geführt haben“ und warnt seine Leser und Freunde vor dieser Musik-
tragödie. Der „Berliner Courier“ behauptet, daß Fräulein Cortese
dem Wunsche des Scenariums: „sich in lüsternen Geberden besonders
hervorzuthun, in entzückend gemeiner Weise“ entsprac<. Auch die ge-
wöhnlich nicht unvernünftige „Nationalzeitung“ meint, daß man
den beiden Darstellerinnen des Buhlerinnenpaares „in naturgetreuer
Darstellung entarteter Weiblichkeit viel zugemuthet habe“. Es ist
wirklich reizend! So en Bischen Moralität ist doch jar zu scheene!
Und noch dazu in Berlin, wo der edlen Venus vulgivaga an jeder
Straßenecke Altäre errichtet sind; wo der selige Ronacher der haute-
volee sein unvergeßliches Privatissimum über männliche Vergnügungen
la3 und -die Cafe3 mit weiblicher Bedienung ihr Menschenfleisch-
Service bei offenen Fenstern selbst am lichten Tage offeriren; wo das
geschwisterliche Liebe8paar der „Walküre“ und französische Sitten-
dramen und Ballet und Tingeltangel und Sisters Barrison der
teutschen Tugend troß Sittenkontrolle und. Herrn Egidy als höheres
Kulturmittel dienen und jede Tageszeitung von unzweideutig-zwei-
deutigen, sexuelle Verhältnisse schamlos decolletirenden Annoncen
wimmelt = =- Berlin als prüde Betschwester, als Sitten-
predigerin!? Wahrlich, der Gedanke ist erhaben und würde als
Thema für die Osterferienaufsäße unserer höheren Töchter oder einen
Leitartikel der guten Tante Voß vortrefflich sich eignen. Daß aber
die Berliner Musikkritiker sogar in der Werthschäßung dieses herrlichen,
aftuelle kulturhistorische Bedeutung athmenden Gedankens nicht einmal
eines Sinnes sich beweisen, daß auch bei ihm ihr tiefsteigendes,
kritisches Urtheil so schroff voneinander abweicht =- das begreife, wer's
fann. Jedoch es ist so. Der <harakterfesten, mannhaften „Volks5-
zeitung“ 3. B. waren die Darstellerinnen der beiden Hetären: „wie
alle, an der rechten Stelle“ und zwar „vortrefflich“; das all-
gemein beliebte, von jeder ehrsamen Familienmutter gerne gelesene
„Kleine Journal“ erklärt, daß: die Rolle der Despoina, Fräulein
Egli, Gelegenheit gegeben habe, sich au8zuzeichnen; die über
jeden sittlichen Zweifel erhabene „Nationalzeitung“, daß: „die
beiden Damen Lob verdienen, weil sie den scenischen Anforderungen
sich gefügt hätten“ u. s. w. u. f. w. Man sieht: mit der ästhetischen
Urtheil3einheit der Berliner Kritik ist's ein eigen Ding. Was Hans
schwarz nennt, heißt der Bruder Kunz weiß, und umgekehrt. Schwarz
und weiß sind nun allerdings zwei Farben, die ganz entschieden
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