Auswirkungen der
Corona-Krise auf die
Klimabilanz Deutschlands
Eine Abschätzung der Emissionen 2020
ANALYSE
Auswirkungen der Corona-Krise auf
die Klimabilanz Deutschlands
IMPRESSUM
ANALYSE
Auswirkungen der Corona-Krise auf die
Klimabilanz Deutschlands
Eine Abschätzung der Emissionen 2020
ERSTELLT VON
Agora Energiewende
Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000
F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-energiewende.de
info@agora-energiewende.de
Fabian Hein
Frank Peter
Patrick Graichen
Satz: Ada Rühring
178/03-A-2020/DE
Version 1.2, März 2020
Bitte Zitieren als:
Agora Energiewende (2020): Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands –
Eine
Abschätzung der Emissionen 2020
www.agora-energiewende.de
Inhalt
Einleitung5
Sektorspezifische Betrachtung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Stromsektor
Industriesektor
Verkehrssektor
Gebäudesektor
Landwirtschaft und sonstige Emissionen
Emissionsminderung auch ohne Corona wahrscheinlich
7
7
9
11
12
13
13
Fazit15
3
Agora Energiewende | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Einleitung
Die Treibhausgasemissionen in Deutschland lagen
2019 laut den aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts1 bei 805 Millionen Tonnen CO2. Dies entspricht
einem Rückgang um 35,7 Prozent gegenüber 1990.
Für das Jahr 2020 hat sich die Bundesregierung zum
Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu
senken. Das entspricht Emissionen von rund
750 Millionen Tonnen CO2eq. Bisher war nicht zu
erwarten, dass dieses Ziel noch erreicht werden könnte.
Wir geben im Folgenden einen kurzen Überblick über
diese Effekte und haben dazu eine Analyse zur
Entwicklung unter verschiedenen Szenarien vorgenommen. Diese bilden jeweils einen Trendverlauf,
eine hohe und eine niedrige Emissionsminderung für
das 2020 ab.
https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-gingen-2019-um-63-prozent
Abbildung 1
2020 vs. 1990:
-40% bis -45%
805
1,000
907
992
2019 vs. 1990:
-35,7%
942
Mio. t CO2-Äquivalente
1,200
1,043
1,121
1,400
1,251
Treibhausgase in Deutschland 1990 bis 2019, Schätzung für 2020 und Ziele 2030
800
747
718
670
600
Ziel 2030:
mind. -55%
557
1
Mit der nun eingetretenen Corona-Krise werden
einmalig auftretende Effekte in verschiedenen
Sektoren dazu führen, dass das Ziel der Bundesregierung für 2020 nun doch erreicht oder sogar übererfüllt wird. Hinzu kommt, dass der sehr milde Winter
zu Beginn des Jahres 2020 ebenfalls für deutliche
Emissionsminderungen sorgt.
400
200
Energiewirtschaft
Industrie
UBA, eigene Berechnungen, * vorläufige Angaben
4
Gebäude
Verkehr
Landwirtschaft
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
Sonstige
ANALYSE | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Relevant für den globalen Klimaschutz sind jedoch
nicht Einmal-Effekte, die im kommenden Jahr wieder
aufgeholt werden, sondern langfristig wirkende
Klimaschutz-Investitionen, die die Emissionen im
Zeitverlauf dauerhaft senken. Wir diskutieren daher
am Schluss auch an, wie eine Strategie der Bundesregierung in diesem Kontext aussehen müsste.
5
Agora Energiewende | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Sektorspezifische Betrachtung
1.
Stromsektor
In den ersten zehn Wochen des Jahres 2020 hat sich
im Stromsektor der schon 2019 beobachtete Trend
einer deutlich sinkenden Kohleverstromung fortgesetzt. Die Winterstürme im Januar/Februar 2020
sorgten für eine um 17 Prozent höhere Windstromerzeugung als im Vorjahreszeitraum. Getrieben davon
stieg der Anteil der Erneuerbaren Energien im
Zeitraum vom 1. Januar bis 16. März 2020 somit auf
rund 52 Prozent – ein Plus von 7 Prozentpunkten
gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Hinzu kamen niedrige Gas- und zunächst noch
vergleichsweise hohe CO2-Preise zwischen 20 und
25 Euro je Tonne. Durch diese Faktoren ist die
Stromerzeugung der Kohlekraftwerke um ein Drittel
gegenüber dem Vorjahr gesunken. Betroffen war
hiervon insbesondere die Braunkohleverstromung.
