Demokratie
Bericht
MarzahnHellersdorf
2020
koordinierungsstelle-mh.de
Koordinierungsstelle
für Demokratieentwicklung
Marzahn-Hellersdorf
Inhalt
3
4
Grußwort der Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle
Einleitung und Überblick Moritz Marc
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Auswertung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf 2020
Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf
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Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf im Jahr 2020
Integrationsbüro mit Beiträgen zur Demokratieentwicklung
Dr. Bryant und Kolleg*innen
Übersicht über durch die Partnerschaften geförderte Demokratieprojekte im Jahr 2020
Hannes Obens und Elisabeth Peters
Bericht Kampagne Solidarische Kieze Elene Misbach
Interview mit dem Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf
Jahresbericht BENN Blumberger Damm
„Die Russlanddeutschen haben ein bestimmtes Image als ‚rechts‘“
Interview mit Jannis Panagiotidis von o[s]tklick
Schlüssel zu einer Sozialräumlichen Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf
Heinz Stapf-Finé
Internationaler Tag der Menschenrechte 2020 Sabine Schwarz
Bericht vom Respekt und Neugier-Festival Martin Kleinfelder
Buchvorstellungen zur Sozialen Frage Moritz Marc
Vorstellung der Koordinator*in Großsiedlungen Nino Halka
Bericht Buntes und solidarisches Marzahn Moritz Marc
Vielleicht wird alles viel_leichter?
weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V.
Ein Jahr Corona: Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf positioniert sich
Kurzbericht vom Demokratiefest Schöner Leben ohne Nazis AG SLON
…nicht extra für, sondern gemeinsam mit… - Inklusionsberatung in Marzahn-Hellersdorf
Zunehmende verschwörungsideologische Radikalisierung im Zuge der Corona-Pandemie
muss verhindert werden Lia Kynaß und Moritz Marc
Schlussfolgerung für die Demokratieentwicklung und Handlungsideen Moritz Marc
Kontakte
Demokratiebericht2020
„Demokratie lebt vom
direkten Dialog und von
zwischenmenschlichen
Begegnungen“
Dagmar Pohle
Für uns alle stand das Jahr 2020
ganz und gar unter dem Vorzeichen
der Corona-Pandemie. Geradezu
von heute auf morgen wurde das
öffentliche Leben im Zuge des sog.
„Lockdowns“ massiv heruntergefahren. Angesichts der Gefahren für
Leib und Leben, der Belastungen für
unser Gesundheitssystem, der wenig
erbaulichen Berichterstattungen in
den Medien, der neuen Herausforderungen hinsichtlich „Homeoffice“
und „Homeschooling“, der ständigen
Telefon- und Videokonferenzen sowie der permanenten Neufassungen
von Infektionsschutzbestimmungen
in Bund und Ländern – um nur einige
Beispiele zu nennen – überrascht es
sicherlich nicht, dass auch die Demokratieentwicklung bei uns im Bezirk
von all diesen Dingen betroffen war
und nach wie vor ist.
Demokratieentwicklung im Krisenmodus leidet vor allem unter einer
Infektionsschutzmaßnahme ganz besonders, die sicherlich als einschneidendste Beschränkung der persönlichen Entfaltung wahrgenommen
wird. Es handelt sich dabei um das,
was inzwischen unter dem Begriff
„Social distancing“ bzw. „Abstandsgebot“ allgemein bekannt ist. Aus
epidemiologischer Sicht ist dieses Gebot der Stunde zwingend notwendig;
demokratietheoretisch und erst recht
für die praktische Arbeit in Sachen
Demokratieentwicklung ist es jedoch
durchaus problematisch. Bekanntlich lebt Demokratie vom direkten
Dialog und von zwischenmenschlichen Begegnungen, von formellen
und inoffiziellen Zusammenkünften,
von kleinen Gesprächen und großen
Konferenzen, vom Kennenlernen und
Aufeinanderzugehen oder einfach
nur vom geselligen Beisammensein.
All das war urplötzlich bedauerlicherweise entweder gar nicht oder zumindest nicht in ebenso gewohnter wie
bewährter Weise möglich.
Trotz dieser einerseits wirklich
schwierigen und für uns alle belastenden äußeren Umstände habe ich
mich andererseits jedoch sehr darüber gefreut, dass unsere zahlreichen
in Marzahn-Hellersdorf tätigen Institutionen, Einrichtungen und Unternehmen, Organisationen, Vereine,
Initiativen und Einzelpersonen jeden
Tag ihr Bestes gaben und geben, um
unseren Bezirk, ja unser Gemeinwesen am Laufen zu halten. Ihrem
unermüdlichen Engagement – ganz
gleich, ob dies haupt- oder ehrenamtlich, öffentlich sichtbar oder eher
„hinter den Kulissen“ erfolgt – ist
es letztlich zu verdanken, dass auch
und gerade in dieser ungewöhnlichen
Krisenzeit die vielfältigen Dienstleistungen und Angebote für die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des
Möglichen erbracht werden: Mal ist
es die telefonische Sprechstunde und
mal die Beratung per E-Mail, mal die
kleine Besprechung einer Arbeitsgruppe per Video und mal die virtuelle Diskussionsrunde und die tätige
solidarische Hilfe vor Ort. Für dieses
Engagement möchte ich mich an dieser Stelle im Namen des Bezirksamtes
Marzahn-Hellersdorf ausdrücklich bedanken.
Selbst unserem traditionellen Demokratiefest „Schöner leben ohne
Nazis“ konnte die Pandemie nichts
anhaben. Unter geradezu akribischer
Einhaltung der einschlägigen Hygienebestimmungen ist es gelungen,
gleichsam die Fahne der Demokratie
hochzuhalten und zu zeigen, dass wir
uns weder von der Pandemie selbst
noch von ihren Leugnerinnen und
Leugnern kleinkriegen lassen.
Vergessen wir bei dieser Gelegenheit auch nicht den schrecklichen
Anschlag von Hanau, der mehrere
Menschen einzig und allein deshalb
aus dem Leben riss, weil sie einen
Migrationshintergrund hatten! Die
mediale Berichterstattung und somit
auch das öffentliche Entsetzen über
diese menschenverachtende Tat wurden nur wenige Tage später wieder
durch das Pandemiegeschehen überlagert. Doch die Opfer von Hanau
mahnen uns, auch in Marzahn-Hellersdorf in unserem Einsatz gegen völkisch-nationalistisches Gedankengut
nicht nachzulassen und uns weiterhin
gemeinsam mit ganzer Kraft für Demokratie und Toleranz einzusetzen. –
Bleiben Sie also weiterhin gesund und
engagiert!
Dagmar Pohle
Bezirksbürgermeisterin von
Marzahn-Hellersdorf
Demokratiebericht2020
3
Einleitung und Überblick
Moritz Marc
Liebe Leser*innen!
Die Erstellung des Demokratieberichts
für das Jahr 2020 wurde von den
massiven gesellschaftlichen Auswirkungen durch die weltweite Corona
Pandemie begleitet. Zu ihrer Eindämmung wurden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, die seit Beginn der
Pandemie immer wieder auch Protest
auf der Straße nach sich zogen. Neben berechtigten Kritikpunkten gab
es im vergangenen Jahr aber auch zunehmend Proteste, welche verstärkt
an Verschwörungserzählungen, Fake
News und eindeutig extrem rechten Ideologiemustern anknüpften.
Es entstand eine Art Pegida 2.0 mit
Großdemonstrationen in Stuttgart,
Leipzig, Berlin und anderswo mit zum
Teil mehreren zehntausend Teilnehmer*innen.
Die Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf versuchte im Rahmen des
Engagements des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und darüber
hinaus den gesundheitlichen, sozialen und politischen Gefahren und Herausforderungen im Rahmen der Pandemie ein solidarisches Miteinander
in den Kiezen des Bezirks z.B. in Form
der Kampagne Solidarische Kieze
Marzahn-Hellersdorf entgegenzusetzen. Viele stehen weiterhin für eine
diverse und solidarische Gesellschaft
ein, die gerade in diesen schwierigen
Zeiten auf ein zivilgesellschaftliches
Miteinander anstatt gesellschaftlicher
Spaltung und Diskriminierung setzt.
Die Anzeichen für eine akute Gefährdung der Demokratie nehmen nicht
ab. Um diesen Entwicklungen mit
Hilfe einer demokratisch engagierten und vielfältigen Zivilgesellschaft
aktiv etwas entgegenzusetzen, ist es
wichtig die Demokratieentwicklung
in den Kommunen auch mit neuen
Ideen und Ansätzen voranzubringen.
Hierzu soll der Demokratiebericht als
4
Demokratiebericht2020
Handwerkzeug für Engagierte einen
kleinen Beitrag leisten.
Der Demokratiebericht Marzahn-Hellersdorf erscheint bereits zum dritten
Mal als Kooperation der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf (pad gGmbH) und den Projekten Register zur
Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf sowie den beiden externen
Koordinierungs- und Fachstellen der
Partnerschaft für Demokratie Marzahn und der Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf in Trägerschaft
der Stiftung SPI (Sozialpädagogisches
Institut).
Im ersten Teil stellt das bezirkliche Register zur Erfassung rechtsextremer und
diskriminierender Vorfälle die aktuellen
Fallzahlen für das Jahr 2020 vor, es wird
eine vergleichende Auswertung vorgenommen und ein Fazit gezogen.
Der Schwerpunkt im zweiten Teil liegt
auf praktischen Beispielen aus dem
Bereich der Demokratieentwicklung
in Marzahn-Hellersdorf. Es soll auch
für das Jahr 2020 aufgezeigt werden,
wie vielfältig die Aktivitäten der Zivilgesellschaft, der sozialen Träger und
Einrichtungen vor Ort sowie dem Bezirksamt trotz allem waren, um damit
einen motivierenden und aktivierenden Beitrag für weiteres Engagement
zu leisten.
Die Partnerschaften für Demokratie
Marzahn und Hellersdorf und das bezirkliche Integrationsbüro berichten
in diesem Demokratiebericht – wie
bereits in den vergangenen Jahren
– ausführlich über die zahlreichen
Aktivitäten zur Stärkung der Demokratieentwicklung bzw. zur Integrationsarbeit hinsichtlich von Menschen
mit Fluchterfahrungen in unserem
Bezirk.
Im letzten Teil des Berichtes wer-
den aus den aktuellen bezirklichen
Entwicklungen und den im Bericht
dargestellten zivilgesellschaftlichen
Strukturen Schlussfolgerungen für die
weitere Demokratieentwicklung und
damit einhergehend mögliche Handlungsideen entwickelt.
Aktuelle Entwicklung von
Rassismus, der extremen Rechten
und zivilgesellschaftlicher
Gegenwehr im Bezirk
ReachOut, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und
antisemitischer Gewalt, verzeichnet
mit 357 Angriffen für das Jahr 2020
nur einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (2019: 390) – die
Fallzahlen bleiben aber berlinweit auf
einem erschreckend hohen Niveau.
Mindestens 493 (2019: 509) Menschen wurden verletzt, gejagt oder
massiv bedroht. (Vgl. ReachOut: https://www.reachoutberlin.de/de/Aktuelles/Ver%C3%B6ffentlichungen/
Pressemitteilung/Pressemitteilung%20
zu%20den%20Angriffen%20in%20
Berlin%202020/)
Für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf
erfasst die Statistik von ReachOut 18
Angriffe mit einem rechten, rassistischen oder antisemitischen Tatmotiv.
Damit befindet sich der Bezirk berlinweit an drittletzter Stelle (gleichauf mit
Tempelhof-Schöneberg).
Bei ReachOut geht man davon aus,
„dass die aufgeheizte und aggressive
Stimmung während der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen“
auch „über das unmittelbare Demonstrationsgeschehen hinaus“ gewirkt
und damit zu den weiterhin hohen
Zahlen beigetragen haben könnte,
erklärte Sabine Seyb. Von Angriffen
mit direktem Corona-Bezug erfuhr die
Beratungsstelle in elf Fällen. Vermutlich gebe es zudem ein hohes Dunkelfeld mit anti-asiatischem Rassismus im
Kontext der Corona-Pandemie.
Laut den beiden Registerstellen in
Marzahn-Hellersdorf stieg die Zahl der
insgesamt gemeldeten Fälle mit extrem rechten Hintergrund um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das
hört sich erstmal gewaltig an, es handelt sich dabei aber vor allem um Propaganda-Fälle“, erklärt Hannes Obens
vom Register Marzahn-Hellersdorf.
Grund für die Entwicklung sei auch,
dass es inzwischen mehr Melder*innen im Bezirk gebe, sagte Obens dem
„Tagesspiegel“ (mehr dazu im entsprechenden Beitrag der Registerstelle
im Demokratiebericht).
Zu rassistischen Vorfällen im Bezirk sowie zu bundesweit relevanten Ereignissen wie dem rechtsterroristischen
Attentat in Hanau, hat sich das Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf wiederholt in Form
von Pressemitteilungen, auf dem Demokratiefest „Schöner Leben ohne
Nazis“ oder in den sozialen Netzwerken klar positioniert. Das Bündnis versucht weiterhin in seiner alltäglichen
Arbeit und mit Kampagnenformaten
wie z.B. „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“ oder „Buntes und
solidarisches Marzahn sichtbar machen“ eine antifaschistische und antirassistische Alltagspraxis in den Stadtteilen unseres Bezirks zu stärken.
Ein wesentlicher rechtspopulistischer
Akteur im Bezirk ist nach wie vor die
AfD. Auch wenn die AfD-Fraktion in
der BVV weiterhin geschrumpft ist, so
ist die Anzahl der öffentlichen Diffamierungen von zivilgesellschaftlichen
Akteur*innen im Bezirk in den sozialen Medien, in Form von Anfragen,
vermeintlichen Kontrollbesuchen oder
Angriffen auf die Gemeinnützigkeit
sowie Tätigkeit von freien Trägern
weiterhin hoch. Auch im Superwahljahr 2021 zeichnet sich bereits in den
ersten Monaten eine hohe Anzahl
der Diffamierungsversuche gegen die
Zivilgesellschaft im Bezirk ab. Umso
wichtiger sind hier weiterhin das Zusammenhalten und die gemeinsame
Positionierung aller betroffenen Akteur*innen und ihrer Unterstützer*innen.
Im Herbst 2020 gab es starke Proteste
und Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Kräften gegen den geplanten
Landesparteitag der AfD im Bezirk.
Aufgrund einer fehlenden Brandschutzgenehmigung für den Tagungsort musste die Veranstaltung zeitlich
als auch örtlich verschoben werden.
Aufgrund hoher Umfragewerte zu
den im September bevorstehenden
Wahlen zur BVV – die AfD liegt hier
als stärkste Kraft mit 25,5 % an erster Stelle (Quelle: Wahlkreisprognose
vom 19.1.2021) – bleibt eine Auseinandersetzung mit den politischen Äußerungen, die zum Teil rassistischen
und rechtspopulistischen Charakter
haben, zentral.
Darüber hinaus besteht im Bezirk
auch die Gefahr einer weiteren Radikalisierung der rechtsoffenen Coronaproteste. Der gemeinsame Nenner
der Akteur*innen bei den „Querdenken“-Versammlungen bzw. den
verschwörungsideologisch ausgerichteten Autokorsos mit Startpunkt im
Bezirk tritt immer deutlicher hervor:
antisemitische Verschwörungserzählungen und die Bagatellisierung der
Verbrechen des Nationalsozialismus.
Mit den im Zuge der Pandemie entstandenen Ansätzen einer neuen Ausformung der politischen Bewegung
von rechts ist es den entsprechenden
Akteur*innen gelungen, unterschiedlichste politische Spektren zu vereinen
– hier teilen wir die Analyse der „Belltower News“ in ihrem Rückblick auf
das Jahr 2020:
„Die mit dem Label „Querdenken“
assoziierten Protestmilieus vereinen insbesondere die Verbreitung
von (in Teilen offen antisemitischen)
Verschwörungserzählungen,
regelmäßige Relativierungen des Nationalsozialismus sowie die Akzeptanz
der Teilnahme von Akteur*innen
der rechtsextremen Szene. Differenzen in anderen politischen Feldern,
widersprüchliche
Gesellschaftskonzeptionen und konträre politische
Selbstverortungen werden für die
Dauer der Mobilisierung zu Gunsten des gemeinsamen Feindbildes
zurückgestellt: die angebliche „Corona-Diktatur“. Die Spanne des auf
der Straße versammelten Spektrums
reicht von Corona-Leugner*innen,
Impfgegner*innen, augenscheinlich
esoterischen Milieus, Pegida-Anhänger*innen und Mitgliedern evangelikaler Freikirchen über Teilnehmende der „Montagsmahnwachen
für den Frieden“, Vertreter*innen
verschwörungsideologischer „Alternativmedien“,
QAnon-Gläubigen
„Reichsbürgern“,
AfD-Mitgliedern
und –Mandatsträger*innen bis hin zu
klassischen Rechtsextremen und einer
rechten Mischszene aus Hooligans,
Gewaltprofis und „Bürgerwehren“.
Bemerkenswert war die häufige Nutzung einer im Kontext des Nationalsozialismus geprägten Terminologie
und Bildsprache, die im eigenen Sinne
ideologisch umgedeutet wird. Dazu
zählen kontinuierliche begriffliche
Gleichsetzungen der Verordnungen
zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit dem Ermächtigungsgesetz
oder die bagatellisierende Aneignung
der Verfolgungsgeschichte von Jüdinnen*Juden im Nationalsozialismus
durch die Verwendung von „Judensternen“. Diese Verharmlosungen des
Nationalsozialismus sind anschlussfähig an den von rechts mit wachsender
Vehemenz geführten Kulturkampf um
die Deutung von Geschichte und reiDemokratiebericht2020
5
hen sich ein in eine regelrechte Welle
von Angriffen auf die Gedenk- und
Geschichtskultur in Deutschland.“
(Quelle: http://www.belltower.
news/jahresrueckblick-2020-berlin-109097/)
Im Gegensatz dazu verharrt die extrem rechte NPD auch im Bezirk Marzahn-Hellersdorf weiterhin auf der
Ebene der Bedeutungslosigkeit. Neben kleinteiligen Propagandaaktivitäten und einzelnen Beteiligungen
an Kundgebungen ist die Partei auf
Bezirksebene kaum mehr wahrzunehmen.
Auch die „Identitäre Bewegung“ und
andere extrem rechte Akteur*innen
treten momentan zumeist nur in Form
von sogenannten Propagandadelikten
(Aufkleber, Plakate und Sprühereien)
in Erscheinung. In einzelnen Kiezen
des Bezirks – wie z.B. Hellersdorf-Ost
– versuchten Angehörige der extrem
rechten Szene in Form von sozialräumlichen Gebietsmarkierungen (extrem
rechte Graffitis in Form von verfassungsfeindlichen Symbolen und Parolen, großflächige Aufkleber Serien mit
NS-Bezug) eine vermeintliche Raumergreifungsstrategie umzusetzen. Dank
einer sehr wachen Zivilgesellschaft
konnten die Gebietsmarkierungen zumeist zeitnah entfernt werden.
Im benachbarten Hohenschönhausen
führte die neonazistische Kleinstpartei
„Der III. Weg“ am 3. Oktober einen
als Jahreshöhepunkt angedachten
Aufmarsch durch. Dieser musst jedoch
aufgrund breiter zivilgesellschaftlicher
Proteste massiv verkürzt werden. Die
Teilnehmer*innenzahl erfüllte nicht
die Erwartungen der Nazipartei, nur
ein kleiner Teil von ihnen kam tatsächlich aus Berlin. Die Berliner Struktur des III. Weg erhöhte im Vorfeld
des Aufmarsches zwar ihre Aktivitäten
auch im Bezirk Marzahn-Hellersdorf
spürbar, v.a. in Form von Flugblattverteilungen, dem Verkleben von Aufklebern und dem Anbringen von nationalsozialistischen Graffitis. Die Zahl
der Mitglieder dürfte aber berlinweit
weiterhin im niedrigen zweistelligen
Bereich liegen.
6
Demokratiebericht2020
Corona-Krise befördert solidarisches Miteinander in den Nachbarschaften von Marzahn-Hellersdorf
Im Rahmen der Covid19-Pandemie
haben sich viele Bürger*innen in Marzahn-Hellersdorf an der Schaffung
von solidarischen und selbstorganisierten Nachbarschaftsstrukturen beteiligt. Es kam zu vielfältigen Formen
gegenseitiger Hilfe in Form von Einkäufen, Gabenzäunen, der Einrichtung einer Telegram-Gruppe zur besseren Vernetzung, dem Einsatz vieler
engagierter Einzelpersonen über die
bezirkliche FreiwilligenAgentur u.v.m.
(Vgl. https://koordinierungsstelle-mh.
de/solidarische-und-selbstorganisierte-nachbarschaftsstrukturen-in-zeiten-der-corona-krise/).
Zudem versucht die im Frühjahr 2020
gestartete Kampagne Solidarische
Kieze in Marzahn-Hellersdorf das
Miteinander in den Kiezen besser zu
vernetzen und sichtbarer zu machen.
Nachzulesen ist dies in einem Beitrag
von Elene Misbach von der Alice Salomon Hochschule in diesem Demokratiebericht.
Das Bündnis für Demokratie und Toleranz verfasste im März 2021 – rückblickend auf ein Jahr Corona-Krise
– ein ausführliches Statement zu den
sozialen Folgen der Pandemie, aber
auch den zahlreichen Hilfsangeboten
im Bezirk (siehe Beitrag im Demokratiebericht).
Auch wenn viele zivilgesellschaftliche
Aktivitäten im Jahr 2020 der Pandemie zum Opfer fielen, so konnten
dennoch wichtige Veranstaltungen
wie das zentrale bezirkliche Demokratiefest „Schöner Leben ohne Nazis“
oder das „Respekt und Neugier Festival“ erfolgreich durchgeführt werden.
Auch die verschiedenen sozialen Träger und Einrichtungen, die Schulen,
Kitas,
Jugendfreizeiteinrichtungen
und Stadtteilzentren haben es geschafft, trotz der schwierigen aktuellen Situation, die soziale Infrastruktur
im Bezirk erfolgreich aufrechtzuerhalten. Und auch das Bezirksamt und die
demokratischen Parteien haben einen
wichtigen Beitrag dafür geleistet, dass
sich die soziale Situation im Bezirk
nicht wesentlich verschlechtert hat.
Damit es so bleibt und die sozialen
Folgen der Krise weiterhin abgefe-
dert werden können, ist es wichtiger
denn je, dass alle an einem solidarischen und demokratischen Miteinander interessierten Akteur*innen im
Bezirk weiterhin gemeinsam an einem
Strang ziehen. Nachbarschaftsinitiativen, Vereine und soziale Netzwerke –
Marzahn-Hellersdorf benötigt vielfältige zivilgesellschaftliche Aktivitäten,
um die Herausforderungen im Bezirk
auch in Zukunft bewältigen zu können. Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung wird sich dafür
auch im Jahr 2021 stark machen.
Der hier vorliegende Jahresbericht der
Demokratieentwicklung am Ort der
Vielfalt Marzahn-Hellersdorf für 2020
zeigt die Entwicklungen in Bezug auf
extrem rechtes, rechtspopulistisches
und diskriminierendes Geschehen im
Bezirk auf und ordnet diese ein. Zudem berichtet er über die vielfältigen
Aktivitäten der Zivilgesellschaft und
anderer Akteur*innen zur Stärkung
der Demokratieentwicklung bzw. des
solidarischen Miteinanders. Er ist in
erster Linie als Handreichung für die
zivilgesellschaftlichen und emanzipatorischen Akteur*innen im Bezirk sowie der interessierten Öffentlichkeit
gedacht.
Die Redaktion des Demokratieberichtes bedankt sich ausdrücklich bei allen
an diesem Bericht beteiligten Menschen. Ohne ihr Engagement wäre
dieser Demokratiebericht nicht möglich gewesen.
Viel Spaß beim Lesen
Demokratiebericht2020
7
Auswertung extrem rechter und
diskriminierender Vorfälle in
Marzahn-Hellersdorf 2020
Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender
Vorfälle Marzahn-Hellersdorf
8
Das Register
Aufgaben & Ziele
Möglichkeiten und Grenzen
Das „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle
Marzahn-Hellersdorf“ dokumentiert
rechtsextreme, diskriminierende und
menschenfeindliche Vorfälle im Bezirk. Es ist seit 2008 Teil der Berliner
Register, die inzwischen in allen Berliner Bezirken eingerichtet worden
sind. Die dokumentierten Vorfälle
werden von Bürger:innen sowie Netzwerkpartner:innen gemeldet und an
die Koordinierungsstelle des bezirklichen Registers weitergeleitet. Dort
werden sie gesammelt, redaktionell
ausgewertet und veröffentlicht. Die
Register und ihre Berliner Koordinierungsstelle werden aus dem Landesprogramm „Demokratie. Vielfalt.
Respekt. Gegen Rechtsextremismus,
Rassismus und Antisemitismus“ der
Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung
finanziert. Das Register zur Erfassung
rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf ist
in Trägerschaft der Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin und
wird von den Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf
geführt. Zusätzlich besteht eine Kooperation mit dem hochschulfinanzierten „Antirassistischen Register an
der Alice-Salomon-Hochschule“.
Die Registerstelle dokumentiert und
veröffentlicht rassistische, antisemitische, rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle in der Chronik
des Registers Marzahn-Hellersdorf
(https://www.berliner-register.de/
chronik/marzahn-hellersdorf). Zusätzlich leistet die Registerstelle wichtige
Vernetzungs-, Recherche- und Analyseaufgaben wie die quantitative und
qualitative Auswertung der erfassten
Daten.
Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit ist
ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld
und wird beispielsweise durch jährliche Publikationen und die Teilnahme
an einer gemeinsamen Pressekonferenz aller Berliner Registerstellen umgesetzt.
Die im Folgenden dargestellten Zahlen schließen nur die dem Register
gemeldeten Vorfälle ein und erheben
keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Es ist von einer hohen Dunkelziffer
auszugehen, weil die Zahl der Melder:innen begrenzt ist und ein umfassendes Monitoring – insbesondere
der Sozialen Medien – personell nicht
zu leisten ist. Dennoch ist der weitere
Ausbau der Netzwerkstrukturen und
die Erweiterung der Basis der Melder:innen für die Berliner Register
von höchster Priorität, um die Situation vor Ort so realistisch wie möglich einzuschätzen sowie Tendenzen
und Entwicklungen auf lokaler Ebene
frühzeitig zu erkennen.
