werte dar (Abbildung 11), der
als Parameter zur Beschreibung von mehrfach verletzten Patienten
herangezogen werden kann, so wird deutlich, dass die getöteten
Motorradfahrer häufig auch schwere Verletzungen in mehreren
Körperregionen aufweisen.
Ergänzend dazu ist in Abbildung 12 zu erkennen, dass die in der UDB als
„schwerverletzt“ (Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich) kodierten
Motorradauffassen eine deutlich niedrigere Gesamtverletzungsschwere
aufweisen. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich hier um Verletzungen
des Schweregrades MAIS 2 und MAIS 3. Dies dürfte im Gegensatz zu den
Getötetenkollektiven ein etwas realistischeres Bild des gesamten
Unfallgeschehens auf deutschen Straßen zeichnen und sollte für die
weiteren Betrachtungen berücksichtigt werden.
24
Häufigkeitsverteilung der ISS-Kategorien
(LMU + SV-Büro n=137, UDB n=23)
50%
40%
Getötete LMU + SV-Büro (n=137)
Getötete UDB (n=23)
30%
20%
10%
0%
ISS bis 14
ISS 16 bis
26
ISS 27 bis
41
ISS 42 bis
66
ISS 75
nicht
spezifiziert
Abbildung 11:Häufigkeitsverteilung der ISS-Kategorien (LMU + SV-Büro
n=137, UDB n=23)
Abbildung 12: Häufigkeitsverteilung der Gesamtverletzungsschwere MAIS
aller schwerverletzten Fahrer und Mitfahrer (UDB, n=112)
Versucht man, die am häufigsten betroffenen Körperregionen
einzugrenzen, so lässt sich dies zunächst anhand der Häufigkeitsverteilung
der am MAIS beteiligten Körperregionen bei den am Institut für
25
Rechtsmedizin obduzierten Motorradfahrern darstellen (Abbildung 13). Es
wird deutlich, dass der Kopf und der Thorax besonders häufig die
schwerstverletzten Körperregionen darstellen. Der Hals und die unteren
Extremitäten folgen mit deutlichem Abstand.
Dies liegt insbesondere in der Natur der AIS-Kodierung sowie dem
menschlichen Körper bedingt. Schwerste und tödliche Verletzungen treten
häufig in Zusammenhang mit der Schädigung des zentralen Nervensystems
oder der Blut- bzw. Sauerstoffversorgung auf. Die hierfür maßgeblichen
Regionen befinden sich im Kopf (Gehirn) und im Thorax (Herz, Lunge). Für
die Ermittlung einer Reihenfolge von im Rahmen dieses Projekts zu
adressierenden Körperregionen ist diese Limitation entsprechend zu
berücksichtigen, zumal das Themengebiet Kopfverletzungen / Helm hier
explizit nicht betrachtet werden soll.
Abbildung 13: Häufigkeitsverteilung der am MAIS beteiligten Körperregionen
(LMU + SV-Büro, n=137)
Stellt man für das Fallkollektiv der LMU und des SV-Büros den Anteil der
Personen dar, die in der jeweiligen Körperregion mindestens eine schwere
Verletzung (AIS 3+) erlitten haben (Abbildung 14), so wird deutlich, dass mit
ca. 94% fast alle der verunglückten Motorradfahrer eine schwere
Verletzung im Thoraxbereich aufwiesen. Zudem erlitten etwa 48% der
Motorradfahrer schwerste Verletzungen im Bereich des Abdomens.
Nach dem Kopf folgen mit ca. 55% die unteren Extremitäten. Etwa ein
Drittel der verunglückten Motorradaufsassen wies MAIS 3+ Verletzungen im
26
Bereich des Halses auf. Die übrigen Körperregionen weisen einen deutlich
geringeren Anteil auf.
Abbildung 14: Anteil der Personen, die in der jeweiligen Körperregion
mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten hatten (LMU und SVBüro, n=137)
Diese Verteilung liefert bereits deutliche Hinweise darauf, dass der Thorax
bei verunfallten Motorradfahrern von sehr großer Relevanz ist. Dies deckt
sich auch mit anderen Studien, die Motorradunfälle analysierten (COST
2001, MAIDS 2009, MOSAFIM 2013).
Bei zusätzlicher Betrachtung von etwas leichteren Verletzungen (AIS 2+) in
Tabelle 1, die die Reihenfolge von Verletzungen der Körperregionen auf
Struktur- sowie auf Organebene im Fallkollektiv LMU + SV-Büro zeigt, wird
deutlich, dass am häufigsten die Thoraxorgane und der knöcherne
Brustkorb verletzt sind.
Insbesondere der Hämatothorax (Bluterguss in der Brusthöhle) sowie
Verletzungen an den Rippen sind besonders häufig. Verletzungen an der
thorakalen Aorta treten bei etwa einem Drittel der verunfallten
Motorradfahrer auf. Verletzungen im Thoraxbereich mit einer Häufigkeit von
unter 15% sind in der Tabelle nicht mehr aufgeführt.
27
AIS 2+ Verletzungen an den Bauchorganen treten bei ca. 75% der
verunfallten Motorradfahrer auf. Hierbei führend ist eine Verletzung der
Leber.
Frakturen an den unteren Extremitäten lagen bei etwa 62% der AIS 2+
verletzten Motorradfahrern vor. Führend sind hierbei die Beckenringfraktur
sowie eine Fraktur am Femur.
Tabelle 1: Reihenfolge von AIS 2+ Verletzungen in Kombination mit
verletzten Organen (LMU + SV-Büro, n=137)
AIS2+ Verletzungen
Thoraxorgane
Brustkorb
Thoraxgefäße
Hämatothorax
Brustkorb, Rippen
Lunge
Sternum
Aorta, thorakal
Herzbeutel
BWS Fraktur oder Bandscheibe
Herz
...
Bauchorgane
Leber
Milz
Nieren
Gehirn
Cerebrum
Cerebellum
Hirnstamm
Untere Extremitäten Frakturen
Beckenfraktur
Beckenringfraktur
Acetabulum Fraktur
Femurverletzung
Distale Femur Fraktur
Femur Schaft Fraktur
Femur Fraktur nfs
Proximale Femur Fraktur
Obere Extremitäten Frakturen
Wirbelsäulenfraktur
Häufigkeit
122
107
59
109
104
98
56
45
43
38
21
102
76
57
44
95
91
55
51
85
53
51
3
50
20
15
12
6
81
76
Anteil [%]
(100% = 137)
89 %
78 %
43 %
80 %
76 %
72 %
41 %
33 %
31 %
28 %
15 %
75 %
56 %
42 %
32 %
69 %
66 %
40 %
37 %
62 %
39 %
37 %
2%
37 %
15 %
11 %
9%
4%
59 %
56 %
28
Rückenmarksläsion
HWS Fraktur
HWS Rückenmarksverletzung
Schädelknochen
Schädelbasisfraktur
26
39
16
42
39
19 %
29 %
12 %
31 %
29 %
Ergänzend zum Fallkollektiv der am Institut für Rechtsmedizin obduzierten
Motorradfahrer wurde das Fallkollektiv der UDB hinsichtlich der
Verletzungen analysiert.
Betrachtet man zunächst den Anteil der getöteten Personen, die in der
jeweiligen Körperregion mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+)
erlitten hatten (Abbildung 15), so wird deutlich, dass sowohl der Thorax- wie
auch der Abdomenbereich besonders häufig verletzt sind. Dies deckt sich
mit den Ergebnissen der Schwerverletzten Motorradfahrer aus dem
Datenmaterial von LMU und SV-Büro. Verletzungen an den übrigen
Körperregionen sind abgesehen von Kopf und Halswirbelsäule von deutlich
untergeordneter Relevanz.
Abbildung 15: Anteil der getöteten Personen, die in der jeweiligen
Körperregion mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten hatten
(UDB, n=45)
29
Bei den schwerverletzten Personen in der UDB, welche mindestens eine
schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten haben, zeigt sich ein etwas
abweichendes Bild. Hier sind Verletzungen an den unteren Extremitäten
ebenso häufig wie Verletzungen am Thorax (Abbildung 16).
Abbildung 16: Anteil der schwerverletzten Personen, die in der jeweiligen
Körperregion mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten hatten
(UDB, n=76)
Stellt man ergänzend die Körperregion des höchsten AIS-Wertes bei eher
leicht verletzten (AIS 2) Motorradfahrer aus der UDB dar (Abbildung 17),
gewinnen die unteren Extremitäten, allen voran der Unterschenkel,
nochmals an Relevanz.
30
Körperregion des höchsten AIS-Wertes
(UDB AIS 2 verletzte Motorradfahrer, n=43)
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Unterschenkel
Arm allg., Oberarm
Kopf
Hand
Fuß
Unterarm
Brustwirbelsäule
Abbildung 17: Körperregion des höchsten AIS-Wert (UDB AIS 2 verletzte
Motorradfahrer, n=43)
Dies deckt sich mit in der Literatur durchgeführten Analysen leichter
Motorradunfälle. So ist z.B. der MAIDS-Studie zu entnehmen, dass ca.
32% der verunfallten Motorradfahrer mit Verletzungen AIS 1+ Verletzungen
an den unteren Extremitäten aufwiesen. Dies stellt die am häufigsten
verletzte Körperregion dar und wird gefolgt von den oberen Extremitäten
(ca. 24%) (MAIDS 2009).
In der Dissertation von Malczyk (2010) zeigte sich, dass ca. 71% der AIS 1+
verletzten Motorradfahrer Frakturen der unteren Extremitäten aufwiesen.
Etwa 36% wiesen eine Femurfraktur auf, 29% eine Tibia-/ Fibulafraktur.
Fasst man die durch die Analyse der Verletzungen gewonnene
Erkenntnisse zusammen, so ist auszuführen, dass der Thorax
insbesondere bei schwereren und tödlichen Unfällen die mit Abstand
relevanteste und sehr häufig auch am schwersten verletzte Körperregion
darstellt. Die Reihenfolge der betroffenen Körperregionen in beiden
Getötetenkollektiven (LMU und UDB) ist vergleichbar, hier folgen die
Körperregionen Abdomen, Hals und untere Extremitäten. Der Kopf ist
ebenfalls häufig betroffen, wird im vorliegenden Projekt aber nicht weiter
adressiert. Mit dem Kopfschutz von Motorradfahrern haben sich bereits
einige Studien (u.a. COST 2001, MAIDS 2009) ausführlich
auseinandergesetzt.
Bei den schwerstverletzten (MAIS 3+) Personen der UDB zeigt sich im
Vergleich zu den Getötetenkollektiven ein etwas abweichendes Bild. Hier
31
folgt auf den Thorax der Oberschenkel auf Platz 2, gefolgt von Abdomen
und Becken.
Bei der Betrachtung von AIS 2+ Verletzungen auf Organebene im
Fallkollektiv der am Institut für Rechtsmedizin obduzierten Motorradfahrer
wird deutlich, dass zudem Verletzungen an den unteren Extremitäten eine
deutliche Relevanz aufweisen. Diese sind dabei besonders häufig am
Becken oder Femur lokalisiert.
Auch bei Analyse der AIS 2 verletzten Motorradfahrer der UDB konnte
herausgearbeitet werden, dass die verunfallten Motorradfahrer häufig
Verletzungen an den unteren Extremitäten und hier insbesondere der
Unterschenkel aufweisen. Dies deckt sich auch mit der Literatur zu leicht
verletzen Motorradfahrern (MAIDS 2009, Malczyk 2010, Schmucker et al.
2008).
Basierend auf den Ergebnissen wird die Reihenfolge der im weiteren
Projektverlauf zu betrachtenden Körperregionen vorläufig wie folgt
festgelegt:
1. Thorax
2. untere Extremitäten (primär Oberschenkel)
32
2
Sturz/Anprallszenarien
2.1
Vorgehen Kinematikkodierung Daten LMU und SVBüro
Die vorliegenden Unfälle der LMU und des Sachverständigenbüros wurden
einer Kinematikanalyse unterzogen. Dabei waren insbesondere die
Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers sowie die Eigenschaften des
Anprallobjekts (u.a. Geometrie und Steifigkeit) für die zu erwartende
Krafteinleitung auf den Motorradfahrer von Interesse.
Bei Zweiradunfällen handelt es sich in der Regel um relativ komplexe
Unfallgeschehen, die hinsichtlich der Rekonstruktion oft mit nicht
auszuschließenden Unsicherheiten behaftet sind. Insbesondere der Anprall
des Motorradfahrers (oft an mehrere Objekte) ist schwierig zu beschreiben,
was auch aus der Literatur ersichtlich wird (COST 2001, MAIDS 2009).
Um dennoch ohne eine sehr zeitaufwendige und detaillierte Rekonstruktion
aller Unfälle die Anprallparameter des Motorradfahrers im Unfallablauf
eingrenzen zu können, wurden die 131 tödlichen Unfälle einer
vereinfachten Kinematikkodierung unterzogen. Diese Klassifizierung soll
eine spätere Gruppierung und Identifikation von besonders häufigen und
relevanten Anprallparametern ermöglichen, welche dann im Detail u.a.
mittels Simulationen betrachtet werden.
Im Vorfeld der Kodierung der Kinematik wurden die Fälle zudem in die
Kinematikgruppen nach Otte bzw. UDB eingeteilt. Anschließend wurden für
jeden Fall die verfügbaren technischen und medizinischen Unterlagen
gesichtet und darauf aufbauend der mögliche Unfallablauf samt
stoßmechanischer
Anprallparameter
beschrieben.
Dazu
wurden
überschlägige Berechnungen angestellt und - soweit dies möglich war - die
Verletzungen gewissen Kontaktobjekten zugeordnet.
