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die meisten jungen Musiklehrer, die in meine heimatliche Provinz
(Sachsen) kamen, ihre Studien in Berlin bei Marx gemacht hatten.
Als ich daher später nach Berlin gehen konnte, ”) war es für mich
fraglos, dass ich in der Komposition die Unterweisung von Marx
suchte. Dem Rate erfahrener Freunde folgend, nahm ich bei ihm
Privatunterricht. Mit Spannung ging ich zu ihm. Nach genauer
Durchsicht meiner ihm vorgelegten Arbeiten, „in denen er seine
Schule erkannte“, begann er sogleich mit der Fuge. Mir war ge-
sagt worden, dass‘ M.s mündliche Darstellung noch geistreicher
sei, als seine schriftliche. Ich fand Besseres; ich fand in seinem
Unterrichte eine Klarheit, die jede Materie bis ins Einzelne durch-
drang, Kürze und Bestimmtheit der sachlichen Erörterungen, ein
immer zielbewusstes Vorwärtsdringen; dazu besass M. die — einem
Kompositionslehrer allerdings unerlässliche — Gewandtheit, vonjedem
Punkte einer eben entstehenden Komposition aus den Faden der-
selben in logischer Konsequenz nach den verschiedensten Seiten
mit fliegender Feder weiter zu spinnen. Und indem er dem unter
seinen Augen arbeitenden Schüler einen lebhaften Anreiz gab, in
gleicher Weise zu verfahren, drang er zugleich in jedem Augen-
blicke auf schnelle und bestimmte Entscheidung für einen der
möglichen Wege, z. B. bei Anknüpfung des zweiten Teils der
Fuge, der Sonate u. s. w. „Heute gehen wir diesen Weg, ein
andermal einen anderen. Aber nur nicht zögern dürfen Sie; ent-
scheiden müssen Sie sich.“ Mit grossen Buchstaben schrieb er an
den Rand: „Der Zweifel ist der Teufel.“ „Glauben Sie nun, dass
die rechte Kunstlehre Charakter bildet?“ fügte er hinzu. — Meine
Schätzung seines Unterrichts wurde nur noch erhöht, als mir ein
namhafter Musiker Berlins zu jener Zeit sagte: „Sie haben es jetzt
besser, als wir es in unserer Jugend hatten. Die alten Herren,
die uns unterrichteten, waren, wenn es sich ums Lehren handelte,
zuweilen selbst nicht recht klar.“ Und diese Schätzung ist dieselbe
geblieben, wenn ich auch später bei dem eminent praktischen
Richard Wüerst in der Komposition für Orchester einen gänzlich
anders gearteten vorzüglichen Unterricht kennen lernte. Es führen
ja mehrere Wege nach Rom. —
#*) Berlin damals! An der königl. Oper glänzte das Dreigestirn Johanna
Wagner — Luise Köster — Leopoldine Tuczek; die Kritik beherrschte L.
Rellstab; der Kunstjünger sass wöchentlich zweimal vor Liebig’s Orchester
bei Hennigs in der Chausseestrasse, das ihm das Studium klassischer Orchester-
werke ermöglichte, wie es die Sinfonie-Soireen der königlichen Kapelle ihrer
Seltenheit wegen nicht vermochten. Der Singakademie hatte Ed. Grell neues
Leben eingehaucht u s. w. Diese wenigen Züge werden für Genossen jener
Zeit genügen, um sie aus der Erinnerung zu einem vollständigen Bilde des
damaligen Berliner Musiklebens zu ergänzen.