www.dena.de
transition
18
DAS ENERGIEWENDEMAGAZIN DER DENA | #2018
16 17
19 20
Manche Hürden
der Energiewende
rufen nach
kreativer
Zerstörung
dena-Chef Andreas Kuhlmann im Gespräch
mit dem Blockchain-Pionier Ed Hesse
UP AND RUNNING
AUF DIE STÄDTE KOMMT ES AN
FACTS & FIGURES
Vier Energiewende-Start-ups
im Porträt
Urbane Energiewende
in China und Deutschland
Zahlen und Fakten
zur Arbeit der dena
EDITORIAL
transition
D
ie Energiewende ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – dynamisch, komplex
und sehr spannend. Sie ist geprägt von vielen
vielschichtigen Transformationsprozessen: von
der Wärme- und der Verkehrswende über die
Digitalisierung bis hin zum Aufbau eines integrierten Energiesystems. Wir als dena arbeiten aktuell in rund 90 Projekten
daran, diese Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten
und die Energiewende im Sinne des Klimaschutzes voranzubringen.
Mit unserem neuen, jährlich erscheinenden Magazin
transition möchten wir Ihnen einen Einblick geben in unsere
Arbeit an der Schnittstelle zwischen alter und neuer Energiewelt. Wir wollen Ihnen zeigen, wie wir in unseren Projekten
zusammen mit vielen Partnern den Umbau des weltweiten
Energiesystems vorantreiben. Und wir wollen darauf schauen, was heute die großen Themen der Energiewende sind und
was uns künftig noch beschäftigen wird.
Die transition soll aber auch eine Einladung sein, mit
anzupacken. Um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
wie die Energiewende zum Erfolg zu führen, braucht
es viele, die sich engagieren, und einen breiten Dialog.
Deshalb setzen wir mit unseren Projekten darauf, möglichst viele Akteure aus verschiedenen Bereichen einzubeziehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Wenn Sie schon mit von der Partie sind: Danke für Ihren
Einsatz! Wenn Sie neugierig geworden sind und mit uns
zusammenarbeiten möchten: Kommen Sie auf uns zu!
Andreas Kuhlmann
Kristina Haverkamp
Vorsitzender der Geschäftsführung
Geschäftsführerin
Inhalt
INSIGHTS
HERAUSGEBER / VERLAG:
DEUTSCHE ENERGIE-AGENTUR GMBH (DENA),
KOMMUNIKATION, CHAUSSEESTRASSE 128 A,
10115 BERLIN, TEL: +49 (0)30 66 777-0, FAX: +49 (0)30 66 777-699
WWW.DENA.DE | @DENA_NEWS
REDAKTION: DEUTSCHE ENERGIE-AGENTUR GMBH (DENA),
STELLA MATSOUKAS, MICHAEL DRAEKE
ERSCHEINUNGSINTERVALL: JÄHRLICH
KONZEPT, GESTALTUNG, REALISIERUNG:
BEST FRIEND AGENTUR FÜR KOMMUNIKATION GMBH
AUTOREN DIESER AUSGABE:
TITUS KRODER, MARCUS FRANKEN, DANIEL ERK,
ALEXANDER LANGER, SARAH BUCH, FLORIAN REINERS
GRAFIKEN:
COVER: MRVANDER/SHUTTERSTOCK.COM
EDITORIAL: ANNETTE SHAFF/SHUTTERSTOCK.COM,
BIG PICTURE: MIREXON/SHUTTERSTOCK.COM,
INSIGHTS: NERTHUZ/SHUTTERSTOCK.COM,
FACTS & FIGURES: MOLARUSO/SHUTTERSTOCK.COM,
NEXT: MARTAN/SHUTTERSTOCK.COM
DRUCK UND VERARBEITUNG:
DRUCKEREI ARNOLD GROUP, AM WALL 15, 14979 GROSSBEEREN
PAPIER: CIRCLE OFFSET PREMIUM WHITE
26 Darf‘s ein bisschen
weniger sein?
Drei Handelsunternehmen setzen auf
energetische Gebäudesanierung
30 »Was wir jetzt machen,
ist nur der erste Schritt«
CO2-neutrale Wärme für die Hamburger Hafen-City
transition ― 4
50 Woran wir arbeiten
52 Wie wir arbeiten
54 Wer wir sind
32 Von Big Data bis
Smart Contracting
Glossar der digitalen Energiewende
Jetzt bitte mal Gas geben!
34 Biomethan
als Baustein der Energiewende
Sauber abfahren
35 Alternative
Kraftstoffe als CO2-Bremse
dena on Tour
36 Reiseanekdoten
von dena-Mitarbeitern
BIG PICTURE
8 Vier Energiewende-Start-ups im Porträt
Up and Running
12 Quotes
14 Manche Hürden der Energiewende
rufen nach kreativer Zerstörung
dena-Chef Andreas Kuhlmann im Gespräch
mit dem Blockchain-Pionier Ed Hesse
18 Wie funktioniert die
Integrierte Energiewende?
ALLE RECHTE SIND VORBEHALTEN. DIE NUTZUNG STEHT UNTER
DEM ZUSTIMMUNGSVORBEHALT DER DENA. IHRE MEINUNG IST UNS
WICHTIG. WIR FREUEN UNS ÜBER ANREGUNGEN, LOB UND KRITIK
UNTER: PRESSE@DENA.DE
FACTS &
FIGURES
Auf die Städte kommt es an
20 Urbane
Energiewende in China und Deutschland
Wir müssen mal reden…
22 Drei
Fragen zur Zukunft der Energiewende
38
Jede lange Reise beginnt
mit einem ersten Schritt
Der individuelle Sanierungsfahrplan in der Praxis
40 Meldungen
42 Wie schaffen Volt und Ampere
die Revolution?
Fünf Herausforderungen für das Stromnetz
der Zukunft
Speicher-Forscherin aus Leidenschaft
43 Porträt
der Unternehmerin Dr. Doris Schmack
44 »Es gibt keinen Haken,
NEXT
58 Für Lösungen gibt es
keine Grenzen
Die Energiewende profitiert
vom internationalen Austausch
Watt aufs Auge
60 Interview
mit dem Verhaltensökonomen Lorenz Götte über
Anreize zum Energiesparen
62 »Eines Tages werden wir
Autos ohne Kabel laden«
Die Vision des Freiburger Start-ups
Blue Inductive
keine Nachteile«
Genossenschaften unterstützen Kommunen
bei der Modernisierung der Straßenbeleuchtung
46 Meldungen
transition ― 5
BIG PICTURE
DIE ENERGIEWENDE IST EINER DER
FASZINIERENDSTEN UND BEDEUTSAMSTEN VERÄNDERUNGSPROZESSE UNSERER
ZEIT. IN DER RUBRIK BIG PICTURE SETZEN WIR UNS MIT DEN GROSSEN FRAGEN
UND KONTROVERSEN AUSEINANDER. WIE
SEHEN ERFOLGREICHE GESCHÄFTSMODELLE FÜR DIE ZUKUNFT AUS? WELCHE
TRENDS PRÄGEN DEN ENERGIEMARKT?
UND WELCHE NEUEN IDEEN STELLEN
ALTE GEWISSHEITEN INFRAGE?
BIG PICTURE
REPORTAGE
UP AND
RUNNING
ES WIRD NICHT DIE EINE ENERGIEWENDE
GEBEN – DIE ZUKUNFT VON STROM, WÄRME UND MOBILITÄT BRAUCHT VIELE GUTE
IDEEN. WELTWEIT ARBEITEN START-UPS
AN NEUEN GESCHÄFTSMODELLEN, DIE
UNSERE ART, ZU REISEN, ENERGIE ZU ERZEUGEN UND ZU WOHNEN, NACHHALTIG
VERÄNDERN WERDEN. VIER BEISPIELE,
WIE DIE ZUKUNFT AUSSEHEN KÖNNTE.
TEXT Daniel Erk und Alexander Langer
Geld und Sonne
SciFi-Taxis
W
P
SOLSHARE
LILIUM
transition ― 8
zufolge soll die Strecke von Manhattan zum
New Yorker Flughafen JFK, rund 19 Kilometer, so in rund 5 Minuten zurückzulegen
sein. Wiegand sagt: „Die Jets sind äußerst
leise, deswegen können sie problemlos in
dicht besiedelten Räumen verkehren.“
Das hat auch prominente Geldgeber
beeindruckt. So sagt der aus der Pro7-Sendung „Höhle der Löwen“ bekannte Investor
Frank Thelen, dass Lilium eine neue Industrie etablieren werde. Thelen geht davon
aus, dass dank Lilium die Kosten für einen
Flug bald unter denen für eine Autofahrt liegen. Das sehen andere ähnlich: Erst neulich
klappte die zweite Finanzierungsrunde, mit
der 90 Millionen US-Dollar in die Kasse nach
München gespült wurden. Geld, das Lilium vor allem für neues Toppersonal nutzt.
Anfang September wurden Senior-Level-Ingenieure von Airbus, Tesla und Gett geholt,
damit Lilium weiter vorne bleibt. Und oben.
GRAFIK: Lilium GmbH
enn man Daniel Weigand
machen lässt, wird Science-Fiction bald Realität: Dem Gründer des
Unternehmens Lilium in
München ist Anfang des Jahres der Jungfernflug seines elektrisch betriebenen Lilium Jets geglückt. Es war zwar nur ein
zweisitziger Prototyp, aber er beherrschte
die essenziellen Manöver – erst senkrecht
starten, dann im Vorwärtsflug los. Der Lilium Jet ist das weltweit erste elektrisch angetriebene Flugzeug, mit dem das gelang.
Wiegand hat nichts weiter vor, als
den Lilium Jet zur Grundlage eines gänzlich
neuen Transportsystems zu machen, bei
dem man per App einen Flieger bestellen
kann. Denn eines nicht zu fernen Tages sollen bis zu fünf Menschen in einem Lilium Jet
Platz finden – genug für die kleine Familie,
die von zu Hause schnell an den Strand gebracht werden will, oder die Delegation, die
fix zum Flughafen muss – das Lufttaxi, das
man aus Sci-fi-Serien und Filmen kennt, da
ist es endlich.
Nun ist Lilium bei Weitem nicht das
einzige Unternehmen, das sich einem solchen Projekt widmet. Wohl aber das, das
mit den beeindruckendsten Leistungsdaten glänzen kann. So soll der Jet bis zu 300
Stundenkilometer schnell unterwegs sein,
und das bei einer Reichweite von bis zu 300
Kilometern. Einer Berechnung von Lilium
rivate Solaranlagen sind eine
großartige Erfindung, haben
aber einen Nachteil: Rund 30
Prozent des erwirtschafteten
Stroms gehen in der Regel einfach verloren. Dass man mit dem Drittel
etwas sehr Sinnvolles anstellen kann, zeigt
das Unternehmen ME SolShare, das Ende
2015 in Bangladesch an den Markt gegangen ist. Mit der SolBox können Eigentümer
einer Solaranlage überschüssigen Strom an
Nachbarn verkaufen. Das so erwirtschaftete Geld wird sofort in einer Bezahl-App auf
dem Smartphone gutgeschrieben, deren
Guthaben man für Mobile Payments nutzen
kann, ein in Bangladesch weit verbreitetes
System. Andererseits bezieht man Strom
vom Privatanbieter, indem man in derselben App Prepaid-Guthaben lädt. Ständig
ist man in beiden Fällen per App über das
Guthaben informiert.
Gründer Sebastian Groh hat seine
Doktorarbeit über die Rolle von Energie in
Entwicklungsprozessen mit Schwerpunkt
auf ländlichen Gegenden verfasst und sich
im Rahmen der Forschung mit verschiedenen Modellen beschäftigt. Schnell kam er
auf Bangladesch als interessanten Markt:
„Dort gab es schon damals drei Millionen
Solar-Home-Anlagen, weltweit waren es
sechs Millionen – ein echter Ausreißer.“ Als
er seine Idee bei einem Entrepreneur-Programm der Stanford University vor Geldgebern pitchte, „meinten sie: ‚Ganz nett, aber
transition ― 9
BIG PICTURE
REPORTAGE
Schön aufdrehen
E
ihr seid einfach nicht authentisch – keiner
von euch lebt in Bangladesch!‘“ Also musste
Groh ran. Noch während er die Doktorarbeit
schrieb, mietete er in der Hauptstadt Dhaka
schon die Büroräume an. Er ging nur noch
zur Verteidigung nach Deutschland, Bangladesch war schnell Lebensmittelpunkt.
Ende 2014 kamen zwei Kollegen nach,
die sich mit ihm um die Verfeinerung des
Modells und der Bezahlplattform kümmerten, die erst noch geschaffen werden musste. Mittlerweile steht die Skalierung an: Ein
Investor aus dem Nachbarland Indien hat
SolShare in einen Accelerator gebracht,
in dem Start-ups für eine bestimmte Zeit
in ihrer Entwicklung unterstützt werden.
Wenn alles gut geht, so Groh, beginnt das
Start-up-Coaching-Programm schon 2018.
Der Riesenmarkt Indien dürfte gleichermaßen eine echte Probe sein und gewaltige
Chancen mit sich bringen. Außerdem beobachtete Groh, dass sich mittlerweile andere
mit seinem System derart intensiv beschäftigen, dass man es schon kopieren nennen
muss: „Ein Unternehmen in Kambodscha
und eines in Tansania, das ist sehr ähnlich.“
Er lacht: „Aber das zeigt ja auch, dass die
Idee so schlecht nicht sein kann.“
Die dena lädt Start-ups und junge Unternehmen aus der ganzen Welt ein, sich mit
ihren Geschäftsmodellen und Visionen für
den Start Up Energy Transition Award zu
bewerben. Die Gewinner des Jahres 2017
wählte eine hochkarätige Jury aus mehr
als 500 Bewerbungen aus 66 Ländern
aus. Die Bewerbungsphase für den Award
2018 wurde auf der in Bonn stattfindenden UN-Klimakonferenz COP 23 im November 2017 gestartet. Mehr Infos unter:
www.startup-energy-transition.com
transition ― 10
in bisschen klingt es schon wie
ein Märchen: abends in einem
angenehm gelüfteten Zimmer
einschlafen, morgens in einem
dezent geheizten Zimmer aufwachen, das sich tagsüber von selbst runterregelt – und dadurch auch noch Kosten
sparen und die Umwelt schonen.
Was Christian Deilmann und sein
Mitgründer Johannes Schwarz mit ihrem
Münchner Start-up Tado seit mittlerweile sechs Jahren anbieten, klingt für viele
nach Zauberei – noch. „Die Kunden müssen
tatsächlich erst einmal die Vorteile von intelligenten Thermostaten verstehen – höherer Komfort, Einsparungen bis zu einem
Drittel und deutlich mehr Transparenz
bei den Kosten“, sagt Deilmann über die
smarte Heizungssteuerung seiner Firma.
Technisch funktioniert das so, dass Kunden
digitale und mit Wärmesensoren ausgestattete Thermostate an ihren Heizkörpern und
Fußbodenheizungen anbringen, die Wärme
unter Berücksichtigung der Wettervorhersage über eine App regeln und die Kosten im
Blick behalten können.
Auch wenn die Vorteile klar sind, die
Entwicklung in Deutschland geht bislang
noch langsam voran – oder zumindest nicht
so schnell, wie sie sein könnte. Immerhin
wächst Tado rasant, mehr als 100 Prozent
Wachstum pro Jahr sind möglich. „Unsere
größte Herausforderung über die letzten
Jahre war es, eine komplett neue Produktkategorie zu entwickeln und damit einen
ganz neuen Markt zu etablieren“, sagt Deilmann. Seit aber Google 2014 den amerikanischen Tado-Konkurrenten Nest für 3,2
Milliarden Dollar gekauft hat, ist Bewegung
in den Markt gekommen. Und Deilmann ist
optimistisch: Während in den Niederlanden schon bis zu 15 Prozent der Haushalte
ihre Heizungen smart steuern, sind es in
Deutschland noch unter einem Prozent.
Derzeit konzentriert sich Tado mit knapp
150 Mitarbeitern auf den Markt in Westeuropa, Deutschland, Großbritannien, Benelux,
aber auch Frankreich, Italien und Spanien.
Spätestens seit aber im Frühjahr 2016 der
tschechische Energiekonzern Čez durch
einen Venture-Capital-Fonds 20 Millionen
Euro in Tado investierte, steht auch Osteuropa auf dem Plan der Münchner. Europäischer Marktführer ist Deilmanns Unternehmen bereits. Aber es ist immer noch viel Luft
nach oben. Luft, die dank Tado genau die
richtige Temperatur haben wird.
fand auch heraus, dass er mit dieser Idee
nicht ganz alleine war: Das Start-up Seabased aus dem schwedischen Lysekil will Generatoren auf dem Meeresboden verankern.
Waves4Power, ebenfalls aus Schweden, entwickelt derzeit Pumpsysteme, bei denen der
Wellengang Öl in einer Pumpe nach oben
drückt und bei abfallendem Druck Energie
erzeugt wird. Im finnischen Espoo hat das
Start-up Wello Oy einen an der Wasseroberfläche herumtreibenden Schwimmkörper
namens „The Penguin“ gebaut, der den Wellengang in Energie umwandelt. Und im nur
wenige Kilometer von Bakkes Heimatstadt
entfernten Raudeberg arbeitet das Team des
Start-ups Havkraft an schwimmenden Windkraftparks. Aber auf die Idee mit der Turbine
unter dem eigentlichen Wellengang, auf die
war noch niemand gekommen. Bloß: Bakke
wollte gar kein eigenes Start-up gründen.
„Ich bin Erfinder, kein Gründer!“, sagt
er. „Außerdem bin ich dafür zu alt.“ Aber einfach aufgeben wollte Bakke auch nicht. Er
sprach mit Leuten vom Fach, recherchierte,
stellte sich bei Konferenzen vor, gründete
schließlich doch ein Unternehmen namens
Waveco und meldete die Entwicklung in
Norwegen beim Patentamt an. Dann kontaktierte er einen Hersteller von Plastikröhren, mit dem er einen ersten Prototyp
entwickelte. Und große norwegische Energiekonzerne und ein paar Universitäten,
denen er die Entwicklung seines Projektes
gerne weiterreichen würde. „Die Energiekonzerne“, sagt Bakke, „sind noch skeptisch.“ Im Frühjahr 2018 wird es an der Universität Bergen einen Kurs geben, der sich
mit seiner Idee beschäftigen und Bakkes
Entwurf in Wassertanks testen wird. Es sind
kleine, oft anstrengende Schritte, aber die
Richtung stimmt. Warum sich Bakke das in
seinem Alter noch antut? Einfache Antwort:
aus Überzeugung. „Es gibt in den Ozeanen
genug Energie für alle“, sagt Inge Bakke.
Macht der Welle
»Es gibt
in den
Ozeanen
genug
Energie
für alle«
M
WAVECO
GRAFIK: Kiseleva Vladislava/Shutterstock.com
Start Up Energy Transition
Award
TADO
an könnte den pensionierten
Geologen und Lehrer Inge
Bakke aus dem kleinen norwegischen Städtchen Selje
leicht für einen Verrückten
halten. Ein freundlicher älterer Herr, der
mit 74 noch einen Beitrag zur Energiewende leisten will und eine eigene Art der Energieerzeugung erfunden hat: Auf eine Art ist
das schon überraschend. Überraschend ist
an Bakkes Idee aber vor allen Dingen, dass
sie keiner vor ihm hatte. Bakke, der passionierter Segler ist, fiel eines Tages bei einer
Fahrt durch den Fjord auf, wie viel Kraft das
Meer allein durch den steilen Wellengang erzeugte. Bakke überlegte: Was, wenn man die
Kraft des Meeres nutzen könnte, um Energie
daraus zu gewinnen? Mit einer großen Turbine, wie bei einem Windrad, die einfach
durch die Auf-und-ab-Bewegung des Wassers angetrieben würde? Bakke googelte.
Und fand: nichts. „Ich war auch überrascht,
dass noch niemand auf die Idee mit den Turbinen gekommen war“, sagt Bakke. Aber er
transition ― 11
BIG PICTURE
QUOTES
»I’D PUT MY MONEY ON
THE SUN AND SOLAR ENERGY.
WHAT A SOURCE OF POWER!
I HOPE WE DON’T HAVE TO WAIT
UNTIL OIL AND COAL RUN OUT
BEFORE WE TACKLE THAT.«
»Was Deutschland macht, ist eine Blaupause für
die ganze Welt. Ich hoffe, dass wir das Gleiche in
den USA schaffen. Wir müssen nur die von der
Regierung getriebene Energiewende mit der von
den Kunden getriebenen Energiewende stärker
zusammenbringen.«
Thomas Alva Edison,
Erfinder und Unternehmer, 1931
Tony Fadell,
Computeringenieur und ehemaliger
Geschäftsführer von Nest Lab, Inc., 2015
»DON’T BLOW IT –
GOOD PLANETS ARE
HARD TO FIND.«
» Ein Weiter-so gibt es nicht.
Der Klimaschutz ist die größte
Herausforderung
des 21. Jahrhunderts.«
Unbekannter Verfasser,
quoted in TIME Magazine 1996
»Wir haben unsere Umwelt so radikal verändert, dass
wir uns jetzt selber ändern müssen, um in dieser neuen
Umwelt existieren zu können.«
transition ― 12
GRAFIK: KHIUS/Shutterstock.com
Norbert Wiener,
Mathematiker, 1950
Angela Merkel,
Bundeskanzlerin, 2007
transition ― 13
BIG
big PICTURE
picture
GESPRÄCH
INTERVIEW
AN EINEM ORT, AN DEM FRÜHER GLEICHSTROM IN WECHSELSTROM GEWANDELT
WURDE, LOTEN DENA-CHEF ANDREAS
KUHLMANN UND BLOCKCHAIN-PIONIER ED
HESSE AUS, WAS DIE ENERGIEWENDE ZUM
ERFOLG FÜHREN KANN. ALTE UND NEUE
ENERGIEWELT, START-UPS UND DISRUPTION, ENERGIEPOLITIK UND DIE ZUKUNFT
DES ENERGIESYSTEMS – EIN GESPRÄCH IM
SCHALTRAUM DES EHEMALIGEN BERLINER
UMSPANNWERKS AMPERE.
