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Full text: Demokratiebericht ... Marzahn-Hellersdorf (Rights reserved) Ausgabe 2020 (Rights reserved)

Demokratie Bericht MarzahnHellersdorf 2020 koordinierungsstelle-mh.de Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Inhalt 3 4 Grußwort der Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle Einleitung und Überblick Moritz Marc 8 Auswertung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf 2020 Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf 14 16 18 20 22 24 26 28 29 30 32 34 36 38 40 41 42 45 50 2 Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf im Jahr 2020 Integrationsbüro mit Beiträgen zur Demokratieentwicklung Dr. Bryant und Kolleg*innen Übersicht über durch die Partnerschaften geförderte Demokratieprojekte im Jahr 2020 Hannes Obens und Elisabeth Peters Bericht Kampagne Solidarische Kieze Elene Misbach Interview mit dem Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf Jahresbericht BENN Blumberger Damm „Die Russlanddeutschen haben ein bestimmtes Image als ‚rechts‘“ Interview mit Jannis Panagiotidis von o[s]tklick Schlüssel zu einer Sozialräumlichen Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf Heinz Stapf-Finé Internationaler Tag der Menschenrechte 2020 Sabine Schwarz Bericht vom Respekt und Neugier-Festival Martin Kleinfelder Buchvorstellungen zur Sozialen Frage Moritz Marc Vorstellung der Koordinator*in Großsiedlungen Nino Halka Bericht Buntes und solidarisches Marzahn Moritz Marc Vielleicht wird alles viel_leichter? weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V. Ein Jahr Corona: Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf positioniert sich Kurzbericht vom Demokratiefest Schöner Leben ohne Nazis AG SLON …nicht extra für, sondern gemeinsam mit… - Inklusionsberatung in Marzahn-Hellersdorf Zunehmende verschwörungsideologische Radikalisierung im Zuge der Corona-Pandemie muss verhindert werden Lia Kynaß und Moritz Marc Schlussfolgerung für die Demokratieentwicklung und Handlungsideen Moritz Marc Kontakte Demokratiebericht2020 „Demokratie lebt vom direkten Dialog und von zwischenmenschlichen Begegnungen“ Dagmar Pohle Für uns alle stand das Jahr 2020 ganz und gar unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie. Geradezu von heute auf morgen wurde das öffentliche Leben im Zuge des sog. „Lockdowns“ massiv heruntergefahren. Angesichts der Gefahren für Leib und Leben, der Belastungen für unser Gesundheitssystem, der wenig erbaulichen Berichterstattungen in den Medien, der neuen Herausforderungen hinsichtlich „Homeoffice“ und „Homeschooling“, der ständigen Telefon- und Videokonferenzen sowie der permanenten Neufassungen von Infektionsschutzbestimmungen in Bund und Ländern – um nur einige Beispiele zu nennen – überrascht es sicherlich nicht, dass auch die Demokratieentwicklung bei uns im Bezirk von all diesen Dingen betroffen war und nach wie vor ist. Demokratieentwicklung im Krisenmodus leidet vor allem unter einer Infektionsschutzmaßnahme ganz besonders, die sicherlich als einschneidendste Beschränkung der persönlichen Entfaltung wahrgenommen wird. Es handelt sich dabei um das, was inzwischen unter dem Begriff „Social distancing“ bzw. „Abstandsgebot“ allgemein bekannt ist. Aus epidemiologischer Sicht ist dieses Gebot der Stunde zwingend notwendig; demokratietheoretisch und erst recht für die praktische Arbeit in Sachen Demokratieentwicklung ist es jedoch durchaus problematisch. Bekanntlich lebt Demokratie vom direkten Dialog und von zwischenmenschlichen Begegnungen, von formellen und inoffiziellen Zusammenkünften, von kleinen Gesprächen und großen Konferenzen, vom Kennenlernen und Aufeinanderzugehen oder einfach nur vom geselligen Beisammensein. All das war urplötzlich bedauerlicherweise entweder gar nicht oder zumindest nicht in ebenso gewohnter wie bewährter Weise möglich. Trotz dieser einerseits wirklich schwierigen und für uns alle belastenden äußeren Umstände habe ich mich andererseits jedoch sehr darüber gefreut, dass unsere zahlreichen in Marzahn-Hellersdorf tätigen Institutionen, Einrichtungen und Unternehmen, Organisationen, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen jeden Tag ihr Bestes gaben und geben, um unseren Bezirk, ja unser Gemeinwesen am Laufen zu halten. Ihrem unermüdlichen Engagement – ganz gleich, ob dies haupt- oder ehrenamtlich, öffentlich sichtbar oder eher „hinter den Kulissen“ erfolgt – ist es letztlich zu verdanken, dass auch und gerade in dieser ungewöhnlichen Krisenzeit die vielfältigen Dienstleistungen und Angebote für die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Möglichen erbracht werden: Mal ist es die telefonische Sprechstunde und mal die Beratung per E-Mail, mal die kleine Besprechung einer Arbeitsgruppe per Video und mal die virtuelle Diskussionsrunde und die tätige solidarische Hilfe vor Ort. Für dieses Engagement möchte ich mich an dieser Stelle im Namen des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf ausdrücklich bedanken. Selbst unserem traditionellen Demokratiefest „Schöner leben ohne Nazis“ konnte die Pandemie nichts anhaben. Unter geradezu akribischer Einhaltung der einschlägigen Hygienebestimmungen ist es gelungen, gleichsam die Fahne der Demokratie hochzuhalten und zu zeigen, dass wir uns weder von der Pandemie selbst noch von ihren Leugnerinnen und Leugnern kleinkriegen lassen. Vergessen wir bei dieser Gelegenheit auch nicht den schrecklichen Anschlag von Hanau, der mehrere Menschen einzig und allein deshalb aus dem Leben riss, weil sie einen Migrationshintergrund hatten! Die mediale Berichterstattung und somit auch das öffentliche Entsetzen über diese menschenverachtende Tat wurden nur wenige Tage später wieder durch das Pandemiegeschehen überlagert. Doch die Opfer von Hanau mahnen uns, auch in Marzahn-Hellersdorf in unserem Einsatz gegen völkisch-nationalistisches Gedankengut nicht nachzulassen und uns weiterhin gemeinsam mit ganzer Kraft für Demokratie und Toleranz einzusetzen. – Bleiben Sie also weiterhin gesund und engagiert! Dagmar Pohle Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf Demokratiebericht2020 3 Einleitung und Überblick Moritz Marc Liebe Leser*innen! Die Erstellung des Demokratieberichts für das Jahr 2020 wurde von den massiven gesellschaftlichen Auswirkungen durch die weltweite Corona Pandemie begleitet. Zu ihrer Eindämmung wurden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, die seit Beginn der Pandemie immer