2.1.1 Unterteilung in separate Anprallgeschehen
Aufgrund des oft komplexen Unfallgeschehens ist davon auszugehen, dass
je nach Szenario eine verschiedene Abfolge von diversen
Anprallgeschehen auf den Aufsassen einwirken kann. Für jeden Unfall
wurden alle vorherrschenden Anprallsituationen separat kodiert. Im
vorliegenden Unfallkollektiv wurden maximal vier Anprallsituationen
erreicht.
33
Kommt es beispielsweise zu einem Anprall, bei welchem der
Motorradfahrer bedingt durch eine Kollision mit einem die Fahrlinie
schneidenden Pkw im Erstgeschehen frontal mit der Fahrzeugfront und
nachfolgend mit der Windschutzscheibe oder Dachkante erfasst wird, so
stellt dies die Anprallsituationen 1 und 2 dar. Kommt es in der Auslaufphase
zu einem Auftreffen auf den Untergrund und noch rutschenderweise zu
einem letzten Kontakt mit einem Pfosten, so stellen diese Szenarien die
Anprallsituationen 3 und 4 dar. Würde man von einer Kollision eines
Motorradfahrers mit der Seite eines querenden Pkws und nur geringer
Auslaufbewegung ausgehen, so wäre die Kollision mit dem Pkw als
Anstoßgeschehen 1 und die Kollision mit der Fahrbahn als
Anstoßgeschehen 2 zu kodieren. Jedes Anprallgeschehen wird getrennt
voneinander mit denselben Parametern erfasst und in chronologischer
Abfolge des Unfalls aufgenommen.
2.1.2 Ermittlung des verletzungsmechanisch relevantesten
Anpralls
Eine Aussage, welches Anstoßgeschehen tatsächlich als das
verletzungstechnisch intensivste Ereignis in der Abfolge verschiedener
Anstöße gewertet werden kann, hängt essentiell vom Einzelfallgeschehen
ab. Hier liegen Fälle vor, bei denen sich bereits bei der ersten Betrachtung
zweifelsfrei ein besonderes Anprallgeschehen adressieren lässt. Die
weiteren Fälle mussten entsprechend kritisch betrachtet und diskutiert
werden. Geringe Unschärfen sind hier unvermeidbar, bei einigen Fällen ist
der für die Verletzungsmechanik relevante Anprall nicht mit Sicherheit zu
bestimmen.
2.1.3 Aufteilung von Einzelfällen zur Reduzierung von
Unschärfen
Um mögliche Unsicherheiten durch fehlende Angaben bei der Kodierung
bestimmter Einzelfälle so weit wie möglich zu reduzieren, wurden diese
Fälle in mehrere denkbare hypothetische Abläufe aufgeteilt, mit Faktoren
versehen und mit Punkten gewichtet. Die somit auftretenden
Unsicherheiten werden in den jeweiligen Teilfällen damit mit deutlich
niedrigerer Gewichtung und Verteilung in die Gesamtbetrachtung mit
aufgenommen und bilden damit das Fallkollektiv zuverlässiger ab.
Während ein konkreter Fall mit klarem Ablauf der einzelnen
Anprallszenarien nicht aufgeteilt wird, kann ein Fall mit mehreren
denkbaren Varianten, z.B. hinsichtlich der Anprallobjekte oder des
zeitlichen Ablaufs in 2 oder im vorliegenden Fallkollektiv maximal 3 sog.
34
„Teilfälle“ differenziert und entsprechend mit Teilfaktoren gewichtet werden.
So war es beispielsweise nicht immer möglich zu bestimmen, ob bei nach
einem Primäranprall gegen einen Pkw bei der Abwurfbewegung
anschließend zuerst ein Anprall auf die Fahrbahn und dann gegen einen
Baum oder zuerst noch in der Flugphase gegen den Baum und dann auf
die Fahrbahn erfolgte.
Für die Auswertung wurden die einzelnen Anprallsituationen mit dem
gemeinsamen Nenner (6) multipliziert. Die Kinematik einer verunfallten
Person mit theoretisch 4 möglichen Anprallsituationen wird demnach mit 24
gewichteten Anprallsituationen beschrieben. Bei 137 beteiligten Aufsassen
bedeutet dies theoretisch mögliche 3288 gewichtete Anprallsituationen.
2.1.4 Eingrenzung der
Anprallparameter
zu
erwartenden
Qualität
der
Anhand der vorliegenden Datenqualität sowie der zu erwartenden
Genauigkeit der ermittelten Anprallparameter wurde die Qualität der
einzelnen Anprallgeschehen in drei Kategorien (grün, gelb, rot) eingeteilt.
Dies stellt für spätere Betrachtungen und für die Auswahl von detaillierter zu
rekonstruieren Einzelfällen eine Orientierungshilfe dar. Zudem wurde für
den gesamten Unfallablauf basierend auf dem am schlechtesten
bewerteten Einzelanprall eine Gesamtqualität vergeben.
2.1.5 Klassifizierung der Anprallobjekte
Die vom Motorradfahrer im Anstoßgeschehen kontaktierten Objekte wurden
vorerst grob klassifiziert. Hierbei wurde fahrende Objekte entsprechend der
Fahrzeugart und ortsfeste Objekte in möglichst engen Klassen wie
beispielsweise Leitschiene, Pfosten, Baum, Mauer, Wiese, Straße etc.
eingeteilt. Auch Körper-Körper-Kontakte wurden als eigene Kategorie
miteingeführt, welche maßgeblich in zwei möglichen Kollisionsszenarien
relevant sind. Zum einen ergibt sich der Fall eines harten Körper-KörperKontaktes bei einer nicht unwesentlichen Anzahl an Kollisionen, bei denen
zwei Motorradfahrer im Begegnungsverkehr miteinander kollidieren. Zum
anderen spielen Körper-Körper-Kontakte zwischen dem Sozius und dem
Fahrer im Kollisionsgeschehen eine Rolle. Auch Kollisionen mit
Fußgängern und Radfahrern sind möglich, wobei diese Fallzahlen eher
gering sind.
35
Eingrenzung der Objektsteifigkeiten in den Kontaktzonen
Die Objektsteifigkeiten der Kontaktflächen spielen eine wichtige Rolle. Je
höher die strukturelle Steifigkeit des Kontaktobjektes ist, umso weniger
Energie wird durch Deformation absorbiert. Dies führt zu einer deutlich
größeren Energieaufnahme am Motorradfahrer. Durch die ausbleibende
Deformation kommt es zudem meist zu deutlich höheren Spannungen an
den Oberflächen und punktuelleren Krafteinleitungen. Passt sich das
Kontaktobjekt mit niedrigerer Steifigkeit teilelastisch der Oberflächenform
des kontaktierenden Körperteils an, resultiert dies in einer flächigeren
Anstoßkrafteinleitung und folglich geringeren Belastungen.
Zur Klassifizierung wurde folgendes Schema in Tabelle 2 verwendet,
welches sich nach mehrfachen Versuchen und Abschätzungen der
Steifigkeiten als praktikabel und ausreichend genau ergab.
Tabelle 2: Einteilung der Kontaktobjekte in Steifigkeitsklassen
Klasse
0
1
2
3
4
5
6
7
Beschreibung
Vernachlässigbare
Steifigkeit,
möglicherweise
ein
nachgiebiges,
leicht
durchdringbares
Objekt
wie
beispielsweise eine Plane etc.
Hochelastischer Kontaktpartner, wie beispielsweise ein
teilelastischer Stoßfänger ohne signifikante/deformierte
Unterbaustruktur
Niedrige
Steifigkeit
bei
Flächen
mit
weit
auseinanderliegenden Abstützungspunkten und ausreichend
Deformationsraum wie beispielsweise ein Türblatt einer
Fahrertüre ohne Seitenanprallschutz, nicht im Bereich einer
Sicke oder Sichtkante
Mittlere Steifigkeit bei Flächen mit Blechdoppelungen oder
„beruhigten Strukturen“ ähnlich einer Motorhaube oder ohne
Beruhigungsstruktur im Bereich einer Sicke/Sichtkante
Höhere
Steifigkeit
bei
Flächen
mit
Unterbaustrukturen/Seitenanprallstrukturen, ähnlich einer
verstärkten Türkonstruktion
Hohe Steifigkeit bei Flächen mit Falzstrukturen im
Scharnierbereich an Säulen, mit direkter Abstützung
Konstruktionsbedingt hohe Steifigkeit mit säulenartiger
Verstärkung und höherfesten Stählen ähnlich einem
Kniestück, Schweller, Dachkante mit Unterbau oder einem
Rad mit Deformation der Radführungskomponenten
Maximale Steifigkeit ohne Deformation/eigener struktureller
Energieaufnahme ähnlich einem massiven Stahlträger,
36
66
9999
Rahmenkante eines Lkw, Straße, massiver Laternenmast,
Baum
Menschkontakt (Körper/Körper)
Keine Angabe / nicht möglich / nicht bekannt
Liegen mehrere unterschiedlich steife Bauteile in der möglichen
Kontaktzone, wird das Objekt der höchsten Steifigkeit für die jeweilige
Klassifizierung gewählt. Meist ergibt sich in den jeweiligen Anstoßbereichen
entlang der Deformationstiefe jedoch eine Kaskade von verschiedenen
Steifigkeiten, sodass hier berücksichtigt werden muss, bis in welche
Struktur die Eindringung tatsächlich vorlag.
Verdeutlicht man die vorliegenden Steifigkeitszonen mit Beispielbildern aus
dem Fallkollektiv, so ergeben sich die folgenden Festlegungen wie in
Abbildung 18 bis Abbildung 29.
2
3
Abbildung 18 :
Beispiel für Steifigkeit 1
Abbildung 19 :
Beispiel Steifigkeit 2 und 3
Abbildung 20 : Bespiel Steifigkeit 4
Abbildung 21 : Beispiel Steifigkeit 4
37
Abbildung 22 : Beispiel Steifigkeit 5
Abbildung 23 : Beispiel Steifigkeit 5
Abbildung 24 : Beispiel Steifigkeit 6
Abbildung 25 : Beispiel Steifigkeit 6
Abbildung 26 : Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 27 : Beispiel Steifigkeit 7
38
Abbildung 28 : Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 29 : Beispiel Steifigkeit 7
Objektmasse
Da die Masse des Kontaktobjektes u.a. über die Massenträgheit die
Kontaktkraft und letztendlich die auf den Motorradfahrer einwirkenden
Belastungen beeinflusst, wurde diese ebenfalls erhoben und gruppiert.
Angesichts der infinitesimal kurzen Stoßdauer ist jedoch ab einer gewissen
Grenze kaum mehr von einem steigenden bzw. veränderlichen Einfluss
auszugehen. So wird es annähernd zu vernachlässigen sein, ob es sich bei
der kontaktierten Fläche beispielsweise um ein Fahrzeug mit 2.000 kg oder
um einen Kleinlaster mit 3.500 kg handelt.
Die jeweiligen Massen wurden bei Fahrzeugen im Rahmen der
vorliegenden Gutachten aus Datensätzen der Zulassungsbestätigungen
oder aus den Zulassungsdaten des Kraftfahrtbundesamtes ermittelt. In
seltenen Fällen wurden im Rahmen technischer Untersuchungen die
Fahrzeuge gewogen. Bei ortsfesten Gegenständen, u.a. massiven Masten
oder insbesondere der Straße bzw. dem Untergrund wurde die Masse als
unendlich hoch kodiert.
Radius des Kontaktobjekts
Der Radius des Kontaktpartners spielt für die verletzungsmechanischen
Betrachtungen und die Schutzkleidung eine essentielle Rolle. So können
die Anstoßkräfte beispielsweise in eher punktueller oder eher flächiger
Form in den kontaktierenden Körperteil des Motorradfahrers eingeleitet
werden.
Bei einer eher punktuellen Krafteinleitung ist von einer erhöhten
Belastungsintensität auf den Körper bzw. die Schutzkleidung (Protektor,
Airbag) auszugehen, was ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich
39
bringt. Bei einer eher flächigen Krafteinleitung besteht die Möglichkeit, dass
die einwirkenden Kräfte in einem geringeren Verletzungsrisiko resultieren
und zudem von der Schutzkleidung besser verteilt bzw. absorbiert werden
können.
Die geometrische Form der Kontaktzone wurde - soweit dies aus
vorliegenden Daten und Lichtbildern möglich war - mittels 2-dimensionalen
und maßstäblichen Zeichnungen aus der Datenbank AUTOVIEW Crash
Analyse
und
der
VENUS-Datenbank
sowie
3-dimensionalen
Fahrzeugmodelle aus den Datenbanken des Analyseprogramms PC-Crash
(Abbildung 30) ermittelt.
Abbildung 30 : Radienermittlung, Beispielerfassung 3D
In nachfolgender Abbildung 31 sind an einer beispielhaften 2DFahrzeugzeichnung beispielhafte Radien von Bauteilen an einem Pkw
dargestellt.
40
Dachkante ca. 0,1 – 0,2 m
Ecke Stoßfänger ca. 0,2 – 0,3 m
A-Säule ca. 0,05 – 0,15 m
Schweller ca. 0,05 – 0,15 m
Türblatt ca. 0,7 - 1,0 m
Abbildung 31: Beispielhafte Objektradien am Pkw
Es wurde der jeweils kleinste Radius in der Anprallzone gewählt. Die
Anprallradien wurden zur Vermeidung nicht darstellbarer Genauigkeiten in
Gruppen eingeteilt. Gänzlich ebene Flächen (z.B. Fahrbahnoberfläche)
wurden mit einem entsprechenden Code beschrieben.