Herr Kuhlmann, die dena ist treibende
Kraft und beratende Begleiterin der
Energiewende. Wo stehen wir aktuell
bei diesem Jahrhundertprojekt und
was ist aus Ihrer Sicht die größte noch
zu nehmende Hürde?
ANDREAS KUHLMANN: Meine Schnelldiagnose auf Ihre Frage lautet: Die Energiewende ist noch jung. Bei den Technologien für
erneuerbare Energien ist die Wende voll in
Fahrt gekommen. Dort gehen die Dinge rasant voran. Wenn wir aber auf die nächste
Phase der Energiewende schauen, erwarten
uns ganz neue Herausforderungen.
Welche sind das?
Manche Hürden
der Energiewende
rufen nach
kreativer Zerstörung
INTERVIEW Titus Kroder
FOTOS Daniel Hofer
transition ― 14
KUHLMANN: In Zukunft gilt es, die täglich
wachsenden dezentralen Komponenten
des Energiesystems intelligent zu koordinieren und vor allem auch die Energiewende
über alle Sektoren hinweg zu denken. Mit
der dena-Leitstudie Integrierte Energiewende machen wir das. Dabei geht es um unterschiedliche Infrastrukturen, Regulierungen
und Märkte und ganz verschiedene Kundengruppen. Das alles so auszugestalten, dass
Klimaschutz effizient und effektiv gestaltet
werden kann, ist spannend. Aber es ist eben
auch kompliziert. Gelingen wird das nur,
wenn wir offen bleiben für Neues, das plötzlich alle Annahmen verändern kann.
Herr Hesse, Sie arbeiten an einer
Basistechnologie, die in der Tat vieles
verändern könnte. Was ist Ihr Blick
auf die Zukunft der Energiewende?
ED HESSE: Blockchain ist in ihrer technologischen Dimension durchaus mit einem
Quantensprung wie der Erfindung des Rads
vergleichbar. Etwas völlig Neues wird die
alte Welt ersetzen und grundsätzlich neu organisieren. Der Umbau des Energiesystems
wird zukünftig von viel mehr einzelnen Playern vorangetrieben werden. Denn durch die
Digitalisierung können plötzlich die Initiativen kleiner Start-ups mit den Ideen großer
Konzerne mithalten.
Welchen Plattformansatz verfolgen
Sie denn bei der Energy Web Foundation?
HESSE: Wir arbeiten bei der Energy Web
Foundation an einer Verbindung der Technologien Blockchain und Smart Contracts.
Ganz konkret schaffen wir damit eine dezentrale Non-Profit-Plattform, die den
Energiehandel revolutionieren wird. Und
wir schaffen damit eine Voraussetzung für
ein Stromnetz, das künftig flexibel und anpassungsfähig sein muss, weil es mit der
Energiewende immer mehr erneuerbare
Energien aus immer mehr Quellen aufnehmen muss. Diese Technologie wird als
Open-Source-Plattform angeboten. Das bedeutet: Auf dieser Basistechnologie sollen
etablierte Unternehmen und Start-ups in
großer Zahl einmal ihre eigenen Geschäftsmodelle entwickeln. Man kann sich das wie
eine dezentrale PlayStation vorstellen, die
wir entwickeln und den Spieleentwicklern
da draußen zur Verfügung stellen. Nur, dass
es eben nicht um Spiele, sondern um neue
Geschäftsmodelle geht, die die Energiewelt
von morgen prägen werden. Das könnte einen neuen Gründungsboom auslösen.
Herr Kuhlmann, auf der einen Seite
Ihre Leitstudie, auf der anderen eine
globale Blockchain-Plattform. Kann
es hier wirklich Schnittstellen geben?
Sind das für Sie die Grundlagen, die
Sie fordern, damit die Energiewende
sich nicht nur technologisch, sondern
auch wirtschaftlich entwickelt?
KUHLMANN: So unterschiedlich wir auch
arbeiten: Beide Projekte eint ein Bottom-up-Ansatz. Wir schauen beide, was
möglich ist, und entwerfen nicht einfach
nur ein starres Zukunftsszenario, das dann
eventuell so gar nicht eintritt. Wie schon
gesagt: Die Energiewende ist noch jung. Mit
der Leitstudie suchen wir Wege, im Rahmen
dessen, was heute bereits möglich ist. Aber
wir werben für Technologieoffenheit und
Innovation. Und wir optimieren das Bestehende. Ed Hesse bereitet das Kommen-
transition ― 15
BIG PICTURE
GESPRÄCH
de vor. Wenn es so weit sein sollte, bauen
wir es in unsere Betrachtungen ein, wenn
Energiewende dadurch noch besser gelingen sollte. Uns allen geht es um den Aufbruch in das neue Energiezeitalter. Was du
da machst, Ed, klingt nach einer enormen
Innovationsleistung, die uns einen Riesenschritt voranbringen könnte. Die Frage wird
sein, welchen Regulierungsrahmen werdet
ihr brauchen und vor allem, ob die Akteure,
die heute das Energiesystem treiben, sich
darauf einlassen werden.
HESSE: Dass wir einen Regulierungsrahmen haben und brauchen werden, stimmt
aus meiner Sicht. Ich vermute allerdings,
dass wir mit unserer Technologie so grundsätzlich ansetzen, dass sie sich mit großer
Sicherheit durchsetzen wird. Die Frage der
konkreten Aufsicht über die darauf entstehenden Märkte und Innovationsinitiativen
ist davon abgetrennt. Die essentiellen Vorteile von Blockchain in der Energiewelt und
der Anreiz, diese einzuführen, sind einfach
zu groß, um ignoriert zu werden.
Sie, Herr Hesse, können aus dem Vollen schöpfen, wenn es um technologische Visionen geht. Sie versprechen
zum Beispiel, dass Sie zukünftig 95
Prozent der Transaktionskosten aus
dem Stromhandel nehmen können.
Herr Kuhlmann, Sie arbeiten viel
stärker im Hier und Jetzt, was heißt
das für die Arbeit der dena?
KUHLMANN: Wir handeln in einem aktuellen gesellschaftspolitischen Rahmen. Das
ist richtig. Wir haben es in unserer Arbeit
fortlaufend mit mehreren Tausend Akteuren
aus der Energiewelt zu tun, die alle in wichtigen Themenfeldern der Energiewende aktiv sind, in den Themen Mobilität, Gebäude,
Energieerzeugung, Energieverteilung und
natürlich Industrie. Die Spanne reicht in
der Praxis vom Kraftwerksbetreiber über
den Industrieunternehmer bis zu Windradherstellern, Biogasbauern und natürlich
all den Energieberatern. Unsere Stärke ist,
alle diese Akteure zusammenzubekommen,
Probleme zu identifizieren und Lösungen zu
erarbeiten – an der Schnittstelle zwischen
Wirtschaft und Politik. Dabei sieht man
schnell, was umsetzbar ist und was nicht.
Ed, ihr bei der Energy Web Foundation seid
eher die auf eine Technologie fokussierten
Zukunftsfreaks, für die der Fall Energiewende dank Blockchain leicht zu lösen scheint.
Das ist natürlich technisch unglaublich anspruchsvoll, aber möglicherweise politisch
weniger komplex als unsere Tätigkeit.
Herr Hesse, wie sehen Sie das?
HESSE: Als Stiftung, die einer Zukunftstechnologie zum Durchbruch verhelfen will,
müssen wir uns natürlich weniger mit der
politischen Umsetzbarkeit im Hier und
ANDREAS KUHLMANN, 50, IST
SEIT 2015 VORSITZENDER DER
DENA-GESCHÄFTSFÜHRUNG. DER
DIPLOMPHYSIKER SETZT FÜR DIE
ZWEITE PHASE DER ENERGIEWENDE VOR ALLEM AUF EINE STÄRKERE INTEGRATION DER SEKTOREN
ENERGIE, INDUSTRIE, VERKEHR
UND GEBÄUDE UND AUF DIE STÄRKUNG VON UNTERNEHMERISCHEN
LÖSUNGEN.
transition ― 16
Jetzt befassen. Der Kontrast von „alter“
und „neuer“ Energiewelt ist für uns jedoch
tatsächlich wichtig, um unsere Vision aufrechterhalten zu können. Ich habe selbst
eine Zeit lang in der „alten“ Energiewelt gearbeitet. Und die ist nun einmal getrieben
von Leuten, die einen anderen Blick auf das
Thema Technologie und Energiewende haben, als wir ihn häufig für unsere Lösungen
brauchen können. Letztlich muss ich sagen:
Was ihr bei der dena macht, Andreas, ist der
schwierigere Job. Ihr müsst irgendwie Alt
und Neu verbinden, braucht einen Konsens,
auf dem die Energiewende aufbauen kann.
Wir bauen gerade etwas, das eure Aufgabe
erleichtern kann.
KUHLMANN: Jetzt bin ich aber gespannt.
HESSE: Aus unserer Sicht ist Politik ja nichts
anderes als ein nicht-automatisierter Konsensmechanismus. Und die Blockchain
kann in der Energiewelt so vieles automatisieren und beschleunigen, über das man
nicht mehr politisch streitet – etwa wenn
smarte Kontrakte die Interaktion zwischen
Herstellern und Verbrauchern am Strommarkt radikal vereinfachen. Wir sehen jeden
Tag einen Nagel, der irgendwo raussteht,
und den man potenziell mit dieser Technologie einschlagen könnte und damit ein
ganzes Problemfeld der Energiewende aus
der Welt schaffen würde.
Herr Kuhlmann, Politik als Konsensmechanismus, ist das Ihre Welt?
KUHLMANN: Politik wird von Menschen gemacht. Da gibt es Interessen und Dinge, auf
die man Rücksicht nehmen muss, und das
ist ja auch gut so. Transaktionskosten sparen und Entscheidungsprozesse beschleu-
EWALD „ED“ HESSE, 38, IST CEO
VON GRID SINGULARITY UND VICE
PRESIDENT BEI DER ENERGY WEB
FOUNDATION. GEMEINSAM MIT
DEM ROCKY MOUNTAIN INSTITUTE
ARBEITET
DER
MASCHINENBAUINGENIEUR DARAN, EINE
BASIS FÜR DEN BREITEN ANSATZ
VON BLOCKCHAIN- UND SMART
CONTRACT-TECHNOLOGIEN
IM
ENERGIESEKTOR ZU SCHAFFEN.
nigen – das wäre allerdings etwas, was wir
sehr gut gebrauchen könnten. Wir agieren
in einem Rahmen, den Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft vorgeben. Aber das Bild da
drin lässt sich viel besser gestalten, als wir
es gegenwärtig tun.
Herr Kuhlmann, die Technologie von
Herrn Hesse ist ein Angriff auf die
bestehende Energiewelt. Wie geht die
dena mit dem Thema Disruption um?
KUHLMANN: Mir kommt da das Prinzip der
„kreativen Zerstörung“ des Ökonomen Joseph Schumpeter in den Sinn. Wir stoßen
in der Energiewende oft auf Hürden, die
nach einer kreativen Zerstörung rufen. Ich
bin gelernter Physiker und unendlich neugierig auf neue Entwicklungen. Wir werden
sicher disruptive Entwicklungen sehen, die
der Energiewende helfen. Denken Sie nur
an LED oder auch die Fracking-Technologie. Damals nannten wir das noch „game
changer“. Digitalisierung, Blockchain, aber
auch die Umwandlung bedeutender Industrieprozesse sind spannende Orte der
Forschung. Wo immer wir können, werden
wir als dena Brücken bauen. Das darf gerne
auch mal scheitern. Übrigens: Ein bisschen
disruptives Agieren kann auch in der Politik
ab und an hilfreich sein. Wir sollten aber
auch sehen: Das bisherige Energiesystem
hat uns die sichersten Versorgungsstrukturen der Welt verschafft. Angesichts der Veränderungen der letzten 15 Jahre eine großartige Ingenieursleistung.
Das Modell der „kreativen Zerstörer“
Uber oder Airbnb zum Beispiel wird
gesellschaftspolitisch durchaus kritisiert. Kann man in der Energiewelt
mit Disruption auch zu viel kaputt
machen?
KUHLMANN: Gut ist, was Fortschritt bringt.
Aber nicht jede Innovation bringt Fortschritt. Übertragen auf die Energiewende
bedarf es Innovationen, die helfen, das
existenzielle Problem des Klimawandels zu
lösen und den damit verbundenen Strukturwandel so zu gestalten, dass er den Menschen dienlich ist und Arbeitsplätze schafft.
Einfach nur eine digitale Superplattform zu
bauen, bei der viele Leute ihren Job verlieren und die Rendite im kleinen Kreis maximiert wird, das wäre mir nicht genug.
HESSE: Das sehe ich genauso. Das Internet
ist zur Zeit enorm zentralisiert und wird von
ungefähr zehn Firmen beherrscht. Blockchain ermöglicht eine Demokratisierung
sowohl im Internet als auch bei der Digitalisierung des Strommarktes. Eine dezentrale
Kommunikationsplattform, welche automatisierte Wertübertragungen ermöglicht,
ist quasi der Grundbaustein einer Graswurzeldemokratie. Das wird viele Beteiligte ermöglichen, eine Monopolisierung erschweren und somit mehr Arbeitsplätze schaffen.
Unsere Technologie ist umsonst von jedem
verwendbar, der eine Idee hat. Nur wenn
die Eintrittshürden für eine Technologie so
niedrig sind, können Projekte auch einmal
scheitern und in verbesserter Variante er-
neut an den Start gehen. Das steigert die
Innovationsleistung der Energiewende erheblich.
Herr Kuhlmann, wenn da keiner mehr
groß verdient, wer investiert dann
noch in die Infrastruktur, welche die
Energiewende ja so dringend benötigt?
KUHLMANN: Das ist eine der wichtigsten
Fragen, die wir bei der dena diskutieren.
Unsere Leitstudie zeigt, dass manche Technologien einen spektakulär guten Lauf vor
sich haben und vermutlich leicht Investoren finden werden. Es liegt an uns, den dafür erforderlichen ökonomischen Rahmen
zu schaffen. Aber das geht, davon bin ich
überzeugt. Das setzt voraus, dass wir diese ungeheure Dynamik der Energiewende
sichtbar machen und die Chancen, die in
der Zukunft liegen, herausarbeiten. Die Politik allein hat es da nicht leicht. Wer helfen
kann, ist dazu herzlich eingeladen.
Herr Kuhlmann, Herr Hesse,
ich danke Ihnen für das Gespräch.
MEHR ZUM THEMA BLOCKCHAIN AUF DEN
SEITEN 32/33.
transition ― 17
BIG PICTURE
INFOGRAFIK
BEISPIEL INDUSTRIE
Demand Side Management (DSM)
WIE FUNKTIONIERT DIE
INTEGRIERTE ENERGIEWENDE?
Industrieunternehmen regeln ihren Energieverbrauch
abhängig von der Stromerzeugung durch erneuerbare
Energien und können so helfen, die Netze zu stabilisieren.
Mit dieser Flexibilisierung leisten sie einen Beitrag zum
besseren Ausgleich zwischen Stromerzeugung und -verbrauch und damit zur Integration der erneuerbaren Energien. Eine intelligente Steuerung ermöglicht die
Verbindung von lokaler Verbrauchsoptimierung
(Energieeffizienz) und Optimierung des
Gesamtsystems (Flexibilität).
Um die Klimaschutzziele 2050 zu erreichen, brauchen wir ein nachhaltiges
und intelligentes Energiesystem. Die Integrierte Energiewende zeigt, wie
das gelingen kann. Zwei Herausforderungen stehen dabei im Mittelpunkt:
Die wachsende Zahl an Energieerzeugern und -verbrauchern aus allen
Sektoren muss besser aufeinander abgestimmt und die verschiedenen Infrastrukturen müssen zu einem intelligenten System verbunden werden.
In der Infografik finden Sie vier konkrete Beispiele, wie dies in den Bereichen INDUSTRIE, ENERGIEERZEUGUNG, VERKEHR und GEBÄUDE aussehen
kann.
Damit die Veränderungen in den einzelnen Sektoren gemeinsam auf ein
stabiles Energiesystem einzahlen, müssen sie über einen klaren REGULATORISCHEN RAHMEN gesteuert werden, der auch die Einbettung in
die INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN sicherstellt. Darin können dann
INNOVATIVE LÖSUNGEN entwickelt und INTEGRIERTE INFRASTRUKTUREN
UND MÄRKTE aufgebaut werden.
BEISPIEL ENERGIEERZEUGUNG
Power to Gas
Sonne und Wind liefern nicht konstant Energie. Eine wichtige Herausforderung der Energiewende ist es deshalb, große
Energiemengen zu speichern und bei Bedarf wieder verfügbar zu machen. Hierbei kann Power to Gas einen wichtigen
Beitrag leisten. Denn damit ist es möglich, überschüssige
erneuerbare Energie in Form von synthetischem Gas zu
speichern. Durch Power to Gas können günstige Voraussetzungen für erneuerbare Energien in anderen Regionen der
Welt genutzt werden, um global mit erneuerbaren Brennund Kraftstoffen handeln zu können. Diese Energie kann
dann genutzt werden, wenn zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht.
20
D
INAS K
TE LI
GR MA
IE FR
R
DETE EUN
R ZEN DL
UKER IC
UNGIEHE
FT SYSUN
TED
M
50
TREIBER DER INTEGRIERTEN ENERGIEWENDE
INNOVATIONSFREUNDLICHER
REGULATORISCHER RAHMEN
Ein weiterentwickelter regulatorischer Rahmen sorgt für
verlässliche Rahmenbedingungen und stärkt optimierte
Lösungen über Sektorgrenzen hinweg. Er beinhaltet langfristig planbare Anreize für Energieeffizienz und CO2-Vermeidung
und setzt auf eine technologieoffene, marktwirtschaftlich orientierte Ordnungspolitik.
INTEGRIERTE INFRASTRUKTUREN UND MÄRKTE
INNOVATIVE LÖSUNGEN UND NEUE GESCHÄFTSMODELLE
Die Integrierte Energiewende benötigt innovative Produktions- und Anwendungstechnologien genauso, wie sie deren Entwicklung fördert. Auch neue Geschäftsmodelle sind
ebenso Treiber wie Ergebnis integrativer Lösungen in den einzelnen Sektoren und über
Sektorgrenzen hinweg. Einen Schwerpunkt bilden digitale Geschäftsmodelle, mit denen
auch kleinteilige und heterogene Prozesse vergleichsweise leicht koordiniert und optimiert werden können, zum Beispiel um die Energieeffizienz zu verbessern.
EINBETTUNG IN INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN
Eine erfolgreiche Gestaltung der Energiewende in Deutschland muss eng mit der Klimaund Energiepolitik der EU-Mitgliedsstaaten abgeglichen werden. Zusätzlich ist die internationale Zusammenarbeit für die Entwicklung innovativer Energiewendetechnologien und
globaler Märkte für erneuerbare Brenn- und Kraftstoffe wichtig.
transition ― 18
BEISPIEL GEBÄUDE
Vernetzte Wohngebäude
BEISPIEL VERKEHR
Das Elektroauto als
Verkehrsmittel und
Energiespeicher
Elektroautos können nicht nur einen Beitrag zur nachhaltigen Mobilität leisten:
Im Rahmen der Integrierten Energiewende sind sie auch mobile Stromspeicher.
Sie nehmen beispielsweise während des
Tages Energie aus dem Stromnetz oder
einer lokalen Photovoltaikanlage auf
und geben diese in der Nacht wieder ab.
Dadurch leisten sie als kleiner Teil des integrierten Energiesystems einen Beitrag
zur dezentralen Energieversorgung.
GRAFIK: elenabsl/Shutterstock.com
Die Energieinfrastrukturen (Strom-, Gas- und Wärmenetze sowie die Infrastrukturen für
flüssige Energieträger) sorgen in einem nachhaltigen und intelligenten Energiesystem gemeinsam mit den digitalen Netzen für eine optimierte Abstimmung von Energieerzeugung
und Energieverbrauch. So kann beispielsweise der erhöhte Verbrauch an der einen Stelle
die Drosselung des Verbrauchs an einer anderen Stelle oder die Bereitstellung von mehr
Energie durch einen anderen Akteur zur Folge haben.
Effiziente Gebäude, die über eine eigene Photovoltaikanlage verfügen und zusätzlich an
einen lokalen Quartierspeicher angeschlossen sind, werden zukünftig immer stärker
nicht mehr nur Energieverbraucher, sondern
auch -erzeuger sein. Zudem können in Gebäuden installierte Speicher Strom aufnehmen, wenn zu viel davon im Netz verfügbar
ist, und ihn bei Bedarf wieder nutzbar machen. Damit sind vernetzte Gebäude in Zukunft ein wichtiger Baustein der Integrierten
Energiewende.
MEHR ZUR LEITSTUDIE INTEGRIERTE ENERGIEWENDE AUF SEITE 46 UND UNTER WWW.DENA.DE/INTEGRIERTE-ENERGIEWENDE
transition ― 19
BIG PICTURE
PRAXISBERICHT
Jingzhou will mit unserer Hilfe die „nationale Pilotstadt für Eco-Cities“ werden. „Eco-City“ bedeutet in China, dass eine Stadt sich
verhältnismäßig ambitionierte Ziele bei
der Energieeinsparung, der Versorgung mit
erneuerbaren Energien, in der Abfallwirtschaft und im Verkehr setzt. Es geht konkret
um Effizienzmaßnahmen wie erste Energieaudits, ein besseres Monitoring in der
Bauphase von neuen Häusern, Green-Building-Standards und die beispielhafte Integration erneuerbarer Energien in Gebäuden.
