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II. Zur Musikgeschichte

Full text: Aus Adolf Bernhard Marx' litterarischem Nachlass / Selle, Gustav F. (Public Domain)

In der Kunstgeschichte sind Kunstproduzenten und Kunst- 
konsumenten essentiell nicht zu scheiden. Beide sind der Mensch, 
das All-Kunstwesen, in welchem Bedürfnis und Kraft der Kunst 
vorhanden ist, stark ist, abstirbt u. s. w. Daher ist im weitesten 
Sinne aufrecht zu erhalten: Wie der Mensch, so die Kunst. — 
Die anachronistischen Künstler sind antediluvianische Faultiere 
oder vorzeitig ausgekrochene und hinfröstelnde Kalitten.”) 
Die Zeit bringt ihre Gelegenheitsprodukte. Aber nur ein- 
mal wurde ein Gelegenheitswerk ein ewiges, damals als Äschylus 
seine Persertrilogie dichtete und aufführte, im siebenten Jahre 
nach dem zweiten Perserkriege (473 v. Ch.), in welchem er selbst 
und seine Brüder mitgefochten hatten. Allein — dort war ein 
kunstdurchgebildetes, in Kunst lebendes Volk. 
Kein Mensch sieht und liest und zeichnet u. S. W., Was 
nicht in seinem Bewusstsein schon vorhanden ist. — Die Byzantiner 
und altdeutschen Maler haben Natur vor sich, so gut wie Rafael 
und Dürer. Aber sie sehen sie nicht, ja sie sehen eins, aber 
das andere nicht; sie zeichnen falsche oder schlechte Glieder zu 
richtigen und schönen Gesichtern (die Deutschen), weil ihre Idee 
sich am frommen Ausdruck der Gesichter erfüllt sieht. Die Alten 
fanden die Perspektive nicht, und Horace Vernet in seinen grossen 
afrikanischen Bildern versäumt sie wieder, — weil ihre Gedanken 
an den einzelnen Figuren hängen. Die Chinesen haben die Quarte 
und Septime selber verrechnet, gebrauchen sie aber nicht, 
Es ist doch ein wichtiger Charakterzug, dass Bach keinen 
Fortschritt in seinen Kompositionen hat; er geht nicht vorwärts, 
sondern komponiert cyklisch; er schliesst oft oder meist_auf der 
Höhe des Anfangs, bewegt sich zwischen Parallelen, nicht pyramidal, 
bewegt sich cyklisch — wie die Sonne mit den Planeten; er Ast 
strahlenreich gleich der Sonne, erfüllt den Umkreis mit Licht und 
Wärme, aber es ist eine innerlich und um sich kreisende Sphäre, 
*) „Kalitte“ — ist ein märkischer Ausdruck und bedeutet: eine Schmetterlings- 
art, den Pappelschwärmer, Smerinthus populi. (Anmerkg. des Herausgebers.) 
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