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II. Eine Premieren-Kritik

Full text: Berliner Musikkritik / Schrattenholz, Joseph (Public Domain)

Hat mich sehr gefreut Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Auf 
Wiedersehen in =-- „Odysseus Heimkehr“! =- -- 
Ich besize eine ziemlich bedeutende Arbeitskraft und Ausdauer 
und bin sogar, wie Figura zeigt, unter Umständen dazu fähig, eine 
Berliner Musikkritik zweimal zu lesen. Um aber den Augiasstall von 
Irrthum, Bosheit, journalistischer Frechheit und persönlicher Dumm- 
heit, den die vorhandenen Premierenbesprechungen repräsentiren, in 
allen Een gründlich auszumisten, dazu würden die Kräfte Herkules 
und sämmtlicher Herakliden nicht ausreichen. 
Resümire ich den Totaleindruck, der aus dem weißbierbauchigen 
Geschimpf-Bündel sich ergiebt, dann gelange ich zu der unabweislichen, 
traurigen Ueberzeugung, daß die Berliner Musikkritik mit vereinzelten 
Ausnahmen in total unfähigen und unwürdigen Händen liegt. 
„Nationalzeitung“, „Post“, „Kleine8 Journal“ und ein paar 
andere Blätter ausgenommen, findet sich in der ganzen millionen- 
zählenden Intelligenzhauptstadt auch nicht ein einziges Blatt, dessen 
kritische Ergüsse Grund und Anlage zu der Annahme böten, ihre 
Urheber seien dem neuen Werke ohne Voreingenommenheit und mit 
der Grundvoraussezung aller ersten Kritik: mit Wohlwollen, Ver- 
ständnißfähigkeit und der nöthigen Vorkenntniß entgegenkommen. 
Statt dessen fast in jedem Blatte und Blättchen der dicschädeligste 
Infallibilitätsdünkel, offen sich prostituirende musikalische Unbildung, 
widerliche journalistische Sittenrohheit und eine Animosität, die mit 
preußischer Exerzierplaßpünktlichkeit, einem heimlichen Kommandoruf oder 
Naturtriebe folgend, Werk und Autor wie seine Freunde in den 
Berliner Straßenkoth zu zerren versuchen. Von einem wirklichen sach- 
verständigen Eingehen auf das Werk -- die zehn Gerechte in Sodom 
abgerechnet =-, selbst versuchSweise, keine Spur. Ebensowenig von 
ven vielen offenkundigen und bemerkens3werthen Aufführungsschwierig- 
feiten, die aus den lokalen und Lokal-Verhältnissen resultirten; von 
einer genügenden Anerkennung der unendlichen Mühen und warmen, 
aufopfernden Hingabe, womit die Herren Direktor Pierson, Ober- 
regisseur Tetzlaff, Oberinspektor Brandt und sämmtliche Mit- 
wirkenden die schwierige Novität in so schöner Weise lebendig machten; 
von einer Hervorhebung und Erklärung der hocherfreulichen thatsäch- 
lichen Erscheinung, wie ganz anders die Polyphonie des Bungert- 
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