UVB Kompakt 1/2022
8. September 2022
Die Welt kommt nach Berlin und Brandenburg
Trotz der unsicheren Aussichten entwickelt sich der Jobmarkt dynamisch. In Berlin legt die
Beschäftigung seit Monaten stärker zu als in anderen Bundesländern, auch Brandenburg
meldet Zuwächse. Besetzt werden die neuen Stellen mit großer Mehrheit durch Beschäftigte aus dem Ausland – der Anteil von Ausländerinnen und Ausländern war noch nie so groß.
Grund genug, die Bremsklötze für die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte weiter abzubauen. Denn die demografische Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran.
Comeback: Der Arbeitsmarkt in der Hauptstadtregion
hat sich seit Anfang 2021 spürbar erholt. Die Arbeitslosigkeit ist prozentual stärker zurückgegangen als im
Rest Deutschlands, vor allem aber gibt es mehr Arbeitsplätze. In keinem Bundesland legte die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Monat für Monat
so stark zu wie in Berlin. Zugleich ist die Zahl der
offenen Stellen gewachsen. 2022 hat sich die Entwicklung noch beschleunigt, trotz der Unsicherheiten
rund um Krieg, Energiepreise und Lieferketten. Im
Mai erreichte die Zahl zusätzlicher sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse die Marke von 73.400 im Vergleich zum Vorjahresmonat. In
Brandenburg gab es 15.200 neu geschaffene Stellen.
Traumziel: Schon in den vergangenen Jahren gingen
viele der neu entstandenen Jobs an Menschen aus
dem Ausland. 2021 war ihr Anteil so hoch wie noch
nie, wie neue Daten zeigen. 62 Prozent der zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Stellen in Berlin
(37.100 von 59.900 insgesamt) wurden mit Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern ohne deutschen
Pass besetzt. In Brandenburg lag der Anteil sogar bei
mehr als 78 Prozent (12.700 von 16.300).
Abb. 1: Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Berlin. Quelle: BA
Abb. 2: Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Brandenburg. Quelle: BA
Zuwanderer immer wichtiger: Damit sind anteilig
immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in der Hauptstadtregion tätig, die aus dem Ausland
stammen. In Berlin lag diese Quote im Dezember
2021 bei 18 Prozent, nachdem sie 2015 erst gut 11
Prozent betragen hatte. In Brandenburg kommen
aktuell 8,7 Prozent der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten aus dem Ausland, 2015 waren es erst
knapp 4 Prozent. Auf längere Sicht gesehen sticht der
Brandenburger Arbeitsmarkt heraus – die zusätzlichen Jobs, die seit der Jahrtausendwende dort entstanden sind, gingen statistisch gesehen nahezu
ausschließlich an Ausländerinnen und Ausländer.
Wo sie arbeiten – in Berlin: Am höchsten ist der
Ausländer-Anteil im Gastgewerbe. Mehr als zwei
Drittel (69 Prozent) aller Berliner Beschäftigten in
dieser Branche haben keinen deutschen Pass. Auch in
der Zeitarbeit (52 Prozent) sind Ausländerinnen und
Ausländer in der Mehrheit. Stark vertreten sind sie
darüber hinaus auf dem Bau (38 Prozent), in der
Information und Kommunikation (36 Prozent) und in
den Sparten Verkehr und Lagerei (33 Prozent), Handel (25 Prozent) und Industrie (13 Prozent). Bemerkenswert: In öffentlichen Verwaltungen sind Menschen mit nichtdeutscher Herkunft mit nicht einmal
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vier Prozent stark unterrepräsentiert. Und das in
einer Stadt, in der mehr als jede und jeder Dritte
einen Migrationshintergrund hat.
Wo sie arbeiten – in Brandenburg: In der Mark sind
die Gewichte anders verteilt. Vor allem in der Zeitarbeit – hier arbeiten mehr Ausländer als Deutsche. Es
folgen das Gastgewerbe (27 Prozent), Verkehr und
Lagerei (25 Prozent), die Konsumindustrie (16 Prozent) und sonstige Dienstleistungen (14 Prozent).