Als geringster Anprallradius wurde die Gruppe 0,05 m festgelegt. Darin
enthalten sind u.a. auch Pfosten einer Leitschiene oder eines
Verkehrsschilds. Im vorliegenden Fallkollektiv waren geringere
Anprallradien nur in sehr geringer Fallzahl vorhanden, die vereinfachend
dieser Gruppe zugeordnet wurden. Bepflanzung am Straßenrand (meistens
Bäume) wurden häufig mit Radien zwischen 0,2 und 0,3 m belegt.
2.1.6 Stoßmechanische Anprallparameter
Die stoßmechanischen Parameter setzen sich maßgeblich aus
Geschwindigkeiten des Motorradfahrers und des Anprallobjekts in
horizontaler und vertikaler Ebene und den Bewegungsrichtungen und
Winkeln zu den jeweiligen Ebenen zusammen. Hier wurden die Parameter
teils aus den vorliegenden Simulationen (Fallkollektiv SV-Büro) entnommen
oder mittels ergänzender Betrachtungen, z.B. Simulationen des
Fallkollektivs der LMU eingegrenzt. Ausgewählte besonders relevante Fälle
wurden für eine detaillierte Betrachtung und Überprüfung der
Vorgehensweise mittels Mehrkörpersimulationen nachgebildet.
41
Geschwindigkeiten und dazugehörige Relativwinkel
Für die Eingrenzung der jeweiligen Geschwindigkeiten bei den einzelnen
Anprallsituationen wurden sowohl die vorliegenden Berechnungen wie auch
die im Rahmen der Kodierung näher eingegrenzten Auslaufbewegungen
herangezogen. Es muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass es sich
hierbei teils um verhältnismäßig genau ermittelte, teils aber auch um im
Rahmen der Kinematikkodierung erhobene Abschätzungen handelt.
Gewisse Unsicherheiten sind somit nicht auszuschließen. Es liegt jedoch in
der komplexen Natur eines Motorradunfalls, dass oft auch mit detaillierten
Simulationen keine signifikant erhöhte Genauigkeit bei der Eingrenzung der
Geschwindigkeiten zu erreichen ist.
Zudem wurde der Relativwinkel des Vektors der Objektgeschwindigkeit zum
Vektor der Eigengeschwindigkeit des Motorradfahrers in der
Horizontalebene ermittelt. Der Ursprung des Koordinatensystems wurde in
den Schwerpunkt des Motorradfahrers gelegt. Anschließend wurde der
Geschwindigkeitsvektor des Objekts ermittelt. Hierzu wurde festgelegt, das
eine Bewegungsrichtung des Kollisionspartners in die gleiche Richtung wie
die Bewegungsrichtung des Motorradfahrers mit 0° und eine Bewegung
entgegen dessen Richtung als 180° Grad im Uhrzeigersinn definiert ist. In
nachfolgender
Abbildung
32
wäre
der
Winkel
beider
Objektgeschwindigkeiten zueinander beispielsweise 90°.
Abbildung 32 : Definition des Relativwinkels der Objektgeschwindigkeiten in
der Horizontalebene am Beispiel eines in die rechte Pkw-Seite stoßenden
Motorradfahrers
42
Weiter wurde der Winkel des Vektors der Eigengeschwindigkeit des
Motorradfahrers zur Horizontalebene sowie die Horizontal- und
Vertikalkomponente der Eigengeschwindigkeit des Motorradfahrers ermittelt
(Abbildung 33).
Abbildung 33 : Relativwinkel der Geschwindigkeit des Motorradfahrers zur
Horizontalebene
Winkel des Motorradfahrers zur Objektoberflächennormalen
Zur weiteren Beschreibung der kinematischen Größen wurde der
geometrische Parameter der Objektoberflächennormalen (OON) eingeführt.
Der orthogonal zur Kontaktfläche liegende Vektor, also die Normale,
beschreibt im Wesentlichen die vorherrschende Krafteinleitungsrichtung,
falls man den Anstoß abseits stoßinduzierter Reibungskräfte idealisiert und
vereinfacht als Impuls betrachtet. Die Lage der Objektoberflächennormale
wurde in vertikaler und horizontaler Ebene definiert.
Betrachtet man zunächst die Einteilung des Relativwinkels der
Objektoberflächennormalen in der Vertikalebene, so ist festzuhalten, dass
dies in der jeweiligen Ebene geschieht, in der sich der
Geschwindigkeitsvektor des Motorradfahrers befindet. Die in Abbildung 34
gezeigte beispielhafte Situation spiegelt einen Kontakt des Motorradfahrers
bei einer Kollision mit der Windschutzscheibe des Pkws wieder. Hierbei
kollidiert der Kopf mit der Windschutzscheibe. Die Lage der
Objektoberflächennormalen in der Vertikalebene ergibt sich hier zu ca. 70°.
Bei einer senkrecht stehenden Kontaktfläche ergibt sich die Lage der
Objektoberflächennormalen zu 0°. Die entsprechende in Abbildung 35
gezeigte Situation spiegelt einen beispielhaften Beinkontakt mit dem
Seitenbereich des Fahrzeuges wieder.
43
Abbildung 34 : OON in der
Vertikalebene
Abbildung 35 : OON in der
Vertikalebene
Weiter wurde der Relativwinkel der Objektoberflächennormalen zum
Bewegungsvektor des Motorradfahrers in der Horizontalebene definiert.
Analog zu den vorstehenden Ausführungen zu den Grundparametern ist die
Lage ebenso im Koordinatensystem bezogen auf den Motorradfahrer
einzustufen. In nachfolgender beispielhaften Abbildung 36 würde die
Objektoberflächennormale in der Horizontalebene bei 180° liegen.
Abbildung 36 : Winkellage der Objektoberflächennormale in der
Horizontalebene
Im Einzelfall gilt es, die in der Anstoßzone vorliegenden geometrischen
Besonderheiten zu analysieren und die Radien auszuwerten. Je kleiner der
44
Radius des Kontaktobjekts, umso größer die potentielle Abweichung der
Winkellage der Objektoberflächennormalen bei bereits kleinem Längs- bzw.
Querversatz. Aus diesem Grunde wurde die Untergrenze für die
Betrachtung der Winkellage auf einen minimalen Radius bei 0,15 m gesetzt.
Bei Unterschreitung von diesem Radius wurde die Winkellage der
Objektoberflächennormalen unabhängig von der Anprallrichtung auf 180°
gesetzt.
Geschwindigkeitskomponenten des Motorradfahrers zur Anprallfläche
Aus der Summe der vorstehenden einzelnen Parameter wurde über eine
Trigonometriefunktion
die
Relativgeschwindigkeit
zwischen
dem
Motorradfahrer und der Kontaktzone in der Horizontal- und Vertikalebene
berechnet, womit sich der dreidimensionale Geschwindigkeitsvektor beider
Kollisionspartner zueinander zum Kontaktzeitpunkt beschreiben lässt.
In Kombination mit dem Winkel der Objektoberflächennormalen ist es somit
möglich, für die jeweiligen Anprallsituationen die Geschwindigkeitskomponenten des Motorradfahrers sowohl senkrecht als auch tangential zur
jeweiligen Anprallfläche zu bestimmen. Dies ermöglicht eine differenzierte
verletzungsmechanische Betrachtung der jeweiligen Anprallsituationen und
die spätere FEM-Simulation zur Krafteinleitung in das Menschmodell.
2.2
Ergebnisse der Kinematikanalyse
Die Analyse der Kinematik des Motorradfahrers im Unfallablauf wurde
zunächst mittels einer verhältnismäßig groben Einteilung des
Initialkontaktes durchgeführt. In Abbildung 37 ist hierzu die
Häufigkeitsverteilung der Kinematikgruppen nach Otte für die vorliegenden
Fallkollektive der LMU und UDB durchgeführt. Es wird deutlich, dass bei
den tödlich verunglückten (LMU + SV-Büro) und schwerverletzten
Motorradfahrern (UDB MAIS 3+) eine annähernd vergleichbare Verteilung
vorliegt. Es führt der „Anprall und Sitzenbleiben“ mit jemals etwas über
30%, gefolgt vom Sturz mit ca. 20 %. Beim Alleinunfall führt der „Sturz vor
dem Unfall - Krad während Unfall rutschend - Aufprall auf Hindernis neben
der Fahrbahn“ (A1). Unfälle mit „freiem Flug“, „abrutschen“ und
„aufschöpfen“ sind in allen Fallkollektiven sehr selten bzw. nicht existent.
Bei den MAIS 2 verletzten Motorradfahrern der UDB zeigt sich eine zu den
anderen Kollektiven etwas überhöhte Häufigkeit der Kinematikgruppe VI
(„Anprall und Sitzenbleiben“).
45
Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Kinematikgruppen nach Otte
(Getötete LMU + SV-Büro n=131, UDB MAIS 3+ n=42, UDB MAIS 2 n=43)
Wie bereits erläutert, wurden die Fallkollektive mit den an der LMU
obduzierten Motorradfahrern einer erweiterten Kinematikkodierung
unterzogen (siehe 2.1). Pro Unfall wurden dabei im Schnitt ca. 2,5
Anprallsituationen (min. 1, max. 4) kodiert. Dies bedeutet, dass
Motorradfahrer im Unfallablauf häufig mindestens zwei Anstöße (z.B.
Verkehrsteilnehmer / Objekt und Straße / Untergrund) haben. Der in
Hinblick auf die zu erwartenden Belastungen auf den Motorradfahrer
relevanteste Anstoß war gleichermaßen häufig der Erst- oder Folgekontakt
(jeweils ca. 44%), in seltenen Fällen auch der dritte Anprall.
In der großen Mehrzahl der Fälle (85%) war es möglich, die Kinematik des
Motorradfahrers im Unfallablauf bzw. die chronologische Abfolge der
Anprallsituationen eindeutig - sprich ohne Aufteilung - zu bestimmen. Ca.
50% aller Unfälle wurden mit einer Gesamtqualität „grün“ kodiert. Dies
bedeutet, dass die Randparameter aller Anprallgeschehen mit
verhältnismäßig geringer Bandbreite einzugrenzen waren. Weitere 35%
wurden mit „orange“ bewertet, was etwas größere Unsicherheiten bedeutet.
In ca. 15% aller Fälle war mindestens ein Anprallszenario nicht sinnvoll
einzugrenzen oder mit äußerst hohen Krafteinleitungen auf den
Motorradfahrer behaftet, diese wurden mit „rot“ kodiert. Hierunter fallen
insbesondere Unfälle, bei denen es zu einem Überrollvorgang des
46
Motorradfahrers kam. Das als „Überrollvorgang“ gekennzeichnete
Anprallszenario im Unfallablauf wurde für die folgenden Auswertungen nicht
berücksichtigt.
Auch mit der vorliegenden umfassenden technischen und medizinischen
Dokumentation war eine Zuordnung von Verletzungen zu einer spezifischen
Anprallsituation im Unfallablauf im Rahmen dieser Kinematikkodierung oft
schwierig bis unmöglich. Dieser Weg wurde hier nicht weiter verfolgt. Dies
kann in zukünftigen Betrachtungen - wenn überhaupt - nur mit detaillierten
weiteren Betrachtungen und Simulationen erfolgen.
2.2.1 Fallkollektiv Thorax AIS 2+
Aus der durchgeführten Verletzungsanalyse ergab sich als primär
relevanter Körperbereich für die weiteren Betrachtungen im Rahmen dieses
Projekts der Thorax.
Für die Analyse der Anprallparameter der Motorradfahrer wurde
entsprechend zunächst das Fallkollektiv auf die Fälle eingegrenzt, in denen
der Aufsasse eine Verletzungsschwere von AIS 2+ im Thoraxbereich
aufwies. Dies waren 131 Personen.
Insgesamt 3144 gewichtete Kinematiksituationen wurden für diese
Personen erstellt (siehe 2.1.3). Je nachdem, welche Situationen zutreffen,
werden die folgenden Prozentwerte jeweils bezogen auf die jeweils gültige
Anzahl an Situationen berechnet.
Die Steifigkeit der Anprallobjekte, die in Gruppen eingeteilten Massen und
die jeweiligen gruppierten Radien werden in Abbildung 38 bis Abbildung 40
gezeigt.
47
Abbildung 38: Steifigkeit des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS 2+,
n=1688 Anprallsituationen)
1
höhere Steifigkeit bei Flächen mit Unterbaustrukturen/Seitenanprallschutzstrukturen
2
hohe Steifigkeit bei Flächen mit Falzstrukturen im Scharnierbereich an Säulen
3
konstruktionsbedingt hohe Steifigkeit mit säulenartiger Verstärkung und höherfesten
Stählen
Abbildung 39: Masse des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=1682
Anprallsituationen)
48
*maximal 10m Radius im Fallkollektiv (6mal, gewichtet)
Abbildung 40: Radius des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS 2+,
n=1649 Anprallsituationen)
Es wird deutlich, dass die Kontaktpartner oft eine sehr hohe Steifigkeit
aufweisen. Die Masse der Kontaktgegner ist sehr oft höher als die Masse
des Motorradfahrers. Sie ist in über 50% aller Anprallsituationen mit
unendlich kodiert, wie dies beispielsweise bei einer Straße bzw. dem
Untergrund der Fall ist.
Die Verteilung der Radien des Kontaktobjekts zeigt eine deutliche Häufung
bei unendlichem Radius, d.h. einer geraden Fläche.
Eine weitere Häufung findet sich bei Radien zwischen 0,05 m bis 0,15 m mit
Schwerpunkt bei ca. 0,075 m, z.B. Dachkante, A-Säule oder Schweller,
sowie zwischen 0,2 und 0,3 m mit Schwerpunkt bei ca. 0,25 m, z.B. Baum
oder Stoßfängerecke. Größer 0,3 m finden sich viele Einzelwerte bis hin zu
ca. 10 m, z.B. Türblatt, welche vereinfachend zu der Gruppe > 0,3 m
zusammengefasst sind.