Wir sind also auf Ihre Hilfe angewiesen! Melden Sie uns rechtsextreme, antisemitische, rassistische,
LGBTIQ*-feindliche, sozialchauvinistische und behindertenfeindliche Vorfälle! Dabei kann es sich
neben Angriffen, z.B. auch um Bedrohungen, Pöbeleien oder extrem
rechte Propaganda handeln.
Beschreiben Sie uns den Vorfall in
einer Mail bitte möglichst genau
(Uhrzeit, Ort und Beteiligte). Wir
freuen uns auch über Dokumentationen der Vorfälle (z.B. Fotos),
sofern dies möglich ist.
Kontakt:
pfd-mh@stiftung-spi.de
und via twitter.com/RegisterMaHe
Demokratiebericht2020
Diese Tätigkeiten dienen dem Ziel der
Sichtbarmachung von Diskriminierung im Alltag auf lokaler Ebene. Daher dokumentieren die Register auch
niedrigschwellige, nicht zwangsläufig strafrechtlich relevante Vorfälle wie z.B. Aufkleber, die nicht von
Polizeistatistiken erfasst werden. Die
lokalen Registerstellen fungieren darüber hinaus als Anlauf- und Vermittlungsstellen für Betroffene.
Kategorisierung der Vorfälle
Die Registervorfälle werden kategorisiert, d.h. sie werden nach Art,
Inhalt und Ort der Vorfälle sortiert.
Jeder Vorfall wird nur einer Kategorie zugeordnet. Auf Grundlage dieser
Kategorien erstellt das Register eine
fortlaufende Jahreschronik, die ein
differenziertes Bild der Situation vor
Ort ermöglicht und Rückschlüsse für
Handlungsbedarf liefert. Vorfälle können dem Register von Anlaufstellen
und Privatpersonen gemeldet werden.
Darüber hinaus werden auch Pressemeldungen in die Chronik einbezogen. Personen, die Vorfälle melden,
werden grundsätzlich anonymisiert.
•
•
•
eine der durch die Register erfassten Inhalte zu bewerben
BVV: mündliche oder schriftlicheBeiträge mit extrem rechtem und/
oder diskriminierenden Inhalten
in der Bezirksverordnetenversammlung
Strukturelle Benachteiligung:
Diskriminierung durch z.B. Behörden und Institutionen, die in eine
der inhaltlichen Kategorien der
Register passt
Sonstige: Alle Vorfälle, die sich
keiner der Kategorien zuordnen
lassen
Inhaltliche Zuordnung
Rechte Selbstdarstell.
52
Wahlen
0
Verharml./Verherrl. d. NS
69
Politisch. Gegner:innen
35
Antisemitismus
10
Behindertenfeindlichk.
0
LGBTIQ*-Feindlichkeit
8
Rassismus
59
Antiziganismus
5
Antimuslimischer Rass.
7
Antischwarzer Rass.
7
Sozialchauvinismus
0
Auswertung 2020: Art der Vorfälle
Insgesamt
252
Es werden sieben verschiedene Arten
von Vorfällen vom Register unterschieden.
Auswertung 2020: Inhalt der Vorfälle
Art der Vorfälle
•
•
•
•
•
Angriff
17
Bedroh./Beleid./Pöbel.
33
BVV
0
Propaganda
186
Sachbeschädigung
5
Strukt. Benachteil.
4
Veranstaltung
4
Sonstiges
3
Insgesamt
252
Angriffe: massive Bedrohungen,
(versuchte)
Körperverletzungen
und Brandstiftungen
Bedrohung, Beleidigung, Pöbelei: Bedrohungen und Beschimpfungen, Rufen von Parolen und
der Hitlergruß
Sachbeschädigung: zielgerichtete Sachbeschädigungen, wie etwas eingeschlagene Fenster von
Parteibüros oder umgestoßene
Gedenksteine
Propaganda: Aufkleber, Plakate,
Flugblätter, Sprühereien oder Internetseiten mit extrem rechtem
und/oder diskriminierendem Inhalt
Veranstaltung: Infostände, Vortragsabende, Demonstrationen
und Konzerte, die dazu dienen
Auch der Inhalt, also das Ziel oder
der:die Adressat:in des Vorfalls, wird
in Kategorien erfasst. Drei Kategorien
haben dabei einen starken Bezug zum
Rechtsextremismus1 und Rechtspopulismus.2
•
•
•
Rechte Selbstdarstellung: Materialien von extrem rechten und
rechtspopulistischen
Organisationen, Parteien und Gruppierungen, deren Zweck es ist, die
Organisationen oder Inhalte zu
bewerben
Wahlen: Materialien von extrem
rechten und rechtspopulistischen
Organisationen, Parteien und
Gruppierungen, deren Zweck es
ist für die Wahl ebendieser Organisationen zu werben
Verharmlosung/Verherrli-
•
chung des NS: Alle Vorfälle mit
positivem Bezug auf den Nationalsozialismus, seine Symbole
oder bekannte Repräsentanten
Politische Gegner/innen: rechte Aktionen, die sich gegen bestimmte Politiker/innen, Engagierte oder Nicht-Rechte richten
Fünf weitere Inhaltskategorien haben
einen engen Bezug zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (im
Folgenden GMF) und sich daraus äußernder Diskriminierung.
Der Begriff Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht auf den Bielefelder Soziologen Prof. Wilhelm
Heitmeyer zurück. GMF wird dadurch
gekennzeichnet, „dass sie sich auf
verschiedene Gruppen in der Gesellschaft bezieht, die als schwach, abweichend, nicht normal oder fremd
und so weiter markiert werden.“3 Bei
der Abwertung von Personengruppen ist die tatsächliche Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht zwingend
ausschlaggebend. Häufig ist auch
die vermutete Gruppenzugehörigkeit
ausreichend für eine Abwertung. Für
die Arbeit der bezirklichen Register
werden einzelne Abwertungsformen
aus diesem Theorieansatz verwendet.
• Rassismus: negative, biologische
und/oder kulturelle Zuschreibung
in Bezug auf „Rassen“, Kulturen,
Völkern oder Ethnien. Unterkategorien bilden hierbei antimuslimischer und antischwarzer
Rassismus sowie die Ablehnung
und Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma (Antiziganismus).
Diese werden separat erfasst.
• Antisemitismus: feindliche Aktionen gegen jüdische, oder als
jüdisch wahrgenommene Personen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen
• LGBTIQ*-Feindlichkeit:
Ablehnung gegenüber Menschen
aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen
Identität. LGBTIQ* ist die Abkürzung für folgende Begriffe: Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*gender,
Intersexual, Queer. Im deutschen
Sprachgebrauch entsprechend:
lesbisch, schwul, bisexuell, trans*gender, intersexuell und queer
Demokratiebericht2020
9
•
•
Sozialchauvinismus: Unter Sozialchauvinismus wird die Feindlichkeit gegenüber Personen verstanden, die als „sozial schwach“
stigmatisiert werden – auch Obdach- und Wohnungslose.
Behindertenfeindlichkeit: Ablehnung von Menschen mit physischer Beeinträchtigung oder
Lernschwierigkeiten
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird in unterschiedliche Erscheinungsformen (s.o.) von Menschenfeindlichkeit differenziert, die
in einem Wechselzusammenhang
stehen. Hingegen wird bei Rechtsextremismus von einer geschlossenen
Ideologie ausgegangen. Beide sind
jedoch nicht isoliert voneinander zu
betrachten, da GMF und Rechtsextremismus sich häufig gegen dieselben
Personengruppen richten.
Orte
104
1
23
15
13
Hellersdorf-Nord
63
Hellersdorf-Ost
18
Hellersdorf-Süd
48
Kaulsdorf
3
Mahlsdorf
5
Marzahn-Mitte
45
Marzahn-Nord
5
Marzahn-Süd
22
Bezirksweit/unbekannt
15
Internet
15
Insgesamt
252
• 33 Marzahn-Nord: liegt östlich
17 der Wuhletalstraße und ist eingerahmt von der Ahrensfelder
Chaussee und der Grenze zum
brandenburgischen
Landkreis
Barnim
• Marzahn-Mitte: wird begrenzt
von der Wuhletalstraße, der
Landsberger Allee und der Be10
Demokratiebericht2020
•
•
•
•
Biesdorf
Auswertung 2020: Ort der Vorfälle
3
4
Um die rechtsextremen Aktivitäten
4
genauer
verorten zu können, wur5
de die Einteilung in Bezirksregionen
186
übernommen.
1
10
•
•
•
•
zirksgrenze zu Lichtenberg sowie
der Grenze zum brandenburgischen Landkreis Barnim
Marzahn-Süd: liegt westlich
der Wuhle bzw. des südlichen
Teils der Allee der Kosmonauten
und der Märkischen Allee, östlich der Rhinstraße, südlich von
Marzahn-Mitte und umfasst den
Kienberg
Biesdorf: wird begrenzt von der
Wuhle im Osten, der Bezirksgrenze zu Treptow-Köpenick im Süden, zu Lichtenberg im Westen
sowie der Elisabethstr. im Norden
Hellersdorf-Nord: wird in westlicher Richtung durch die Wuhle,
im Süden durch die U-Bahnlinie 5
und im Norden durch die Landsberger Chaussee begrenzt
Hellersdorf-Ost: grenzt im Süden an den brandenburgischen
Landkreis Märkisch Oderland und
umfasst die Großsiedlungsgebiete südliche der U-Bahnlinie 5
Hellersdorf-Süd: liegt in der
Mitte von Marzahn-Hellersdorf,
östlich der Wuhle und umfasst
außerdem das Neubaugebiet
Hellersdorf-Süd
Mahlsdorf: umfasst das durch
Einfamilienhäuser und Stadtvillen
geprägte Siedlungsgebiet, das
westlich von Kaulsdorf, östlich
vom brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland sowie
südlich von Treptow-Köpenick
eingerahmt wird
Kaulsdorf: das Gebiet im südlichen Hellersdorf, das östlich der
Wuhle, südlich der Gülzower
bzw. Grottkauer Str. sowie nördlich von Treptow-Köpenick liegt
bezirksweit/unbekannt: wird
verwendet, wenn ein Vorfall
nicht eindeutig einem Ortsteil
•
zugeordnet werden kann, wie
beispielsweise Vorfälle im ÖPNV.
in einigen Fällen kann der Vorfallsort nicht eindeutig bestimmt
werden und wird daher in dieser
Kategorie aufgenommen.
Internet: bezieht sich auf Vorfälle mit klarem Bezug zu Marzahn-Hellersdorf, die im Internet
stattfinden
Vorfallszahlen und vergleichende
Auswertung
Jahresvergleich: Art der Vorfälle
* Die Kategorie „Strukturelle Benachteiligung“ wurde erst im Jahr 2020
eingeführt
Die Zahl der gemeldeten Vorfälle ist
mit 252 im Jahr 2020 im Vergleich
zum Vorjahr um rund 60% (98 Vorfälle) gestiegen. Diese Entwicklung
ist in erster Linie Folge des Anstieges
der registrierten Propaganda-Vorfälle.
Die extrem rechte Szene nutzte den
Lockdown im Frühjahr 2020 zur Verbreitung von Propaganda, u.a. auch
gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Neben extrem
rechten Aufklebern und Plakaten,
wurden zudem vermehrt verschwörungsideologische Propaganda-Vorfälle gemeldet. Im Spätsommer 2020
versuchte zusätzlich die neonazistische Partei „Der III. Weg“ mit einer
Propaganda-Kampagne zu einer
Demonstration am 3. Oktober nach
Berlin-Hohenschönhausen zu mobilisieren.
Zudem stieg auch die Zahl der Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien von 23 Vorfällen im Jahr 2019 auf
33 Vorfälle im Jahr 2020, was einen
Anstieg um 48% entspricht. Dies wird
vom Register als eine Auswirkung der
gesamtgesellschaftlichen, pandemie-
Jahresvergleich 2019/2020 nach Art
17
Angriff
15
Bedrohung/Beleidigung
23 33
BVV 01
Propaganda
Sachbeschädigung 0 5
Strukturelle Benachteiligung* 0 4
Veranstaltung 4 10
Sonstiges 13
0
20
40
Spalte B
104
60
80
Spalte C
186
186
100 120 140 160 180 200
1
1
18
9
21
43
1
8
13
2
30
7
15
bedingten
Spannungen gedeutet, die
15
sich auch im Zwischenmenschlichen
22
niederschlägt.
5 wird auch die weiterhin stabiÄhnlich
45
le Zahl der Angriffe gedeutet (2019:
5
15 Angriffe;
2020: 17 Angriffe). Denn
3
obwohl angenommen werden kann,
48 durch den Lockdown im Frühdass
18
jahr und Spätherbst 2020 weniger
63
Begegnungen
zwischen Menschen
13
im öffentlichen Raum stattgefunden
haben, blieben die Angriffszahlen auf
einem gleichbleibenden Niveau.
Ein vergleichsweise bedeutender
Rückgang wurde in der Kategorie
Veranstaltungen verzeichnet. Dies
wird ebenfalls auf die Maßnahmen
zur Eindämmung der Pandemie zurückgeführt.
Jahresvergleich 2019/2020 nach Ort
13
7
Hellersdorf-Nord
Hellersdorf-Süd
8
Mahlsdorf 1 5
4345
5
Marzahn-Nord
21
22
9
15 18
15
bezirksweit/unbekannt*
1
berlinweit*** 0 1
0
10
20
Spalte B
„Rechte Selbstdarstellung“ wurden
hingegen überwiegend Aufkleber und
Schmierereien subsumiert, in denen
sich die Law-and-Order-Parolen neonazistischer Parteien (z.B. NPD und
Der III. Weg) oder ein Dominanzgebaren extrem rechter Gruppierungen
(z.B. Identitäre Bewegung, Autonome Nationalisten) in einzelnen Kiezen
ausdrückten.
Der quantitative Anstieg der Vorfallszahlen zeigt sich zudem auch in denjenigen Inhaltskategorien, die Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
zuzuordnen sind. Insbesondere rassistische Vorfälle und solche, die sich gegen politische Gegner:innen richten,
haben stark zugenommen. Auf diese
beiden Kategorien entfallen, neben
Propaganda, auch die meisten Bedrohungen und Angriffe. Auch hier wird
vermutet, dass latente Einstellungen
aufgrund der Corona-Krise stärker
zutagetraten. Auffällig ist zudem der
für Marzahn-Hellersdorf starke Zuwachs antisemitischer Vorfälle. In den
Vorjahren stellte Antisemitismus vergleichsweise selten das Vorfallsmotiv
dar. Durch die Verbreitung mitunter
Der Anstieg der Propagandavorfälle
spiegelt sich auch in der inhaltlichen
Zuordnung der Vorfälle wider. Vor allem die üblicherweise extrem rechten
Vorfallskategorien „Verharmlosung/
Verherrlichung des Nationalsozialismus“ und „Rechte Selbstdarstellung“
sind im Jahresvergleich gestiegen
(Verharmlosung/Verherrlichung des
NS um 156% auf 69 Vorfälle und
Rechte Selbstdarstellung um 53% auf
52 Vorfälle). In erstgenannte Kategorie fielen 2020 eine Vielzahl von bezirksweiten Schmierereien von Runen
und Zahlencodes, die einen Bezug
zum Nationalsozialismus aufweisen,
sowie die Forderung zur Freilassung
bekannter NS-Leugner:innen. Unter
Jahresvergleich 2019/2020 nach Inhalt
10
1
0
0
3 8
35
16
59
40
35
7
14
47
0
52
34
0
0
0
12
10
Spalte B
48
13
3
Jahresvergleich: Inhalt der Vorfälle
[Anmerkung: Die Kategorie „Antischwarzer Rassismus“ wurde 2018
nicht gesondert erhoben.]
Antisemitismus
Behindertenfeindlichkeit*
LGBTIQ*-Feindlichkeit
Polit. Gegner:innen
Rassismus
Antiziganismus
Antimuslimischer Rassismus
Antischwarzer Rassismus
Rechte Selbstdarstellung
Wahlkampf
Sozialchauvinismus*
Verharmlosung/Verherrlichung NS
63
30
18
2
20
27
30
Spalte C
69
40
50
60
70
30
40
50
60
70
Spalte C
antisemitischer Verschwörungserzählungen im Zuge der Corona-Pandemie, wurde daher auch vermehrt antisemitische Propaganda verteilt.
Jahresvergleich: Ort der Vorfälle
* Die Kategorien „stadtteilübergreifend“ und „unbekannt“ wurden
2020 zu der Kategorie „bezirksweit/
unbekannt“ zusammengefasst.
** Die Kategorie „Internet“ wurde
2019 noch als „berlinweit Internet“
geführt. In 2020 wurde sie in „Internet (Marzahn-Hellersdorf)“ umgeändert.
*** “berlinweit“ wurde 2020 nicht
mehr einzelnen Bezirken zugeordnet.
Wie auch schon in den Vorjahren
fanden im Jahr 2020 nahezu alle dokumentierten Vorfälle, unabhängig
von Art und Inhalt im öffentlichen
Raum statt. Schwerpunktmäßig fanden die registrierten Meldungen im
Gesamtbezirk
Marzahn-Hellersdorf
weiterhin in den Großsiedlungen
statt. Dies dürfte aber auch daran liegen, dass dort mehr Menschen wohnen und die öffentliche Infrastruktur
(Einkaufsmöglichkeiten, ÖPNV etc.)
engmaschiger ist. In Hellersdorf sind
nach wie vor in Hellersdorf-Nord die
meisten Vorfälle zu verzeichnen. Aber
auch in Hellersdorf Ost und Süd sind
die Vorfälle stark gestiegen. In Marzahn weist weiterhin Marzahn-Mitte
die höchsten Fallzahlen auf. Auffällig ist zudem, dass in Marzahn Nord,
trotz des allgemeinen Anstiegs, ein
Rückgang festzustellen ist, Die bezirklichen Siedlungsgebiete (Kaulsdorf,
Mahlsdorf, Biesdorf) weisen im Vergleich zur Großsiedlung niedrigere
80
Demokratiebericht2020
11
Fallzahlen auf. Aber auch hier lässt
sich, mit Ausnahme von Kaulsdorf,
eine Zunahme der Vorfälle feststellen.
Zusammenfassung & Ausblick
Die Zahl der registrierten rechtsextremen und diskriminierenden Vorfälle
ist von 154 im Vorjahr auf 252 Vorfälle im Jahr 2020 gestiegen. Im berlinweiten Vergleich aller Bezirke steht
Marzahn-Hellersdorf damit im Mittelfeld. Der Anstieg im Jahr 2020 wird
in erster Linie auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückgeführt. Solche
gesellschaftlichen und politischen Krisen werden von der extremen Rechten zur Mobilisierung genutzt. Auch
Verschwörungserzählungen, die vermeintliche Schuldige für die Krise benennen, finden in solchen Zeiten weitere Verbreitung. Trotz allem ist aber
weiterhin davon auszugehen, dass
die gemeldeten Vorfälle nur einen Teil
der tatsächlich stattfindenden Vorfälle abbilden.
12
Demokratiebericht2020
Es gilt die Aktivitäten neonazistischer
und extrem rechter Gruppierungen
auch im Jahr 2021 im Blick zu behalten. Die Corona-Pandemie wird auch
weiterhin eine wesentliche, gesamtgesellschaftliche Rolle spielen sowie
langfristige soziale und ökonomische
Folgen nach sich ziehen. Vor dem
Hintergrund der Wahlen im September 2021 in Berlin, ist von einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung auszugehen.
Eine besondere Herausforderung für
die lokale Zivilgesellschaft ist das aggressiv wahrgenommene Verhalten
der AfD gegenüber demokratischen
und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen im Bezirk. Dies beinhaltet z.B.
Polemiken gegen demokratisch engagierte Personen, Initiativen und Einrichtungen. Damit erweckt die AfD
den Eindruck, das Ziel zu verfolgen,
Personen gezielt einzuschüchtern
und demokratisches Engagement zu
delegitimieren. Im Wahljahr 2021 ist
mit einer weiteren Zunahme derarti-
ger Polemiken und Anfeindungen zu
rechnen.
Die hohe Anzahl der Vorfälle sowie
die Wahlergebnisse in 2017 und 2019
weisen darauf hin, dass Rassismus sowie eine relativ große Zustimmung zu
extrem rechten Thesen nach wie vor
ein Problem im Bezirk sind.
Die vorhandene und engagierte demokratische Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf wird auch 2021
wertvoll sein, um extrem rechten Entwicklungen im Bezirk entschlossen
und solidarisch entgegenzuwirken.
Exemplarische Vorfälle aus der Jahreschronik 2020
7. Oktober 2020
Antimuslimischer Angriff in Marzahn-Mitte
Eine 29-jährige Frau wurde gegen 11.25 Uhr vor einem
Supermarkt in der Allee der Kosmonauten von einer
63-jährigen Frau aus antimuslimischer Motivation beleidigt und am Hinterkopf gepackt. Die 63-Jährige griff der
29-Jährigen ins Gesicht, kratzte sie und versuchte ihr das
Kopftuch herunterzureißen.
Art: Angriff
Inhaltliche Zuordnung: Antimuslimischer Rassismus
Ort: Marzahn-Mitte
Quelle: ReachOut
28. November 2020
Antisemitische Pöbelei in Kaulsdorf
Als ein Mann anlässlich des 9. November zwei Stolpersteine für Elsa Veronika Fischl und ihre Tochter Ilse Friederike
Fischl im Mädewalder Weg 37 säuberte, kommentierten
dies zwei ältere Frauen. Sie bestritten, dass Elsa Veronika
Fischl und Ilse Friederike Fischl jemals in dem Haus gelebt
hätten und machten sich über Putzaktion des Mannes
verächtlich. Beim Verlassen der Szenerie riefen sie dem
Mann Holocaust-Relativierungen hinterher.
Art: Bedrohung/Beleidigung/Pöbelei
Inhaltliche Zuordnung: Antisemitismus
Ort: Kaulsdorf
Quelle: RIAS
19. Dezember 2020
NS-Symboliken in Marzahn-Mitte
Im Umfeld der Bushaltestelle Schleusinger Straße und In
der Ludwig-Renn-Straße wurden mehrere extrem rechte Schmierereien („Skins“) entdeckt. Der Buchstabe S
wurde in den Schmierereien als Siegrune geschrieben. Die
doppelte Siegrune war in der Zeit des Nationalsozialismus
das Emblem der Schutzstaffel (SS). Die Verwendung ist
heute gesetzlich verboten. Zudem befanden sich teilweise Aufkleber der extrem rechten Partei „III. Weg“ und
Hakenkreuze direkt neben den Schmierereien.
Art: Propaganda
Inhaltliche Zuordnung: Verharmlosung/Verherrlichung
des NS
Ort: Marzahn-Mitte
Quelle: Augenzeug:in/Register Marzahn-Hellersdorf
15. April 2020
Zahlreiche extrem rechte Sticker entlang der U5
Entlang der U5, zwischen dem Bahnhöfen Louis-Lewin-Str. und Biesdorf-Süd, wurden erneut massiv neonazistische und rassistische Sticker verklebt. Zahlreiche Sticker waren mit rassistischen und neonazistischen Parolen
und Motiven versehen. Auf weiteren Stickern wurden
weltoffene und tolerante Menschen sowie Flüchtlinge
beleidigt.
Art: Propaganda
Inhaltliche Zuordnung: Rassismus
Ort: bezirksweit/unbekannt
Quelle: Augenzeug:in/Register Marzahn-Hellersdorf
Die gesamte Chronik des Registers Marzahn-Hellersdof finden Sie online unter:
https://berliner-register.de/chronik/marzahn-hellersdorf
Die Projekte „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf“ und die externen Koordinierungs- und Fachstellen der „Partnerschaft für Demokratie Marzahn“ und „Partnerschaft für Demokratie
Hellersdorf“ sind bei dem Träger Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin angesiedelt.
Bei Fragen melden Sie sich gern bei pfd-mh@stftung-spi.de oder unter 030-99 27 50 98.
Unter Rechtsextremismus wird eine Ideologie verstanden, „die Vorstellungen von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen, eines ethnisch homogenen Volkes, die Befürwortung von hierarchischen und autoritären Verhältnissen und damit einhergehend die Ausgrenzung von Menschen, die
nicht in das Weltbild passen“ vertritt. Rechtsextremismus geht „häufig mit der Verharmlosung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus einher.“
(Vgl. https://www.berliner-register.de/content/rechts-rechte-ideologie; zuletzt aufgerufen am 10.03.2021).
2
Rechtspopulismus ist im Verständnis der Register keine Ideologie, sondern eine politische Strategie, die sich rechter und konservativer Vorstellungen
bedient (vgl. https://www.berliner-register.de/content/rechtspopulismus; zuletzt aufgerufen am 10.03.2021).
3
In: Melzer, Ralf (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Bonn. S. 62.
1
Demokratiebericht2020
13
Beiträge des Integrationsbüros MarzahnHellersdorf zur Demokratieentwicklung
Dr. Thomas Bryant (Integrationsbeauftragter),
Susan Hermenau (Flüchtlingskoordinatorin),
Francisco José Cárdenas Ruiz (Flüchtlingskoordinator)
Das Integrationsbüro des Bezirksamtes
Marzahn-Hellersdorf vertritt die Interessen der Menschen mit Flucht- oder
Migrationsgeschichte, die in unserem
Bezirk eine neue Heimat gefunden
haben. An der Seite einer Vielzahl engagierter Träger, Initiativen und Einzelpersonen befassen wir uns mit den
integrationspolitischen Fragen dieser
Stadt – und prüfen ihre konkrete Umsetzung in Marzahn-Hellersdorf. Dabei
ist uns wichtig, mit alteingesessenen
und neuzugezogenen Migrantinnen
und Migranten im Gespräch zu bleiben, um auch ihre Perspektiven in die
Debatten einfließen zu lassen. Um gute
Entscheidungen treffen zu können,
möchten wir verstehen, was den Menschen hier bei uns wichtig ist.
Im Corona-Jahr 2020 hat sich gezeigt,
dass unsere Arbeit, die sich normalerweise in vielen verschiedenen Gremien
und Netzwerken sowohl auf bezirklicher als auch auf Landesebene abspielt,
ohne echte Begegnungen nicht auskommt. Erst im Gespräch miteinander
kann man Gemeinsamkeiten feststellen, vorschnelle Schlüsse korrigieren,
Argumente austauschen und einander
kennenlernen. Eine Videokonferenz
kann das nicht ersetzen. Normalerweise unternehmen wir - und mit uns alle
Akteure, die in der Integrations- und
Migrationsarbeit tätig sind - große Anstrengungen, um allerlei Begegnungen
und Austauschmöglichkeiten zwischen
verschiedenen Menschen zu initiieren.
