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A<h, Herr Brahm! Er war in früheren Jahren Theater-
kritiker der „Vossis<en Zeitung“ und als solhem verschloß ihm
das Wallnertheater wegen einer der Direktion unliebsamen
Kritik die Thür. Das ist beiläufig auch so ein Unfug, der in
den Beziehungen zwischen Theater und Kritik immer wiederkehrt
und der, wenn die Dinge auf dem rechten Fle>e ständen, auch nicht
einmal mehr wiederkehren dürfte. Die „Vossische Zeitung“ wahrte
die Ehre ihres Kritikers und jtellte ihre Kritiken über das
Wallnertheater ein, aber ihr Kritiker wahrte nicht die Ehre der
„Vossischen Zeitung“ sondern s<hlich sich heimlich in das Wallner-
theater und berichtete über die Vorstellungen desselben für ein
auswärtiges Blatt. Als die „Vossische Zeitung“ ganz zufällig
vahinter kam, warf sie den Menschen zur Thür hinaus. Eine
solche Erfahrung, die selbst einen Shmo> umgebracht hätte, be-
rührte Herrn Brahm gar nicht. „Ueber das ewige Bemoralisiren“,
so tröstete er sich, „die Welt wird nicht durc< ethische Begriffe,
sondern dur< menschliche Nothwendigkeiten regiert; man muß
sie betrachten jenseits von Gut und Böse“. Und so warf sich
Herr Brahm mit seinen zers<hlagenen Gliedern zum Reformator
des deutshen Theaters auf, sitzt heute im Vorstande von, ich weiß
nicht, wie viel „Freien Bühnen“ und orakelt in seinem glülicher
Weise an galoppirender Shwindsucht dahinsiehenden Blättchen
über den Fall Lindau:
Was braucht es weiter für Erklärung, wenn eine kleine Schau-
spielerin, mit schlechter Aussprache, dilettantischem Gebahren, keine
Stellung mehr findet, nachdem sie ihren Protektor verloren: der Herr
hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Auch was Lindau zu Gunsten
der Freundin gethan, ist so ungeheuerlich nicht: er hat seinen Unter-
kollegen „gut instruirt“, er hat sie an Herrn Barnay empfohlen und
an andere Direktoren empfehlen wollen. Das zu erfahren, kann nur
den überraschen, der mit geschlossenen Augen durch die Zeitungswelt
geht: schlimmere Dinge, wir wissen es wohl alle, bringt jeder Tag,
und es ist die pure Heuchelei, nun Einen als Sündenbo> zu nehmen,
ver zufällig das Pech gehabt hat, vertrauensselige Briefe an eine ge-
fährliche Adresse zu schreiben.
Das ist Herr Brahm und dieser Würdige gehört zu den
leuchtendsten „Spißen“ der Berliner Theaterkritik.
Do<h kehren wir zu achtbaren Persönlichkeiten zurü&! Ev-
schre>ender fast noh, als die ers<hre>endsten Thatsachen, ist die
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