Dazu soll in Jingzhou ein Neubauquartier
mit 305 energieeffizienten Gebäuden und
zusammen 1,9 Millionen Quadratmetern
transition ― 20
Es gibt Bereiche, in denen in China im Moment wirklich viel passiert: Leihräder werden modern, erneuerbare Energien werden
ausgebaut und viele Städte wollen sich als
Ökopioniere positionieren. Es engagieren
sich dabei aber nicht lokale Bürgerinitiativen. Oft sind es Funktionäre der regierenden Partei oder Bürgermeister, die auf sich
und ihre Stadt aufmerksam machen wollen.
Und für sie wird sehr schnell die Frage wichtig, woher die Mittel für eine Straßenbahn,
eine Kläranlage oder effiziente Gebäude
kommen. Da können wir Kontakte zur KfW
herstellen.
Man sieht, dass es bei den Eco-Cities
in China meist um neue Viertel und Stadtteile geht. Eine große Frage ist aber weiterhin, was mit den heute schon bestehenden
Gebäuden passiert. Werden sie saniert?
Ist das technisch überhaupt möglich? Und
stimmen die vielen Hundert privaten Wohnungseigentümer dem auch zu, haben
sie das Geld? Oder werden diese Gebäude
vielleicht schon in wenigen Jahren wieder
abgerissen und durch eine neue Generation
von Wohngebäuden ersetzt? Die Lebenszyklen sind kurz. Darum ist es so wichtig, heute in den Köpfen der Planer etwas
zu bewegen.
NICOLE PILLEN IST STELLVERTRETENDE
BEREICHSLEITERIN
ENERGIEEFFIZIENTE
GEBÄUDE UND LEITET BEI DER DENA DIE
INTERNATIONALEN KOOPERATIONEN IM GEBÄUDEBEREICH.
G
A
M
Das Wachstum der Welt spielt
sich vor allem in den urbanen
Zentren ab: Schon heute leben
mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, bis zum Jahr
2050 sollen es schon sieben von
zehn sein. In vielen Ländern ist
die ökologische Stadterneuerung deshalb ein drängendes
G
R
U
B
DE
Thema. Doch die Herausforderungen auf den verschiedenen
Kontinenten sind zum Teil sehr
unterschiedlich. Zwei Einblicke
in die Praxis der urbanen Energiewende in Deutschland und in
China.
PROTOKOLL Marcus Franken
Blick Richtung 2050: Um CO2-Einsparungen von 95 Prozent zu schaffen, müssen
DEUTSCHE KOMMUNEN vor allem den
Gebäudebestand sanieren und bei allen
Maßnahmen ihre Bürger mitnehmen, berichtet Rolf Warschun, Umweltamtsleiter
in Magdeburg.
D
KOMMT
ES AN
Mehr Grünflächen geplant
Leihräder im Trend
JIN
GZ
HO
U
GRAFIK: Koshevnyk/Shutterstock.com
Z
um Beispiel Jingzhou: Die
6,4-Millionen-Stadt ist eines der
wichtigsten Industriezentren in
Chinas Binnenland, rund 900
Kilometer von Schanghai entfernt. Wir arbeiten dort mit der Chinese Society for Urban Studies (CSUS) zusammen,
sie ist unsere Anbindung an die chinesische
Regierung. Die CSUS gehört zum Bauministerium in Peking und berät den Staatsrat
der Zentralregierung sowie Städte im ganzen Land – auch wenn es darum geht, mehr
für Umwelt und Klimaschutz zu machen.
Jingzhou liegt direkt am Jangtse und
leidet stark unter den Folgen der Umweltverschmutzung in China, besonders der
Smog aus den Kohlekraftwerken, von Autos
und Fabriken trifft die Menschen dort direkt.
Es gibt viele grundlegende Probleme, die
weder wir noch die Stadtverwaltung von
heute auf morgen lösen können. Es geht
uns daher vor allem darum, das Denken
zu verändern. Und dazu unterstützen wir
die Initiierung und Umsetzung von Leuchtturmprojekten und Vorzeigekommunen.
Nutzfläche entstehen. Die Pläne sind für
chinesische Verhältnisse ehrgeizig: Bis 2020
soll der Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch auf acht Prozent
steigen und damit fast verdoppelt werden.
Und – das ist heute in China ein wichtiges
Thema – der Anteil von Grünflächen in der
Stadt soll auf 42 Prozent klettern. Mit dena-Hilfe soll auch ein Museumsgebäude im
Passivhausstandard gebaut werden, in dem
Dämm-Know-how und Lüftungstechnik aus
Deutschland zum Einsatz kommen. Außerdem wollen wir helfen, eine hocheffiziente
Wasserkläranlage zu errichten.
AUF DIE
STÄDTE
In CHINESISCHEN STÄDTEN geht
aller Klimaschutz von den Stadtoberen aus: Chinesische Institute versuchen zusammen mit Partnern wie der
dena, das Denken der Planer von heute
zu verändern, sagt Nicole Pillen, zuständig für internationale Kooperationen im
Gebäudebereich der dena.
er Klimawandel ist bei uns
schon im ersten Jahrzehnt
dieses Jahrhunderts angekommen: Wir hatten die Hochwasser 2002 und 2013 und
dazwischen noch drei weitere. Die Meteorologen halten sich zwar sehr zurück damit,
diese Hochwasser direkt auf den Klimawandel zurückzuführen. Aber natürlich wissen
alle: Solche Wetterlagen werden häufiger.
Das hat sicher dazu beigetragen, dass es bei
der Abstimmung zum neuen Klimaschutzprogramm für die Stadt Magdeburg volle
Zustimmung im Rat der Stadt gegeben hat
– ohne Gegenstimme oder Enthaltung –
und auch die Zustimmung zum „Masterplan
100% Klimaschutz“ überwältigend ist.
Das Bekenntnis zum Klimaschutz ist
für Magdeburg nicht neu: Schon 1992 hat die
Stadt sich in der Aufbruchsstimmung nach
der Wende verpflichtet, beim Klimaschutz
besonders viel zu machen. Und heute sehen
wir den Klimaschutz auch als Signal der Zukunftsfähigkeit, gerade an die politisch denkenden und jungen Menschen in der Stadt.
Aber der Blick auf unsere CO2-Emissionen
zeigt eben ganz ähnlich wie auf Bundesebene: Es passiert viel, wir haben etwa einen
großen Teil der innerstädtischen Beleuchtung auf LED umgestellt, um Strom und
Kosten zu sparen. Aber insgesamt gehen die
Emissionen seit fast einem Jahrzehnt nicht
mehr zurück. Darum brauchen wir eine neue
Dynamik. Wir wollen jetzt die zweite Stufe
im Klimaschutz zünden.
Ein selbsttragendes Modell
Und dazu brauchen wir auch die dena: Mit
dem Modellprojekt „Energieeffizienz-Kommune“ konnten wir uns ein Managementsystem für den Klimaschutz erarbeiten, das
weit über die Dauer des Projektes hinaus
Kontinuität in die Arbeit bringt, mit dem
wir verlässliche Emissionsbilanzen erstellen
und Arbeitsgruppen etablieren. Dadurch ist
hier jetzt ein selbsttragendes Modell entstanden.
Wenn man auf die Quelle der Emissionen schaut, dann ergeben sich daraus die
Prioritäten unserer Arbeit: Energiebedarf
in den Wohnungen, Ämtern und Büros ist
ein wichtiges Thema. Unser Hauptarbeitsfeld ist der Bestand und da ist es wichtig,
die Menschen in Magdeburg einzubinden.
Darum machen wir Projekte mit Signalwirkung: etwa die energetische Sanierung von
Wohnungen im 5.000-Einwohner-Stadtteil
Buckau. Da bekommen die Eigentümer
Fördergelder vom Bund und wir haben die
finanziellen Mittel, um diese Maßnahmen
auch zu kommunizieren. Bei der Wärmeversorgung steht Magdeburg insgesamt nicht
schlecht da: In den neunziger Jahren wurden viele Wohnungen auf Gasheizung umgerüstet und ein großer Teil der Stadt wird
über ein Nahwärmenetz versorgt.
Ein Modal-Split von 1:1:1:1
In der Verkehrsentwicklung streben wir einen Modal-Split von 1:1:1:1 an – also eine
gleichmäßige Verteilung der Personenkilometer auf Rad, öffentlichen Verkehr, Auto
und Fußgänger. Das ist gerade für eine automobilgeprägte Stadt wie Magdeburg eine
kleine Revolution. Und ich bin gespannt,
wie die Diskussion zwischen Stadtrat und
Bürgerschaft verlaufen wird. Wir hatten
kürzlich eine Delegation aus China zu Besuch, die uns erklärte, dass sie zur Förderung des Radverkehrs einfach die Autoparkplätze beseitigt hätten – so was können und
wollen wir nicht.
Das Gute an dem jetzigen Masterplankonzept: Wenn man sich lediglich das Ziel
setzt, bis 2050 mehr oder weniger CO2-frei
zu sein, dann kann man dieses Ziel in der
Tagespolitik schnell aus den Augen verlieren. Im Masterplan setzen wir uns Zwischenziele, die regelmäßig überprüft werden.
So sehen wir sehr direkt, ob wir auf dem
richtigen Kurs Richtung Klimaschutz sind.
ROLF WARSCHUN IST LEITER DES UMWELTAMTES DER STADT MAGDEBURG, DIE 2013
ALS DENA-ENERGIEEFFIZIENZ-KOMMUNE
ZERTIFIZIERT WURDE.
transition ― 21
BIG PICTURE
NACHGEFRAGT
DIE DEUTSCHE ENERGIEPOLITIK STEHT
IN DER NEUEN LEGISLATURPERIODE VOR
GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN. WIR
HABEN DESHALB VIER EXPERTINNEN
UND EXPERTEN NACH IHRER MEINUNG
GEFRAGT: WO SOLLTE DIE BUNDESREGIERUNG PRIORITÄTEN SETZEN? WIE GEHEN
WIR KÜNFTIG MIT DEN KOSTEN DER ENERGIEWENDE UM? UND WO HERRSCHT DIE
GRÖSSTE DYNAMIK?
»Wir müssen endlich
davon abkommen,
Kosten und Lasten in die
Zukunft zu verschieben.«
»In einer digitalen
»Verbraucher
Welt können
wollen sich an
wir längst nicht
der Energiewende
mehr alles alleine
beteiligen.«
machen.«
Dr. Alexander von Frankenberg ist seit Oktober 2005
Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds und seit
2000 im Venture-Capital-/Start-up-Umfeld tätig. Zu seinen vorherigen Stationen zählen unter anderem ein ITStart-up sowie verschiedene Positionen bei Siemens.
Hildegard Müller ist seit Mai 2016 Vorstand
Netz & Infrastruktur der innogy SE. Zwischen
2008 und 2016 war sie Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der
Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Klaus Müller ist seit 1. Mai 2014 Vorstand
des Verbraucherzentrale Bundesverbands
(vzbv). Zuvor war er unter anderem Minister
für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft
des Landes Schleswig-Holstein.
Dr. Christina Elberg ist seit Juni 2015
Geschäftsführerin von ewi Energy Research &
Scenarios. Zuvor war sie in leitender Funktion
im Projektgeschäft des ewi tätig.
Was ist die größte
energiepolitische
Herausforderung
für die neue
Bundesregierung?
Die größte Herausforderung ist sicher die Umstellung
auf die Elektromobilität: Riesige Investitionen in Ladeund Netzinfrastruktur sind notwendig und gleichzeitig
dürfen Incentives für die Käufer von Elektroautos nicht
ausufern. Dabei muss die Automobilindustrie gefordert,
aber nicht überfordert werden. Elektromobilität vor allem in Verbindung mit autonomem Fahren birgt das Risiko, dass die wichtigste deutsche Industrie erheblichen
Schaden nimmt. Dafür braucht die Bundesregierung
nicht nur viel Fachkompetenz, sondern auch eine im
internationalen Kontext sehr sensible Vorgehensweise.
Unsere Vision ist ein Energiesystem, das vor
allem aus erneuerbaren Energien, Flexibilität und Lastmanagement sowie aus intelligenten Netzen besteht. Neben dem Stromsektor müssen dabei auch die Bereiche
Wärme und Verkehr mit einbezogen werden. Nur mit dieser Sektorkopplung – also
einer Integrierten Energiewende – kann
Deutschland seine Klimaziele erreichen
und das Generationenprojekt Energiewende zum Erfolg bringen.
Die große Mehrheit der Verbraucher steht
hinter den Zielen der Energiewende. Eine
große Herausforderung ist es aber, Verbraucher auch künftig von der Energiewende zu
überzeugen und sie zu beteiligen. Hierfür
braucht es unter anderem mehr Kostengerechtigkeit bei der Finanzierung und steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für die
energetische Gebäudesanierung.
Die größte Herausforderung liegt sicherlich im Erreichen der Klimaschutzziele bzw.
darin, einen geeigneten Rahmen zu entwickeln, in dem diese wirksam und effizient
erreicht werden. Zentral ist die Frage, wie
ein hinreichend hohes (sektorübergreifendes) CO2-Preissignal ausgestaltet und etabliert werden kann.
Energiewende gibt es nicht umsonst. Aber
es ist wichtig, die Bezahlbarkeit wieder
stärker in den Blick zu nehmen. Wir tragen
dazu bei mit smarten Verteilnetzen und intelligenten Konzepten, die zu mehr Effizienz
und weniger Belastungen im Gesamtsystem
führen. Wichtig ist aber auch, dass die Politik Strom nicht weiterhin stärker belastet
als andere Energieträger.
Seit dem Jahr 2000 hat sich der Strompreis
mehr als verdoppelt. Die Ausnahmen für
die Industrie bei der EEG-Umlage sind gestiegen, die Kosten tragen die Verbraucher.
Zentral ist es deshalb, Verbraucher zu entlasten – etwa bei der Stromsteuer. Industrieprivilegien müssen begrenzt oder zumindest aus Steuermitteln finanziert werden.
Diesbezüglich gilt es, Effizienz- und Verteilungsziele zu adressieren bzw. abzuwägen.
Hinsichtlich der Effizienz sind die Anreizund Lenkungswirkungen entscheidend. Ein
CO2-Preis kann die Allokation verbessern,
weil dem negativen (externen) Effekt des
CO2-Ausstoßes ein Preis gegeben wird und
somit Anreize bestehen, CO2 zu vermeiden.
Mich fasziniert das Zusammenspiel verschiedener Branchen und Disziplinen. In
einer digitalen Welt können wir längst nicht
mehr alles alleine machen. Die Kooperationen werden auf allen Ebenen zunehmen.
Ein besonders gutes Beispiel ist Designetz.
Hier entwickeln wir mit 45 Partnern aus Forschung, Industrie und von Stadtwerken in
30 Einzelprojekten und drei Bundesländern
eine Blaupause für die Energiewende.
Verbraucher wollen sich an der Energiewende beteiligen. Solarpaneele und Stromspeicher könnten bald so preiswert werden,
dass Haushalte ganz selbstverständlich
einen Teil ihres Stroms selbst produzieren,
speichern und verkaufen – und sich miteinander vernetzen. Allerdings muss Mieterstrom mit dem Eigenstrom der Hauseigentümer gleichgestellt werden.
Durch Digitalisierung und Smart Metering
wird der Endkunde stärker in den Markt eingebunden. Es ergeben sich Räume für neue
Geschäftsmodelle und individualisierte
Dienstleistungen, die den Bedürfnissen der
Konsumenten stärker entsprechen. Dieser
Trend findet in der Wissenschaft Beachtung
und wird auch in der Praxis ökonomisches
Know-how verlangen.
»Die größte
Herausforderung
liegt sicher im
Erreichen der
Klimaschutzziele.«
Welche Trends
und Ideen aus dem
Energiebereich
begeistern Sie?
transition ― 22
Wir müssen endlich davon abkommen, Kosten und
Lasten in die Zukunft zu verschieben – „kicking the can
down the road“, wie die Amerikaner sagen. Die Kosten
müssen heute getragen werden. Dabei berücksichtigt
werden müssen Verursacher, Nutznießer und Leistungsfähigkeit. Auf jeden Fall keine Schuldenfinanzierung.
Vor allem zwei Themen: Zum einen fallen die Grenzkosten von Energie auf Null, d.h., Energie wird zumindest
zeitweise extrem günstig oder kostenlos verfügbar sein
und damit ganz neue Anwendungsbereiche eröffnen.
Zum anderen wird Energie immer sauberer werden
und damit die Erde weit weniger belasten oder sogar
entlasten.
FOTOS: Klaus Müller: vzbv - Gert Baumbach, A.v. Frankenberg: High-Tech Gründerfonds, Hildegard Müller: innogy
Wir müssen
mal reden...
Wie sollten die
Energiewendekosten
in Zukunft verteilt
werden?
transition ― 23
INSIGHTS
DIE DENA TREIBT DIE ENERGIEWENDE UND DEN KLIMASCHUTZ
VORAN. IN DER RUBRIK INSIGHTS
ERFAHREN SIE, WIE WIR MIT
UNSEREN
PROJEKTEN
AM
UMBAU DES ENERGIESYSTEMS
ARBEITEN – IN DEUTSCHLAND UND
INTERNATIONAL.
INSIGHTS
REPORTAGE
DARF’S EIN
BISSCHEN
SEIN?
WENIGER
LÄDEN UND SUPERMÄRKTE HABEN EINEN HOHEN ENERGIEVERBRAUCH. WAS MÜSSEN EINZELHÄNDLER TUN, UM IHN ZU SENKEN?
SCHLAGLICHTER AUF DREI HÄNDLER AUS DEM DENA-MODELLVORHABEN ZUR ENERGETISCHEN SANIERUNG VON HANDELSGEBÄUDEN.
TEXT Titus Kroder FOTO dena/Ingo Heine
O
tersen ist ein niedersächsisches Idyll. Ein Ort, an dem
man an einem schönen Tag
sofort einen Reklamefilm
für Fruchtjoghurt, Margarine
oder Pumpernickel drehen könnte.
Im Dorfladen der 500-Seelen-Siedlung zwischen Pferdekoppeln und lauschigen Lindenalleen stehen diese Produkte
im Kühlregal. Sie auf sechs Grad Celsius
zu halten, trägt zu den knapp 11.000 Euro
Stromkosten bei, die der nicht auf Gewinn
ausgerichtete Bürgerladen pro Jahr zu bezahlen hat.
„Als wir den Laden 2011 neu eingerichtet haben, wurden Kühlgeräte angeschafft, die damals schon acht Jahre
alt waren. Was man bei solchen Geräten
an Einsparmaßnahmen tun kann, haben
wir gemacht, etwa die Innenbeleuchtung
gegen LEDs ausgetauscht“, sagt Günter
Lühning. Er initiierte das 180 Quadratmeter
große Geschäft über einen Bürgerverein, als
in seinem Heimatort der letzte Lebensmittelladen aufgegeben hatte.
Lühning, Mittfünfziger, robuster Niedersachse, Familienvater und Firmenkundenberater in einer Sparkasse, muss nicht
nur im Hauptberuf scharf rechnen. Denn
auch der von ihm in der Freizeit betreute
Dorfladen muss mit spitzem Stift an seine
Energiebilanz herangehen, damit Aufwand
und Ertrag sich lohnen. Der Laden bildet
transition ― 26
nicht so schnell Rücklagen. An einem Freitagnachmittag rollt etwa alle zehn Minuten
ein Auto auf den Parkplatz und eine Kiste Herforder Bier und eine Tiefkühlpizza
werden verladen. Dann ist erst mal wieder
Ruhe.
Der Bürgerverein hatte die 200 Jahre
alte Fachwerkimmobilie vor sieben Jahren
gekauft und auf Neubaustand modernisiert.
Wände wurden gedämmt und Photovoltaik
auf dem Dach installiert. „Die Kältetechnik
ist momentan die akute Herausforderung
für uns“, fasst Lühning das Ergebnis des
Energieberatungsprozesses
zusammen,
bei dem der Dorfladen durch den erfahrenen Energieberater Marcel Riethmüller von
Ecogreen Energie und Andreas Kaupp vom
Gebäudetechnikspezialisten Hörburger unterstützt wurde.
An den Stromverbrauchern wurden
im Zählerschrank orange Messwürfel installiert. Was die Sensoren erfasst haben, steht
nun auf 60 Seiten Diagnosebericht. Die
Kühltruhen nachts abzudecken bringt zum
Beispiel 123 Euro Einsparung pro Jahr. Das
Enteisen setzt noch mal 24 Euro obendrauf.
Die letzten zwanzig Halogenstrahler des Ladens gegen LED zu tauschen, bringt noch
mal 450 Euro.
Im Vergleich zu den betagten Kühlmöbeln sind diese Einsparpotenziale aber
eher winzig. Denn „durch eine neue, zentrale Kälteanlage kann eine Einsparung von
etwa 33 Prozent erreicht werden“, heißt es
im Bericht. 2.000 Euro weniger Stromkosten
pro Jahr – allerdings für eine Investition von
51.000 Euro, die sich erst nach 26 Jahren
amortisiert. Rechnet sich so etwas in einem
Laden, der nur eine schwarze Null schreiben will?