Kontaktbeschränkungen, die mit der
Corona-Pandemie einhergingen, stellten daher einen enormen Einschnitt
dar, weil diese Aktivitäten im Zuge des
sog. „Lockdowns“ quasi gen Null zu14
Demokratiebericht2020
rückgefahren werden mussten.
Freilich stellte diese vollkommen ungewohnte Situation unser Integrationsbüro vor große Herausforderungen
und warf außerdem Fragen auf, die
erst im Laufe der Zeit allmählich geklärt
werden konnten, wie z.B.: Wie können
Abstimmungs- und Vernetzungsrunden per Telefon oder Video gelingen,
wenn es aus Gründen des Infektionsschutzes im Präsenzformat nicht möglich ist? Wie können Maßnahmen und
Projekte sowie Angebote und Veranstaltungen so umgestaltet werden,
dass sie auch unter den Bedingungen
der Pandemie ihre jeweiligen Zielgruppen erreichen? Wie geht man mit der
Tatsache um, dass die Einhaltung der
Abstandsregeln in Gemeinschaftsunterkünften, wo z.T. mehrere hundert
Menschen auf relativ engem Raum beieinander leben, ziemlich schwierig ist?
In Marzahn-Hellersdorf existierten zu
Beginn des Jahres 2020 insgesamt sieben Gemeinschaftsunterkünfte sowie
eine Aufnahmeeinrichtung des zuständigen Landesamtes für Flüchtlingsfragen, in der insgesamt 3.544 Plätze
für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung stehen. In diesen
Geflüchtetenunterkünften
standen
kein flächendeckendes Internet, keine
Lernräume und keine Computer bereit,
um das „Homeschooling“ für Schule, Sprach- und Integrationskurse zu
ermöglichen. Insbesondere Kita- und
Schulkinder, die durch ihre Eltern nicht
gefördert werden können, spüren die
ausbleibenden Förderangebote, durch
die ihr Ankommen in der deutschen
Gesellschaft erheblich erschwert wird.
Viele Geflüchtete verloren ihren Job,
u.a. weil die Betreuung ihrer Kinder
nicht gesichert war oder sie in Berufszweigen angestellt waren, die von
der Krise am stärksten betroffen sind,
z.B. in Hotels und Gaststätten, bei
Reinigungsfirmen oder in der Leiharbeit. Sprachbarrieren, Besuchsverbote,
durch die Kontaktsperre ausbleibende
Unterstützung von Ehrenamtlichen
oder Trägern und diverse Einschränkungen im sozialen Bereich beförderten eine zunehmende Isolation. Der
psychosoziale Verbund des Gesundheitsamts meldete, dass die Nachfrage
nach psychosozialer Beratung im Laufe
des Jahres stark angestiegen sei.
Eine neue, so genannte „Modulare
Unterkunft für Flüchtlinge“ (MUF) am
Murtzaner Ring 68 (Marzahn-Süd)
wurde im Juli 2020 fertiggestellt. Seit
November wurde die Einrichtung u.a.
mit geflüchteten Menschen aus dem
„Containerdorf“ am Blumberger
Damm 163 (Marzahn-Mitte) belegt,
die im Murtzaner Ring 68 in Wohneinheiten mit integrierten Bädern und Küchen untergebracht werden können.
Das „Containerdorf“ wurde gemäß
den getroffenen Vereinbarungen geschlossen. Derzeit prüft die zuständige Berliner Immobilienmanagement
GmbH eine mögliche Nachnutzung der
Containerbauten für diverse Zwecke.
Im Juli wurde eine bereits geschlossene Wohncontainer-Anlage in Biesdorf
wieder in Betrieb genommen, zunächst im Sinne einer Entzerrung, um
das Ansteckungsrisiko in den beengten
Sammelunterkünften zu minimieren,
ab Dezember 2020 schließlich als Quarantäneeinrichtung für positiv getestete Personen und Verdachtspersonen
ersten Grades, die aus den Geflüchtetenunterkünften isoliert werden mussten.
Integration findet vor Ort statt, dort,
wo die Menschen leben und ihre Freizeit verbringen, arbeiten und zur Schule gehen. Durch den bezirklichen „Integrationsfonds“ – einen Fördertopf,
mit dem das Bezirksamt Projekte finanzieren kann, die sich nach den konkreten Gegebenheiten vor Ort richten und
spezifische Bedarfe einkalkulieren – unterstützten wir im Jahr 2020 mehr als
25 kleine und größere Unternehmungen. Der „Frauentreff Anahita“ (Marzahner Promenade 45) und der Begegnungsort „LaLoKa“ (Schneeberger Str.
9) sind Orte, an denen sich Menschen
aus aller Welt trafen, vernetzten, fortbildeten und in ihre Nachbarschaft
einbrachten. In der Flüchtlingsrechtsberatung wurden juristische Fragen
geklärt, im Wohnraumvermittlungsprojekt Grundlagen für eine erfolgreiche
Wohnungssuche und Kompetenzen
als Mieter vermittelt. Drei „Willkommenskultur“-Koordinatorinnen waren
Ansprechpersonen für neuzugezogene
Familien in eigenem Wohnraum, die
häufig auf sich allein gestellt und mit
der Nutzung digitaler Angebote überfordert waren. Besondere Beratung
erhielten Geflüchtete mit Behinderung
und chronischer Erkrankung durch eine
aufsuchende Sozialarbeiterin. Vielleicht
ist Ihnen die bezirkliche Spendenstelle
(Pritzhagener Weg 17) ein Begriff? Die
durch den „Integrationsfonds“ geförderte Einrichtung sammelte im Jahr
2020 viele Kleidungsstücke ein, um
sie kostenlos an Bedürftige und soziale
Einrichtungen auszugeben.
Recht schnell stellte sich heraus, dass
das bislang eher randständige Thema
„Mehrsprachigkeit“ inmitten der Corona-Krise ganz erheblich an Bedeutung, ja an Dringlichkeit zugenommen
hat. Um auch diejenigen Menschen,
welche der deutschen Sprache nicht
oder zumindest nicht in ausreichendem
Maße mächtig sind, mit den für sie
notwendigen Informationen zu versorgen, hat daher unser Integrationsbüro
diverse mehrsprachige Materialien insbesondere zu den einschlägigen Corona-Regeln in Auftrag gegeben bzw.
zusammengestellt. Die Integrationslotsinnen und Integrationslotsen haben
dabei dankenswerterweise einen sehr
wertvollen Beitrag geleistet, indem sie
uns sowie andere Bereiche des Bezirksamtes bei den Übersetzungen in verschiedene Sprachen unterstützt haben.
Die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit ist mehr als eine akademische Diskussion. Vielmehr geht es hierbei nicht
nur um die Anerkennung und Nutzung
mehrsprachiger Ressourcen, sondern
– auch und gerade in Krisenzeiten wie
diesen – um einen geradezu essenziellen Schritt in Richtung gesellschaftlicher
Teilhabe. Bekanntlich ist und bleibt
Deutsch Amtssprache. Inmitten einer
weltweiten Gefahrenlage für Leib und
Leben wäre es aber definitiv zu kurz
gegriffen, sich auf diesem Standpunkt
auszuruhen und untätig zuzuschauen, wenn viele Menschen bestimmte
Informationen aus rein sprachlichen
Gründen nicht verstehen und infolgedessen weder sich selbst noch ihre Mitmenschen vor gesundheitlichen Risiken
schützen können.
Um das Thema „Mehrsprachigkeit“
weiter voranzutreiben, haben wir im
Laufe des Jahres 2020 auch unser im
Vorjahr verabschiedetes „Bezirkliches
Integrationsprogramm“ in mehrere
Sprachen (arabisch, englisch, persisch,
russisch, spanisch und vietnamesisch)
übersetzen lassen. Es liegt nicht nur bei
uns im Integrationsbüro in gedruckter
Fassung zur Abholung bereit, sondern
kann auch in elektronischer Form auf
der Website des Bezirksamtes heruntergeladen werden (vgl. https://www.
berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/beauftragte/integration/artikel.830914.php).
Im Zuge der Umsetzung des Integrationsprogramms wird erstmals auch
ein sog. „Integrationsmonitoring“
auf den Weg gebracht. In Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen
des Programms „Berlin Entwickelt
Neue Nachbarschaften“ (BENN) sowie
in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe „Sozialberichterstattung“, in der
sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aus verschiedenen Abteilungen und
Organisationseinheiten des Bezirksamtes regelmäßig austauschen, soll eine
zahlen-, daten- und faktenbasierte Integrationsberichterstattung aufgebaut werden. Diese verfolgt das doppelte Ziel, sich anhand ausgewählter
Parameter zum einen bessere Klarheit
hinsichtlich verschiedener integrationsbzw. migrationspolitischer Sachverhalte, Zusammenhänge, Gegebenheiten
und Entwicklungen auf bezirklicher
Ebene zu verschaffen; zum anderen soll
auf Grundlage der erzielten Ergebnisse
und gewonnenen Erkenntnisse der im
öffentlichen Raum oftmals unsachlich
ausgetragene Diskurs rund um das Themenfeld „Integration und Migration“
nach Möglichkeit etwas mehr versachlicht werden. Dazu haben im Laufe des
Jahres 2020 mehrere Vorbereitungsgespräche stattgefunden. Die Veröffentlichung des ersten Integrationsberichts
auf Grundlage des beschriebenen Integrationsmonitorings ist für Sommer
2021 geplant.
Auch wenn es 2020 nur wenige Gelegenheiten gab, Veranstaltungen in bewährter Weise durchzuführen, so kann
es dennoch als Erfolg gewertet werden,
dass es auch unter diesen insgesamt
arg erschwerten Bedingungen gelungen ist, dass auch wieder die „Interkulturellen Tage“ stattfinden konnten.
Die anfänglichen Bedenken, es würden
sich womöglich nicht genug Akteure
finden, die unter diesen Umständen
willens bzw. in der Lage wären, ein
buntes und vielseitiges Programm auf
die Beine zu stellen, haben sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet – im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahr, als
von Corona noch längst nicht die Rede
war, haben fast genauso viele kleinere,
aber auch größere Einzelveranstaltungen stattgefunden. Einige von ihnen
fanden derweil im digitalen Raum statt,
waren jedoch nichtsdestotrotz bzw. gerade deswegen gut besucht. Das ist ein
äußerst gutes Zeichen, denn es zeigt,
dass der Wunsch, sich mit integrationsund migrationspolitischen Themen zu
beschäftigen und diesbezüglich auch
selbst etwas auf die Beine zu stellen,
nach wie vor ungebrochen hoch ist.
Wir, die Kolleginnen und Kollegen des
Integrationsbüros, danken an dieser
Stelle recht herzlich all denjenigen, die
sich tagtäglich – ob im Haupt- oder
Ehrenamt – in jeweils ganz unterschiedlicher Form für Menschen mit
Migrationsgeschichte stark machen.
Selbstverständlich werden wir dies
auch in Zukunft jederzeit gern mit ganzer Kraft unterstützen.
Demokratiebericht2020
15
Geförderte Projekte der Partnerschaften für Demokratie im Jahr 2020
Hannes Obens und Elisabeth Peters
Die Partnerschaft für Demokratie
Marzahn und ihre Projekte 2020
Die Partnerschaft für Demokratie
Marzahn hat 2020 aus ihrem Aktions- und Initiativfonds neun spannende Projekte gefördert. Trotz der
Corona-Einschränkungen
konnten
alle unten genannten Projekte in angepasster Form umgesetzt werden.
Der Fonds für Öffentlichkeitsarbeit,
Partizipation und Vernetzung wurde
u.a. für die Veranstaltungsreihe „Gesellschaft zwischen Krise und Aufbruch“ genutzt.
Weitere Informationen zu der Partnerschaft für Demokratie Marzahn
und ihren Projekten finden Sie online
unter:
demokratie-mh.de/partnerschaft-marzahn
Projektname
Inhalt
Fördersumme Träger
1 lingua - Das Sprachcafé
im DRK-Begegnungszentrum Marzahn-Süd
Begegnungscafé zur Förderung von Sprachkenntnissen
und Integration
7.750,00 €
2 Radio selber machen fünf Workshops
Radio-Workshops zur Vermittlung von Medienkompeten- 8.000,00 €
zen
3 „Respekt und Neugier“-Festival 2020
Umsetzung des partizipativ gestalteten Festivals
10.000,00 €
Roter Baum Berlin UG
4 fairbeatz - raise your
voice!
Musik-Workshops für Kinder und Jugendliche zum Themenfelder Empowerment
4.000,00 €
Humanistischer Verband
Deutschland, Berlin-Brandenburg
5 Jugend-Demokratie-Aka- Diskussionsveranstaltungen mit Menschen aus Politik und 5.750,00 €
Wissenschaft zu von den Jugendlichen gesetzten Themen
demie Marzahn
Humanistischer Verband
Deutschland, Berlin-Brandenburg
DRK Kreisverband Berlin-Nordost e.V.
radio connection e.V.
6 Radikal respektvoll - auf
deine Worte folgen Taten
Lerneinheiten für Grundschüler:innen zur Prävention
physischer und verbaler Gewalt im Schulkontext
5.000,00 €
Artikel 1 - Initiative für
Menschenwürde e.V.
7 Mediationsprojekt im Jugendzentrum Betonia und
der umliegenden Nachbarschaft: „Stressfreie Zone“
Peer-to-peer-Workshops für Jugendliche zur konstruktiven Konfliktlösung
Kurze Lerneinheiten für Grundschüler/innen zur Prävention physischer und verbaler Gewalt
7.500,00 €
Kinderring Berlin e.V.
8 Buntes und solidarisches
Marzahn sichtbar machen
Projekt zur Erhöhung der Sichtbarkeit und Außenwahrnehmung der bestehenden demokratischen, zivilgesellschaftlichen Strukturen in Marzahn
15.000,00 €
Bündnis für Demokratie und
Toleranz am Ort der Vielfalt
Marzahn-Hellersdorf e.V.
9 Aktionsfonds
Fonds für Bürger:innen, die sich mit ihren Ideen einbringen wollen
12.000,00 €
Wir fördern Engagement
e.V.
Gesamt
16
Das Jugendforum Marzahn wurde
2020 fachlich und administrativ durch
die Jugendfreizeiteinrichtung Anna
Landsberger begleitet. Dort können
sich alle jungen Menschen melden,
die sich in Marzahn für Toleranz und
Solidarität einsetzen möchten.
Demokratiebericht2020
75.000,00 €
Die Partnerschaft für Demokratie
Hellersdorf und ihre Projekte 2020
Die Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf hat 2020 aus ihrem Aktionsund Initiativfonds zehn spannende
Projekte gefördert. Trotz der Corona-Einschränkungen konnten alle unten genannten Projekte in angepasster Form umgesetzt werden.
Das Jugendforum Hellersdorf steht
für alle jungen Menschen offen, die
sich in Hellersdorf für Demokratie und
Solidarität einsetzen möchten. 2020
wurde es fachlich und administrativ
durch den Träger Kids & Co. begleitet.
Auch 2021 liegt die Begleitung beim
Träger Kids & Co. Der Fonds für Öffentlichkeitsarbeit, Partizipation und
Vernetzung wurde u.a. für die Veran-
staltungsreihe „Gesellschaft zwischen
Krise und Aufbruch“ genutzt.
Weitere Informationen zu der Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf
und ihren Projekten finden Sie online
unter:
demokratie-mh.de/partnerschaft-hellersdorf
Projektname
Inhalt
Fördersumme
Träger
1 Schöner Leben ohne
Nazis 2020
Das bezirkliche Demokratiefest feiert zum 12. Mal
10.000,00 €
Roter Baum Berlin UG
2 Mir macht es Mut, zu
erzählen, wer ich bin
Multiperspektivische Ausstellung von Jugendlichen zu Diskriminierungserfahrungen
5.000,00 €
Babel e.V.
3 Pen&Paper - Meine Ge- Durchführung von regelmäßigen fachlich angeleiteten
schichte, unser Abenteuer und aufbereiteten Pen&Paper-Rollenspielen, die u.a. Themen wie Sucht und soziale Abgrenzung thematisieren
7.500,00 €
Eastend-Berlin e.V.
4 Jugend-Demokratie-Aka- Diskussionsveranstaltungen mit Menschen aus Politik und
Wissenschaft zu von den Jugendlichen gesetzten Themen
demie Hellersdorf
6.000,00 €
Humanistischer Verband
Deutschland, Berlin-Brandenburg
5 Radikal respektvoll - auf Lerneinheiten für Grundschüler:innen zur Prävention phydeine Worte folgen Taten sischer und verbaler Gewalt im Schulkontext
5.000,00 €
Artikel 1 - Initiative für
Menschenwürde e.V.
6 Umwelt und Frieden im Projektwochen an Schulen zu den Themen Umwelt, Frieden und globaler Ungleichheit
Atomzeitalter
3.000,00 €
Friedensglockengesellschaft Berlin e.V.
Aufbau einer Laientheatergruppe, die mit den Mitteln des
Theaters gesellschaftliche Themen beleuchtet
4.500,00 €
Klub 74 Nachbarschaftszentrum Hellersdorf e.V.
8 Kampagne „Solidarische Verschiedene Aktionen rund um die Frage „Was bedeutet
Kieze“ in Marzahn-Hell- für mich Solidarität?“
ersdorf
4.000,00 €
Alice-Salomon Hochschule
7 Gründung einer Theater-Initiative im Stadtteilzentrum Hellersdorf-Süd
im Haus Kompass
9 Selbstbestimmt auf der
Hellen Oase
Workshops mit Jugendlichen zu demokratischer Mitgestaltung
20.000,00 €
Kids & Co g.e.V.
10 Aktionsfonds
Fonds für Bürger/innen, die sich mit ihren Ideen einbringen
wollen
10.000,00 €
Roter Baum Berlin UG
Gesamt
77.000,00 €
Demokratiebericht2020
17
„Solidarität bedeutet für mich Glück“1
Schlaglichter auf die Kampagne
Solidarische Kieze 2020
Elène Misbach – AG Solidarische Kieze und Alice Salomon
Hochschule Berlin
Der Start der Kampagne „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“
im März 2020 fiel mit dem ersten
Lockdown in der Corona-Pandemie
zusammen. Wie es interessierten
Anwohner*innen,
verschiedenen
Akteur*innen und Studierenden der
Alice Salomon Hochschule Berlin
dennoch gelungen ist, sich aktiv für
solidarische Nachbarschaften einzusetzen, zu vernetzen, einander zuzuhören, zusammen Kiezspaziergänge
zu veranstalten sowie mit Spaß und
Kreativität Rassismus und extrem
rechten Aktivitäten in den Kiezen entgegenzuwirken – das zeigen einige
ausgewählte Schlaglichter aus dem
letzten Jahr. Das Schneeballprinzip
ist zur Selbstläuferin geworden! Die
Menschen und Akteur*innen im Bezirk eignen sich die Kampagne an:
Viele Aktivitäten im Bezirk und in den
Kiezen beziehen sich auf Ziele und
Motto der Kampagne und zeigen auf
vielfältige und sympathische Weise
„SoGehtSolidarisch“!2
#SoGehtSolidarisch – Aktionstag
mit Band der Solidarität von #unteilbar am 14 Juni 2020
Die Kampagne Solidarische Kieze
Marzahn-Hellersdorf war eine der
Erstunterstützer*innen des bundesweiten Aktionstages am 14. Juni,
organisiert vom Bündnis #unteilbar.
Bundesweit haben an diesem Tag in
zehn Städten mehrere zehntausend
Menschen – unter Einhaltung der
gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln – unter dem Motto #SoGehtSolidarisch ein Band der Solidarität ge18
Demokratiebericht2020
knüpft.3 Akteur*innen der Kampagne
waren vor Ort dabei und haben im
Bezirk ein sichtbares Zeichen gesetzt,
indem sie an der Fassade der ASH
Berlin in zeitlicher Nähe zum Aktionstag ein Banner der Kampagne mit
Bezug zum Motto #SoGehtSolidarisch deutlich sichtbar über mehrere
Wochen aufgehängt haben. Mit dem
Blick über den bezirklichen Tellerrand
hinaus übernehmen wir gleichzeitig
auch Verantwortung dort, wo wir
lokal ins Handeln kommen: Auf der
jeweils lokalen Ebene können wir
auf die sozialen Polarisierungen und
Spaltungen, der vielerorts erfolgreichen Mobilisierung von rechts und
dem Wachsen rechtspopulistischer
Organisationen mit konkret gelebter
inklusiver Solidarität antworten. Und
genau das ist einer der Kerngedanken
der Kampagne.
„Schöner leben ohne Nazis“ am 5.
September 2020
Beim
jährlichen
Demokratiefest
„Schöner leben ohne Nazis“ hat die
Kampagne Solidarische Kieze einen
gemeinsamen Stand mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz gestaltet. Zusammen mit Moritz Marc
von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung waren für die
ASH Berlin u.a. aktiv beteiligt: das
Frauen*büro, die antirassistische Registerstelle, das Antirafa-Referat des
AStA, der AK gegen rechte Gewalt,
engagierte Studierende sowie das
ASH-Forschungsprojekt „Demokratie“ zu Aspekten sozialräumlicher Demokratieentwicklung im Bezirk.
„Was heißt für Dich Solidarität?“
– Workshop mit migrantas im Naschgarten – Vorstellung der Plakatkampagne Einfach weiter so?!
von #unteilbar
Am 17. September 2020 fand von
der Kampagne in Zusammenarbeit
mit BENN4 Blumberger Damm, der
ASH Berlin, dem Künstlerinnen-Kollektiv migrantas, dem bundesweiten
Bündnis #unteilbar und den Gastgeberinnen vom Naschgarten im Kiezpark Schönagelstraße in Marzahn ein
erfolgreicher Workshop zum Thema
„Was heißt für Dich Solidarität?“
statt: Interessierte Anwohner*innen
und aktive zivilgesellschaftliche Akteur*innen haben sich vernetzt und
angeregt darüber ausgetauscht, wie
wir uns eine solidarische, freie und
offene Gesellschaft wünschen – und
was wir dafür tun können. Anna
Spangenberg vom Bündnis #unteilbar
hat die druckfrische Plakatkampagne
Einfach weiter so?!5 vorgestellt (siehe
Bild 01). Was wir brauchen: Antirassismus & Solidarität statt Ausgrenzung! lautet hier eines von vier Themen. Die Teilnehmer*innen haben
auf drei großen Bannern, künstlerisch
gestaltet und angefertigt vom Kollektiv migrantas6, ihre Gedanken und Visionen zum Thema „Solidarität“ platziert (siehe Bild 02).
„Erinnern heißt verändern“ – Kiezspaziergänge zu Stolpersteinen
und für eine würdige Erinnerungskultur
Im Rahmen des Jahresprogramms
der vom Kooperationsforum initiier-
ten Spazierblicke wurden im Rahmen
der Kampagne neue Spazierblicke
entwickelt und angeboten: Gemeinsam mit dem Bündnis für Demokratie
und Toleranz hat unter dem Motto
Putzen wider das Vergessen - Erinnerung pflegen im Januar 2020 ein
Spazierblick zu ausgewählten Stolpersteinen in Kaulsdorf und Mahlsdorf stattgefunden7. Begeistert von
dem großen Interesse an diesem Spazierblick und beeindruckt von den für
uns recht „versteckten“ Orten der
Stolpersteine in den Ein- und Mehrfamilienhaus-Wohngebieten in Kaulsdorf und Mahlsdorf, „stolperten“ wir
hier buchstäblich nur deswegen über
die Gedenksteine, weil wir sie bewusst
und geführt von Steven Kelz und Henny Engels, den Bündnissprecher*innen, aufsuchten. Unsere zweite Tour,
einem Putzspaziergang am 14. September 2020 im Rahmen der Berliner
Freiwilligentage als Aktion und Angebot der Kampagne Solidarische Kieze,
führte uns zur Lohengrinstraße 2 zu
den Gedenksteinen von Heinrich Lange, Rosa Lange, Manfred Lichtenstein,
Max Lange, Salo Lange und Denny
Bildquelle: unteilbar
Lange, zur Hannsdorfer Straße 8, wo
an Emil Roth, Emilie Roth und an Hedwig Mentzen erinnert wird sowie zur
Nentwigstraße 10, wo wir auch den
Stolperstein für Eva Wolff von Straßenschmutz und Patina befreiten.
Erinnern und Organisieren! – Solidarische Kieze entwickeln war das Thema eines weiteren Spazierblicks zu
ausgewählten Orten antirassistischen
und antifaschistischen Erinnerns und
Handelns in Hellersdorf-Nord und
-Ost. Kooperativ entwickelt vom Register zur Erfassung rechtsextremer
und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf, dem AK gegen
Rechte Gewalt und der antirassistischen Registerstelle an der ASH Berlin wurde dieser Kiezspaziergang als
Pilot im Rahmen der Freiwilligentage
sowie für die Spazierblicke-Reihe angeboten. Inspiriert von der Teilnahme
entwickeln Studierende unterschiedlicher Seminare im Bachelor Soziale
Arbeit als Vertiefung zu den Themen
Solidarität und Antirassismus, antifaschistische Gemeinwesenarbeit und
würdige Erinnerungskultur nun eigene Projektideen, die sie mit der Arbeit
von Akteuren vor Ort verknüpfen und
diesen für eine Weiterentwicklung zur
Verfügung stellen möchten.
Podcast „Im Tiefgang durch die
Stadt“
Auch die Folgen des Podcasts „Im
Tiefgang durch die Stadt“8, in denen Raiko Hannemann und Thomas
Bryant O-Töne von Menschen im
Bezirk einfangen, zeigen auf sympathische, informative und kenntnisreiche Weise: Das Engagement vor Ort,
Nachbarschaften und Akteur*innen
in einer solidarischen Art und Weise
zusammen zu bringen, ist wichtig –
und ein wunderbares Beispiel für den
Schneeballeffekt und die Aneignung
der Kampagne mit eigenen kreativen
Ideen.
Interesse mitzumachen oder eine
eigene Aktion zu teilen?