Ergänzend ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Anprallsituation in
dieser Betrachtung auf den - soweit eingrenzbar – maßgeblich
kontaktierenden Teil des Körpers des Motorradfahrers bezogen ist. Es ist
jedoch rein kinematisch und in Hinblick auf die vorliegenden Verletzungen
49
davon auszugehen, dass in annähernd allen Fällen der Thorax an dieser
Anprallsituation beteiligt ist.
Betrachtet man zunächst die Gruppe der Anprallobjekte mit unendlichem
Radius (801 Anprallsituationen), so lässt sich die Verteilung der
Anprallobjekte in nachfolgender Abbildung 41 darstellen. Die Straße
dominiert mit über 80%. Bei Betrachtung der Relativwinkel der
Objektoberflächennormalen in Vertikalrichtung zeigt sich, dass in nahezu
allen Kinematiksituationen mit unendlichem Radius (94%) der Winkel bei
90° liegt, was mit einem Anprall auf den Untergrund gleichzusetzen ist. Bei
nur ca. 5 – 6% aller Anprallsituationen beträgt der Winkel der
Objektoberflächennormalen ca. 0°, d.h. der Anprall fand hier an einer Mauer
oder einer ähnlich aufrecht stehenden geraden Fläche statt.
Verteilung "ebene" Anprallobjekte (Radius unendlich)
(LMU + SV-Büro)
Anteil an allen Kinematiksituationen [%]
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Anhänger
Boden
Leitplanke
Mauer
Straße
Traktor
Wiese
Abbildung 41: Verteilung der ebenen Anprallobjekte (Radius unendlich)
(Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=801 Anprallsituationen)
Stellt man für die Anprallszenarien gegen ein Objekt mit ebener Fläche (im
Folgenden Gruppe 1) die Verteilung der Relativgeschwindigkeit in
Vertikalrichtung dar, so ist mit über 50% eine Häufung zwischen 15 und 20
km/h zu erkennen (Abbildung 42). Dies entspricht in etwa der
Geschwindigkeit, die erreicht wird, wenn ein Motorradfahrer umkippt /stürzt
und auf den Untergrund aufprallt. Für die im Projektverlauf weiter folgenden
verletzungsmechanischen Betrachtungen wurde zur Abbildung dieser
Gruppe vereinfachend ein selbst festgelegter Mittelwert von ca. 17 km/h
zugrunde gelegt.
50
Es ist davon auszugehen, dass die Relevanz dieser Fallgruppe
insbesondere für etwas schwere Verletzungen und optimierte
Schutzkleidung von untergeordneter Bedeutung ist, da die zu erwartenden
Belastungen auf den Motorradfahrer verhältnismäßig gering ausfallen.
Die
Tangentialgeschwindigkeit
bzw.
Horizontalgeschwindigkeit
in
Fahrtrichtung des Motorradfahrers hängt maßgeblich von der
vorangegangenen Geschwindigkeit des Motorradfahrers ab und ist teils
deutlich höher als die Vertikalgeschwindigkeit, welche in Fallrichtung
gerichtet ist. Die tangential gerichtete Geschwindigkeitskomponente ist für
verletzungsmechanische Betrachtungen des Anpralls jedoch von
untergeordneter Bedeutung, da es zu keinem senkrecht zum Objekt
gerichteten Kontakt und einer entsprechenden Krafteinwirkung kommt.
Relativgeschwindigkeit in Vertikalrichtung
Gruppe 1 (LMU + SV-Büro)
Anteil an allen Kinematiksituationen [%]
60
50
40
30
20
10
0
0 bis <5km/h
5 bis
<10km/h
10km/h bis
<15km/h
15km/h bis
<20km/h
20km/h bis
<25km/h
25km/h bis
<30km/h
35km/h bis
<40km/h
Abbildung 42: Relativgeschwindigkeit in Vertikalrichtung (Thorax AIS 2+,
Radius ~ unendlich, n=753 Anprallsituationen)
Die verletzungsmechanisch relevante Geschwindigkeitskomponente
entlang
der
Objektoberflächennormalen
(d.h.
senkrecht
zur
Objektoberfläche) für die Gruppe der Anprallradien von 0,05 bis 0,15 m (im
Folgenden Gruppe 2) ist in Abbildung 43 dargestellt. Es lassen sich
zusammenfassend zwei Häufungen feststellen. Diese befinden sich
kumuliert bei ca. 25 km/h sowie bei ca. 60 km/h.
Die Masse des Anprallobjekts geht bei diesen Anprallsituationen ebenfalls
häufig gegen unendlich und ist in annähernd allen Fällen deutlich größer als
51
die Masse des Motorradfahrers. Die Steifigkeit der Anprallobjekte ist in
annähernd 50% maximal, gefolgt von einer hohen Steifigkeit. Alle anderen
Ausprägungen nehmen eine stark untergeordnete Relevanz ein.
Abbildung 43: Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers längs zur
Objektoberflächennormalen bei Radius Anprallobjekt 0,05 - 0,15 m
(Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=338 Anprallsituationen)
Für die Anprallobjekte mit einem Radius von 0,2 m bis einschließlich 0,3 m
(Gruppe 3) ist die Verteilung der Anprallgeschwindigkeit entlang der
Objektoberflächennormalen in Abbildung 44 dargestellt. Es zeigt sich eine
kumulierte Häufung bei ca. 50 km/h.
Es könnte noch ein weiterer Peak bei 30 – 40 km/h identifiziert werden.
Dieser ist aber verhältnismäßig nah am oberen Peak orientiert, weshalb auf
eine weitere streng getrennte Betrachtung zunächst verzichtet wird. Dies
wäre ggf. im Rahmen einer kontinuierlichen Entwicklung zu ergänzen.
In der Gruppe 3 liegt in 50% der Situationen die Masse des Anprallobjekts
im Bereich 1000kg bis 2000kg. Die Steifigkeit ist in 28% eine
konstruktionsbedingt hohe Steifigkeit mit säulenartiger Verstärkung und
höherfesten Stählen, in 23% eine hohe Steifigkeit bei Flächen mit
Falzstrukturen im Scharnierbereich an Säulen. In 22% der Situationen
handelt es sich um einen Menschen. Eine entsprechende Verteilung findet
sich auch bei der Objektmasse, die in 22% der Anprallsituationen bei bis zu
100kg liegt.
52
Abbildung 44: Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers längs zur
Objektoberflächennormalen bei Radius Anprallobjekt 0,2 - 0,3 m
(Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=270 Anprallsituationen)
Fasst man die gewonnenen Erkenntnisse für das Fallkollektiv der
Motorradfahrer mit Verletzungen AIS 2+ im Thoraxbereich zusammen, so
lässt sich folgendes festhalten:
Die Masse der Kontaktgegner ist sehr oft deutlich größer als die Masse
des Motorradfahrers
Die Kontaktpartner weisen oft eine sehr hohe Steifigkeit auf
Basierend auf den Ergebnissen der Kinematikanalyse lassen sich folgende
relevante Anprallszenarien für den Thorax festhalten:
Anprall Straße (Vertikalgeschw. ca. 17 km/h)
Anprallobjekt Radius ca. 0,075 m, Anprallgeschw. ca. 25 km/h
Anprallobjekt Radius ca. 0,075 m, Anprallgeschw. ca. 60 km/h
Anprallobjekt Radius ca. 0,25 m, Anprallgeschw. ca. 50 km/h
53
2.2.2 Fallkollektiv untere Extremitäten
Die Anprallsituationen geben für die unteren Extremitäten Hinweise auf
mögliche Anprallparameter, allerdings gelingt der Transfer der eher global
auf den Motorradfahrer zu beziehenden Anprallparameter auf die
Extremitäten nicht mehr in plausibler Art und Weise, wie es beim Thorax
der Fall war. Daher wird bei Extremitätenverletzungen so verfahren, dass
jeweils die Kinematiksituationen, die zu Verunfallten mit einer Femur- bzw.
Beckenfraktur gehören, mit denen verglichen werden, die keine
Femurfraktur (bzw. Beckenfraktur) erlitten haben, um mögliche
Auffälligkeiten zu finden. Außerdem werden personenbezogene Parameter
zwischen den Aufsassen mit und ohne Fraktur verglichen.
A)
Femurfrakturen (n=49)
Zunächst werden die allgemeinen Parameter betrachtet, die bei den
verunfallten Motorradfahrern zu finden sind. Für die 137 Aufsassen wird die
Kinematikgruppe nach Otte (Abbildung 45), der Motorradtyp (Abbildung 46),
der Unfallgegner (Abbildung 47) und der Sturz vor Kollision (Abbildung 48)
auf mögliche Auffälligkeiten untersucht. 49 Aufsassen erlitten mindestens
eine Femurfraktur. 88 Personen erlitten keine Femurfraktur.
Abbildung 45: Verteilung der Kinematikgruppen nach Otte aufgeteilt nach
keine Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
54
Abbildung 46: Verteilung der Motorradtypen aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
Abbildung 47: Verteilung der Unfallgegner aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
55
Abbildung 48: Verteilung Sturz vor Kollision aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
Es zeigt sich, dass - ohne auf statistische Signifikanz zurückzugreifen - in
der Gruppe der Motorradaufsassen mit Femurfrakturen etwas häufiger die
Kinematikgruppen 5 und 6 zu finden sind. Tourer, Supersport- und
„Standard“-maschinen wurden etwas häufiger gefahren, Maxiroller eher
seltener. Die verschiedenen Motorradtypen sind in
Abbildung 49
beispielhaft mit Fahrzeugzeichnungen (Autoview 2016) dargestellt. Dies
könnte Hinweise darauf liefern, dass Fahrer von Maxirollern bauartbedingt
etwas geschützter vor Verletzungen im Beinbereich sind.
Abbildung 49: Beispielhafte Darstellung verschiedener Motorradtypen
(Bildquelle Autoview 2016)
56
Etwas häufiger findet auch kein Sturz vor der Kollision statt, was auf einen
Kontakt mit dem Gegner als Verletzungsursache hinweisend sein könnte.
Der Gegner war etwas seltener ein Objekt und häufiger ein LKW. Ein
Überrollen findet in beiden Gruppen zu ca. 10% statt.
B)
Beckenfrakturen (n=53)
Zunächst werden die allgemeinen Parameter betrachtet, die bei den
verunfallten Motorradfahrern zu finden sind. Für 137 wird die
Kinematikgruppe nach Otte (Abbildung 50), der Motorradtyp (Abbildung 51),
der Unfallgegner (Abbildung 52) und Sturz vor Kollision (Abbildung 53)
dargestellt. 53 Aufsassen erlitten eine Beckenfraktur. 84 Personen erlitten
keine Beckenfraktur.
Abbildung 50: Verteilung der Kinematikgruppen nach Otte aufgeteilt nach
keine Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
57
Abbildung 51: Verteilung der Motorradtypen aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Abbildung 52: Verteilung der Unfallgegner aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
58
Abbildung 53: Verteilung Sturz vor Kollision aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Es zeigt sich, dass - ohne auf statistische Signifikanz zurückzugreifen - in
der Gruppe der Beckenfrakturen etwas häufiger die Kinematikgruppen 4, 5
und 6 zu finden sind. Enduros, Supersportmaschinen und Leichtkrafträder
wurden etwas häufiger gefahren, Chopper eher seltener. Dies könnte ein
Hinweis auf ein höheres Verletzungsrisiko bei der Interaktion mit dem Tank
sein. Es ist in zukünftigen Projekten zu diskutieren, ob Schutzkleidung hier
helfen kann.
Etwas häufiger findet bei Personen mit Beckenfraktur auch kein Sturz vor
der Kollision statt, was auf einen Kontakt mit dem Gegner als
Verletzungsursache hinweisend sein könnte oder auch die „Tankthese“
stützt. Der Gegner war deutlich seltener ein Objekt und häufiger ein PKW.
Bei Aufsassen mit Beckenfrakturen ist zudem deutlich häufiger ein
Überrollen zu beobachten.
Ein klares Bild ist hinsichtlich der möglichen Auffälligkeiten bei den unteren
Extremitäten jedoch nur schwer zu zeichnen. Zudem ist eine Eingrenzung
der Anprallparameter nicht sinnvoll möglich. Im Rahmen dieses Projekts
wird deshalb auf eine systematische Analyse von Schutzkleidung im
Bereich der unteren Extremitäten verzichtet. Es werden unter Punkt 4.2
lediglich wenige Einzelfälle exemplarisch dargestellt.
59
3
Wirkmodell des Thorax-Airbags für die FEMSimulation
Numerische Simulationen mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) bieten
die Möglichkeit, unterschiedliche statische und dynamische Lastfälle zu
analysieren. Mittels FE-Simulationen kann nicht nur die Konstruktion von
mechanischen Bauteilen berechnet und bewertet werden, sondern auch die
menschliche Struktur unter externen Belastungen. Dafür notwendige FEMenschmodelle wurden im Rahmen der Forschungen im Bereich des
Insassenschutzes in der Automobilindustrie entwickelt. In diesem Projekt
wird das männliche 50. Perzentil des FE-Modells des Global Human Body
Model Consortium (GHBMC 2016) benutzt (Abbildung 54).
Abbildung 54: Global Human Body Model Consortium Fußgänger Modell 50.
Perzentil (GHBMC 2016)
Ein wichtiger Aspekt in diesem Projekt ist die Bewertung von möglichen
Verletzungen, die sich aus den mittels Kinematikanalyse ermittelten
typischen Lastfällen bei Motorradunfällen ableiten. Weiter soll das Potential
und auch die Limitierungen von Schutzausrüstungen dargestellt werden. Zu
diesem Zweck werden mehrere Simulationen mit dem GHBMC Modell und
verschiedenen Schutzkonfigurationen durchgeführt.
