14. Landesgesundheitskonferenz Berlin
Präventionsgesetz im Fokus:
Gemeinsam für ein gesundes Berlin!
7. Dezember 2017, Tagungswerk Jerusalemkirche
Impressum
Herausgeber
Fachstelle für Prävention und
Gesundheitsförderung im Land Berlin
Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Friedrichstraße 231, 10969 Berlin
Tel.: (030) 44 31 90 60
E-Mail: fachstelle@gesundheitbb.de
Redaktion
Stefan Pospiech (V.i.S.d.P.)
Jennifer Dirks, Marisa Elle, Maren Janella,
Katharina Lietz, Stefan Weigand
Fachliche Auskunft
Marisa Elle
Satz und Layout
Connye Wolf, www.connye.com
Druck
Laserline, Berlin
Bildnachweise
Alle Bilder von Ernst Fesseler, www.ernstfesseler.de
Stand: Dezember 2017
Die Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung führt seit 2008 die Geschäftsstelle der Landesgesundheitskonferenz
Berlin und wird von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert. Träger ist Gesundheit Berlin-
Brandenburg e. V.
„Gemeinsam für ein gesundes Berlin“ ist seit 2014 das gemeinsame Motto der Mitglieder der Landesgesundheitskonferenz für
Aktivitäten, Angebote und Projekte im Rahmen der Gesundheitsziele.
Die Inhalte der vorliegenden Dokumentation spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Begrüßung
Dilek Kolat, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin . . 2
Faktencheck Präventionsgesetz – Ziele, Inhalte und Strukturen . . . . . . . . . 4
Fachbeiträge
Praxistest Präventionsgesetz – Anforderungen an die Umsetzung
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender Paritätischer Wohlfahrtsverband –
Gesamtverband und Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. . . . . . . . . . . . . 8
Kooperation und Koordination: Anforderungen an die Umsetzung des
Präventionsgesetzes auf Berliner Ebene – Moderiertes Gespräch . . . . . . 12
Zusammen wachsen – Kooperationsarbeit der Clearingstelle Gesundheit
Tina Hilbert, Clearingstelle Gesundheit für Quartiere der
Sozialen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Licht ins Dunkel – Förderstrukturen auf Basis des Präventionsgesetzes
Stefan Pospiech, Geschäftsführer Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. . 16
Fachforen
Gesund aufwachsen: Schnittstellen zwischen Präventionsgesetz
und Gesundheitsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Gesund arbeiten – Erwerbsfähigkeit erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Gesund altern: Bewegungsförderlich!? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Gesund leben in der Kommune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Abschluss
Abschlussdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Rück- und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Projektmesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Die LGK und ihre Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Über die Fachstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
1
Begrüßung
Dilek Kolat, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin
Im Jahr 2015 trat das Gesetz zur Stärkung der
Gesundheitsförderung und Prävention, kurz
Präventionsgesetz in Kraft. Ein Ziel des Gesetzes ist der Aufbau von träger- und ressortübergreifenden Kooperationen in der Gesundheitsförderung und Prävention. Als Land Berlin
sehen wir hier insbesondere die Krankenkassen in der Verantwortung, gemeinsam Vorhaben anzugehen, um eine sinnvolle Bündelung
der Kassenressourcen zu ermöglichen. Ein
weiteres Ziel des Gesetzes ist es, bestehende
Angebote und Strukturen besser aufeinander
abzustimmen, um alle Menschen zu erreichen
– unabhängig von ihrem Geschlecht, Alter und
kulturellen Hintergrund. Dies gilt insbesondere für Menschen in schwierigen Lebenslagen.
Dazu bedarf es vermehrter Anstrengungen, die
Angebotsstruktur im Land und vor allem in den
Bezirken zu koordinieren.
2
Die Berliner Gesundheitszieleprozesse schaffen wichtige Rahmenbedingungen für die Gesundheit aller Berlinerinnen und Berliner. Mit
dem Gesundheitsziel „Gesundheitschancen für
Kinder und Jugendliche erhöhen – Benachteiligungen abbauen“ fangen wir bereits bei den
Kleinsten mit dem Thema Prävention an. Arbeits- und Lebensbedingungen so zu gestalten,
dass sie in jeder Phase des (Berufs-)Lebens eine
Quelle der Gesundheit sind, ist Gegenstand des
Gesundheitsziels „Gesundes Arbeiten in Berlin
stärken – Erwerbsleben für alle gesund gestalten“. Aufgrund des vielzitierten demografischen Wandels kommt dem Gesundheitsziel
„Selbständigkeit und Lebensqualität im Alter
erhalten“ eine große Bedeutung zu. Die bereits
initiierten Aktionen in diesen drei Zielprozessen sollten optimal aufeinander abgestimmt
und gemeinsam bearbeitet werden. In diesem
Zusammenhang kann Berlin auf etablierte
Strukturen zurückgreifen.
Begrüßung
Dabei ist es wichtig, besonders diejenigen nicht
aus den Augen zu verlieren, deren Zugang zu
Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung erschwert ist. Bei vielen Menschen
ist das Thema Prävention bereits im Lebensalltag integriert: sie ernähren sich bewusst,
bewegen sich und achten auf ihre Gesundheit. Daneben gibt es Menschen, die von einer
schwierigen sozialen Lage betroffen sind und
wenig Spielraum für ausreichende gesundheitsfördernde Angebote haben. Dies ist eine
große Herausforderung, gerade in einer Stadt
wie Berlin, die stark von sozialer Spaltung zwischen den Bezirken betroffen ist. Das Ziel sollte
es sein, vorhandene gute Beispiele zum Thema
Prävention in die Lebenswelten der Menschen
zu integrieren, gelingende Kooperationen zum
Standard werden zu lassen und nichts dem
Zufall zu überlassen. Die Landesgesundheitskonferenz kann einen wichtigen Beitrag zur
Umsetzung dieser Ziele leisten.
Die an der Umsetzung des Präventionsgesetzes beteiligten Akteurinnen und Akteure haben sich die benötigte Zeit für die Verhandlung
der Landesrahmenvereinbarung genommen.
Ende 2017 haben sich die Vertreterinnen und
Vertreter der Sozialversicherungsträger auf
eine Fassung geeinigt und in Kürze wird die
Landesrahmenvereinbarung unterzeichnet.
Nachdem wir Fachbeiträge zu den Zielen des
Präventionsgesetzes mit besonderem Blick auf
den Aufbau von Kooperationen und die damit
verbundenen Anforderungen hören, wird mit
der Clearingstelle Gesundheit in Quartieren der
Sozialen Stadt ein bereits bestehendes Berliner
Praxisbeispiel vorgestellt. In den anschließenden vier Fachforen soll über die Umsetzung
des Gesetzes im Kontext der drei Berliner Gesundheitsziele „Gesund aufwachsen“, „Gesund
arbeiten“ und „Gesund altern“ sowie im Setting Kommune diskutiert und gute Kooperationsmodelle vorgestellt werden.
Die Veranstaltung trägt dazu bei, ein gemeinsames Verständnis für die grundlegenden Ziele
des Präventionsgesetzes zu erörtern. Wir wollen miteinander diskutieren und an Ergebnissen arbeiten, die bei der Umsetzung des Präventionsgesetzes berücksichtigt werden. Ich
freue mich auf die weitere Zusammenarbeit
mit jeder Einzelnen und jedem Einzelnen von
Ihnen sowie auf wichtige Impulse für meine
Arbeit als Vorsitzende der Landesgesundheitskonferenz. Mein Dank gilt allen, die diese Landesgesundheitskonferenz organisiert haben.
Ich wünsche Ihnen eine gute Landesgesundheitskonferenz und ich freue mich auf die Vorträge und auf die weitere Arbeit.
Die heutige Veranstaltung hat sich zum Ziel
gesetzt, Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie ist es um die Umsetzung des Präven
tionsgesetzes in Berlin bisher und zukünftig
bestellt? Wie können gelingende Kooperationen im Sinne des Präventionsgesetzes aufgebaut werden? Welche Chancen ergeben sich in
Berlin konkret? Welche Schwerpunkte könnte
Berlin bei der Umsetzung setzen?
3
Faktencheck Präventionsgesetz –
Ziele, Inhalte und Strukturen
Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG),
am 25. Juli 2015 in Kraft getreten
Ziele
n
n
Kranken-
n
Die Krankenkassen sollen zusammenarbei-
Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten1 wie Kitas,
Schulen, Pflegeeinrichtungen
n
Stärkung der betrieblichen Gesundheitsför-
derung und engere Verzahnung mit dem
Arbeitsschutz
n
Weiterentwicklung
n
Verbesserung
ten und kassenübergreifende Leistungen
zur Gesundheitsförderung und Prävention
in Lebenswelten erbringen. Durch diese
Verpflichtung zur Zusammenarbeit soll
Gesundheitsförderung in Lebenswelten aus
der bisherigen Wettbewerbssituation der
Krankenkassen herausgenommen werden.
und Sicherung der
ualität der Leistungen
Q
der Kooperation der Sozialversicherungsträger2 und der Koordination
der Präventionsleistungen durch eine na
tionale Präventionsstrategie
n
Das Gesetz setzt auf zielgerichtete Zusam-
menarbeit der Akteure in Prävention und
Gesundheitsförderung: Neben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind auch
die gesetzliche Rentenversicherung und die
gesetzliche Unfallversicherung, die Soziale
Pflegeversicherung und die Private Krankenversicherung (PKV) eingebunden.
Die Soziallagenorientierung3 wird gestärkt.
Die betroffenen Gruppen werden direkt in
der Gesetzesbegründung genannt: erwerbslose Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen mit Behinderung. Sozial benachteiligte Menschen
sollen besonders durch Gesundheitsförderung in der Lebenswelt Kommune und die
neu eingeführten Präventionsempfehlungen erreicht werden.
Inhalte
n
und Pflegekassen sollen mehr
als 500 Mio. Euro jährlich für Gesundheitsförderung und Prävention investieren. Der
Schwerpunkt liegt auf Gesundheitsförderung in Lebenswelten mit insgesamt mindestens rund 300 Mio. Euro.
n
Die
Pflegekassen erhalten einen neuen
Präventionsauftrag, um künftig auch Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen
mit gesundheitsfördernden Angeboten zu
erreichen.
1 Laut Sozialgesetzbuch (SGB) V §20a Absatz 1 „für die Gesundheit bedeutsame, abgrenzbare soziale Systeme
insbesondere des Wohnens, des Lernens, des Studierens, der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie
der Freizeitgestaltung einschließlich des Sports“, in denen „insbesondere Aufbau und Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen“ gefördert werden sollen.
2 Institutionen und Stellen, die aufgrund eines Versicherungsverhältnisses Leistungen der sozialen Sicherheit
erbringen. Zu ihnen gehören unter anderem gesetzliche Rentenversicherung, Krankenkassen, und Unfallversicherung.
3 Der Begriff fasst Menschen in ähnlicher sozioökonomischer Lage zusammen, mit der aufgrund ähnlicher
L ebenserfahrungen ähnliche Pesönlichkeitsmerkmale (psychische Dispositionen, Einstellungen, Bedürfnisse und
Interesse, Mentalitäten und Lebensstile) sowie Lebenschancen und Risiken verbunden sind (Quelle: Prof. Dr. Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands. Wiesbaden 2011).
4
Faktencheck Präventionsgesetz
n
Auch
Gesundheitsförderung in Betrieben
wird explizit auf die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen ausgerichtet.
Betriebsärztinnen und -ärzte werden verpflichtend in den Gesundheitsförderungsprozess einbezogen. Um es den Betrieben
zu erleichtern, Gesundheitsförderung zu
etablieren, werden Koordinierungsstellen
eingerichtet, z. B. um zu klären, welche
Krankenkasse im Einzelfall Leistungen im
Betrieb initiiert (www.bgf-koordinierungsstelle/berlin.de).
Strukturen
Nationale Präventionskonferenz (NPK)
n Zuständig für Entwicklung und Fortschreibung der nationalen Präventionsstrategie.
Dies umfasst v. a. die Festlegung bundeseinheitlicher trägerübergreifender Rahmenempfehlungen sowie Erstellung eines
trägerübergreifenden Berichts, der alle
vier Jahre Auskunft über die Entwicklung
der Prävention und Gesundheitsförderung
gibt.
n
n
n
Die Geschäftsstelle der NPK ist bei der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) angesiedelt.
Präventionsforum
n Die NPK beauftragt die Bundesvereinigung
Prävention und Gesundheitsförderung e. V.
(BVPG), jährlich ein Präventionsforum auszurichten, das die NPK berät.
n
Das
Präventionsforum ist kein Gremium,
sondern eine Fachveranstaltung, zu der
Expertinnen und Experten eingeladen werden.
n
Eingeladen
werden NPK-Mitglieder und
Vertretungen der für Gesundheitsförderung und Prävention maßgeblichen Organisationen und Verbände sowie Selbsthilfe
und Migrantenorganisationen.
Die NPK hat sich im Oktober 2015 konstitu-
iert und im Februar 2016 erstmals bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen verabschiedet. Die Bundesrahmenempfehlungen
definieren als gemeinsame Ziele „Gesund
aufwachsen“, „Gesund leben und arbeiten“
sowie „Gesund im Alter“.
n
tretungen der Patientinnen und Patienten,
der Selbsthilfe und der Menschen mit Behinderung erhalten zusammen zwei Sitze
mit beratender Stimme.
Vollmitgliedschaft:
GKV, Gesetzliche Renten- und Unfallversicherung sowie die gesetzlichen Pflegekassen. PKV erhält einen
Sitz, wenn sie sich entsprechend der Mindestausgaben der GKV für Gesundheitsförderung für Lebenswelten beteiligt.
Weitere
Vertretungen ohne Stimmrecht
fungieren als beratender Teil: Bund und
Länder erhalten jeweils vier Sitze. Die
kommunalen Spitzenverbände, die Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeber- und
Arbeitnehmer-Spitzenverbände sowie das
Präventionsforum jeweils einen Sitz. Ver-
Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA)
n Die BZgA wurde vom GKV-Spitzenverband
beauftragt, ab 2016 Art und Qualität krankenkassenübergreifender Leistungen in
Lebenswelten, deren Implementierung
und wissenschaftliche Evaluation zu entwickeln. Dafür wird der BZgA vom GKVSpitzenverband ein jährlich angepasster
Beitrag (2018: 47 Cent pro Versichertem)
zur Verfügung gestellt.
n
Ziel: Unterstützung der Krankenkassen bei
der Gesundheitsförderung und Prävention
in Lebenswelten, insbesondere Kindertageseinrichtungen, Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe, Schulen sowie in Lebenswelten älterer Menschen.
5
n
n
Die
BZgA hat dazu eine neue Abteilung 5
„Unterstützung der Krankenkassen bei
Leistungen zur Gesundheitsförderung und
Prävention in Lebenswelten“ eingerichtet.
n
sollen insbesondere Vereibarungen
getroffen werden über
• gemeinsam und einheitlich zu verfolgende Ziele und Handlungsfelder,
Vom
1.01.-07.09.2017 hat die BZgA in diesem Rahmen u. a. folgende Maßnahmen
umgesetzt:
• die Koordinierung von Leistungen zwischen den Beteiligten,
• die einvernehmliche Klärung von Zuständigkeitsfragen,
– Aufstockung der Koordinierungsstellen
Gesundheitliche Chancengleichheit in den
Bundesländern
• Möglichkeiten der gegenseitigen Beauftragung der Leistungsträger,
– G
esundheits- und Präventionsforschung
• die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst und den Trägern
der örtlichen öffentlichen Jugendhilfe und
– Entwicklung und Erprobung von Interventionskonzepten für vulnerable Zielgruppen in der Kommune
• die Mitwirkung weiterer für die Gesundheitsförderung und Prävention relevanter Einrichtungen und Organisationen.