Bei den kurzfristigen Kosten liegen alte Steinkohlekraftwerke mit 23 Euro pro Megawattstunde und
alte Braunkohlekraftwerke mit 24 Euro pro Megawattstunde nunmehr annähernd gleichauf. Neue
Gas- und Dampfkraftwerke haben hingegen kurzfristige Grenzkosten von knapp 20 Euro pro Megawattstunde und sind daher gegenüber der Kohle
deutlich im Vorteil.
Im Ergebnis fielen bis Mitte März 2020 auch die
Strompreise deutlich niedriger aus und sanken im
Mittel auf unter 30 Euro pro Megawattstunde – ein
Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft
Abbildung 2
500
450
2019 vs. 1990:
-45,5%
Mio. t CO2-Äquivalente
400
350
300
Ziel 2030:
mind. -62%
250
222
212
201
200
150
100
50
Energiewirtschaft
UBA 2019a, eigene Berechnungen, *vorläufige Angaben
6
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
ANALYSE | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Rückgang um 14 Euro pro Megawattstunde gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Dazu trug auch bei, dass die milde Witterung einen
niedrigen Heizstrombedarf nach sich zog und eine
schwache Konjunktur den Strombedarf weiter sinken
ließ. Im Handel mit unseren elektrischen Nachbarn
sind zusätzlich die Exporte per Saldo zurückgegangen
und die Erzeugung von Fernwärme fiel durch die
milde Witterung ebenfalls geringer aus. Bereits bis
Mitte März beläuft sich die Emissionsminderung
durch die Summe dieser Effekte im Stromsektor auf
etwa 15 Millionen Tonnen CO2.
Die absoluten Veränderungen sind in Abbildung 3
abgebildet. Dargestellt sind Veränderungen in der
Stromerzeugung vom 01.01.2020 bis 16.03.2020
gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Kohle verliert
insgesamt 14 Terawattstunden, die Erneuerbaren
Energien legen aufgrund der Stürme um 8 Terawatt-
stunden zu. Der Exportüberschuss fällt deutlich
(-7 Terawattstunden), dies liegt zu gleichen Teilen an
gestiegenem Import und reduziertem Export. Auch
die Kernenergie reduziert ihren Output während der
Stürme, Strom aus Erdgas legt leicht zu.
Seit etwa Mitte März beginnen die Effekte der
Corona-Krise spürbar zu werden. Der teilweise
Shutdown der deutschen Wirtschaft wird sich
mindestens bis Ostern hinziehen – mit dieser
Perspektive haben etliche Unternehmen ihre Werksschließungen angekündigt. Dies lässt den Strombedarf vor allem im industriellen Sektor deutlich
sinken. Bis Ostern wird daher vermutlich die Emissionsminderung 2020 im Stromsektor auf etwa
20 Millionen Tonnen gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 wachsen.
Für den Verlauf des restlichen Jahres kommt es dann
darauf an, wie lange die Corona-Krise andauert, bzw.
Entwicklungen im Stromsektor bis zum 16.03. im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
Abbildung 3
+8.1
+8
+6
TWh
+4
+2
+0.6
0
-1.0
-2
-1.7
-2.5
-4
-6
-8
-7.1
Erneuerbare
Erdgas
-7.0
Kernenergie
Öl + Sonstige
-6.7
Braunkohle
Exportbilanz
Steinkohle
Nachfrage
UBA, eigene Berechnungen
7
Agora Energiewende | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
welche weiteren Auswirkungen sie nach sich zieht.
Weiten sich die Effekte auf das Niveau der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 aus, als der Strombedarf
um 30 Terawattstunden eingebrochen war und die
Exporte um rund 10 Terawattstunden gesunken
waren, können die Emissionen im Stromsektor im
Jahr 2020 wie schon 2019 um über 50 Millionen
Tonnen CO2 sinken. Wegen der schwachen Konjunktur wären dann im Verlauf des Jahres zudem dauerhaft günstige Gaspreise zu erwarten, die die Auslastung der Kohlekraftwerke weiter sinken lassen
würden. Fallende Preise im Emissionshandel würden
diesen Trend zwar teilweise bremsen. Da aber auch in
den Nachbarländern der Stromverbrauch zurückgeht,
dürfte das bisher hohe Stromexportniveau Deutschlands im Jahr 2020 deutlich sinken.
