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II. Eine Premieren-Kritik

Full text: Berliner Musikkritik / Schrattenholz, Joseph (Public Domain)

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aber ein derartiges Verfahren gutwillig doch wohl nur dann ent= 
schuldigen, wenn es in der Geschichte nur Ein Mal und nicht wieder 
vorgekommen ist. Daß es sich jedoch ununterbrochen in ewiger 
Verjüngung wiederholt hat, muß rücksichtslos als ein un- 
verzeihlicher Frevel an der ästhetischen Erziehung des 
Volkes gebrandmarkt werden. Vielleicht darf man indessen zur 
Ehre des kommenden zwanzigsten Jahrhunderts hoffen, der Kampf 
gegen den mit der Böswilligkeit verbündeten Unverstand werde nicht 
für alle Zukunft ein vergeblicher bleiben.“ =- =- 
Ich kann diese Hoffnung mit vollster, kindlichster Glaubens= 
freudigkeit nur theilen, ihre Verwirklichung aber nicht abwarten, muß 
vielmehr leider auch hier, wie in allen anderen Dingen, als Bismarc>- 
scher Realpolitiker mit den gegebenen Verhältnissen und Thatsachen 
rechnen. Und diese sind, Gott sei's geklagt! ganz entschieden derart, 
daß ein Fortbestehen des Waarenhauses Leßmann & Co., wenn auch 
unter veränderter Firma, selbst das zwanzigste Jahrhundert hindurch 
ziemlich außer Frage steht. Die Gründe für diese pessimistische An= 
schauung liegen zum wesentlichsten Theile in der stiefmütterlichen Be- 
handlung, welche ich das Gros der Zeitungsbesizer nun“ schon seit 
Jahrzehnten dem kunstwissenschaftlichen Theile ihrer Tagesblätter zu- 
wenden sehe. „Die Zeitungen“ =- so sagte mir kürzlich der Chef- 
redakteur eines der namhaftesten Berliner Blätter =- „haben die- 
jenigen Kritiker, welche sie verdienen“! Das bon mot klingt 
nicht übel, enthält aber im Grunde einen groben SophiSmus. „Die 
Zeitungen haben diejenigen Kritiker, welche sie bezahlen“! 
müßte es heißen. Wenn aber selbst die größten Blätter =- ich kann 
sie nennen, will aber vorläufig damit noch warten! =- ihre Musik- 
referentenposten mit Kutschergehältern dotiren; wenn die vornehmsten 
deutschen Tage3organe sich nicht scheuen, die Berichterstattung über 
auswärtige Kunstereignisse ungebildeten Dilettanten, Musikalienhändlern 
und =- Barbieren (ich erwähne nur Thatsachen, verehrter Leser!) 
in die Hände zu geben; wenn als ständige Konzert- und Theater- 
referenten Leute angestellt werden, die sich mit einem Zeilenhonorar 
von fünf Pfennigen oder mit einem Freibillet begnügen; wenn so- 
genannte musikalische Fachblätter ihre Existenz durch den Fischfang 
von Raritätenanzeigen und Künstleradressen fristen müssen =- dann 
kann sich, glaube ich, selbst Karlchen Mießni> wohl erklären, welcher 
Art die geistigen und künstlerischen Potenzen sind, die auf diesem
	        
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