wieder auch Protest auf der Straße nach sich zogen. Neben berechtigten Kritikpunkten gab es im vergangenen Jahr aber auch zunehmend Proteste, welche verstärkt an Verschwörungserzählungen, Fake News und eindeutig extrem rechten Ideologiemustern anknüpften. Es entstand eine Art Pegida 2.0 mit Großdemonstrationen in Stuttgart, Leipzig, Berlin und anderswo mit zum Teil mehreren zehntausend Teilnehmer*innen. Die Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf versuchte im Rahmen des Engagements des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und darüber hinaus den gesundheitlichen, sozialen und politischen Gefahren und Herausforderungen im Rahmen der Pandemie ein solidarisches Miteinander in den Kiezen des Bezirks z.B. in Form der Kampagne Solidarische Kieze Marzahn-Hellersdorf entgegenzusetzen. Viele stehen weiterhin für eine diverse und solidarische Gesellschaft ein, die gerade in diesen schwierigen Zeiten auf ein zivilgesellschaftliches Miteinander anstatt gesellschaftlicher Spaltung und Diskriminierung setzt. Die Anzeichen für eine akute Gefährdung der Demokratie nehmen nicht ab. Um diesen Entwicklungen mit Hilfe einer demokratisch engagierten und vielfältigen Zivilgesellschaft aktiv etwas entgegenzusetzen, ist es wichtig die Demokratieentwicklung in den Kommunen auch mit neuen Ideen und Ansätzen voranzubringen. Hierzu soll der Demokratiebericht als 4 Demokratiebericht2020 Handwerkzeug für Engagierte einen kleinen Beitrag leisten. Der Demokratiebericht Marzahn-Hellersdorf erscheint bereits zum dritten Mal als Kooperation der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf (pad gGmbH) und den Projekten Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf sowie den beiden externen Koordinierungs- und Fachstellen der Partnerschaft für Demokratie Marzahn und der Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf in Trägerschaft der Stiftung SPI (Sozialpädagogisches Institut). Im ersten Teil stellt das bezirkliche Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle die aktuellen Fallzahlen für das Jahr 2020 vor, es wird eine vergleichende Auswertung vorgenommen und ein Fazit gezogen. Der Schwerpunkt im zweiten Teil liegt auf praktischen Beispielen aus dem Bereich der Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf. Es soll auch für das Jahr 2020 aufgezeigt werden, wie vielfältig die Aktivitäten der Zivilgesellschaft, der sozialen Träger und Einrichtungen vor Ort sowie dem Bezirksamt trotz allem waren, um damit einen motivierenden und aktivierenden Beitrag für weiteres Engagement zu leisten. Die Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf und das bezirkliche Integrationsbüro berichten in diesem Demokratiebericht – wie bereits in den vergangenen Jahren – ausführlich über die zahlreichen Aktivitäten zur Stärkung der Demokratieentwicklung bzw. zur Integrationsarbeit hinsichtlich von Menschen mit Fluchterfahrungen in unserem Bezirk. Im letzten Teil des Berichtes wer- den aus den aktuellen bezirklichen Entwicklungen und den im Bericht dargestellten zivilgesellschaftlichen Strukturen Schlussfolgerungen für die weitere Demokratieentwicklung und damit einhergehend mögliche Handlungsideen entwickelt. Aktuelle Entwicklung von Rassismus, der extremen Rechten und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr im Bezirk ReachOut, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnet mit 357 Angriffen für das Jahr 2020 nur einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (2019: 390) – die Fallzahlen bleiben aber berlinweit auf einem erschreckend hohen Niveau. Mindestens 493 (2019: 509) Menschen wurden verletzt, gejagt oder massiv bedroht. (Vgl. ReachOut: https://www.reachoutberlin.de/de/Aktuelles/Ver%C3%B6ffentlichungen/ Pressemitteilung/Pressemitteilung%20 zu%20den%20Angriffen%20in%20 Berlin%202020/) Für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf erfasst die Statistik von ReachOut 18 Angriffe mit einem rechten, rassistischen oder antisemitischen Tatmotiv. Damit befindet sich der Bezirk berlinweit an drittletzter Stelle (gleichauf mit Tempelhof-Schöneberg). Bei ReachOut geht man davon aus, „dass die aufgeheizte und aggressive Stimmung während der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen“ auch „über das unmittelbare Demonstrationsgeschehen hinaus“ gewirkt und damit zu den weiterhin hohen Zahlen beigetragen haben könnte, erklärte Sabine Seyb. Von Angriffen mit direktem Corona-Bezug erfuhr die Beratungsstelle in elf Fällen. Vermutlich gebe es zudem ein hohes Dunkelfeld mit anti-asiatischem Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie. Laut den beiden Registerstellen in Marzahn-Hellersdorf stieg die Zahl der insgesamt gemeldeten Fälle mit extrem rechten Hintergrund um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das hört sich erstmal gewaltig an, es handelt sich dabei aber vor allem um Propaganda-Fälle“, erklärt Hannes Obens vom Register Marzahn-Hellersdorf. Grund für die Entwicklung sei auch, dass es inzwischen mehr Melder*innen im Bezirk gebe, sagte Obens dem „Tagesspiegel“ (mehr dazu im entsprechenden Beitrag der Registerstelle im Demokratiebericht). Zu rassistischen Vorfällen im Bezirk sowie zu bundesweit relevanten Ereignissen wie dem rechtsterroristischen Attentat in Hanau, hat sich das Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf wiederholt in Form von Pressemitteilungen, auf dem Demokratiefest „Schöner Leben ohne Nazis“ oder in den sozialen Netzwerken klar positioniert. Das Bündnis versucht weiterhin in seiner alltäglichen Arbeit und mit Kampagnenformaten wie z.B. „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“ oder „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen“ eine antifaschistische und antirassistische Alltagspraxis in den Stadtteilen unseres Bezirks zu stärken. Ein wesentlicher rechtspopulistischer Akteur im Bezirk ist nach wie vor die AfD. Auch wenn die AfD-Fraktion in der BVV weiterhin geschrumpft ist, so ist die Anzahl der öffentlichen Diffamierungen von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Bezirk in den sozialen Medien, in Form von Anfragen, vermeintlichen Kontrollbesuchen oder Angriffen auf die Gemeinnützigkeit sowie Tätigkeit von freien Trägern weiterhin hoch. Auch im Superwahljahr 2021 zeichnet sich bereits in den ersten Monaten eine hohe Anzahl der Diffamierungsversuche gegen die Zivilgesellschaft im Bezirk ab. Umso wichtiger sind hier weiterhin das Zusammenhalten und die gemeinsame Positionierung aller