Kontakt und Koordinierung der Kampagne: koordinierungsstelle-mh@
pad-berlin.de
Website: https://buendnis.demokratie-mh.de/solidarische-kieze/
Bildquelle: Michael Schaaf
Dieses Zitat stammt von eine*r Teilnehmer*in des Workshops „Was heißt Solidarität für Dich“ am 17. September 2020 im Naschgarten im Kiezpark
Schönagelstraße. Das Künstlerinnen-Kollektiv migrantas hat in Kooperation mit Akteur_innen der AG Solidarische Kieze drei große thematische Banner zum Thema Solidarität erstellt, auf die die Teilnehmer*innen ihre Gedanken und Wünsche zur Frage „Was heißt Solidarität für Dich?“ anpinnen
konnten.
2
Das Spektrum der Aktivitäten und neuen Vernetzungen unter dem Dach der Kampagne „Solidarische Kieze“ ist wesentlich facettenreicher als die
hier zusammengestellte Auswahl sichtbar machen kann. Und das ist auch gut so! Es lohnt sich daher, immer mal wieder einen Blick auf die Website
vom bezirklichen Bündnis für Demokratie und Toleranz zu werfen. Dort wird anschaulich über aktuelle, zukünftige und vergangene Aktionen, Debatten und Aktivitäten zum Mitmachen berichtet: https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/
3
https://www.unteilbar.org/unteilbar-aktionstag-am-14-juni-2020-sogehtsolidarisch-2/
4
Die Abkürzung BENN steht für „Berlin entwickelt neue Nachbarschaften“.
5
www.unteilbar.org/aktionen/einfachweiterso/
6
www.migrantas.org
7
Zum initiierten Stolpersteine-Spazierblick siehe auch: Elène Misbach (2020): Solidarität – Kooperationen zwischen ASH Berlin und Marzahn-Hellersdorf. in: alice 39, S. 88-92.
8
https://buendnis.demokratie-mh.de/aktuelles/subbotnik-solidarisches-platte-saubermachen-marzahn-sonderfolge/
1
Demokratiebericht2020
19
Das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf (KJB)
im Gespräch
Die Fragen wurden von Moritz Marc von der Koordinierungsstelle
für Demokratieentwicklung gestellt.
Könntet Ihr Euch bitte kurz für
unsere Leser*innen vorstellen?
Seit wann gibt es das Kinder- und
Jugendbeteiligungsbüro, wer ist
Euer Träger und wie viele Mitarbeiter*innen habt Ihr?
Das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf (KJB) ist ein
Projekt des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg KdöR in der
Abteilung Jugend. Es ist Ansprechpartner für alle großen und kleinen
Leute, wenn es um Beteiligung und
Kinderrechte geht und seit 1993 in
Marzahn, seit 2002 im Großbezirk
Marzahn-Hellersdorf tätig. Bis 2019
sind wir vom Bezirk aus den Fördermittel §11 KJHG mit 1,6 Stellen finanziert worden. Seit 2020 haben wir
2,2 Stellen und werden im Rahmen
der zusätzlichen Mittel für die Bezirke
durch das Jugendförder- und Beteiligungsgesetz finanziert.
Das heißt, dass wir gerade drei Kolleg*innen in Teilzeit sind: Jörn, Ina
und Frauke (Projektleitung). Nicky unterstützt uns im Rahmen des Bürgerhaushalts.
Was war im Jahr 2020 arbeitstechnisch Euer Schwerpunkt? Könnt
Ihr uns etwas über die Kinderjury,
eure Podcastformate und den
Bürgerhaushalt für Kinder und Jugendliche erzählen?
Das Jahr 2020 war – wie für alle – ein
anstrengendes Jahr. Viele Projekte
und Aktionen, die wir geplant hatten,
mussten wir ständig neu bewerten
20
Demokratiebericht2020
und umplanen. Wichtig war uns, den
Kontakt zu Jugend- und Kindergruppen und Initiativen zu halten. Am
30.1.2020 haben wir den Bezirkschüler*innen-Ausschuss beim BSA-Tag
im Sartre-Gymnasium unterstützt.
Da haben noch einfach so 36 Schüler*innen aus verschiedenen Schulen
an den Diskussionen und Workshops
teilgenommen. Dann kam der Lockdown. Um eine authentische Stimme
von Jugendlichen währenddessen
einzufangen, erschien uns das Format
Podcast von und für Jugendliche passend: We-share-our-Voice entstand.
Die Idee dahinter ist, dass viel über
Corona geredet wird; die Stimmen
der Jugendlichen im Umgang damit
werden kaum gehört. 8 Podcasts sind
entstanden.
Ein Ergebnis der Kinderversammlung
2019 war ja, dass die Bezirkspolitik,
auf Vertreter*innen von Fridays for
Future zugekommen ist und mit ihnen in den Klimagesprächen Klimaschutz-Maßnahmen und Ideen für
den Bezirk besprechen wollte. Vier
Klimagespräche mit den BzSt Zivkovic, Witt, Lemm haben analog und digital stattgefunden. Die Klimagespräche mit Fridays for Future sollen auch
2021 fortgesetzt werden und das KJB
begleitet sie dabei.
Neben einer digitalen Jugendjury
und einer analogen Kinderjury haben
wir auch im Sommer mit einem Hygenie-Konzept „We build this City“
– einen Bau-Workshop mit jungen
Aktivistinnen auf der Brache Ma-
xie-Wander-Str. veranstaltet und im
Herbst einen Hingucker zum Artikel
12 der UN-Kinderrechte mit der Geisenweide Grundschule umgesetzt.
Auch die Lobbygruppe für ein Kinderund Jugendparlament Marzahn-Hellersdorf haben wir begleitet.
Für den BHH waren wir im jungen
Bezirk unterwegs und haben über 20
Vorschläge von Kindern und Jugendlichen eingesammelt. Diese können ab
dem 18.1.2021 auf mischen-sie-mit.
de gevotet werden. Wir haben auch
ein paar digitale Voting-Veranstaltungen vor.
Neben der Arbeit mit den jungen
Menschen sehen wir uns ja auch als
Lobbyinstanz für das Thema Kinderund Jugendbeteiligung. D.h., wir
vernetzen uns zum einen mit Multiplikator*innen in Schule und dem Jugendfreizeitbereich. 2020 und 2021
touren wir durch die Jugendfreizeiteinrichtungen, um den Auftrag des
neuen Jugendförder- und Beteiligungsgesetztes mit den Kolleg*innen zu definieren. Wir sind auch Geschäftsstelle der AG78 Kinder- und
Jugendarbeit im Bezirk. Zum anderen
arbeiten wir auch mit Politik und Verwaltung zusammen: wir sind beratendes Mitglied des Jugendhilfe-Ausschuss, der Spielplatzkommission
sowie des Bündnisses für Kinder. Wir
bringen uns in die Begleitausschüsse
Partnerschaften für Demokratie, den
regionalen Vernetzungsrunden, den
berlinweiten Netzwerken wie Lakok
und U18 ein.
Wie ist die Kinder- und Jugendversammlung in Marzahn-Hellersdorf
2020 verlaufen? Und könnt Ihr
uns etwas über euer tolles Projekt
#JungesPolitikstudio berichten?
Viele der oben dargestellten Initiativen und Projekte haben wir auch für
eine Kinder- und Jugendversammlung
2020 mit der Bezirkspolitik angefragt.
Aufgrund der neuen Corona-Beschränkungen haben wir uns von der
Idee verabschiedet, eine Versammlung zu veranstalten. Stattdessen haben wir eine Art Kampagne gemacht:
im jungen Politikstudio #jungespolitikstudio haben Kinder und Jugendliche ab dem 20.11. (Kinderrechte-Aktionstag)ihre Anliegen der Politik
geschildert und nun warten sie auf
Antwort von ihnen. Wir haben zwar
wenig Presseresonanz aber viele Klicks
auf Youtube bekommen. Wir hoffen,
dass die Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt und mit ihren vielen Ideen
eine Antwort bekommen.
Alle unsere Projekte sind unter www.
kijubue.de oder https://humanistisch.
de/kjb oder Facebook einzusehen.
Was hat sich durch die Corona-Pandemie in eurer Arbeit geändert?
Wie geht Ihr mit der aktuellen Situation um, bzw. wie schätzt Ihr
diese hinsichtlich der Kinder und
Jugendlichen und auch der häufig
alleinerziehenden jungen Mütter
im Bezirk ein? Wo gibt es aktuell
besondere Probleme bzw. wo seht
Ihr (akuten) Verbesserungs- bzw.
Hilfsbedarf?
Unsere Arbeit ist komplizierter geworden, auch als Team ist es nicht mehr
so einfach sich zu treffen. Wir haben
versucht, uns das ganze Jahr über flexibel zu halten und alle digitalen Kanäle von Whatsapp über Insta, Facebook und Co zu bespielen. Außerdem
sind wir jetzt fit mit Conferencing
Tools. Die Kinder und Jugendliche, mit
denen wir zu tun haben, haben ein
sehr breites Problembewußtsein bzgl.
Corona. Mir hat besonders gut das
Motto von Fridays for Future gefallen:
#fighteverycrisis. Es nutzt nichts, Corona zu leugnen oder den Kopf in den
Sand zu stecken. Gleichzeitig gibt es
viele andere Krisen, die wir bekämp-
fen müssen: z.B. den Klimawandel,
aber auch so Dinge wie Kinderarmut
im Bezirk.
Wir sind ja keine Einrichtung der offenen Jugendarbeit, aber die Kolleg*innen davon berichten schon, dass vor
allem Kinder sich einsam fühlen. Zuwendung und Hilfe ist unter den Coronabedingungen schwer zu leisten
und so verschärfen sich auch diese
Krisen. Sehr anstrengend war, dass
die Kinder- und Jugendarbeitenden
immer als letzte informiert wurden:
die JFEs waren die letzten, die erfuhren, ob sie geschlossen werden oder
unter welchen Bedingungen geöffnet
bleiben konnten, Coronafälle sind
nicht an sie weitergemeldet worden,
und Tests standen ihnen ganz lange
nicht zur Verfügung. Auch das hat
nochmal deutlich gemacht, wie der
Stellenwert von Jugendarbeit allgemein ist. Und die Jugendarbeitenden
haben sich schon viel zu lange daran
gewöhnt, dass sie mit wenig Ressourcen klarkommen müssen und jeden
Tag improvisieren.
2021 finden im September die
Wahlen zur BVV, zum Senat und
zum Bundestag statt. Welche Beteiligungsformate habt Ihr da für
Kinder und Jugendliche im Bezirk
in Planung?
Wahljahr heißt für uns immer U18: die
Wahl für alle Unter18-Jährigen. Wir
sind die bezirkliche Koordinierungsstelle; das Projekt gibt es ja berlinweit
(besonders prominent) und auch bundesweit. Wichtig bei diesem Format
ist für uns zunächst einmal, dass Kinder und Jugendliche eine Meinung
haben und diese bei U18 kundtun.
In Marzahn-Hellersdorf haben in den
letzten U18-Wahlen immerhin immer
so ca. 2500 Kinder und Jugendliche
gewählt. Das macht sie spannend
für die Politik. Wir haben viele schöne und spannende Veranstaltungen
in Diskussion Politik und Jugendliche
wie z.B. U19-Wahlzirkus etc. gehabt.
Politik reagiert meist sehr interessiert
und es haben sich z.B. auch Verschiebungen bei vielen Politiker*innen ergeben: viele denken über eine Wahlaltersabsenkung nach. Unser Ansatz
ist aber nicht allein, Parteiprogramme
an das Kind zu bekommen. In unseren U18-Ideenfabriken geht es auch
um Themen wie „das Private ist politisch“; wie sieht mein politisches
Engagement aus und ganz übergeordnet zu Themen Menschen- und
Kinderrechte, Anti-Diskriminierung,
Antirassismus etc.
Ihr seid seit 2021 auch offizielles Mitglied des Bündnisses für
Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf. Wie seid ihr zu
dem Entschluss gekommen dort
mitzumachen bzw. was wollt Ihr
dort bewirken?
Wir sehen uns als kleiner Baustein
im Demokratiegefüge im Bezirk. Wir
sitzen im Begleitausschuss um das
Thema Kinder- und Jugendbeteiligung mit zu denken und darin auch
Verbündete zu finden. Im besten Falle
ergeben sich neue Impulse oder sogar
Kooperationen.
Wie seid Ihr zu erreichen?
Kinder und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn Hellersdorf im HVD
BB KdöR
Marzahner Promenade 51, 12679
Berlin
Tel: 030 9339466
Fax: 03212 – 4442061
E-Mail: kjb@hvd-bb.de
Web: www.kijubue.de
https://www.facebook.com/kijubue
Demokratiebericht2020
21
Was macht eigentlich
BENN (Blumberger Damm)?
Nachbarschaftsarbeit in Zeiten der Pandemie
Nachbarschaftsarbeit in Zeiten der
Pandemie. Begegnungen während
des Lock Downs. Wie geht das? Unser BENN Koordinator von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sagt dazu ganz
trocken: „Das Leben findet analog
statt.“ Heißt so viel wie: Online Angebote können eine Alternative sein,
aber das Wahre ist es nicht. Und so
ist es auch in unserer und sicher auch
in Ihrer Erfahrung. Der Nachbarin
auf einem flachen Bildschirm zuzusehen, wie sie ihren Kaffee trinkt ist
nicht das Gleiche, wie miteinander
Sprachübungen zu machen, sich gegenseitig den Kaffee einzuschenken
und zu wissen, dass man sich im
selben Raum aufhält. Echte Begegnungen funktionieren selten virtuell.
Unseren wöchentlichen Sprachtreff
besuchen Menschen aus der ganzen
Nachbarschaft - mit und ohne Fluchtgeschichte, mit muttersprachlichen
oder rudimentären Deutschkenntnissen, kürzer oder länger in Marzahn
lebend. Ein Ort, an dem echte Begegnung stattfindet. Dieser Ort lässt sich
nicht digitalisieren. Und doch ist es
so besser als nichts - sich wenigstens
kurz zu sehen, zuzuwinken und ein
wenig zu plaudern.
Allerdings ist selbst die Sparvariante
des Sprachtreffs nicht allen Menschen
zugänglich. Das liegt auch daran,
dass die Internetversorgung in vielen Gemeinschaftsunterkünften für
geflüchtete Menschen völlig unzureichend ist. Selbst ein kurzer Video22
Demokratiebericht2020
anruf ist häufig nicht möglich. BENN
hat die Aufgabe, nachbarschaftliche
Begegnungen zu fördern und die
Teilhabe geflüchteter Menschen zu
stärken. Deshalb haben wir uns im
Lockdown dafür stark gemacht, dass
die WLAN Ausstattung in den Unterkünften verbessert wird. Wir haben
außerdem engen Kontakt zu unseren
Nachbarinnen und Nachbarn gehalten und mit unserem Lastenrad die
„Quarantäne-Engel“ des DRK-Nachbarschaftszentrums (u.a. für Einkäufe) unterstützt – alles was ging, um
kurzfristig auszuhelfen. Eine Frau
aus Afghanistan hat Stoffmasken für
die Nachbarschaft genäht (und verschenkt), die schöner sind als alles,
was man käuflich erwerben kann.
Und dann kam glücklicherweise die
warme Jahreszeit… und mit ihr viele
kreative Ideen. Wie schön war es, hinter dem Carrée auf der grünen Wiese
zu sitzen und wieder gemeinsam Kaffee trinken zu können! Der Sprachtreff wurde nach draußen verlegt. Und
viele weitere Aktionen fanden statt.
Einige Ergebnisse können im Kiezpark
Schönagelstraße bestaunt werden.
Da ist z.B. ein tolles großes Graffiti
an der Turnhallenwand entstanden,
das Jugendliche aus den Gemeinschaftsunterkünften und Jugendfreizeiteinrichtungen gemeinsam entwickelt und gesprüht haben. Zentral ist
der Satz: „Was du hast können viele
haben, aber was du bist kann keiner sein.“ Außerdem finden Sie im
gleich angrenzenden Naschgarten,
wo im Sommer die Pflanzen in bunter
Vielfalt um die Wette blühen, kleine
Schilder mit Namen. Dort haben vor
allem Kinder aus den Gemeinschaftsunterkünften Kürbisse, Bohnen und
Sonnenblumen gepflanzt und sich liebevoll um sie gekümmert. Wir freuen
uns, derlei Aktionen anregen, begleiten und finanzieren zu dürfen!
Die besten Ideen entstehen, wenn
man sich die Bälle hin und her spielt.
Eine der besten Ideen im letzten Jahr
war die „Marzahner Spätlese“. Ein
Vorlesenachmittag im Bürgerpark.
Und zwar von und mit Nachbarinnen und Nachbarn und ihren selbst
verfassten Geschichten. Geplant
von einer aktiven Gruppe von Nachbarinnen und Nachbarn. Ein völlig
neues und experimentelles Format.
Anfänglich beschäftigten uns viele
Fragen: Würde es funktionieren, dass
© Susanne Yacoub für AG Schnorbusch Architektur/Landschaftsarchitektur+Video
Menschen ihre Geschichten an BENN
schicken, mit dem Ziel, dass diese von
ihnen selbst öffentlich vorgelesen
werden? Wer hätte an so etwas Interesse? Würden genügend Menschen
in den Bürgerpark kommen und sich
auf „Leseinseln“ etwas vorlesen lassen? Manchmal braucht es etwas Mut
und Optimismus – auch oder vielleicht
gerade in Zeiten der Pandemie.
Texte auf Farsi und wurde anschließend übersetzt. Das Papiertheater
zeigte eine einzigartige Darbietung.
Und gerahmt wurde das Ganze durch
den Poetry Slammer Daniel Hoth, der
für viele Lacher sorgte. Beseelt verließen uns nach der Veranstaltung Zuhörende und Lesende. Nicht ohne sich
zu wünschen, dass dies unbedingt
wiederholt werden müsse!
Das Lesefest war ein voller Erfolg! Tatkräftig unterstützt von etlichen Menschen aus der Nachbarschaft, erlebten
wir einen unvergesslichen Nachmittag
bei strahlendem Sonnenschein auf
der Wiese im Bürgerpark. Rund 50
Menschen unterschiedlichen Alters
kamen, lauschten gebannt den Geschichten und sprachen intensiv über
die Texte – fernab von Small Talk und
Corona-Resignation. Kinder jagten
über die Wiese oder entdeckten Geschichten auf unterschiedlichen Sprachen im Märchenzelt, das wir von der
Volkssolidarität ausleihen konnten.
Ein Nachbar aus Afghanistan las seine
Aus der Veranstaltung ist eine Zeitung
entstanden, die bei BENN Blumberger Damm abgeholt werden kann
(Carrée Marzahn, Jan-Petersen-Straße
14, 12679 Berlin). Darin können die
originellen, wundervollen, kuriosen,
spannenden und zutiefst menschlichen Geschichten unserer vielfältigen und kreativen Nachbarinnen und
Nachbarn nachgelesen werden. Die
Zeitung möchte den sehr unterschiedlichen Geschichten eine Plattform geben. Sie ist eine Hommage an Nachbarschaften in Zeiten der Pandemie,
weil sie zeigt, dass Phantasie und Zusammenhalt keine Grenzen kennen.
Danke an alle, die uns all diese Dinge ermöglicht haben! Auf ein neues,
spannendes und gesundes Jahr!
Das Team von BENN Blumberger
Damm
Demokratiebericht2020
23
„Die Russlanddeutschen haben ein
bestimmtes Image als ‚rechts‘“
Interview mit Jannis Panagiotidis, geführt von Viktoria Morasch.
Lange galten Russlanddeutschen als zuverlässige Stammwähler:innen der CDU/CSU und darüber hinaus als
nicht besonders politisch engagiert. Beginnend mit dem „Fall Lisa“ im Jahr 2016 änderte sich das. Einige
russlanddeutsche Spätaussiedler:innen protestierten gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung. Das
brachte den Russlanddeutschen den Ruf ein, jetzt vermehrt für rechtspopulistische und -extreme Parteien zu
stimmen und sich deren Ideen zuzuwenden.
Der Historiker und Migrationsforscher Jannis Panagiotidis hat sich diese Gruppe und ihr Wahlverhalten genauer angesehen. Wir haben ihn gefragt: Was ist dran an diesem Ruf?
Über Russlanddeutsche heißt es,
sie seien eher konservativ. Warum?
In den 1990ern und frühen 2000ern,
als es ein bisschen Wahlforschung zu
dieser Gruppe gab, hat man beobachtet, dass Russlanddeutsche größtenteils CDU wählten. Dafür nannte man
verschiedene Gründe: die religiöse
Grundprägung, vor allem bei den Älteren, die vielzitierte Dankbarkeit Helmut
Kohl gegenüber, weil die meisten Russlanddeutschen während seiner Regierung nach Deutschland einreisten und
die Tatsache, dass die Menschen aus
einem kommunistisch regierten Land,
zumindest vom Anspruch her, kamen
und linken Gesellschaftsentwürfen
eher skeptisch gegenüberstanden. Das
sind die klassischen Faktoren, die man
damals identifiziert hat.
Was hat sich seitdem verändert?
In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass es diese konservative Hegemonie in dem Maße nicht mehr gibt.
Die Mehrzahl der Russlanddeutschen
wählt immer noch rechts der Mitte,
knapp unter 60 Prozent. Aber 40 Prozent wählen links der Mitte. Und links
der Mitte heißt vor allem Linkspartei,
was bemerkenswert ist, weil man ja immer annahm, dass Russlanddeutsche
auch aus Feindseligkeit gegenüber
dem Kommunismus konservativ wählten. Vielleicht hat diese Veränderung
mit einem Generationenwandel zu tun
oder mit einem Einstellungswandel in
der Aussiedlergeneration, die inzwischen vielleicht etwas nostalgischer auf
24
Demokratiebericht2020
ihre sowjetische Vergangenheit blickt
und die eher russlandfreundlichen Positionen der Linkspartei honoriert. Es
könnte aber auch daran liegen, dass
viele Russlanddeutsche eher prekär leben und aus dieser sozialen Lage heraus eine linke Partei bevorzugen.
Lässt sich der Zeitpunkt benennen,
an dem viele Russlanddeutsche anfingen, die Linkspartei zu wählen?
Da gibt es leider Lücken in der Forschung. Als man nach den 1990ern
mal wieder hinguckte, in den 2010ern,
war da dieses starke, linke Spektrum. Wann es entstand, interessiert
mich auch, weil man daraus auch auf
die Beweggründe schließen könnte:
Hat es mit der Verschlechterung des
deutsch-russischen Verhältnisses zu
tun? Der Krim-Annektion? Oder hat es
mit sozialen Faktoren zu tun, den prekären Jobs vieler Russlanddeutscher?
Bei der AfD lässt sich der Zeitpunkt
besser bestimmen. Warum haben
viele Russlanddeutsche ab 2015 beschlossen, die AfD zu wählen?
Der offenkundigste Grund, der ja auch
gesamtgesellschaftlich relevant war,
war die sogenannte Flüchtlingskrise.
Bei der Wahl 2013 war die AfD noch
an der 5-Prozenthürde gescheitert.
Dass relativ viele Russlanddeutsche für
die AfD stimmten, wird oft mit einem
Konkurrenzempfinden gegenüber den
Flüchtlingen begründet. Da hört man
Dinge wie: Denen gibt man alles, uns
hat man nichts gegeben, wir durften
die Familie nicht bringen, die dürfen
das, bei uns hat niemand applaudiert
am Bahnhof. Ich vermute, dass auch
eine empfundene Statusverunsicherung eine Rolle gespielt hat. Weil sich
viele Russlanddeutsche in ihrer Position in der deutschen Gesellschaft nach
wie vor nicht sicher fühlen. Sie sehen
sich durch die Neuankömmlinge zusätzlich bedroht. Ich denke, deshalb ist
der Schwenk zur AfD hin noch stärker
ausgefallen als in der gesamten Wählerschaft.
Wie viel stärker denn?
Meine und andere Studien legen
Stimmenanteile von 15-20 Prozent
nahe, gegenüber 12,6 Prozent in der
Gesamtbevölkerung bei der letzten
Bundestagswahl. Das ist also mehr als
eine mediale Illusion. Es wurde zwar
übertrieben in der Berichterstattung
über die Russlanddeutschen, die jetzt
alle AfD wählen. Das stimmte so nicht.
Aber es waren mehr als in der Gesamtbevölkerung. Was auch auffällig ist: In
bestimmten postsowjetisch geprägten
Vierteln gibt es überdurchschnittliche
AfD-Ergebnisse. Und da kann man sich
fragen: Gibt es einen Echokammereffekt? Schaukeln sich dort bestimmte
Grundstimmungen hoch, weil viele
Menschen mit gleicher Herkunft zusammenleben? Solche neighbourhood
effects hat man für andere Migrantengruppen in anderen Ländern nachgewiesen. Das wäre auch für russlanddeutsch geprägte Viertel denkbar, ist
aber bisher eine Hypothese.
Glauben
russlanddeutsche
AfD-Wähler:innen, sie würden
nicht zum Ziel einer fremdenfeindlichen AfD-Politik werden?
Das gehört auf jeden Fall zu den Paradoxien dieses Komplexes. Nach den
Lisa-Demonstrationen 2016 haben viele Kommentatoren verwundert angemerkt: Wie kann es sein, dass Migranten gegen Migranten demonstrieren?
Ich denke, dass sich speziell diese Russlanddeutschen nicht als Migranten bezeichnen würden, sondern als deutsche
Heimkehrer. Dadurch, dass sie sich
fremdenfeindlich positionieren, für die
AfD stimmen, stellen sie sich besonders
dezidiert als Inländer hin. Sie sagen:
Weil wir deutsch sind, uns als deutsch
empfinden und auch so gesehen werden wollen, wählen wir eine nationalistische Partei. Und die AfD hat diese
Klientel ja auch durchaus geschickt
angesprochen, zum Teil in russischer
Sprache, was für mich immer noch eine
großartige Ironie ist. Dass ausgerechnet die auf nationale Homogenität bedachte AfD den multilingualen Wahlkampf entdeckt hat!
Wieso fällt es linken Parteien so
schwer, Russlanddeutsche anzusprechen?