Als relevanteste Körperregion bei schwersten Motorradunfällen wurde der
Thorax identifiziert. Es wird deshalb insbesondere Schutzkleidung für diese
Körperregion
analysiert.
Nach
Analyse
der
aktuellen
Schutzkleidungskonzepte
hat
sich
der
Airbag
als
prinzipiell
vielversprechend
erwiesen,
insbesondere
was
die
mögliche
60
Energieaufnahme im Unfallablauf betrifft. Zudem herrscht hier Potential,
ggf. zu entwickelnde Konzepte bald umsetzen zu können. Um seine
Schutzwirkung entfalten zu können, muss die Schutzkleidung zunächst
kritische Situationen erkennen und den Airbag entsprechend auslösen. Dies
bedingt einen „intelligenten“ Auslösealgorithmus, womit auch die
Schutzkleidung als „intelligent“ bzw. „innovativ“ zu bezeichnen ist. Im
Rahmen dieses Projekts wurde davon ausgegangen, dass der Airbag in
allen relevanten Fällen vor dem Anprall ausgelöst hat und vollständig gefüllt
wurde.
3.1
Modellierung des Thorax-Airbags
Als Basis für die Bewertung von Airbags in der Schutzkleidung wurde ein
generisches aufblasbares System modelliert, das die Eigenschaften eines
typischen Produkts in diesem Segment abbildet. Für die Modellierung des
Thorax-Airbags sind vorab die grundlegenden Randparameter zu
definieren. Die Hauptparameter sind die Airbaggeometrie (hauptsächlich die
Dicke), das Volumen und der Druck.
Im Rahmen dieses Projekts wurden technische Diskussionen mit deutschen
und italienischen Airbag-Herstellern geführt, um den aktuellen Stand der
Technik eingrenzen zu können. In nachfolgender Tabelle 3 sind die
möglichen Bereiche der drei grundlegenden Airbagparameter dargestellt,
die nach Rücksprache mit den Herstellern ein typisches Produkt dieses
Segments charakterisieren können.
Tabelle 3: Randparameter eines typischen (heutzutage erhältlichen) ThoraxAirbags
Parameter
Dicke
Volumen
Druck
Intervall
<< 20 cm
<< 200 Liter
Zwischen 0.1 und 5 bar
Das FE-Airbagmodell wurde zweiteilig (symmetrisch) erstellt, um die Lücke
für den Reißverschluss einer Jacke zu berücksichtigen (Abbildung 54). Die
Größe des Airbagmodells ist so festgelegt, dass der Airbag den ganzen
Brustkorb des GHMBC-Modells abdeckt und diesen bei einem möglichen
Anprall bestmöglich schützt. Jeder einzelne Airbag besteht im Modell aus
zwei textilen Komponenten, der Hülle und den innenliegenden Bändern. Die
prinzipielle externe Geometrie des Airbagmodells ist Abbildung 55 in gelber
Farbe visualisiert. Um die Dicke des aufgeblasenen Airbags kontrollieren zu
können, sind einige modellhafte Bänder integriert (grüne Farbe).
61
Abbildung 55: Prinzipdarstellung Airbag-Modell
Die Dicke des vollständig aufgeblasenen Airbagmodells beträgt ca. 8 cm.
Nachdem das Gas (Kohlendioxid) komplett eingeströmt ist, wird einen
Druck von ca. 0,6 bar erreicht. Das Volumen beträgt ca. 12 Liter (ungefähr
6 Liter pro Element). Die Befüllungszeit des Modells beträgt ca.8 ms. Diese
Werte liegen in den vorab definierten Bandbreiten der Randparameter. In
nachfolgender Abbildung 56 ist das auf dem Thorax des Menschmodells
positionierte und vollständig aufgeblasene Airbagmodell dargestellt.
62
Abbildung 56: FE-Menschmodell (GHBMC) und Thorax-Airbag-Modell
3.2
Bestätigung
Protektoren
der
aktuellen
Norm
für
Airbag-
Nach der Modellierung wurde das Modell numerisch gemäß der aktuellen
Norm für Motorradfahrer-Schutzkleidung gegen mechanische Belastung,
der Norm DIN EN 1621-4, bezüglich der Aufpralldämpfung getestet. Die
bedeutet, dass das Modell nach den festgesetzten Bedingungen des
Prüfverfahrens überprüft wurde. Anschließend erfolgte eine Evaluation, ob
das Airbag-Modell die Norm erfüllt.
In der Norm DIN EN 1621-4 werden neben der Aufpralldämpfung auch
Aspekte der Ergonomie und Interventionszeit vorgeschrieben. Da sich
dieses Projekt auf die Aufpralldämpfung fokussiert, wurden diese anderen
Aspekte nicht überprüft.
Bei der Prüfung der Aufpralldämpfung wird eine Masse senkrecht auf das
Prüfobjekt, das wiederum auf einem Amboss liegt, fallengelassen. Das
Fallgewicht ist ein stabförmiger Körper mit einer Länge von 160 ± 2 mm und
einer Breite von 50 ± 1 mm. Der Krümmungsradius an der Aufprallseite
beträgt 12,5 ± 0,1 mm. Das Fallgewicht muss 5000 ± 50 g betragen. Der
zylindrische Amboss muss eine Höhe von 190 ± 20 mm aufweisen, einen
Durchmesser von 100 ± 2 mm sowie einen Radius in der Prüffläche von
150 ± 5 mm aufweisen.
63
Eine entsprechende Fallvorrichtung ist mittels FEM modelliert worden,
damit das numerische Airbag-Modell geprüft werden kann (Abbildung 57).
Die Modellierung von Amboss und Fallkörper erfolgte in Übereinstimmung
mit den Anforderungen der Norm.
Die kinetische Energie beim Anprall muss 50 ± 1,5 J beantragen. Bei dem
vorgeschriebenen Gewicht des Impaktors von ca. 5 kg resultiert dies in
einer Geschwindigkeit von ca. 16,2 km/h. In der Simulation wird der
Amboss fixiert und der Prüfkörper entsprechend den Vorgaben auf das
Airbagmodell fallen gelassen (Abbildung 58).
Abbildung 57: Prüfkörper und
Fallvorrichtung FEM
Abbildung 58: FE-Simulation
Prüfverfahren Airbag-Modells
In der Norm sind zwei unterschiedliche Schutzniveaus beschrieben, welche
von den Ergebnissen des Prüfverfahrens abhängen. Ein Level 1 Protektor
bzw. Airbag darf als Mittelwert weniger als 4,5 kN Kraftübertragung
erlauben. Ein Level 2 Protektor darf weniger als 2,5 kN erlauben. Die
Simulationergebnisse mit dem modellierten Airbag zeigen, dass die in den
Sockel übertragene Kraft ca. 1,5 kN beträgt. (Abbildung 59). Dies
bedeutet, dass der modellierte Airbag den Anforderungen des
Schutzniveaus Level 2 entspricht.
64
Abbildung 59: Übertragungskraft in der numerischer Simulation
Ergänzend zu diesen Betrachtungen wurde das Airbagmodell weiter
validiert. Dazu wurde eine handelsübliche Airbagjacke gekauft, welche als
typisches Produkt dieses Segments zu bewerten ist. Diese Jacke bzw. der
darin enthaltene Airbag wurden anschließend getestet. Dazu wurde ein
halbkugelförmiger Impaktor mit einer Masse von ca. 8 kg mit verschiedenen
Geschwindigkeiten (3,5 m/s, 4,5 m/s, 5,5 m/s) auf den Airbag fallen
gelassen. Der Airbag befand sich dabei auf einem flachen Sockel bzw.
einer Bodenplatte (Abbildung 60). Bei den Versuchen wurde jeweils die
Beschleunigung des Fallkörpers gemessen. Die Maximalwerte der
Beschleunigungen befinden sich bei etwas unter 30 g (3,5 m/s), ca. 35 g
(4,5 m/s) und ca. 45 g (5,5 m/s).
Abbildung 60: Prinzipskizze Prüfaufbau Airbagtest
65
Analog zu den physischen Tests wurde das Testsetup in FE-Umgebung mit
dem modellierten Airbag nachgebildet (Abbildung 61).
Abbildung 61: Setup Airbag-Test FEM
Die in der FE-Simulation ermittelten Maximalwerte der Beschleunigungen
werden gegenüber dem realen Versuch zwar generell leicht unterschätzt,
stimmen jedoch auch hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs verhältnismäßig
gut überein (Abbildung 62). Für die im weiteren Projektverlauf
durchgeführten Simulationen weist das Airbagmodell entsprechend eine
zufriedenstellende Modellierungsgüte auf.
Abbildung 62: Beschleunigungskurven des Impaktors, Überlagerung
Versuch (durchgezogene Linien) und FE-Simulation (gestrichelte Linien)
66
Für eine erweiterte Bewertung des Schutzpotentials wurde zudem ein
generisches „optimiertes“ Airbagmodell entwickelt, das ein sehr großes
Volumen und einen verhältnismäßig hohen Druck aufweist (Abbildung 63).
Ein derartiger Airbag ließe sich jedoch – zumindest auf absehbare Zeit –
nicht praktisch umsetzen. Das optimierte Airbagmodell dient demnach dem
theoretischen Aufzeigen von Möglichkeiten bzw. Limitierungen dieses
Konzepts.
Abbildung 63: Beispielhafte Darstellung optimiertes Airbagmodell
In Tabelle 4 sind die Parameter der erstellten Airbagmodelle nochmals in
der Übersicht dargestellt.
Tabelle 4: Übersicht Parameter Airbagmodelle
Modell „aktueller“
Airbag
„optimiertes“
Airbagmodell
Volumen
2x6l
120 l
Druck
ca. 0,6 bar
ca. 1,8 - 2,0 bar
Dicke
ca. 8 cm
ca. 42,5 cm
67
4
Ermitteltes Potential der Schutzkleidung auf
Basis der verletzungsmechanischen FEMSimulationen
Mit der durchgeführten Kinematikanalyse konnten Schwerpunkte bei den
Anprallsituationen ermittelt werden. Zu deren Überprüfung wurden mehrere
Unfälle stichpunktartig in Teilabschnitten mittels Mehrkörpersimulationen
analysiert. Dabei konnte eine gute Übereinstimmung mit den aus der
Kinematikanalyse ermittelten Anprallparametern festgestellt werden. Die
Komplexität der Einzelfälle ließ eine MKS-Simulation jedoch nicht immer
sinnvoll zu. Die Kinematikanalyse war deshalb zum Abdecken eines
möglichst großen Fallkollektivs das Mittel der Wahl hinsichtlich der
Anprallszenarien.
Es
wurden
Häufungen
bei
den
typischen
Anprallgeschwindigkeiten sowie der Geometrie und Steifigkeit des
Anprallobjekts festgestellt, welche als Basis für die nachfolgenden FEMSimulationen dienen.
4.1
Thorax
Bei der Beschreibung der Anprallkinematik, welche sich auf den ThoraxBereich des Motorradfahrers bezieht, war aufgrund der häufig komplexen
Unfallabläufe eine genaue Beschreibung der Orientierung des
Motorradfahrers zum Anprallobjekt nicht möglich. Aus diesem Grund wurde
im Vorfeld der weiteren Betrachtungen eine Sensitivitätsstudie
durchgeführt. Dazu wurde der generisch erstellte Impaktor in verschiedenen
Orientierungen zum Menschmodell positioniert: waagrecht Thorax,
waagrecht Rücken, schräg Thorax, senkrecht Thorax (Abbildung 64 bis
Abbildung 67).
68
Abbildung 64: Sensitivitätsstudie, Abbildung 65: Sensitivitätsstudie,
Anprall Thorax waagrecht
Anprall Rücken waagrecht
Abbildung 66: Sensitivitätsstudie, Abbildung 67: Sensitivitätsstudie,
Anprall Thorax schräg
Anprall Thorax senkrecht
Unter jeweils identischen Randbedingungen bezüglich Anprallobjekt und
Geschwindigkeit wurde festgestellt, dass die schräge Orientierung des
Anprallobjekts vor dem Thorax generell in der schwersten
Verletzungsausprägung resultiert. Diese Orientierung wurde deshalb im
Sinne einer „worst-case“-Abschätzung für die weitere Simulation der
Anprallsituationen verwendet.
Bei der Kinematikanalyse wurden vier Schwerpunkte hinsichtlich der
Anprallsituationen festgestellt. Diese wurden jeweils ohne Airbag, mit einem
aktuellen Airbag und einem optimierten Airbag simuliert. Nachfolgende
Abbildung 68 zeigt eine Übersichtsmatrix der durchgeführten Simulationen.
Dort sind ebenfalls bereits die prinzipiellen Ergebnisse eingetragen (grün =
leichte oder keine Verletzungen zu erwarten, rot = schwere Verletzungen zu
erwarten).
69
Abbildung 68: Matrix der durchgeführten Simulationen („O“ = ohne Airbag,
„St“ = aktueller Airbag, „Opt“ = optimierter Airbag; rot = schwere
Verletzungen, grün = leichte / keine Verletzungen)
Für die Simulationen wurde das Menschmodell mit der jeweiligen
Geschwindigkeit beaufschlagt und prallte gegen das fixierte Objekt mit dem
jeweiligen Radius. Das Anprallobjekt wurde vereinfachend als ideal steif
modelliert, da im betrachteten Unfallgeschehen ebenfalls sehr häufig hohe
und sehr hohe Steifigkeiten festgestellt wurden. Der prinzipielle Aufbau der
Simulationen ist in Abbildung 69 beispielhaft für das Anprallobjekt mit einem
Radius von 0,075 m und dem aufgeblasenen Modell des aktuellen Airbags
dargestellt.