Nur Billigjobs für Migranten? Zieht es Zuwanderer
mehrheitlich in einfache Tätigkeiten? In Berlin ist das
nicht so. Die neuen Jobs entstehen in allen Qualifikationsstufen. Zwar arbeitet insgesamt jeder vierte
Ausländer als Helfer (hier ist eine maximal einjährige
Ausbildung erforderlich) und nur jeder zehnte Deutsche. Bei besser Qualifizierten sind die Unterschiede
deutlich geringer. Als Fachkraft – das sind Menschen
mit abgeschlossener Berufsausbildung – sind 51
Prozent der Deutschen tätig und 43 Prozent der
Ausländerinnen. Als Spezialisten, also mit einem
Abschluss als Meisterin oder als Technikerin, arbeiten
18 Prozent der Deutschen und 14 Prozent der Ausländer. Und bei den Experten, also den Absolventen
eines Studiums, gibt es mit 21 Prozent auf der einen
Seite und 19 Prozent auf der anderen kaum einen
Unterschied. Das zeigt: Berlin wirkt auf gut qualifizierte Menschen aus dem Ausland stark anziehend, etwa
wegen des Rufs als Wissenschafts-Metropole.
Brandenburg ist anders. Im Nachbarland hat der
Jobmarkt eine andere Struktur: 40 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer arbeiten dort als Helfer,
aber nur 15 Prozent der Deutschen. Das dürfte daran
liegen, dass die Wirtschaft andere Schwerpunkte hat
– Landwirtschaft, Verkehr, Logistik und die Pflege mit
vielen einfachen Tätigkeiten spielen anteilig eine
größere Rolle. Und gerade hier herrscht Arbeitskräftemangel. Bei den Fachkräften (Deutsche: 61 Prozent,
Ausländer: 44 Prozent), den Spezialisten (13 Prozent/6 Prozent) und den Experten (11 Prozent für
beide Gruppen) sind die Unterschiede geringer.
Wer kommt? Berlin ist internationaler aufgestellt als
Brandenburg. 28 Prozent der hier beschäftigten
Ausländer kommen aus Osteuropa, 11 Prozent aus
der Türkei, 10 Prozent aus Südeuropa (Griechenland,
Italien, Portugal, Spanien). Jeder Dritte stammt aus
einem Land außerhalb Europas. Brandenburg ist in
erster Linie für Menschen aus den EU-Ländern Osteuropas interessant, sie stellen 57 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer. Geflüchtete aus der Ukraine
spielen noch keine entscheidende Rolle.
Abb. 5: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Ausländer
nach Herkunftsland in Berlin und Brandenburg, Dezember
2021. Quelle: BA, eigene Berechnungen
Abb. 3/4: Beschäftigte nach Qualifikation in Berlin (oben)
und Brandenburg, Dezember 2021, in Prozent. Quelle: BA
Wie geht es weiter? Die Hauptstadtregion muss auf
Dauer für Menschen aus dem Ausland attraktiv
bleiben. Sonst bremst der Arbeitskräftemangel das
Wachstum. Gefragt sind Firmen, aber auch Verwaltungen und Politik. Sie müssen praktische und bürokratische Hürden aus dem Weg räumen. Das größte
Potenzial für Erwerbsmigration gibt es in Drittstaaten
außerhalb der EU. Nachbarländer haben ähnliche
demografische Probleme wie Deutschland.
Bürokratie abbauen: Verwaltungsverfahren
müssen einfacher, digitaler, schneller und
transparenter werden, für Arbeitgeber wie
für ausländische Arbeitskräfte, etwa bei der
Visavergabe. Zudem müssen die zentralen
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Ausländerbehörden gestärkt und personell
wie technisch besser ausgestattet werden.