Ich denke, das hat mit traditionellen
Vorbehalten zu tun. Mit der Annahme:
Russlanddeutsche sind ohnehin konservative CDU-Wähler, um die müssen
wir uns nicht kümmern. Linke Parteien
haben sich noch nie wirklich darum
bemüht, eine Ansprache zu finden. Ein
anderer Aspekt ist ein latentes bis immer mal wieder offen ausbrechendes
Ressentiment gegenüber Russlanddeutschen. Viele Linke betrachten sie
als privilegiert und lehnen sie aufgrund
ihres Status als deutsche Migranten
letztlich ab. Da wird eine Gruppe in
Haftung genommen, stellvertretend für
eine Regierungspolitik, die einem nicht
gefiel. Die Russlanddeutschen haben
ein bestimmtes Image als „rechts“, das
bei Linken kritisch gesehen wird. Einerseits kann man solche Tendenzen zurecht kritisieren. Andererseits wird aber
eine Gruppe pauschal abgestempelt. Es
gibt auch in anderen Migrationsgruppen problematische Einstellungen – da
würden Linke solche Pauschalisierungen aber ablehnen. Dieses Bündel aus
Vorurteilen, Ressentiments und letztlich
auch Desinteresse trägt dazu bei, dass
es an einer passenden Ansprache mangelt.
Und der SPD hängt die Figur Oskar
Lafontaine nach.
Oskar Lafontaine äußerte sich in den
späten 1980ern bis Mitte der 1990er
immer wieder abfällig über Russlanddeutsche. Er ist gewissermaßen der
Stammvater des linkspopulistischen
Ressentiments gegen die Russlanddeutschen. Gerade bei der Aussiedlergeneration hat das Spuren hinterlassen und die SPD verbrannt. Es gibt da
Ausnahmen, das ist aber eine anekdotische Evidenz: Mir erzählte mal eine
Russlanddeutsche, die schon in den
1970ern nach Deutschland immigriert
ist, dass ihre Familie stramm SPD wähle. Aus dem gleichen Grund wie andere Russlanddeutsche, die später kamen,
CDU wählten – aus Dankbarkeit. Denn
o[s]tklick – demokratisch antworten.
Russlanddeutsche für Demokratie im Netz
Das Interview wurde zuerst auf www.ost-klick.de veröffentlicht. Mit dem Projekt o[s]tklick – demokratisch antworten
unterstützt das Zentrum Liberale Moderne deutsche (Spät-)
Aussiedler:innen aus Russland und anderen postsowjetischen Staaten dabei, ihre demokratischen Wertvorstellungen in digitalen Netzwerken sichtbarer zu machen, eigene
Positionen in politische Debatten einzubringen und sich mit
antidemokratischer Hetze und Desinformation auseinanderzusetzen. o[s]tklick bietet demokratische Gegenerzählungen an, die die besonderen Lebensumstände und Erfahrungen der (Spät-)Aussiedler:innen in den Blick nehmen.
In Videointerviews diskutiert die Community ihre Rolle in der
Gesellschaft sowie über Themen wie Demokratie, Chancen-
damals war es die Regierung Schmidt,
die ihnen die Ausreise ermöglicht hatte.
Es gibt da wohl Loyalitäten, aber sie betreffen nur wenige Tausend Menschen.
Wie glauben Sie, werden die Russlanddeutschen bei der Bundestagswahl 2021 abstimmen?
Mit Prognosen muss man immer vorsichtig sein. Was man vielleicht sagen
kann, um ein paar Trends zu markieren:
Bei der Gesamtbevölkerung gewann
die AfD zwischen 2014 und 2016 an
Popularität, und verlor sie nach 2018
wieder ein Stück weit. Bei den Russlanddeutschen stieg der Trend nach
2016 weiter an. Das bedeutet nicht,
dass es ein lineares Wachstum gibt, zumal die Pandemie die Karten noch mal
neu gemischt hat. Und die sogenannte
Flüchtlingskrise tritt im Bewusstsein der
Menschen immer weiter in den Hintergrund. Es kann also auch sein, dass es
zu keinem weiteren Zuwachs kommt.
Einer meiner Studenten hat gerade
eine interessante Studie durchgeführt,
allerdings mit einem nichtrepräsentativen Sample. Es stimmten vor allem junge, hochgebildete Russlanddeutsche
bei seiner Umfrage ab. Zwei Parteien
kamen besonders gut weg. Überraschenderweise die CDU, da gibt es offenbar doch längerfristige Loyalitäten.
Und die Grünen, als „go-to-Partei“ für
junge, urbane, gebildete Menschen,
die sich dort besser aufgehoben fühlen als in der SPD. Da bildet sich eine
schwarz-grüne Hegemonie heraus, die
ja vielleicht auch gesamtgesellschaftlich
zukunftsweisend ist.
gleichheit, Migration und ihre unterschiedliche(n) Geschichte(n). Das digitale Projektmaterial kann über die Social-Media- und Messenger-Kanäle von o[s]tklick abgerufen und
abonniert werden. Ergänzt werden die Online-Aktivitäten
durch ein Workshopangebot: In mehreren Modulen können Russlanddeutsche Kenntnisse etwa zum Umgang mit
demokratiefeindlichen Äußerungen, Meinungsfreiheit sowie zum Thema Desinformation erwerben.
Mehr Informationen: www.ost-klick.de
o[s]tklick ist bei Facebook, Instagram, Twitter, Odnoklassniki
und VKontakte unter @ostklick zu finden. Der Telegram-Kanal kann unter t.me/ostklick abonniert werden.
Demokratiebericht2020
25
Schlüssel zu einer Sozialräumlichen
Demokratieentwicklung in
Marzahn-Hellersdorf
Professor Heinz Stapf-Finé – Alice Salomon Hochschule
Wer sind eigentlich die Unerreichbaren? Wie wirken formelles und informelles Demokratielernen in der Schule zusammen? Was sind geeignete
sozialräumliche Verfahren zur Demokratieentwicklung? Mit diesen Hauptfragen hat sich das Forschungsprojekt
zur sozialräumlichen Demokratieentwicklung an der Alice Salomon
Hochschule beschäftigt, gefördert
vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung im Rahmen des Programms „Zusammenhalt stärken in
Zeiten von Krisen und Umbrüchen“.
Das Projekt, das ich gemeinsam mit
Prof. Dr. Michael Brodowski geleitet
habe, ist nun beendet, demnächst erscheint der Abschlussbericht im Verlag Barbara Budrich.
Ausgangspunkt waren Ergebnisse eines Vorgängerprojekts1, welches von
der Lottostiftung des Landes Berlin
gefördert worden war. Wir haben
eine repräsentative Befragung im Bezirk zur Haltung gegenüber der Demokratie durchgeführt. Danach bewerten viele die Demokratie an sich
durchaus positiv, sind mit der derzeitigen Umsetzung aber nicht zufrieden.
Je besser die Menschen ökonomisch
gestellt sind, desto eher vertrauen sie
Politik und Demokratie. Zudem haben
wir biografische Interviews geführt,
um herauszufinden, wie Demokratiedistanz entsteht. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass die
Politik soziale Sicherungsversprechen
nicht richtig eingehalten hat und so26
Demokratiebericht2020
mit eine distante Haltung zur Demokratie entwickelt.
Schon bei den biographischen Interviews wurde aber auch deutlich,
dass viele Menschen geradezu darauf warten, dass jemand sich für
ihre Auffassungen und Ansichten zu
Politik, Gesellschaft und Zusammenleben im Bezirk interessiert und diese
ernst nimmt. Das steht im Kontrast
zu den vielen Angeboten, welche
Politik, Verwaltung und soziale Träger machen, welche nur auf geringes
Interesse stoßen. Um diesen Widerspruch aufzulösen, sind wir der Frage nachgegangen, warum Menschen
schwer erreichbar sind. Für diesen
Bereich war Raiko Hannemann als
wissenschaftlicher Mitarbeiter verantwortlich. Wir haben eine Reihe
von Feldstudien vorgenommen, unter
anderem indem eine teilnehmende
Beobachtung beim Café auf Rädern,
einem Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf. Kontrastiert mit Beobachtungen bei offiziellen Anlässen, ergibt sich, dass das Bild
von den Unerreichbaren verändert
werden muss. Es sind nicht die vermeintlich sozial Abgehängten, sondern es sind die etablierten Angebote, welche für viele unerreichbar sind.
Die Beteiligungsbarrieren sind vielfältig: Terminierung von Gremiensitzungen, Sprechen in der Öffentlichkeit,
lange Wege zu Versammlungsorten,
ein anstrengendes Arbeitsleben das
erschöpfend wirkt, Lebensumstände
als Alleinerziehende oder geringfügig
Beschäftigte. Ein Schlüssel im Abbau
solcher Barrieren können Angebote aufsuchender politischer Bildung2
sein, welche die Landeszentrale für
politische Bildung in Zusammenarbeit
mit dem Roten Baum durchführt.
Ein anderer Schlüssel ist die Belebung und Demokratisierung des
unmittelbaren Nahraums in Form
von Clubräumen, in denen sich die
Nachbarschaften quasi im vorpolitischen Raum treffen und austauschen
können. Entsprechende Erfahrungen
bspw. mit der Kommunalen Wohnungsgesellschaft Erfurt3 aber auch
andernorts4 sind vielversprechend.
Daher haben wir mit Vertreterinnen
und Vertretern der Wohnungsgesellschaften in Marzahn-Hellersdorf ein
Gespräch geführt, mit welchen Unterstützungsmaßnahmen, z.B. dem
Angebot von Clubräumen, die Wohnungswirtschaft die sozialräumliche
Demokratieentwicklung
begleiten
könnte. Dies ist sicherlich ein wichtiges Thema für die künftigen Beratungen des Runden Tisches Wohnungswirtschaft, der vor einigen Jahren im
Bezirk eingerichtet worden ist.
Demokratie muss als Lebensform auch
erlernt werden, daher hat Nele Rathke sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Fokusgruppendiskussionen
mit Schülervertretungen im Bezirk mit
der Frage befasst, wie formale und
informelle Lernprozesse zusammen-
wirken. So kann es kontraproduktiv
sein, wenn im formalen Unterricht die
Bedeutung von Demokratie betont
wird, wenn aber das Schulleben Demokratie nicht erfahrbar und erlebbar
macht. Hier können nicht alle Ergebnisse im Detail berichtet werden, aber
der Faktor Zeit spielt eine wichtige
Rolle. Beispielsweise die lange Zeit, die
es dauert, bis ein Partizipationsprozess
zu einem Ergebnis führt, aber auch
die begrenzte Zeit, die für Demokratie
im Schulalltag oder im Rahmen von
entsprechenden Projektwochen zur
Verfügung steht. Zudem hängen die
Erfahrungen mit Demokratielernen
stark vom Engagement von einzelnen
engagierten Lehrerinnen und Lehrern
ab. Die Empfehlung lautet daher, dass
Demokratielernen nicht nur auf Projekte und Themenwochen beschränkt
werden sollte, sondern im Sinne eines Demokratie-Mainstreamings in
allen organisatorischen Prozessen an
Schulen mitgedacht werden: Demokratielernen weg von der Projekt- hin
zur Unterrichtskultur. Ein weiterer
Schlüssel könnte die stärkere Öffnung
der Schulen zum Gemeinwesen sein.
Eine wichtige Herausforderung vor
dem Hintergrund der Defizite, die in
Corona-Zeiten deutlich hervorgetreten sind.
Schließlich haben wir eine Reihe von
Formaten zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ausprobiert, darunter World Cafés, Dialog nach dem
Konzept der Gemeinschaftsbasierenden Konfliktlösung5 und Bürgerforen.
Federführend war als wissenschaftlicher Mitarbeiter Sven Gramstadt. Es
wurde noch einmal deutlich, wie stark
das Potenzial an Engagement im Bezirk ist: Schon in der Umfrage hatten
viele Menschen angegeben, sozial
aber (noch) nicht politisch engagiert
zu sein, früher stärker politisch engagiert gewesen zu sein oder sich ein solches Engagement in Zukunft vorstellen zu können. So traten viele Punkte
zu Tage, für welche sich die Bürgerinnen und Bürger einsetzen wollen: ein
Freibad im Bezirk, die Schaffung von
weiteren Sportplätzen, der Ausbau
von Radwegen, eine bessere Taktung
der U5 etc. Auch das Thema Mieten
spielte eine Rolle, ebenso wie die
Angst vor Transformationsprozessen.
In diesem Zusammenhang wurde der
Bedarf nach mehr Transparenz und
Mitbestimmung deutlich. Die Bezirksverwaltung wäre gut beraten, wenn
sie dieses Potenzial nutzen und die
etablierten Verfahren der repräsentativen Demokratie ergänzen würde um
Formen der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen von Bürgerforen oder Bürgerräten.
Eine weitere Erkenntnis brachten die
Diskussionen ans Licht. Es bestehen
zwar schon vielfältige Angebote zur
Beteiligung im Bezirk und auch zur
Vernetzung der Aktivitäten untereinander. Aber die Menschen müssen die
Informationen hierzu selbst mühsam
zusammentragen. Da die Corona-Epidemie die Fortführung der Serie von
Bürgerdialogen verhinderte, wurde
im Jahr 2020 die Zeit genutzt, um im
Rahmen des Projektes den Webauftritt mitwirkung-marzahn-hellerdorf.
de zu konzipieren und an den Start
zu bringen. In einer ersten Aufbaustufe enthält der Auftritt eine Übersicht
über die Angebote von Vereinen, sozialen Organisationen, Politik und Verwaltung und verschiedene Bildungsangebote. In weiteren Ausbaustufen
könnte ein Kalender mit Aktivitäten
oder ein Diskussionsforum hinzugefügt werden. Auch Möglichkeiten der
Online-Beteiligung wären denkbar.
Da das Forschungsprojekt der ASH zu
Ende ist, wäre es wichtig, wenn sich
ein Träger oder eine Gruppe von Trägern finden würde, um den Auftritt
weiter zu pflegen.
1 Stapf-Finé, Heinz (Hrsg.) (2019) Demokratienähe und -distanz. Das Forschungsprojekt Demokratieferne Einstellungen
in einer Kommune. Berlin: Logos-Verlag.
2 https://www.roter-baum-berlin.de/de/berlin-aktiv/hellersdorf-aktiv/
3 https://www.fh-erfurt.de/fhe/fileadmin/Material/Institut/ISP/PDFs/169_4-2013_Schneider-Sinning_17.07.pdf
4 https://minor-wissenschaft.de/herausforderung-zusammenleben-im-quartier-vertiefungsstudie/
5 https://gbkl.eu/index.html
Demokratiebericht2020
27
Ausstellungseröffnung zum
internationalen Tag der
Menschenrechte
Sabine Schwarz,
Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf
Von den Medien kaum erwähnt, ging
am Donnerstag, dem 10. Dezember
2020 der 72. Tag der Menschenrechte vorüber.
Allein in Afrika werden tagtäglich
bedenkenlos, rücksichtslos Kinder
mit lebensgefährlichen Giftstoffen
in die Kakaoernte geschickt. Nur so
schmeißt die Kakaoproduktion die
größten Gewinne ab, damit die Schokolade hier im „zivilisierten“ Europa
massenhaft konsumiert werden kann.
Unbemerkt blieb der Gedenktag für
die unteilbaren Menschenrechte dank
der Akteur*innen eines Projekts des
Quartiersmanagements Hellersdorfer
Promenade hier nicht.
Im kalten Dezemberwind trafen sie
sich mit der Bürgermeisterin, Dagmar Pohle am Nachmittag vor dem
Bunten Haus und eröffneten eine
bemerkenswerte Ausstellung. Henny
Engels, Sprecherin des Bündnisses für
Demokratie und Toleranz am Ort der
Vielfalt Marzahn-Hellersdorf eröffnete sie und dankte allen Mitstreiter*innen. Auf 9 Rollups waren verschieden
Aspekte der unteilbaren Menschenrechte dargestellt. Die Kaulsdorfer
Künstlerin Antje Püpke hatte sie gestaltet. Zu den Artikeln verschiedener
Konventionen und Verordnungen
hatten Marzahn-Hellersdorfer Aktivist*innen, die Künstler*innen der
Frauen-Kunstkaravane, Kirchenleute
28
Demokratiebericht2020
der Kaulsdorfer Kirchengemeinde,
Vertreter*innen vom Bündnis Unteilbar, der Frauenrechtsbewegung, von
LesLeFam, Theaterleute des Inklusionstheaters Marzahn und die Leiterin
des Bunten Hauses ihre eigenen Gedanken zum Ausdruck gebracht und
die Gestaltung jeweils eines Rollups
übernommen.
Henny Engels betonte, dass mit dieser
Ausstellung ein Anfang gemacht ist
und die Absicht besteht, sie weiter zu
führen, Menschen zu animieren sich
zu weiteren Aspekten der unveräußerlichen Menschenrechte und, wie sie
sie ganz konkret erleben, zu äußern.
Beide, die Bündnissprecherin und die
Bürgermeisterin machten mit ihren
Worten auf die Aktualität und die
Vielschichtigkeit des Themas aufmerksam. Sie verwiesen darauf, wie
heute, jetzt, in jeder Minute Rechte
von Menschen verletzt werden und
wie dringend geboten ist, sich dagegen zu stellen und eben diese unteilbaren Menschenrechte für Jede*n
und überall einzufordern.
Die Ausstellung kann hier online besucht werden: https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/ausstellung-menschenrechte-sind-unteilbar/
Respekt und Neugier
Festival 2020
Martin Kleinfelder, Roter Baum
Am 3.10.2020 fand im Wiesenpark
Marzahn, in unmittelbarer Nachbarschaft der „Anna Landsberger – internationales Jugendzentrum“, das Respekt und Neugier Festival statt. 1501
Personen besuchten die Veranstaltung.
Weitere 146 waren an der Umsetzung
beteiligt. Ursprünglich hätte es im Juni
stattfinden sollen.
Um das Festival umsetzen zu können
waren einige Vorkehrungen notwendig, die vor allem darauf abzielten, den
Besucherzustrom zu kontrollieren, die
Kontaktdaten datenschutzkonform zu
erfassen und einen Abstand zwischen
Menschen auf dem Gelände zu ermöglichen. Besonderen Ausdruck erhielt
dies durch die Einzäunung des Geländes sowie den Zwang für Besucher:innen eine Ticketreservierung unter Angabe der Kontaktdaten vorzunehmen.
Darüber hinaus wurden zahlreiche Hygienemaßnahmen getroffen, wie etwa
die Ausstattung der Mobiltoiletten
mit fließend Wasser, Desinfektion und
Licht, die Aufstellung von Desinfektionsspendern an zentralen Punkten auf
dem Gelände, Abstandsmarkierungen,
Spuckschutz und Gesichtsvisire etc.
Das Respekt und Neugier Festival sollte Menschen dazu aufmuntern, sich
zu informieren und aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Aktuell ist unser
Zusammenleben geprägt von Resignation, von Unzufriedenheit und zumindest virtuell auch von Hass. Wir wollen
dem entgegenwirken und Menschen
einladen sich einzumischen. Hierfür
wurden verschiedene Workshops angeboten, die zum Nachdenken und
aktiv werden einluden. Wir haben dabei darauf geachtet, dass verschiedene
Angebote mit unterschiedlichem Anspruch vorgehalten wurden:
• Bekennershirt mit Stil – Linoldruckworkshop: Die Teilnehmenden
waren eingeladen sich darüber
Gedanken zu machen, was ihnen
•
•
•
•
wichtig ist und in kurze Slogans zu
fassen, die sie sich mittels Buchstaben und Motivstempeln auf
T-Shirts und Beutel drucken lassen
können, die kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden.
Siebdruck mit dem Hellersdorfer
Zentrum für Kultur, Demokratie
und Politik: Das Angebot wollte
auf Themen wie z.B. strukturellen Rassismus, intersektionalen
Queerfeminismus, Armut und Antidiskriminierungsarbeit aufmerksam machen. Das Angebot wurde
durch das Projekt Siebdruckwerkstatt des Vereins Kultur Demokratie und Politik e.V. in Hellersdorf
durchgeführt. Der Verein nutze es
auch, um mit den Nutzer:innen in
den Austausch zu treten und neue
Kontakte zu Interessierten herzustellen.
Spraytment: Hierfür wurde eine
Graffitiwand aufgestellt, die die
Frage stellte „Welche Werte sind
Dir wichtig“ Die Teilnehmenden
konnten ihre Gedanken dazu mittels Tagg auf die Fläche sprühen.
Dabei haben wir auch motiviert,
aufeinander zu reagieren.
#übereinkommenüberseinkommen: In diesem Workshop haben
sich die Teilnehmenden über Vor
und Nachteile von Grundsicherungsmodellen unterhalten. Dabei wurden verschiedene Modelle
vorgestellt und die Teilnehmenden
konnten Vor und Nachteile sammeln und erörtern.
Queer @ school: Sensibilisierung
und Empowerment Jugendlicher
und junger Erwachsener zu Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Sexualität war das
Ziel dieses Workshops. Die TN
sollten nach dem Workshop in
der Lage sein, Diskriminierung zu
erkennen und gegen sie vorzuge-
•
hen, bzw. sich Unterstützung zu
holen. Es wurde die Relevanz von
Geschlecht in der Gesellschaft vermittelt.
Awareness through Clowning „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“ oder eben nicht?!
Immer häufiger nimmt diskriminierende Sprache und verletzendes
Handeln Einzug in unsere Gesellschaft, in unseren Alltag. Wir fragen uns, wie kann ich dem begegnen? Was kann ich sagen? Was
kann ich machen? Diese Fragen
wurden durch experimentelles Lernen beantwortet. Der Vorschlag
bestand darin, durch Clowning,
also lustiges Überspitzen, diskriminierende Äußerungen (nicht die
Menschen) lächerlich zu machen.
Weitere Angebote waren: Infostand
Seebrücke, Fotobox, Longboard fahren, Percussionworkshop, sowie Klimperlichtung (interaktive Klanginstallation).
Auch die Auswahl der Künstler:innen
folgte dem Willen, Menschen mitzureißen, sie aufzumuntern und mit ihrer
Kunst Diskussionsangebote zu unterbreiten. Gleichzeitig waren es Künstler:innen, die auch zum Feiern einladen
und bei denen „komplett aus dem
Häuschen sein“ dazu gehört.
Bühnenkünstler:innen waren: Razzones, B2b Crew, Afterlife, Phase X, Berlin Boom Orchestra, TCHIK. Wir haben
bei dem Bühnenprogramm darauf geachtet, dass die Vielfältigkeit der Gesellschaft Ausdruck erhielt. Das bezog
sich vor allem auf Geschlechterverteilung und Diversität.
Am 19./20.6.2021 findet das nächste
Respekt & Neugier-Festival in Marzahn
statt. Es werden noch freiwillige Helfer*innen gesucht:
www.roter-baum-berlin.de/de/rundn
Demokratiebericht2020
29
Buchempfehlungen der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung
Marzahn-Hellersdorf
Moritz Marc
An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen im Kurzdurchlauf eine Auswahl
von insgesamt sechs Büchern, welche wir im vergangenen Jahr gelesen
haben und Ihnen persönlich sehr ans
Herz legen möchten. Es geht um Themen wie die zukünftige Gestaltung
unserer Demokratie, den Umgang
mit Verschwörungserzählungen bzw.
–Ideologien, Klassenfragen und der
Gefährdung der Demokratie durch
extrem rechte Bedrohungsallianzen.
In der Koordinierungsstelle können
auch weiterhin viele Bücher kostenfrei ausgeliehen werden. Bei Interesse
schreiben Sie an: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de
Status quo des deutschen Selbstverständnisses, entwirft Czollek nun
das Modell für eine veränderte
Gegenwart: Wie muss sich die
Gesellschaft wandeln, damit Menschen gleichermaßen Solidarität
erfahren? Welche liebgewonnenen Überzeugungen müssen wir
alle dafür aufgeben? Wie kann in
einer fragmentierten Welt die gemeinsame Verteidigung der pluralen Demokratie gelingen? Max
Czollek trifft ins Herz des Jahres 2020
– diese Polemik ist sein Schrittmacher.
Max Czollek:
Gegenwartsbewältigung
Nach Max Czolleks Bestseller „Desintegriert euch!“ liefert er nun ein
Manifest für die plurale Gesellschaft, das Antworten auf
die politische Gegenwart gibt.
Robert
Misik:
Die
falschen
Freunde der einfachen Leute
Alte Parteien verschwinden, neue
tauchen auf, die
Leitplanken des
Diskurses
verschieben sich. So
chaotisch die politische Situation
sich darstellt, so
unübersichtlich ist
das Angebot an
Deutungen für den Aufstieg des autoritären Nationalismus: Die einen
erklären ihn mit Politikverdrossenheit
und amorpher Wut, andere mit ökonomischen Faktoren wie Globalisierung und wachsender Ungleichheit,
wieder andere führen ihn auf die vermeintliche kulturelle Abwertung von
In Zeiten der Krise leiden Gesellschaft und Vielfalt. Für Max Czollek
bieten staatstragende Konzepte
wie „Leitkultur“
oder „Integration“ darauf keinerlei Antwort.
Seit 2018 wird
viel
diskutiert
über Max Czolleks Streitschrift
„Desintegriert
euch!“.
Beschrieb sie den
30
Demokratiebericht2020
Erschienen: 17.8.2020, Hanser Verlag, ISBN: 3446267727, 20,00 Euro
Menschen mit konventionellen Werten und Lebensstilen zurück.
Für sich genommen, so Robert Misik,
ist jede dieser Erklärungen viel zu simpel gedacht. Ökonomische und psychopolitische Dynamiken schaukeln
sich hoch. Die verborgenen Verwundungen in einer Klassengesellschaft brauchen multikausale
Erklärungen – und radikale Antworten.
Erschienen: 11.11.2019, Edition Suhrkamp 2741, Taschenbuch, 138 Seiten
ISBN: 978-3-518-12741-4
Klaus Dörre: In der Warteschlange
Die Umfrageforschung belegt, dass vor allem männliche Arbeiter bei den Sympathisierenden rechtsradikaler
Parteien und Bewegungen
weit
überdurchschnittlich
präsent sind. Über die Ursachen
wird in den Sozialwissenschaften wie auch in den politischen
Öffentlichkeiten heftig gestritten. Viele dieser Kontroversen
blieben jedoch ohne empirische
Fundierung. Gegen luftige Konstruktionen setzt Klaus Dörre
Forschungen, denen er über vier
Jahrzehnte hinweg in – teilweise
gewerkschaftsnahen – Arbeitermilieus nachgegangen ist. Dokumentiert
wird eine rechte Tiefengeschichte,
die sich im Zeitverlauf radikalisiert. In
der Gesamtschau der Texte zeigt sich,
dass eine starre Entgegensetzung von
sozioökonomischen und kulturellen
Ursachen der Wirklichkeit des Ar-
beiterlebens
nicht gerecht
wird. Rechte
Orientierungen in der Arbeiterschaft
sind
kein
bloßes
Ergebnis einer
Spaltung in
kulturelle Metaklassen, in
Anywheres und Somewheres. Sympathie für die radikale Rechte entsteht,
weil sich erhebliche Teile der Arbeiterschaft von den Mitte-Links-Parteien
im Stich gelassen fühlen. Sie entsteht,
weil Arbeiter*innen in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht wurden. Und
sie entsteht, weil ein Denken in Klassenkategorien wissenschaftlich wie
politisch aus der Mode gekommen
ist. Eine demobilisierte Klassengesellschaft bildet den Nährboden,
den die radikale Rechte für eine
Umdefinition sozioökonomischer
und kultureller Spaltungen nutzt.