betroffenen Akteur*innen und ihrer Unterstützer*innen. Im Herbst 2020 gab es starke Proteste und Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Kräften gegen den geplanten Landesparteitag der AfD im Bezirk. Aufgrund einer fehlenden Brandschutzgenehmigung für den Tagungsort musste die Veranstaltung zeitlich als auch örtlich verschoben werden. Aufgrund hoher Umfragewerte zu den im September bevorstehenden Wahlen zur BVV – die AfD liegt hier als stärkste Kraft mit 25,5 % an erster Stelle (Quelle: Wahlkreisprognose vom 19.1.2021) – bleibt eine Auseinandersetzung mit den politischen Äußerungen, die zum Teil rassistischen und rechtspopulistischen Charakter haben, zentral. Darüber hinaus besteht im Bezirk auch die Gefahr einer weiteren Radikalisierung der rechtsoffenen Coronaproteste. Der gemeinsame Nenner der Akteur*innen bei den „Querdenken“-Versammlungen bzw. den verschwörungsideologisch ausgerichteten Autokorsos mit Startpunkt im Bezirk tritt immer deutlicher hervor: antisemitische Verschwörungserzählungen und die Bagatellisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Mit den im Zuge der Pandemie entstandenen Ansätzen einer neuen Ausformung der politischen Bewegung von rechts ist es den entsprechenden Akteur*innen gelungen, unterschiedlichste politische Spektren zu vereinen – hier teilen wir die Analyse der „Belltower News“ in ihrem Rückblick auf das Jahr 2020: „Die mit dem Label „Querdenken“ assoziierten Protestmilieus vereinen insbesondere die Verbreitung von (in Teilen offen antisemitischen) Verschwörungserzählungen, regelmäßige Relativierungen des Nationalsozialismus sowie die Akzeptanz der Teilnahme von Akteur*innen der rechtsextremen Szene. Differenzen in anderen politischen Feldern, widersprüchliche Gesellschaftskonzeptionen und konträre politische Selbstverortungen werden für die Dauer der Mobilisierung zu Gunsten des gemeinsamen Feindbildes zurückgestellt: die angebliche „Corona-Diktatur“. Die Spanne des auf der Straße versammelten Spektrums reicht von Corona-Leugner*innen, Impfgegner*innen, augenscheinlich esoterischen Milieus, Pegida-Anhänger*innen und Mitgliedern evangelikaler Freikirchen über Teilnehmende der „Montagsmahnwachen für den Frieden“, Vertreter*innen verschwörungsideologischer „Alternativmedien“, QAnon-Gläubigen „Reichsbürgern“, AfD-Mitgliedern und –Mandatsträger*innen bis hin zu klassischen Rechtsextremen und einer rechten Mischszene aus Hooligans, Gewaltprofis und „Bürgerwehren“. Bemerkenswert war die häufige Nutzung einer im Kontext des Nationalsozialismus geprägten Terminologie und Bildsprache, die im eigenen Sinne ideologisch umgedeutet wird. Dazu zählen kontinuierliche begriffliche Gleichsetzungen der Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit dem Ermächtigungsgesetz oder die bagatellisierende Aneignung der Verfolgungsgeschichte von Jüdinnen*Juden im Nationalsozialismus durch die Verwendung von „Judensternen“. Diese Verharmlosungen des Nationalsozialismus sind anschlussfähig an den von rechts mit wachsender Vehemenz geführten Kulturkampf um die Deutung von Geschichte und reiDemokratiebericht2020 5 hen sich ein in eine regelrechte Welle von Angriffen auf die Gedenk- und Geschichtskultur in Deutschland.“ (Quelle: http://www.belltower. news/jahresrueckblick-2020-berlin-109097/) Im Gegensatz dazu verharrt die extrem rechte NPD auch im Bezirk Marzahn-Hellersdorf weiterhin auf der Ebene der Bedeutungslosigkeit. Neben kleinteiligen Propagandaaktivitäten und einzelnen Beteiligungen an Kundgebungen ist die Partei auf Bezirksebene kaum mehr wahrzunehmen. Auch die „Identitäre Bewegung“ und andere extrem rechte Akteur*innen treten momentan zumeist nur in Form von sogenannten Propagandadelikten (Aufkleber, Plakate und Sprühereien) in Erscheinung. In einzelnen Kiezen des Bezirks – wie z.B. Hellersdorf-Ost – versuchten Angehörige der extrem rechten Szene in Form von sozialräumlichen Gebietsmarkierungen (extrem rechte Graffitis in Form von verfassungsfeindlichen Symbolen und Parolen, großflächige Aufkleber Serien mit NS-Bezug) eine vermeintliche Raumergreifungsstrategie umzusetzen. Dank einer sehr wachen Zivilgesellschaft konnten die Gebietsmarkierungen zumeist zeitnah entfernt werden. Im benachbarten Hohenschönhausen führte die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ am 3. Oktober einen als Jahreshöhepunkt angedachten Aufmarsch durch. Dieser musst jedoch aufgrund breiter zivilgesellschaftlicher Proteste massiv verkürzt werden. Die Teilnehmer*innenzahl erfüllte nicht die Erwartungen der Nazipartei, nur ein kleiner Teil von ihnen kam tatsächlich aus Berlin. Die Berliner Struktur des III. Weg erhöhte im Vorfeld des Aufmarsches zwar ihre Aktivitäten auch im Bezirk Marzahn-Hellersdorf spürbar, v.a. in Form von Flugblattverteilungen, dem Verkleben von Aufklebern und dem Anbringen von nationalsozialistischen Graffitis. Die Zahl der Mitglieder dürfte aber berlinweit weiterhin im niedrigen zweistelligen Bereich liegen. 6 Demokratiebericht2020 Corona-Krise befördert solidarisches Miteinander in den Nachbarschaften von Marzahn-Hellersdorf Im Rahmen der Covid19-Pandemie haben sich viele Bürger*innen in Marzahn-Hellersdorf an der Schaffung von solidarischen und selbstorganisierten Nachbarschaftsstrukturen beteiligt. Es kam zu vielfältigen Formen gegenseitiger Hilfe in Form von Einkäufen, Gabenzäunen, der Einrichtung einer Telegram-Gruppe zur besseren Vernetzung, dem Einsatz vieler engagierter Einzelpersonen über die bezirkliche FreiwilligenAgentur u.v.m. (Vgl. https://koordinierungsstelle-mh. de/solidarische-und-selbstorganisierte-nachbarschaftsstrukturen-in-zeiten-der-corona-krise/). Zudem versucht die im Frühjahr 2020 gestartete Kampagne Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf das Miteinander in den Kiezen besser zu vernetzen und sichtbarer zu machen. Nachzulesen ist dies in einem Beitrag von Elene Misbach von der Alice Salomon Hochschule in diesem Demokratiebericht. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz verfasste im März 2021 – rückblickend auf ein Jahr Corona-Krise – ein ausführliches Statement zu den sozialen Folgen der Pandemie, aber auch den zahlreichen Hilfsangeboten im Bezirk (siehe Beitrag im Demokratiebericht). Auch wenn viele zivilgesellschaftliche Aktivitäten im Jahr 2020 der Pandemie zum Opfer fielen, so konnten dennoch wichtige Veranstaltungen wie das zentrale bezirkliche Demokratiefest „Schöner Leben ohne Nazis“ oder das „Respekt und Neugier Festival“ erfolgreich durchgeführt werden. Auch die verschiedenen sozialen Träger und Einrichtungen, die Schulen, Kitas, Jugendfreizeiteinrichtungen und Stadtteilzentren haben es geschafft, trotz der schwierigen aktuellen Situation, die soziale Infrastruktur im Bezirk erfolgreich aufrechtzuerhalten. Und auch das Bezirksamt und die demokratischen Parteien haben einen wichtigen Beitrag dafür geleistet, dass sich die soziale Situation im Bezirk nicht wesentlich verschlechtert hat. Damit es so bleibt und die sozialen Folgen der Krise weiterhin abgefe- dert werden können, ist es wichtiger denn je, dass alle an einem solidarischen und demokratischen Miteinander interessierten Akteur*innen im Bezirk weiterhin gemeinsam an einem Strang ziehen. Nachbarschaftsinitiativen, Vereine und soziale Netzwerke – Marzahn-Hellersdorf benötigt vielfältige zivilgesellschaftliche Aktivitäten, um die Herausforderungen im Bezirk auch in Zukunft bewältigen zu können. Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung wird sich dafür auch im Jahr 2021 stark machen. Der hier vorliegende Jahresbericht der Demokratieentwicklung am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf für 2020 zeigt die Entwicklungen in Bezug auf extrem rechtes, rechtspopulistisches und diskriminierendes Geschehen im Bezirk auf und ordnet diese ein. Zudem berichtet er über die vielfältigen Aktivitäten der Zivilgesellschaft und anderer Akteur*innen zur Stärkung der Demokratieentwicklung bzw. des solidarischen Miteinanders. Er ist in erster Linie als Handreichung für die zivilgesellschaftlichen und emanzipatorischen Akteur*innen im Bezirk sowie der interessierten Öffentlichkeit gedacht. Die Redaktion des Demokratieberichtes bedankt sich ausdrücklich bei allen an diesem Bericht beteiligten Menschen. Ohne ihr Engagement wäre dieser Demokratiebericht nicht möglich gewesen. Viel Spaß beim Lesen Demokratiebericht2020 7 Auswertung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf 2020 Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf 8 Das Register Aufgaben & Ziele Möglichkeiten und Grenzen Das „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf“ dokumentiert rechtsextreme, diskriminierende und menschenfeindliche Vorfälle im Bezirk. Es ist seit 2008 Teil der Berliner Register, die inzwischen in allen Berliner Bezirken eingerichtet worden sind. Die dokumentierten Vorfälle werden von Bürger:innen sowie Netzwerkpartner:innen gemeldet und an die Koordinierungsstelle des bezirklichen Registers weitergeleitet. Dort werden sie gesammelt, redaktionell ausgewertet und veröffentlicht. Die Register und ihre Berliner Koordinierungsstelle werden aus dem Landesprogramm „Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung finanziert. Das Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf ist in Trägerschaft der Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin und wird von den Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf geführt. Zusätzlich besteht eine Kooperation mit dem hochschulfinanzierten „Antirassistischen Register an der Alice-Salomon-Hochschule“. Die Registerstelle dokumentiert und veröffentlicht rassistische, antisemitische, rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle in der Chronik des Registers Marzahn-Hellersdorf (https://www.berliner-register.de/ chronik/marzahn-hellersdorf). Zusätzlich leistet die Registerstelle wichtige Vernetzungs-, Recherche- und Analyseaufgaben wie die quantitative und qualitative Auswertung der erfassten Daten. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit ist ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld und wird beispielsweise durch jährliche Publikationen und die Teilnahme an einer gemeinsamen Pressekonferenz aller Berliner Registerstellen umgesetzt. Die im Folgenden dargestellten Zahlen schließen nur die dem Register gemeldeten Vorfälle ein und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, weil die Zahl der Melder:innen begrenzt ist und ein umfassendes Monitoring – insbesondere der Sozialen Medien – personell nicht zu leisten ist. Dennoch ist der weitere Ausbau der Netzwerkstrukturen und die Erweiterung der Basis der Melder:innen für die Berliner Register von höchster Priorität, um die Situation vor Ort so realistisch wie möglich einzuschätzen sowie Tendenzen und Entwicklungen auf lokaler Ebene frühzeitig zu erkennen. Wir sind also auf Ihre Hilfe angewiesen! Melden Sie uns rechtsextreme, antisemitische, rassistische, LGBTIQ*-feindliche, sozialchauvinistische und behindertenfeindliche Vorfälle! Dabei kann es sich neben Angriffen, z.B. auch um Bedrohungen, Pöbeleien oder extrem rechte Propaganda handeln. Beschreiben Sie uns den Vorfall in einer Mail bitte möglichst genau (Uhrzeit, Ort und Beteiligte). Wir freuen uns auch über Dokumentationen der Vorfälle (z.B. Fotos), sofern dies möglich ist. Kontakt: pfd-mh@stiftung-spi.de und via twitter.com/RegisterMaHe Demokratiebericht2020 Diese Tätigkeiten dienen dem Ziel der Sichtbarmachung von Diskriminierung im Alltag auf lokaler Ebene. Daher dokumentieren die Register auch niedrigschwellige, nicht zwangsläufig strafrechtlich relevante Vorfälle wie z.B. Aufkleber, die nicht von Polizeistatistiken erfasst werden. Die lokalen Registerstellen fungieren darüber hinaus als Anlauf- und Vermittlungsstellen für Betroffene. Kategorisierung der Vorfälle Die Registervorfälle werden kategorisiert, d.h. sie werden nach Art, Inhalt und Ort der Vorfälle sortiert. Jeder Vorfall wird nur einer Kategorie zugeordnet. Auf Grundlage dieser Kategorien erstellt das Register eine fortlaufende Jahreschronik, die ein differenziertes Bild der Situation vor Ort ermöglicht und Rückschlüsse für Handlungsbedarf liefert. Vorfälle können dem Register von Anlaufstellen und Privatpersonen gemeldet werden. Darüber hinaus werden auch Pressemeldungen in die Chronik einbezogen. Personen, die Vorfälle melden, werden grundsätzlich anonymisiert. • • • eine der durch die Register erfassten Inhalte zu bewerben BVV: mündliche oder schriftlicheBeiträge mit extrem rechtem und/ oder diskriminierenden Inhalten in der Bezirksverordnetenversammlung Strukturelle Benachteiligung: Diskriminierung durch z.B. Behörden und Institutionen, die in eine der inhaltlichen Kategorien der Register passt Sonstige: Alle Vorfälle, die sich keiner der Kategorien zuordnen lassen Inhaltliche Zuordnung Rechte Selbstdarstell. 52 Wahlen 0 Verharml./Verherrl. d. NS 69 Politisch. Gegner:innen 35 Antisemitismus 10 Behindertenfeindlichk. 