– Erfolgreiche Interventionen zur Gesundheitsförderung von Arbeitslosen
n
Landesrahmenvereinbarungen (LRVen)
n Zur Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie sollen die Landesverbände
der GKV, der Pflegekassen, die Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung und der
gesetzlichen Unfallversicherung mit den in
den Ländern zuständigen Stellen gemeinsame Rahmenvereinbarungen abschließen.
Darin
Aktuell
wurden in 15 Bundesländern Landesrahmenvereinbarungen geschlossen, in
Berlin wurde die Vereinbarung noch nicht
unterzeichnet (Stand: November 2017). Für
die LRV in Berlin wird die Landesgesundheitskonferenz (LGK) eine wichtige Rolle
spielen.
Quellen und weitere Informationen
www.praevges.info/ueberblick/
www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/praeventionsgesetz.html
www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/fokus/praeventionsgesetz/s_
praeventionsgesetz.jsp
www.dguv.de/de/praevention/themen-a-z/praevg
www.bvpraevention.de/cms/index.asp?inst=bvpg&snr=11241
Geene, Raimund/Reese, Michael: Handbuch Präventionsgesetz – Neuregelungen der Gesundheitsförderung. Frankfurt am Main 2016
6
Faktencheck Präventionsgesetz
Quelle Grafik: GKV Spitzenverband
7
Fachbeiträge
Praxistest Präventionsgesetz –
Anforderungen an die Umsetzung
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband und
Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Sozial bedingte Ungleichheit zieht sich über die
gesamte Lebensspanne bis hin ins hohe Alter.
Bereits bei Kindern aus unteren Schichten ist
der allgemeine Gesundheitszustand schlechter
als im Durchschnitt. Auch auf sozial Benachteiligte im Erwachsenenalter trifft diese Tendenz
zu, denn sie erkranken beispielsweise häufiger
an Diabetes mellitus oder Depressionen. Dieser
Umstand wirkt sich deutlich auf die Lebenserwartung aus: Männer unter der Armutsgrenze sterben im Schnitt fast 11 Jahre früher als
wohlhabende Männer, arme Frauen haben
eine um acht Jahre verkürzte Lebenserwartung. Den Gesundheitszustand insgesamt zu
verbessern und dabei einen Beitrag zur Reduzierung sozialer Ungleichheit zu leisten, ist die
zentrale politische Herausforderung, der sich
8
auch das Präventionsgesetz stellen muss. Das
2015 verabschiedete Präventionsgesetz ist ein
wichtiger Meilenstein auf diesem Weg, denn es
beinhaltet
n
mehr
Ressourcen, insbesondere für die Lebenswelt Betrieb als auch die nicht-betrieblichen Lebenswelten,
n
auf Dauer angelegte Mittel bzw. Ausgaben,
n
den
n
und
deutlichen Auftrag, die lebensweltorientierte Prävention zu stärken und weniger
auf Individualprävention zu setzen
die Stärkung von Kooperationen zwischen den Akteuren sowie die Einbindung
der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA).
Praxistest Präventionsgesetz
Bisher gibt es keine Begleitforschung zur Implementation dieses Gesetzes. Aus vielen Diskussionen und Praxisbesuchen kristallisieren
sich jedoch die folgenden vier Herausforderungen heraus.
EINE LEBENSWELT IST EIN DURCH
n
formale Organisation (z. B. Schule)
und/oder
n
regionale Situation (z. B. Kiez,
Stadtteil) und/oder
Herausforderung Qualität der
Lebenswelt-Intervention
n
gleiche Lebenslage (z. B.
Migrantinnen und Migranten) und/
oder
Nach Paragraph 20a Sozialgesetzbuch (SGB) V
sollen die Gesetzlichen Krankenkassen die Entwicklung gesundheitsförderlicher Strukturen
fördern. Ziel sind also nicht Einmalaktionen,
sondern der Aufbau nachhaltiger Strukturen.
Dabei sollen die Kassen die Versicherten umfassend beteiligen. Neu am Gesetz ist, dass
neben den Risiken auch Potenziale sowie Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen
Situation genannt werden. Auch das zentrale
Konzept der New Public Health, nämlich die
Orientierung an den gesundheitlichen Ressourcen der Zielgruppe, hat explizit Aufnahme
in den Gesetzestext gefunden. Was ist nun mit
Lebenswelt gemeint?
n
gemeinsame Werte/Präferenzen
definierter Sozialzusammenhang.
Eine Lebenswelt-Intervention ist eine systemische und partizipative Intervention. Systemisch intervenieren heißt den Umstand zu
berücksichtigen, dass man soziale Systeme
nie steuern kann, sondern nur irritieren, um
eine Bewegung innerhalb der sozialen Systeme in die gewünschte Richtung in Gang zu
setzen. Das bedeutet auch, den Eigensinn der
jeweiligen Lebenswelt zu respektieren, ohne
vorher genau zu wissen, zu welchem Output
Lebenserwartung und Einkommen DE
0-60% Netto Äquivalenzeinkommen
> 150% Netto Äquivalenzeinkommen
100
95
90
85
81
80
75
70
85
77
71
70
65
60
57
55
50
Lebenserwartung
Männer
Lebenserwartung
Frauen
Lebenserwartung
in guter Gesundheit
Männer
71
61
Lebenserwartung
in guter Gesundheit
Frauen
Quelle: Lampert/Rosenbrock 2017
9
es kommen wird. Partizipativ bedeutet, dass
Ziele und Aktionen von Trägern, Akteuren und
Stakeholdern in der Lebenswelt selbst festgelegt werden. Die Teilnehmenden an solchen
Projekten verändern im Idealfall ihre Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung ihrer
Umwelt, wodurch sich auch die Strukturen
verändern. Aufgabe der Professionellen ist es
nicht, die Teilnehmenden zu belehren: raucht
nicht, esst besser und bewegt euch mehr! Sie
sollen die Menschen ermutigen, ihre Umwelt
als veränderbar wahrzunehmen und sie dabei
durch Informationen und Ressourcen unterstützen. Bei manchen Zielgruppen kann das
Thema Gesundheit nicht direkt auf die Agenda
gesetzt werden, weil andere Fragen in den Vordergrund drängen. Oft fehlt es hier an Selbstwirksamkeitsgefühl, an sozialer Verankerung
oder an Erfahrungen, in der Gruppe etwas
bewegen zu können. Das bedeutet auch eine
Abkehr vom alten Paradigma, die Menschen
direkt mit Gesundheitsinformationen zu überhäufen. Daher muss unterschieden werden
zwischen Gesundheitsförderung im Setting,
die Lebenswelten nur als Zugang nutzt, um
die dort Versammelten mit Gesundheitsbotschaften zu erreichen, und der Schaffung von
gesundheitsförderlichen Settings, was einen
partizipativ gestalteten Veränderungsprozess
meint.
Herausforderung Quantität der
Lebenswelt-Intervention
Das Präventionsgesetz ist auch hinsichtlich der
quantitativen Dimension ein großer Sprung.
2014 wurden noch zwei Drittel der entsprechenden GKV-Gelder für verhaltensorientierte
Prävention ausgegeben – für Lebenswelten
außerhalb des Betriebs gerade mal ein Zehntel. Ab 2016 sollen sieben Euro pro GKV-Versichertem (ca. 500 Mio. Euro) für Prävention
verausgabt werden, davon ca. 140 Mio. Euro
im Setting Betrieb und ebenfalls 140 Mio. Euro
in nicht-betrieblichen Lebenswelten.
Eine solche sprunghafte Ausgabensteigerung
wirft natürlich die Frage auf, wie ein Mehrfaches an Projektvolumen bewältigt werden
10
kann, und das auch noch mit einem neuen
Paradigma – der Schaffung gesundheitsförderlicher Settings. Die GKVen sind hier noch
sehr divers aufgestellt: die Spannbreite reicht
von Kassen, die sehr engagiert sind, bis zu anderen, die an verhaltenspräventiven Ansätzen
festhalten.
Kooperation im GKV-System
Die dritte Herausforderung bezieht sich auf die
Kooperation zwischen den Kassen. Paragraf
20a enthält den Satz „Bei der Wahrnehmung
ihrer Aufgaben […] sollen die Krankenkassen
zusammenarbeiten und kassenübergreifende
Leistungen zur Gesundheitsförderung […] erbringen.“ Dies bezieht sich beispielsweise auf
eine Absprache, welche Lebenswelten abgedeckt werden oder auf eine gemeinsame Zeitplanung von Maßnahmen. Eine solche Form
der Koordination findet bisher noch nicht ausreichend statt. Voraussetzung wäre, dass die
Akteure eine Koordination wirklich wollen.
An diesem Punkt stehen die Kassen allerdings vor einem Zwiespalt. Einerseits agieren
sie als Wirtschaftsunternehmen und müssen
um möglichst viele Versicherte mit positivem
Deckungsbeitrag kämpfen. Auf der anderen
Seite werden sie durch das Präventionsgesetz
angeleitet, ihre Aufmerksamkeit ökonomisch
unattraktiven Zielgruppen zuzuwenden. Dem
Ansatz der soziallagenbezogenen Prävention
ist der Wettbewerbsgedanke nicht förderlich.
Kooperation und Koordination sollten künftig
nicht mehr punktuell und eher zufällig passieren, sondern systematisch vonstattengehen.
Kooperation über das GKV-System
hinaus
Kooperative Verfahren zu entwickeln, ist nicht
allein eine Herausforderung für die GKVen untereinander. Von Bedeutung sind auch die Kooperationen der Kassen mit weiteren Akteuren,
etwa den Kommunen, freien Trägern oder den
Agenturen für Arbeit. Auf Bundesebene existieren hier bereits einige Rahmenvereinbarungen,
etwa mit den kommunalen Spitzenverbänden
Praxistest Präventionsgesetz
oder die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie. Aber woran bemisst sich, ob diese
Kooperation mehr ist als ein gut durchdachtes
Papier? Ein Gradmesser könnte die Frage sein,
wie wir als Präventionsakteure mit dem Thema
Sozialraum umgehen. Sozialraumorientierung
setzt ein partizipatives Verfahren voraus. Die
Sozialraumstrategien können nur gelingen,
wenn die Gesundheits- und Planungsämter
zusammenarbeiten, wenn es eine stabile Partnerschaft zwischen öffentlichem Sektor und
Zivilgesellschaft gibt, wenn Bürgerinnen und
Bürger aktiv beteiligt werden und wenn es
Unterstützung von den Entscheidungsträgern
gibt. Das ist eine hohe Anforderung, die bisher
noch selten umgesetzt wird.
Nur wenn Prävention als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird, kann das Präventionsgesetz erfolgreich in die Tat umgesetzt werden.
An dieser genuin politischen Aufgabe mitzuwirken, ist unser gemeinsamer Auftrag. Das
werden wir jedoch nicht morgen oder übermorgen schaffen, denn Politik bedeutet nach
Max Weber „ein starkes langsames Bohren von
harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“.
11
Kooperation und Koordination
Anforderungen an die Umsetzung des Präventionsgesetzes auf Berliner Ebene
Gespräch mit:
Dr. Horst-Dietrich Elvers, Leitung Organisationseinheit Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination (QPK),
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
Rebecca Zeljar, Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) Landesvertretung Berlin/Brandenburg
Moderation: Stefan Pospiech, Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin
Dr. Horst-Dietrich Elvers: Strukturell und organisatorisch verfügt Berlin über gute Rahmenbedingungen. Es gibt ein sehr gutes
Gesundheitsdienstgesetz, das den Geist des
Präventionsgesetzes schon vorweggenommen
hat. Nun müssen wir die Arbeit am Präventionsgesetz in die Kommune tragen.
Eine Aufgabe besteht darin,
die Berliner Gesundheitszielprozesse
auf bezirklicher Ebene zu
konkretisieren – auch in Hinblick
auf die gesundheitliche und soziale
Lage vor Ort.
Organisationseinheiten Qualitätsentwicklung, Planung, Koordination der
Bezirksämter (QPK): Neben der Gesundheitsplanung, der Gesundheitsförderung
und Prävention sowie der Gesundheitsund Sozialberichterstattung sind die
QPKs auch für die Koordination der
psychiatrischen Versorgung und die
Koordination der Suchthilfe zuständig.
Ihre Aufgaben werden im Gesundheitsdienstgesetz (GDG) geregelt.
12
Stefan Pospiech: Das Präventionsgesetz rückt
speziell die Kommune in den Fokus. Dennoch
hat das Gesetz dieses Setting weder finanziell gestärkt, noch einen klaren kommunalen
Handlungsauftrag definiert. Der GKV-Leitfaden Prävention legt die Verantwortung für
die Daseinsvorsorge in die Hand des Settings
Kommune, und auch das nationale Präventionsforum hat 2017 hier einen Schwerpunkt
gesetzt. Man kann also sagen: Kommune ist
wieder in! In Berlin verfügen wir mit den QPK
im bundesweiten Vergleich über relativ gute
Strukturen zur Koordination der Aktivitäten.
Zudem unterstützt das Land Berlin die Bezirke
über das Aktionsprogramm Gesundheit (APG)
auch finanziell. Sind das nicht eigentlich ideale
Voraussetzungen, um zukünftig noch stärker
zu kooperieren?
Ebenso müssen Prozesse auch überbezirklich
abgestimmt werden. Die Bezirke sollten sich
nicht einzeln auf den Weg machen und separat
an die Krankenkassen herantreten.
Von Seiten der Krankenkassen ist die Gesprächsbereitschaft da. Wir haben gerade mit
einer Kasse ein Projekt vereinbart, das auf fünf
Jahre angelegt ist und mit Mitteln aus dem Präventionsgesetz finanziert wird. Hier machen
sich beide Seiten, Kommune und Kasse, auf
den Weg, das schöne Schlagwort Health in all
Policies ganz konkret mit Leben zu füllen.
Stefan Pospiech: Den Krankenkassen wurde
mit dem Präventionsgesetz ein anspruchsvoller Auftrag gestellt. Was erwarten Sie jetzt von
den Kooperationspartnern, wie beispielsweise den Bezirken, und welche Unterstützung
brauchen Sie, um diesen Auftrag umsetzen zu
können?
Kooperation und Koordination
Rebecca Zeljar: Beim Abschluss der Kooperationsvereinbarung zur Clearingstelle Gesundheit
in den Quartieren der Sozialen Stadt hat man
gesehen, welche Herausforderung es ist, akteurs- und kassenartenübergreifende Kooperationen zu schmieden. Die unterschiedlichen
Interessen der einzelnen Kassen sind natürlich
zu berücksichtigen, aber nichtsdestotrotz gibt
es bereits ein Umdenken hin zu mehr gemeinsamem Agieren.