„Das lohnt sich dann – und das wusste ich vorher auch nicht –, wenn wir auf
CO2-Kühlung umstellen“, sagt Lühning. In
zwei Jahren muss der Einzelhandel gesetzlich sowieso auf klimafreundliches Kältemittel wechseln. Und das wird, so riet dem
Niedersachsen der Energieberater, bei so
kleinen Geschäften mit bis zu 85 Prozent
bezuschusst. So passt die Modernisierung
mit einer Amortisationszeit von zwei Jahren
auch sinnvoll in das Budget seines Bürgerladens. Damit werden die Joghurts in Otersen
bald mit einem Drittel weniger Energieeinsatz gekühlt.
Schicke Rollis, Jeans und
Blusen im besten Licht erscheinen lassen
Ganz anders gelagert sind die Energieerfordernisse mittelständischer Textilketten.
Hier muss die Ware vor allem gut aussehen.
In den Filialen von Mode Hell – allesamt in bayerischen Mittelstädten gelegen
– wird deshalb jede Menge Licht gebraucht.
Gehobene Konfektionsware will von den
Kunden in angemessener Beleuchtung ausgesucht und anprobiert werden. „Da zieht
unsere Hauptfiliale schon 60.000 Watt auf
1.000 Quadratmetern Verkaufsfläche“, berichtet Michael Hell.
Der Unternehmer um die Fünfzig
sieht sich als „Verfechter der Energiewende“. Privat fährt er Elektroauto und auch an
den fünf Ladenimmobilien, die zusammen
4,5 Millionen Euro im Jahr mit hochwertiger
Markenbekleidung umsetzen, hat er schon
einiges getan, bevor er am dena-Modellvorhaben „Energieeffizient Handeln“ teilnahm.
Jetzt will er wissen, was eine Energieberatung noch herausholen kann. Auch er will
noch einmal 40 Prozent weniger Energie
verbrauchen.
Seit Anfang 2017 betreibt die dena das
Modellvorhaben „Energieeffizient
Handeln“. Rund 25 Einzelhändler
verschiedenster Größe werden auf
Basis einer umfassenden Energieberatung dabei unterstützt, ihren Energieverbrauch um bis zu 40 Prozent
zu senken. Das Pilotprojekt wird vom
Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie gefördert und durch
zahlreiche Partner aus der Wirtschaft
(Hottgenroth, Hörburger, Krumedia,
Multicross, Vattenfall Wärme Europe)
sowie Institutionen und Verbänden
(EHI Retail Institute, Handelsverband
Deutschland, Zentraler Immobilien
Ausschuss) unterstützt. Mehr unter
www.energieeffizient-handeln.de
Das viele Licht im Laden sorgt für so große Wärme, dass Hell wohl auf Bademoden
umstellen müsste, hätte er nicht schon vor
Jahren eine klimafreundliche Erdkühlung
installieren lassen. Aus 20 Meter Tiefe wird
Grundwasser in Röhren durch die Decke der
Ampfinger Niederlassung gepumpt, um die
Räume auf angenehmen Temperaturen zu
halten.
Hell erwägt nun noch, die 400 Halogenstrahler pro Laden auf sparsame LEDs
umzustellen. Bisher ist er jedoch skeptisch.
„Der Spareffekt beruht bei dieser Technologie darauf, dass das Rotspektrum rausgenommen wird. Das kann man im Textilhandel nicht brauchen. Ein roter Pullover sieht
dann einfach zu flau aus“, sagt Hell.
Die Sanierungsoptionen sind in
Ampfing ohnehin durch die ländliche Lage
beschränkt. Der Ort hat zum Beispiel kein
Fernwärmenetz, an das man die Hitze abgeben könnte. Das wäre auch die Crux beim
Einbau eines Blockheizkraftwerks, den Hell
erwägt. „Wohin mit der Wärme im Sommer?“, fragt er.
Und auch bei den Schaufenstern liegt
der Königsweg noch nicht auf der Hand. Die
rund um das Gebäude laufenden Scheiben
gegen neue Fenster auszutauschen würde
transition ― 27
zwar erheblich mehr Energie sparen. „Doch
das ließe sich nur mit komplett neuer Rahmung bewerkstelligen – eine größere Baumaßnahme also“, meint Hell und fasst die
Gesamtrechnung zusammen: „Beleuchtung: 40.000 Euro, ein 9-Kilowatt-Blockheizkraftwerk: 30.000 Euro und neue Schaufenster: 150.000 Euro.“
Ob sich das wirklich rentiert, weiß er,
wenn er den Energieberatungsbericht in
Händen halten wird.
Der Kunde im großen
Lebensmittelmarkt legt
Wert auf Klimaschutz
Von idyllischen Dorfläden oder einer mittelständischen Bekleidungskette ist Oliver
Veigl Lichtjahre entfernt. Als Bereichsleiter
nachhaltiges Bauen des Bau- und Energieberaters CEV „revitalisiert“ er in Abstimmung mit der Handelskette Netto die
Filialen eines der größten Einzelhandelsladennetze in Deutschland.
Bei insgesamt rund 4.200 Läden erfolgt die energetische Betrachtung generalstabsmäßig. Im Schnitt wird jede Filiale
von Experten der Netto und von CEV alle
sieben Jahre unter die Lupe genommen.
„60 Prozent des Energieverbrauchs eines
Lebensmittelmarkts macht die Kühltechnik aus, jeweils 20 Prozent entfallen auf die
Beleuchtung und die Lüftung. Wenn Sie das
alles auf einen neuen Stand bringen, haben
Sie das Energiesparziel oft schon erreicht“,
so Veigl.
Am dena-Modellvorhaben „Energieeffizient Handeln“ nimmt ein Netto-Markt
in Schönefeld südlich von Berlin teil.
40 Prozent des Energieverbrauchs sollen
dort eingespart werden. Als Basis für die
Modernisierung werden die Ergebnisse
eines spezifischen Energieaudits herangezogen. Darüber hinaus werden bereits
erprobte Optimierungskonzepte von Netto
eingesetzt. Im neu gestalteten Eingangsbereich wird nach der Sanierung ein hochmoderner Türluftschleier sicherstellen,
dass die Innentemperatur stabil bleibt.
Eine Zwischensparrendämmung soll im
Winter die Wärmeverluste über das Dach
reduzieren und im Sommer verhindern,
dass zu hohe Temperaturen im Ladengeschäft entstehen. Geplant sind auch ein
LED-Beleuchtungskonzept, die Nutzung
transition ― 28
der Prozessabwärme aus der Kälteerzeugung zur Gebäudebeheizung und eine
Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Zudem werden Kälteanlagen und
Tiefkühltruhen modernisiert und künftig
mit natürlichem Kältemittel betrieben.
Moderne Steuerungstechnik wird im
Schönefelder Markt außerdem künftig alle
Komponenten der Anlagentechnik aufeinander abstimmen, so wie es bei allen Neubau- oder Modernisierungsvorhaben von
Netto Standard ist. Über das permanente
Monitoring können alle Systeme bei Bedarf
nachjustiert werden. Fehlfunktionen oder
Auffälligkeiten werden dadurch frühzeitig
entdeckt. „Der Markt kann so sehr effizient
gemanagt werden“, erklärt der Energieexperte.
Im Durchschnitt verbraucht ein typischer Einzelhandelsmarkt 210 Kilowattstunden weniger Energie pro Quadratmeter
und Jahr als die meisten kleinen Geschäfte. Dennoch ähneln manche Probleme bei
Netto denen bei „Mode Hell“ in Ampfing:
Oft gibt es zu viel Wärme in den Läden, zum
Beispiel durch die Körpertemperatur der
Kunden oder die Sonneneinstrahlung auf
die großen Glasflächen.
Ein Lebensmittelmarkt der Zukunft
brauche dann auch keinen Gasanschluss
mehr, erläutert Veigl: „Die Abwärme aus der
Kälteanlage kann für die Fußbodenheizung
genutzt werden, sodass kein fossiler Brennstoff mehr benötigt wird.“ Schon seit 2010
wird in den meisten Netto-Filialen die Kühlabwärme über einen Wärmetauscher zur
Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser genutzt.
Eine feste Regel beherzigt Veigl zudem immer: Wenn man investiert, müssen
die Märkte Mietlaufzeiten von mehr als zehn
Jahren haben. Darunter lohnt sich eine
energetische Sanierung nicht. Schließlich
ist die Netto-Kette an den meisten Standorten Mieter.
Eine der größten Lebensmittelmarktketten Deutschlands rechnet letztlich nämlich auch nicht anders als der Dorfladen
in Otersen. „Wenn Sie einen Joghurt für
50 Cent verkaufen, dann haben Sie eine Gewinnmarge von vielleicht drei Prozent. Das
sind Minicent-Beträge. Wenn Sie da einen
Euro an Energiekosten einsparen, können
Sie gleich zehn Joghurts mehr profitabel an
den Mann bringen“, sagt Veigl. n
A successful energy transition becomes reality
The global platform to promote innovation in energy transition
All information and application on:
startup-energy-transition.com
#SET2018
@StartUpGet
» WAS WIR
JETZT MACHEN,
IST NUR DER
ERSTE SCHRITT«
INSIGHTS
REPORTAGE
DER METALLPRODUZENT AURUBIS UND ENERCITY WOLLEN DIE NEUE ÖSTLICHE
HAFEN-CITY IN HAMBURG MIT CO2-NEUTRALER WÄRME VERSORGEN. EINE KOOPERATION, VON DER UNTERNEHMEN, STADT UND KLIMA PROFITIEREN. UND DIE NOCH
DEUTLICH AUSGEWEITET WERDEN SOLL.
KfW und die dena hat aus fast 100 Vorschlägen zehn Leuchtturmprojekte ausgewählt: Dazu zählen auch die Stadtwerke Gießen mit
der Bosch Thermotechnik und der Bosch KWK Systeme GmbH, die
Brauerei C. & A. Veltins, die Evers-Druck GmbH, Evonik Industries,
das Fahrzeugwerk Bernard Krone, die Georgsmarienhütte GmbH,
die GETEC heat & power AG, die GILGEN’S Bäckerei & Konditorei und die Nestlé Deutschland AG. „Wir wollen, dass das Schule
macht“, erklärt dena-Projektleiter Armin Kühn.
Aurubis kommt entgegen, dass in Hamburg gerade viel gebaut wird. Am Ufer der Norderelbe, das dem Aurubis-Werk gegenüberliegt, entsteht die neue Hafen-City, die Nutzfläche von
1,4 Millionen Quadratmetern entspricht fast 20.000 durchschnittlich großen Wohnungen. Zwischen Werk und Wohnungen entsteht
eine Fernwärmeleitung, die die Wohnungen klimafreundlich mit
Heizenergie und warmem Wasser versorgt.
„Dort“, sagt Christian Hein und zeigt auf den östlichen Teil
des Werksgeländes, „wird die Wärme übergeben.“ Der erste der drei
Stränge in der sogenannten Kontaktanlage, die das Schwefeldioxid
aus dem Schmelzofen in flüssige Schwefelsäure umwandelt, wird
bereits umgebaut. Dann kann die Wärme aus der Schwefelreaktion
in einem Wärmetauscher auf das Wasser der geplanten Fernwärmeleitung übertragen werden. Von dort wird es dann in unterirdischen, dick gedämmten Rohren entlang des Aurubis-Werks nach
Nordosten fließen, weiter durchs Gewerbegebiet und dann entlang
der Veddeler Brückenstraße über die Norderelbe. Stolze 2,7 Kilometer lang ist die Leitung.
TEXT Marcus Franken
Vom Hochofen in die Heizung
Im Aurubis-Werk glühen die Hochöfen und flüssiges Kupfer schießt
aus dem Abstich am Schwebeschmelzofen. Wenn Christian Hein da
zu einer Erklärung ansetzt, ist er kaum zu verstehen. „Hier wird aus
hochangereichertem Kupfererz reines Kupfer gewonnen“, ruft der
Projektleiter und Koordinator für Energieeffizienz und Energiemanagement von Aurubis, als der gröbste Lärm verklungen ist.
Was in den Aurubis-Hochöfen passiert, ist schnell erklärt: Erzkonzentrat enthält etwa ein Drittel Kupfer, ein Drittel Eisen, ein Drittel Schwefel. Auf über 1.200 Grad wird dieses Gemisch erhitzt und so
entstehen in mehreren Prozessschritten flüssiges 99,5 Prozent reines Rohkupfer und Eisensilikat; in den Dämpfen steckt der Schwefel
transition ― 30
als gasförmiges Schwefeldioxid. Die Produkte daraus verkauft Aurubis weltweit.
„Wenn wir auf die Emissionen schauen, dann ist so ein Werk
direkt in der Stadt natürlich eine große Herausforderung“, sagt
Hein. Aurubis hat in den vergangenen Jahren Millionen in Betriebsoptimierungen und Filteranlagen investiert. „Aber bei der Fernwärme ist diese räumliche Nähe ein Glücksfall.“
Denn: Was macht man mit so viel Hitze? Die heißen Abgase
des Schwebeschmelzofens haben eine Temperatur von 1.400 Grad
Celsius. So werden bereits jetzt 70 bis 80 Prozent des im Werk benötigten Prozessdampfes CO2-neutral aus Abwärme gewonnen.
Die Reaktionswärme des Schwefelsäureprozesses konnte bisher jedoch nicht vollständig genutzt werden. „Für Wärme unter 100 Grad
haben wir viel weniger Verwendung im Werk“, erklärt Hein. Aber
gerade diese Wärme ist ideal, um etwa Wohnungen zu heizen.
Abwärme im Instrumentenmix
der Energiewende
„Die Nutzung von Abwärme wie bei Aurubis ist ein Topthema im Instrumentenmix der deutschen Energiewende“, erklärt Armin Kühn,
Projektleiter im Bereich Energiesysteme und Energiedienstleistungen der dena. Die Unternehmen in Deutschland könnten durch intelligente Abwärmenutzung jährlich rund fünf Milliarden Euro sparen und ein Wärmepotenzial von 125 Terawattstunden erschließen.
Die Bundesregierung fördert solche Vorhaben deshalb über die
FOTO: Bastian Sander/Shutterstock.com
S
eit über 150 Jahren sind Hamburgs Bürger und Aurubis
schon Nachbarn. Das Stammwerk von Europas größtem
Kupferproduzenten liegt auf der Peute, der Binneninsel
im Bogen der Norderelbe. Wenn man die Eisenstufen an
den Schloten des Kupfer-Schmelzofens erklimmt, sieht
man im Nordwesten die glitzernde Hülle der Elbphilharmonie. Im
Süden grenzt direkt der Stadtteil Wilhelmsburg an, wo früher die
Hafenarbeiter wohnten. Stadt und Werk wollen sich nun noch enger
vernetzen: „Kupferproduzent soll HafenCity einheizen“, schreibt das
Hamburger Abendblatt. „Erstmals wird ein ganzer Stadtteil nahezu
vollständig mit Abwärme aus der Industrie versorgt werden“, lobt
Jens Kerstan, Umweltsenator der Freien- und Hansestadt.
Energie auch wirtschaftlich nutzen
„Nach den Löhnen und Gehältern sind die Energiekosten immerhin
der zweitgrößte Ausgabenposten bei Aurubis. Wir haben lange nach
einem geeigneten Kunden für die CO2-neutrale Wärme gesucht“, erklärt Hein. 17 Millionen Euro kosten die Umbauten im Prozess und
für die interne Wärmeleitung, rund ein Drittel der Summe wird vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über das „Energieeffizienzprogramm Abwärme“ der KfW gefördert. Durch die Nutzung
der Abwärme dieses Stranges der Kontaktanlage spart Aurubis Erdgas ein, dessen Verbrennung zur Dampferzeugung bisher jährlich
11.000 Tonnen CO2 verursacht hat.
Die Fernwärmeleitung außerhalb des Werkes baut die enercity Contracting Nord GmbH, eine Tochter der Stadtwerke Hannover. „Um die produktionsbedingten Schwankungen der Aurubis-Abwärme auszugleichen, errichten wir eine neue Energiezentrale auf der Peute. Darüber hinaus können bereits seit 2014 in der
Energiezentrale am Oberhafen vorhandene Spitzenlastkessel und
ein mit Biomethan betriebenes Blockheizkraftwerk zum Ausgleich
zwischen Abwärmeaufkommen und Wärmebedarf der HafenCity
Ost genutzt werden“, erläutert Carlo Kallen, Sprecher der enercity.
Die Abwärme der Aurubis wird so in Zukunft den Grundlast-Wärmebedarf decken. Wärmespeicher mit einer aktuellen Kapazität von
300 Kubikmetern in der Energiezentrale am Oberhafen unterstützen
derzeit die ganzjährige Vollversorgung mit Heizenergie. Das ganze
Projekt ist auf der Zielgeraden: Der Bau der Fernwärmeleitung hat
begonnen, und das erste warme Wasser soll spätestens zum Beginn
der Heizperiode 2018 fließen. Die Gesamtkosten der Auskopplung
auf Seiten der enercity für dieses Projekt belaufen sich auf rund
16 Millionen Euro.
Die Verantwortlichen bei Aurubis denken inzwischen noch
weiter. Bisher wird erst einer von drei Produktionssträngen genutzt. „Was wir jetzt machen, ist nur der erste Schritt“, sagt Hein.
„Richtig spannend“ sei die Idee, auch die beiden verbleibenden Anlagen umzubauen. Die Herausforderungen beim Bau einer weiteren
Anschlussleitung wären immens: Die Trasse Richtung Innenstadt
müsste hinter den Elbbrücken über eine der Hauptverkehrsadern
Hamburgs geführt werden. Auch hier müsste der Bund Fördermittel
bereitstellen. Aber: „So ließen sich jährlich bis zu 140.000 Tonnen
CO2 sparen“, schwärmt Hein. Er hofft, dass die notwendigen Entscheidungen bis Ende 2018 fallen. n
transition ― 31
INSIGHTS
THEMA
Von Big Data
bis Smart Contracting
DIE DIGITALE REVOLUTION IST IN VOLLEM GANG. SENSORIK, CLOUD
COMPUTING, APPS, ROBOTIK, DATENANALYSE, KÜNSTLICHE
INTELLIGENZ SOWIE HOHE SPEICHER- UND PROZESSORLEISTUNGEN
SIND FÜR UNTERNEHMEN ERSCHWINGLICH GEWORDEN. DAMIT
WERDEN SICH DATENGETRIEBENE GESCHÄFTSMODELLE ZUNEHMEND
AUSBREITEN. AUCH VOR DER ENERGIEWENDE MACHT DIE DIGITALISIERUNG NICHT HALT. DENN MARKTREIFE, DIGITALE TECHNOLOGIEN VEREINFACHEN ZUM BEISPIEL DIE STEUERUNGS- UND
UMWANDLUNGSPROZESSE IN EINEM INTEGRIERTEN ENERGIENETZ,
DAS MEHR UND MEHR ERNEUERBARE ENERGIEN AUFNEHMEN MUSS.
WIR STELLEN EINIGE TRENDS IM BEREICH DIGITALISIERUNG VOR.
Smart Meter
BIM
Ein Energiezähler, der den Energieverbrauch aufzeichnet und
zum Beispiel über einen Monitor oder eine Applikation auf einem mobilen Endgerät in Echtzeit die Kosten dafür anzeigt.
Smart Meter helfen privaten
Haushalten und Firmen, den
Stromverbrauch auf Tageszeiten zu legen, in denen Energie
günstig ist. Produzenten und
Netzbetreiber können wiederum die Echtzeitdaten nutzen,
um Preismodelle zu entwickeln
und die Auslastung des Netzes
zu steuern. Smart Meter sind
daher ein entscheidender Baustein intelligenter Stromnetze.
BIM steht für Building Information Modeling, ein digitales Planungs- und Koordinationstool für Bauprojekte. Entsprechende Softwarelösungen erlauben auch
das zentrale Monitoring von Daten über den gesamten
Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg. Insbesondere
während der Bauphase kann BIM dazu beitragen, die
Termin- und Kostensicherheit sowie die Planungsqualität zu erhöhen. So können beispielsweise schon früh
Energieströme in einem Gebäude oder verschiedene
Effizienzstandards simuliert werden. Zugleich können
die energetischen Auswirkungen von baulichen Veränderungen leicht dargestellt und ganzheitlich betrachtet
werden. Im Zentrum solcher Anwendungen steht ein
hochauflösendes, digitales 3-D-Modell des Gebäudes,
in dem alle Details angesteuert werden können und in
dem alle relevanten Daten und Maße, zum Beispiel die
Dimension der Lüftungsanlage, hinterlegt sind.
Big Data
Große Mengen digitaler Daten, die mit Analysesoftware ausgewertet werden können, vermitteln zusätzliche Erkenntnisse und
Einblicke. Mithilfe von Big-Data-Analysen lassen sich etwa Geschäftsabläufe von Energieunternehmen optimieren oder das
Verhalten von Energieverbrauchern kann detailliert studiert werden. Daraus können dann unter Umständen neue Geschäftsmodelle entstehen. Auch im Stromnetz der Zukunft werden Einspeisungen dezentraler Erzeuger wie etwa Windparks immer mehr
Daten produzieren. Diese Daten durch Big-Data-Analysen auszuwerten schafft die Grundlage für die Steuerung komplexer Abläufe und für die Stabilisierung des Stromnetzes bei zunehmenden
Anteilen volatiler Energiequellen.
Blockchain
Eine Grundlagentechnologie, die digitalen
Informationsaustausch dezentral und fälschungssicher dokumentiert. Es entfällt damit die Notwendigkeit einer zentralen Datenaufzeichnung. In der Energiewirtschaft
eignet sich Blockchain für Abrechnungssysteme, etwa zwischen Stromherstellern
und Verbrauchern in einem Microgrid. Aber
auch Wartungsvorgänge, Einspeisungsnachweise oder Herkunftsangaben können
mit der Technologie dokumentiert werden.