70
Abbildung 69: Prinzipieller Aufbau FE-Simulation generische Szenarien
(Radius Anprallobjekt 0,075 m)
Als Parameter für die Bewertung der Belastungen bzw. der
Verletzungsschwere
wurde
die
Thoraxeindrückung
am
Modell
entsprechend der allgemein etablierten Methodik nach Poulard et. al (2015)
gemessen. Zusätzlich wurden die frakturierten Rippen dokumentiert. In den
nachfolgenden Abbildungen wird zudem für die einzelnen Anprallsituationen
der knöcherne Thorax (kortikaler Knochen) visualisiert.
Stellt man zunächst die Belastung des Thorax bei einem Anprall auf eine
ebene Fläche mit ca. 17 km/h dar, so ergibt sich diese in Abbildung 70
(ohne Airbag) und Abbildung 71 (mit aktuellem Airbag). Die
Thoraxeindrückung wurde jeweils mit ca. 52 mm gemessen. Es waren
sowohl in der Simulation ohne Airbag als auch mit Airbag keine
Rippenfrakturen zu beobachten. Dies lässt sich dahingehend bewerten, als
das keine nennenswerten Verletzungen für den Motorradfahrer zu erwarten
wären. Dies erscheint aufgrund der verhältnismäßig geringen
Geschwindigkeit sowie flächigen Krafteinleitung nachvollziehbar.
71
Abbildung 70: Anprallobjekt flächig,
17 km/h, kein Airbag
Abbildung 71: Anprallobjekt flächig,
17 km/h, aktueller Airbag
Bei einem Anprall des Motorradfahrers mit 25 km/h gegen ein Objekt mit
0,075 m Radius ist ohne Airbag bereits eine Thoraxeindrückung von 75 mm
festzustellen. Weiter sind die 1. und 2. Rippe links sowie die Rippen 3, 4, 5
und 6 beidseitig frakturiert (Abbildung 72). Es wäre in diesem Fall bereits
von
sehr
schweren
(möglicherweise
lebensbedrohlichen)
Thoraxverletzungen auszugehen.
Mit einem aktuellen Airbag lässt sich die Thoraxeindrückung auf 63 mm
reduzieren. Es ist lediglich die 5. Rippe beidseits frakturiert (Abbildung 73).
Dies bedeutet eine deutliche Minderung der Verletzungsfolgenschwere.
Mit dem optimierten Airbagmodell reduziert sich die Thoraxeindrückung auf
62 mm, zudem sind keine Rippenfrakturen mehr zu beobachten (Abbildung
74). Es wären demnach, wenn überhaupt, nur eher leichte
Verletzungsfolgen zu erwarten.
72
Abbildung 72: Radius Anprallobjekt
0,075 m, 25 km/h, kein Airbag
Abbildung 73: Radius Anprallobjekt
0,075 m, 25 km/h, aktueller Airbag
Abbildung 74: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 25 km/h, optimierter Airbag
73
Der Anprall mit 60 km/h auf ein Objekt mit einem Radius von 0,075 m stellt
eine nochmals deutlich höhere Belastung dar. Ohne Airbag beträgt die
Thoraxeindrückung 102 mm. Alle Rippen sind frakturiert (Abbildung 75).
Dies wäre mit akut lebensbedrohlichen Verletzungen gleichzusetzen.
Mit einem aktuellen Airbag würde sich eine Reduktion der Eindrückung auf
96 mm erreichen lassen. Es wären immer noch die 1., 2., 3., 4., 5. und 6.
Rippe beidseits sowie die 7. Rippe rechts gebrochen (Abbildung 76). Eine
relevante Minderung der Verletzungsfolgen wäre nicht zu erwarten. Aktuelle
Schutzkleidung wäre spätestens bei diesen Anforderungen überfordert.
Mit einem optimierten Airbag reduziert sich die Thoraxeindrückung in der
Simulation auf 82 mm. Es ist lediglich die 1. Rippe beidseitig gebrochen
(Abbildung 77). Es wäre von einer deutlichen Belastungsreduktion
auszugehen, welche in einer eher erheblich geringeren Verletzungsschwere
resultiert.
Abbildung 75: Radius Anprallobjekt
0,075 m, 60 km/h, kein Airbag
Abbildung 76: Radius Anprallobjekt
0,075 m, 60 km/h, aktueller Airbag
74
Abbildung 77: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 60 km/h, optimierter Airbag
Für den beispielhaften Anprall des Motorradfahrers mit 60 km/h gegen ein
Objekt mit 0,075 m Radius (ohne Airbag) wurde zusätzlich der Thorax samt
Herz und Aorta sowie der Lunge im Ausgangszustand (Bilder links) sowie
im Zustand der maximalen Belastungen (Bilder rechts) in Abbildung 78 bis
Abbildung 81 visualisiert.
Es wird deutlich, dass nicht nur der knöcherne Thorax erheblichen
Belastungen ausgesetzt ist, sondern durch die resultierenden
Deformationen auch der Überlebensraum für die innenliegenden Organe in
kritischem Maße beschränkt wird.
Eine weitere Bewertung der
Verletzungen erfolgte hier nicht.
75
Abbildung 78: Zustand vor Kollision
(0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 79: Deformation bei
Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 80: Zustand vor Kollision
(0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 81: Deformation bei
Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Der Anprall des Motorradfahrers mit 50 km/h gegen ein Objekt mit einem
Radius von 0,25 m ist in Abbildung 82 bis Abbildung 84 dargestellt. Ohne
Airbag ist von einer Thoraxeindrückung von 104 mm auszugehen. Bei dem
Modell sind die 1., 2., 3., 4. und 5. Rippe, wahrscheinlich auch die 6. und 7.
Rippe beidseitig frakturiert. Lebensbedrohliche Verletzungen wären die
Folge.
Mit einem aktuellen Airbag reduziert sich die Eindrückung auf 93 mm,
wenngleich immer noch die 1., 2., 3., 4. und 5. Rippe beidseitig frakturiert
sind. Dies entspricht einer annähernd vernachlässigbar geringen
Belastungsreduktion.
76
Das optimierte Airbagmodell reduziert die Eindrückung auf 82 mm. Es ist
lediglich von einer Fraktur der 1. Rippe beidseitig auszugehen. Folglich ist
eine deutliche Reduktion des Verletzungsrisikos zu erwarten.
Abbildung 82: Radius Anprallobjekt
0,25 m, 50 km/h, kein Airbag
Abbildung 83: Radius Anprallobjekt
0,25 m, 50 km/h, aktueller Airbag
Abbildung 84: Radius Anprallobjekt 0,25 m, 50 km/h, optimierter Airbag
77
Um die Grenzen des optimierten Airbagmodells aufzuzeigen, wurde
ergänzend eine Simulation mit 90 km/h Anprallgeschwindigkeit gegen ein
Objekt mit 0,075 m Radius durchgeführt (Abbildung 85). Selbst mit diesem
Airbag lässt sich eine Thoraxeindrückung von 99 mm messen. Zudem sind
die 1., 2., 3., 4. und 5. Rippe beidseitig und die 6., 7., 8. und 9. Rippe rechts
frakturiert.
Ein Übertrag auf das Unfallgeschehen ist jedoch nur mit Vorsicht möglich.
Es ist zudem davon auszugehen, dass ein optimierter Airbag auch schon
bei geringeren Geschwindigkeiten (ca. 70 km/h) am Ende seiner
Wirksamkeitsspanne ankommt.
Abbildung 85: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 90 km/h, optimierter Airbag
Um die Vereinfachung des Anprallobjekts in den Simulationen auf einen
starren Zylinder mit konstantem Radius abzusichern, wurden ergänzend
Anprallsituationen aus Realunfällen mittels FEM nachgebildet. Für den
ermittelten Radius des Anprallobjekts von 0,075 m wurde dafür eine
Kollision eines Motorradfahrers mit der Seite eines Pkws und dem
resultierenden Thoraxanprall an der Dachkante simuliert (Abbildung 86).
Die Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers beträgt 30 km/h, die
78
Geschwindigkeit des abbiegenden Pkws wurde vereinfachend auf Null
gesetzt.
Abbildung 86: FE-Simulation Anprall Motorradfahrer (30 km/h) gegen Seite /
Dachkante Pkw
Bei dem Anprall gegen die Dachkante wurde der Thorax um 73 mm
eingedrückt. Es war eine Fraktur der 1., 3., 4. und 5. Rippe beidseitig zu
beobachten.
Dies deckt sich verhältnismäßig genau mit den Ergebnissen des
generischen Anprallszenarios „Anprall mit 25 km/h gegen Objekt mit 0,075
m Radius“. Dort wurde eine Thoraxeindrückung von 75 mm sowie Frakturen
der 1. und 2. Rippe links sowie die Rippen 3, 4, 5 und 6 beidseitig
festgestellt. Die Annahme, Anprallobjekte wie z.B. Fahrzeugstrukturen in
der FE-Simulation als vereinfachtes Objekt darzustellen, ist demnach in
Hinblick auf die Verletzungsanalyse als hinreichend genau zu bewerten.
4.2
Untere Extremitäten
In den analysierten Realunfällen wurde bezüglich des Anpralls der unteren
Extremitäten gehäuft beobachtet, dass der Motorradfahrer mit dem Knie
gegen Strukturen eines Pkws prallte. Aus diesem Grund wurde ein
Realunfall zunächst zur Eingrenzung möglicher Anprallparameter mittels
Mehrkörpersimulation rekonstruiert. Anschließend wurde die Belastung auf
den distalen Femur mit FE-Modellen ermittelt.
79
Als Unfallsituation wurde eine Kollision zwischen einem Pkw und einem
Motorrad ausgewählt. Der Pkw wollte eine Kreuzung überqueren (ca. 55 –
65 km/h), der Motorradfahrer in einem etwas größeren Radius nach links
abbiegen (ca. 35 – 40 km/h). Dabei kam es zur Kollision mit Anprall im
rechten Frontbereich des Pkws (Abbildung 87). Das linke Knie des
Motorradfahrers kollidierte mit dem rechten Kotflügel des Pkws.
Abbildung 87: Unfallskizze Realunfall Knieanprall
Stellt man die Kontaktsituation zum Zeitpunkt des Kniekontakts in der MKSSimulation dar, so ergibt sich dieser wie in Abbildung 88 und Abbildung 89.
Die relative Geschwindigkeit zwischen Knie und Kotflügel konnte aus der
Simulation mit ca. 30 km/h ermittelt werden.
80
Abbildung 88: Mehrkörpersimulation des Knieanpralls mit dem Kotflügel des
Pkw
Abbildung 89: Mehrkörpersimulation des Knieanpralls mit dem Kotflügel des
Pkw
Darauf aufbauend wurde das mögliche Schutzpotential eines Airbags für
vergleichbare Szenarien untersucht (Abbildung 90 und Abbildung 91). Die
Dicke des Airbagmodells betrug ca. 15 mm.
81
Abbildung 90: Knieanprall ohne Airbag
Abbildung 91: Knieanprall mit Airbag
Stellt man die lokalen Verformungen des distalen Femurs aufgrund der
Belastungen dar, so ergibt sich diese wie in Abbildung 92 (ohne Airbag) und
Abbildung 93 (mit Airbag). Es lässt sich eine leicht reduzierte lokale
Deformation (Kompression) feststellen.
82
Eine
abschließende
Bewertung
hinsichtlich
der
möglichen
Verletzungsreduktion ist allerdings an dieser Stelle nicht möglich, da für das
verwendete Menschmodell keine entsprechend verwertbaren Korrelationen
vorlagen, die einen derartigen Übertrag verlässlich ermöglichen.
Abbildung 92: Knieanprall ohne
Airbag (Distaler Femur)
Abbildung 93: Knieanprall mit Airbag
(Distaler Femur)
Als weitere Arbeitshypothese wurde der Anprall von unteren Extremitäten
(Tibia) an einen Pfosten einer Leitschiene untersucht. Die Geometrie wurde
mit 5 cm und 0,5 cm bestimmt, was einem Anprall an den eher flächigen
Teil des Pfostens bzw. den annähernd linienförmigen Kontakt beim Anprall
an die Kante abbilden soll. Die Anprallgeschwindigkeit wurde mit 30 km/h
festgelegt. Stellt man die Simulationen ohne Protektor dar, so ist in beiden
Szenarien eine Fraktur der Tibia zu beobachten (Abbildung 94 und
Abbildung 95).
Positioniert man einen modellhaften und validierten Schaumprotektor mit
einer Dicke von ca. 15 mm vor der Tibia, so ist unter sonst unveränderten
Randbedingungen bei dem Anprall an das Objekt mit 5 cm Radius aufgrund
der Kraftverteilung und Energieabsorption keine Fraktur mehr zu
beobachten (Abbildung 96). Der Anprall an das annähernd linienförmige
Objekt ist nach wie vor mit einer Fraktur verbunden, da der Protektor
aufgrund der lokal stark begrenzten Belastung sein mögliches
Schutzpotential nur unzureichend entfalten kann (Abbildung 97).
83
Abbildung 94: Anprall Tibia 30 km/h,
Objektradius 5 cm
Abbildung 95: Anprall Tibia 30 km/h,
Objektradius 0,5 cm
Abbildung 96: Anprall Tibia 30 km/h,
Objektradius 5 cm, Schaumprotektor
Abbildung 97: Anprall Tibia 30
km/h, Objektradius 0,5 cm,
Schaumprotektor
84
Ersetzt man den Schaumprotektor durch einen Airbag mit einer Dicke von
ebenfalls 15 mm, so wird deutlich, dass dieser in beiden Szenarien
aufgrund der lokal begrenzten Krafteinleitung annähernd ohne ein
Schutzpotential zu entfalten zusammengedrückt wird (Abbildung 98 und
Abbildung 99).