Was schwierig bleibt: wie schafft man Transparenz über Ansätze, die bereits in der Praxis
erprobt werden? Und welche dieser Ansätze
sind wirklich lebensweltlich orientierte Interventionen im engeren Sinne. Hier wird ein guter Überblick benötigt, um Best Practice auch
an andere Orte übertragen zu können. Um
Nachhaltigkeit in diesem Bereich zu schaffen,
braucht es natürlich personelle Ressourcen
in den Kommunen. Wir haben es vor Ort mit
ganz unterschiedlichen Gegebenheiten zu tun,
daher ist eine sozialräumlich informierte Koordination besonders wichtig.
Stefan Pospiech: Das Vorhaben, den Health in
all Policies-Ansatz gemeinsam mit einer Krankenkasse in die Praxis zu bringen, folgt einem
sehr hohen Anspruch. Welche Strategie wird
hier verfolgt?
Dr. Horst-Dietrich Elvers: Die entscheidende
Strategie ist es, die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu nutzen und das Thema Gesundheit hier einzubringen. Mit den Gesundheitszieleprozessen in den Bezirken findet das
bereits statt, etwa durch die Zusammenarbeit
der Bereiche Stadtplanung und Gesundheit.
Das Präventionsgesetz ermöglicht mehr Ressourcen und eine größere Bereitschaft der
Kassen, das Vorhaben voranzubringen. Mit
diesem frischen Wind kommen wir hoffentlich
weg vom bisherigen Klein-Klein, hin zu einer
dauerhaft umgesetzten ressortübergreifenden Strategie.
Stefan Pospiech: Dem aktuellen GKV-Präventionsbericht kann man entnehmen, wie
eindrucksvoll die Präventionsaktivitäten der
Kassen gestiegen sind. Große Teile der Mittel
werden jedoch weiterhin in den Lebenswelten
Kita und Schule verausgabt. Wie kann hier umgesteuert werden, so dass mehr Kooperationen
mit kommunalen Partnern initiiert und Sozialräume gefördert werden?
Rebecca Zeljar: Wir müssen den Setting-Ansatz in nichtbetrieblichen Lebenswelten weiterdenken.
Die Herausforderung besteht darin,
über die relativ geschlossenen
Lebenswelten wie Kita und Schule
hinaus in die Kommunen und Kieze
zu gehen.
Vereinzelt gibt es dafür schon sehr gute Beispiele. In Hinblick auf den GKV-Leitfaden Prävention stehen Akteurinnen und Akteure aber
vor bürokratischen Hürden, weil viele gute
Ansätze nicht förderfähig sind. Hier gilt es,
Instrumente im Prozess weiterzuentwickeln,
langfristig zu planen und zu denken. Bis dahin
werden wir auch andere Gestaltungsmöglichkeiten mit den verschiedenen Ressorts in den
Kommunen finden. Die Kassen sind offen für
neue, gemeinsame Wege, aber brauchen auch
einen aktiven Anstoß der Kommunen.
13
Zusammen wachsen – Kooperationsarbeit der
Clearingstelle Gesundheit
Tina Hilbert, Clearingstelle Gesundheit für Quartiere der Sozialen Stadt
Weitere Infos unter:
www.quartiersmanagement-berlin.de
Die Clearingstelle Gesundheit für Quartiere der
Sozialen Stadt wurde 2016 vor dem Hintergrund
des Präventionsgesetzes initiiert. Ihre Kooperationsarbeit steht unter dem Leitmotiv „Zusammen wachsen“. Ziel der Clearingstelle ist es,
Gesundheitsförderung auf der lokalen Ebene
zu stärken. Daran arbeiten die beteiligten Partnerinnen und Partner gemeinsam. Dazu zählt
die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und
Wohnen, deren Anliegen es ist, mehr Mittel für
Gesundheitsförderung in den Quartieren der Sozialen Stadt zu bündeln. Die Senatsverwaltung
für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung verfolgt vor allem das Ziel, das Aktionsprogramm
Gesundheit verstärkt in die Quartiere zu bringen und dort zu verankern. Und die Gesetzlichen
Krankenversicherungen haben den Impuls aus
dem Präventionsgesetz aufgenommen, sich
vermehrt in den Lebenswelten zu engagieren,
in diesem Fall im Setting Quartier.
Gesundheitsförderung im Quartier
Wie erfolgt nun die Umsetzung in den entsprechenden Settings? Die genannten Senatsverwaltungen finanzieren die Struktur der
Clearingstelle, die wiederum bei der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleich14
heit angesiedelt ist. In den Quartieren werden
Verbundprojekte mit gesundheitsförderlicher
Ausrichtung gebildet. Sie bestehen aus einem
Projekt der Sozialen Stadt und einem über die
GKVen finanzierten Gesundheitsmodul, das
leitfadenkonform und am Präventionsgesetz
ausgerichtet ist. Die Mittel der GKVen werden
an Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. als
Träger der Clearingstelle übertragen und vom
Verein an entsprechende Projekte weitergeleitet. Dabei reicht ein unkompliziertes Antragsund Abrechnungsverfahren für das Gesundheitsmodul, um die Mittel für Maßnahmen vor
Ort verausgaben zu können. Die Aufgaben der
Clearingstelle sind vielfältig. Neben dem Aufbau von Kooperationen unterstützt sie bei der
Bündelung der benötigten Ressourcen und der
direkten Arbeit vor Ort. Hierzu zählen u. a. Hilfe
bei Antragsstellungen und Unterstützung bei
der Umsetzung der Gesundheitsmodule. Im Sinne von Transparenz und Orientierung werden
begleitend zur Umsetzung der Verbundprojekte
regelmäßig Werkstätten für die an der Clearingstelle Gesundheit beteiligten Quartiersmanagerinnen und Quartiersmanager, Projektträger
sowie Koordinatorinnen und Koordinatoren für
Gesundheitsförderung (QPKs) angeboten. Ziel
dieser Qualifikationen ist die Entwicklung eines
gemeinsamen Verständnisses für Gesundheitsförderung in den Quartieren.
Praktische Umsetzung am Beispiel
QM Wohnviertel Ackerstraße
In einem Interessenbekundungsverfahren
wurden zunächst zwölf Quartiere der Sozialen
Stadt ausgewählt, die von der Clearingstelle
Gesundheit begleitet werden. Seit Herbst 2017
werden die Gesundheitsmodule in Anknüpfung
an Soziale Stadt-Projekte in den Quartieren
umgesetzt. Allen gemein ist das Engagement,
Gesundheitsförderung in die Lebenswelten der
Berlinerinnen und Berliner zu integrieren.
Zusammen wachsen
Anhand eines praktischen Beispiels können
folgende Fragen geklärt werden: Wie kommen
die finanziellen Mittel in den Quartieren an?
Wie wird Gesundheitsförderung in den Quartieren umgesetzt? Das Quartiersmanagement
Brunnenviertel-Ackerstraße in Berlin Mitte
verfügt über eine wertvolle Ressource, indem
mithilfe einer Wohnungsbaugenossenschaft
öffentliche und halböffentliche Freiflächen für
die gesamte Bevölkerung zugänglich sind. Daneben agiert ein vor Ort ansässiger Sportverein
sozialräumlich, d. h. Angebote zur Bewegungsförderung werden bereits in den Lebenswelten
bereitgestellt. Nachdem das Quartier die vorhandenen Bedarfe ermittelt hat, wurden Bewegungsparcours im Setting Quartier entwickelt
und zielgruppenübergreifend auch außerhalb
der Räumlichkeiten des Sportvereins zur Verfügung gestellt. Im Zuge dieses Prozesses wurde
ein erhöhter Bedarf an bewegungsförderlichen
Angeboten in den Kitas festgestellt. Damit Bewegung im Quartier erfolgreich umgesetzt
werden kann, sollten die Erzieherinnen und
Erzieher entsprechend sensibilisiert und fortgebildet sowie Transparenz über mögliche Bewegungsorte geschaffen werden. An diesem
Punkt setzt das bereits genannte, von den Mitteln der GKV finanzierte Gesundheitsmodul an
und übernimmt die Umsetzung.
Herausforderungen
Gesundheitsförderung im Quartier sieht sich
mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Aufgrund der diversen Kooperationspartnerinnen und -partner treffen mitunter unterschiedliche Logiken aufeinander.
Zum Teil besteht ein Interessenskonflikt zwischen den Akteurinnen und Akteuren vor Ort
und den klar geregelten Vorgaben des GKVLeitfadens für Prävention. Die Clearingstelle
positioniert sich hier als vermittelnde Stelle.
Somit können verschiedene Sichtweisen, die
einerseits in der Praxis vor Ort und andererseits
im Rahmen der Förderkriterien auftreten, aufgegriffen und konstruktiv bearbeitet werden.
Auch hierbei bedarf es Durchhaltevermögen
und Geduld, damit ein gemeinsamer Nenner
zwischen den GKVen, den Quartieren und Trägern vor Ort gefunden und die Umsetzung der
Angebote realisiert werden kann. Der Grad an
Planungssicherheit wird in den Quartieren als
weitere Herausforderung angesehen. Die teils
ungenügende Sicherheit, finanzielle Mittel
strukturfördernd einsetzen zu können, erfordert einen langen Atem aller Beteiligten. Für
die Zusammenarbeit ist die Transparenz über
vorhandene Potentiale der kooperierenden Institutionen noch nicht hinreichend geschaffen.
Weitere Infos unter:
www.brunnenviertel-ackerstrasse.de
Auf dem Weg zu einem
gesunden Quartier
Die Clearingstelle sieht in den erwähnten Herausforderungen zukünftige gemeinsame Wege
zur Verbesserung der Zusammenarbeit. Dabei
wird der gemeinsame Dialog als grundlegende Methode einer erfolgreichen Kooperation
betrachtet. Wirksame Kommunikationswege
sollten allen Beteiligten die Chance zur Partizipation bieten. Erst wenn die Teilnehmenden
an bestimmten Punkten die Sichtweise des
Gegenübers einnehmen, von eigenen Vorstellungen ein Stück weit abrücken und aufeinander zugehen, kann ein Prozess gemeinsamen
Lernens eintreten. Die Clearingstelle wirkt
in diesem Prozess als eine Art Scharnier und
unterstützt die Umsetzung der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung im Quartier.
Hinzu kommt die Möglichkeit einer langfristigen Perspektive der Projekte in den Quartieren
und die damit einhergehende Verstetigung der
Angebote. Gegenwärtig sollte man sich der Frage stellen, wie eine Verankerung der Gesundheitsförderung in den Quartieren umgesetzt
werden kann. Bereits vorhandene Strukturen
und Verbindungen (z. B. Kita-Netzwerke, Bildungsnetzwerke und Nachbarschaftseinrichtungen) müssen genutzt werden, um letztlich
wegweisende Angebote und Maßnahmen der
Gesundheitsförderung in der Lebenswelt Quartier anzuwenden.
15
Licht ins Dunkel – Förderstrukturen auf Basis
des Präventionsgesetzes
Stefan Pospiech, Geschäftsführer Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Die Ziele des Prä
vent ionsgesetzes
sind vielen Akteurinnen und Akteuren bekannt, doch
wie gestaltet sich
der Mittelfluss
konkret? Zwei Euro
pro versicherter
Person sollen dem
Gesetz zufolge für
Gesundheitsförderung in betriebliche Lebenswelten
investiert werden.
Der gleiche Betrag soll pro versicherter Person
in nicht-betriebliche Lebenswelten fließen. Von
diesem Betrag für die Lebenswelten außerhalb
des Betriebs fließen je 0,45 Euro pro Person in
das sogenannte GKV-Bündnis für Gesundheit,
insgesamt ca. 32 Millionen Euro. Diesen Betrag
entrichten die Gesetzlichen Krankenkassen an
die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Die verbleibenden 1,55 Euro pro
Person werden nach dem GKV-Leitfaden Prävention direkt für Angebote in den Lebenswelten verausgabt. Der Leitfaden ist die Förderrichtlinie für diese Mittel und erstreckt sich auf
die Handlungsfelder Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressmanagement und
Suchtmittelkonsum. Diese Richtlinie muss jeweils an die Bedingungen vor Ort angepasst
werden. Was förderfähig ist, lässt sich nicht
pauschal bestimmen. 2016 haben die Krankenkassen anhand des Leitfadens 116 Millionen
investiert.
Die Krankenkassen mussten und haben ihren
Mitteleinsatz erhöht, sind aber selbstverständlich nicht die einzigen Agierenden im Feld. Daneben stehen die Präventionsausgaben der
öffentlichen Hand, die schwieriger zu beziffern
sind. Viele Interventionen haben einen gesundheitsförderlichen Effekt, laufen aber nicht
16
unbedingt unter dem Titel Gesundheitsförderung. Das Land Berlin hat eine große Vielfalt an
Förderprogrammen wie das Aktionsprogramm
Gesundheit (APG), das Integrierte Gesundheitsprogramm (IGP), das Teilhabeprogramm
der Sportförderung oder auch das Programm
„Soziale Stadt“. Die Herausforderung wird
sein, im Anschluss an die Landesrahmenvereinbarung aus dieser Vielfalt eine koordinierte
Strategie zu schmieden.
Die Beauftragung der BZgA
Die BZgA-Beauftragung ist ordnungspolitisch
kritisiert worden, da hier die Sozialversicherungsträger einer Bundesbehörde Gelder ihrer Versicherten überweisen. Die BZgA steht
in einem Auftragsverhältnis zur GKV und hat
aus diesen Geldern eine neue Abteilung „Unterstützung der Krankenkassen bei Leistungen
zur Gesundheitsförderung und Prävention in
Lebenswelten“ aufgebaut. Dem Präventionsgesetz zufolge hat die BZgA den Auftrag, die
Krankenkassen dabei zu unterstützen, ihre
Maßnahmen besonders zum Abbau von gesundheitlicher Ungleichheit einzusetzen. Das
bedeutet Konzeptentwicklung und Erprobung
von Gesundheitsförderung für vulnerable Zielgruppen. Laut Bundesrahmenempfehlungen
handelt es sich bei diesen Zielgruppen um Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung,
Kinder aus psychisch belasteten Familien sowie
ältere Menschen. Zudem wurden Forschungsaufgaben an die BZgA übertragen, etwa Evaluationen für kassenarten-übergreifende Projekte. Obwohl der BZgA-Auftrag weit gefasst ist,
ist der bisherige Mittelabfluss relativ gering.
Dies hängt auch mit der Komplexität der Beauftragung sowie der Tatsache zusammen,
dass zunächst ein Modus der Zusammenarbeit
gefunden werden muss. Glücklicherweise verfallen die Mittel nicht, sondern werden ins Folgejahr übertragen, sodass mit Stand Dezember
Licht ins Dunkel
2017 derzeit über 60 Millionen Euro für diesen
Auftrag bei der BZgA bereitstehen.
Beispiele aus der Praxis
Zwei Projekte, die bereits aus den beschriebenen BZgA-Geldern finanziert werden, sollen im
Folgenden skizziert werden. Zum einen wurden die in allen Bundesländern bestehenden
Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit (KGC) personell aufgestockt und
verfügen nun über durchschnittlich zwei Vollzeitstellen. Auftrag der Koordinierungsstellen
ist die Unterstützung integrierter kommunaler
Strategien, der Aufbau von Kooperationen sowie die Herstellung von Transparenz und Orientierung. In Berlin wurden zu diesem Zweck
zwischen der KGC und nahezu allen Bezirken
Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen.
