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in den lezten Wochen von theaterkundigen Kollegen, deren persön-
liche Integrität nicht angefochten ist, gesagt worden: „Sie sind
ein Mens< von einer wunderbaren Naivetät und scheinen
mit dem seligen Schiller die Shaubühne no<h für eine moralische
Anstalt zu halten. Das ist fie nie gewesen und das wird sie auch
nie sein. Die Dinge, über welche Sie solhen Lärm s<lagen,
sind immer so gewesen und werden immer so sein.“ Das ist der
Grundton, der mehr oder weniger stark auc< dur die gedruckten
Aeußerungen der Zeitungsstimmen hindur<hklingt, die aus einer
intimen Kenntniß der Bühnenverhältnisse heraus sprechen.
Mit Ausnahmen allerdings. So schreibt der Berliner
Theaterkorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ anläßlich des
Falls Lindau in einem trefflihen Feuilleton über die Berliner
Theaterzustände:
Der Konkurrenzkampf der Privattheater hat zu allerhand Aus-
wüchsen geführt, die auch auf dem Gebiete der Kunstkritik zu Tage
treten, und wenn neulich ein kleiner Theaterdirektor, wie etwa der
Pächter eines Nachtcafes, die Herren Rezensenten zu einer Beleuchtungs-
probe lud, wobei die gefälligsten Damen des Theaters den Gästen
aufwarteten und schön thaten, so ist das nur eine der kleinen Praktiken.
die auch im Großen geübt werden. Ueber direkte Korruption nun, das
heißt über offen geübte Bestechung, können wir uns in Berlin nicht
beklagen ; um so mehr aber über eine rastlose, ungeheuerliche Reklame-
wirthschaft, die bei dem Institut der sogenannten Dramaturgen schon
anfängt, Wir haben ja auch keine Claque in Berlin, das heißt keine
geschäftsmäßig organisirte Einrichtung bezahlter Claqueure, und do) ist
aktenmäßig in' dem Fall Barnay-Kainz festgestellt worden, .daß an einem
Abende an die freiwillige Hausclaque 239 Freikarten vertheilt wurden.
Was ist denn der Berliner Dramaturg in den meisten Fällen? Der
Theaterdirektor engagirt einen Journalisten, der in der Regel ganz
andere Pflichten übernimmt, als die eines Dramaturgen. Nicht der
künstlerische Berather des Direktors, nicht der Mann, der über die Auf-
nahme literarischer Werke zu bestimmen hat, ist sol< ein. Dramaturg,
vielmehr soll der Journalist die Journale und deren Vertreter für das
betreffende Theater „günstig“ zu stimmen versuchen. Es kann also vor-
kommen, daß der Referent eines Berliner Blattes ein ehrliches Urtheil
über eine mittelmäßige Novität abgegeben hat und daß am nächsten
Tage und in den nächsten Wochen die Reklamearbeiten des Herrn
Dramaturgen gerade das Gegentheil der kritischen Anschauungen in die
Presse bringen. Von der Thätigkeit dieser Dramaturgen an bis zur
kriecherischen Demuth vor „tonangebenden“ Kritikern läuft eine einzige
Kette von Mißbräuchen, die nur von den Hoftheatern verschmäht werden.