0 LGBTIQ*-Feindlichkeit 8 Rassismus 59 Antiziganismus 5 Antimuslimischer Rass. 7 Antischwarzer Rass. 7 Sozialchauvinismus 0 Auswertung 2020: Art der Vorfälle Insgesamt 252 Es werden sieben verschiedene Arten von Vorfällen vom Register unterschieden. Auswertung 2020: Inhalt der Vorfälle Art der Vorfälle • • • • • Angriff 17 Bedroh./Beleid./Pöbel. 33 BVV 0 Propaganda 186 Sachbeschädigung 5 Strukt. Benachteil. 4 Veranstaltung 4 Sonstiges 3 Insgesamt 252 Angriffe: massive Bedrohungen, (versuchte) Körperverletzungen und Brandstiftungen Bedrohung, Beleidigung, Pöbelei: Bedrohungen und Beschimpfungen, Rufen von Parolen und der Hitlergruß Sachbeschädigung: zielgerichtete Sachbeschädigungen, wie etwas eingeschlagene Fenster von Parteibüros oder umgestoßene Gedenksteine Propaganda: Aufkleber, Plakate, Flugblätter, Sprühereien oder Internetseiten mit extrem rechtem und/oder diskriminierendem Inhalt Veranstaltung: Infostände, Vortragsabende, Demonstrationen und Konzerte, die dazu dienen Auch der Inhalt, also das Ziel oder der:die Adressat:in des Vorfalls, wird in Kategorien erfasst. Drei Kategorien haben dabei einen starken Bezug zum Rechtsextremismus1 und Rechtspopulismus.2 • • • Rechte Selbstdarstellung: Materialien von extrem rechten und rechtspopulistischen Organisationen, Parteien und Gruppierungen, deren Zweck es ist, die Organisationen oder Inhalte zu bewerben Wahlen: Materialien von extrem rechten und rechtspopulistischen Organisationen, Parteien und Gruppierungen, deren Zweck es ist für die Wahl ebendieser Organisationen zu werben Verharmlosung/Verherrli- • chung des NS: Alle Vorfälle mit positivem Bezug auf den Nationalsozialismus, seine Symbole oder bekannte Repräsentanten Politische Gegner/innen: rechte Aktionen, die sich gegen bestimmte Politiker/innen, Engagierte oder Nicht-Rechte richten Fünf weitere Inhaltskategorien haben einen engen Bezug zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (im Folgenden GMF) und sich daraus äußernder Diskriminierung. Der Begriff Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht auf den Bielefelder Soziologen Prof. Wilhelm Heitmeyer zurück. GMF wird dadurch gekennzeichnet, „dass sie sich auf verschiedene Gruppen in der Gesellschaft bezieht, die als schwach, abweichend, nicht normal oder fremd und so weiter markiert werden.“3 Bei der Abwertung von Personengruppen ist die tatsächliche Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht zwingend ausschlaggebend. Häufig ist auch die vermutete Gruppenzugehörigkeit ausreichend für eine Abwertung. Für die Arbeit der bezirklichen Register werden einzelne Abwertungsformen aus diesem Theorieansatz verwendet. • Rassismus: negative, biologische und/oder kulturelle Zuschreibung in Bezug auf „Rassen“, Kulturen, Völkern oder Ethnien. Unterkategorien bilden hierbei antimuslimischer und antischwarzer Rassismus sowie die Ablehnung und Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma (Antiziganismus). Diese werden separat erfasst. • Antisemitismus: feindliche Aktionen gegen jüdische, oder als jüdisch wahrgenommene Personen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Einrichtungen • LGBTIQ*-Feindlichkeit: Ablehnung gegenüber Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. LGBTIQ* ist die Abkürzung für folgende Begriffe: Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*gender, Intersexual, Queer. Im deutschen Sprachgebrauch entsprechend: lesbisch, schwul, bisexuell, trans*gender, intersexuell und queer Demokratiebericht2020 9 • • Sozialchauvinismus: Unter Sozialchauvinismus wird die Feindlichkeit gegenüber Personen verstanden, die als „sozial schwach“ stigmatisiert werden – auch Obdach- und Wohnungslose. Behindertenfeindlichkeit: Ablehnung von Menschen mit physischer Beeinträchtigung oder Lernschwierigkeiten Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird in unterschiedliche Erscheinungsformen (s.o.) von Menschenfeindlichkeit differenziert, die in einem Wechselzusammenhang stehen. Hingegen wird bei Rechtsextremismus von einer geschlossenen Ideologie ausgegangen. Beide sind jedoch nicht isoliert voneinander zu betrachten, da GMF und Rechtsextremismus sich häufig gegen dieselben Personengruppen richten. Orte 104 1 23 15 13 Hellersdorf-Nord 63 Hellersdorf-Ost 18 Hellersdorf-Süd 48 Kaulsdorf 3 Mahlsdorf 5 Marzahn-Mitte 45 Marzahn-Nord 5 Marzahn-Süd 22 Bezirksweit/unbekannt 15 Internet 15 Insgesamt 252 • 33 Marzahn-Nord: liegt östlich 17 der Wuhletalstraße und ist eingerahmt von der Ahrensfelder Chaussee und der Grenze zum brandenburgischen Landkreis Barnim • Marzahn-Mitte: wird begrenzt von der Wuhletalstraße, der Landsberger Allee und der Be10 Demokratiebericht2020 • • • • Biesdorf Auswertung 2020: Ort der Vorfälle 3 4 Um die rechtsextremen Aktivitäten 4 genauer verorten zu können, wur5 de die Einteilung in Bezirksregionen 186 übernommen. 1 10 • • • • zirksgrenze zu Lichtenberg sowie der Grenze zum brandenburgischen Landkreis Barnim Marzahn-Süd: liegt westlich der Wuhle bzw. des südlichen Teils der Allee der Kosmonauten und der Märkischen Allee, östlich der Rhinstraße, südlich von Marzahn-Mitte und umfasst den Kienberg Biesdorf: wird begrenzt von der Wuhle im Osten, der Bezirksgrenze zu Treptow-Köpenick im Süden, zu Lichtenberg im Westen sowie der Elisabethstr. im Norden Hellersdorf-Nord: wird in westlicher Richtung durch die Wuhle, im Süden durch die U-Bahnlinie 5 und im Norden durch die Landsberger Chaussee begrenzt Hellersdorf-Ost: grenzt im Süden an den brandenburgischen Landkreis Märkisch Oderland und umfasst die Großsiedlungsgebiete südliche der U-Bahnlinie 5 Hellersdorf-Süd: liegt in der Mitte von Marzahn-Hellersdorf, östlich der Wuhle und umfasst außerdem das Neubaugebiet Hellersdorf-Süd Mahlsdorf: umfasst das durch Einfamilienhäuser und Stadtvillen geprägte Siedlungsgebiet, das westlich von Kaulsdorf, östlich vom brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland sowie südlich von Treptow-Köpenick eingerahmt wird Kaulsdorf: das Gebiet im südlichen Hellersdorf, das östlich der Wuhle, südlich der Gülzower bzw. Grottkauer Str. sowie nördlich von Treptow-Köpenick liegt bezirksweit/unbekannt: wird verwendet, wenn ein Vorfall nicht eindeutig einem Ortsteil • zugeordnet werden kann, wie beispielsweise Vorfälle im ÖPNV. in einigen Fällen kann der Vorfallsort nicht eindeutig bestimmt werden und wird daher in dieser Kategorie aufgenommen. Internet: bezieht sich auf Vorfälle mit klarem Bezug zu Marzahn-Hellersdorf, die im Internet stattfinden