Bleibt die Corona-Krise auf wenige Wochen begrenzt
und erleben wir eine Erholung der Wirtschaft ab dem
dritten Quartal, so ist – bei einem normalen Wetter-
jahr - eine Emissionsminderung im Stromsektor von
rund 40 Millionen Tonnen CO2 realistisch. Trifft eine
rasche Erholung der Wirtschaft auf ein eher schlechtes Wind- und Solarjahr im weiteren Verlauf von
2020, ist eine Emissionsminderung im Stromsektor
von etwa 30 Millionen Tonnen zu erwarten.
Im Ergebnis erwarten wir für 2020 im Stromsektor
eine Emissionsminderung von 30 bis 50 Millionen
Tonnen CO2e gegenüber 2019.
2. Industriesektor
Die energieintensiven Grundstoffindustrien erlebten
2019 eine relativ schwache Konjunktur. Dies hat nach
den vorläufigen Daten des Umweltbundesamtes die
Emissionen des Industriesektors bereits im Jahr 2019
leicht sinken lassen. Dieser Trend dürfte sich 2020
durch die Corona-Krise noch verstärken.
Treibhausgasemissionen der Industrie
Abbildung 4
300
2019 vs. 1990:
-33,6%
Mio. t CO2-Äquivalente
250
200
179
171
163
150
Ziel 2030:
mind. -51%
100
50
Industrie
UBA 2019a, eigene Berechnungen, *vorläufige Angaben
8
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
ANALYSE | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Stockende internationale Zulieferketten aufgrund
von Produktionsausfällen in China und Italien führen
schon jetzt bei zahlreichen Unternehmen zu Produktionsengpässen in Deutschland. Die Schließungen
von Fabriken in Deutschland etwa in der Automobilindustrie werden auch in den Grundstoffindustrien
einen geringeren Bedarf nach sich ziehen. In der
Bauwirtschaft ist infolge der Krise ebenfalls ein
Rückgang des Umsatzes von dem bisher sehr hohen
Niveau durch Finanzierungs- und Liquiditätsengpässe bei Auftraggebern zu erwarten.
Im Ergebnis werden Stahl, Chemie und Zement einen
deutlichen Bedarfs- und damit Produktionsrückgang
verzeichnen, der sich in niedrigeren Energieeinsätzen und geringeren Emissionen widerspiegelt.
teilweise zu kompensieren. Die Minderung der
Emissionen würde sich dann auf rund 10 Millionen
Tonnen CO2eq belaufen. Hält die Situation hingegen
für drei Monate an, gehen die Emissionen durch
Produktionsausfälle um rund 18 Millionen Tonnen
zurück. Dauert die Krise in ihren Auswirkungen
länger an, sind Emissionsrückgänge in der Größenordnung von 25 Millionen Tonnen wahrscheinlich.
Sie würden damit das Niveau der Wirtschaftskrise
des Jahres 2009 erreichen.
Im Ergebnis erwarten wir für 2020 im Industriesektor einen Rückgang der Emissionen von 10 bis
25 Millionen Tonnen CO2e gegenüber 2019.
3. Verkehrssektor
Hält die Entwicklung nur für wenige Wochen an,
wären die Produktionsausfälle in den nachgelagerten
Wertschöpfungsketten durch den Aufbau von Lagern
Im Verkehrssektor sind die Emissionen in den
vergangenen Jahren eher gestiegen. Durch die
Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors
Abbildung 5
200
2019 vs. 1990:
-0,0%
180
156
151
139
Mio. t CO2-Äquivalente
160
140
120
Ziel 2030:
mind. -42%
100
80
60
40
20
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
Verkehr
UBA, eigene Berechnungen, * vorläufige Angaben
9
Agora Energiewende | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Corona-Krise dürften sie jedoch erstmals deutlich
einbrechen. So werden wahrscheinlich die Verkehrsleistungen deutlich sinken, wobei die Personenverkehrsnachfrage durch die gesellschaftlichen Einschränkungen am stärksten betroffen sein wird.