Immer mehr Objekte des Alltags werden mit Prozessorleistung und Software ausgestattet, um miteinander
zu kommunizieren. Im Energiesektor können zum Beispiel Gas- oder Stromnetze mithilfe digitaler Sensorik
„smart“ gesteuert werden. Praktisch jede in einem integrierten Energiesystem genutzte Komponente – vom
Blockheizkraftwerk über die Wärmepumpe, das Elektroauto, die Windturbine bis hin zum Biomethanfermenter – muss sich per Software mit den übrigen Komponenten abstimmen können. Daher ist das Internet der
Dinge einer der wichtigsten Bausteine integrierter Energiesysteme.
transition ― 32
Künstliche Intelligenz
Eine Softwaretechnologie, die Maschinen autonomes
„Denken“ und „Handeln“ ermöglicht. Basistechnologien sind Machine Learning, Spracherkennung sowie
Text- und Sentimentanalyse. Komplexe KI-Lösungen
zeigen Züge menschlichen Verhaltens, etwa das Abwägen von Risiken auf Basis gelernten Praxiswissens
sowie entsprechendes Reagieren. Im Energiesektor
kann künstliche Intelligenz bei der Selbststeuerung
von Stromnetzen zum Einsatz kommen. Aus Wetterangaben können „denkende“ Algorithmen etwa die Einspeisungsmengen von Solaranlagen für die nächsten
48 Stunden ermitteln.
Smart Homes
GRAFIK: Liu zishan/Shutterstock.com
Internet der Dinge
Bürogebäude, Wohnhäuser oder Wohnungen, die durch die Kombination aus innovativer Haustechnik und Software „mitdenken“. Optische Sensoren und Temperaturfühler messen dabei beispielsweise an verschiedenen Stellen einer Immobilie
Energieverbräuche, Außen- und Raumtemperaturen, aktuelle Lichtverhältnisse
oder die momentane Belegungsdichte von Arbeitsplätzen. Diese Daten werden so
miteinander verknüpft, dass die Anlagentechnik unter dem notwendigen Energieeinsatz optimal arbeitet. Smart-Home-Technologie ermöglicht zugleich die Interaktion der Gebäudenutzer mit der Technik über digitale Schnittstellen und erlaubt
damit eine individualisierte Steuerung. Eine praktische Besonderheit von Smart
Homes ist die intelligente Verknüpfung von Erzeugung und Verbrauch. Damit kann
beispielsweise der über Photovoltaik erzeugte Strom unmittelbar für Elektrofahrzeuge genutzt werden.
Smart Contracting
Erlaubt im Verbund mit Blockchain zum Beispiel die
automatisierte Abrechnung von Energiemengen. Smart
Contracts, selbstauslösende Softwareprogramme,
könnten etwa bei Energienetzen zum Einsatz kommen,
in denen sie selbstständig Abrechnungs-, Bezahl- und
Dokumentationsvorgänge starten. Lokale Energieerzeuger, etwa eine private Windturbine, können ihren
Strom damit direkt an einen lokalen Verbraucher – etwa
einen Kunden an einer Ladestation für Elektroautos –
verkaufen und bekommen per Smart Contract sofort
den Gegenwert gutgeschrieben.
transition ― 33
INSIGHTS
insights
REPORTAGEN
ANALYSE
Großes Potenzial – doch
der Markt kann sich nur
schwer entwickeln
Zur schnellen Entfaltung bräuchte das
Multitalent unter den Erneuerbaren indes
weitere Förderung und auch einen soliden
internationalen Rahmen.
„Aber der Trend geht derzeit in die andere Richtung. Gerade wurde die Einspeisevergütung für erneuerbaren Strom noch
einmal gesenkt. Und was den Markt stärker
in Gang bringen würde, eine spezielle, auch
von der EU geforderte Quote für besonders
umweltfreundliche Kraftstoffe im Rahmen
der Treibhausgasminderungsquote, gibt es
in Deutschland bisher nicht “, sagt Edel.
Auf europäischer Ebene wird das
Gas in großem Stil heute oft da produziert,
wo es nicht gebraucht wird. Von derzeit
490 Produktionsanlagen in der EU stehen
rund 330 in den drei Ländern Deutschland,
Schweden oder Großbritannien. „Aber vom
einheitlichen EU-Biomethanmarkt, der das
gut ausgebaute europäische Gasnetz als
gigantischen Speicher und Marktplatz
nutzen könnte, sind wir weit entfernt“, sagt
der dena-Experte.
Harmonisierte Register
und Standardisierungen
müssen her
Was muss also passieren? Die Biomethanproduktion wird bisher nicht flächendeckend in Europa erfasst und dort, wo Informationen vorliegen, sind diese oft nicht
mit denen anderer Länder vergleichbar.
Mehr Informationen unter
www.biogaspartner.de
www.biogasregister.de
Jetzt bitte mal Gas
geben!
Biomethan ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Doch warum
fristet das vielseitige Gas aus Grünzeug und Gülle ein solches Schattendasein? Ein besserer Marktrahmen – national wie international – könnte
das Problem lösen.
TEXT Titus Kroder
transition ― 34
SAUBER
ABFAHREN
„Daher braucht jedes EU-Land ein Register, das die lokale Produzentenlandschaft
transparent macht und sowohl Qualität
als auch Menge der Biomethaneinspeisung
standardisiert und dokumentiert erfasst.
Nur so wird der Rohstoff international handelbar“, so Edel.
Die dena betreibt bisher das Biogasregister Deutschland und kooperiert dabei
bereits mit ähnlichen Registern in Dänemark und Österreich – möglicherweise ein
Vorbild für ein künftiges EU-weites System,
das die nationalen Register verbindet.
Das europäische Erdgasnetz muss
zudem zum Massenspeicher für die Einspeisungen aller 27 EU-Länder werden. Die
Rolle als einheitlicher Marktplatz kann es
nur erfüllen, wenn die Fördermodelle und
Anrechnungsmethoden einzelner EU-Staaten untereinander abgestimmt werden, was
bisher nicht der Fall ist.
„Biomethan wird immer ein Nebendarsteller im Energiemix bleiben, aber es
wird eine tragende Nebenrolle sein“, sagt
Edel. Denn immerhin reicht die heimische
Rohstoffbasis aus, um bis 2030 rund ein
Zehntel des deutschen Erdgasverbrauchs
mit Biomethan zu ersetzen. Das wären
mehr als zwölf Millionen betankte Autos
pro Jahr oder der Strom für 12,5 Millionen
Vier-Personen-Haushalte.
Doch um dies zu erreichen, muss die
Politik einen geeigneten Rahmen setzen,
auf nationaler und auf EU-Ebene. n
E
FOTOS: Bildagentur Zoonar GmbH/Shutterstock.com (S. 34), Meyer Logistik (S. 35)
S
chippt ein Bauer in Leinfelden-Echterdingen
oder
der
Uckermark Maishäcksel in den
Fermenter und kippt Gülle dazu,
lassen Mikroben sofort die nützlichen Bläschen aufsteigen. Von Wasser,
Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff getrennt, wird das entstandene Biomethan
direkt ins Erdgasnetz eingespeist.
Wind und Sonne haben ihre „Dunkelflauten“. Biomethan ist dagegen der laufstarke Ausputzer der Energiewende, der
einspringen kann, wenn die Rotoren auf den
Äckern in Brandenburg stillstehen oder der
Himmel über dem Saarland wolkengrau ist.
Sein großflächiger Einsatz kann hierzulande für deutlich geringere Stickoxidund Feinstaubemissionen sorgen, für mehr
klimafreundliche Pkw, Lastwagen und
Schiffe – und auch für Nah- und Fernwärmenetze bietet sich der Brennstoff ideal an.
„In Deutschland liefern 207 Anlagen
derzeit jährlich mehr als neun Terawattstunden Biomethan. Das sind etwa zwei
Prozent der Strom-, Wärme- und Kraftstoffleistung, die aus erneuerbaren Energiequellen bezogen wird. Das ist respektabel, aber
da ist noch viel mehr drin“, sagt Matthias
Edel, Biomethan-Fachmann der dena.
Seit Jahren wachsen die Treibhausgasemissionen des Straßengüterverkehrs
überproportional an. Es ist daher höchste Zeit für alternative Antriebe und
Kraftstoffe, die CO2, Feinstaub und Lärm reduzieren.
inige Lkw-Fahrer von Meyer Logistik tragen beim Tanken Brille
und Handschuhe – im Sommer
wie im Winter. Denn 20 Sattelzüge des Familienunternehmens
aus Friedrichsdorf im Taunus fahren mit
Liquified Natural Gas, kurz LNG. Das Flüssigerdgas ist bis auf minus 161 Grad Celsius tiefgekühlt. Es zählt zu den alternativen
Kraftstoffen, die Diesel in Zukunft ersetzen
könnten – und erfordert Schutzkleidung
beim Tanken.
Für Matthias Strehl, Geschäftsführer
von Meyer Logistik, sind die Minusgrade
kein Problem. 2016 investierte das Unternehmen mit finanzieller Unterstützung des
Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in die Technologie.
„Unsere Sattelzüge haben mit LNG einen
bis zu 18 Prozent sparsameren Verbrauch
als herkömmliche Diesel-Lkw nach EuroVI-Norm. Weil der Kraftstoff auch deutlich
günstiger ist, rechne ich mit einem Amortisierungszeitraum von unter zwei Jahren“,
beschreibt Strehl die wirtschaftlichen Vorteile. „Mit der jetzigen LNG-Flotte planen
wir außerdem, bis 2022 50 Tonnen CO2 pro
Fahrzeug einzusparen.“
Vorteile überwiegen,
Information fehlt
Im Vergleich zu Diesel schneidet LNG als
Kraftstoff deutlich besser ab. Lkw mit Flüssiggasantrieb stoßen bis zu 37 Prozent
weniger Stickoxide (NOx) aus und verursachen bis zu 43 Prozent weniger Lärm. Zudem könnten mit LNG bis zu 90 Prozent der
Feinstaubemissionen im Verkehr vermieden
werden. LNG, das überwiegend aus Methan
besteht, enthält etwa ein Viertel weniger
Kohlenstoff als Diesel. Damit verbrennt es
sauberer und emissionsärmer.
TEXT Sarah Buch
Nur wenige Unternehmen sind jedoch mit
den Vorteilen von LNG vertraut. Marcus
Trommler, Teamleiter erneuerbare Energien und Mobilität bei der dena, sieht daher Potenzial in der Aufklärung: „Um mehr
Flottenbetreiber von LNG zu überzeugen,
müsste die Politik stärker dafür werben und
Vertrauen schaffen – ähnlich wie bei der
Elektromobilität.“
Henne-Ei-Dilemma am Markt
Eine Taskforce für LNG
Die dena hat 2015 gemeinsam
mit der deutschen Gas- und
Wasserwirtschaft und der Initiative Zukunft Erdgas die
LNG-Taskforce gegründet. Ziel
ist es, Akteure aus Wirtschaft
und Politik von den Vorteilen
des alternativen Kraftstoffs zu
überzeugen und den deutschen
LNG-Markt weiter zu entwickeln.
Ihr erster Erfolg: Die Energiesteuerermäßigung für Erdgas
und Biomethan als Kraftstoff
wurde bis Ende 2026 verlängert.
Zudem steht die LNG-Taskforce
mit einem Empfehlungskatalog
für die zukünftige Marktentwicklung in den Startlöchern – damit
die neue Bundesregierung den
Ausbau von LNG forcieren kann.
Neben der fehlenden Aufklärung gibt es
noch weitere Gründe, warum sich der alternative Kraftstoff am Markt bisher noch nicht
durchgesetzt hat, erläutert Trommler: „Das
ist ein klassisches Henne-Ei-Dilemma: Bisher gibt es kaum Speditionen mit LNG-Lkw.
Denn die Unternehmen richten sich nach
dem Angebot der Tankstellen. Doch die Betreiber der Tankstellen benötigen einen täglichen LNG-Mindestabsatz, damit sich der
Standort rentiert. Bisher ist das kaum der
Fall – eben weil noch wenige Speditionen
LNG-Lkw einsetzen.“
Wegen des starken Wettbewerbs stehen Spediteure außerdem unter hohem
Kostendruck. „Der Unternehmer muss beim
Umstieg auf LNG erstmal in die Fahrzeuge
investieren“, erklärt der dena-Teamleiter.
Die Kosten könnten sich über den günstigen
Kraftstoffpreis amortisieren – bei niedrigen
Dieselpreisen nimmt aber kaum ein Unternehmen das Risiko auf sich.
Bis jetzt, denn im Zuge der Debatte
um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in deutschen Innenstädten suchen Logistikunternehmen nun nach anderen Lösungen. LNG
bietet sich als markttaugliche Alternative an
– trotz Schutzkleidung und Brille. n
transition ― 35
INSIGHTS
FUNDSTÜCKE
Felix Schmid
Wir haben vor Kurzem ein Minigrid in einer sehr abgelegenen Gegend Indiens in Betrieb genommen, in dem kleinen
Dorf Sarvantara, das vorher nicht an die Stromversorgung
angeschlossen war. Kurz vor der Aktivierung des Netzes haben wir bei 50 Grad Außentemperatur in einem kleinen Haus
probeweise ein Licht und einen Ventilator angeschaltet. Das
sorgte für großes Interesse: Das Haus füllte sich schnell mit
Menschen, die zusehen und sich von der kühlen Luft des Ventilators erfrischen lassen wollten.
HEIZEN BEI OFFENEM FENSTER
Lina Uzsilaityte-Schulte
Unser Training für Energiefachleute in Kasachstan brachte uns in Kontakt
mit extremen Wettererfahrungen: minus 30 Grad und sehr viel Schnee.
Das eisige Klima bietet ein riesiges Potenzial für einen effizienteren Umgang mit Energie. Denn in Kasachstan wird angesichts der Kälte und
schlecht isolierter Häuser meist intensiv geheizt. Und da die Energie sehr
günstig ist, lässt man dazu dann gerne auch noch ein Fenster zum Lüften
offen. Umso wichtiger, dass jetzt eine erste Generation von Energiemanagern heranwächst, die ein Bewusstsein für den richtigen Umgang mit
Energie besitzt.
DENA ON TOUR
transition ― 36
NO CASH
Ang Ye
Wenn ich geschäftlich für die
dena in China unterwegs bin,
tauschen wir vorher meistens
Bargeld um. Das ruft seit einiger Zeit bei unseren Geschäftspartnern vor Ort eine gewisse
Heiterkeit hervor, denn in China werden inzwischen quasi
alle Geldtransaktionen bargeldlos durchgeführt – egal ob
am Kiosk, im Supermarkt oder
am Flugticketschalter. Den Chinesen kommt unsere Bargeldfixierung ein bisschen altmodisch vor.
PORTRÄTS: dena
MINIGRID SORGT FÜR BESUCHERANDRANG
FOTOS: ( von links) Anatoli Styf, Vasily Gureev, jiangdi, FCG, OlegDoroshin; alle: /Shutterstock.com
VIELE MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER DER DENA
ARBEITEN NICHT NUR IN BERLIN, SONDERN SIND IN
GANZ DEUTSCHLAND UND DER WELT UNTERWEGS, UM
DIE ENERGIEWENDE VORANZUBRINGEN. HIER BERICHTEN
FÜNF VON IHNEN, WAS SIE DABEI ERLEBT HABEN.
SANIERUNGSFACHLEUTE
LÖSEN POLIZEIEINSATZ AUS
Bastian Stenzel
Haus- und Wohnungseigentümer von den
Vorteilen einer energetischen Gebäudesanierung zu überzeugen, ist immer anspruchsvoll. Besonders großen Überzeugungsbedarf haben aber die Zielgruppen
unseres Modellprojekts in der Ukraine. Bei
einem der ersten Vor-Ort-Termine waren
die Bewohner von den Sanierungsfachleuten, die die Häuser unter die Lupe nahmen,
so verunsichert, dass sie zunächst die Polizei riefen. Erst nach eingehender Information über das Projekt konnten dann auch
diese Bewohner von den Vorteilen überzeugt werden – der Aha-Effekt nach dem
Blaulichteinsatz.
WIE ENERGIE SICHTBAR WIRD
Julian Elizalde-König
In unserem Projekt zum Thema Demand Side Management haben wir in Industrieunternehmen nach Flexibilisierungspotenzialen bei der Stromnutzung gesucht.
Energieintensive Unternehmen wie Aluminiumhütten
oder Zementwerke verfügen in der Regel über hohe
flexible Lasten, deshalb haben wir zunächst große
Strom- beziehungsweise Energieverbraucher analysiert. Wie groß die Energiemengen sind, kann man sich
oft nur schwer bildlich vorstellen, denn Energie kann
man schließlich nicht sehen. Eine Ausnahme habe ich
einmal im tiefen Winter bei einer Werksbesichtigung
in Baden-Württemberg erlebt. Inmitten der Schneewehen gab es einen Ort auf dem Werksgelände, der
komplett schneefrei und trocken war: Rund um den
Drehrohrofen sorgten der enorme Energieverbrauch
und die damit einhergehende Wärmeentwicklung für
ein geradezu mediterranes Mikroklima.
transition ― 37
INSIGHTS
REPORTAGE
Jede lange Reise
beginnt mit einem
ersten Schritt
EIN JUNGES PAAR KAUFT EIN HAUS VON EINER ALTEN FRAU. DAS DACH IST
UNDICHT. GEHEIZT WIRD MIT STROM. DAS GELD FÜR DIE SANIERUNG IST KNAPP.
DER ENERGIEBERATER MACHT DAS BESTE DARAUS.
J
TEXT Marcus Franken FOTO Fabian Schubert
an Krebs nimmt die Abfahrt
„Dortmund Stadion“, fährt in die
Bittermark und parkt seinen VW
Up! in einer Siedlung, die für das
Ruhrgebiet nicht typischer sein
könnte: Einfamilienreihenhaus schmiegt
sich an Einfamilienreihenhaus, die Siedlung
im Dortmunder Süden zieht sich über die
Hügel. „Der Stadtwald ist nur ein paar Hundert Meter entfernt“, sagt Krebs. Der Berater
von Energieeffizienz Hochbau in Dortmund
ist auf dem Weg zu Christian Wockenfuß
und Annkathrin Spelz, um den finalen Ergebnisbericht seiner Energieberatung zu
übergeben. Die Bittermark gehört zu den
beliebtesten Wohngegenden der Stadt.
Selbst einige Profis von Borussia Dortmund
sollen hier wohnen.
Wockenfuß, 28, ist Fan. Er hat sich
den Schriftzug „BVB“ in einer Wolke aus
Ornamenten auf die linke Wade tätowieren
lassen. „Ich bin ein Dortmunder Jung“, sagt
er lachend. Die BVB-Dauerkarte für „die
Süd“, die größte Stehplatztribüne im europäischen Fußball, besitzt Wockenfuß seit elf
Jahren. Das Haus, das er jetzt umbaut, noch
keine elf Monate. Bis Weihnachten wollen
er und seine Freundin Annkathrin, 27, eingezogen sein.
Energetische Sanierung ist
nicht die einzige
Herausforderung
Auch wenn die Stimmung gut ist, das junge Paar hat im Moment eine Menge um
transition ― 38
die Ohren: Umzug aus dem gemeinsamen
Ein-Zimmer-Appartement, eine neue Einrichtung, ein hoher Kredit bei der örtlichen
Sparkasse. Und der Job macht auch keine
Pause. Das allein würde den meisten Paaren schon die Schweißtropfen auf die Stirn
treiben. Wie wichtig kann so einem Paar
gleichzeitig das Energiesparen und Klimaschützen sein?
„Na ja“, gibt Wockenfuß zu, „es muss
schon passen. Technisch und finanziell.“
Damit es passt, hat Energieberater Jan
Krebs dem Paar einen individuellen Sanierungsfahrplan auf den Leib geschneidert.
„Es hat ja keinen Sinn, dass wir sagen, wie
das energetische Traumhaus aussieht, und
dann macht es der Bauherr nicht, weil es
nicht zu seinen Wünschen und Möglichkeiten passt“, sagt Krebs und legt das Ergebnis
seiner Arbeit auf den provisorischen Besprechungstisch: ein übersichtliches Stapelchen Papier – das Ergebnis ausführlicher
Beratungen, knackig zusammengefasst in
Wort und Bild.
Auf dem Titel prangt das Foto des Objekts: Reihenmittelhaus, Baujahr 1976. „Das
da so einiges gemacht werden musste, war
klar“, sagt Krebs, der als Energieberater in
der Energieeffizienz-Expertenliste für Förderprogramme des Bundes gelistet ist. Im
Obergeschoss war die abgehängte Decke
angeschimmelt, ein Feuchteschaden aus
dem Flachdach. Und die Stromrechnung der
Vorbesitzerin wies im Winter 400 Euro pro
Monat aus. „Das Haus wurde mit Nachtspeicheröfen beheizt und die 89-Jährige hatte
es gerne warm“, erklärt Krebs. Ein häufiger
Fall. Für den Experten war die Agenda damit
eigentlich klar: Dämmung von Dach- und
Außenwänden, neue Fenster und eine neue
Heizung, vielleicht sogar Pelletheizung oder
Wärmepumpe. Dazu eine Lüftung, am besten eine mit Wärmerückgewinnung. Doch
der Bauherr wollte etwas ganz anderes.
Prioritäten setzen,
Wünsche einbeziehen
„Eine Solaranlage und einen Batteriespeicher für die eigene Stromversorgung“, sagt
Wockenfuß. Dazu wünschte er sich eine
Gasheizung, weil die Leitung der Dortmunder Stadtwerke direkt vor der Tür liegt und
es zeitweise einen Sonderpreis für Neuanschlüsse gab: 600 Euro statt 2.200 Euro. Außerdem neue Lichtkuppeln in Flur und Bad
des Obergeschosses und „im Wohnzimmer
einen Holzkamin“.