Darin wird geregelt, wie die KGC als vom GKVSystem und dem Land geförderte Struktur die
Bezirke zielorientiert unterstützen kann. Zudem hat die KGC eine Übersicht über Programme und Fördermöglichkeiten der Krankenkassen und Senatsverwaltungen erarbeitet.
Ebenfalls im Rahmen des GKV-Bündnisses wird
ein Modellprojekt zur Verzahnung von Arbeitsund Gesundheitsförderung, das die Krankenkassen mit den JobCentern initiiert haben,
nun von der BZgA umgesetzt. Pro beteiligtem
JobCenter werden 50.000 Euro für die Koordination und die Umsetzung der Maßnahmen
vergeben. Diese Aufgabe kann entweder von
den Krankenkassen in Eigenregie umgesetzt
werden oder es wird ein Partner beauftragt.
In Berlin haben die Krankenkassen Gesundheit
Berlin-Brandenburg e. V. beauftragt, das Projekt in den Bezirken Lichtenberg und SteglitzZehlendorf umzusetzen. Solche Maßnahmen
können, da es in jeder Stadt oder jedem Landkreis ein oder mehrere JobCenter gibt, sehr gut
flächendeckend ausgeweitet werden. Um den
Zugang zu den Adressaten zu ermöglichen,
müssen diese Projekte gut in die vorhandenen
kommunalen Strategien eingebunden werden.
Die Übersicht der Fördermöglichkeiten
ist online abrufbar unter www.
gesundheitliche-chancengleichheit.de/
berlin
Deutlich wird: es gibt eine große Vielfalt an
Unterstützungsmöglichkeiten im Bereich der
Prävention und Gesundheitsförderung, die
den Trägern aber nicht immer als transparent
oder passgenau auf ihre Bedarfe begegnet. Die
Herausforderung ist nun, eine abgestimmte
Förderlandschaft zu entwickeln, sodass in den
Bezirken und Lebenswelten systematisch Angebote umgesetzt werden können, die klaren
Qualitätskriterien folgen. Zudem ist sicherzustellen, dass im Fokus der Maßnahmen steht,
einen Beitrag zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten zu leisten – denn dies ist das klar
formulierte Ziel des Gesetzes.
Präventionsgesetz – Mittelfluss
Gesundheitsförderung in nicht betrieblichen Lebenswelten
GF in Lebenswelten
nach GKV-Leitfaden
ca. 32 Mio. €
2 € pro Versicherten für
Gesundheitsförderung (GF)
in nicht-betrieblichen
Lebenswelten
2 € pro Versicherten
für GF in betrieblichen
Lebenswelten
ca. 116 Mio. € (2016)
bundesweit
Präventionsausgaben der
öffentlichen
Hand
+
Eigenmittel der
Träger
(…)
Quelle: eigene Darstellung
17
Gesund aufwachsen: Schnittstellen zwischen
Präventionsgesetz und Gesundheitsziel
Fachforum 1
Das Fachforum widmete sich den Schnittstellen des Präventionsgesetzes mit dem Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“.
Insbesondere soll diskutiert werden, wie das Gesetz einen Beitrag zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten leisten
kann. Zudem möchte das Fachforum herausarbeiten, welche Rolle hierbei der Ausbau von Kooperationen und Koordination
einnimmt.
Zentrale Ergebnisse:
n
Obwohl der Zugang und die besondere Situation um sozial benachteiligte Zielgruppen schon
lange Themen in der Prävention und Gesundheitsförderung sind, hat sich an der Situation
sozial benachteiligter Familien und ihren Kindern bisher wenig verändert.
n
In
allen Handlungsfeldern lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Gesundheit und
sozialer Lage feststellen (Besonderheit im Handlungsfeld Impfen: Menschen in mittlerer oder
höherer sozialer Lage weisen oft eine stärkere „Impfmüdigkeit“ auf).
n
Der
Fokus auf die soziale Lage bei allen Aktivitäten ist entscheidend.
Abschließende Forderungen:
n
Die
Inanspruchnahme von Hilfen darf nicht stigmatisiert werden.
n
Lotsenfunktionen
n
Um
das Hilfesystem zu unterstützen, sollten die finanziellen Mittel aufgestockt werden.
n
Der
Kompetenzaufbau bei Fachkräften soll gefördert werden.
bzw. aufsuchende Hilfsangebote müssen ausgebaut werden.
Moderierende und Inputgebende an Thementischen:
Thementisch Sprache: Miriam Boger, Bezirksamt Lichtenberg von Berlin
Thementisch Impfen: Dr. Sonja Polz, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin
Thementisch psychische Gesundheit: Rosmarie Weise, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin
Thementisch Suchtprävention: Elke Schiemann, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin &
Anke Schmidt, Fachstelle für Suchtprävention (die Thementische Suchtprävention und psychische Gesundheit wurden
zusammengelegt)
Thementisch Mund- und Zahngesundheit: Andreas Dietze, Landesarbeitsgemeinschaft Berlin
zur Verhütung von Zahnerkrankungen e.V. & Dr. Helmut Kesler, Zahnärztekammer Berlin
Thementisch Lebenskompetenzen: Dr. Elke Jäger-Roman und Dr. Ulrich Fegeler, Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte
Moderierende: Pia Block und Henrieke Franzen, Gesundheit Berlin Brandenburg e. V.
18
Gesund aufwachsen
Inputbeitrag Werner Mall, AOK Nordost:
Kindergesundheit im Licht des Präventionsgesetzes
Welche Aspekte des Präventionsgesetzes sind wichtig, um das Thema Kindergesundheit
voranzubringen? Werner Mall benennt in einem einleitenden Input vier wesentliche Punkte:
Kooperation
Das Präventionsgesetz möchte die Akteurinnen
und Akteure der Prävention und Gesundheitsförderung zu mehr Zusammenarbeit motivieren. Auf welche Art und Weise zusammengearbeitet werden soll, wird auf Landesebene durch
die zukünftige Landesrahmenvereinbarung
geregelt. In Berlin wird schon an vielen Stellen
gut und eng zusammengearbeitet. Dennoch
müssen sich die Akteurinnen und Akteure in
den jeweiligen Handlungsfeldern fragen, wie
sie noch mehr, besser oder anders kooperieren können, als sie es bisher getan haben. Die
Frage ist, welche Unterstützung die Fachkräfte
und Entscheidungstragenden dafür brauchen.
Anknüpfen an bestehende
Strukturen
Ein Aspekt von Kooperation ist es, bestehende Strukturen zu nutzen und miteinander zu
vernetzen. Das Präventionsgesetz hat durch
die Landesrahmenvereinbarungen in vielen
Bundesländern das Thema Gesundheitsziele
auf die Agenda gesetzt. Im Rahmen der nationalen Präventionskonferenz wurde sich darauf
verständigt, Gesundheitsziele lebenslagenbezogen zu formulieren. Dieser Ansatz wird in
Berlin mit den drei Gesundheitszielen „Gesund
aufwachsen“, „Gesund arbeiten“ und „Gesund
altern“ bereits umgesetzt. Zusammen mit der
Landesgesundheitskonferenz hat Berlin eine
etablierte Struktur, an die sich anknüpfen lässt.
Qualität
Der GKV-Leitfaden Prävention enthält eine
Reihe von Qualitätsvorgaben, die auf dem Evidenzgrad von Expertenstandards basieren. In
vielen Bereichen gibt es jedoch keine empirisch
gesicherten Erkenntnisse über Voraussetzungen von Qualität. In vielen Bereichen wissen
wir nicht, was wirkt und was nicht. Das Thema
Qualität spielt in den Landesrahmenvereinbarungen vieler Bundesländer eine große Rolle
und hält die Akteurinnen und Akteure dazu an,
Qualitätsentwicklung und -sicherung in ihre
Aktivitäten einzubauen.
Nachhaltigkeit
Aktivitäten im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung sollen nachhaltig angelegt
sein. Das gilt auch für die Strategien, nicht nur
für die einzelnen Maßnahmen in den Handlungsfeldern. Eine nachhaltige Strategie ist
dadurch gekennzeichnet, dass im Vorfeld Ziele
gesteckt werden und die einzelnen Schritte und
Optionen priorisiert werden.
Nach einem einführenden Input durch Werner Mall wurde an sechs Thementischen diskutiert.
Die Thementische wurden moderiert durch Mitglieder der „AG Gesund aufwachsen“ der Landes
gesundheitskonferenz Berlin. Ziel war es, zu bestehenden Handlungsfeldern innerhalb des Kindergesundheitszieleprozesses (Sprache) und neu in den Prozess aufzunehmenden Handlungsfeldern
(Lebenskompetenzen, Mund- und Zahngesundheit, Impfen, psychische Gesundheit und Sucht)
Impulse für die weitere Arbeit abzuleiten. Fokussiert wurde hierbei insbesondere auf Aspekte, die
auch im P
räventionsgesetz besonders hervorgehoben wurden: Kooperation und Koordination.
19
Diskussion an den Thementischen:
Thementisch Sprache:
n Die
Bedeutung der Eltern-Kind-Bindung für
die Sprachentwicklung wird unterstrichen.
n Die
alleinige Verantwortung für Sprachförderung darf nicht bei Kitas liegen (Kooperation zwischen Kitas und z. B. Familienzentren ausbauen, Familienhebammen
einbeziehen) und muss alltagsintegriert
sein.
n Die
Sprachförderung in Kitas umzusetzen
gestaltet sich schwierig. Gründe dafür sind
u. a. Personalmangel, Quereinsteigerinnen
und Quereinsteiger oder die Qualität der
Betreuung.
n Besonderes
Hemmnis: Medien/Smartphonekonsum der Eltern, dadurch weniger direkter Kontakt mit den Kindern.
n Finanzielle Mittel für Kooperation und Koor-
dination müssen gestärkt werden.
Thementisch Impfen:
n Früh
damit beginnen, das Bewusstsein für
das Impfen zu stärken und hierbei nicht nur
auf „Impfverweigerer“ konzentrieren.
n Die Vielfalt innerhalb der Zielgruppe beach-
ten: im Handlungsfeld Impfen besteht die
Zielgruppe auch aus hauptsächlich nicht
sozial benachteiligten Familien, Kindern
und Jugendlichen. Insb. junge ungeimpfte
Erwachsene wurden als Zielgruppe herausgestellt.
n Der
öffentliche Gesundheitsdienst sollte
gestärkt werden.
n Es
ist entscheidend, neue Zugangswege zu
erproben, z.B. Impfberatungen auch außerhalb des gewohnten Settings anzubieten.
n Fachübergreifende Impfungen
n Die Einführung eines „Erinnerungssystems“
wäre hilfreich.
20
n Das
Impfbuch sollte verständlicher gestalten werden (z. B. durch Spalte „wann muss
ich zum Impfen“).
n Auch im Rahmen der Einschulungsuntersu-
chungen sollte geimpft werden.
Thementisch psychische
Gesundheit und Suchtprävention:
n Zielgruppen in den Handlungsfeldern „Sucht-
prävention“ und „psychische Gesundheit“
sind Kinder und Jugendliche, Eltern sowie
alle Erwachsenen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit oder im privaten Umfeld mit Kindern
und Jugendlichen zu tun haben.
n Ein besonderes Augenmerk muss auf beson-
ders vulnerable Zielgruppen gelegt werden,
wie z. B. Kinder von Eltern mit Sucht- und/
oder psychiatrischen Erkrankungen, von Armut betroffene oder geflüchtete Familien.
n Eine stärkere Sensibilisierung für die Bedar-
fe dieser Zielgruppen ist notwendig.
n Unterstützungsbedarfe
müssen früh erkannt und adäquate Hilfen bereitgestellt
werden.
n Gesundheitslotsen
in vulnerablen Settings,
Elterncafés in Schulen, flächendeckende
„Hausbesuche“ nach der Geburt etc. können helfen, mit den betroffenen Familien in
Kontakt zu kommen.
n Die Beurteilung der psychischen Gesundheit
von Kindern bei den Einschulungsuntersuchungen des KJGD würde dazu beitragen,
Fehlentwicklungen früh entgegenwirken zu
können (siehe Pilotprojekt Steglitz-Zehlendorf).
n Präventive
Angebote müssen in Settings
vorgehalten werden, in denen Kinder, Jugendliche und Familien anzutreffen sind:
Familienzentren, Kitas, Schulen, Sport- und
andere Freizeitangebote etc., und in die
bezirklichen Präventionsketten integriert
werden.
Gesund aufwachsen
n Wichtig
sind Kooperation und Vernetzung
unter Beachtung des Datenschutzes; außer
in Kinderschutzfällen ist der Informationsund Datenaustausch nur mit Einwilligung
der Eltern möglich (siehe z. B. Rahmenvereinbarung sowie bezirkliche Kooperationsvereinbarungen zum Schutz von Kindern
suchtkranker Eltern vor der Gefährdung des
Kindeswohls).
n Neue
Ansprechstrategien und Vermittlungsformate sind erforderlich.
n Folgende
Forderungen an die Politik wurden am Thementisch „Suchtprävention und
psychische Gesundheit“ formuliert:
n Mehr Personal und eine bessere Vergütung
wird gefordert.
n Stärkung des Themas in der Ausbildung von
Erzieherinnen und Erziehern, Geburtshelfenden, Ärztinnen und Ärzten.
Thementisch Lebenskompetenzen:
n Verbesserung
der Kooperationen zwischen
Ärztinnen und Ärzten und sozialräumlichen
Unterstützungssystem, um z. B. besser in
Hilfsangebote vermitteln zu können.
n Ausgangsfrage: Wie erkennt man sozial be-
nachteiligte Kinder? Die Inanspruchnahme
von Hilfen darf nicht stigmatisiert werden.
– Ausreichende Anzahl von Kita- und Hortplätzen
n An
– Einstellung einer bedarfsgerechten Zahl
von gut ausgebildeten Erzieherinnen
und Erziehern sowie Lehrerinnen und
Lehrern
n Beratungsleistungen
– keine Projektitis, sondern Nachhaltigkeit; „Best Practice-Projekte“ in die
Breite bringen
n Projekte
– Wissen über Sucht, psychische Erkrankungen, Behinderung etc. sowie Me
thoden der Ansprache von Eltern zu
schwierigen Themen wie Sucht und psychischen Erkrankungen müssen in der
Aus- und Fortbildung von Erziehungspersonal, Hebammen etc. vermittelt
werden
– Ausbau von Patenschaftsprojekten für
Kinder sucht- bzw. psychisch kranker
Eltern
wen vermittle ich Familien bei festgestelltem Unterstützungsbedarf? Wie stelle
ich sicher, dass die Familie dort ankommt?
„Begleitservice“
und die Erhebung des
psychosozialen Hilfebedarfs sollten besser
vergütet werden.
werden häufig nur kurzfristig finanziert. Eine stabilere Finanzierung von
Hilfesystemen ist wünschenswert.
n Ausbau
von Lotsensystemen und Familienhebammen (es wurden sehr gute Erfahrungen mit den Babylotsen oder auch den
Stadtteilmüttern gemacht. Solche guten
Beispiele müssen flächendeckend installiert sein).
n Ein
Bedarf an mehr Hausbesuchen wird
deutlich: weniger projekthafte Herangehensweisen („Projektitis“).