Werksschließungen und Produktionsausfälle werden
jedoch darüber hinaus einen verminderten Gütertransport nach sich ziehen. Weil der Personenverkehr
auf der Straße für etwa 60 Prozent der Emissionen
des Verkehrssektors in Deutschland verantwortlich
ist, sinken die Emisisonen durch Einschränkungen
des öffentlichen Lebens am stärksten.
Halten die derzeit geltenden Einschränkungen etwa
sechs Wochen an und sinkt das Verkehrsaufkommen
in dieser Zeit – konservativ geschätzt – um etwa ein
Drittel, gehen die Emissionen im Verkehrssektor etwa
um 7 Millionen Tonnen CO2 zurück. Verlängert sich die
Phase des reduzierten gesellschaftlichen Lebens und
einer geringeren Reisetätigkeit auf etwa 3 Monate,
könnten die Emissionen sogar um 15 Millionen
Tonnen sinken. Verlängert sich die Krise weiter auf
ein halbes Jahr oder stellen sich zusätzlich Änderungen im Mobilitätsverhalten ein, beispielsweise durch
die stärkere Nutzung digitaler Infrastrukturen als
Ersatz für Präsenzanforderungen, könnten die
Emissionen im Verkehrssektor im Jahr 2020 sogar um
über 25 Millionen Tonnen sinken.
Im Ergebnis erwarten wir für 2020 im Verkehrssektor einen Rückgang der Emissionen von 7 bis
25 Millionen Tonnen CO2e gegenüber 2019.
4. Gebäudesektor
Für den Gebäudesektor ergeben sich nach unserer
Einschätzung die geringsten Auswirkungen der
Corona-Krise. Seine Emissionen werden überwiegend vom Bedarf an Heizenergie bestimmt. Effekte
Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors
Abbildung 6
250
Mio. t CO2-Äquivalente
200
2019 vs. 1990:
-41,9%
150
117
114
107
100
Ziel 2030:
mind. -67%
50
Gebäude
UBA 2019a, eigene Berechnungen, *vorläufige Angaben
10
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
ANALYSE | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
eines potenziellen privaten Mehrverbrauchs durch
eine höhere Anwesenheit im eigenen Haushalt
dürften durch einen geringeren gewerblichen Bedarf
in Büros, Geschäften, Schulen und Kitas kompensiert werden.
Das Jahr 2020 begann allerdings mit einer äußerst
milden Witterung. Januar und Februar waren laut
Daten des Deutschen Wetterdienstes im Durchschnitt
um etwa zwei Grad Celsius wärmer als die Monate
Januar und Februar des Jahres 2019. Da auf diese
beiden Monate in der Regel ein Drittel des gesamten
Heizenergiebedarfs eines Jahres entfallen, bedeuten
zwei Grad Celsius höhere Durchschnittstemperaturen
im Schnitt zwischen 20 und 25 Prozent weniger
Heizgradtage. Somit wären allein die viel wärmeren
Monate Januar und Februar 2020 für etwa 8 Millionen Tonnen CO2-Einsparung im Gebäudesektor
verantwortlich.
Wird im weiteren Verlauf des Jahres ein ähnlicher
Temperaturverlauf wie 2019 unterstellt, ergeben sich
somit im Saldo 2019/2020 mindestens Einsparungen
von ca. 8 Millionen Tonnen. In einem unteren
Szenario, das eine weiterhin milde Witterung im Jahr
unterstellt wären im Gebäudesektor auch Einsparungen von bis zu 15 Millionen Tonnen denkbar. Führt
jedoch die 2021 anstehende Einführung des
CO2-Preises auf Heizöl zu Lagerkäufen oder werden
die Monate Oktober bis Dezember kälter als 2019
könnte sich die Einsparung im Sektor auch nur auf
5 Millionen Tonnen belaufen.
Im Ergebnis erwarten wir für 2020 im Gebäudesektor
einen Rückgang der Emissionen von 5 bis 15 Millionen Tonnen CO2e gegenüber 2019, wobei dies dann
nicht auf die Corona-Krise, sondern auf den milden
Winter Anfang 2020 zurückzuführen wäre.