Vorfallszahlen und vergleichende Auswertung Jahresvergleich: Art der Vorfälle * Die Kategorie „Strukturelle Benachteiligung“ wurde erst im Jahr 2020 eingeführt Die Zahl der gemeldeten Vorfälle ist mit 252 im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rund 60% (98 Vorfälle) gestiegen. Diese Entwicklung ist in erster Linie Folge des Anstieges der registrierten Propaganda-Vorfälle. Die extrem rechte Szene nutzte den Lockdown im Frühjahr 2020 zur Verbreitung von Propaganda, u.a. auch gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Neben extrem rechten Aufklebern und Plakaten, wurden zudem vermehrt verschwörungsideologische Propaganda-Vorfälle gemeldet. Im Spätsommer 2020 versuchte zusätzlich die neonazistische Partei „Der III. Weg“ mit einer Propaganda-Kampagne zu einer Demonstration am 3. Oktober nach Berlin-Hohenschönhausen zu mobilisieren. Zudem stieg auch die Zahl der Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien von 23 Vorfällen im Jahr 2019 auf 33 Vorfälle im Jahr 2020, was einen Anstieg um 48% entspricht. Dies wird vom Register als eine Auswirkung der gesamtgesellschaftlichen, pandemie- Jahresvergleich 2019/2020 nach Art 17 Angriff 15 Bedrohung/Beleidigung 23 33 BVV 01 Propaganda Sachbeschädigung 0 5 Strukturelle Benachteiligung* 0 4 Veranstaltung 4 10 Sonstiges 13 0 20 40 Spalte B 104 60 80 Spalte C 186 186 100 120 140 160 180 200 1 1 18 9 21 43 1 8 13 2 30 7 15 bedingten Spannungen gedeutet, die 15 sich auch im Zwischenmenschlichen 22 niederschlägt. 5 wird auch die weiterhin stabiÄhnlich 45 le Zahl der Angriffe gedeutet (2019: 5 15 Angriffe; 2020: 17 Angriffe). Denn 3 obwohl angenommen werden kann, 48 durch den Lockdown im Frühdass 18 jahr und Spätherbst 2020 weniger 63 Begegnungen zwischen Menschen 13 im öffentlichen Raum stattgefunden haben, blieben die Angriffszahlen auf einem gleichbleibenden Niveau. Ein vergleichsweise bedeutender Rückgang wurde in der Kategorie Veranstaltungen verzeichnet. Dies wird ebenfalls auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zurückgeführt. Jahresvergleich 2019/2020 nach Ort 13 7 Hellersdorf-Nord Hellersdorf-Süd 8 Mahlsdorf 1 5 4345 5 Marzahn-Nord 21 22 9 15 18 15 bezirksweit/unbekannt* 1 berlinweit*** 0 1 0 10 20 Spalte B „Rechte Selbstdarstellung“ wurden hingegen überwiegend Aufkleber und Schmierereien subsumiert, in denen sich die Law-and-Order-Parolen neonazistischer Parteien (z.B. NPD und Der III. Weg) oder ein Dominanzgebaren extrem rechter Gruppierungen (z.B. Identitäre Bewegung, Autonome Nationalisten) in einzelnen Kiezen ausdrückten. Der quantitative Anstieg der Vorfallszahlen zeigt sich zudem auch in denjenigen Inhaltskategorien, die Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zuzuordnen sind. Insbesondere rassistische Vorfälle und solche, die sich gegen politische Gegner:innen richten, haben stark zugenommen. Auf diese beiden Kategorien entfallen, neben Propaganda, auch die meisten Bedrohungen und Angriffe. Auch hier wird vermutet, dass latente Einstellungen aufgrund der Corona-Krise stärker zutagetraten. Auffällig ist zudem der für Marzahn-Hellersdorf starke Zuwachs antisemitischer Vorfälle. In den Vorjahren stellte Antisemitismus vergleichsweise selten das Vorfallsmotiv dar. Durch die Verbreitung mitunter Der Anstieg der Propagandavorfälle spiegelt sich auch in der inhaltlichen Zuordnung der Vorfälle wider. Vor allem die üblicherweise extrem rechten Vorfallskategorien „Verharmlosung/ Verherrlichung des Nationalsozialismus“ und „Rechte Selbstdarstellung“ sind im Jahresvergleich gestiegen (Verharmlosung/Verherrlichung des NS um 156% auf 69 Vorfälle und Rechte Selbstdarstellung um 53% auf 52 Vorfälle). In erstgenannte Kategorie fielen 2020 eine Vielzahl von bezirksweiten Schmierereien von Runen und Zahlencodes, die einen Bezug zum Nationalsozialismus aufweisen, sowie die Forderung zur Freilassung bekannter NS-Leugner:innen. Unter Jahresvergleich 2019/2020 nach Inhalt 10 1 0 0 3 8 35 16 59 40 35 7 14 47 0 52 34 0 0 0 12 10 Spalte B 48 13 3 Jahresvergleich: Inhalt der Vorfälle [Anmerkung: Die Kategorie „Antischwarzer Rassismus“ wurde 2018 nicht gesondert erhoben.] Antisemitismus Behindertenfeindlichkeit* LGBTIQ*-Feindlichkeit Polit. Gegner:innen Rassismus Antiziganismus Antimuslimischer Rassismus Antischwarzer Rassismus Rechte Selbstdarstellung Wahlkampf Sozialchauvinismus* Verharmlosung/Verherrlichung NS 63 30 18 2 20 27 30 Spalte C 69 40 50 60 70 30 40 50 60 70 Spalte C antisemitischer Verschwörungserzählungen im Zuge der Corona-Pandemie, wurde daher auch vermehrt antisemitische Propaganda verteilt. Jahresvergleich: Ort der Vorfälle * Die Kategorien „stadtteilübergreifend“ und „unbekannt“ wurden 2020 zu der Kategorie „bezirksweit/ unbekannt“ zusammengefasst. ** Die Kategorie „Internet“ wurde 2019 noch als „berlinweit Internet“ geführt. In 2020 wurde sie in „Internet (Marzahn-Hellersdorf)“ umgeändert. *** “berlinweit“ wurde 2020 nicht mehr einzelnen Bezirken zugeordnet. Wie auch schon in den Vorjahren fanden im Jahr 2020 nahezu alle dokumentierten Vorfälle, unabhängig von Art und Inhalt im öffentlichen Raum statt. Schwerpunktmäßig fanden die registrierten Meldungen im Gesamtbezirk Marzahn-Hellersdorf weiterhin in den Großsiedlungen statt. Dies dürfte aber auch daran liegen, dass dort mehr Menschen wohnen und die öffentliche Infrastruktur (Einkaufsmöglichkeiten, ÖPNV etc.) engmaschiger ist. In Hellersdorf sind nach wie vor in Hellersdorf-Nord die meisten Vorfälle zu verzeichnen. Aber auch in Hellersdorf Ost und Süd sind die Vorfälle stark gestiegen. In Marzahn weist weiterhin Marzahn-Mitte die höchsten Fallzahlen auf. Auffällig ist zudem, dass in Marzahn Nord, trotz des allgemeinen Anstiegs, ein Rückgang festzustellen ist, Die bezirklichen Siedlungsgebiete (Kaulsdorf, Mahlsdorf, Biesdorf) weisen im Vergleich zur Großsiedlung niedrigere 80 Demokratiebericht2020 11 Fallzahlen auf. Aber auch hier lässt sich, mit Ausnahme von Kaulsdorf, eine Zunahme der Vorfälle feststellen. Zusammenfassung & Ausblick Die Zahl der registrierten rechtsextremen und diskriminierenden Vorfälle ist von 154 im Vorjahr auf 252 Vorfälle im Jahr 2020 gestiegen. Im berlinweiten Vergleich aller Bezirke steht Marzahn-Hellersdorf damit im Mittelfeld. Der Anstieg im Jahr 2020 wird in erster Linie auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückgeführt. Solche gesellschaftlichen und politischen Krisen werden von der extremen Rechten zur Mobilisierung genutzt. Auch Verschwörungserzählungen, die vermeintliche Schuldige für die Krise benennen, finden in solchen Zeiten weitere Verbreitung. Trotz allem ist aber weiterhin davon auszugehen, dass die gemeldeten Vorfälle nur einen Teil der tatsächlich stattfindenden Vorfälle abbilden. 