Am Ende müssen die Sanierungsmaßnahmen aber auch zueinander passen
und aufeinander aufbauen, deshalb haben
sich Christian Wockenfuß und Annkathrin
Spelz beraten lassen. Und Energieberater
Jan Krebs weiß, dass jede lange Reise mit
einem ersten Schritt beginnt. Aus diesem
Grund hat er die Idealplanung den Wünschen angepasst und auch mit den Möglichkeiten der KfW-Förderung abgestimmt:
„Langfristig werden wir die CO2-Emissionen
der alten Dame um mehr als 90 Prozent
senken. Aber jetzt fangen wir erst mal mit
50 Prozent an.“
Energieberater Krebs:
»Langfristig werden wir die
CO2-Emissionen um mehr
als 90 Prozent senken.«
iSFP – mehr Zeit für das Wesentliche
Die Ergebnisse einer Energieberatung in einem leicht verständlichen
und einfach zu erstellenden Bericht darstellen – das ermöglicht der
individuelle Sanierungsfahrplan (iSFP). „Das neue Instrument erleichtert Energieberatern den Arbeitsalltag“, erklärt dena-Teamleiterin Katharina Bensmann. Mit dem Tool werden zwei Berichte für den Hausbesitzer praktisch mit einem Klick erstellt: Der Sanierungsfahrplan
fasst auf acht Seiten die geplanten Maßnahmen Schritt für Schritt
zusammen. Die Umsetzungshilfe erläutert diese dann detaillierter,
ohne sich in technischen Details zu verlieren. Auch die klare Gestaltung analog der bekannten Farbskala von Rot nach Grün erleichtert
den Kunden der Energieberater den Überblick. Zur Umsetzung bietet
die dena außerdem eine Reihe von Checklisten, eine Kurzanleitung
und ein Handbuch für Energieberater an, die die Experten bei der Arbeit unterstützen sollen. Mehr unter www.dena-expertenservice.de.
Im Keller sind die Anschlüsse für das Gas
schon gelegt, der Gasbrennwertkessel ist
ausgesucht, ein neues Dach beauftragt.
Und der Überstand beim gedämmten
Flachdach wird von vornherein so gebaut,
dass eine Dämmung der Außenwände später problemlos daran anschließen könnte.
„Da wir hier ein Reihenmittelhaus haben,
hat die Dämmung der Außenwände nicht
die höchste Priorität“, sagt Krebs verständnisvoll. Auch die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Feuchtesteuerung
muss warten. Bauherr Wockenfuß hat sich
auf der anderen Seite überzeugen lassen,
dass eine Photovoltaikanlage auf dem kleinen Flachdach zwar eine schöne, aber im
Moment nicht gerade kostenoptimale Sache wäre. Der Energieberater und das junge
Paar wirken zufrieden mit den Ergebnissen,
die jetzt in Form von zwei kompakten Booklets, dem Sanierungsfahrplan und der ausführlicheren Umsetzungshilfe, vorliegen.
Der Energieberater kann die beiden übersichtlichen Dokumente einfach per Klick in
seiner Bilanzierungssoftware als pdf-Datei
erzeugen und ausdrucken. „Als Berater
spare ich mit dem Softwaretool und dem
kompakten Berichtsausdruck Arbeitsstunden ein, die ich besser für die Betreuung
der Hausbesitzer einsetzen kann“, freut sich
Krebs (siehe Kasten).
Ein knapper, verständlicher
Bericht
Die Form kommt an: „Das ist gut aufgebaut.
Es ist so klar, dass selbst ich es verstanden
habe“, sagt Wockenfuß selbstironisch, während er mit seinem Beratungsbericht und
der Umsetzungshilfe im künftigen Wohnzimmer steht. Auf einer einzigen Seite zeigt
ihm sein Sanierungsfahrplan alle Schritte
an, die in Zukunft anstehen: Nach der laufenden Sanierung kann voraussichtlich in
fünf Jahren die Kellerdecke gemacht werden. Dann die Außenwände. Irgendwann
wird auch der Kamin im Wohnzimmer eingebaut. Und die Wärmerückgewinnung und
die Photovoltaikanlage tauchen ebenfalls
im Sanierungsfahrplan auf. Wockenfuß hat
jetzt nur noch zwei Wünsche: Dass er Weihnachten im neuen Haus feiern kann. Und
dass der BVB Meister wird. n
transition ― 39
INSIGHTS
MELDUNGEN
KASACHSTAN
BUNDESPRÄSIDENT
STEINMEIER BEIM GERMAN ENERGY
DIALOGUE DER DENA
NIEDERLANDE
SERIELLES SANIEREN:
VORBILD NIEDERLANDE?
Mehr unter www.dena.de/energiesprong
CHILE
ERNEUERBARE ENERGIEN
FÜR EIN HOTEL IN CHILE
Im Juli 2017 besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
den von der dena organisierten German Energy Dialogue im
Rahmen der EXPO 2017 in der kasachischen Hauptstadt Astana.
Er begrüßte, dass sich Kasachstan ehrgeizige Ziele für den
Übergang zu erneuerbaren Energien gesetzt habe. Bei deren
Umsetzung könne deutsches Know-how einen Beitrag leisten, denn bei der Erneuerung der Energieerzeugung und -versorgung habe Deutschland bereits Erfahrungen gesammelt.
„Deutschland will ein langfristig engagierter, verlässlicher Partner Kasachstans sein“, so Steinmeier. Auf der zweitägigen Veranstaltung konnten sich rund 200 Gäste und 80 Referenten aus
den Branchen Energie, Industrie und Gewerbe, Bauwirtschaft,
Anlagenbau, Mobilität und erneuerbare Energien zu energierelevanten Themen austauschen und Netzwerke bilden.
Mehr zum Thema unter
www.dena.de/newsroom/energieeffizienz-in-kasachstan
DENA
INTERNATIONAL
UKRAINE
Chile verfügt über ein großes Potenzial zur Nutzung der Solarenergie. Diesen Vorteil macht sich das Tierra Atacama Hotel &
Spa in der chilenischen Atacama-Wüste zunutze, das weitab
vom öffentlichen Stromnetz liegt. Im Oktober 2017 weihten die
Betreiber eine neue Photovoltaik-Anlage samt Batteriespeicher
ein. Das Herzstück des Projekts ist die intelligente Energiemanagement-Lösung, die das Zusammenspiel der PhotovoltaikAnlage, des Speichers und der vorhandenen Dieselgeneratoren so steuert, dass das Hotel künftig seine Dieselaggregate für
acht bis neun Stunden am Tag und für einige weitere Stunden in
der Nacht vollständig abschalten kann. Unterstützt wurde das
Projekt der beiden deutschen Unternehmen Kraftwerk Renewable Power Solutions und Qinous durch das Renewable-Energy-Solutions-Programm der dena (dena-RES-Programm). Das
vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte
Programm bietet deutschen Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Branche die Gelegenheit, an repräsentativen Standorten im
Ausland Referenzprojekte zu verwirklichen.
Wie motiviert man Bewohner von Mehrfamilienhäusern in der Ukraine zu einer energetischen Sanierung? Und wie räumt man Bedenken im Zusammenhang mit der Finanzierung oder der Umsetzung
der Baumaßnahmen aus? Diese Fragen standen im Fokus eines
Seminars, das die dena gemeinsam mit ihren Projektpartnern im
März 2017 in Kiew veranstaltete. Die Teilnehmer waren Gebäudeeigentümer, die sich am dena-Modellvorhaben „Deutsch-Ukrainische Effizienzhäuser“ beteiligen. Im Rahmen des Modellvorhabens
sollen 20 Mehrfamilienhäuser umfassend modernisiert werden. Die
Bestandsaufnahme der Häuser ist abgeschlossen, ein Großteil der
Sanierungskonzepte erstellt. Im Mittelpunkt des Seminars stand
nun die Kommunikation mit den Bewohnern der Häuser, die in der
Ukraine auch deren gemeinschaftliche Eigentümer sind.
Mehr zum RES-Programm unter www.dena.de/res
Mehr zum Modellvorhaben unter www.dena.de/ukraine
transition ― 40
ENERGETISCHE SANIERUNG:
DENA INFORMIERT IN DER UKRAINE
FOTOS: F.-W. Steinmeier: dena/Amir Saparov, K. Haverkamp: Roscongress/Alexey Danilkin
Eine von der dena organisierte Delegation aus 20 Experten informierte sich im September 2017 in den Niederlanden über
die Möglichkeiten des seriellen Sanierens. Zu den Teilnehmern
gehörten Vertreter der Wohnungswirtschaft, der Bauindustrie,
des Bundeswirtschaftsministeriums, von Wohnungsverbänden
sowie dena-Chef Andreas Kuhlmann. Die Delegation besichtigte ein Mehrfamilienhaus und eine Reihenhaussiedlung, die im
Rahmen der niederländischen Initiative Energiesprong saniert
wurden. Bei der seriellen Sanierung werden Gebäude aus einer
Hand komplett modernisiert, dabei werden industriell hergestellte Fertigbauteile verwendet. Die in serieller Fertigungsweise
sanierten Gebäude heben sich unter anderem durch niedrigere
Kosten und eine sehr kurze Sanierungsdauer von etwa drei bis
zehn Tagen von anderen Angeboten ab. Das Verfahren wird in den
Niederlanden bereits seit Längerem erfolgreich angewendet. Die
Teilnehmer der Delegation tauschten sich darüber aus, inwiefern
serielles Sanieren auch in Deutschland umsetzbar wäre. Die
dena untersucht die Möglichkeiten des Ansatzes in dem Projekt
„Serielle Sanierung von Mehrfamilienhäusern“, das gemeinsam
mit der Bauindustrie und der Immobilienwirtschaft mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums umgesetzt wird.
DEUTSCHLAND
TOWARDS A
„GLOBAL ENERGIEWENDE“
Beim Berlin Energy Transition Dialogue (BETD) im März
2017 diskutierten Entscheider und Experten aus 80
Ländern, wie sich die weltweite Energieversorgung zukunftssicher gestalten lässt. Gemeinsames Ziel ist die
Verwirklichung der Vorgaben des Klimaabkommens
von Paris. Doch jedes Land ist dabei mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Der BETD 2017
bot den über 2.000 Vertretern aus Politik, Wirtschaft,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
voneinander zu lernen, Synergien zu erschließen und
eine sichere und nachhaltige globale Energieversorgung zu gestalten. Die dena war gemeinsam mit dem
Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), dem Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) und eclareon
für die Organisation des BETD verantwortlich. Vor und
nach den einzelnen Konferenzveranstaltungen bot die
dena den Teilnehmern aus aller Welt ein interessantes
Rahmenprogramm. So konnten sich deutsche Unternehmen in Business-to-Government-Dialogen direkt
mit hochrangigen Ministerdelegationen aus Iran und
Kolumbien zu Investitionsbedingungen in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz
austauschen. Außerdem hatten die internationalen
Experten und Teilnehmer des BETD in zahlreichen geführten Touren die Chance, innovative Energieunternehmen und -projekte in Berlin und Umgebung kennenzulernen.
Mehr unter www.energiewende2017.com
und www.dena.de/betd17
RUSSLAND
DENA-GESCHÄFTSFÜHRERIN KRISTINA HAVERKAMP
BEI DER RUSSIAN ENERGY WEEK
dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp hat sich im Oktober 2017 bei einem Besuch
in Moskau für die Weiterentwicklung des russischen Fördersystems für energieeffizientes Sanieren ausgesprochen. Haverkamp berichtete in ihrer Rede über die Erfahrungen in
Deutschland und stellte Empfehlungen für das bestehende Förderprogramm vor, die von
der dena in Zusammenarbeit mit dem russischen Energieministerium erarbeitet worden
waren. Darüber hinaus sprach die dena-Geschäftsführerin in Moskau bei einem Zusammentreffen von Bürgermeistern aus aller Welt über die Herausforderungen einer nachhaltigen, energieeffizienten Stadtentwicklung und stellte das Energie- und Klimaschutzmanagementsystem der dena vor.
transition ― 41
INSIGHTS
THEMA
WIE
SCHAFFEN
VOLT UND
AMPERE DIE
REVOLUTION?
4
3
Die Netzakteure müssen ihre
Der Regulierungsrahmen muss die
Netzflexibilität stärken
Zusammenarbeit
ausweiten
In Deutschland werden Netzbetreiber als einzelne Gebietsmonopole reguliert. Die Bundesnetzagentur legt
fest, auf welche Investition der Unternehmen welche
Rendite erzielt werden darf. Für Investitionen in intelligente Netzsteuerung – etwa für die unteren Netzebenen – besteht kein starker Anreiz. Der Grund: Für solche
„smarten“ Lösungen lässt die Regulierungsbehörde
bisher nur deutlich kleinere Renditen zu als für konventionelle Netztechnologien. Ohne diese Lösungen gibt es
aber kein zukunftstaugliches Netz.
Übertragungsnetzbetreiber,
Verteilnetzbetreiber und Stromproduzenten müssen
entscheiden, wie sie künftig kooperieren
wollen. Was früher 1.000 Megawatt aus dem
Großkraftwerk war und direkt ins Übertragungsnetz floss, sind heute 200 bis 500
Windkraftanlagen, die dezentral in die untere Netzebene einspeisen. Wie soll der Informationsfluss im Gesamtnetz vor diesem
Hintergrund laufen, damit der Strom immer
fließt, wo er gebraucht wird? Ein Weg: Die
Übertragungsnetzebene kündigt den Verteilnetzbetreibern ihren Bedarf an und diese
stellen die Leistung aus ihrem Produzentennetz zusammen. Ein anderer: Der Übertragungsnetzbetreiber kommuniziert direkt
mit den Produzenten und informiert nur die
Verteilungsebene, was über deren Netze
läuft. Eine entscheidende Frage, die bald beantwortet werden muss, soll das Stromnetz
auch in Zukunft reibungslos funktionieren.
Soll die Energiewende bis 2050
gelingen, braucht es innovative
Stromnetzkonzepte. An wichtigen
Stellen ist die Entwicklung aber
in Verzug geraten. Fünf zentrale
Herausforderungen für das
Stromnetz der Zukunft.
Die
entscheidend
Der Ausbau des Stromnetzes folgt der Revolution bei erneuerbaren Energien mit
Verzögerung. Um den norddeutschen
Windstrom nach Bayern und den südlichen
Solarstrom in die Gegenrichtung fließen
zu lassen, brauchen wir enorme Investitionen in das Übertragungsstromnetz – etwa
in Nord-Süd-Stromtrassen. Seit 2012 gibt
es einen nationalen Netzentwicklungsplan. Damit wissen alle, was zu tun ist – die
Netzbetreiber, die Regulierungsbehörden,
die Produzenten. Allein, vor Ort kommt die
Politik langsamer als erwartet voran. Mehr
Überzeugungsarbeit für die Stromwende zu
leisten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, von der Bundesregierung bis hin zur
Lokalpolitik.
transition ― 42
5
ist
Die Stromnetze müssen
international
2
Das Netz muss „in der Tiefe“ intelligent werden
Die obersten Ebenen unseres Stromnetzes, das 36.000 Kilometer lange Übertragungsnetz und das 97.000 Kilometer lange Hochspannungsnetz, haben bereits
eine hohe Steuerbarkeit. Dennoch sind dort noch mehr teilautomatisierte Steuerung und die Koordination mit anderen Netzebenen nötig. In den Verteilnetzen
mittlerer und niedriger Spannung, die bis zur Steckdose im Wohnzimmer führen,
gibt es weitere Herausforderungen. Diese 1,6 Millionen Kilometer messenden
Leitungsnetze brauchen eine bessere Last- und Verbrauchssteuerung und somit
mehr Messfühler und intelligente Steuerungstechnologie. Denn die Komplexität
wird weiter steigen, wenn private Wärmepumpen, lokale Blockheizkraftwerke und Autoladesäulen als neue Teilnehmer an die unteren Netzebenen angeschlossen werden.
zusammenspielen
GRAFIK: Weenee/Shutterstock.com, FOTO: MicrobEnergy GmbH
1 Bürgerakzeptanz
Die EU hat gerade Regeln erlassen, nach denen künftig die Last- und Verbrauchssteuerung in den Stromnetzen sowie deren Betrieb in den Mitgliedsstaaten ablaufen sollen.
Fest steht: Eine zentrale, EU-weite Steuerung
der Stromnetze ist nicht sinnvoll. Das wäre
zu komplex. Umso mehr muss die EU die nun
eingeführten Regeln umsetzen lassen und
weiterentwickeln.
PORTRÄT
Speicher-Forscherin
aus Leidenschaft
POWER TO GAS IST EINE SCHLÜSSELTECHNOLOGIE DER
ENERGIEWENDE – UND DIE NATURWISSENSCHAFTLERIN DR. DORIS SCHMACK EINE DER PROMINENTESTEN
FORSCHERINNEN AUF DIESEM GEBIET. DIE DENA-STRATEGIEPLATTFORM POWER TO GAS UNTERSTÜTZT SIE
MIT ERFAHRUNG UND WISSEN AUS DER PRAXIS.
M
itte der achtziger Jahre erlebte Doris Schmack, wie die
Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und mit
ihr die nukleare Kreislaufwirtschaft scheiterte. „Das
hat mein Denken über Energieversorgung ziemlich geprägt“, sagt die Oberpfälzerin, die im nahen Amberg
damals kurz vor dem Abitur stand und die Themen der Fächer Physik,
Biologie und Chemie regelrecht verschlang.
Heute ist die promovierte Chemikerin eine der profiliertesten Forscherinnen und Unternehmerinnen in der Biogastechnologie
und im Bereich Speicherkonzepte in Deutschland. Als Geschäftsführerin der Viessmann-Tochter MicrobEnergy GmbH entwickelt sie
Power-to-Gas-Technologien. Gedacht sind sie als Lösung für die Treibhausgasminderung in allen Sektoren und für ein entscheidendes Problem der Energiewende: eine geeignete Speichertechnologie zu finden
für den künftig zunehmend volatil fließenden Strom aus Solarmodulen und Windanlagen.
„Wir machen uns zunutze, was Mikroben schon seit Tausenden
von Jahren können“, sagt Schmack, die mit einem zwölfköpfigen Team
an der Entwicklung der Schlüsseltechnologie arbeitet. Das Prinzip:
Überschüssiger Strom wird durch Elektrolyse in Wasserstoff gewandelt. Von MicrobEnergy optimierte Prozessabläufe und eine spezielle
Auswahl Mikroorganismen verwandeln das Gas bei circa 60 Grad Celsius mit zugeführtem Kohlenstoffdioxid zu Methan. Das brennbare
Gas kann sofort in das Gasnetz eingespeist oder gespeichert werden.
Von dort gelangt es zu Anlagen, die es wieder in Strom verwandeln,
wenn dieser gebraucht wird – oder auch zu Biomethantankstellen, um
„grüne“ Mobilität zu ermöglichen.
Doris Schmack fährt ihren Audi A3 übrigens bereits mit Biomethan –
aus eigener Produktion. n
Mehr zur Strategieplattform Power to Gas unter: www.powertogas.info
transition ― 43
D
ie Straßen von Bacharach ducken sich unter den hoch aufragenden Sandsteinsäulen der
alten Wernerkapelle. Abends
flackert gelbes Licht über das
Kopfsteinpflaster und unter den Fachwerkhäusern fließt der Rhein so malerisch, dass
die Romantiker schon vor 200 Jahren ihre
Freude daran hatten. „Weltkulturerbe“, sagt
Gunter Pilger, der sich für seine Stadt ehrenamtlich als Beigeordneter engagiert.
Pilger ist stolz auf sein malerisches
Bacharach. Ein Reisemagazin hat das Städtchen mit seinen charaktervollen Gemäuern
und den Weinbergen im Rheintal auf Platz
eins der „schönsten Kleinstädte in Deutschland“ gewählt. Das ist gut: „Denn wir leben
hier vom Rheintourismus“, erklärt Pilger.
Das ist schlecht: Denn die Saison
währt nur sieben Monate, die Kassen
der Gemeinde sind leer. Und als Teil des
„UNESCO-Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal“ ist der Erhalt des Ortes aufwendig.
Pilger muss sparen, wo er kann. Auch bei
den Energiekosten.
Masterplan für das Rheintal
115.000 Kilowatt Strom verbrauchen allein
die 374 alten Quecksilberdampflampen pro
Jahr. Knapp 25.000 Euro bezahlt das Städtchen dafür an den Stromversorger. Pilger
weiß, dass er die laufenden Ausgaben aus
dem Stadtsäckel drastisch senken könnte,
wenn er die alten Lampen durch LED-Lichter ersetzt. Er muss das ohnehin tun, denn
die EU hat den Verkauf von Quecksilberdampflampen wegen ihrer geringen Energieeffizienz verboten. LED-Licht wäre die
beste Alternative.
Aber der „Masterplan Licht für das
obere Rheintal“ fordert von dem Weltkulturerbe-Städtchen auch, dass das Licht so
bleibt wie vermeintlich im Mittelalter: warm
und gelb. Das gibt es mit der LED-Technik
nicht von der Stange. Da müssen nicht nur
ein paar Birnen getauscht werden, sondern neben den eigentlichen Leuchtmitteln
auch ganz neue Einsätze beschafft werden,
die das Licht lenken und bündeln. Über
»Es gibt
keinen
Haken,
keine
Nachteile«
18 MONATE VON DER IDEE BIS ZUR UMSETZUNG:
EIN ORT AM RHEIN TAUSCHT MIT UNTERSTÜTZUNG DER DENA DIE ALTE STRASSENBELEUCHTUNG GEGEN DENKMALGERECHTE LEDS UND
SPART MEHRERE TAUSEND EURO BETRIEBSKOSTEN IM JAHR. ARBEIT UND INVESTITIONEN
ÜBERNIMMT EINE REGIONALE GENOSSENSCHAFT. DAS MODELL SOLL SCHULE MACHEN.