Für ein derartiges Anwendungsszenario erscheint ein Airbag in der
Schutzkleidung demnach nicht zielführend. Die Schutzwirkung eines
konventionellen Schaumprotektors ist dort als deutlich höher
einzuschätzen.
Abbildung 98: Anprall Tibia 30 km/h,
Objektradius 5 cm, Airbagprotektor
Abbildung 99: Anprall Tibia 30 km/h,
Objektradius 0,5 cm, Airbagprotektor
85
5
Empfehlungen zur Effektivitätsbewertung und
zum Tragen intelligenter Schutzkleidung
Nachfolgend werden basierend auf den erarbeiteten Ergebnissen aus der
Kinematikanalyse und den durchgeführten Simulationen mögliche
Verbesserungsvorschläge für eine Überarbeitung der Testverfahren
vorgestellt.
5.1
Prüfaufbau und Bewertung
Vorab ist festzuhalten, dass eine Umsetzung der Erkenntnisse aus den
Simulationen bis auf Weiteres nur mit physikalischen Tests möglich
erscheint. Eine rein rechnergestützte Betrachtung ist noch mit
Unabwägbarkeiten sowohl in der Modellierung von Airbags als auch der
letztendlichen Bewertung behaftet.
Im Unfallablauf ist prinzipiell festzuhalten, dass der Motorradfahrer mit
seinem Körper gegen ein Objekt prallt. Dies bedeutet, dass für eine
realitätsnahe Bewertung entsprechend die Masse des Motorradfahrers
(etwa mit 75 kg) zu berücksichtigen ist. Die Umsetzung kann beispielsweise
mit einem Dummy oder einem angepassten Prüfkörper (plus
Zusatzgewicht) erfolgen. Zudem ist anzustreben, dass der Prüfkörper samt
Schutzkleidung und Airbag auf das Objekt prallen sollte, nicht - wie bisher das Objekt auf den fixierten Airbag.
Das Ziel des Einbringens einer realistischen kinetischen Energie ist hierbei
vorrangig. Ein wie bislang inverser Aufbau (Objekt prallt auf den Airbag)
kann dieses Ziel auch erfüllen, bedarf aber genauerer Überprüfung.
Abweichungen der eingetragenen kinetischen Energie nach unten bedürfen
in jedem Fall einer substantiellen Analyse der Möglichkeiten des
Schutzwirkungsnachweises, um suboptimierte Systeme bzw. Produkte zu
verhindern. Ein positiv absolvierter Normtest ohne für das
Realunfallgeschehen relevanten wirksamen Schutz ist keinesfalls
akzeptabel.
Zur Umsetzung und Bewertung wäre ein geeigneter Dummy mit
entsprechenden Messmöglichkeiten vorzuschlagen (z.B. Hybrid III Dummy
und Messung der Thoraxkompression). Bei einem andersartigen Impaktor,
der keine etablierte Prozedur zur Deformationsmessung beinhaltet, würde
für eine fundierte Bewertung der Schutzwirkung die Notwendigkeit
bestehen, aufwändige Korrelationen zwischen Krafteinwirkung und zu
86
erwartender Belastung (z.B. Beschleunigung vs. Verletzungsrisiko etc.)
herzustellen.
5.1.1 Prüfgeschwindigkeit
Mit der aktuellen Prüfgeschwindigkeit (ca. 4,5 m/s, entspricht ca. 16 km/h)
ist bereits der aus der Kinematikanalyse ermittelte Anprall auf die Straße
(mit ca. 17 km/h) abgedeckt. Aus der FE-Simulation ergeben sich hierbei
auch ohne Airbag keine Rippenfrakturen und nur eine verhältnismäßig
geringe Thoraxeindrückung. Es wären keine schweren bzw. nur leichte oder
gar keine Verletzungen zu erwarten.
Der zweite Schwerpunkt der Anprallgeschwindigkeit aus der
Kinematikanalyse ergibt sich bei ca. 25 km/h. Aus der Simulation ist eine
Reduktion von beidseitigen Rippenserienfrakturen und 75 mm
Thoraxeindrückung auf eine beidseitige Fraktur einer Rippe und eine
Thoraxeindrückung von 63 mm zu beobachten. Dies entspricht zu
erwartenden sehr schweren Thoraxverletzungen ohne Airbag bzw. einer
Reduktion auf „leichtere“ Thoraxverletzungen mit Airbag.
Entsprechend ist hier vorzuschlagen, in einer ersten Stufe die
Prüfgeschwindigkeit von ca. 16 km/h auf ca. 25 km/h anzuheben, um
dieses aus der Realunfallanalyse ermittelte Szenario besser abdecken zu
können. Bei bis zu 25 km/h Anprallgeschwindigkeit ist eine Schutzwirkung
eines Airbags, der die heutigen Standards erfüllt, bereits akzeptabel, wäre
aber noch etwas zu optimieren.
Für zukünftige Entwicklungen wären in einem weiteren Schritt die
Schwerpunkte bei 50 km/h und 60 km/h zu diskutieren. Aus der Simulation
ist für diese Szenarien keine nennenswerte Belastungsreduktion mit einem
aktuellen Airbag festzustellen. Hier würde nur ein „optimierter“ Airbag
helfen. Da diese Szenarien aber insbesondere bei schweren Unfällen als
relevant erkannt wurden, ist eine zukünftige Anpassung der
Testkonfigurationen
bzw.
Anhebung
der
Prüfgeschwindigkeit
vorzuschlagen.
5.1.2 Geometrie Impaktor / Prüfobjekt
Der bisherige Radius des Impaktors ist in der Norm mit 12,5 mm
vorgeschrieben. Aufgrund der erkannten Schwerpunkte in der
Kinematikanalyse ist zu empfehlen, den Radius in Kombination mit
abgeändertem Prüfaufbau zu erhöhen. Als Empfehlung für einen ersten
Schritt ist ein Radius von ca. 75 mm zu diskutieren. Daneben kann eine
87
großflächige Lasteinleitung durch einen flachen Körper, was dem Aufprall
z.B. auf die Straße entsprechen würde, ergänzend angebracht sein. Für die
entfernte Zukunft muss auch ein Radius von 0,25 m in Kombination mit
höheren Prüfgeschwindigkeiten einbezogen werden.
5.2
Fazit und Empfehlungen zum Tragen von intelligenter
Schutzkleidung
Aktuell
gilt
in
Deutschland
für
die
zugelassene
und
kennzeichnungspflichtige Vermarktung von Motorradfahrer-Schutzkleidung
bzw. den darin enthaltenen Protektoren und Airbags die Norm die DIN EN
1621, Teil 1 – 4. Dort werden u.a. Prüfverfahren zur Bestimmung der
Aufpralldämpfung und Verteilung der Aufprallkräfte festgelegt. So dürfen
z.B. Brustprotektoren bei dem Anprall eines Prüfkörpers mit einem Gewicht
von ca. 5 kg bei ca. 16 km/h nur gewisse Restkräfte erlauben. Aufblasbare
Protektoren für Motorradfahrer werden bezüglich diverser Parameter
separat behandelt (z.B. Interventionszeit, Standzeit), werden allerdings
hinsichtlich der Schutzwirkung bzw. Anpralldämpfung nach einer
identischen Vorgehensweise wie konventionelle Protektoren getestet. Die
erlaubten Restkräfte sind dabei geringer als jene für konventionelle
Protektoren.
Ein
Thorax-Airbag
kann
insbesondere
bei
eher
geringen
Anprallgeschwindigkeiten Verletzungsfolgen reduzieren. Dies bedeutet,
dass insbesondere bei eher leichten Unfällen ein gutes Schutzpotential
vorhanden ist. Allerdings wären in entsprechenden Anprallszenarien auch
ohne bzw. mit konventioneller Schutzkleidung keine schwersten
Verletzungsfolgen zu erwarten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass
Thoraxverletzungen in diesem leichten Unfallkollektiv nicht übermäßig
häufig auftreten. Hier stehen insbesondere Verletzungen an den
Extremitäten im Vordergrund.
Bei schwereren Unfällen mit höheren Anprallgeschwindigkeiten nimmt die
Relevanz an schweren Thoraxverletzungen deutlich zu. Allerdings nimmt in
gleichem Maße das Schutzpotential von Airbags in der Schutzkleidung ab.
Umso höher die Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers bzw. je kleiner
der Radius des Anprallobjekts bei hoher Steifigkeit ist, desto geringer ist die
zu erwartende Wirkung von Schutzkleidung. Spätestens ab einer
Anprallgeschwindigkeit von 50 km/h ist (mit heutigen Konzepten) keine
nennenswerte Reduktion der Verletzungsschwere mehr zu erwarten.
Selbst ein großzügig modellhaft optimierter Airbag, welcher technisch nicht
ohne Weiteres umsetzbar ist, der auch bei etwas höheren
Geschwindigkeiten noch eine potentielle Schutzwirkung aufweist, kommt
88
bei spätestens 70 km/h Anprallgeschwindigkeit an das Ende seiner
Wirksamkeitsspanne.
Vergleicht man abschließend die Schutzwirkung von Motorradhelmen mit
der von Schutzkleidung, so ist festzustellen, dass ein ermittelter
Schwerpunkt der Anprallgeschwindigkeit (ca. 25 km/h) sich in einem
Bereich bewegt, für den auch heutige Motorradhelme ausgelegt sind und
gut vor Verletzungen schützen. So ist in der Norm ECE R 22/05 (ECE R22
2002) eine Prüfgeschwindigkeit von ca. 27 km/h vorgeschrieben. Zudem ist
der Nutzen eines Motorradhelmes, der auch bei schwereren Unfällen noch
ein gewisses Schutzpotential bietet, gegenüber einem Airbag als deutlich
höher zu bewerten. Konstruktionsbedingt kann ein Helm bis zum
Materialversagen und darüber hinaus noch eine relevante Schutzwirkung in
Form von Kraftverteilung und Energieabsorption erreichen. Ein Airbag
hingegen kollabiert bei Überschreiten der Wirksamkeitsspanne annähernd
vollständig und weist nur einen begrenzten Schutzbereich auf.
Der Nutzen eines heutigen Thoraxairbags ist demnach im geringen
Geschwindigkeitsbereich prinzipiell als akzeptabel zu bewerten. Zukünftige
Entwicklungen und Anpassungen der Prüfbedingungen können das
Schutzpotential - in gewissem Maße - erhöhen, wenngleich eine
Umsetzung von derartig optimierter und innovativer Schutzkleidung in der
Praxis noch nicht ohne weiteres denkbar ist.