Treibhausgasemissionen des Landwirtschaftssektors
Abbildung 7
100
2019 vs. 1990:
-24,4%
90
Mio. t CO2-Äquivalente
80
70
68
60
64
66
Ziel 2030:
mind. -35%
50
40
30
20
10
2030
2020*
2019
2015
2010
2005
2000
1995
1990
0
Landwirtschaft
UBA, eigene Berechnungen, * vorläufige Angaben
11
Agora Energiewende | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
5. Landwirtschaft und sonstige
Emissionen
Die Landwirtschaft wird als Sektor wie der Gebäudesektor kaum von der Krise betroffen sein. Für diese
Emissionen gehen wir daher von einer geringfügigen
Minderung entsprechend dem Trendverlauf der
letzten Jahre aus und erwarten einen Rückgang der
Emissionen von 0 bis 2 Millionen Tonnen CO2e gegenüber 2019.
6. Emissionsminderung auch ohne
Corona wahrscheinlich
Auch ohne die Corona-Krise würden die
Treibhausgasemissionen in Deutschland im Jahr
2020 zurückgehen. Denn schon die Effekte der
ersten zehn Wochen des Jahres wären in der Jahresbilanz deutlich spürbar gewesen: Der milde Winter
im Januar und Februar, die starke Windstromproduktion in den ersten 10 Wochen sowie der
Abwärtstrend bei der Kohle aufgrund der niedrigen
Gaspreise würden auch ohne die Corona-Krise
wirken. Geht man davon aus, dass die Emissionen im
weiteren Jahresverlauf in etwa auf Vorjahresniveau
verbleiben, dann hätte dies einen Minderungseffekt
von etwa 20 Millionen Tonnen.
12
ANALYSE | Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands
Fazit
Entwicklung der Emissionen 2020 und
Notwendigkeit eines grünen Konjunkturpakets
Die Treibhausgasemissionen werden in Deutschland
2020 deutlich sinken. Die Corona-Krise wird sich
aller Voraussicht nach infolge der Einschränkungen
des gesellschaftlichen Lebens und in der Wirtschaft
insbesondere im Verkehr und der Industrie unmittelbar auswirken. Auch in der Energiewirtschaft
wird sich durch einen geringeren Strombedarf und
niedrige Gaspreise ein spürbarer Effekt einstellen.
Der zunehmende Strombedarf bei Privathaushalten
durch eine stärkere Nutzung von Onlinediensten
wird den Rückgang durch den rückläufigen Industriebedarf zwar leicht bremsen, aber keinesfalls kompensieren. Im Stromsektor wird somit eine ohnehin
stattfindende Emissionsminderung durch den
Energieträgerwechsel von Kohle zu Gas und Erneuerbaren Energien durch die Krise weiter verstärkt.
Im Ergebnis erwarten wir, dass die Emissionen in
Deutschland im Jahr 2020 um mindestens 50 Millionen Tonnen CO2eq gegenüber 2019 sinken. Je nach dem
weiterem Verlauf der Corona-Krise können es bis zu
120 Millionen Tonnen CO2e Minderung werden. Das
würde im Ergebnis ein Rückgang der Treibhausgasemissionen um 40 bis 45 Prozent gegenüber 1990
bedeuten. In einem mittleren Szenario dürften es
-80 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem Vorjahr
bzw. -42 Prozent gegenüber 1990 werden.
Auch ohne die Corona-Krise würden die CO2-Emissionen aufgrund der Effekte der ersten 10 Wochen
(warmer Winter, starke Windstromproduktion,
niedrige Gaspreise) im Jahr 2020 sinken. Wir schätzen dieses „Ohne-Corona-Krisen-Effekte“ auf etwa
20 Millionen Tonnen CO2, was einem Rückgang der
Emissionen gegenüber 1990 um 37 Prozent entspre-
chen würde. Der „Corona-Effekt“ kommt insofern auf
30 bis 100 Millionen Tonnen CO2-Minderung.
Auch wenn die Emissionen 2020 durch die Corona-Krise deutlich sinken werden, ist dies per se
keine gute Nachricht für den Klimaschutz. Denn
gleichzeitig dürfte die deutliche Inestitionsminderung auch zu Zurückhaltung bei klimaschutzrelevanten Investitionen führen, etwa im Bereich der
Erneuerbaren Energien, bei der Gebäudesanierung
oder in der Industrie.