12 Demokratiebericht2020 Es gilt die Aktivitäten neonazistischer und extrem rechter Gruppierungen auch im Jahr 2021 im Blick zu behalten. Die Corona-Pandemie wird auch weiterhin eine wesentliche, gesamtgesellschaftliche Rolle spielen sowie langfristige soziale und ökonomische Folgen nach sich ziehen. Vor dem Hintergrund der Wahlen im September 2021 in Berlin, ist von einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung auszugehen. Eine besondere Herausforderung für die lokale Zivilgesellschaft ist das aggressiv wahrgenommene Verhalten der AfD gegenüber demokratischen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen im Bezirk. Dies beinhaltet z.B. Polemiken gegen demokratisch engagierte Personen, Initiativen und Einrichtungen. Damit erweckt die AfD den Eindruck, das Ziel zu verfolgen, Personen gezielt einzuschüchtern und demokratisches Engagement zu delegitimieren. Im Wahljahr 2021 ist mit einer weiteren Zunahme derarti- ger Polemiken und Anfeindungen zu rechnen. Die hohe Anzahl der Vorfälle sowie die Wahlergebnisse in 2017 und 2019 weisen darauf hin, dass Rassismus sowie eine relativ große Zustimmung zu extrem rechten Thesen nach wie vor ein Problem im Bezirk sind. Die vorhandene und engagierte demokratische Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf wird auch 2021 wertvoll sein, um extrem rechten Entwicklungen im Bezirk entschlossen und solidarisch entgegenzuwirken. Exemplarische Vorfälle aus der Jahreschronik 2020 7. Oktober 2020 Antimuslimischer Angriff in Marzahn-Mitte Eine 29-jährige Frau wurde gegen 11.25 Uhr vor einem Supermarkt in der Allee der Kosmonauten von einer 63-jährigen Frau aus antimuslimischer Motivation beleidigt und am Hinterkopf gepackt. Die 63-Jährige griff der 29-Jährigen ins Gesicht, kratzte sie und versuchte ihr das Kopftuch herunterzureißen. Art: Angriff Inhaltliche Zuordnung: Antimuslimischer Rassismus Ort: Marzahn-Mitte Quelle: ReachOut 28. November 2020 Antisemitische Pöbelei in Kaulsdorf Als ein Mann anlässlich des 9. November zwei Stolpersteine für Elsa Veronika Fischl und ihre Tochter Ilse Friederike Fischl im Mädewalder Weg 37 säuberte, kommentierten dies zwei ältere Frauen. Sie bestritten, dass Elsa Veronika Fischl und Ilse Friederike Fischl jemals in dem Haus gelebt hätten und machten sich über Putzaktion des Mannes verächtlich. Beim Verlassen der Szenerie riefen sie dem Mann Holocaust-Relativierungen hinterher. Art: Bedrohung/Beleidigung/Pöbelei Inhaltliche Zuordnung: Antisemitismus Ort: Kaulsdorf Quelle: RIAS 19. Dezember 2020 NS-Symboliken in Marzahn-Mitte Im Umfeld der Bushaltestelle Schleusinger Straße und In der Ludwig-Renn-Straße wurden mehrere extrem rechte Schmierereien („Skins“) entdeckt. Der Buchstabe S wurde in den Schmierereien als Siegrune geschrieben. Die doppelte Siegrune war in der Zeit des Nationalsozialismus das Emblem der Schutzstaffel (SS). Die Verwendung ist heute gesetzlich verboten. Zudem befanden sich teilweise Aufkleber der extrem rechten Partei „III. Weg“ und Hakenkreuze direkt neben den Schmierereien. Art: Propaganda Inhaltliche Zuordnung: Verharmlosung/Verherrlichung des NS Ort: Marzahn-Mitte Quelle: Augenzeug:in/Register Marzahn-Hellersdorf 15. April 2020 Zahlreiche extrem rechte Sticker entlang der U5 Entlang der U5, zwischen dem Bahnhöfen Louis-Lewin-Str. und Biesdorf-Süd, wurden erneut massiv neonazistische und rassistische Sticker verklebt. Zahlreiche Sticker waren mit rassistischen und neonazistischen Parolen und Motiven versehen. Auf weiteren Stickern wurden weltoffene und tolerante Menschen sowie Flüchtlinge beleidigt. Art: Propaganda Inhaltliche Zuordnung: Rassismus Ort: bezirksweit/unbekannt Quelle: Augenzeug:in/Register Marzahn-Hellersdorf Die gesamte Chronik des Registers Marzahn-Hellersdof finden Sie online unter: https://berliner-register.de/chronik/marzahn-hellersdorf Die Projekte „Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf“ und die externen Koordinierungs- und Fachstellen der „Partnerschaft für Demokratie Marzahn“ und „Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf“ sind bei dem Träger Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin angesiedelt. Bei Fragen melden Sie sich gern bei pfd-mh@stftung-spi.de oder unter 030-99 27 50 98. Unter Rechtsextremismus wird eine Ideologie verstanden, „die Vorstellungen von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen, eines ethnisch homogenen Volkes, die Befürwortung von hierarchischen und autoritären Verhältnissen und damit einhergehend die Ausgrenzung von Menschen, die nicht in das Weltbild passen“ vertritt. Rechtsextremismus geht „häufig mit der Verharmlosung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus einher.“ (Vgl. https://www.berliner-register.de/content/rechts-rechte-ideologie; zuletzt aufgerufen am 10.03.2021). 2 Rechtspopulismus ist im Verständnis der Register keine Ideologie, sondern eine politische Strategie, die sich rechter und konservativer Vorstellungen bedient (vgl. https://www.berliner-register.de/content/rechtspopulismus; zuletzt aufgerufen am 10.03.2021). 3 In: Melzer, Ralf (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Bonn. S. 62. 1 Demokratiebericht2020 13 Beiträge des Integrationsbüros MarzahnHellersdorf zur Demokratieentwicklung Dr. Thomas Bryant (Integrationsbeauftragter), Susan Hermenau (Flüchtlingskoordinatorin), Francisco José Cárdenas Ruiz (Flüchtlingskoordinator) Das Integrationsbüro des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf vertritt die Interessen der Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, die in unserem Bezirk eine neue Heimat gefunden haben. An der Seite einer Vielzahl engagierter Träger, Initiativen und Einzelpersonen befassen wir uns mit den integrationspolitischen Fragen dieser Stadt – und prüfen ihre konkrete Umsetzung in Marzahn-Hellersdorf. Dabei ist uns wichtig, mit alteingesessenen und neuzugezogenen Migrantinnen und Migranten im Gespräch zu bleiben, um auch ihre Perspektiven in die Debatten einfließen zu lassen. Um gute Entscheidungen treffen zu können, möchten wir verstehen, was den Menschen hier bei uns wichtig ist. Im Corona-Jahr 2020 hat sich gezeigt, dass unsere Arbeit, die sich normalerweise in vielen verschiedenen Gremien und Netzwerken