Erschienen: 2020, Westfälisches
Dampfboot, ISBN: 978-3-89691-0486, 355 Seiten, 30,00 Euro
Katharina Nocun & Pia
Lamberty: Fake Facts
Einfache Wahrheiten für
eine komplizierte Welt:
„Corona ist eine Erfindung
der Pharmaindustrie! Menschen, die daran erkranken,
müssen so für ihre Sünden
büßen! Oder: Das Virus
wurde in chinesischen Geheimlaboren gezüchtet!“
Verschwörungstheorien
verbreiten sich nicht nur im
Netz wie Lauffeuer und sind
schon lange kein Randphänomen
mehr. Katharina Nocun und Pia
Lamberty beschreiben, wie sich
Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die
Demokratie als Ganzes ablehnen.
Welche Rolle spielen neue Medien
in diesem Prozess? Wie schnell wird
jeder von uns zu einem Verschwörungstheoretiker? Und wie können
wir verdrehte Fakten aufdecken und
uns vor Meinungsmache schützen?
Erschienen: 2020, Quadriga, ISBN-10:
3869950951, 352 Seiten, 19,90 Euro
Wilhelm Heitmeyer:
Rechte Bedrohungsallianzen
Nach Ereignissen wie
dem Mord an Walter
Lübcke, dem Anschlag
in Halle oder den rassistischen Morden in
Hanau im Februar 2020
wird regelmäßig darüber diskutiert, inwiefern
es sich um isolierte Einzeltäter handelt oder
ob ein Zusammenhang
zu bestimmten Parteien
und Ideologien besteht. Der renommierte
Rechtsextremismusforscher
Wilhelm Heitmeyer hat dazu bereits
2012 das Modell eines konzentrischen
Eskalationskontinuums
präsentiert: ganz außen stehen menschenfeindliche Einstellungen in der
Bevölkerung, im Zentrum terroristische Zellen, dazwischen organisierte
Akteure, »Vordenker«, systemfeindliche Milieus und Unterstützernetzwerke. Die Gewaltbereitschaft nimmt
von außen nach innen zu, die jeweils
äußere Schicht liefert
ihrer inneren Nachbarin Legitimation.
In dieser hochaktuellen Studie zeigt
Wilhelm Heitmeyer
zusammen mit Manuela Freiheit und
Peter Sitzer u. a.
am
Beispiel
der
Ausschreitungen in
Chemnitz im August
2018, wie sich innerhalb dieses Kontinuums Allianzen herausbilden und
wie diese die offene Gesellschaft
immer stärker bedrohen.
len, wo der Vater tagein, tagaus
Aluminiumbleche beizt. Hier ist die
Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher
kommt sie zurück, als ihre
Kindheitsfreunde heiraten.
Und während sie die alten
Wege geht, erinnert sie
sich: an den Vater und den
erblindeten Großvater, die
kaum sprachen, die keine
Veränderungen
wollten
und nichts wegwerfen
konnten, bis der Hausrat
aus allen Schränken quoll.
An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe
sie in einem kurzen Aufbegehren die
Koffer packte und die Tochter beim
trinkenden Vater ließ. An den frühen
Schulabbruch und die Anstrengung,
im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst
– zuerst davor, nicht zu bestehen,
dann davor, als Aufsteigerin auf ihren
Platz zurückverwiesen zu werden.
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede
in unserer Gesellschaft. Satz für
Satz spürt sie den Sollbruchstellen
im Leben der Erzählerin nach, den
Zuschreibungen und Erwartungen
an sie als Arbeiterkind, der Kluft
zwischen
Bildungsversprechen
und erfahrener Ungleichheit, der
verinnerlichten Abwertung und
dem Versuch, sich davon zu befreien.
Erschienen:
17.8.2020, Suhrkamp, 284 Seiten, ISBN: 9783-518-42963-1,
22,00 Euro
Erschienen: 12.10.2020, Edition Suhrkamp 2748, ISBN: 978-3-518-127483, 325 Seiten, 18,00 Euro
Deniz Ohde: Streulicht
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt
in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die FertigungshalDemokratiebericht2020
31
Interview mit der Koordinatorin
für die Großsiedlungen Marzahn
und Hellersdorf
Die Fragen stellte Lia Kynaß von der Koordinierungsstelle für
Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf
Seit wann gibt es die Stelle? Welche Träger und oder Vereine sind
für sie zuständig? Seit Wann Sind
sie Koordinatorin für die Großsiedlungen Marzahn-Hellersdorf?
Die Berliner Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Wohnen führt
von 2020 bis 2023 in Zusammenarbeit mit den betreffenden Bezirken
das Programm „Stärkung Berliner
Großsiedlungen“ durch. Ziel ist es,
durch unterstützende Projekte Großsiedlungen sowie ihre Bewohner*innen zu stärken und dadurch das
nachbarschaftliche Miteinander und
die Lebensqualität weiter zu erhöhen.
Die Förderkulisse des Programms umfasst 24 Großsiedlungen in Berlin, die
außerhalb des S-Bahn Rings liegen,
nicht in die Förderkulisse Sozialer Zusammenhalt fallen, also nicht über ein
eigenes Quartiersmanagement verfügen und nach 1960 erbaut wurden.
Die Koordinationsstelle ist ein Projekt im Rahmen des Programms
„Stärkung Berliner Großsiedlungen“.
Der Bezirk wählte in einem Interessenbekundungsverfahren mit anschließender Jurysitzung den Träger
Mittendrin Leben e.V. aus. Die Organisationseinheit Sozialraumorientierte
Planungskoordination (kurz OE SPK),
des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf
ist auf der Ebene der Verwaltung für
die Koordinationsstelle zuständig und
eine wichtige und enge Austauschpartnerin.
In diesem habe Kontext habe ich meine Tätigkeit Mitte September 2020
aufgenommen.
32
Demokratiebericht2020
Was genau machen Sie als Koordinatorin für die Großsiedlungen
Marzahn und Hellersdorf? Wozu
bedarf es der Stelle?
Die Koordinationsstelle ist eine Beratungsstelle und ganzjährige Anlaufstelle für Bewohner*innen, Initiativen und lokale Akteur*innen
rund um das Thema Beteiligung und
Nachbarschaftliches
Zusammenleben. Sie berät und informiert über
bestehende sozio-kulturelle Angebote und aktuelle Beteiligungsformate
in den Großsiedlungen. Sie ermittelt
Bedarfe, aktualisiert sie und setzt in
Zusammenarbeit mit der OE SPK Beteiligungsinstrumente um, wie beispielsweise ganz aktuell das Stadtteilbudget „ Wat Willste Machen“
Die Koordinationsstelle ist eine explizite Schnittstelle zwischen der Verwaltung und den Bewohner*innen
in den Gebieten der Großsiedlungen.
Sie sucht die Menschen dort auf, wo
sie leben, um mit ihnen vor Ort über
das Zusammenleben in den Großsiedlungen und die Bedarfe und Begehren, die in den einzelnen Gebieten
bestehen, in‘s Gespräch zu kommen.
Mit dem Bürgerhaushalt, dem Stadtteilbudget, den Aktionsfonds, den
Stadtteildialogen etc. werden ja bereits zahlreiche Beteiligungsformate
mit und für die diverse Stadtgesellschaft angeboten. Instrumente, die es
den Bürger*innen ermöglichen sollen
ihre Lebensumwelt und den Bezirk
aktiv(er) mitzugestalten ,über politische und verwaltungstechnische Prozesse mitzuentscheiden und in einen
gemeinsamen Austausch zu kommen. Die Koordinationsstelle möchte
in diesem Rahmen eben auch jene
Menschen in den Großsiedlungen erreichen, die von diesen Möglichkeiten
noch nichts wissen oder die sich aus
bestimmten anderen Gründen nicht
daran beteiligen können oder wollen.
Es geht also darum eine diverse Stadtgesellschaft zu informieren, zu beraten und zu begleiten bzw. eine lebendige und diverse Beteiligungskultur
zu stärken, in enger Zusammenarbeit
mit anderen Trägern und der Verwaltung. D.h. Beteiligung nicht nur
punktuell zu ermöglichen, sondern zu
einem dauerhaften und verlässlichen
Bestandteil der kommunalen Entscheidungsprozesse zu machen und
hierfür einen Rahmen zu schaffen.
Warum genau Marzahn-Hellersdorf? Gibt es hier einen besonderen/bestimmten Anlass?
Marzahn-Hellersdorf entspricht zum
einen den Förderkriterien dieses Programms. Zum anderen sind vor allem
Marzahn und Hellersdorf durch einen
starken Zuzug gekennzeichnet. D.h.
es entstehen gerade und fortwährend
Konstellationen neuer Nachbarschaften, die u.a. durch unterstützende
Programme und im besten Fall solidarische Strukturen und Netzwerke begleitet und gestärkt werden müssen.
Was sind ihre Tätigkeiten? Gibt es
ein Ziel oder ein Hauptanliegen?
Wie wollen Sie diese erreichen?
Hauptanliegen ist zum einen die
Stärkung von (Selbst)Organisation
und Selbstermächtigung der Bewohner*innen in den Großsiedlungen.
D.h. daran mitzuwirken Strukturen
mit herzustellen, die es den Menschen
ermöglichen an bestehenden Beteiligungsinstrumenten zu partizipieren.
Durch Informationsveranstaltungen,
die mobilen Sprechstunden im öffentlichen Raum oder die projekteigene
Webseite. Zum anderen bestehende Infrastrukturen und Netzwerke
zu stärken und diese noch intensiver
miteinander an unterschiedlichen
Schnittstellen zu verbinden bzw. sie
noch bekannt(er) -in den jeweiligen
Aktionsräumen zu machen. Außerdem ist es der Koordinationsstelle ein
besonderes Anliegen den Öffentlichen Raum als Begegnungs- und Versammlungsort stärker in den Fokus zu
rücken und in Zusammenarbeit mit
anderen Trägern Akteur*innen und
Bewohner*innen zu aktivieren.
Was hat es mit dem Lastenrad auf
sich? Mobile Sprechstunden, für
wem und warum?
Das Lastenrad ist das Beteiligungsmobil der Koordinationsstelle und dem
Projekt „Unsere Platte“. Es stellt eine
Möglichkeit dar, den öffentlichen
Raum stärker in die Zusammenarbeit
einzubeziehen und ist essentiell für die
Stelle, welche von Anfang an gezielt
mobil und aufsuchend konzipiert war.
Während der offenen Sprechstunden
können sich alle Anwohner*innen,
in den Großsiedlungen über Beteiligungsformate und sozio-kulturelle
Angebote informieren und beraten
lassen, Mitstreiter*innen für ihre
Ideen finden oder einfach über ihre
Anliegen und Bedarfe rund um das
Nachbarschaftliche Zusammenleben
sprechen. Entlang unterschiedlicher
Thementage oder Veranstaltungen
von Trägern der Gemeinwesenarbeit
ist die Koordinationsstelle mit dem
Lastenfahrrad mit Aktionen zu den
Themen Nachbarschaft, Selbstorganisation und kollektiver Stadtentwicklung präsent.
Das Projekt haben wir „Unsere Platte“
genannt, um die spezifische Bauweise
und das Wohnumfeld der Großsiedlung zu thematisieren und positiv zu
besetzen. Der Blick soll deshalb auf
die vielgestaltigen und engagierten,
bereits bestehenden und sich bildenden (solidarischen) Strukturen gelenkt
werden. Das Projekt wendet sich ganz
bewusst der Vielfalt und Gemeinschaft (in) der Platte zu und widersetzt
sich damit bewusst Kategorien wie
Monotonie und Anonymität.
Wissen Sie schon Standorte, Termine oder Ähnliches für die mobilen Sprechstunden?
Los gehen soll es ab April. Wann genau ist zum einen von dem gerade
laufenden Genehmigungsverfahren
abhängig als auch von den aktuellen
Corona Bestimmungen. Sobald es soweit ist, steht das Lastenfahrrad regelmäßig auf öffentlichen Plätzen in den
beiden Großsiedlungen. In Marzahn
sind beispielsweise der Victor-Klemperer-Platz, Helene-Weigel-Platz, Otto-Rosenberg-Platz oder der Platz vor
der Grünen Geiß geplant und in Hellersdorf unter anderem der Theaterplatz, Alice-Salomon-Platz, Cottbusser Platz oder der Platz am Feldberger
Ring 5. Weitere Plätze kommen im
Laufe der Zeit dazu. Das Lastenrad
steht auch an Gemeinschaftsgartenprojekten, BENN Büros Spielplätzen
oder Jugendclubs im Gebiet der Förderkulisse. Die Termine für die Sprechstunden werden auf der Homepage
des OE SPK, bei Kooperationspartner*innen und auf der projekteigenen Webseite sowie auf Social Media
Kanälen des Projektes wie Instagram
und der Facebook-Seite von Mittendrin Leben e.V. bekannt gegeben.
Demokratiebericht2020
33
Projekt
„Buntes und solidarisches Marzahn“
Moritz Marc,
Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen!“
Beim Ende 2020 über einen Sondertopf des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderten Projekt
„Buntes und solidarisches Marzahn
sichtbar machen“ handelt es sich um
eine temporäre Arbeitsgruppe des
Bündnisses für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf aus dem
Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.
Ziel war die Erhöhung der Sichtbarkeit und Außenwahrnehmung der
bestehenden zivilgesellschaftlichen
Strukturen in Marzahn und im ganzen Bezirk und eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses für
Demokratie und Toleranz.
Für die inhaltliche und organisatorische Realisierung gab es in den
Monaten bis Dezember mehrere Beratungen im Team, bei denen Ideen
gesammelt und konkrete Verabredungen getroffen wurden.
Ein wesentlicher Baustein des Projekts
war die Erstellung einer professionellen neuen Website (https://buendnis.
demokratie-mh.de) für die Arbeit
des Bündnisses für Demokratie und
Toleranz Marzahn-Hellersdorf und
den demokratischen und zivilgesellschaftlich engagierten Partner*innen
in der Großregion Marzahn. Hierbei
ist auch viel Arbeitszeit u.a. der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf eingeflossen. Der Entwurf wurde durch alle
Kooperationspartner*innen begutachtet und teilweise mit Vorschlägen
verbessert, bevor er endgültig fertig
gestellt wurde.
Am 17.9.2020 fand in Zusammenarbeit mit der Kampagne Solidarische
Kieze, BENN Blumberger Damm, der
Alice Salomon Hochschule, Migran-
34
Demokratiebericht2020
tas, Unteilbar, der Kiezgruppe gegen
Rassismus u.a. ein erfolgreicher Workshop zum Thema „Was heißt für Dich
Solidarität?“ im Paradies-/Nachgarten
in Marzahn statt. Weitere – ursprünglich geplante - Veranstaltungsformate
konnten Corona bedingt nicht stattfinden. (30.11. Lesung im Fair mit
Heinz Bude - verschoben ins Frühjahr
2021, Lesung im Rahmen unserer
Gedenkveranstaltung zum Holocaust
konnte wegen Corona ebenso wie
die geplante Veranstaltung mit der
Kiezgruppe zur Eröffnung der neuen
GU Murtzaner Ring nicht stattfinden.)
Auch im Social Media Bereich sollte
die Wahrnehmbarkeit der Zivilgesellschaft des bunten Marzahns verbessert werden – dazu gehören die
Erstellung eines Twitter-Accounts,
einer Facebookseite und eines Instagram-Profils, um noch mehr Menschen im Bezirk zu erreichen. Alle drei
Accounts wurden mittlerweile erstellt
und sind oben rechts auf der Startseite des Bündnisses in Form von Social
Media Buttons verlinkt.
Es wurden zudem die verschiedensten
mit Logos des Bündnisses bedruckten
langlebigen Werbematerialien hergestellt wie bspw. Transparente, Bündnispavillon, Notizbücher, Saatkugeln
etc. Die Giveaways werden zukünftig
kostenfrei über unseren Bündnisstand
auf Nachbarschaftsfesten und anderen Veranstaltungen im Bezirk an die
hier lebenden Menschen verteilt werden.
Für die Bildungs- und Aufklärungsarbeit an Schulen im Bezirk konnten wir
zudem zwei Klassensätze des hoch
aktuellen neuen „Buch vom Antirassismus“, das vor allem junge Leute
anspricht, finanzieren, welche bei Interesse über das Bündnis ausgeliehen
werden kann.
Zudem wurde eine mobile Lautsprecheranlage erworben, die auch den
demokratischen,
zivilgesellschaftlichen Partner*innen für eigene Veranstaltungen im Bezirk zur Verfügung
steht.
An der Planung und Umsetzung der
Website und der Öffentlichkeitsmaterialien waren die verschiedensten Projektpartner*innen
gleichberechtigt
beteiligt.
Insgesamt konnten wir bezüglich unserer Erolgsindikatoren die Verbesserung und den Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit, bezüglich der Aktivitäten
des Bündnisses für Demokratie und
Toleranz und der engagierten Zivilgesellschaft in Marzahn erfolgreich
umsetzen.
Auch eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Strukturen in Marzahn in
Form von Aufklärungs- und Bildungsarbeit wird neben unseren zum Teil
bereits umgesetzten Veranstaltungsformaten erfolgreich durch die enorm
erhöhte Informationsdichte und politische Bildung über unsere neuen Social Media-Kanäle und zukünftig auch
über die neue Bündnisseite umgesetzt. Damit einhergehend wird perspektivisch auch der weitere Auf- und
Ausbau demokratischer Strukturen in
Marzahn gefördert werden. Es konnten zuletzt auch neue Bündnismitglieder über die Aktivitäten auch dieses
Projekts gewonnen werden.
Wenn Ihr Interesse an unseren Öffentlichkeitsmaterialien, der mobilen
Lautsprecheranlage oder unserem Bildungsangebot („Buch über Antiras-
sismus“) für Eure Aktivitäten im Bezirk
habt, kontaktiert bitte die Geschäftsstelle des Bündnisses in Form der
Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de
Schlussfolgerungen und
Perspektiven
Die gemeinsame Planung, Gestaltung
und Umsetzung von neuen Öffentlichkeitsmaterialien war für alle Betei-
ligten ein spannender
Prozess. Mensch kann
dabei viel Lernen, es
entstanden
einige
neue Kooperationen.
Die
Workshopveranstaltung am 17.9.
im
Naschgarten/
Paradiesgarten
hat
gezeigt, welch spannenden Orte wir für
Outdoor-Formate im
Bezirk haben. Gerade hier konnte auch
hinsichtlich der diversen
Teilnehmer*innen sichtbar gemacht
werden, welche Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen eines
bunten und solidarischen Marzahn bestehen. Hieran gilt es
auch in der Zukunft
anzuknüpfen. Gerade
auch in Form von gemeinsamen Kampagnenformaten wie z.B.
der Kampagne Solidarische Kieze.
Ab Januar 2021 wurde mit einer vierteiligen
Veranstaltungsreihe
der
Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung in Kooperation mit der
Amadeu Antonio Stiftung mit dem
Motto „Robuster Bezirk“ an unser
Projekt angeknüpft, in welcher es vor
allem auch um die Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft und der Ermöglichung gemeinsamer Kampagnen
und Aktivitäten ging.
Unser Projekt „Buntes und solidari-
sches Marzahn“ hat für uns sichtbar
gemacht, wie viel emanzipatorisches
Potential in den zivilgesellschaftlichen
Strukturen hier vor Ort liegt. Gerade
in (Post-)Coronazeiten und der sich
weiter verschärfenden gesellschaftlichen Polarisierung erscheint es und
wichtiger denn je, gemeinsam solidarische und inklusive Nachbarschaften
in den Kiezen aufzubauen. Aktuell
entsteht ein Kiezteam der Berlin weiten Kampagne „Deutsche Wohnen
und Co enteignen“ im Bezirk. Auch
hier besteht die Möglichkeit weiterhin
gemeinsames solidarisches Handeln
anhand der Praxis zu erlernen und zu
verbreitern. Vielleicht entstehen durch
diese und andere Projekte und Kampagnen zukünftig neue, zarte Pflänzchen der Zivilgesellschaft - selbst-organisiert und von unten - die sich an
solidarischen Orten im Bezirk zu neuen
demokratischen Beteiligungsformaten
z.B. in Form von Bürger*innenräten in
den Kiezen verdichten (könnten). Das
wäre eine Perspektive, die Demokratiemüdigkeit überwinden und neue,
solidarische Beteiligungsmöglichkeiten aller hier lebenden Menschen wieder gedeihen lassen könnte. Inklusiv,
divers, intersektional und solidarisch!
Wir bedanken uns an dieser Stelle für
die finanzielle Unterstützung durch
das Bundesprogramm „Demokratie
leben!“ und die sehr gute Zusammenarbeit mit den Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf.
Demokratiebericht2020
35
Vielleicht wird alles
viel_leichter?
weltgewandt. Institut für interkulturelle
politische Bildung e.V. im Jahr 2020
Sophia Bickhardt, Projektleiterin weltgewandt e.V.
beit”. Das Projekt sah eine Reihe von
13 Treffen vor, bei denen die Teilnehmer:innen lernen, ein Vorhaben vom
Konzept über die Durchführung und
Bewerbung bis hin zur Nachbereitung
zu realisieren. Dabei sollten digitale
Kompetenzen der gemeinsamen Organisation von Events erprobt werden. Die LSK-geförderte Reihe war
komplementär zu einer größeren
italienisch-deutschen Bürgerbegegnung gedacht. Sie sollte im Mai
2020 stattfinden, gefördert vom Programm Europa für Bürgerinnen und
Bürger. weltgewandt e.V. hatte das
Grundkonzept mit Aktiven des Stadtteils entwickelt, nachdem diese zwei
Mal die Partnerorganisation in Rom
besucht hatten.
Zu Beginn des Jahres waren noch
alle Signale auf “grün” gestellt. Die
gedeihliche Entwicklung der Projekte von weltgewandt e.V. würde sich
fortsetzen können. Der Neujahrsempfang am 06. Februar im Berliner
Tschechow-Theater stand denn auch
unter dem Titel: “Vielleicht wird alles vielleichter. Die Kunst zu leben”.
Der Germanistik-Professor Jean-Paul
Barbe aus Nantes/Frankreich und
zwei schreibende Bewohner:innen
aus Marzahn-Nord lasen dazu aus
eigenen Texten. Im anschließenden
Gespräch mit dem zahlreich erschienenen Publikum ging es schnell ums
Übersetzen: zwischen Sprachen, aber
auch Menschen verschiedener Regionen, Kulturen oder gesellschaftlicher
Gruppen. Lebenskunst, das meint
zwischen Welten zu wandern und daran zu wachsen. Ganz weltgewandt
36
Demokratiebericht2020
eben.
Weiterhin monatlich lud der Verein
zum DIALOG-Café ein. Es bietet ein
offenes Forum für Begegnung und
Diskussion. Hervorgegangen aus früheren Sprachcafés und Theaterprojekten wurden die Treffen mit Übungen
aus der freien Theaterarbeit eingeleitet. Die Rückmeldungen bestätigen
das Konzept: “In zwei Stunden haben wir so viel erlebt. Gelacht, geredet, gespielt, Ideen gesammelt.” “Ich
kann jetzt besser akzeptieren, dass es
länger dauert, um mit Deutschen in
echten Kontakt zu kommen.”
Im Februar 2020 startete die Workshopreihe “Abenteuer Erfolg.Von der
genialen Idee zum krönenden Abschluss. Einführung in Projektmanagement und Öffentlichkeitsar-
Doch dann standen die Signale auf
“rot”. Sowohl die Bürgerbegegnung
als auch die Workshopreihe mussten
abgesagt werden. Das DIALOG-Café
wurde ins Freie verlagert. Aus den Vorschlägen von Beteiligten erwuchs das
Projekt “Kommunikation im Kiez”,
ko-finanziert durch den Aktionsfonds
Partnerschaften für Demokratie Marzahn. Alt- und Neu-Berliner:innen
suchten gemeinsam interessante Orte
in Marzahn auf. Den Auftakt bildete das Stadtwerk Marzahn und ein
Gespräch mit Vera Fritsche. Weitere
Begegnungen fanden u.a. im Jugendzentrum Anna Landsberger und dem
Kulturhochhaus statt.
Auf europäischer Ebene nahm weltgewandt Themen der gesellschaftspolitischen Bildung auf und legte den
Schwerpunkt auf die Bereiche poli-
tisch-ökonomische Bildung, Digitalisierung, Integration und Wahrnehmungen von Geschichte. Auch
hier standen ab März 2020 die Signale
auf “rot”. Im noch häufigeren digitalen Austausch wurde das Behelfsmedium zur Arbeitsplattform – und der
Charme transnationaler Zusammenarbeit zweidimensional. Gleichwohl
sind Bildungsmaterialien und Artikel
u.a. zum aktuellen Strukturwandel
von Öffentlichkeit, Big Data – Big
Democracy? und zur Geschichte der
Digitalisierung entstanden. Sie sind
über die Rubrik “Veröffentlichungen” der Website von weltgewandt
e.V. (https://weltgewandt-ev.de) aufrufbar. Veröffentlicht wurde auch ein
Online-Kurs zur Einführung ins Programmieren, der im Rahmen des Projekts “NO GENDER GAP” entstanden
ist. Alle Texte und Kursinhalte sind
in offener Lizenz frei zugänglich und
richten sich an interessierte Bürger:innen – auch in Marzahn.
der Ökonom Prof. Jan Priewe und die
Künstlerin Elske Rosenfeld im Rahmen der “Talk ohne Show”-Reihe
zu “Bittersüße Freiheit. Der Vereinigungsprozess und die Folgen”. Frau
Rosenfeld stellte ihren Text: „Wackliges Gedenken. Die ostdeutsche Revolution ist eine unvollendete Geschichte. Hätte man das verstanden, gäbe
es heute keine AfD“ vor. Jan Priewe
bilanzierte in Zahlen – vorwiegend
positiv. Er fragte aber auch, was heute aus dieser Zeit für uns wichtig sein
könnte angesichts der „schwersten
Krise des Kapitalismus“, von Unsicherheit, Umweltzerstörung und sozialer Polarisierung. Das Gespräch kann
über die Website von weltgewandt
nachgehört werden (“Aktuelles”).