TEXT Marcus Franken
GRAFIK: Babich Alexander/Shutterstock.com
INSIGHTS
REPORTAGE
150.000 Euro kommen da zusammen. Und
ein Ort wie Bacharach hat weder die Mittel,
um solche neuen Lampen zu kaufen, noch
hat er die Fachleute, um so ein Projekt eigenständig umzusetzen. Pilger braucht
einen Partner. Da kam ihm Mitte 2016 eine
E-Mail mit der kryptischen Betreffzeile
„Kommunal-Förderrichtlinie: BMUB bei
LED-Beleuchtungsprojekten“ gerade recht.
Ein Kollege machte ihn damit auf eine Infoveranstaltung aufmerksam. Beratung und
Förderung – das Angebot traf punktgenau.
Pilger nahm nicht nur Kollegen aus dem Ort
mit, sondern gleich auch noch die Mitarbeiter seiner Verbandsgemeinde, die letztlich
über Projekte im Ort entscheiden.
Zur selben Zeit begann das dena-Pilotprojekt „Energiegenossenschaften Straßenbeleuchtung“ und es entstand der
Kontakt zur Energiegenossenschaft Rheinhessen. Dort knobelte Andreas Pfaff schon
seit 2015 an einer Lösung für das Investitionsdilemma. „Wir haben mehr als 250
Kommunen beraten. Es war für alle klar,
dass sie mit den gesparten Energiekosten
schnell die Investitionen wieder einnehmen
können. Aber die Investitionen müssen
trotzdem erst mal aus dem Gemeindehaushalt oder direkt von den Anliegern bezahlt
werden. Und das macht kein Bürgermeister
gern“, erklärt Pfaff das Problem. So blieben
sinnvolle Projekte in der Region liegen – bis
Pfaff eine Lösung fand, wie seine Bürgergenossenschaft Rheinhessen eG nicht nur bei
Solaranlagen und Stromnetz-Beteiligungen, sondern auch bei Energieeffizienz-Projekten erfolgreich sein könnte.
Das Prinzip ist einfach: Nicht die Stadt
investiert, sondern die Genossen. Und sie
werden von der Stadt mit etwa 80 Prozent
der Energieeinsparungen bezahlt. Den Rest
– in Bacharach rund 3.000 Euro jährlich –
spart die Gemeinde vom ersten Tag der Umrüstung an. Dazu kommt, dass Fördermittel
aus der Nationalen Klimaschutzinitiative
direkt an die Kommune gehen. Und sofort
im dortigen Haushalt zur Verfügung stehen.
Das macht den Beitrag zum Klimaschutz für
Kommunen doppelt interessant. Nicht nur
in Bacharach.
Pilotprojekt der dena
Die dena hat neben dem kleinen Ort am
Rhein (2.000 Einwohner) zwei weitere
Kommunen in dem Pilotprojekt „Energieeffizienzgenossenschaften Straßenbeleuchtung“ zusammengebracht: die 7.000
Einwohner zählende Gemeinde Glandorf
am Rande des Teutoburger Waldes. Und
die Stadt Kehl in Baden-Württemberg mit
35.000 Einwohnern. „Aus den Erfahrungen
dieser Kommunen und der lokalen Genossenschaften entwickeln wir einen Leitfaden,
mit dem auch viele andere Kommunen in
Deutschland solche Bürger- und Klimaschutzprojekte starten können“, erklärt
dena-Teamleiter Dr. Karsten Lindloff.
Die Ausgangsbedingungen bei den
Gemeinden im Pilotprojekt könnten tatsächlich kaum unterschiedlicher sein:
Bacharach ist klein, hat begrenzte Haushaltsmittel und die Kooperation mit der
Genossenschaft ist für den Ort etwas ganz
Neues. Die Genossenschaft in der Gemeinde Glandorf besteht dagegen schon seit
100 Jahren – seit dem Beginn der Elektrifizierung; hier wollen sich die Bürger selber
für Klimaschutz und eine finanziell gesunde Kommune engagieren. Und in der Stadt
Kehl haben es sich die Verantwortlichen
zum Ziel gesetzt, ihre Bürger stärker einzubinden: Es gab sogar mal die Idee, an jeder
der bis zu 6.000 neuen Leuchten ein kleines
Schild anzubringen: „Gefördert von bürgerschaftlichem Engagement.“
Rechtliche Anforderungen
Die Herausforderungen liegen bei solchen Projekten nicht in der Auswahl der
Leuchten, sondern im Haushaltsrecht der
Gemeinden und im Kreditwesengesetz.
Danach wird – wie es die beratenden Juristen im Auftrag der dena formulieren – die
Finanzierung der LED-Leuchten in einer
Contracting-Lösung als „kreditähnliches
Rechtsgeschäft“ bewertet. Dies ist, soweit
es aufgrund des geringen Umfangs nicht
als „Geschäft der laufenden Verwaltung“
eingestuft wird, genehmigungspflichtig.
„Die Kommunalaufsicht will damit verhindern, dass Kommunen sich in erheblichem
Umfang verdeckt verschulden. Daher ist
in den meisten Fällen eine Genehmigung
notwendig“, erklärt Alfred Bauer, Jurist der
Kanzlei W2K, der die Kommunen im Auftrag
der dena berät. Im Grundsatz ist das in allen Bundesländern gleich, im Detail sind die
Anforderungen unterschiedlich. „Aber ein
rentierliches Einspar-Contracting wird von
den Länderverwaltungen gerne zugelassen“, so Bauer. Zumal: Auch die Landesregierungen haben sich den Klimaschutz auf
die Fahnen geschrieben. Um es Kommunen
und Effizienzgenossenschaften noch einfacher zu machen, wird die dena einen Leitfaden und einen Mustervertrag vorlegen. „Auf
Basis unserer Vorarbeiten und Materialien
können auch andere Kommunen im ganzen
Land ein eigenes Energiespar-Contracting
gemeinsam mit ihren Bürgern umsetzen“,
ist Karsten Lindloff überzeugt. „Wir beschreiben detailliert die Herausforderungen
und Lösungsansätze.“
Denn in allen Orten gilt: Da sind
Win-win-Situationen entstanden. Die Stadt
überlässt die Finanzierung und Umsetzung
der Projekte engagierten Bürgern; die Genossen leisten einen Beitrag zum Klimaschutz und erobern ein neues Geschäftsfeld.
Gunter Pilger, der städtische Beigeordnete von Bacharach, freut sich: „Es gibt
keinen Haken, keine Nachteile.“ Die neuen
Lampen können kommen. Im Frühjahr 2018
sollen sie zum ersten Mal ihr Licht auf die alten Mauern und Wege werfen. n
transition ― 45
INSIGHTS
MELDUNGEN
INTEGRIERTE ENERGIEWENDE
KUHLMANN PLÄDIERT FÜR
TECHNOLOGIEOFFENEN ANSATZ
ENERGIEWENDE IM GEBÄUDESEKTOR
HOHE ZUFRIEDENHEIT
DER TEILNEHMER
STUDIE UNTERSUCHT
VERSCHIEDENE SZENARIEN
UND TRANSFORMATIONSPFADE
Drei von vier Unternehmen, die an einem Energieeffizienz-Netzwerk teilnehmen, sind
mit den Ergebnissen der Netzwerkarbeit sehr bis außerordentlich zufrieden. Das zeigt
eine Umfrage des Marktforschungsinstituts mindline energy im Auftrag der Initiative Energieeffizienz-Netzwerke. Träger der Initiative sind die Bundesregierung sowie
22 Verbände und Organisationen der Wirtschaft. Die Geschäftsstelle wird von der Deutschen Energie-Agentur (dena) geleitet.
Ein Energieeffizienz-Netzwerk ist ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen
in einer Region oder Branche, die über einen längeren Zeitraum strukturiert zusammenarbeiten, um durch die Steigerung der Energieeffizienz ihren Energieverbrauch zu
reduzieren. Auch unternehmensinterne Netzwerke aus mehreren Produktionsstandorten oder Filialen sind möglich. Zentrale Elemente der Netzwerke sind ein moderierter
Austausch zwischen den Teilnehmern sowie die Festlegung und Verfolgung eines gemeinsamen Einsparziels. So gewinnen die Unternehmen Know-how, mit dem sie ihre
Energieeffizienz steigern können.
Die Idee stammt ursprünglich aus der Schweiz und wird seit 2002 auch in
Deutschland umgesetzt. Aktuell sind rund 1.300 Unternehmen in mehr als 130 Netzwerken bei der Initiative Energieeffizienz-Netzwerke aktiv – und ihre Zahl wächst weiter. Ziel ist es, bis Ende 2020 rund 500 neue Energieeffizienz-Netzwerke zu initiieren
und damit einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Steigerung der Energieeffizienz in
Industrie, Handwerk, Handel, Gewerbe und Energiewirtschaft zu leisten.
Die dena hat gemeinsam mit der Allianz für
Gebäude-Energie-Effizienz (geea) und Branchenverbänden im Oktober 2017 eine Studie
zu verschiedenen Entwicklungsoptionen der
Energiewende im Gebäudesektor veröffentlicht. „Die Klimaschutzziele im Gebäudesektor lassen sich erreichen, aber dafür müssen
wir uns erheblich mehr anstrengen und mehr
einfallen lassen als bisher. Das technologische
Potenzial dafür steht aber zur Verfügung“, sagte Andreas Kuhlmann, geea-Sprecher und Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, bei der
Vorstellung der Studie in Berlin. In der Studie
werden unterschiedliche Transformationspfade zur Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung für den Gebäudebereich bis 2050 miteinander verglichen
und unter Aspekten wie Kosten, Energieimporte und Infrastrukturbedarf bewertet.
Wie bei der dena-Leitstudie „Integrierte
Energiewende“ wurden in der Gebäudestudie
verschiedene Szenarien untersucht. Das Referenzszenario schreibt die heutige Tendenz
fort. Es dient als Vergleichsgröße für zwei Alternativen: das Technologiemixszenario, das
auf ein breites Spektrum an Technologien
setzt, und das Elektrifizierungsszenario, das
auf einen sehr starken Einsatz von erneuerbarem Strom im Wärmebereich abzielt. Die
Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die
Energiewende im Gebäudesektor bis 2050 am
besten realisieren lässt, wenn alle verfügbaren
Technologien wirtschaftlich eingesetzt und die
Infrastrukturen für Strom, Gas und Öl effizient
mit erneuerbaren Energieträgern genutzt werden. Eine stark forcierte Elektrifizierung der
Wärmeversorgung würde dagegen zu höheren
Kosten führen und höhere Sanierungsraten
erfordern. „Die Gebote der Wirtschaftlichkeit
und des Wettbewerbs drohen verloren zu gehen, wenn wir versuchen, einzelne Technologien politisch zu steuern, anstatt technologieoffene Rahmenbedingungen mit klarem
Fokus auf CO2-Vermeidung zu entwickeln.
Umso wichtiger ist es, dass Politik, Wirtschaft,
Wissenschaft und Gesellschaft sich auf Lösungen verständigen. Mit unserer Gebäudestudie wollen wir diesen Dialog voranbringen.
Deshalb haben wir sie bewusst gemeinsam
mit vielen branchenrelevanten Unternehmen
und Verbänden erarbeitet“, sagte Kuhlmann.
Mehr Informationen unter www.effizienznetzwerke.org
Endergebnisse der Leitstudie
bis Mitte 2018
In der ersten Phase der Studie, die mit dem
Zwischenfazit abgeschlossen wurde, hat
die dena gemeinsam mit ihren Partnern
drei Szenarien definiert und in einer umfassenden Modellierung analysiert, wie
die klimapolitischen Ziele in den Sektoren
Energieerzeugung und -verteilung, Gebäude, Industrie und Mobilität erreicht werden
können. In der zweiten Phase der Leitstudie
werden konkrete Fragen der Plausibilität
und Machbarkeit für die bessere Integration
der einzelnen Sektoren einen Schwerpunkt
bilden. „Die Leitstudie hilft uns, die Dimensionen der Energiewende besser zu erfassen. Hilfreich ist dabei vor allem das Leitbild
der integrierten Energiewende. Integrierte
Energiewende heißt, die wachsende Zahl
an Komponenten aus allen Sektoren aufeinander abzustimmen und die verschiedenen
Infrastrukturen und Märkte zu einem intelligenten und nachhaltigen System zu verbinden“, betonte Andreas Kuhlmann. Die
abschließenden Ergebnisse der Leitstudie
werden Mitte 2018 vorliegen.
Mehr zur Leitstudie unter
www.dena.de/de/integrierte-energiewende
ENERGIEWENDE VOR ORT
Kristina Haverkamp
zeichnet dena-Energieeffizienz-Kommunen aus
Die Verbandsgemeinden Bad Ems, Birkenfeld und Jockgrim sind von der Deutschen
Energie-Agentur (dena) als Energieeffizienz-Kommunen zertifiziert worden. Mit
der Zertifizierung würdigte die dena die
drei rheinland-pfälzischen Kommunen für
die Einführung des Energie- und Klimaschutzmanagements (EKM) der dena. dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp,
die rheinland-pfälzische Ministerin für
Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten
Ulrike Höfken und der Geschäftsführer der
Energieagentur Rheinland-Pfalz Thomas
Pensel (siehe Bild) übergaben die Auszeichnungen im September 2017 in Mainz an die
Bürgermeister der Verbandsgemeinden.
Damit gibt es deutschlandweit inzwischen
zwölf dena-Energieeffizienz-Kommunen,
die alle Schritte des EKM durchlaufen
und entsprechende Einsparmaßnahmen erfolgreich umgesetzt haben. „Die
Energiewende vor Ort: Energieagentur Rheinland-Pfalz/Sonja Schwarz
transition ― 46
Regionales Netzwerk in Südwestfalen: Betriebsrundgang bei der Werner Turck GmbH & Co. KG
FOTOS: A. Kuhlmann: dena, Energieeffizienz-Netzwerke: VEA Bundesverband der Energie-Abnehmer e.V.
D
eutschland
kann
seine
CO2-Emissionen bis zum Jahr
2050 um bis zu 90 Prozent
reduzieren, wenn heute bekannte Technologien in einem
ambitionierten Transformationspfad optimal genutzt werden. „Energiewende ist
machbar, wenn wir sie entschlossen, technologieoffen und im breiten Dialog angehen“, betonte der Vorsitzende der dena-Geschäftsführung, Andreas Kuhlmann, bei der
Vorstellung des Zwischenfazits der Leitstudie „Integrierte Energiewende“ im Oktober
2017 in Berlin. Die energiewirtschaftlichen
Rahmenbedingungen müssten bereits in
der neuen Legislaturperiode konsequent
darauf ausgerichtet werden, dass Klimaschutztechnologien sich in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb beweisen
könnten, so Kuhlmann.
Die dena arbeitet seit Frühjahr 2017
mit wissenschaftlichen Gutachtern und
über 50 Unternehmen und Wirtschaftsverbänden aus allen für die Energiewende
relevanten Branchen an der Leitstudie „Integrierte Energiewende“. Ziel der Studie ist
es, die notwendigen Rahmenbedingungen,
Lösungsbausteine und Gestaltungsmöglichkeiten für ein optimiertes, nachhaltiges
Energiesystem bis 2050 zu identifizieren.
Das Besondere dabei ist, dass die Optionen in einem intensiven Dialogprozess im
Stakeholderkreis „bottom-up“ entwickelt
und anschließend durch die Modellierung
bewertet werden. So kann die Expertise
derjenigen Akteure genutzt werden, die die
Energiewende letztlich umsetzen. „Die Leitstudie der dena ist ein Angebot an die Politik, die auch aus Sicht von Unternehmen
bestmöglichen Transformationspfade zu
identifizieren und möglich zu machen. Dazu
bringen wir alle Branchen und Sektoren
an einen Tisch und erarbeiten gemeinsam
praxisnahe und zielorientierte Wege zur Erreichung unserer Klimaschutzziele“, sagte
Kuhlmann.
ENERGIEEFFIZIENZ-NETZWERKE
Auszeichnung der Verbandsgemeinde Bad Ems mit dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp
(Mitte), Umweltministerin Ulrike Höfken (2. von rechts) und Thomas Pensel, Geschäftsführer der
Energieagentur Rheinland-Pfalz (2. von links)
dena-Energieeffizienz-Kommunen zeigen,
dass sie das Thema Energiesparen strategisch und auf allen Ebenen angehen wollen“, sagte Kristina Haverkamp. „Davon
profitiert nicht nur das Klima, sondern auch
der kommunale Haushalt.“ Mit dem systemischen Ansatz des EKM wird sichergestellt,
dass die Kommunen nicht nur energetische Schwachstellen aufdecken, sondern
auch die identifizierten Potenziale bei
Gebäuden, bei der Stromnutzung, im
Verkehrsbereich und im Energiesystem
ausschöpfen können. In der Regel können Kommunen mithilfe des EKM zehn
bis 15 Prozent Energie einsparen.
Mehr Informationen unter
www.energieeffiziente-kommune.de
Mehr zur Studie unter www.geea.info
transition ― 47
FACTS & FIGURES
WIE WEIT SIND WIR MIT DER ENERGIEWENDE? IN WELCHEN GESCHÄFTSFELDERN IST DIE DENA AKTIV? UND
WIE VIELE SPRACHEN SPRECHEN
EIGENTLICH DIE DENA-MITARBEITER?
IN DER RUBRIK FACTS & FIGURES
FINDEN SIE ZAHLEN, DATEN UND
FAKTEN RUND UM DIE DENA UND
IHRE ARBEIT.
FACTS & FIGURES
LEISTUNGEN
WORAN WIR
ARBEITEN
31,7%,
52%
Die Zahl der neu zugelassenen Pkw
mit Hybridantrieb ist 2016 um
500
aber der Gesamtanteil alternativer Antriebe
an den Neuzulassungen liegt immer noch bei
gestiegen,
Über
internationale Start-ups haben sich
für den dena-Start Up Energy Transition Award 2017 beworben,
aber im gleichen Jahr waren nur
der deutschen Start-ups im Bereich Grüne Technologien tätig.
11%
aber noch immer
sind mehr als
Trotz steigenden Wohnkomforts konnte der Wärmebedarf
von Wohngebäuden durch Effizienzmaßnahmen von
2008 bis 2015 klimabereinigt um circa
verringert werden,
DIE ENERGIEWENDE
IST AUF EINEM
GUTEN WEG ...
Die dena arbeitet in aktuell
rund 90 Projekten daran,
Lösungen für die Energiewelt
von Morgen zu finden.
Zu unserem Leistungsspektrum gehören:
transition ― 50
Studien
&
Analysen
Strategie
&
Beratung
Projektentwicklung
12,6%.
2%.
3,9%
60%
30%
aber ihr Anteil am
Primärenergieverbrauch lag
im selben Jahr erst bei
2016 betrug der Anteil
der erneuerbaren Energien am
Bruttostromverbrauch schon
über
der Fassaden und
der Dächer von Ein- und
Zweifamilienhäusern in
Deutschland
ungedämmt.
... ABER ES GIBT
AUCH NOCH EINE
MENGE ZU TUN.
Marktentwicklung
Netzwerke
Quellen: Umweltbundesamt,
AG Energiebilanzen,
Kraftfahrtbundesamt,
dena, KPMG AG, BMWi,
BDI/BDEW/dena/geea/DGB/ZDH
Kommunikation
Mehr Informationen zu
unserem Leistungsportfolio und den
Ansprechpartnern
finden Sie unter
www.dena.de/leistungen
transition ― 51
FACTS & FIGURES
UNTERNEHMEN
WIE WIR
ARBEITEN
Geschäftszahlen, Partner, Projekte und Struktur der dena
GESCHÄFTSFÜHRUNG
220
Die dena arbeitet aktuell in rund
KOOPERATIONSPARTNERN zusammen
Geschäftsführerin
Kristina Haverkamp
GESCHÄFTSBEREICHE
Energiesysteme und
Energiedienstleistungen
Hannes Seidl
(Bereichsleiter)
Energieeffiziente
Gebäude
Christian Stolte
(Bereichsleiter)
Kommunikation
Hanne May
(Bereichsleiterin ab 1. Februar 2018)
Erneuerbare Energien
und Mobilität
Oliver Frank
(Bereichsleiter)
Verwaltung
Hans-Jürgen von Herwarth
(Bereichsleiter)
GESELLSCHAFTER DER DENA
Die Gesellschafter der dena sind die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, sowie die
KfW Bankengruppe.
transition ― 52
PROJEKTEN mit über
und ist dabei unter anderem in diesen LÄNDERN aktiv:
INDIEN CHILE JAPAN KENIA KOLUMBIEN NAMIBIA PHILIPPINEN POLEN IRAN
RUANDA SÜDAFRIKA USBEKISTAN MAROKKO ITALIEN ECUADOR SIMBABWE
GHANA VIETNAM SENEGAL MADAGASKAR KANADA KUBA DÄNEMARK IRLAND
RUSSLAND WEISSRUSSLAND UKRAINE KASACHSTAN CHINA KROATIEN FRANKREICH
GESCHÄFTSZAHLEN 2016
Umsatzerlöse 2016
Vorsitzender der
Geschäftsführung
Andreas Kuhlmann
90
20,1 Mio. Euro
... davon aus Aufträgen der Privatwirtschaft
... davon aus Zuwendungen
... davon aus Aufträgen des Bundes (Ausschreibungen)
11,0 Mio. Euro
7,4 Mio. Euro
1,7 Mio. Euro
Jahresüberschuss 2016
1,1 Mio.Euro
3
FRAGEN AN DENA-GESCHÄFTSFÜHRERIN
KRISTINA HAVERKAMP
Wie bewerten Sie das Jahr 2016 aus wirtschaftlicher
Sicht?