Schon vor der Corona-Krise lag etwa die deutsche
Windindustrie am Boden durch den Einbruch des
Windzubaus in Deutschland um 80 Prozent allein in
den letzten beiden Jahren. Die Corona-Krise dürfte
dies nochmals verstärken und auch in anderen
Sektoren ihre Spuren hinterlassen. Im Ergebnis
würden geringere Investitionen in KlimaschutzMaßnahmen den Einmal-Effekt geringerer Emissionen aufgrund der Corona-Krise mehr als überkompensieren. Der Grund: Investitionen in klimaschutzrelevante Technologien senken die Emissionen
dauerhaft, sodass die Effekte über die Lebensdauer
der Anlagen kumuliert auftreten.
Für die zu erwartenden Wachstums- und Konjunkturprogramme ist es daher zwingend, dass diese als
grünes Investitionsprogramm konzipiert werden. So
hat der Chef der Internationalen Energieagentur,
Fatih Birol, bereits an die Staatengemeinschaft
appelliert, dass Erneuerbare Energien im Zentrum
von Corona-bedingten Wachstumsprogrammen
stehen sollen. In seinem eindringlichen Appell vom
14. März 2020 schreibt er:
“We may well see CO2 emissions fall this year as a
result of the impact of the coronavirus on economic
activity, particularly transport. But it is very important to understand that this would not be the result of
13
Agora Energiewende | Titel
governments and companies adopting new policies
and strategies. It would most likely be a short-term
blip that could well be followed by a rebound in
emissions growth as economic activity ramps back up.
Real, sustained reductions in emissions will happen
only if governments and companies fulfil the commitments that they have already announced – or that
they will hopefully announce very soon.
Governments can use the current situation to step up
their climate ambitions and launch sustainable
stimulus packages focused on clean energy technologies. The coronavirus crisis is already doing significant damage around the world. Rather than compounding the tragedy by allowing it to hinder clean energy
transitions, we need to seize the opportunity to help
accelerate them.”
Dem schließen wir uns vollinhaltlich an. So sollte ein
Corona-Krisen-Wachstums- und Konjunkturpaket
den Fokus darauf richten, dass die verschiedenen
Industrie-Sektoren Investitionen in klimaschonende
Technologien tätigen können. So werden nicht nur die
Emissionen dauerhaft gesenkt, sondern diese Industrien auch zukunftsfähig gemacht, denn die Herausforderung der Klimakrise wird sich in den nächsten
Jahren ja weiter verschärfen. So sollten etwa Maßnahmen zur Wiederbelebung der Baukonjunktur
explizit die Gebäudesanierung ins Zentrum stellen,
Unterstützungen für die energieintensive Industrien
den Fokus auf Investitionen in effizientere und
klimaschonendere Technologien legen und Maßnahmen in der Autoindustrie den ohnehin notwendigen
Umbau in Richtung Elektromobilität fördern. Zudem
sollte die jetzt beginnende Kurzarbeiter-Phase dafür
genutzt werden, Training und Schulun-gen für die
neuen Technologien durchzuführen, da-mit die für
neue klimaschonenden Investitionen notwendigen
Qualifikationen vorhanden sind.
Eine Wachstumspaket, das diese Elemente nicht
berücksichtigt und blind alte Technologien fördert,
wäre demgegenüber sogar schädlich, weil es höhere
14
Emissionen auf Dauer zementieren würde. Es ist
daher jetzt nötig, dass zügig entsprechende Konzepte
erarbeitet werden.
Literaturverzeichnis
Umweltbundesamt (2020): Pressemitteilung Nr.
11/2020, Treibhausgasemissionen gingen 2019 um
6,3 Prozent zurück.
Abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/
presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-gingen-2019-um-63-prozent
International Energy Agency (2020): Kommentar von
Dr. Fatih Birol.
Abrufbar unter: https://www.iea.org/commentaries/
put-clean-energy-at-the-heart-of-stimulus-plansto-counter-the-coronavirus-crisis
15
178/03-A-2020/DE
Wie gelingt uns die Energiewende? Welche
konkreten Gesetze, Vorgaben und Maßnahmen sind notwendig, um die Energiewende
zum Erfolg zu führen? Agora Energiewende
will den Boden bereiten, damit Deutschland
in den kommenden Jahren die Weichen
richtig stellt. Wir verstehen uns als Denk- und
Politiklabor, in dessen Mittelpunkt der Dialog mit den relevanten energiepolitischen
Akteuren steht.
Agora Energiewende
Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000
F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-energiewende.de
info@agora-energiewende.de
Agora Energiewende ist eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.