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V. Presse und Theater

Full text: Der Fall Lindau / Mehring, Franz (Public Domain)

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in den lezten Wochen von theaterkundigen Kollegen, deren persön- 
liche Integrität nicht angefochten ist, gesagt worden: „Sie sind 
ein Mens< von einer wunderbaren Naivetät und scheinen 
mit dem seligen Schiller die Shaubühne no<h für eine moralische 
Anstalt zu halten. Das ist fie nie gewesen und das wird sie auch 
nie sein. Die Dinge, über welche Sie solhen Lärm s<lagen, 
sind immer so gewesen und werden immer so sein.“ Das ist der 
Grundton, der mehr oder weniger stark auc< dur die gedruckten 
Aeußerungen der Zeitungsstimmen hindur<hklingt, die aus einer 
intimen Kenntniß der Bühnenverhältnisse heraus sprechen. 
Mit Ausnahmen allerdings. So schreibt der Berliner 
Theaterkorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ anläßlich des 
Falls Lindau in einem trefflihen Feuilleton über die Berliner 
Theaterzustände: 
Der Konkurrenzkampf der Privattheater hat zu allerhand Aus- 
wüchsen geführt, die auch auf dem Gebiete der Kunstkritik zu Tage 
treten, und wenn neulich ein kleiner Theaterdirektor, wie etwa der 
Pächter eines Nachtcafes, die Herren Rezensenten zu einer Beleuchtungs- 
probe lud, wobei die gefälligsten Damen des Theaters den Gästen 
aufwarteten und schön thaten, so ist das nur eine der kleinen Praktiken. 
die auch im Großen geübt werden. Ueber direkte Korruption nun, das 
heißt über offen geübte Bestechung, können wir uns in Berlin nicht 
beklagen ; um so mehr aber über eine rastlose, ungeheuerliche Reklame- 
wirthschaft, die bei dem Institut der sogenannten Dramaturgen schon 
anfängt, Wir haben ja auch keine Claque in Berlin, das heißt keine 
geschäftsmäßig organisirte Einrichtung bezahlter Claqueure, und do) ist 
aktenmäßig in' dem Fall Barnay-Kainz festgestellt worden, .daß an einem 
Abende an die freiwillige Hausclaque 239 Freikarten vertheilt wurden. 
Was ist denn der Berliner Dramaturg in den meisten Fällen? Der 
Theaterdirektor engagirt einen Journalisten, der in der Regel ganz 
andere Pflichten übernimmt, als die eines Dramaturgen. Nicht der 
künstlerische Berather des Direktors, nicht der Mann, der über die Auf- 
nahme literarischer Werke zu bestimmen hat, ist sol< ein. Dramaturg, 
vielmehr soll der Journalist die Journale und deren Vertreter für das 
betreffende Theater „günstig“ zu stimmen versuchen. Es kann also vor- 
kommen, daß der Referent eines Berliner Blattes ein ehrliches Urtheil 
über eine mittelmäßige Novität abgegeben hat und daß am nächsten 
Tage und in den nächsten Wochen die Reklamearbeiten des Herrn 
Dramaturgen gerade das Gegentheil der kritischen Anschauungen in die 
Presse bringen. Von der Thätigkeit dieser Dramaturgen an bis zur 
kriecherischen Demuth vor „tonangebenden“ Kritikern läuft eine einzige 
Kette von Mißbräuchen, die nur von den Hoftheatern verschmäht werden.
	        
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