KRISTINA HAVERKAMP: Für die dena war 2016 ein sehr erfolgreiches Jahr. Wir konnten den Umsatz um über 15 Prozent auf
20,1 Millionen Euro steigern und nach dem schwierigen Vorjahr
wieder ein deutlich positives Betriebsergebnis erzielen. Zu diesem schönen Erfolg haben alle Geschäftsbereiche der dena mit
innovativen, inhaltlich relevanten und wirtschaftlich bedeutsamen
Projekten beigetragen. Das freut mich besonders. Aufgrund der guten Entwicklung ist auch die Mitarbeiterzahl gestiegen. Inzwischen
arbeiten über 220 Kolleginnen und Kollegen bei uns – davon rund
32 Prozent in Teilzeit. Das zeigt: Die dena ist leistungsstark und
familienfreundlich. Eine sehr gute Mischung!
2017 gab es einen Wechsel in der Gesellschafterstruktur:
Was bedeutet dies für die dena?
HAVERKAMP: Die dena hat zum 1. Januar 2017 die Geschäftsanteile ihrer privaten Gesellschafter Deutsche Bank AG, DZ BANK AG
und Allianz SE übernommen. Als stimmberechtigte Gesellschafter
verbleiben der Bund und die KfW Bankengruppe. Diese Veränderung war ein Wunsch der Bundesregierung, die noch intensiver
und unmittelbarer die Kompetenzen der dena nutzen möchte, um
die Energiewende voranzubringen. Übrigens wurde in diesem Zusammenhang auch unser Gesellschaftsvertrag modernisiert und
erkennt jetzt ausdrücklich an, dass der Klimaschutz zu unseren Unternehmenszielen gehört. Natürlich werden wir als schlagkräftige
nationale Energieagentur weiterhin sehr eng mit der Wirtschaft und
anderen Stakeholdern zusammenarbeiten, denn nur gemeinsam
lassen sich die energie- und klimapolitischen Ziele erreichen.
Welche Ziele hat die dena in den nächsten Jahren?
HAVERKAMP: Wir wollen die positive Entwicklung des letzten Jahres fortschreiben und die dena als Thinktank und Impulsgeber der
Energiewende noch weiter stärken – sowohl in Deutschland als
auch international. Wir haben noch eine Menge vor, denn die Energiewende bleibt eine Mammutaufgabe – und wir wollen entscheidend zu ihrem Gelingen beitragen. n
transition ― 53
NACHGEZÄHLT
ZAHLEN UND FAKTEN ZU DEN
MITARBEITERINNEN UND MITARBEITERN DER DENA
226
NACHGEFRAGT
ERGEBNISSE EINER UMFRAGE UNTER
MITARBEITERINNEN UND MITARBEITERN DER DENA
STICHWORT MITTAGESSEN:
WER WIR SIND
SOCIAL MEDIA:
GULASCH ODER
GEMÜSEPFANNE?
FACEBOOK ODER TWITTER?
50%
Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter
66%
Frauen
13
Nationen sind in
der dena vertreten.
104
Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sind seit
5 Jahren oder länger
bei der dena.
URLAUBSZEIT:
IN DIE BERGE ODER
ANS MEER?
DIREKT AUFSTEHEN ODER
SCHLUMMERTASTE?
39%
38%
KÜCHENFREUNDE:
SELBER KOCHEN
ODER ESSEN GEHEN?
53%
61%
78%
WIE KOMMEN DIE
DENA-MITARBEITER
MEISTENS
ZUR ARBEIT?
transition ― 54
WENN DER WECKER KLINGELT:
22%
WELCHE SPRACHEN
SPRICHT DIE DENA?
HOUSE OF CARDS ODER
GAME OF THRONES?
62%
33%
50%
54%
SERIENFANS:
67%
40 Jahre oder jünger
ENTWEDER ODER
FACTS & FIGURES
MITARBEITER
47%
Deutsch, Englisch, Russisch, Arabisch, Italienisch, Ukrainisch, Polnisch, Chinesisch, Spanisch,
Portugiesisch, Griechisch, Litauisch, Französisch, Bulgarisch, Niederländisch, Schwedisch, Farsi
1%
37%
62%
ÖPNV
transition ― 55
N E XT
AUFBRUCH IN EIN NEUES ENERGIEZEITALTER – IN DER RUBRIK
NEXT WAGEN WIR DEN BLICK
NACH VORN: WAS BRINGT DIE
ZUKUNFT? UND WELCHE VISIONEN UND IDEEN KÖNNTEN UNS
VORANBRINGEN?
NEXT
AUSBLICK
FÜR
LÖSUNGEN
GIBT ES
KEINE
GRENZEN
DER WELTWEITE KLIMASCHUTZ PROFITIERT DAVON, WENN STAATEN VONEINANDER LERNEN UND IHRE ENERGIESYSTEME UND INFRASTRUKTUREN NOCH
STÄRKER UNTEREINANDER VERNETZEN.
DIESE INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT WIRD UMSO WICHTIGER, JE WEITER
DIE ENERGIEWENDE VORANSCHREITET.
F
ür die eigene Energiewende hat
Deutschland sich viel in anderen
Ländern abgeschaut: Die heute in
der Stromerzeugung so wichtige
Windkraft wurde zuerst in Dänemark vorangetrieben. Die Solarenergie begann mit amerikanischen Satelliten im All –
1958! Und für den Erfolg der Energiewende
weltweit war und ist es mitentscheidend,
dass gute Ideen und Erfahrungen über
Landesgrenzen hinweg ausgetauscht und
miteinander entwickelt werden. In Zukunft
wird das noch wichtiger. Denn für Lösungen
gibt es keine Grenzen.
dellprojekt geplant, das die Energiesysteme
der beiden Nachbarregionen stärker miteinander verknüpfen soll. Im Mittelpunkt
der „Smart Border Initiative“ (SBI) steht
das erste grenzüberschreitende Smart Grid
unter Beteiligung der beiden Energieunternehmen innogy und Enedis. Es soll für die
Verteilnetzbetreiber neue Möglichkeiten
schaffen, Erzeugung und Verbrauch von
Energie flexibler aufeinander abzustimmen,
und damit die Einbindung erneuerbarer
Energien erleichtern.
Französisch-deutsche Achse
Zu den weiteren Zielen der „Smart Border Initiative“ gehören die integrierte
Optimierung des Energiesystems durch die
Kopplung des Strom- und Wärmesektors
sowie der Ausbau der klimafreundlichen
Mobilität. Der Einsatz von Wasserstoff- und
Elektrofahrzeugen im grenzüberschreitenden Pendlerverkehr zwischen den beiden
Regionen soll etwa durch den Ausbau einer
gemeinsamen Ladeinfrastruktur und passende Dienstleistungen wie Abrechnungssysteme gefördert werden.
„Wenn wir Erfolg haben, kann die SBI
für den Umbau des Energiesystems auf internationaler Ebene als Vorbild dienen“, ist
Diechtl überzeugt. „Deutschland und Frankreich können hier den Anfang machen.“ Und
sie würden damit wieder einen Baustein für
die „globale Energiewende“ liefern. n
Für Deutschland ist in puncto Energiewende besonders der Austausch und die
Partnerschaft mit Frankreich wichtig. „Die
Zusammenarbeit dieser beiden Länder im
Herzen der EU kann für ganz Europa wegweisend sein“, sagt Franca Diechtl, bei der
dena zuständig für die Deutsch-Französische Energieplattform. „Eine grenzübergreifende europäische Ausrichtung wird die
Energiewende kostengünstiger und effizienter machen.“
Dabei geht es nicht nur um den Austausch von Ideen, sondern auch darum,
konkrete Verbesserungen auszuprobieren.
Im Saarland und der Region Lorraine ist im
Rahmen der Deutsch-Französischen Energieplattform ein grenzübergreifendes Mo-
TEXT Marcus Franken
Strom und Wärme vernetzen
transition ― 58
FOTO: Anton Balazh/Shutterstock.com
Mehr zur Deutsch-Französischen Energieplattform unter www.d-f-plattform.de
transition ― 59
NEXT
INTERVIEW
Watt aufs
übrigens auch bei solchen Studien in der
Schweiz und auch in Singapur gesehen.
Auge
Ein Smart Meter auf dem Wohnzimmertisch, der über den Tagesverbrauch eines Haushalts in Echtzeit
informiert, reicht da also aus Ihrer
Sicht auch noch nicht aus?
GÖTTE: Unsere Erfahrung ist: Damit kann
man um die 0,2 Kilowattstunden pro Tag
einsparen, also nicht so wahnsinnig viel.
Wenn der Einzelverbrauch von Waschmaschine, Herd und Toaster im Smart Meter
jedoch für die Haushalte aufgeschlüsselt
wird, dann erreichen wir schon Einsparungen von 0,7 Kilowattstunden. Dazu machen
wir gerade in Deutschland ein Feldexperiment. Auch hier zeigt sich, dass nur heruntergebrochene Informationen über einzelne
Verbräuche wirklich zum Sparen führen.
INTERVIEW Titus Kroder
WIR MENSCHEN REAGIEREN BEIM ENERGIESPAREN NICHT AUF MORALISCHE APPELLE. NUR
WENN WIR GENAU IM BILDE SIND, WIE VIEL ENERGIE WIR WANN UND WO VERBRAUCHEN, WERDEN
WIR SPARSAM. LORENZ GÖTTE KANN DAS SOGAR
MIT GENAUEN ZAHLEN BELEGEN.
LORENZ GÖTTE: Wir wollten in einem
Feldexperiment einfach genau wissen,
unter welchen Bedingungen Menschen
tatsächlich einen Anreiz zum Energiesparen spüren. Die fünf Minuten unter einer
Dusche machen ja immerhin schon sieben
Prozent der Energie aus, die wir pro Tag
verbrauchen. Da kann man also durchaus
den Hebel ansetzen, wenn man sparen
möchte.
Wie sah denn das Ergebnis aus?
GÖTTE: Knapp formuliert, reduzieren die
Leute, wenn sie in Echtzeit erfahren, wie
viel Geld sie beim Duschen ausgeben, ihren
transition ― 60
GÖTTE: Das scheint nicht so einfach zu sein.
Wir haben zum Beispiel unseren Teilnehmern an der eben erwähnten Studie gesagt,
ob sie in die Gruppe der größten Energienutzer fallen. Dann haben wir ihnen einen
Anreiz gegeben, indem wir einen Einkaufsgutschein bei Amazon boten für jedes Prozent, das sie eingespart und sich verbessert
haben. Der zusätzliche Spareffekt war jedoch gleich null. Zumindest in Deutschland,
wo Energie bereits sehr teuer ist, scheint
man da nichts zu erreichen.
Wasserverbrauch um immerhin 20 Prozent.
Da das Wasser heiß ist, sind das 0,6 Kilowattstunden pro Dusche oder ungefähr 1,2 Kilowattstunden pro Tag in einem Zweipersonenhaushalt. Das summiert sich auf das Jahr
gerechnet zu einer stattlichen Einsparung.
Reicht es für solche Effekte nicht,
dass ein Haushalt einfach einmal pro
Woche zur Kontrolle auf den Gas- und
Wasserzähler schaut?
GÖTTE: Das scheint gerade die Crux zu sein.
Entweder fehlt die Disziplin oder der Geldbeutel oder das Gewissen drücken nicht
ausreichend. Wenn wir nicht mit unserem
unmittelbar bezifferten Energieverbrauch
konfrontiert werden, bleibt der Spareffekt
aus oder er fällt viel schwächer aus. Das
zeigt die Kontrollgruppe des Experiments.
Offenbar muss man uns Bürgern die Kosten
jeweils buchstäblich „aufs Auge drücken“,
damit wir eine ökonomische Entscheidung
treffen und Energie und Ressourcen sparen. Sehr ähnliche Ergebnisse haben wir
GRAFIK: Satenik Guzhanina/Shutterstock.com
Herr Götte, Sie haben als Professor
für Verhaltensökonomie der Uni
Bonn Probanden unter der Dusche
mit einem Zähler am Duschkopf
konfrontiert. Er zeigt genau an, wie
viel Energie und Wasser verbraucht
werden. Ein erfrischend praktischer
Ansatz für einen Ökonomen.
Kann man denn Haushalte jenseits
der direkten Kosteninformation für
Duschen, Pfannkuchenbacken oder
Wäsche-Waschen wirklich gar nicht
noch auf andere Weise zum Sparen
verleiten?
Denn ökonomisch gesprochen, haben wir
offenbar eine auffallend niedrige Preiselastizität bei Energie. Solange wir nicht ganz
unmittelbar die Kosten für unser Tun erfahren, schränken wir den Konsum kaum ein.
Mikroökonomen wie Sie studieren
nicht nur Haushalte, sondern auch
Unternehmen. Wie lassen sich dort
Anreizsysteme schaffen, damit effektiv Energie gespart wird?
GÖTTE: Viele Firmen sind klein und funktionieren, was ihre Energieentscheidungen
angeht, wie private Haushalte. Auch sie
könnte man wohl durch fein aufgeschlüsselte Verbrauchsinformationen zum Sparen
bringen. Bei ihnen könnte man vermutlich
aber noch eine weitere Karte spielen: das
„grüne Image“ in den Augen ihrer Kunden
und der Gesellschaft. Staatlicherseits könnte also durchaus stärker transparent gemacht werden, wie energieeffizient einzelne Geschäfte arbeiten. Nach dem Motto: Ihr
Mittagsrestaurant an der Ecke verbraucht
so viel und das ist im Verhältnis zu anderen
so und so viel mehr oder weniger. Bei Haus-
halten geht das aus Datenschutzgründen
nicht. Aber bei Unternehmen würde das
noch deutliche Einsparungen bringen, vermute ich.
Abschließend gefragt: Wie stark
gehen solche sehr praktischen
Forschungsergebnisse denn auch in
praktische Politik ein?
GÖTTE: In Europa hat man es als Forscher
auf diesem Gebiet überraschend schwer,
Partner in der Wirtschaft oder der Politik zu
begeistern. Das Problem ist einfach noch
nicht so richtig angekommen, ist mein Gefühl. Schauen Sie zum Beispiel nach Singapur. Dort baut das Umweltministerium unseren kleinen Feldversuch mit den Duschen
nun zu einem großen Praxistest aus, der
gleich Zehntausend Haushalte einbezieht.
Dort ist der Druck natürlich höher. Ressourcen sind knapp und die Bevölkerung wächst
stark. Aber so schnell wie dort, reagiert hierzulande noch niemand auf das Problem.
Da muss die Verbindung zwischen Politik
und angewandter Forschung noch stärker
werden. n
Lorenz Götte ist seit 2015 Professor für Verhaltensökonomik am Institut für angewandte Mikroökonomik der Universität Bonn. Bis 2009 hatte er eine Professur
am Institut für angewandte Mikroökonomik der Universität Lausanne inne. Der
gebürtige Schweizer war zwischen 2001 und 2008 an renommierten internationalen Forschungseinrichtungen tätig, unter anderem am MIT in Boston. Er ist
Research Fellow am Centre for Economic Policy Research in London und am
Center for Economic Studies in München.
Das bedeutet aber auch, dass politisch
gesehen allein über hohe Energiepreise noch keine Sparsamkeit in der
Gesellschaft ausbricht, oder?
GÖTTE: In einer gewissen Preisspanne
muss man das für entwickelte Länder vermuten. Studien in den USA zeigen zum Beispiel, dass man den Energiepreis um 25 Prozent erhöhen müsste, um nur fünf Prozent
Einsparung zu erzielen. Energie nur teuer
zu machen, ist also kein praktikabler Hebel.
transition ― 61
NEXT
VISION
»Eines Tages
werden wir Autos
ohne Kabel laden«
DAS FREIBURGER START-UP BLUE INDUCTIVE HAT EINE TECHNIK ENTWICKELT,
MIT DER AUCH DIE BATTERIEN GROSSER ELEKTROMOTOREN IN KÜRZESTER ZEIT OHNE
KABEL GELADEN WERDEN KÖNNEN. HIER ERZÄHLT BLUE-INDUCTIVE-MITGRÜNDER
FLORIAN REINERS, WIE DAS FUNKTIONIERT.
Und worüber
reden wir beim
dena-Kongress 2018?
E
transition ― 62
Machen Sie uns einen Vorschlag,
worüber Sie diskutieren möchten,
schicken Sie uns eine E-Mail an
dena-kongress@dena.de
und halten Sie sich den
26. und 27. November 2018 frei.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
FOTO:: Blue Inductive
losen Energieübertragung sehr hohe
ines Tages, da bin ich mir siWirkungsgrade erreicht werden köncher, werden wir keine Kabel
nen. Was Leistung und Wirkungsgrad
mehr benutzen, um Elektangeht, hat man kaum Nachteile geroautos zu laden und Strom
genüber kabelgebundenen Ladegeräwird fast so einfach verfügbar
ten. Da wir sehr überzeugt waren von
sein wie heute WLAN. Warum ich mir
der Technologie, haben wir uns 2015
so sicher bin? Weil ich gemeinsam mit
selbstständig gemacht und 2016 Blue
meinen Mitgründern Johannes Meier,
Inductive gegründet – mit dem Ziel,
Johannes Tritschler und Benriah Goeldi
Elektroautos mit unserer Ladetechnodie Technologie dafür schon entwickelt
Florian Reiners, 37, hat sich 2015
habe. Wir kennen uns vom Fraunho- gemeinsam mit Johannes Meier, logie auszustatten.
Aber der Automarkt ist schwierig.
fer-Institut für Solare Energiesysteme, Johannes Tritschler und Benriah
das aber schon lange viel mehr macht Goeldi selbstständig gemacht, Die Hersteller und Kunden sind relativ
seit 2016 gibt es ihr Start-up Blue
als nur Solarzellen. Dort haben wir eine Inductive. Zuvor hatten die vier konservativ und die Einstiegshürden
induktive Ladetechnik für elektrische Gründer am Fraunhofer-Institut sind sehr hoch für ein junges StartFahrzeuge entwickelt – unsere Lösung für Solare Energiesysteme, kurz: up. Mit Blue Inductive werden wir uns
ISE, ein sogenanntes hocheffieignet sich speziell für höhere Leistun- zientes System zur induktiven daher erst einmal auf industrielle AnLadung von Elektrofahrzeugen wendungen, insbesondere auf mobile
gen, so ab 500 Watt.
Wir sind damals am Fraunho- entwickelt, mit dem Fahrzeuge Roboter in der Logistik und Produktiohne Kabel über 15 Zentimeter
fer-Institut schon sehr am Puls der Zeit Abstand durch eine Bodenplatte on, konzentrieren. Der Markteinstieg
gewesen und haben uns intensiv mit in- geladen werden können. Blue In- in diesem Segment ist wesentlich einduktiver Energieübertragung beschäf- ductive war im Jahr 2017 Finalist facher und die Vorteile für die Anwenbeim Start Up Energy Transition
dung liegen auf der Hand. Die Roboter
tigt. Auf das Thema Elektroautos sind Award der dena.
können kurze Standzeiten innerhalb eiwir gestoßen, weil wir in einer Untersuchung gelesen hatten, dass es in der Regel zwei Gründe nes Prozesses nutzen, um ihre Batterien nachzuladen.
gibt, warum Kunden skeptisch gegenüber Elektroautos Durch dieses ständige Zwischenladen werden extra Lasind: Erstens, weil sie eine zu geringe Reichweite der depausen überflüssig. Heute müssen die oft für längere
Ladung vermuten, was sich in der Praxis aber eigent- Zeit an speziellen Ladestationen stehen und sind wählich als unbegründete Sorge herausstellte. Zweitens renddessen für den Produktionsprozess nicht verfügaber gaben viele an, dass der Ladevorgang mit dem La- bar. Auf diese Art lässt sich viel Geld sparen, weil man
dekabel unkomfortabel sei, besonders bei Regenwet- deutlich weniger Roboter braucht. Wir haben unsere
Pilottests erfolgreich abgeschlossen, 2018 gehen wir
ter und Schnee. Das war das größte Hemmnis.
Wir haben dafür eine sehr gute Lösung. Am auf den Markt. Aber natürlich ist mobile Robotik nur ein
Fraunhofer-Institut hatten wir einen Demonstrator ent- Anwendungsfall von vielen möglichen – man könnte so
wickelt, also ein Modell, mit dem wir die technische selbstverständlich auch Rollstühle, Elektroroller, GolfMachbarkeit zeigen konnten: Wir haben einen VW Cad- carts und alle elektrisch betriebenen Fahrzeuge laden.
Und das ist nur der Anfang. Irgendwann wird so
dy umgebaut und mittels Induktion mit 15 Zentimeter
Abstand vom Boden geladen. Eigentlich eine nahelie- eine Induktionslösung auch für Elektroautos kommen.
gende Lösung für die Probleme in der Elektromobilität. Und dann laden wir unsere Autos ganz einfach, indem
Wir konnten zeigen, dass auch bei der berührungs- wir sie parken. n
Der dena-Kongress ist der wichtigste Energiewende-Kongress in Deutschland.
Hier vernetzen sich jedes Jahr im Herbst rund 800 interessierte Entscheider,
Experten und Macher der Energiewende aus Wirtschaft und Politik. Mehr Informationen finden Sie
unter www.dena-kongress.de und auf Twitter: @dena_news
transition ― 63
Nicht in die ferne Zeit
verliere dich,
den Augenblick ergreife,
der ist dein.
Friedrich Schiller:
Macbeth. Ein Trauerspiel von Shakespeare