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V. Presse und Theater

Full text: Der Fall Lindau / Mehring, Franz (Public Domain)

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A<h, Herr Brahm! Er war in früheren Jahren Theater- 
kritiker der „Vossis<en Zeitung“ und als solhem verschloß ihm 
das Wallnertheater wegen einer der Direktion unliebsamen 
Kritik die Thür. Das ist beiläufig auch so ein Unfug, der in 
den Beziehungen zwischen Theater und Kritik immer wiederkehrt 
und der, wenn die Dinge auf dem rechten Fle>e ständen, auch nicht 
einmal mehr wiederkehren dürfte. Die „Vossische Zeitung“ wahrte 
die Ehre ihres Kritikers und jtellte ihre Kritiken über das 
Wallnertheater ein, aber ihr Kritiker wahrte nicht die Ehre der 
„Vossischen Zeitung“ sondern s<hlich sich heimlich in das Wallner- 
theater und berichtete über die Vorstellungen desselben für ein 
auswärtiges Blatt. Als die „Vossische Zeitung“ ganz zufällig 
vahinter kam, warf sie den Menschen zur Thür hinaus. Eine 
solche Erfahrung, die selbst einen Shmo> umgebracht hätte, be- 
rührte Herrn Brahm gar nicht. „Ueber das ewige Bemoralisiren“, 
so tröstete er sich, „die Welt wird nicht durc< ethische Begriffe, 
sondern dur< menschliche Nothwendigkeiten regiert; man muß 
sie betrachten jenseits von Gut und Böse“. Und so warf sich 
Herr Brahm mit seinen zers<hlagenen Gliedern zum Reformator 
des deutshen Theaters auf, sitzt heute im Vorstande von, ich weiß 
nicht, wie viel „Freien Bühnen“ und orakelt in seinem glülicher 
Weise an galoppirender Shwindsucht dahinsiehenden Blättchen 
über den Fall Lindau: 
Was braucht es weiter für Erklärung, wenn eine kleine Schau- 
spielerin, mit schlechter Aussprache, dilettantischem Gebahren, keine 
Stellung mehr findet, nachdem sie ihren Protektor verloren: der Herr 
hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Auch was Lindau zu Gunsten 
der Freundin gethan, ist so ungeheuerlich nicht: er hat seinen Unter- 
kollegen „gut instruirt“, er hat sie an Herrn Barnay empfohlen und 
an andere Direktoren empfehlen wollen. Das zu erfahren, kann nur 
den überraschen, der mit geschlossenen Augen durch die Zeitungswelt 
geht: schlimmere Dinge, wir wissen es wohl alle, bringt jeder Tag, 
und es ist die pure Heuchelei, nun Einen als Sündenbo> zu nehmen, 
ver zufällig das Pech gehabt hat, vertrauensselige Briefe an eine ge- 
fährliche Adresse zu schreiben. 
Das ist Herr Brahm und dieser Würdige gehört zu den 
leuchtendsten „Spißen“ der Berliner Theaterkritik. 
Do<h kehren wir zu achtbaren Persönlichkeiten zurü&! Ev- 
schre>ender fast noh, als die ers<hre>endsten Thatsachen, ist die 
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