89
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der tödlich verunglückten und
schwerverletzten Motorradfahrer 2008 - 2018 (Berechnung basierend
auf DESTATIS 2019)
Abbildung 2: Entwicklung des fahrleistungsbezogenen
Risikoverhältnisses tödlicher verunglückter Motorradfahrer und PkwInsassen 2000 – 2017 (Berechnung basierend auf DESTATIS 2019,
BASt 2018)
Abbildung 3: Einteilung Kinematikgruppen nach Otte 1985
Abbildung 4: UDB-Merkmale bei der Einteilung von Alleinunfällen
Abbildung 5: Häufigkeitsverteilung des Alters der Motorradfahrer
(LMU + SV-Büro n=137, UDB Getötet n=23, UDB MAIS 3+ n=42)
Abbildung 6: Häufigkeitsverteilung der Unfallbeteiligten (LMU + SVBüro, n=137)
Abbildung 7: Häufigkeitsverteilung der Unfalltypen (1-stelliger Code)
(LMU + SV-Büro, n=137)
Abbildung 8: Häufigkeitsverteilung der Unfalltypen (3-stelliger Code)
(LMU + SV-Büro, n=137)
Abbildung 9: Häufigkeitsverteilung der Motorradtypen (LMU + SVBüro, n=137)
Abbildung 10: Häufigkeitsverteilung des MAIS der tödlich
verunglückten Motorradfahrer (LMU + SV-Büro n=137, UDB n=23)
Abbildung 11:Häufigkeitsverteilung der ISS-Kategorien (LMU + SVBüro n=137, UDB n=23)
Abbildung 12: Häufigkeitsverteilung der Gesamtverletzungsschwere
MAIS aller schwerverletzten Fahrer und Mitfahrer (UDB, n=112)
Abbildung 13: Häufigkeitsverteilung der am MAIS beteiligten
Körperregionen (LMU + SV-Büro, n=137)
Abbildung 14: Anteil der Personen, die in der jeweiligen Körperregion
mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten hatten (LMU
und SV-Büro, n=137)
Abbildung 15: Anteil der getöteten Personen, die in der jeweiligen
Körperregion mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+) erlitten
hatten (UDB, n=45)
Abbildung 16: Anteil der schwerverletzten Personen, die in der
jeweiligen Körperregion mindestens eine schwere Verletzung (AIS 3+)
erlitten hatten (UDB, n=76)
Abbildung 17: Körperregion des höchsten AIS-Wert (UDB AIS 2
verletzte Motorradfahrer, n=43)
Abbildung 18: Beispiel für Steifigkeit 1
Abbildung 19: Beispiel Steifigkeit 3 und 2
Abbildung 20: Bespiel Steifigkeit 4
7
8
17
17
18
19
20
21
22
23
24
24
25
26
28
29
30
36
36
36
90
Abbildung 21: Beispiel Steifigkeit 4
Abbildung 22: Beispiel Steifigkeit 5
Abbildung 23: Beispiel Steifigkeit 5
Abbildung 24: Beispiel Steifigkeit 6
Abbildung 25: Beispiel Steifigkeit 6
Abbildung 26: Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 27: Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 28: Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 29: Beispiel Steifigkeit 7
Abbildung 30: Radienermittlung, Beispielerfassung 3D
Abbildung 31: Beispielhafte Objektradien am Pkw
Abbildung 32 : Definition des Relativwinkels der
Objektgeschwindigkeiten in der Horizontalebene am Beispiel eines in
die rechte Pkw-Seite stoßenden Motorradfahrers
Abbildung 33 : Relativwinkel der Geschwindigkeit des
Motorradfahrers zur Horizontalebene
Abbildung 34: OON in der Vertikalebene
Abbildung 35: OON in der Vertikalebene
Abbildung 36: Winkellage der Objektoberflächennormale in der
Horizontalebene
Abbildung 37: Häufigkeitsverteilung der Kinematikgruppen nach Otte
(Getötete LMU + SV-Büro n=131, UDB MAIS 3+ n=42, UDB MAIS 2
n=43)
Abbildung 38: Steifigkeit des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS
2+, n=1688 Anprallsituationen)
Abbildung 39: Masse des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS 2+,
n=1682 Anprallsituationen)
Abbildung 40: Radius des Anprallobjekts (Fallkollektiv Thorax AIS 2+,
n=1649 Anprallsituationen)
Abbildung 41: Verteilung der ebenen Anprallobjekte (Radius
unendlich) (Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=801 Anprallsituationen)
Abbildung 42: Relativgeschwindigkeit in Vertikalrichtung (Thorax AIS
2+, Radius ~ unendlich, n=753 Anprallsituationen)
Abbildung 43: Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers längs zur
Objektoberflächennormalen bei Radius Anprallobjekt 0,05 - 0,15 m
(Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=338 Anprallsituationen)
Abbildung 44: Anprallgeschwindigkeit des Motorradfahrers längs zur
Objektoberflächennormalen bei Radius Anprallobjekt 0,2 - 0,3 m
(Fallkollektiv Thorax AIS 2+, n=270 Anprallsituationen)
Abbildung 45: Verteilung der Kinematikgruppen nach Otte aufgeteilt
nach keine Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
Abbildung 46: Verteilung der Motorradtypen aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
Abbildung 47: Verteilung der Unfallgegner aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
36
37
37
37
37
37
37
38
38
39
40
41
42
43
43
43
45
47
47
48
49
50
51
52
53
54
54
91
Abbildung 48: Verteilung Sturz vor Kollision aufgeteilt nach keine
Femurfraktur / mindestens eine Femurfraktur (n=137)
Abbildung 49: Beispielhafte Darstellung verschiedener Motorradtypen
(Bildquelle Autoview 2016)
Abbildung 50: Verteilung der Kinematikgruppen nach Otte aufgeteilt
nach keine Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Abbildung 51: Verteilung der Motorradtypen aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Abbildung 52: Verteilung der Unfallgegner aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Abbildung 53: Verteilung Sturz vor Kollision aufgeteilt nach keine
Beckenfraktur / Beckenfraktur (n=137)
Abbildung 54: Global Human Body Model Consortium Fußgänger
Modell 50. Perzentil (GHBMC 2016)
Abbildung 55: Prinzipdarstellung Airbag-Modell
Abbildung 56: FE-Menschmodell (GHBMC) und Thorax-AirbagModell
Abbildung 57: Prüfkörper und Fallvorrichtung FEM
Abbildung 58: FE-Simulation Prüfverfahren Airbag-Modells
Abbildung 59: Übertragungskraft in der numerischer Simulation
Abbildung 60: Prinzipskizze Prüfaufbau Airbagtest
Abbildung 61: Setup Airbag-Test FEM
Abbildung 62: Beschleunigungskurven des Impaktors, Überlagerung
Versuch (durchgezogene Linien) und FE-Simulation (gestrichelte
Linien)
Abbildung 63: Beispielhafte Darstellung optimiertes Airbagmodell
Abbildung 64: Sensitivitätsstudie, Anprall Thorax waagrecht
Abbildung 65: Sensitivitätsstudie, Anprall Rücken waagrecht
Abbildung 66: Sensitivitätsstudie, Anprall Thorax schräg
Abbildung 67: Sensitivitätsstudie, Anprall Thorax senkrecht
Abbildung 68: Matrix der durchgeführten Simulationen („O“ = ohne
Airbag, „St“ = aktueller Airbag, „Opt“ = optimierter Airbag; rot =
schwere Verletzungen, grün = leichte / keine Verletzungen)
Abbildung 69: Prinzipieller Aufbau FE-Simulation generische
Szenarien (Radius Anprallobjekt 0,075 m)
Abbildung 70: Anprallobjekt flächig, 17 km/h, kein Airbag
Abbildung 71: Anprallobjekt flächig, 17 km/h, aktueller Airbag
Abbildung 72: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 25 km/h, kein Airbag
Abbildung 73: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 25 km/h, aktueller
Airbag
Abbildung 74: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 25 km/h, optimierter
Airbag
Abbildung 75: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 60 km/h, kein Airbag
Abbildung 76: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 60 km/h, aktueller
Airbag
55
55
56
57
57
58
59
61
62
63
63
64
64
65
65
66
68
68
68
68
69
70
71
71
72
72
72
73
73
92
Abbildung 77: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 60 km/h, optimierter
Airbag
Abbildung 78: Zustand vor Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 79: Deformation bei Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 80: Zustand vor Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 81: Deformation bei Kollision (0,075 m, 60 km/h)
Abbildung 82: Radius Anprallobjekt 0,25 m, 50 km/h, kein Airbag
Abbildung 83: Radius Anprallobjekt 0,25 m, 50 km/h, aktueller Airbag
Abbildung 84: Radius Anprallobjekt 0,25 m, 50 km/h, optimierter
Airbag
Abbildung 85: Radius Anprallobjekt 0,075 m, 90 km/h, optimierter
Airbag
Abbildung 86: FE-Simulation Anprall Motorradfahrer (30 km/h) gegen
Seite / Dachkante Pkw
Abbildung 87: Unfallskizze Realunfall Knieanprall
Abbildung 88: Mehrkörpersimulation des Knieanpralls mit dem
Kotflügel des Pkw
Abbildung 89: Mehrkörpersimulation des Knieanpralls mit dem
Kotflügel des Pkw
Abbildung 90: Knieanprall ohne Airbag
Abbildung 91: Knieanprall mit Airbag
Abbildung 92: Knieanprall ohne Airbag (Distaler Femur)
Abbildung 93: Knieanprall mit Airbag (Distaler Femur)
Abbildung 94: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 5 cm
Abbildung 95: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 0,5 cm
Abbildung 96: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 5 cm,
Schaumprotektor
Abbildung 97: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 0,5 cm,
Schaumprotektor
Abbildung 98: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 5 cm,
Airbagprotektor
Abbildung 99: Anprall Tibia 30 km/h, Objektradius 0,5 cm,
Airbagprotektor
74
75
75
75
75
76
76
76
77
78
79
80
80
81
81
82
82
83
83
83
83
84
84
93
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Reihenfolge von AIS 2+ Verletzungen in Kombination mit
verletzten Organen (LMU + SV-Büro, n=137)
Tabelle 2: Einteilung der Kontaktobjekte in Steifigkeitsklassen
Tabelle 3: Randparameter eines typischen (heutzutage erhältlichen)
Thorax-Airbags
Tabelle 4: Übersicht Parameter Airbagmodelle
27
35
60
66
94
Literaturverzeichnis
American Association for Automotive Medicine (AAAM) (2008). The
Abbreviated Injury Scale 2005. Update 2008
AUTOVIEW Crash Analyse (2016). Datenbank
Fahrzeugzeichnungen. Martin Widler, Wien, 2016.
für
maßstäbliche
Ballester, O., Llari, M., Afquir, S., Martin, J., Bourdet, N., Honoré, V.,
Masson, C., Arnoux, P. (2019). Analysis of trunk impact conditions in
motorcycle road accidents based on epidemiological, accidentological data
and multibody simulations. Accident Analysis and Prevention 127 (2019)
223–230
Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) (2018). VerkehrsUnfalldaten – Kurzzusammenstellung der Entwicklung in Deutschland
und
COST 327 Motorcycle Safety Helmets, Final Report of the Action
(2001). Online abrufbar unter https://ec.europa.eu/transport/road_safety/
sites/roadsafety/files/pdf/projects/cost_327.pdf,
zuletzt
geprüft
am
30.01.2020
DESTATIS (2019): Verkehrsunfälle
Bundesamt Wiesbaden, 2019
Zeitreihen
2018,
Statistisches
DIN EN
1621-1:
2013-03.
Motorradfahrer-Schutzkleidung
gegen
mechanische Belastung - Teil 1: Gelenkprotektoren für Motorradfahrer –
Anforderungen und Prüfverfahren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2013
EN
1621-2:2014-05.
Motorradfahrer-Schutzkleidung
gegen
DIN
mechanische Belastung - Teil 2: Rückenprotektoren - Anforderungen und
Prüfverfahren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2014
EN
1621-3:2019-03.
Motorradfahrerschutzkleidung
gegen
DIN
mechanische Belastung - Teil 3: Anforderungen und Prüfverfahren für
Brustprotektoren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2019
DIN
EN
1621-4:2013-04.
Motorradfahrer-Schutzkleidung
gegen
mechanische Belastung - Teil 4: Aufblasbare Protektoren für Motorradfahrer
- Anforderungen und Prüfverfahren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2013
DIN EN 13634:2018-03. Schutzschuhe für Motorradfahrer – Anforderungen
und Prüfverfahren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2018
95
DIN EN 13594:2015. Schutzhandschuhe für Motorradfahrer
Anforderungen und Prüfverfahren. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2015
–
DIN EN 13595-1:2002. Schutzkleidung für professionelle Motorradfahrer,
Teil 1: Allgemeine Anforderungen. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2002
DIN EN 13595-2:2002. Schutzkleidung für professionelle Motorradfahrer,
Teil 2: Prüfverfahren zur Bestimmung der Stoßabriebfestigkeit. Beuth
Verlag GmbH, Berlin, 2002
DIN EN 13595-3:2002. Schutzkleidung für professionelle Motorradfahrer,
Teil 3: Prüfverfahren zur Bestimmung der Berstfestigkeit. Beuth Verlag
GmbH, Berlin, 2002
DIN EN 13595-4:2002. Schutzkleidung für professionelle Motorradfahrer,
Teil 4: Prüfverfahren zur Bestimmung der Fallschnittfestigkeit. Beuth Verlag
GmbH, Berlin, 2002
ECE R 22 (2002). Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der
Schutzhelme und ihrer Visiere für Fahrer und Mitfahrer von Krafträdern und
Mopeds
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (2016):
Unfalltypen-Katalog, Leitfaden zur Bestimmung des Unfalltyps. Erstauflage
März 1998, Neuauflage Januar 2016
Global Human Body Model Consortium (GHBMC) (2016). User Manual:
M50 Detailed Pedestrian Occupant Version 1.2
MAIDS In-depth investigations of accidents involving powered two
wheelers. Final Report 2.0 (2009). online abrufbar unter http://www.maidsstudy.eu/pdf/MAIDS2.pdf, zuletzt geprüft am 30.01.2020
Malzcyk,
A.
(2010).
Struktur
Schwerstverletzter
im
Verkehrsunfallgeschehen. TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge. ISBN 9783-18-372212-9
MOSAFIM, Deliverable D1 (2013). Injury typology and biomechanics of
motorcyclists impacts. Standards for protective equipment for motorcyclists.
Correct selection of safety equipment. online abrufbar unter
https://ec.europa.eu/transport/road_safety/sites/roadsafety/files/pdf/projects
_sources/mosafim_final_report.pdf, zuletzt geprüft am 30.01.2020
96
Otte, D., Richter, M., Schroeder, G., Vaske, B. (2002). Möglichkeiten der
Belastungsreduktion durch Beinprotektorenin der Schutzkleidung von
Motorradfahrern – technische, medizinische und biomechanische
Zielsetzung. Vortrag und Proc. 4. Internationale Motorradkonferenz,
München (2002), Forschungsheft Zweiradsicherheit Nr.10, 125-149 (2002)
Otte, D., Suren, E. (1985). Der Fahrradunfall - eine verkehrsmedizinischtechnische Analyse. Berlin. Springer, 1985.
Poulard D., Kent RW., Kindig M., Li Z., Subit D. (2015). Thoracic
response targets for a computational model: a hierarchical approach to
assess the biofidelity of a 50th-percentile occupant male finite element
model. J Mech Behav Biomed Mater. 2015 May;45:45-64
Schmucker, U., Frank, M., Seifert, J., Hinz, P., Ekkernkamp, A.,
Matthes, G. (2008). Two wheels – too dangerous? Eine Analyse von
Unfalldaten und Bundesstatistik. Unfallchirurg 2008, 111:968–976. DOI
10.1007/s00113-008-1522-9
Serre, T., Masson, C., Llari, M., Canu, B., Py, M.,Perrin, C. (2019). Airbag
Jacket for Motorcyclists: Evaluation of Real Effectiveness. IRCOBI
conference 2019, IRC-19-76
Software PC-Crash (2018). Ein Simulationsprogramm für Verkehrsunfälle.
Linz, Österreich. Dr. Steffan Datentechnik GmbH, 2018
VENUS Datenbank (2003). Fahrzeugdatenbank und Zeichenhilfen für
Unfallrekonstruktion. Ingenieurbüro Morawski + Hugemann, Leverkusen,
2003.
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Forschungsbericht Nr. 68
Optimierte Schutzkleidung
für Motorradfahrer
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Wilhelmstraße 43 / 43G
10117 Berlin
Postfach 08 02 64
10002 Berlin
Tel. 030/2020-5000
Fax 030/2020-6000
berlin@gdv.org, unfallforschung@gdv.de
www.gdv.de, www.udv.de
Klaus Bauer
Sylvia Schick
Raúl Aranda
Andreas Thalhammer
Steffen Peldschus
Matthias Kühn
Antje Lang