Zeitarbeit öffnen: Bislang ist es verboten, Arbeitskräfte aus einem Nicht-EU-Staat in der
Zeitarbeit zu beschäftigen. Das ist nicht mehr
zeitgemäß. Insbesondere kleine und mittlere
Betriebe, die keine Erfahrung darin haben,
Personal aus dem Ausland zu rekrutieren,
können von einem solchen Schritt profitieren.
Personaldienstleister sind Integrationsmotoren und müssen hier tätig werden dürfen.
Qualifikationen anerkennen: Die aktuellen
Verfahren zur Anerkennung ausländischer
Abschlüsse sind komplex und schwer durchschaubar. Hier ist eine Vereinfachung geboten. Eine „Chancenkarte“, wie sie die AmpelKoalition auf Bundesebene plant, könnte es
ermöglichen, relevante Arbeitserfahrung in
einem qualifizierten Job anzurechnen. Zusätzlich müsste es ein konkretes Stellenangebot
geben. Der Wechsel zu einem reinen Punktesystem birgt indes das Risiko, dass Verfahren
noch bürokratischer werden.
Berufsstart ermöglichen Viele Arbeitgeber
sind offen für junge Menschen aus dem Ausland. Der Zugang in Ausbildung muss für ausländische Bewerber erleichtert und für eine
größere Zielgruppe geöffnet werden. Das
Aufenthaltsgesetz setzt für die Einreise zur
Suche nach einem Ausbildungsplatz heute eine Hochschulzugangsberechtigung voraus.
Hier genügt ein mittlerer Schulabschluss.
Darüber hinaus sollte es Betrieben überlassen
sein, bei Auszubildenden für die nötigen
Sprachkenntnisse zu sorgen. Außerdem sollte
der Zugang zu Kurzpraktika von bis zu sechs
Wochen nicht nur für Schülerinnen und Schüler deutscher Auslandsschulen, sondern auch
für weitere Bewerber geöffnet werden.
Alexander Schirp, stv. Hauptgeschäftsführer der
Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg:
„Die Hauptstadtregion ist ein Magnet für Fachkräfte
aus dem Ausland. Sechs von zehn neu geschaffenen
Stellen in Berlin gehen derzeit an Zuwanderer, in
Brandenburg sind es gar
acht von zehn. Berlin als
einzige Metropole Deutschlands ist ungemein attraktiv.
Wir müssen dafür sorgen,
dass es so bleibt. Denn die
Fachkräfte hierzulande gehen bald in großer Zahl in
Rente. Schon jetzt herrscht in
vielen Branchen ein eklatanter Personalmangel. Nur mit genügend gut ausgebildeten Männern und Frauen wird die Wirtschaft die
anstehenden Herausforderungen bewältigen.
Darum gilt es, die Hürden für den Zuzug von Ausländern einzureißen, vor allem von außerhalb der EU.
Hier ist die Ampel-Koalition im Bund gefordert. Noch
immer schrecken träge Verwaltungen und bürokratische Verfahren die Menschen ab. Berlin und Brandenburg müssen anziehender sein als London, Paris,
Madrid oder Wien. Parallel dazu gilt es, die heimischen Potenziale zu nutzen. Das bedeutet mehr
Schulqualität, frühzeitige und intensive Berufsorientierung für junge Menschen sowie bessere Bedingungen für Frauen auf dem Jobmarkt.“
Für Rückfragen bei den Unternehmensverbänden
stehen Arbeitsmarktexperte Sebastian Krohne (Tel.
030/31005-124) und Sprecher Carsten Brönstrup (Tel.
030/31005-114) zur Verfügung.
Für Sprachkurse sorgen. Deutsch ist weniger
verbreitet und schwerer zu erlernen als Englisch, Französisch oder Spanisch. Daher sind
Sprachkurse für Zuwanderinnen ein Schlüssel
für Integration und Berufsstart. Der Staat
muss genügend und kurzfristig verfügbare
Plätze anbieten.
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