Gesellschaftspolitische Bildung,
das zeigte das Jahr 2020 einmal
mehr, ist nötig, gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen.
Es besteht ein Bedürfnis nach Orientierung, nach Verstehen, was vor
sich geht. Und es besteht die Herausforderung, zurecht zu kommen mit
Vielfalt, Komplexität, Angst, Widersprüchen, Sorgen, (gefühlter) sozialer
Demütigung. Gesellschaftliche und
politische Bildung, wie weltgewandt
sie auffasst, geschieht unabhängig
von politischen Parteien und bietet
keine festen Antworten, die einfach
übernommen werden mögen. Es geht
um die Anstiftung zum Selbstdenken
und zu verantwortungsbewusstem
Handeln. In Marzahn haben wir weltgewandten auch 2020 vielfach einen
ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit
und Demokratie wahrgenommen.
Dies bietet dafür eine gute Anknüpfung – stehen die Signale nun auf
“rot” oder hoffentlich bald wieder
“grün”.
Weitere Informationen:
https://weltgewandt-ev.de/,
Facebook @weltgewandt.polis,
Telegram/Whatsapp +49 (0)176
29930406.
In insgesamt zehn europäischen Kooperationen, unter anderem einer
zum Klimawandel, dem Projekt “Frischer Wind für die Ökonomie”, jenem
zu gesellschaftspolitischer Bildung
mit Geflüchteten, aber auch dem zu
“Perspektiven von Frauen auf gesellschaftliche Spaltungen”, zu “Bewegte Geschichte” mit dem Fokus auf
Umbruchserfahrungen und einem
zur Förderung des Museumsbesuchs
durch Menschen, die dies weniger
tun, wurde die Arbeit an Online-Kursen und Lernplattformen fortgesetzt
bzw. begonnen.
Im Frühherbst bot sich ein Zeitfenster
für eine öffentliche Veranstaltung in
der Stadtteilbibliothek Heinrich von
Kleist. Am 7. Oktober diskutierten
Demokratiebericht2020
37
Ein Jahr Corona: Das Bündnis für
Demokratie und Toleranz MarzahnHellersdorf positioniert sich
Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt
Marzahn-Hellersdorf
Ein Jahr Corona – und Deutschland
hat es bisher nicht geschafft, die Ausbreitung des Virus maßgeblich einzuschränken. Besonders bedenklich ist
darüber hinaus:
Zahlreiche Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie, zum
Schutz der Gesundheit und zum
Schutz des Gesundheitssystems
vor Überlastung haben das gewohnte Leben erheblich verändert. Und: Die Einschränkungen
treffen Menschen unterschiedlich
hart.
Für Menschen mit kleinen Einkommen oder im Transferleistungsbezug
ist der Wegfall von Schulspeisungen
und Tafeln eine enorme zusätzliche
Belastung des Budgets. Oft sind die
finanziellen Mittel, die für die Lebenshaltung zur Verfügung stehen, bereits Mitte des Monats verbraucht.
Um das Familieneinkommen zu si-
38
Demokratiebericht2020
chern, müssen Eltern, meistens die
Mütter, weiter ihrem Beruf nachgehen und gleichzeitig ihre Kinder
im Vorschulalter zuhause betreuen.
Schulkinder müssen ganz oder zeitweise zuhause unterrichtet werden.
Das bringt viele an den Rand ihrer
physischen und psychischen Kräfte.
Dadurch sind besonders Alleinerziehende belastet. Zudem stehen Familien mit geringen Einkommen häufig
die für den Online-Unterricht notwendigen Endgeräte nicht zur Verfügung. Werden diese aus staatlichen
Mitteln zur Verfügung gestellt, fehlen
oft die technischen Voraussetzungen
zu einer störungsfreien Verwendung.
Bei kleinen und mittleren Unternehmen kommen die versprochenen
staatlichen Hilfen häufig zu spät an.
So wurden die so genannten Novemberhilfen häufig erst im Januar oder
Februar ausgezahlt. In vielen Fällen
reichen sie auch nicht aus, um die
Einbußen wirklich auszugleichen und
den Fortbestand des Unternehmens
zu sichern.
Beratungsstellen für besonders verletzliche Menschen, etwa Menschen
mit Gewalt- oder mit Flucht- und
Migrationserfahrung, können ihren
Aufgaben nicht in der gewohnten
Art und Weise nachkommen. Zudem
sehen sie sich mit völlig neuen, kaum
zu bewältigenden Aufgaben konfrontiert.
Viele, besonders alleinlebende Menschen, vereinsamen durch die Kontaktbeschränkungen. Besonders betroffen sind ältere Menschen, weil
viele von ihnen nicht mit den virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten
vertraut sind. Hinzu kommt: Ältere
Menschen klagen darüber, dass ihnen
– obgleich fit und aktiv – in der Krise
durch die Etikettierung „besonders
gefährdet“ ein Bild als „Opfer“ zugeschrieben wird, das ihrem Selbstbild
nicht entspricht.
Mit dieser Situation hat sich das
Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf auseinandergesetzt. Und hält fest:
Diesen Herausforderungen haben
sich zahlreiche Menschen im Bezirk mit Engagement und Fantasie
gestellt.
• Gemeinsam mit den Stadtteilzentren koordiniert die FreiwilligenAgentur Marzahn-Hellersdorf
nachbarschaftliche Hilfe über
eine Corona Hotline. Über Webseite und Telefon können Hilfesuchende und Freiwillige, die Unterstützung geben wollen, sich dort
melden. Zwischen den Gemeldeten werden Kontakte hergestellt.
• Seit Februar 2021 gibt es den telefonischen Besuchsdienst für Senior:innen, organisiert vom Seniorenbüro mit Unterstützung der
FreiwilligenAgentur MH.
• Alle Stadtteilzentren machen Angebote und vermitteln zu Nachbarschaftshilfen, unter anderem
in Zusammenarbeit mit der Tafel.
• „Quarantäne-Engel“ vom DRK
Nordost helfen, wenn Menschen
in der Corona-Pandemie Hilfe benötigen. Sie stehen für Nachbarschafts- und Einkaufshilfe ebenso
zur Verfügung wie zum Verteilen
von Lebensmittelpaketen. Durch
die Feldküche wird kostenloses
warmes Essen bereitgestellt, und
am Bürgertelefon werden Informationen vermittelt und Fragen
beantwortet.
• Auch die im Bezirk politisch Verantwortlichen reagieren auf die
Situation. Beispielsweise sind Jugendfreizeiteinrichtungen
und
Stadtteilzentren für Beratungsangebote geöffnet. Das gilt auch
für das Bezirksamt, insbesondere
das Gesundheitsamt. Über die
Stadtteilzentren werden auch die
vom Senat von Berlin für besonders Bedürftige zur Verfügung
gestellten medizinischen Masken
verteilt. Bei all diesen Angeboten
müssen Schutzmaßnahmen eingehalten werden.
Zugleich hält das Bündnis fest:
Zu fordern ist, dass auf Bundesund Landesebene generell
• Hilfen tatsächlich unbürokratischer und schneller als bisher zur
Verfügung gestellt werden;
• Beratungsstellen und Hilfesysteme aktuell und nachhaltig besser
ausgestattet werden;
• passgenaue Hilfen für die besonders stark Betroffenen angeboten werden.
Es hilft nicht bei der Bewältigung
der Corona-Pandemie,
• mit den Ängsten von Menschen
zu spielen;
• die Lage zu nutzen, um sich parteipolitisch zu profilieren, populistisch zu hetzen und damit den
im Kampf gegen die Pandemie
notwendigen gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu torpedieren;
• Verschwörungserzählungen zu
verbreiten, die die Gefährlichkeit
der Situation, die durch das Virus
und seine Mutanten entstanden
ist, verharmlosen;
• wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse ohne nachvollziehbare Begründung in Frage zu stellen
•
oder gar lächerlich zu machen;
lautstark zu protestieren, ohne
Alternativen aufzuzeigen.
Was vielmehr hilft, ist
• Unterstützung jedweder Art anzubieten – und anzunehmen;
• Kontakte mit denjenigen, die unter Einsamkeit leiden, unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen
zu pflegen;
• konstruktive Kritik zu üben;
• das Gespräch miteinander zu suchen, gerade auch mit denjenigen, die sich durch Kritik an der
Kritik unter Druck gesetzt fühlen;
• besonnenes Handeln, um sich
selbst und andere zu schützen;
• die Hygienemaßnahmen einzuhalten, um sich und andere zu
schützen und das Gesundheitssystem nicht übermäßig zu strapazieren;
• dafür zu werben, dass die Menschen die hoffentlich bald für alle
zur Verfügung stehenden Impfungen nutzen – zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz aller
anderen.
Wir stehen ein für ein solidarisches
Miteinander in den Nachbarschaften und Kiezen von Marzahn-Hellersdorf. Dies versuchen wir unter
anderem im Rahmen unserer Bündniskampagne „Solidarische Kieze in
Marzahn-Hellersdorf“ (https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/
kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/) umzusetzen und
freuen uns sehr über eine aktive Beteiligung.
Demokratiebericht2020
39
Schöner Leben ohne Nazis 2020
AG Schöner Leben ohne Nazis
Ein Grund zu feiern: Unser mittlerweile 12. Demokratiefest „Schöner leben
ohne Nazis“ am 5. September 2020
wurde von über 700 Menschen besucht! Die Zahl lässt sich für das Jahr
2020 erstmals genau durch die Corona bedingten Teilnehmer*innenlisten ermitteln. Organisator*innen und
Standbetreuer*innen sind bei diesen
Zahlen noch nicht einmal eingerechnet.
Das vielseitige Bühnenprogramm und
die zahlreichen Informations- und
Aktionsstände aus der Marzahn-Hellersdorfer Zivilgesellschaft wurden
40
Demokratiebericht2020
sehr positiv von den Besucher*innen
aufgenommen. Das alles kann als ein
voller Erfolg bezeichnet werden und
zeigt wie sehr unser Demokratiefest
schon in den Köpfen und Herzen der
Menschen verankert ist!
versammlung, zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag am
26.9.2021 stehen. Wir freuen uns wie
jedes Jahr über eine breite Beteiligung
aus der Zivilgesellschaft und dem Gemeinwesen von Marzahn-Hellersdorf.
Für einen ausführlichen Bericht empfehlen wir Euch die tolle Sendung von
Radio Connection zum Nachhören.
Auch das Schöner Leben ohne Nazis
im Jahr 2021 wird wieder am ersten
Septemberwochenende (4.9.2021)
stattfinden und dieses Jahr unter dem
Zeichen der kurz darauf stattfindenden Wahlen zur Bezirksverordneten-
Wenn Ihr Euch aktiv an der vorbereitenden Arbeitsgruppe des Bündnisses
für Demokratie und Toleranz beteiligen oder anderweitig einbringen
möchtet, wendet Euch bitte an die
Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de
…nicht extra für,
sondern gemeinsam mit…
Inklusionsberatung in Marzahn-Hellersdorf
Im Jahr 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland
ratifiziert. Das Übereinkommen über
die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Überarbeitung des
Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zur
Folge. Hierdurch soll die Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen verbessert werden. Ein wichtiger Bestandteil
bei den Maßnahmen ist die Inklusion.
Inklusion bedeutet, dass alle Menschen ein gleichwertiger Teil der
Gesellschaft sind und die gleichen
Möglichkeiten haben sollen, um an
der Gesellschaft teilhaben zu können.
Dies betrifft das Arbeitsleben, die Bildung sowie das soziale Leben. Inklusion stärkt somit den Zusammenhalt
in der Gesellschaft, weil die Stimmen
und Bedürfnisse von allen Menschen
gehört werden und Ausgrenzung
entgegengetreten wird.
Um die Inklusion in Marzahn-Hellersdorf voranzutreiben, haben Ende
2020 vier Inklusionsberater*innen die
Arbeit im Bezirk aufgenommen. Sie
sind aufgeteilt nach den sogenannten
Prognoseräumen Biesdorf, Kaulsdorf/
Mahlsdorf, Marzahn und Hellersdorf
und sind verortet in den jeweiligen
Stadtteilzentren. Dadurch sind sie Ansprechpartner*innen mit kurzen Wegen, die die Nachbarschaft kennen
und das Engagement vor Ort stärken.
Die Berater*innen haben drei Aufgaben:
Sie bieten Beratung für Menschen
mit Behinderungen aller Altersklassen sowie deren Angehörige an und
informieren über (Freizeit-)Angebote
im Sozialraum, die offen für alle sind.
Sie bieten Beratung für Angebote im
Sozialraum, die inklusiv(er) werden
wollen und unterstützen bei der Maßnahmenplanung.
Sie decken Barrieren im Sozialraum
auf, kommunizieren diese an entsprechende Stellen und forcieren deren
Abbau.
Sie erreichen die Inklusionsberatenden wie folgt:
Region Biesdorf
Yvonne Full
Tel.: 0176 86 19 68 55
Mail: inklusionsberater@ball-ev-berlin.de
Region Kaulsdorf/Mahlsdorf
Jutta Stelbrink
Tel.: 030 56 58 87 62
Mail: stz-kaulsdorf@ev-mittendrin.de
Region Marzahn
Nils Paganetti
Tel.: 030 99 89 502 / 0151 15 08 87
97
Mail:
inklusionsberatung-berlin@
volkssolidaritaet.de
Region Hellersdorf
Beate Marquardt
Tel.: 0163 132 15 67
Mail: marquardt@klub74.de
Demokratiebericht2020
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Zunehmende verschwörungsideologische Radikalisierung
im Zuge der Corona-Pandemie
muss verhindert werden
Moritz Marc und Lia Kynaß von der Koordinierungsstelle
für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf
Die Demonstration gegen die Corona-Politik der Bundesregierung am
29. August in Berlin muss als eine
der größten antidemokratischen und
verschwörungsideologischen
Demonstrationen in der Geschichte der
Bundesrepublik bewertet werden. Die
Demonstration war in großen Teilen
deutlich verfassungsfeindlich geprägt
und rechtsextreme Verschwörungsnarrative erfuhren massive Verbreitung unter den Teilnehmenden. Die
Amadeu Antonio Stiftung rät dringend, die Auseinandersetzung mit
verschwörungsideologischer Radikalisierung zum Bestandteil der bundesweiten Strategie zur Eindämmung der
Corona-Pandemie zu machen. (https://www.amadeu-antonio-stiftung.
de/wp-content/uploads/2020/09/
Deradikalisierung-bedeutet-Infektionsschutz.pdf)
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Wir haben hier für Euch das im September 2020 verfasste Strategiepapier der Amadeu Antonio Stiftung
zusammengefasst:
• Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen geplante,
inszenierte rechtsextreme Raumnahme.
• Breites Spektrum der Demonstrierenden ohne deutliche Abgrenzung zu Rechtsextremismus
ähnlich wie bei der Demonstration in Chemnitz 2018 welche
die rechtextreme Gruppe „Revolution Chemnitz“ beflügelte und
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Demokratiebericht2020
•
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den Mörder von Walter Lübcke.
Verschwörungsideologien beinhalten starkes Identifikationsangebot und wirken stark handlungsmotivierend schnelle
Radikalisierungsverläufe
sind
häufig damit verbunden.
Verschwörungserzählungen gleichen in ihrer Funktion und Struktur dem Antisemitismus
Oft sind sie offen antisemitisch
wie auch bei den Anti-Corona-Demonstrationen zu beobachten ist.
Bei den Protesten werden demonstrativ und systemisch Hygieneund
Abstandsregeln
missachtet Gefahr von Nachahmungseffekt.
Massenhafte Verstöße gegen Hygiene-Auflagen haben bisher keine Konsequenzen.
Vertrauensverlust in Politik und
Wissenschaft, durch Verschwörungserzählungen und Desinformationen verschlechtert sich
die wirtschaftliche Situation für
breite Teile der Bevölkerung, wird
hierin eine ernsthafte Gefahr für
die Demokratie gesehen.
Von der Reichsbürgerbühne aus
(29.08.2020 Berlin), kam die
Aufforderung „Sturm auf den
Reichstag“ seit 2013 rufen sie
jährlich dazu aus.
Demoteilnehmer*innen zeigen
bewusste Differenzierung, z.B.
Rechtsextreme und Querden-
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ker*innen wirken harmlos
aber im Kern demokratiefeindlich
und weil scheinbar harmlos, gefährlich.
Grundlegendes Problem: Polizei
und Verfassungsschutz beobachten rechtsextreme Organisationen, Gruppen und Tatbestände.
Wissenschaft und Zivilgesellschaft
hingegen beziehen sich insbesondere auf rechte Ideologie und
Einstellung, welche bis in Mitte
der Gesellschaft verbreitet sind.
Vernetzung und Desinformationen im Internet Radikalisierungsmotor
Digitale Parallelgesellschaft, abgeschottete Kommunikationsräume = Schneeballprinzip
Fehlende Medienkompetenzen.
Demonstrationsteilnehmer*innen sorgten für Angst unter
marginalisierten Gruppen. Diese
trauten sich zum Teil nicht auf
die Straße zu gehen. Intern wurde gewarnt sich nicht in Nähe der
Demonstration zu begeben.
Gegendemonstrant*innen wurden verbal attackiert, körperlich
bedrängt.
Freie
Presse-Berichterstattung
wurde behindert (19 verbale Attacken und körperliche Angriffe).
Deutliche Abwesenheit von Polizeipräsenz auf den Demonstrationen in Berlin. Zugleich wurden
die Gegendemonstrationen von
Polizei abgeschirmt, durften zum
Demokratiebericht2020
43
•
Teil nicht betreten oder verlassen
werden.
Kinder werden seit jeher von rechtextremen oder rechts-alternativen Kreisen für politische Zwecke
instrumentalisiert. Auf die Demos
wurden Kinder bewusst und im
Vorfeld geplant mitgebracht, Begründung: „Antifa und Polizei
werden keine Kinder angreifen“
(Kinder als Schutzschild).
Forderungen:
• Ein mit finanziellen Mittel ausgestattetes Bundesprogramm zur
Bekämpfung von Antisemitismus
und Verschwörungserzählungen.
• Flächendeckende Gefährder*innenanalyse in Online-Communities.
• Radikalisierungspräventionen
von Desinformationen und Verschwörungserzählungen in der
staatlichen Strategie zu Corona-Maßnahmen aber auch im
Gesundheitsbereich.
• Reichbürger*innen-Thema muss
höhere Priorität haben in der inneren Sicherheit.
• Sicherheitsbehörden müssen entschlossener handeln, juristische
Konsequenzen + Blick erweitern
durch z.B. Einbeziehung von Expertise.
• Polizeiausbildung
erweitern,
Module zu Rechtsextremismus/
Reichsbürger + regelmäßige Weiterbildungen.
• Bundesregierung muss Arbeitsdefinition von Rechtsextremismus
erweitern an der sich orientiert
werden kann.
• Digitale Räume sollten als
Frühwarnsystem genutzt und
verstanden werden. Verfolgungsdruck durch Netzwerkbetreiber,
besser geschulte Sicherheitsbehörden durch Fortbildungen.
• Polizei muss Demonstrationen
besser im Griff haben. Gegenproteste müssen ermöglicht werden
und sogar gewünscht sein.
• Beratungsbedarf gestiegen
Hilfsangebote müssen aufgestockt und bundesweites Netzwerk an Trägern aufgebaut werden Beratungsangebote auch
an Schulen und Jugendtreffs
44
Demokratiebericht2020
•
•
•
•
Fortbildung für Lehrer*innen und
Sozialarbeiter*innen.
Unabhängige wissenschaftliche
Analysen in Verfassungsschutzbehörden würden bereichern. Expertise zu Reichs- und Verschwörungsideologien, Esoterikszene
usw. bündeln und Handlungsstrategien entwickeln.
Für Demokratie werben. Kinder
und Jugendliche bei Selbstwirksamkeit und demokratischer Willensbildung fördern.
Politik und Verwaltung sollen
ihr Handeln transparent machen
und für Fragen und Anliegen von
Bürger*innen erreichbar sein.
Schulung von Medienkompetenzen, insbesondere für Kinder
und Jugendliche. „Internetführerschein“, Einführung eines entsprechenden Schulfachs.
Das Maßnahmenpapier der Stiftung umfasst elf Bereiche und
findet sich hier. (https://www.
amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/09/Deradikalisierung-bedeutet-Infektionsschutz.pdf)
Ebenfalls lesenswert zum Thema Verschwörungsideologien:
Broschüre zum Umgang mit Corona-Verschwörungsmythen
In dieser Handreichung finden Sie hilfreiche Infos und Hinweise zu Funktion
und Wirkweisen von Verschwörungsmythen sowie nützliche Tipps für den
Umgang aus der Praxis für die Praxis.
Download hier. (https://www.mbt-berlin.de/mbt/publikationen/Broschueren/
SPI_MBT_Verschwoerung_2_Auflage_
WEB_barrierefrei.pdf)
Seit Ende 2020 bzw. Anfang 2021
finden auch in Marzahn-Hellersdorf
regelmäßig verschiedene Protestformate von Pandemieleugner*innen
und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien z.B. in Form von
Autokorsos und „Montagslichterspaziergängen“ statt. Auch zum Jahrestag der verschwörungsideologischen
Großdemonstration ist am 29.8.2021
erneut eine Demonstration von Querdenken und anderen Akteur*innen
in Berlin angemeldet. Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf und das
Bündnis für Demokratie und Toleranz
berichten regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen im Bezirk und
darüber hinaus und auch die entsprechenden zivilgesellschaftlichen Gegenaktivitäten:
https://buendnis.demokratie-mh.de
Demokratieentwicklung in
Marzahn-Hellersdorf –
Fazit, Handlungsbedarf & Perspektiven
Moritz Marc
Insgesamt zeigen auch die Praxisbeispiele in diesem Bericht erneut
die Vielschichtigkeit der bezirklichen
Akteur*innen und deren zahlreiche
zivilgesellschaftliche Aktivitäten auf.
Es gelingt über die verschiedenen
Ansätze der aktiven Gemeinwesenarbeit zunehmend Marzahn-Hellersdorf
divers und weltoffen zu gestalten. Es
konnten erneut viele spannende Formate solidarischen Handelns in den
Nachbarschaften der bezirklichen
Kieze vorgestellt werden. Diese positiven Ansätze werden sich – trotz
weiterbestehender Vorurteile und
Rassismen - auch in den kommenden
Jahren verstärken und verstetigen.
Marzahn-Hellersdorf wächst aktuell
weiter, wird bunter in seiner Bewohner*innenschaft und durch seine
wachsende Vielheit hoffentlich auch
offener im täglichen Miteinander.
Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen
und
konkreter
Handlungsbedarf
Die sozialen Herausforderungen
in der Coronapandemie
Die diverse soziale Situation ist ebenso wie das Vorhandensein extrem
rechter Strukturen und rassistischer
Diskurse auch im Jahr 2020 weiterhin eine Herausforderung für die
Entwicklung einer menschenrechtsorientierten Kultur im Bezirk. Dies
haben u.a. die aktuelle Auswertung
der bezirklichen Registerstelle Marzahn-Hellersdorf, die „Dunkelziffer unbekannt“ sowie die bezirkliche Sozialberichterstattung (https://
www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/qua-
litaetsentwicklung-planung-und-koordination-des-oeffentlichen-gesundheitsdienstes/downloads/
kurzbericht-soziale-lage-2020-barr.
pdf) und das neu erschienene Monitoring soziale Stadtentwicklung (https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/
service-und-organisationseinheiten/
qualitaetsentwicklung-planung-und-koordination-des-oeffentlichen-gesundheitsdienstes/downloads/mss-2019fuer-mh-endfassung.pdf) bewiesen.
Zudem ist zu erwarten, dass sich die
soziale Situation im Bezirk aufgrund
der Folgen der Coronapandemie in
Form von erneut wachsenden Arbeitslosenzahlen eher wieder verschlechtern wird. Im Bündnis für Demokratie
und Toleranz Marzahn-Hellersdorf
berichteten im August 2020 sowohl
Frau Marion Augustin vom Bezirksamt in Form des aktuellen bezirklichen Sozialberichtes als auch der
Arche-Gründer Herr Bernd Siggelkow
über die sich verschärfende Situation
im sozialen Bereich in Zeiten von Corona. Umso wichtiger bleibt es auch
weiterhin mit einem sozialräumlichen
Ansatz die Problemlagen im Bezirk zu
bearbeiten und demokratische, progressive Strukturen des Engagements
in der Gemeinwesenarbeit weiter zu
stärken.
Anhand des Monitoring Soziale Stadtentwicklung (2019) (https://www.
stadtentwicklung.berlin.de/planen/
basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/2019/index.shtml)
lassen
sich für den Bezirk zwar weiterhin
Aufwärtstrends erkennen. Dennoch
befinden sich insbesondere die Indikatoren bezüglich Kinderarmut und
Transferbezug nach wie vor in einigen
Sozialräumen des Bezirks auf hohem
Niveau (u.a. in Hellersdorf-Nord und
Teilen von Marzahn-Nord). Das Gelbe Viertel in Hellersdorf-Süd kam als
Gebiet mit besonderen Aufmerksamkeitsbedarf neu hinzu.
Wir zitieren aus der Zusammenfassung des Monitorings Soziale Stadtentwicklung für Marzahn-Hellersdorf
von Frau Marion Augustin:
„Eine deutliche Verbesserung der sozialen Situation ist im Boulevard Kastanienallee zu verzeichnen. Hier ist
der Anteil der Transferbezieher*innen
so stark gesunken, dass der Planungsraum nicht mehr der sehr niedrigen,
sondern der niedrigen Statusgruppe
zugeordnet werden konnte. Trotz
positiver
Entwicklungstendenzen
bleibt die soziale Lage in einigen Gebieten der Großsiedlungen, vor allem
in Hellersdorf, schwierig. Besonders
die Alte Hellersdorfer Straße und die
Hellersdorfer Promenade, beides Gebiete mit einem Quartiersmanagement, sind besonders stark von sozialer Benachteiligung betroffen. Sie
entwickeln sich allerdings seit Jahren
positiv (bereits im Monitoring 2017).