Thementisch Mund- und
Zahngesundheit:
n Die
Einbindung und Beteiligung von Eltern
ist sehr wichtig; erreichbar durch z. B. Einbindung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren/Netzwerken (z. B. Frühe Hilfen),
Stärkung von Ersthausbesuchen. Dabei
auch auf eine zielgruppengerechte Ansprache achten, um das Bildungsverhalten von
Eltern positiv zu beeinflussen.
21
Gesund arbeiten – Erwerbsfähigkeit erhalten
Fachforum 2
Das Präventionsgesetz fördert Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in nicht-betrieblichen und betrieblichen
Lebenswelten. Wie werden Prävention und Gesundheitsförderung im Setting Arbeitswelt/Betrieb durch das Gesetz gestärkt
und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unterstützt? Und wie lassen sich Arbeits- und Gesundheitsförderung
bei erwerbslosen Menschen gut miteinander verzahnen, um deren Gesundheit und damit Erwerbsfähigkeit zu verbessern
bzw. zu erhalten?
Zentrale Ergebnisse:
n
n
n
n
ualitätskriterien unterstützen die Umsetzung von BGF insbesondere in kleinen und
Q
mittleren Unternehmen (KMU).
ie Implementierung von präventiven und gesundheitsförderlichen Maßnahmen
D
sollte partizipativ erfolgen.
ualitätssicherung und Zertifizierungen von Maßnahmen im Setting Arbeitswelt
Q
gewinnen durch das Präventionsgesetz an Bedeutung.
Erwerbslose Menschen sind eine vulnerable Zielgruppe, die durch niedrigschwellige
aufsuchende Angebote erreicht und unterstützt werden kann.
n
S pezifischen Belastungen sollte mit zielgruppenspezifischen Angeboten begegnet
werden. Das Präventionsgesetz unterstützt erwerbslose Menschen, indem es Kooperationsprojekte fördert, z. B. mit kommunalen Partnerinnen und Partnern.
Referierende
Detlef Kuhn, ZAGG GmbH, Sprecher AK Betriebliche Gesundheitsförderung bei Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Paulin Fiedler, AOK Nordost
Rike Schulz und Monika Fränznick, Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum e. V. Berlin (FFGZ)
Andrea Möllmann-Bardak, Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. und Katja Seidel, Jobcenter Berlin Lichtenberg
Moderierende: Ulrike Braeter, Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH
22
Gesund arbeiten
Das Fachforum nimmt im ersten Teil die Bedeutung des Gesetzes hinsichtlich der Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen
bei der Umsetzung von gesundheitsförderlichen Aktivitäten im Setting Betrieb in den
Blick. Im zweiten Teil wird die Verzahnung von
Arbeits- und Gesundheitsförderung zur Unterstützung erwerbsloser Menschen fokussiert.
5 QUALITÄTSKRITERIEN FÜR BETRIEBLICHE GESUNDHEITSFÖRDERUNG:
1.
Handeln nach Zielen: Wo wollen wir hin, was wollen wir erreichen?
2.
Von Daten zu Taten: Wo stehen wir?
3.
Konsens erreichen: Ziehen alle im BGF-Prozess am gleichen Strang?
4.
BGF als Führungsaufgabe annehmen: Wird BGF für Führungskräfte und
von Führungskräften unterstützt?
5.
Wirkung überprüfen: Haben Sie Ihr Ziel erreicht?
Gesund arbeiten
Der Gesetzgeber fördert Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung in betrieblichen Lebenswelten über das Präventionsgesetz. Insbesondere KMU müssen verstärkt für
das Thema Gesundheit im Betrieb sensibilisiert
und darüber informiert werden. Ihnen fällt es
besonders schwer, Aktivitäten in diesem Bereich zu entfalten, da sie weniger wirtschaftlich-ökonomischen Spielraum haben. Doch es
lohnt sich, in die Gesundheit von Beschäftigten
zu investieren.
Vor diesem Hintergrund stellte Detlef Kuhn vom
Zentrum für angewandte Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften (ZAGG)
und Sprecher des Arbeitskreises Betriebliche
Gesundheitsförderung (AK BGF) bei Gesundheit
Berlin-Brandenburg e. V. Qualitätskriterien für
BGF vor. Diese wurden vom AK BGF entwickelt
und vor Kurzem aktualisiert, um Unternehmen
zum Thema BGF zu informieren und eine erste
Orientierung bei der Maßnahmeninitiierung
und/oder Nutzung eines externen Anbietenden bereitzustellen. Die Kriterien können ein
Maßstab für Dienstleistende sein und somit
zur Transparenz vorhandener Angebote und
Qualitätssicherung beitragen.
Betriebliche Gesundheitsförderung soll bestimmten Regeln folgen, damit Maßnahmen
auch bei KMU greifen können. Wichtig ist, dass
die vorhandenen Anbieter und Angebote den
Betrieben bekannt sind. Bevor sich Unternehmen diese externe Expertise ins Boot holen, ist
es ratsam, die innerbetrieblichen Bedarfe auszumachen. Die Qualitätskriterien helfen bei der
Planung und Umsetzung von gesundheitsförderlichen und präventiven Maßnahmen. Eine
transparente Regelung der Verantwortlichkei-
ten und die Partizipation aller Mitarbeitenden
kann zu einer erfolgreichen Implementierung
beitragen.
Neben verhaltensorientierten Angeboten gilt
es, die Verhältnisse gesundheitsförderlich zu
gestalten. Dabei nehmen Führungskräfte eine
besondere Rolle ein. Sie können Maßnahmen
ergreifen, die Verhältnisse in Zusammenarbeit
mit ihren Beschäftigten im Unternehmen gesünder zu gestalten. Durch eine strukturierte
Verankerung in der Unternehmenskultur kann
BGF mit ihren Maßnahmen im Betrieb verstetigt werden und ein Mehrwert für alle Beteiligten sein.
Die BGF-Qualitätskriterien sind zum
Download verfügbar unter
www.berlin.gesundheitfoerdern.de
Regionale BGFKoordinierungsstellen
Mit Inkrafttreten des Präventionsgesetzes
wurden sogenannte regionale BGF-Koordinierungsstellen initiiert. Diese, von den Krankenkassen finanzierten Einrichtungen, bieten
den Unternehmen unabhängige Beratung und
Unterstützung an, so Paulin Fiedler, Expertin
für betriebliche Gesundheitsförderung bei der
AOK Nordost.
Eckpunkte:
n
Start des Beratungs- und Informationspor-
tals im Mai 2017
n
niedrigschwelliger
Zugang durch Internet-
plattform
n
Infos zu den BGF-Koordinierungsstellen
unter
www.bgf-koordinierungsstelle.de/berlin
Kontaktaufnahme
und kostenfreie Beratung interessierter Betriebe auf Grundlage
des Präventionsleitfadens
23
n
Die
Kunden können über die Plattform Anfragen an eine Krankenkasse ihrer Wahl
oder eine zufällig ausgewählte Krankenkasse stellen – diese Anfragen gehen bei
den Kassen per Mail ein und werden zügig
bearbeitet.
n
KMU
n
Angebotene
(kleine und mittelständische Unternehmen) sind hierbei eine spezielle Zielgruppe.
Maßnahmen beziehen sich
auf verhaltens- und verhältnispräventive
Ansätze gemäß Leitfaden Prävention.
Mit dem Präventionsgesetz gewinnen die Themen Qualitätssicherung und Zertifizierungen
im Kontext der betrieblichen Gesundheitsförderung an Bedeutung. Häufig halten externe
Anbietende lediglich standardisierte Angebote
bereit. Interne Lösungen und Strategien, besonders bei KMU, sollten daher verstärkt unterstützt werden. Bei diesem Vorhaben können
die BGF-Koordinierungsstellen unterstützen.
Grundlage der Angebote betrieblicher Gesundheitsförderung bildet der Präventionsleitfaden.
Indem die (Weiter-)Entwicklung des Leitfadens
partizipativ gestaltet wird, kann man auf eine
gesteigerte Akzeptanz seitens der Nutzenden
hoffen, so ein Teilnehmer in der Diskussion.
Ein Kritikpunkt sei jedoch, dass Angebote,
die nicht an den Leitfaden angelehnt sind, in
der Regel nicht förderfähig sind. Dies betreffe
häufig auch erfahrene Dienstleister. Politische
Entscheidungsträger sollten angeregt werden,
den Leitfaden stärker an den Bedarfen der Praxis auszurichten.
Erwerbsfähigkeit erhalten
In den Bundesrahmenempfehlungen der nationalen Präventionskonferenz werden erwerbslose Menschen als besonders zu berücksichtigende Zielgruppe benannt.
Rike Schulz und Monika Fränznick vom Feministischen Frauen Gesundheits Zentrum e. V.
Berlin (FFGZ) berichten über die Auswirkungen
und Folgen der Erwerbslosigkeit oder prekären
Beschäftigung von Frauen. Diese empfinden
ihren Gesundheitszustand subjektiv deutlich
schlechter und weisen mehr Krankheitstage
sowie Klinikaufenthalte als die Allgemeinbe-
24
völkerung auf. Hinzu kommen psychische und
psychosomatische Beschwerden wie Depressionen, Angstzustände und Erschöpfungssymptome. Der kostenlose Gesundheitskurs „Impulse“ des FFGZ bietet den Teilnehmerinnen die
Möglichkeit, Gesundheit und Wohlbefinden zu
stärken und sich als Expertinnen ihrer eigenen
Situation wahrzunehmen. Neben dem Standard-Gesundheitskurs für erwerbslose Frauen,
gibt es Kurse für spezielle Zielgruppen: u. a.
junge, alleinerziehende Mütter, Geflüchtete,
chronisch kranke und behinderte Frauen. Das
Projekt setzt dabei auf die Stärkung der Selbstbestimmung und eigenen Verantwortung (Empowerment) der Betroffenen. So können sie
Selbstwirksamkeit erleben, sich ernst genommen fühlen und Wertschätzung erfahren.
Wie können vulnerable Zielgruppen
besser erreicht werden?
Das FFGZ verfolgt in der konzeptionellen Gestaltung und Umsetzung seiner Angebote
unterschiedliche Strategien: der Standard-Gesundheitskurs für erwerbslose Frauen findet
in den Räumen des FFGZ statt, denn so kommen die Teilnehmerinnen auch mit anderen
gesundheitsfördernden Angeboten in Berührung. Ein aufsuchender Ansatz wird gewählt,
wenn Frauen schwer zu erreichen sind (z. B.
junge, alleinerziehende Mütter, Geflüchtete,
chronisch kranke und behinderte Frauen).
Den spezifischen Belastungen der Zielgruppe
(Stressfolgeerkrankungen, finanzielle Notlagen, Sprachbarrieren oder Diskriminierung)
wird mit entsprechend passgenauen Maßnahmen begegnet. Die Beteiligung (Partizipation)
der Zielgruppe bei der Gestaltung der Gesundheitskurse ist ausdrücklich gewünscht und verstärkt die Akzeptanz des Angebots.
Handlungsbedarf hinsichtlich Arbeits- und
Gesundheitsförderung bei vulnerablen Zielgruppen besteht an unterschiedlichen Stellen,
so Rike Schulz und Monika Fränznick. Der Allgemeinbevölkerung sollte deutlich gemacht
werden, dass Erwerbslosigkeit und prekäre Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse gesundheitliche Belastungen darstellen. Ein Abbau der
Stigmatisierungen und eine Sensibilisierung
der Gesellschaft gilt als lohnenswerte Bemühung. Ein wichtiges Augenmerk stellt dabei der
Gesund arbeiten
niedrigschwellige Zugang zu den Angeboten
dar. Als entscheidende Kriterien gelten:
n
Sensibilisierung für die existentiellen Prob-
leme, mit denen Frauen konfrontiert sind.
Sie ergeben sich aus der geschlechtsspezifischen Lebenssituation (z. B. gender-caregap, gender-pay-gap, Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen von Frauen)
n
familienfreundliche
Angebotszeiten und
Verständnis für die Doppelbelastung Alleinerziehender
n
interkulturelle Gestaltung der Angebote
n
unabhängige
n
Implementierung weiterer spezifischer An-
Informationszugänge für
Frauen mit Beeinträchtigungen
gebote, z. B. für ältere Arbeitnehmerinnen
Zudem wird eine gelingende Vernetzung als
wichtiges Instrument für eine erfolgreiche
Kooperation und Koordination der Angebote
betrachtet. Die Betroffenen sind dabei besonders auf die Zusammenarbeit mit relevanten
Akteuren (z. B. JobCenter, gesetzliche Krankenkassen) angewiesen. Bereits vorhandene
Strukturen gilt es aufrechtzuerhalten und im
Sinne eines zielgruppenspezifischen Ansatzes
auszubauen.
Arbeits- und Gesundheitsförderung
bei arbeitslosen Menschen
Bei der Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung gilt der zielgruppenspezifische
Ansatz als sinnvoll, da er einen Beitrag dazu
leistet, die Gesundheit und Erwerbsfähigkeit
erwerbsloser Menschen zu erhalten bzw. zu
verbessern. Aus diesem Grund wird vor dem
Hintergrund des bundesweiten Präventionsgesetzes auf kommunaler Ebene im Rahmen
des Modellprojekts „Verzahnung von Arbeitsund Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen“
eine Kooperation zwischen Arbeitsagenturen,
JobCentern, GKVen und weiteren regionalen
Partnerinnen und Partnern angestrebt. Die
Präventionsmittel der GKV werden im Rahmen
von Zuwendungen von der Bundeszentrale
für Gesundheitliche Chancengleichheit bereitgestellt. Die Laufzeit des von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
initiierten Projekts beträgt zweieinhalb Jahre
(06/2017 – 12/2019).
In Berlin und Brandenburg beteiligen sich die
Kommunen Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg
und der Landkreis Märkisch-Oderland an dem
Modellprojekt. Von Seiten der GKV wurde der
Träger Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
mit der Koordination des Modellprojekts in
den beteiligten Kommunen beauftragt. Andrea
Möllmann-Bardak, stellvertr. Geschäftsführerin von Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
und Katja Seidel, Mitarbeiterin im Jobcenter
Lichtenberg, berichten von den ersten Schritten der Zusammenarbeit zwischen Jobcentern,
gesetzlichen Krankenkassen und Krankenkassenverbänden, der bezirklichen Koordination
für Gesundheitsförderung und weiteren regionalen Partnerinnen und Partnern. Ziel der
Kooperation ist der Ausbau der bestehenden
kommunalen Netzwerke und die Schaffung
von bedarfsgerechten, gesundheitsfördernden
Angeboten zur Gesundheitsförderung mit Erwerbslosen, so Andrea Möllmann-Bardak. Die
Teilnahme an den Angeboten im Rahmen des
Modellprojekts sind nicht an Leistungen des
Jobcenters gekoppelt. Die Herausforderung für
die beteiligten Institutionen und Einrichtungen ist es, die Zugänge zu bestehenden und/
oder neuen Angeboten so zu gestalten, dass
Erwerbslose diese in Anspruch nehmen bzw.
Erwerbslose an der Gestaltung der Angebote
aktiv zu beteiligen.