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Daten den
Stand von 2018 und die Entwicklung
zu 2017 abbilden. Inwieweit die Corona-Pandemie die wirtschaftliche
und damit die soziale Situation und
Entwicklung beeinflusst, ist noch
nicht abzuschätzen, aber negative
Veränderungen sind absehbar. Es
sind in starkem Maße Personen mit
geringem Bildungsgrad und in „einfachen“ Berufen, die von den AusDemokratiebericht2020
45
wirkungen des Lockdowns betroffen
sind. In Marzahn-Hellersdorf hat ein
größerer Teil der Bevölkerung einen
geringeren Bildungsgrad als in anderen Berliner Bezirken. Insofern werden spätere Daten die soziale Lage
zum gegenwärtigen Zeitpunkt und
die Entwicklungen realistischer widerspiegeln.“
Die soziale Frage im Bezirk wird auch
in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle hinsichtlich der Demokratieentwicklung spielen. Ohne soziale
Teilhabe und Gerechtigkeit hinsichtlich Bildungschancen, fairen Löhnen
und bezahlbaren Mieten ist eine weitere gesellschaftliche Polarisierung zu
befürchten.
Die zunächst weitverbreitete Hoffnung auf ein nachhaltiges solidarisches Miteinander in der Krise hat
sich leider nur vorübergehend bzw.
partiell durch die verschiedensten
Formen von Nachbarschaftshilfe und
Vernetzung in den Kiezen (https://
koordinierungsstelle-mh.de/solidarische-und-selbstorganisierte-nachbarschaftsstrukturen-in-zeiten-der-corona-krise/) erfüllt:
„Zu Beginn der Pandemie, die als
„Coronakrise“ in die Geschichte eingeht, gab es noch eine Reihe von
Hoffnungen. Die Krise würde zu mehr
Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlich-solidarischer Einrichtungen
führen, zu mehr Wertschätzung für
Ärzte und Pflegepersonal, zu mehr
Solidarität in den Bevölkerungen.
(…) Kurz: die Krise wäre zugleich mit
den Gefahren vielleicht auch eine Geburtshilfe für neue Chancen.
Mit zunehmender Dauer müssen wir
uns indes auch von den Hoffnungen
für eine bessere Post-Krisen-Welt verabschieden. (…) Die Hoffnungsblasen platzen und es zeichnet sich ab:
Die Gewinner der Vor-Krise werden
wieder die Gewinner der Nach-Krise
sein (mit etlichen Verschiebungen,
Verstärkungen und Vermittlungen.)
Die Verlierer sollen weitere Verluste in
Kauf nehmen – ganz im Dienste des
„Systems“.“ (Seeßlen, Georg: „Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist
vor der Krise – Die Post-Corona-Gesellschaft und was sie uns über die
Zukunft erzählt, Bahoe Books, 2020).
46
Demokratiebericht2020
Die Koordinierungsstelle hat sich dieser Entwicklung zusammen mit Kooperationspartner*innen aus der Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf
mit einer auf mindestens zwei Jahre
angelegten Kampagne unter dem
Motto „Solidarische Kieze“ (https://
buendnis.demokratie-mh.de/waswir-tun/kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/) mit vielen
Veranstaltungs- und Aktionsformaten
ein Stück weit erfolgreich entgegenstellen können. Mit zahlreichen Angeboten und einer entsprechenden
Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist es der Kampagne im Jahr
2020 gelungen einige positive Akzente zu setzen und den Menschen in
den Kiezen ein solidarisches Gegenangebot zu Verschwörungserzählungen und/oder rassistischen Ansätzen
zu machen. An diesem erfolgreichen
Ansatz wird die Koordinierungsstelle
auch im Jahr 2021 zusammen mit seinen Kooperationspartner*innen weiterarbeiten und versuchen im bevorstehenden Superwahljahr solidarische
Narrative rassistischen und verschwörungsmythischen Erklärungsmustern
entgegenzustellen. Mit dem offenen
Kampagnenansatz wird versucht die
zivilgesellschaftliche Vernetzungsarbeit noch weiter voranzutreiben und
die Akteur*innen aus der Gemeinwesenarbeit und den verschiedenen
sozialen Trägern sowie Einrichtungen
aktiv miteinzubeziehen.
Handeln gegen Rassismus und
extreme Rechte
Aktuell zeigen die rassistisch und
rechtsterroristisch motivierten Anschläge von Kassel, Halle und Hanau
sowie die anhaltend hohen Zahlen
von rechter Gewalt bundesweit auf,
was für eine massive Gefahr weiterhin für die Demokratie von Seiten der
extremen Rechten ausgeht. Auch die
Agitation der AfD, die in allen Landtagen, im Bundestag und auch in den
Kommunalparlamenten sitzt, wird
sichtbar schärfer und aggressiver. Im
Bezirk Marzahn-Hellersdorf versucht
die AfD die Zivilgesellschaft und demokratische Akteur*innen durch regelmäßige und zielgerichtete Angriffe kontinuierlich zu verunsichern und
einzuschüchtern.
Hier im Bezirk steht die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung den Betroffenen von rassistischen und (extrem) rechten Angriffen
aufklärend und beratend zur Seite.
Es gab und gibt verschiedene Workshop- und Weiterbildungsformate,
die auch im laufenden Jahr verstetigt
bzw. ausgebaut werden sollen.
Während sich die Situation rund um
die Unterkünfte für Menschen mit
Fluchterfahrung im Bezirk mittlerweile relativ beruhigt hat – auch dank
der miteinander verzahnten und
kontinuierlichen Arbeit des Demokratie- und Integrationsbereiches in den
vergangenen Jahren – besteht aktuell
die Gefahr, dass auch hier im Bezirk
die Zahl der Anhänger*innen von
rechtsoffenen bis extrem rechten Verschwörungserzählungen im Zuge der
Coronakrise weiterwächst. Ein Beispiel aus den vergangenen Monaten
sind die wöchentlichen Autokorsos
(seit Januar 2021) und „Montagslichterspaziergänge“ (seit Dezember
2020), deren Akteur*innen sich weiter zu radikalisieren scheinen.
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf besitzt – wie viele Ostberliner Bezirke –
eine Vergangenheit, die auch durch
die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit extrem rechten Akteuren
und Strukturen geprägt ist. In den
letzten Jahren ist ein Erstarken extrem rechter und rechtspopulistischer
Aktivitäten zu verzeichnen. Debatten
um Migration oder die Hygienemaßnahmen werden genutzt menschenverachtende Positionen im Mainstream zu verankern. Dem wurde durch
zivilgesellschaftliche und politische
Intervention – zum Teil erfolgreich –
begegnet. An diese Erfolge knüpft die
Koordinierungsstelle auch weiterhin
an und entwickelt neue Formate wie
das Projekt „Buntes und solidarisches
Marzahn sichtbar machen“.
Ähnlich wie im bundesweiten Kontext existieren in der Bevölkerung
menschenfeindliche
Einstellungsmuster. Diese werden u.a. anhand
der Wahlerfolge der Alternative für
Deutschland (AfD), die immer wieder
nationalistische, rassistische und abwertende Argumentationen vertritt,
offensichtlich. Die AfD hat bei den
Abgeordnetenhauswahlen im Herbst
2016 im Bezirk das berlinweit höchste Ergebnis erreicht. Sie saß zwischenzeitlich als zweistärkste Fraktion in
der Bezirksverordnetenversammlung
und stellt den stellvertretenden Bürgermeister. Auch bei den Europawahlen im Jahr 2019 konnte die AfD ihre
Wahlergebnisse auf ähnlich hohem
Niveau wie im Jahr 2016 halten. In
einer Wahlumfrage vom 19.1.2021
wird die AfD in der BVV als stärkste
Kraft auf 25,5 % der Stimmen taxiert
(siehe: https://www.wahlkreisprognose.de/trends-in-Berlin/).
Hinsichtlich der bevorstehenden Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen,
sowie der Bundestagswahl im Herbst
2021, ist zu befürchten, dass sich das
gesellschaftliche Klima zuspitzt. Themen wie Migration, Coronakrise und
ihre wirtschaftlichen sowie sozialen
Folgen können im Superwahljahr eine
gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben. Umso wichtiger erscheint
es uns die verschiedenen zivilgesellschaftlichen und demokratischen
Akteur*innen im Bezirk noch stärker
und kontinuierlicher zu vernetzen,
um rechten und diskriminierenden Inhalten etwas entgegen zu setzen. Die
Koordinierungsstelle unterstützt seit
Ende 2020, ermöglicht über Fördermittel des Bundesprogramms Demokratie Leben, die Öffentlichkeitsarbeit
des Bündnisses für Demokratie und
Toleranz Marzahn-Hellersdorf (siehe Beitrag über das Projekt „Buntes
und solidarisches Marzahn sichtbar
machen“). Zudem wurden mit einer
neuen, zentralen Demokratiewebsite
(https://buendnis.demokratie-mh.de/)
auch die Informations- und Teilhabemöglichkeiten der Bürger*innen im
Bezirk an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten verbessert.
Im Rahmen unserer langjährigen Expertise in der Auseinandersetzung mit
extrem rechten Akteur*innen, stellen
wir weiterhin eine große Verunsicherung bei vielen zivilgesellschaftlichen
sowie politischen Akteuren und der
bezirklichen Verwaltung im Umgang
mit rechtpopulistischen (Kommunikations-)strategien fest. Dies bedeutet
für die Arbeit der bezirklichen Koor-
dinierungsstelle, Handlungssicherheit
in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Phänomenen zu vermitteln. Hierzu gab es u.a. im Februar
2020 ein gut besuchtes Fachgespräch
für Mitarbeiter*innen in Jugendfreizeiteinrichtungen,
Stadtteilzentren
und bei sozialen Trägern.
Zugleich müssen auf einer präventiven Ebene, u.a. im Rahmen politischer
Bildung, Akteur*innen für Rassismus
und alle Formen von Menschenfeindlichkeit sensibilisiert werden. Auch
dies geschieht bereits in Form von
gemeinsamen Veranstaltungen und
Bildungsformaten in Zusammenarbeit mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz, eigenen Formaten
(Lesungen bzw. Fachgesprächen) und
in Kooperation mit den Berliner Fachund Netzwerkstellen (Fachgespräche,
Fachtag, Diskussionsveranstaltungen,
Publikationen).
Anknüpfend an bestehende Strukturen und Aktivitäten ist es ein wesentlicher Ansatzpunkt der bezirklichen
Koordinierungsstelle, gemeinsam mit
Engagierten aus Politik, Verwaltung
und Zivilgesellschaft Aushandlungsprozesse anzuleiten, um sich Fragen
des solidarischen Zusammenlebens,
der Beteiligungsmöglichkeiten und
der alltäglichen Verankerung demokratischer Werte zu nähern. Um die
Beteiligungsstrukturen im Bezirk weiter zu stärken und auszubauen, müssen die Teilhabechancen der neuen
und alteingesessenen Nachbar*innen in den einzelnen Sozialräumen
weiter gestärkt werden. Integration
kann nur gelingen, wenn allen hier
lebenden Menschen gleichermaßen
eine soziale, politische und kulturelle
Teilhabe am Alltagsleben ermöglicht
wird. Die Koordinierungsstelle sieht
sich hier als eine wichtige vermittelnde und aktivierende Instanz. Die
bereits bestehenden Kooperationen
sollen auch im Jahr 2021 weiter ausgebaut bzw. verstetigt werden.
Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie
„Wir stehen vor einer Zeitenwende:
Ein Virus breitet sich aus, doch es ist
der Kapitalismus, der aus ihm eine
globale Krise macht. Die Pandemie
verstärkt die wirtschaftliche Rezession
zu einer weltweiten Depression. Der
Klimawandel verschärft sich weiter.
Eine dramatische Verdichtung gesellschaftlicher Krisen erschüttert unser
Leben. Verantwortungslos haben die
Regierenden anfänglich die Gefahr
einer Pandemie ignoriert. Zu spät, ungenügend, einseitig und autoritär haben sie dann reagiert. Die Interessen
der Wirtschaft stehen vor dem Schutz
der Menschen. Die Konzerne sichern
sich immense staatliche Unterstützung. Zugleich nimmt die Bereitschaft
vieler Menschen zu, über Alternativen
zum bestehenden gesellschaftlichen
Ist-Zustand nachzudenken. Ein solidarischer und ökologischer Umbau der
Wirtschaft ist notwendig.“ (aus: Verena Kreilinger / Winfried Wolf / Christian Zeller: „Corona, Krise, Kapital
- Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie“)
Aufgrund von Platzmangel empfiehlt
die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung folgende Literatur zum
Thema Corona und den Umgang mit
den sozialen und politischen Folgen:
Verena Kreilinger / Winfried Wolf / Christian Zeller: „Corona, Krise, Kapital Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie“,
2020, Papy Rossa, ISBN 978-3-89438739-6
Heike Kleffner/Matthias Meisner
(Herausgeber*innen):
„Fehlender
Mindestabstand: Die Coronakrise
und die Netzwerke der Demokratiefeinde“, 2021, Herder, ISBN: 9783451390371
Georg Seeßlen: „Coronakontrolle,
oder: Nach der Krise ist vor der Katastrophe“, 2020, Bahoe Books, ISBN
978-3-903290-37-2
Robert Misik: „Die neue (Ab)normalität: Unser verrücktes Leben in der
pandemischen Gesellschaft“, 2021,
Picus Verlag
D.F. Bertz (Herausgeber): „Die Welt
nach Corona: Von den Risiken des
Kapitalismus, den Nebenwirkungen
des Ausnahmezustands und der kommenden Gesellschaft“, 2021, Bertz
und Fischer, ISBN: 978-3865057631
Slavoj Zizek: „Pandemie!: COVID-19
erschüttert die Welt“, 2020, Passagen
Verlag, ISBN: 978-3-70920-441-2
Demokratiebericht2020
47
Schlussfolgerungen für die Demokratieentwicklung im Bezirk Marzahn-Hellersdorf und Handlungsideen
Mit Hinblick auf die im Herbst 2021
bevorstehenden Abgeordnetenhausund BVV-Wahlen und die anhaltende Corona-Krise ist ein politisch und
gesellschaftlich turbulentes Wahlkampfjahr zu erwarten. Die sozialen
Folgeschäden der Pandemie werden
verstärkt zu Tage treten und die extreme Rechte wird versuchen die schwierige gesellschaftliche Gesamtsituation
zu nutzen, um noch mehr Hass und
Hetze zu betreiben und durch die
verschiedensten Agitationsformen im
Netz und auf der Straße die Ängste der Menschen weiter zu einem
Gegeneinander statt einem solidarischen und inklusiven Miteinander zu
instrumentalisieren. Dem müssen wir
uns als weltoffene und diverse Zivilgesellschaft auch im Bezirk auf den verschiedenen Ebenen unseres Gemeinwesens entgegenstellen.
•
Ein paar Handlungsideen für die
weitere Demokratieentwicklung
im Bezirk:
•
•
48
Die vielseitigen, zivilgesellschaftlichen
Akteur*innen
im Bezirk sollten noch besser vernetzt und sichtbarer
gemacht werden. Es werden
niedrigschwellige und inklusive
Angebote für alle Menschen im
Bezirk benötigt, um ein eindeutiges Zeichen für ein solidarisches
Miteinander und gegen Hass und
Menschenverachtung zu setzen,
welches gerade in Zeiten der Coronakrise wichtiger denn je ist.
(Kampagne solidarische Kieze
fortführen, an Projekt „Buntes
und solidarisches Marzahn sichtbar machen“ anknüpfen und die
Öffentlichkeitsmaterialien
nutzen, neue Formate entwickeln.)
Auch auf digitaler Ebene muss
die Zivilgesellschaft im Bezirk
gestärkt werden. Es ist wichtig, dass die Akteur*innen auch
in den sozialen Medien Farbe für
einen toleranten und vielfältigen
Bezirk bekennen und sich jeder
Demokratiebericht2020
•
•
Form von menschenverachtenden Äußerungen aktiv entgegen
stellen. (Hierzu läuft aktuell eine
vierteilige Veranstaltungs- und
Fortbildungsreihe der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung in Zusammenarbeit mit
der Amadeu-Antonio-Stiftung).
Das Zusammenspiel von Akteur*innen in den Bereichen
der Integrationsarbeit und der
Demokratieentwicklung sollte
weiter ausgebaut und verstetigt werden. Positive Ansätze
aus den migrantischen Communities und von Migrant*innen(selbt)
organisationen wie z.B. die Prideparade in Marzahn (Quarteera:
www.facebook.com/Quarteera) oder dem Projekt „Ostklick“
(www.ost-klick.de) sollten verstärkt in die bezirkliche Arbeit mit
eingebunden werden. Auch die
BENN-Standorte im Bezirk und offene interkulturelle Anlaufpunkte
wie das LaLoKa oder der Frauentreff Rosa sollten genutzt werden,
um die Bereiche Integration und
Demokratieentwicklung weiter
zu verzahnen und möglichst viele
Menschen inklusiv in ihren Nachbarschaften einzubeziehen (niedrigschwellige Begegnungsformate, aber auch politische Bildung
und Beteiligungsmöglichkeiten).
Ausbau der politischen Bildungsarbeit für ein menschenrechtsorientiertes Miteinander
an Schulen. Bei der demokratischen Meinungsbildung von
Schüler*innen und bei der Vermittlung demokratischer Werte einer modernen Gesellschaft
könnte durch externe Projekte
Unterstützung geleistet und für
Themen wie Menschenrechte und
Partizipation geworben sowie
Rassismus und Diskriminierungsformen jeglicher Art bearbeitet
werden. Mittels Projektarbeit
könnte so gezielt die demokratische Kultur gefördert werden. Ein
interfraktioneller Antrag wurde
hierzu Anfang 2021 in der BVV
auf den Weg gebracht.
Auch der Ausbau von Kulturprojekten im Bezirk kann
die Vielfalt und Offenheit
•
weiter stärken. Es gibt bereits
eine Vielzahl gut ausgestatteter Kulturhäuser, Klubs, Ausstellungszentren (https://www.
kultur-marzahn-hellersdorf.de/
ausstellungszentrum-pyramide) und Projekträume (https://
www.kultur-marzahn-hellersdorf.
de/projektraum-galerie-m), Galerien (https://www.kultur-marzahn-hellersdorf.de/schloss-biesdorf), Kinos und Kleinbühnen (LInk
kaputt) sowie ein Regionalmuseum (https://www.kultur-marzahn-hellersdorf.de/bezirksmuseum-marzahn-hellersdorf)
und
eine Jugendkunstschule (https://
www.kultur-marzahn-hellersdorf.
de/jugendkunstschule). Darüber
hinaus erscheinen aber auch gerade offene Outdoor-Formate wie
das zentrale bezirkliche Demokratiefest Schöner Leben ohne Nazis,
das Respekt & Neugier-Festival,
die Angebote der Station urbaner
Kulturen im öffentlichen Raum
(„Place Internationale“), Graffiti-Projekte aus dem Umfeld der
Jugendfreizeiteinrichtungen oder
Formate wie das „Berlin Mural
Fest“ (2019), Lesebegegnungen in Parks, wie die „Marzahner Spätlese“ (BENN Blumberger
Damm) oder neue Kulturformate
wie das „114 ÜBER MARZAHN“
(2019) und das „HellD – Festival
für Kultur am Stadtrand” (2020)
als gute Ansätze im öffentlichen
Raum, um die Vielfalt und auch
die kulturelle Diversität im Bezirk
stärker sichtbar zu machen. Gerade aufgrund der vielen Freiflächen
sollte der Bezirk diese vorhandene
Attraktivität – insbesondere auch
in Pandemiezeiten – verstärkt
ausspielen.
Eine weiter auszubauende
bzw. zu bewerbende Möglichkeit zur Begegnung der
Bürger*innen im öffentlichen
Raum sind die mittlerweile
zahlreichen Nachbarschafts-,
Gemeinschafts-und Kleingärten sowie Umweltbildungsorte im Bezirk. Die Grüne Liga
Berlin hat vergangenes Jahr erneut eine „Gartenkarte“ (http://
www.grueneliga-berlin.de/the-
•
•
men-projekte2/stadtbegruenung/
integrierte-urbane-gaerten/gartenkarte-fuer-den-bezirk-marzahn-hellersdorf) mit über 40
Standorten in Marzahn-Hellersdorf entworfen. An diesen Orten
kann die interkulturelle Begegnung und das nachbarschaftliche,
demokratische und solidarische
Miteinander eingeübt werden. Die
Kampagne Solidarische Kieze hat
z.B. im Sommer 2020 einen tollen
Workshop zum Thema Solidarität
(https://buendnis.demokratie-mh.
de/aktuelles/17-9-2020-naschgarten-was-heisst-fuer-dich-solidaritaet-workshop-und-mal-aktion/)
in
Kooperation
mit
Migrantas, dem Unteilbar-Bündnis und Bürger*innen im „Naschgarten“ in Marzahn umgesetzt.
Gerade in Zeiten der Pandemie
kann diese Vielfalt von gemeinschaftlichen Garteninitiativen und
grünen Lernorten für Naturerfahrung, Begegnung und Erholung
im Bezirk genutzt werden. Und
natürlich auch als solidarische
Orte, an denen die Menschen im
Bezirk gemeinsam über ökologische und soziale Fragen streiten,
diskutieren, sich gegenseitig zuhören und über gesellschaftliche
Lösungsmöglichkeiten nachdenken.
Die zahlreichen Stadtteilzentren im Bezirk könnten als
solidarische Orte politische
Diskussions- und Beteiligungsformate ausbauen. Als Knotenpunkte lokaler Engagementnetzwerke und Häuser mit einer
niedrigen
Zugangngsschwelle
bieten die dazu viel Potential. Vor
allem können sie helfen politikferne Menschen zu erreichen. Die
Koordinierungsstelle kann nachfrageorientiert bei politischen
Bildungsangeboten in Form von
Workshops, Lesungen und ähnlichem fachlich und organisatorisch unterstützen.
Initiierung einer Vernetzung
der Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk hinsichtlich politischer Bildungsarbeit und
der Auseinandersetzung mit
jeglichen
Diskriminierungs-
formen. Hier wird die Koordinierungsstelle den Prozess anstoßen und fachlich begleiten. Diese
Vernetzung soll angelehnt sein
an den erfolgreichen Ansatz der
Fachaustauschrunde „JFEs gegen
Diskriminierung“ in Lichtenberg,
die dort seit 2009/2010 beseht,
und in der sich regelmäßig Mitarbeiter*innen der offenen Kinder- und Jugendarbeit austauschen und kollegial zum Umgang
mit Diskriminierung beraten oder
fortbilden.
Die Koordinierungsstelle bedankt sich
abschließend bei allen, die aktiv einen
Beitrag zu diesem Demokratiebericht
geleistet haben. Wir wünschen uns
weiterhin ein entschlossenes und solidarisches Zusammenstehen der Zivilgesellschaft, der Akteur*innen der
Gemeinwesenarbeit, der demokratischen Parteien, des Bezirksamtes und
der sozialen Träger im Bezirk.
„Will man die plurale Gesellschaft,
in der wir leben, zur Grundlage politischen Denkens machen, so müssen
Gleichberechtigung und Teilhabe für
jede*n gleichermaßen gelten. Darum
darf die Einsicht in das produktive
Potenzial völkischen Denkens in Ostdeutschland auch nicht zur Förderung
sozialer Integrationsprojekte für Nazis
führen, sondern zu der von Antirassismus und Empowerment.“ (aus: Max
Czollek: „Gegenwartsbewältigung“,
Hanser Verlag, 2020, S.136).
Moritz Marc – Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf, April 2021
Demokratiebericht2020
49
Kontakte
Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf
Neue Grottkauer Straße 5
12619 Berlin
Telefon: 0152 - 31771383 (WhatsApp/
Signal/Telegram) und 030 – 92257140
E-Mail: koordinierungsstelle-mh@
pad-berlin.de
Facebook: www.facebook.com/koordinierungsstellemh
Internet: https://koordinierungsstelle-mh.de
Twitter: https://twitter.com/demokratiemahe
Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf
von Berlin
Integrationsbeauftragter Herr Dr.
Bryant
Alice-Salomon-Platz 3, 12627 Berlin
Telefon: 030 - 90293-2060
E-Mail: thomas.bryant@ba-mh.berlin.de
Externe Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf
Register zur Erfassung rechtsextremer
und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf
Neue Grottkauer Straße 3, 12619
Berlin
Telefon: 030 - 99 27 50 98
Handy: 0152 061 99 495
E-Mail: pfd-mh@stiftung-spi.de
Koordinatorin für Flüchtlingsfragen
Frau Hermenau
Telefon: 030 - 90293-2019
Fax: 030 - 90293-2055
E-Mail: susan.hermenau@ba-mh.berlin.
de
BENN (Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften) Blumberger Damm
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Bündnis für Demokratie und
Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf
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Demokratiebericht2020
Koordinator für Flüchtlingsfragen
Herr Cárdenas Ruiz
Alice-Salomon-Platz 3
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weltgewandt. institut für interkulturelle politische Bildung e.V.
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Telefon: 030 - 22 80 82 35 und 0176 29930406 (WhatsApp)
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ASH Forschungsprojekt
Raiko Hannemann
Alice-Salomon-Hochschule
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Tel.: +49 (0)176 44 289 603
E-Mail: Hannemann@ash-berlin.eu
Kampagne Solidarische Kieze
E-Mail: koordinierungsstelle-mh@
pad-berlin.de
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Koordinierungsstelle Großsiedlungen
Kompetenzzentrum Großsiedlungen
e.V.
Riesaer Straße 2
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Fax: 030 - 9940-1244
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Ostklick
Zentrum Liberale Moderne
Reinhardtstraße 15
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E-Mail: ostklick@libmod.de
Alice Salomon Hochschule
Elene Misbach
Fritz-Lang-Platz (Raum H11)
12627 Berlin
Telefon: 030 - 99245-149
E-Mail: misbach@ash-berlin.eu
Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro MH
Marzahner Promenade 51
12679 Berlin
Telefon: 030 9339466
E-Mail: kjb@hvd-bb.de
Roter Baum Berlin
Stendaler Straße 43
12627 Berlin
Telefon: 030 99281840
E-Mail: info@roter-baum-berlin.de
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