Der Zugang wird laut Katja Seidel durch geschulte und entsprechend sensibilisierte Mitarbeitende der Jobcenter unterstützt. Die teils
jahrelangen Erfahrungen der Mitarbeitenden
mit der Zielgruppe wirken sich positiv und
motivierend auf die Betroffenen aus. Zudem
bedarf es eines Ausbaus des Wiedereingliederungsmanagements, damit Menschen, die
langzeiterkrankt sind, ein erleichterter Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglicht wird.
25
Gesund altern: Bewegungsförderlich!?
Fachforum 3
Das Fachforum widmete sich den Schnittstellen des Präventionsgesetzes mit dem Gesundheitsziel „Bewegung im Alter“
und stellt Kooperationsmodelle zur Bewegungsförderung älterer Menschen dar. Von welchen Erfahrungen hinsichtlich
Kooperationen können Akteurinnen und Akteure der Bewegungsförderung profitieren? Wie wird Bewegungsförderung in
stationären Einrichtungen umgesetzt? Zudem werden bestehende Handlungsbedarfe verdeutlicht.
Zentrale Ergebnisse:
n
Pflegebedürftige
Menschen können und sollen in ihrer körperlichen Gesundheit geför-
dert werden.
n
Das Präventionsgesetz ermöglicht pflegebedürftigen Menschen eine Unterstützung zur
Förderung ihrer Gesundheit zu erhalten, wie z. B. die Steigerung der körperlichen Aktivität.
n
Bewohnerinnen
und Bewohner sollen an der Entwicklung von Maßnahmen mit ihren
Fähigkeiten und Bedürfnissen aktiv beteiligt werden.
n
Für
lebensweltlich orientierte Angebote in und um Pflegeheime sollten verschiedene
Fachleute und vorhandene Netzwerke eng zusammenarbeiten.
Referierende/Impulsgebende
Dana Kadach, AOK Nordost
Stefan Weigand, Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung
Markus Runge, Nachbarschaftshaus Urbanstraße
Ann-Kristin Krick und Rebecca Zeljar, Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) Landesvertretung Berlin/Brandenburg
Katja Dierich, Qualitätsverbund Netzwerk im Alter – Pankow (QVNIA) e. V.
Bernd Holm, Senatsverwaltung für Inneres und Sport
Dörte Maunge, St. Elisabeth-Stift Eberswalder Straße
Sabine Schweele, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
Katja Sotzmann, Landessportbund Berlin
Moderierende: Dr. Birgit Wolter, Institut für Gerontologische Forschung e. V.
26
Gesund altern
Die Pflegeversicherung erhielt 2015 erstmalig
vom Gesetzgeber einen Präventionsauftrag.
Die Pflegekassen sollen Leistungen zur Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen für
deren Bewohnende erbringen, indem sie unter
Beteiligung der Pflegebedürftigen und der Pflegeeinrichtung Vorschläge zur Verbesserung
der gesundheitlichen Situation und zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten entwickeln sowie deren Umsetzung
unterstützen. Dafür stehen in diesem Jahr pro
versicherter Person 0,31 Euro zur Verfügung.
Dana Kadach von der AOK Nordost stellt vor
diesem Hintergrund den Leitfaden „Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen“ vor, der
die Kriterien für die Leistungen der Pflegekassen festlegt. Die Pflegekassen sollen im Sinne
des Präventionsgesetzes kooperieren und
kassenübergreifende Leistungen zur Prävention erbringen. Darunter fallen beispielsweise
Beratung, Moderation, Projektmanagement,
die Entwicklung qualitätsgesicherter Konzepte sowie die Qualifizierung von Fachkräften,
die die in den einzelnen Handlungsfeldern
aufgeführten Maßnahmen durchführen.
usgeschlossen sind beispielsweise Leistungen
A
im Rahmen der aktivierenden Pflege sowie die
Finanzierung von Baumaßnahmen und Einrichtungsgegenständen. Inhaltlich umfasst
der Leitfaden die Handlungsfelder Ernährung,
Körperliche Aktivität, Stärkung kognitiver
Ressourcen, Psychosoziale Gesundheit sowie
Prävention von Gewalt.
Weitere Informationen unter
www.gkv-spitzenverband.de
Die Vielzahl an bewegungsförderlichen Angeboten für ältere Menschen, die in Berlin bereits vorhanden ist, hat die 2016/2017 durchgeführte Interventionsberichterstattung (IBE)
„Bewegung im Alter“ der LGK gezeigt: 1.408
Angebote der LGK-Mitglieder sowie ihrer Unterorganisationen – etwa der Sportvereine
– und geförderten Einrichtungen – etwa der
Stadtteilzentren – wurden im Rahmen der IBE
erhoben und sozialräumlich ausgewertet. Als
Vertreter der Fachstelle für Prävention und
Gesundheitsförderung im Land Berlin stellte
Stefan Weigand die Ergebnisse der IBE vor und
wies darauf hin, dass bereits ein knappes Drittel der Angebote in Kooperation stattfinden.
Die bestehenden Kooperationen sind relativ
Interventionsberichterstattung (IBE) „Bewegung im Alter“ –
Bezirkliche Verteilung der Angebote am Bsp. Pankow
Quelle: IBE-Bericht 2016
27
divers, die P
artnerinnen und Partner reichen
von Quartiersmanagements über Seniorenheime und JobCenter hin zu Selbsthilfegruppen,
Kliniken sowie Wohnungsbaugesellschaften.
Für bestimmte Zielgruppen, z. B. Menschen
mit Demenz oder Menschen mit Migrationshintergrund, bestehen noch wenige Kooperationen. Im Auswertungsbericht der IBE wird
daher empfohlen, solche Kooperationen für
spezifische Zielgruppen auszubauen, sowie
systematisch Pflegeheime und Kliniken als Kooperationspartner für bewegungsförderliche
Angebote in Betracht zu ziehen. Prävention in
der stationären Pflege muss jedoch dem Ansatz der Gesundheitsförderung in Lebenswelten (Settings) folgen. Die Vorlage eines Konzepts, nach den Kriterien des Leitfadens, bildet
hier die Grundlage für die Förderung durch die
Pflegekassen.
Anhand von zwei Beispielen wurde dargelegt,
wie Bewegungsangebote gemeinschaftlich in
die Praxis umgesetzt werden können. Markus
Runge vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße
e. V. stellte das Projekt „Bewegung, Mobilität
und soziale Teilhabe älterer Menschen im Rahmen vernetzter Arbeit im Sozialraum fördern“
vor, an dem folgende Kooperationspartner
beteiligt sind: AOK Nordost, Senatsverwaltung
für Inneres und Sport, Senatsverwaltung für
Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V., Bezirksamt
Friedrichshain-Kreuzberg, Nachbarschaftshaus Urbanstraße e. V. Das Projekt wird vom
Netzwerk „Für mehr Teilhabe Älterer in Kreuzberg“ getragen, das Facheinrichtungen, aber
auch Nachbarschaftsinitiativen sowie die FreiwilligenAgentur und die bezirkliche Seniorenvertretung umfasst. Ziel des Vorhabens ist es,
Multiplikatorinnen und Multiplikatoren einzubinden, die Nachbarschaft zu sensibilisieren,
und ältere Menschen direkt anzusprechen. Zur
Förderung der Bewegungskompetenzen älterer Menschen wurde eine Qualifizierungsreihe
zum Thema Alltagsaktivierung initiiert, zu der
auch ein Handbuch mit Bewegungsübungen
und zusammenfassenden Informationen zu
den anderen Modulinhalten entwickelt wird.
Mit gut besuchten Kiezspaziergängen werden
die Menschen im doppelten Sinne in Bewegung gesetzt: die Thematisierung der Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums, etwa
28
hinsichtlich Barrierefreiheit, Verkehr und Toilettensituation, verschafft den Spaziergängen
eine partizipative und aktivierende Dimension.
Weitere Elemente wie eine Fahrradrikscha und
ein geplantes Freiwilligenprojekt zur Förderung
der Mobilität älterer Menschen runden die bewegungsförderliche Landschaft des Kreuzberger Netzwerkes ab.
Wie aus Sicht der Pflegekassen die Umsetzung des erwähnten Präventionsleitfadens in
die Praxis gelingen kann, stellten Ann-Kristin
Krick und Rebecca Zeljar vom vdek – Verband
der Ersatzkassen Landesvertretung Berlin/
Brandenburg vor. Die gesetzlichen Pflegekassen haben den Auftrag erhalten, den Einrichtungen entsprechende Beratungsangebote zur
Gesundheitsförderung anzubieten und bei der
Umsetzung von Maßnahmen zu unterstützen.
Im Handlungsfeld körperliche Aktivität sollte
folgende Frage im Fokus stehen: Welche Angebote und alltäglichen Übungen sind geeignet,
damit pflegebedürftige Menschen möglichst
lange beweglich bleiben können? Ziel ist, dass
die Pflegeheime mithilfe der Beratung durch
die Pflegekassen vorhandene Möglichkeiten
zur Gesundheitsförderung von Bewohnerinnen und Bewohnern effektiv nutzen können.
Ebenso spielt es eine große Rolle, wie sich die
Organisation gesundheitsförderlich ausrichten kann. An der Maßnahmenentwicklung
sollen die Bewohnerinnen und Bewohner mit
ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen aktiv beteiligt werden. Die Maßnahmen zielen auf den
Ausbau von gesundheitsförderlichen Strukturen (Verhältnisprävention) ab und können
auch Maßnahmen in den Handlungsfeldern
beinhalten (Verhaltensprävention). Zur Unterstützung des Prozesses können zusätzlich
Angehörige und das sonstige Umfeld einbezogen werden. Um diese Ziele zu erreichen wird
empfohlen, eine Arbeitsgruppe zur Steuerung
der Prozesse zu bilden oder bereits vorhandene
Teamstrukturen und Partnerschaften zu nutzen. Für die Einführung der Gesundheitsförderung und Prävention in Pflegeheimen wird
in Zusammenarbeit mit den Pflegekassen ein
entsprechendes Konzept für die Einrichtung
erstellt. Bei der vdek-Landesvertretung Berlin/
Brandenburg besteht die Bereitschaft, Projekte
nach dem Leitfaden Prävention in stationären
Pflegeeinrichtungen mit interessierten Pflege-
Gesund altern
einrichtungen zu entwickeln.
Wie können sich Quartiere für stationäre
Einrichtungen öffnen?
In den Statements des anschließenden Podiums, wie auch aus dem Publikum, wurde
betont, wie wichtig ein erweiterter Gesundheitsbegriff ist, der gesellschaftliche Teilhabe
immer mitdenkt. Bewegungsangebote sollten
daher nicht isoliert für sich stehen, sondern
stets die soziale Dimension mitdenken, etwa
im Anschluss an die Übungen alle Teilnehmenden zum Kaffee einladen. Durch das Kennenlernen im lockeren Rahmen kann dann auch ein
Interesse an weiteren Angeboten des Heimes
– sei es Singen oder Stricken – entstehen und
freundschaftliche Bande geknüpft werden. Generell sollten offene Türen in beide Richtungen
signalisiert werden: sowohl bei der Öffnung der
Angebote in Heimen für ältere Menschen aus
dem umliegenden Quartier, als auch indem
Heime mit ihren Angeboten ins Quartier selbst
gehen. So können z. B. niedrigschwellige Bewegungsangebote im öffentlichen Raum mit
Menschen aus dem Heim und dem Quartier
gestaltet werden und damit nicht zuletzt vorherrschende normative Altersbilder produktiv
irritiert werden. In diese Richtung geht auch
das Förderprogramm „Sport im Park“ der
Senatsverwaltung für Inneres und Sport, das
nach einer Probephase nun 2018 in alle Bezirke
ausgerollt werden soll.
Deutlich wurde: das Pflegeheim ist eine wichtige Lebenswelt für ältere Menschen, in der
eine Vielzahl von Optionen für bewegungsförderliche Angebote besteht. Mit dem GKV-
WELCHE PARTNER BRAUCHT ES?
n
Gesetzliche Krankenkassen/Pflegeversicherung
n
Pflegeheime
n
Bezirksämter
n
Geriatrisch-Gerontopsychiatrische Verbünde
n
Pflegestützpunkte
n
Mobilitätshilfedienste
n
Seniorenvertretungen/Lotsen/Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
n
Senioren- und Stadtteilzentren
n
Sport- und Gesundheitsvereine
Leitfaden ist eine nachhaltige Fördergrundlage
vorhanden. Doch es ist noch nicht alles Gold,
was glänzt: Ressourcen für Koordination und
Durchführung der Angebote sind wichtig und
müssten zukünftig einfacher verfügbar sein.
Haftungsrechtliche Fragen sind gerade bei
der Einbindung externer Teilnehmender zu
klären, und auch die Qualität der Angebote
ist aufgrund der bisher noch wenig evaluierten Erfahrungen noch ausbaufähig. Gerade
um Zugang für sozial benachteiligte Ältere zu
schaffen, sollten Vertrauenspersonen, etwa
aus den Seniorenvertretungen und Heimbeiräten, einbezogen werden, welche die Angebote
über persönliche Kontakte weiterempfehlen.
Solche komplexen Herausforderungen gelingen am Besten in einem Netzwerk, in dem viele Partnerinnen und Partner kooperieren. Das
Präventionsgesetz hat hierfür die Stoßrichtung
und nicht zuletzt die finanziellen Rahmenbedingungen vorgezeichnet, die nun in der Praxis
gestaltet werden können.
Kooperationen zwischen Pflegeeinrichtungen und Sportvereinen mit dem Ziel,
mehr Bewegung für hochbetagte Menschen zu initiieren,
bedürfen einer guten Abstimmung auf Augenhöhe. Kompetenzen und Ressourcen
beider Partner sollen synergetisch genutzt werden.
Dabei spielen qualifizierte Trainerinnen und Trainer für die Umsetzung von
Bewegungsangeboten für diese Zielgruppe eine zentrale Rolle, da unterschiedliche
Krankheitsbilder im Alter immer präsenter werden.
(Katja Sotzmann, Landessportbund Berlin)
29
Gesund leben in der Kommune
Fachforum 4
Die Kommune ist ein besonders wichtiges Setting, um auch schwer erreichbare Zielgruppen zu erreichen. Krankenkassen
fördern in diesem Zusammenhang insbesondere Leistungen auf Grundlage des GKV-Leitfadens Prävention. Die genauere
Ausgestaltung der Lebenswelt Kommune auf Grundlage des Präventionsgesetzes ist jedoch noch offen. Wie können trägerund kassenübergreifende Kooperationen aufgebaut werden, damit kommunale Akteurinnen und Akteure bei der Umsetzung
von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung unterstützt werden?
Zentrale Ergebnisse
n
„Gesund
leben in der Komme“ bedeutet: das „große Ganze“ und alle – vom Senat bis in die Quartiere
– im Blick behalten. Eine „gesunde Kommune“ ist eine strategisch geplante, integrierte Strategie in
kommunaler Hand.
n
Bereits aufgebaute Strukturen (z. B. Gesundheitskonferenzen, Präventionsketten, Gesundheitszielepro-
zesse) für Prävention und Gesundheitsförderung in den Bezirken können gute Rahmenbedingungen und
damit günstige Fördervoraussetzung für Krankenkassen im Rahmen des Präventionsgesetzes bieten.
n
Bezirke und kommunale Agierende sind Expertinnen und Experten für lokale Bedarfe im Bereich Gesund-
heitsförderung und Prävention.
n
Die GKV kann und sollte über die Mitwirkung in bezirklichen Steuerungsrunden in Prozesse einbezogen
werden.
n
Bezirke und kommunale Agierende müssen stärker zu aktuellen Entwicklungen und Fördermöglichkei-
ten im Rahmen kommunaler Gesundheitsförderung informiert und einbezogen werden. Sie benötigen
Unterstützung, Beratung und Begleitung.
n
Bürgerinnen und Bürger müssen im Sinne einer „gesunden Stadt“ zu mehr Teilhabe, Mitgestaltung und
Selbstbestimmung ermächtigt werden: durch Empowerment und Selbstbestimmung zum gesundheitsförderlichen Setting.
Referierende
Merle Wiegand und Dr. Volker Wanek, GKV-Spitzenverband
Dr. Sandra Born, Bezirksamt Lichtenberg von Berlin
Lisa Rösch, Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit
Tanja Götz-Arsenijevic, Bezirksamt Spandau von Berlin
Mario Nätke, Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin
Michael Reese, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin
Moderierende: Dr. Levke Quabeck, Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin und
Dagmar Lettner, Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
30
Gesund leben
Wie unterstützt das Präventionsgesetz bei
der Koordination von Prävention und Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene? So
die Leitfrage des Fachforums. Die Rolle des
Settings Kommune ist im Präventionsgesetz
bisher unklar definiert. Gleichzeitig beschreibt
die Bundesrahmenempfehlung die Kommune
als eine besonders wichtige Lebenswelt, um
beispielsweise schwer erreichbare Zielgruppen
zu erreichen (z. B. ältere und erwerbslose Menschen). Die bisher noch fehlenden Rahmenbedingungen (u. a. Konzept zum Setting Kommune der Nationalen Präventionskonferenz)
zur Umsetzung von Aktivitäten im Bereich
Prävention und Gesundheitsförderung lassen
noch viele Fragen bei engagierten Akteurinnen
und Akteuren offen. Das Fachforum versuchte,
diesen mit einem Beitrag des GKV-Spitzenverbands und einer beteiligungsorientierten Diskussionsrunde zu begegnen.
Engagement der Gesetzlichen
Krankenversicherung in der
kommunalen Prävention und
Gesundheitsförderung
In ihrem Beitrag legen Merle Wiegand und Dr.
Volker Wanek vom GKV-Spitzenverband den
Fokus auf das Engagement der gesetzlichen
Krankenversicherung in der kommunalen Gesundheitsförderung und Prävention. Im Zuge
des Präventionsgesetzes verzeichnen die lebensweltbezogenen Präventions- und Gesundheitsförderungsleistungen im GKV-Leistungsspektrum einen deutlichen Aufschwung: 2016
ist die Zahl der von Krankenkassen unterstützten Lebenswelten um knapp die Hälfte, die Zahl
der mit diesen Maßnahmen direkt erreichten
Menschen um etwa ein Drittel gestiegen. Ein
großer Teil dieser Maßnahmen kommt in
Projekten mit kommunaler Verankerung und
Koordination zur Geltung (vgl. Präventionsbericht 2017). In der kommunalen Gesundheitsförderung und Prävention durch Krankenkassen kann ein kassenübergreifendes Vorgehen
sinnvoll sein, es ist jedoch nicht zwingend.
Die gesamte Lebensweltprävention von Krankenkassen kann schon aus organisatorischen
Gründen nicht in kassenübergreifender Form
erbracht werden; wenn erst der Konsens aller
110 Krankenkassen eingeholt werden müsste,
wären Schwerfälligkeit und Verzögerungen
beim Eingehen auf akute Bedarfslagen die
Folge. Zudem ist durch die Regelungen des
GKV-Leitfadens Prävention sichergestellt, dass
Leistungen von einzelnen Krankenkassen in
Lebenswelten immer allen dort anzutreffenden Menschen ohne Ansehen der Kassenzugehörigkeit zur Verfügung stehen. Im Rahmen
der Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gem. § 20a
Abs. 3 und 4 SGB V ist die Unterstützung von
Kommunen ein Schwerpunkt. Insgesamt werden derzeit Maßnahmen zu neun verschiedenen Aufträgen im Rahmen des GKV-Bündnis
für Gesundheit (Dachmarke für alle Maßnahmen der BZgA-Beauftragung nach § 20a Abs.
3 und 4 SGB V) bearbeitet. Dazu gehören die
Unterstützung kommunaler Strukturen, u. a.
über die Förderung der Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit in den
Bundesländern und anwendungsorientierte
Forschung in den Bereichen Prävention und
Gesundheitsförderung. Im Bereich der Gesundheitsförderung bei vulnerablen Gruppen
werden Interventionen für Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende und ältere Menschen
(weiter-)entwickelt. Einen besonderen Fokus
erfährt die Verzahnung von Gesundheits- und
Arbeitsförderung im Rahmen der bundesweiten
Kooperation zwischen der GKV und Jobcentern
bzw. Bundesagenturen für Arbeit (siehe S. 25).
Für die Koordination und Steuerung all dieser
Ansätze bieten aufgebaute Steuerungs- und
Koordinationsstrukturen für Prävention und
Gesundheitsförderung in den Bezirken gute
Rahmenbedingungen. Trotz des verstärkten
Engagements der GKV sollte nicht aus dem
Blick geraten, dass Prävention und Gesund-
31
heitsförderung gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind. Im Rahmen des Präventionsgesetzes
sind daher sogenannte „Gleisanschlussstücke“
neben der GKV zu identifizieren, zu adressieren und in die Pflicht zu nehmen, da die GKV
nicht alleiniger Förderer von entsprechenden
Leistungen ist.
Herausforderungen und
Gelingensfaktoren auf dem Weg zu
einer „gesunden Kommune“
Im Rahmen einer Fishbowldiskussion diskutierten Dr. Levke Quabeck von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und Dagmar Lettner von Gesundheit
Berlin-Brandenburg e. V. mit unterschiedlichen
Akteuren den Begriff und das Verständnis einer
„gesunden Kommune“. Dabei wurde deutlich,
dass „eine gesunde Kommune weit mehr ist,
als eine körperlich aktive, ernährungsbewusste oder „durchgeimpfte“ Kommune“1. Sie sollte
„nicht nur als Behälterraum, d. h. als Sammelbecken für alle möglichen Interventionen“2 definiert werden, sondern als strategisch geplante, integrierte Strategie in kommunaler Hand
(Stichwort: Präventionsketten).
Die Fishbowldiskussion startete mit Impulsbeiträgen aus den einzelnen Bezirken, die
über ihre Arbeit im Rahmen integrierter kommunaler Strategien berichteten und darüber,
wie die GKV bisher einbezogen werden konnte.
Als hilfreich hat sich hier u. a. die Einbindung
von Vertretungen der GKV in bezirkliche Steuerungsrunden erwiesen. Um Angebote vor Ort
bedarfsgerecht umsetzen zu können, ist es
oft erforderlich, auch im Detail die Förderfähigkeit im Rahmen des Leitfadens Prävention
1 Schlicht, Zinsmeister 2015
2 Gesine Bär auf dem Präventionsforum 23.10.2017
Bundesrahmenempfehlungen
Ziele und Zielgruppen
Gesund
aufwachsen
Gesund leben
und arbeiten
Gesund
im Alter
• werdende und junge Familien
• Kinder und ihre Eltern in der Kita-Phase
• Kinder und Jugendliche im Schulalter/in der Ausbildung
• Jugendliche und junge Erwachsene im Studium
• Erwerbstätige/Beschäftigte
• kleine und mittlere Unternehmen und ihre Beschäftigten
• Arbeitslose
• ehrenamtlich Tätige
Integrierte
kommunale
Strategien
• Personen in der nachberuflichen Lebensphase
• Personen in der stationären pflegerischen Versorgung
Schlüsselstellung der Kommunen für soziallagenbezogene Gesundheitsförderung
und Prävention in Lebenswelten
Quelle: GKV-Spitzenverband
32
Gesund leben
uszuloten. Die „Clearingstelle Gesundheit für
a
Quartiere der Sozialen Stadt“ zeigt modellhaft,
wie solche Prozesse mit Lerneffekt aussehen
können. In Teilen sollten neue, kreative Kooperationen eingegangen werden, die neue Blickwinkel für alle Beteiligten ermöglichen.
Weitere Diskussionsschwerpunkte:
n
K ommunalen
Akteuren stehen häufig
nur geringe personelle Ressourcen für die
Umsetzung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention im Bezirk/
Quartier zur Verfügung. Jedoch sind Personalkosten zur Projektumsetzung häufig
nicht leitfadenkonform.
n
Von
der Gesundheitsförderung im Setting
hin zu einem gesundheitsförderlichen Setting. Das kann mit der Stärkung von Empowerment und Selbstbestimmung gelingen.
Doch wer macht sich für diese Themen
stark?
n
W
ie kann es gelingen, außerhalb von Strukturen und Projekten umfassend in Richtung „gesunde Stadt“ für alle zu denken
und Bürgerinnen und Bürger zur Teilhabe, Mitgestaltung und Selbstbestimmung
zu ermächtigen? Welche Rolle könnten/
sollten bei der Gesundheitsförderung lebendige Prozesse wie „Community Organizing“ spielen, bei denen Partizipation und
bedarfsgerechte Projekte entstehen? Die
Einbindung von existierenden Vertretungsstrukturen, z. B. Eltern, Schülerinnen und
Schüler, Seniorinnen und Senioren, kann
hier ein Anfang sein. Die Fördermodalitäten
folgen jedoch häufig nicht diesem Prozess.
Hier braucht es einen aktiven Dialog.
Zum Ende der Veranstaltung wehte ein „Geist
von Ottawa“ durch den Raum, der zur Mitgestaltung gesundheitsförderlicher Strukturen
mit und für alle Bürgerinnen und Bürger einlud.
33
Abschlussdiskussion
Im Fokus der Podiumsdiskussion standen folgende Fragen: Welche Schwerpunkte werden
bei der Umsetzung des Präventionsgesetzes in Berlin gesetzt? Welche Rolle spielen hierbei
die Berliner Gesundheitsziele? Wie können neue und verbindliche Kooperationsformen
vorangebracht werden? An welchen Punkten bedarf es einer Stärkung der Koordination
von Prävention und Gesundheitsförderung in Berlin?
Boris Velter, Staatssekretär für Gesundheit Berlin
Die Landesrahmenvereinbarung und die weiteren Strukturen
sind Instrumente, die dazu führen sollen, dass es am Ende des
Tages möglichst vielen Menschen besser geht. In diesem Sinne
ist meine Perspektive auf Prävention und Gesundheitsförderung
eine sehr praxisorientierte: Wichtig ist, dass die Angebote wirken
und etwas bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt.
In den Verhandlungen zur Landesrahmenvereinbarung haben
wir daher intensiv um die Frage gerungen, wie wir möglichst koordiniert vorgehen können, und
welche Steuerungsgremien es dafür braucht. Wir haben eine sehr partnerschaftliche und gute Lösung gefunden, um verbindlicher zu arbeiten. Die Umsetzung wird ein Prozess, der viele Beteiligte
erfordert.
34
Abschlussdiskussion
Susanne Hertzer, Leiterin Techniker Krankenkasse BerlinBrandenburg
Die LGK ist ein Gremium, um das wir bundesweit beneidet werden. Hier Parallelstrukturen zu schaffen wäre nicht sinnvoll.
Vor dem Hintergrund des Präventionsgesetzes und mit der
Landesrahmenvereinbarung im Rücken werden wir uns noch
stärker um Kooperationen bemühen. Damit haben wir in Berlin
schon gute Erfahrungen gemacht, beispielsweise mit dem Landesprogramm „Kitas bewegen – für die gute gesunde Kita“. Die
Kitas dort zeigen sehr anschaulich, wie der Setting-Ansatz in der Praxis gelebt werden kann. Ein
solcher Erfolg kann nur gelingen, wenn sich wie im Landesprogramm verschiedene Partnerinnen
und Partner zusammentun und an einem Strang ziehen. Wenn nur die Senatsverwaltung und die
Krankenkassen sich im stillen Kämmerlein abstimmen würden, hätten wir vielleicht schneller eine
Prioritätensetzung – aber ob die auch sinnvoll wäre? Gesetze sollten nicht bloß auf dem Papier
stehen, wir müssen ihnen Leben einhauchen und gemeinsam die Anliegen nach vorne bringen. Wir
müssen es schaffen, dass sich alle miteinander an einen Tisch setzen, partnerschaftlich handeln
und gemeinsam Prioritäten setzen.
Andrea Möllmann-Bardak, stellv. Geschäftsführerin
Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Ein stärker aufeinander abgestimmtes Handeln ist sehr zu begrüßen. Wichtig ist es, sich auf Ziele und Themen zu einigen
sowie über Vorhaben abzustimmen, ohne aber die Vielfalt vor
Ort zu vergessen. In den Bezirken herrschen sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen. Man darf nicht davon ausgehen,
dass aufgrund des Präventionsgesetzes „Gesundheit“ das TopThema in den Bezirken ist – dort laufen parallel noch zahlreiche
andere Prozesse, z. B. im Bildungsbereich, im Bereich Stadtentwicklung, etc. Wichtig ist daher, es
den Akteuren vor Ort ein Stück weit leichter zu machen, Maßnahmen umzusetzen, an Fördermittel, z. B. im Rahmen des Präventionsgesetzes zu kommen und Prozesse zu koordinieren. Die
Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit unterstützt die Bezirke in diesem Sinne
beim Aufbau von integrierten, kommunalen Strategien für Gesundheitsförderung, auch „Präventionsketten“ genannt. Sowohl wenn es darum geht, die Ressorts – von Jugend über Soziales bis
Stadtentwicklung – mit an den Tisch zu holen, bei der Qualitätsentwicklung und -sicherung, aber
auch dabei, Transparenz über Fördermöglichkeiten herzustellen.
Katrin Framke, Bezirksstadträtin für Gesundheit,
Bezirk Lichtenberg
Lichtenberg ist ein Bezirk, der sehr schnell wächst. Wir haben in
den letzten Jahren 25.000 neue Einwohnerinnen und Einwohner
dazu gewonnen – also eine komplette Kleinstadt. Am stärksten
gewachsen ist der Anteil der Kinder von 0 bis 6 Jahren sowie
der älteren und hochaltrigen Menschen. Die Kommunen sind
wesentlich daran beteiligt, die Lebenswelten der Bürgerinnen
und Bürger zu gestalten. Eine wichtige Frage ist derzeit, wie wir
Grundstücke für neue Kitas und Schulen finden. Solche grundlegenden Herausforderungen beein-
35
flussen natürlich auch die Frage, was an präventiven Ansätzen umgesetzt werden kann. Gerade
in einem Bezirk mit einer mitunter schwierigen Sozialstruktur ist es wichtig zu schauen, wie wir
die Menschen erreichen. Dazu konzeptionieren wir gerade ein Lotsenprojekt in einer Gegend mit
vielen Hochhäusern. Bisher hatten wir häufig das Problem, dass solche und ähnliche Programme
nur kurzfristig finanziert wurden. Vom Präventionsgesetz erhoffen wir uns kontinuierliche Förderungen und damit eine Verlässlichkeit in der Planung, die nicht der Behörde, sondern der Bürgerschaft zu Gute kommen soll. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich darauf verlassen können,
dass es bestimmte Angebote auch im nächsten Jahr noch gibt, und sie sich nicht permanent neu
orientieren müssen.
Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin Paritätischer
Wohlfahrtsverband Berlin-Brandenburg/LIGA der
Wohlfahrtsverbände
Der präventive Ansatz ist grundlegend sinnvoll, nicht zuletzt,
weil Vorbeugen preiswerter ist als Versorgen. Wir müssen allerdings genau definieren, was mit Prävention gemeint ist. Gerade
für ältere Menschen ist Einsamkeit ein hoher Risikofaktor für
Krankheit und frühzeitige Mortalität. Ein fortgeschrittenes Verständnis von Prävention fragt danach, was getan werden kann,
um diese Menschen aus der Vereinsamung rauszuholen. Hier muss man sich auch mit den älteren
Menschen auseinandersetzen und ihnen zuhören. Dann werden Bedarfe geäußert, die erstmal gar
nicht im Fokus von Projekten sind, z. B. mehr Parkbänke zu haben, um längere Strecken zu Fuß
gehen zu können und damit überhaupt zum Präventionsangebot zu kommen. Das kleine Beispiel
zeigt: man kann sich am grünen Tisch viel ausdenken – wenn jedoch niemand von den Maßnahmen
erreicht wird, dann haben wir auch nichts von einem schönen Präventionsgesetz. Der größte Teil
der Mittel, die durch das Präventionsgesetz bereitgestellt wurden, sollte für die operative Umsetzung eingesetzt werden. Die Parkbank ist für mich daher ein Synonym für sauberes Wirkungsmanagement von Beginn an. Und Wirkung kann nicht entfaltet werden, wenn die Zielgruppe nicht
definiert und einbezogen wird. In der Community der Menschen mit Behinderung gibt es dafür den
schönen Leitsatz „Nicht über uns – ohne uns“.
36
Abschlussdiskussion
37
Rück- und Ausblick
Boris Velter, Staatssekretär für Gesundheit, Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Diskutantinnen und Diskutanten,
ich möchte noch einmal an die Triebfeder erinnern, die mich und wahrscheinlich auch viele
von Ihnen umtreibt. Warum arbeiten wir so
intensiv an den Themen Prävention und Gesundheitsförderung? Wir wissen, dass es einen
Zusammenhang zwischen Bildungschancen
und sozialer Herkunft gibt. Seit gut 15 Jahren
belegen wissenschaftliche Studien zudem eine
deutliche Korrelation zwischen der ökonomischen Potenz und den Gesundheitschancen.
Diese Ressourcen sind in Berlin zum Teil extrem ungleich verteilt. Es gibt Bezirke, in denen
38
die Lebenserwartung zwei Jahre höher liegt
als in anderen Bezirken. Sichtbar wird dies
u. a. anhand von Zahlen zu Unfällen im Haushalt oder im Straßenverkehr sowie bei den
Raten akuter und chronischer Erkrankungen.
Diese Erkenntnisse sollten verstärkt in politische Entscheidungen, die Sozialversicherung
betreffende Prozesse oder in andere Systeme
einfließen. Neben der Kuration und Rehabilitation sollte sich auch die Prävention stärker
an diesen Erkenntnissen ausrichten. Das gemeinsame Ziel von Gesetzen, Verordnungen
und Projekten ist damit gesetzt: Abbau der
gesundheitlichen Ungleichheit. Daneben soll-
Rück- und Ausblick
te auch eine Veränderung der sozialräumlich
zum Teil sehr unterschiedlichen Versorgungssituation angestrebt werden. Es reicht nicht,
wenn die Apotheke in der Nähe ist, aber das
Medikament nicht bei denjenigen landet, die
es tatsächlich brauchen. Am Ende muss es uns
um die Lebensrealität von Menschen und um
die Verbesserung der Gesundheitschancen aller Berlinerinnen und Berliner gehen. Mithilfe
von engagierten Bürgerinnen und Bürgern,
Professionellen aus Lebenswelten wie Kita
und Schule und sonstigen Verantwortlichen
sind die Prozesse bereits nah an den Menschen
dieser Stadt. Die Landesgesundheitskonferenz
unterstützt die Akteurinnen und Akteure nicht
zuletzt bei der Erhebung der bestehenden
Bedarfe und vorhandenen Angebote. Damit
leistet die Landesgesundheitskonferenz einen
wesentlichen Beitrag und kann als Plattform
für weitere erfolgreiche Kooperationen dienen.
Die hier anwesenden Expertinnen und Experten
arbeiten bereits sehr lange am Thema der Prävention gesundheitlicher Ungleichheit und sind
heute in einen intensiven Austausch getreten.
Eine solche lebendige und engagierte Diskussion wünsche ich mir auch weiterhin. Ich möchte diesen Tag gerne schließen mit einem ganz
herzlichen Dank an Sie, die maßgeblich an der
Umsetzung des Präventionsgesetzes beteiligt sind und sich tatkräftig für die inhaltliche
Unterstützung einsetzen, sowie an alle Mitarbeitenden von Gesundheit Berlin-Brandenburg
e. V. für die Organisation des heutigen Tages.
39
Projektmesse
der 14. Landesgesundheitskonferenz
In diesem Jahr hatten interessierte Institutionen die Möglichkeit, Kooperationsmodelle und -vorhaben auf Berliner Bezirks- sowie Landesebene im Rahmen des Präventionsgesetzes zu präsentieren. Mithilfe zahlreicher Informationsmaterialien wurde der Austausch mit den Teilnehmenden
gefördert.
Folgende Institutionen waren vertreten:
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n
AOK Nordost
n
BARMER
n
BGF-Koordinierungsstelle Berlin
n
Cluster Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg HealthCapital
n
Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH
n
Koordinierungsstelle
n
Landessportbund Berlin e. V.
n
SEKIS Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle/Kompetenzzentrum Pflegeunterstützung
n
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Land Berlin
Gesundheitliche Chancengleichheit | Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin | Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
Projektmesse
54 Referierende und Moderierende
4 parallele Fachforen
87% hat das Programm sehr
gut oder gut gefallen
270 Teilnehmende
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Die LGK und ihre Mitglieder
Die Landesgesundheitskonferenz besteht seit
dem Jahr 2004 und wurde 2006 im Gesetz über
den öffentlichen Gesundheitsdienst (Gesundheitsdienst-Gesetz) verankert. Sie stellt eine an
Regeln gebundene Form der Zusammenarbeit
der örtlichen Akteurinnen und Akteure aus dem
Gesundheitswesen, der Politik, der Verwaltung,
dem Bildungswesen und weiteren relevanten
Bereichen dar. Diese stellen ihre Expertise und
ihre Kompetenz gemeinsam in den Dienst der
Ziele der Landesgesundheitskonferenz.
Zentrales Anliegen der LGK ist es, die gesundheitlichen Lebensbedingungen in Berlin, die
gesundheitliche Versorgung und die gesundheitliche Lage der Berliner Bevölkerung zu verbessern. Dazu ermitteln und priorisieren die
Mitglieder der LGK relevante Problemfelder der
gesundheitlichen Versorgung in Berlin und formulieren Gesundheitsziele. Ziel dieser an die
Regierung des Landes Berlin gerichteten gesundheitspolitischen Empfehlungen ist es, die
sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen abzubauen. Die Umsetzung erfolgt im
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Rahmen der Selbstverpflichtung ihrer Mitglieder. Die Mitglieder der Landesgesundheitskonferenz werden durch das für das Gesundheitswesen zuständige Mitglied des Senats berufen.
Die Landesgesundheitskonferenz verständigt
sich auf Basis freiwilliger Übereinkunft zu gemeinsamen Strategien für ein gesundes Berlin.
30 Berliner Institutionen und Verbände sind
derzeit Mitglied der Landesgesundheitskonferenz.
Die Landesgesundheitskonferenz hat in ihrer
Geschäftsordnung die Berücksichtigung von
Gender Mainstreaming verankert. Für ihre Aktivitäten bedeutet dies, die Gesundheit aller in
Berlin lebenden Menschen zu fördern, dabei
jedoch bewusst die vielfältigen Lebenslagen
von Frauen und Männern unterschiedlicher
Herkunft, Menschen verschiedener sexueller
Identität und Menschen mit unterschiedlichen
Begabungen oder Behinderungen zu reflektieren und in ihren Entscheidungen und Angeboten zu berücksichtigen.
Mitglieder der LGK
Die Mitglieder der Landesgesundheitskonferenz werden durch die Gesundheitssenatorin/den Gesundheitssenator berufen. Die Landesgesundheitskonferenz tagt unter ihrem/seinem Vorsitz und
verständigt sich auf Basis der freiwilligen Selbstverpflichtung zu gemeinsamen Strategien für ein
gesundes Berlin. 30 Berliner Institutionen und Verbände sind derzeit Mitglied der Landesgesundheitskonferenz.
n
Ärztekammer Berlin
n
AOK Nordost – Die Gesundheitskasse
n
Berlin School of Public Health
n
Berliner Krankenhausgesellschaft e. V.
n
Bezirke (vier für G
esundheit zuständige Bezirksstadträte oder -stadträtinnen)
n
BIG direkt gesund
n
BKK-Landesverband Mitte
n
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung Landesverband Nordost
n
Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg
n
DGB Bezirk Berlin-Brandenburg
n
Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.
n
Handwerkskammer Berlin
n
IKK Brandenburg und Berlin
n
IHK Berlin
n
Kassenärztliche Vereinigung Berlin
n
Kassenzahnärztliche Vereinigung Berlin
n
Knappschaft-Bahn-See R
egionaldirektion Berlin
n
Landessportbund Berlin e. V.
n
LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin
n
Patientenbeauftragte des Landes Berlin
n
Psychotherapeutenkammer Berlin
n
Selbsthilfe Kontakt- und
n
Senatsverwaltung für Bildung,
n
Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung
n
Senatsverwaltung für Inneres und Sport
n
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales
n
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen
n
Unternehmensverbände
n
vdek – Landesvertretung Berlin/Brandenburg
n
Zahnärztekammer Berlin
(BKG)
Informationsstelle (SEKIS)
Jugend und Familie
Berlin-Brandenburg
Stand 2017
43
Über die Fachstelle
Aufgaben der Fachstelle
Seit 2008 übernimmt die Fachstelle eine
Reihe von Aufgaben im Auftrag der für
Gesundheit zuständigen Senatsverwaltung.
Geschäftsstellenfunktion der
Landesgesundheitskonferenz Berlin:
Die Fachstelle für Prävention und Gesund
heitsförderung unterstützt die Landesgesund
heits
konferenz Berlin in ihrer Arbeit. Die
Fachstelle verknüpft die Arbeit der Lan
desgesundheitskonferenz mit den Aktivitäten
vieler weiterer Akteurinnen und Akteure in
Berlin und fördert so den gesundheitspolitischen Dialog. Ein Schwerpunkt dabei ist,
durch Prävention und Gesundheitsförderung
die Gesundheit und Lebensbedingungen der
multikulturellen Berliner Bevölkerung zu verbessern. Dies gilt besonders für Menschen in
schwierigen Lebenssituationen: Hier ist das
Potenzial, durch Gesundheitsförderung und
Prävention Gesundheitsgewinne zu erzielen,
besonders groß. Dies kann nur gelingen,
wenn bereichs- und ressortübergreifend zusammengearbeitet wird wie in der Lan
desgesundheitskonferenz Berlin. Eine der wesentlichen Aufgaben ist es, die Qua
li
tätsentwicklung in der Gesundheitsförderung
durch Qua
lifizie
rungsangebote und fachlichen Austausch zu fördern. Dazu bündelt die
Fachstelle Informationen, Aktivitäten und gute Beispiele in und aus Berlin.
44
n f achliche Unterstützung der Arbeit der
Landesgesundheitskonferenz, zum Bei
spiel bei der Erarbeitung, Umsetzung und
Beobachtung der Gesundheitszielprozesse
n f achliche Vor- und Nachbereitung der
Gremien der Landesgesundheitskonferenz
Berlin, dies sind die Leitungsrunde, der
Steuerungsausschuss sowie die Arbeits
gruppen der Landesgesundheitskonfe
renz
n D
urchführung der jährlich stattfindenden öffentlichen Landesgesundheitskon
ferenz
n K
onzeption und Durchführung thematischer Gesundheitsforen der Landesge
sundheitskonferenz
n Information der Öffentlichkeit über die
Arbeit der Landes
gesundheitskonferenz
und ihrer Schwer
punkte, so wird beispielsweise vierteljährlich der Newsletter
„Gesundheits
förderung aktuell“ herausgegeben, der Informationen aus Land und
Bezirken bündelt.
Über die Fachstelle
Gesundheitszielprozesse unterstützen
n D
ie Fachstelle für Prävention und Gesund
heits
förderung unterstützt die Gesund
heitszielprozesse der Landesgesund
heitskonferenz, indem sie gemeinsam mit
den Mitgliedern sowie weiteren Akteu
rinnen und Akteuren Themen und Hand
lungsfelder auswählt, in denen Gesund
heitsziele formuliert werden. Die Fach
stelle berät dabei die Mitglieder der Lan
desgesundheitskonferenz fachlich und
methodisch und sichert die Ergebnisse.
n D
ie Fachstelle begleitet die Umsetzung
der Gesund
heitsziele in Form eines
Monitorings. Sie stellt dabei u. a. In
formationen und Hinweise zu erfolgreichen Praxis
beispielen, zur Quali
täts
entwicklung sowie zu bewährten Me
thoden der Qua
litätssicherung und des
Qualitätsmanagements zur Verfügung.
Austausch, Verzahnung und Vernetzung
n D
ie Bezirke tragen entscheidend zur
Umsetzung der Berliner Gesundheitsziele
bei. Die Fachstelle führt daher einen regelmäßigen Austausch mit den bezirklichen Organisationseinheiten für Quali
tätsentwicklung, Planung und Koor
dination (QPK) und unterstützt die Bezirke
bei Ziel
prozessen und bezirklichen
Gesundheitskonferenzen.
n A
ufgabe ist auch die Zusammenarbeit
und Unterstützung anderer Gesundheits
förderungsinitiativen, beispielsweise des
Regio
nalverbunds des Gesunde StädteNetzwerks, der Berliner Initiative für gesunde Arbeit (BIGA) oder des Masterplans
Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg.
n D
ie Fachstelle führt des Weiteren zahlreiche Fachveranstaltungen, Gespräche mit
Exper
tinnen und Experten sowie Work
shops durch, um intersektorale und multiprofessionelle Koope
ration zu fördern
und Akteurinnen und Akteure zu qualifizieren.
n W
ichtige Partner sind die Fachstelle für
Sucht
prävention Berlin, die in diesem
Themenfeld zahlreiche Präven
tionsak
tivitäten durchführt sowie das Kompetenz
Zentrum Interkulturelle Öffnung der
Altenhilfe (kom•zen), angesichts der Ziel
setzung, Menschen anderer Herkunfts
länder mit Präventionsangeboten zu erreichen und die Akteurinnen und Akteure
zu sensibilisieren.
Weitere Informationen unter:
www.berlin.gesundheitfoerdern.de