sowohl auf bezirklicher als auch auf Landesebene abspielt, ohne echte Begegnungen nicht auskommt. Erst im Gespräch miteinander kann man Gemeinsamkeiten feststellen, vorschnelle Schlüsse korrigieren, Argumente austauschen und einander kennenlernen. Eine Videokonferenz kann das nicht ersetzen. Normalerweise unternehmen wir - und mit uns alle Akteure, die in der Integrations- und Migrationsarbeit tätig sind - große Anstrengungen, um allerlei Begegnungen und Austauschmöglichkeiten zwischen verschiedenen Menschen zu initiieren. Kontaktbeschränkungen, die mit der Corona-Pandemie einhergingen, stellten daher einen enormen Einschnitt dar, weil diese Aktivitäten im Zuge des sog. „Lockdowns“ quasi gen Null zu14 Demokratiebericht2020 rückgefahren werden mussten. Freilich stellte diese vollkommen ungewohnte Situation unser Integrationsbüro vor große Herausforderungen und warf außerdem Fragen auf, die erst im Laufe der Zeit allmählich geklärt werden konnten, wie z.B.: Wie können Abstimmungs- und Vernetzungsrunden per Telefon oder Video gelingen, wenn es aus Gründen des Infektionsschutzes im Präsenzformat nicht möglich ist? Wie können Maßnahmen und Projekte sowie Angebote und Veranstaltungen so umgestaltet werden, dass sie auch unter den Bedingungen der Pandemie ihre jeweiligen Zielgruppen erreichen? Wie geht man mit der Tatsache um, dass die Einhaltung der Abstandsregeln in Gemeinschaftsunterkünften, wo z.T. mehrere hundert Menschen auf relativ engem Raum beieinander leben, ziemlich schwierig ist? In Marzahn-Hellersdorf existierten zu Beginn des Jahres 2020 insgesamt sieben Gemeinschaftsunterkünfte sowie eine Aufnahmeeinrichtung des zuständigen Landesamtes für Flüchtlingsfragen, in der insgesamt 3.544 Plätze für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung stehen. In diesen Geflüchtetenunterkünften standen kein flächendeckendes Internet, keine Lernräume und keine Computer bereit, um das „Homeschooling“ für Schule, Sprach- und Integrationskurse zu ermöglichen. Insbesondere Kita- und Schulkinder, die durch ihre Eltern nicht gefördert werden können, spüren die ausbleibenden Förderangebote, durch die ihr Ankommen in der deutschen Gesellschaft erheblich erschwert wird. Viele Geflüchtete verloren ihren Job, u.a. weil die Betreuung ihrer Kinder nicht gesichert war oder sie in Berufszweigen angestellt waren, die von der Krise am stärksten betroffen sind, z.B. in Hotels und Gaststätten, bei Reinigungsfirmen oder in der Leiharbeit. Sprachbarrieren, Besuchsverbote, durch die Kontaktsperre ausbleibende Unterstützung von Ehrenamtlichen oder Trägern und diverse Einschränkungen im sozialen Bereich beförderten eine zunehmende Isolation. Der psychosoziale Verbund des Gesundheitsamts meldete, dass die Nachfrage nach psychosozialer Beratung im Laufe des Jahres stark angestiegen sei. Eine neue, so genannte „Modulare Unterkunft für Flüchtlinge“ (MUF) am Murtzaner Ring 68 (Marzahn-Süd) wurde im Juli 2020 fertiggestellt. Seit November wurde die Einrichtung u.a. mit geflüchteten Menschen aus dem „Containerdorf“ am Blumberger Damm 163 (Marzahn-Mitte) belegt, die im Murtzaner Ring 68 in Wohneinheiten mit integrierten Bädern und Küchen untergebracht werden können. Das „Containerdorf“ wurde gemäß den getroffenen Vereinbarungen geschlossen. Derzeit prüft die zuständige Berliner Immobilienmanagement GmbH eine mögliche Nachnutzung der Containerbauten für diverse Zwecke. Im Juli wurde eine bereits geschlossene Wohncontainer-Anlage in Biesdorf wieder in Betrieb genommen, zunächst im Sinne einer Entzerrung, um das Ansteckungsrisiko in den beengten Sammelunterkünften zu minimieren, ab Dezember 2020 schließlich als Quarantäneeinrichtung für positiv getestete Personen und Verdachtspersonen ersten Grades, die aus den Geflüchtetenunterkünften isoliert werden mussten. Integration findet vor Ort statt, dort, wo die Menschen leben und ihre Freizeit verbringen, arbeiten und zur Schule gehen. Durch den bezirklichen „Integrationsfonds“ – einen Fördertopf, mit dem das Bezirksamt Projekte finanzieren kann, die sich nach den konkreten Gegebenheiten vor Ort richten und spezifische Bedarfe einkalkulieren – unterstützten wir im Jahr 2020 mehr als 25 kleine und größere Unternehmungen. Der „Frauentreff Anahita“ (Marzahner Promenade 45) und der Begegnungsort „LaLoKa“ (Schneeberger Str. 9) sind Orte, an denen sich Menschen aus aller Welt trafen, vernetzten, fortbildeten und in ihre Nachbarschaft einbrachten. In der Flüchtlingsrechtsberatung wurden juristische Fragen geklärt, im Wohnraumvermittlungsprojekt Grundlagen für eine erfolgreiche Wohnungssuche und Kompetenzen als Mieter vermittelt. Drei „Willkommenskultur“-Koordinatorinnen waren Ansprechpersonen für neuzugezogene Familien in eigenem Wohnraum, die häufig auf sich allein gestellt und mit der Nutzung digitaler Angebote überfordert waren. Besondere Beratung erhielten Geflüchtete mit Behinderung und chronischer Erkrankung durch eine aufsuchende Sozialarbeiterin. Vielleicht ist Ihnen die bezirkliche Spendenstelle (Pritzhagener Weg 17) ein Begriff? Die durch den „Integrationsfonds“ geförderte Einrichtung sammelte im Jahr 2020 viele Kleidungsstücke ein, um sie kostenlos an Bedürftige und soziale Einrichtungen auszugeben. Recht schnell stellte sich heraus, dass das bislang eher randständige Thema „Mehrsprachigkeit“ inmitten der Corona-Krise ganz erheblich an Bedeutung, ja an Dringlichkeit zugenommen hat. Um auch diejenigen Menschen, welche der deutschen Sprache nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße mächtig sind, mit den für sie notwendigen Informationen zu versorgen, hat daher unser Integrationsbüro diverse mehrsprachige Materialien insbesondere zu den einschlägigen Corona-Regeln in Auftrag gegeben bzw. zusammengestellt. Die Integrationslotsinnen und Integrationslotsen haben dabei dankenswerterweise einen sehr wertvollen Beitrag geleistet, indem sie uns sowie andere Bereiche des Bezirksamtes bei den Übersetzungen in verschiedene Sprachen unterstützt haben. Die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit ist mehr als eine akademische Diskussion. Vielmehr geht es hierbei nicht nur um die Anerkennung und Nutzung mehrsprachiger Ressourcen, sondern – auch und gerade in Krisenzeiten wie diesen – um einen geradezu essenziellen Schritt in Richtung gesellschaftlicher Teilhabe. Bekanntlich ist und bleibt Deutsch Amtssprache. Inmitten einer weltweiten Gefahrenlage für Leib und Leben wäre es aber definitiv zu kurz gegriffen, sich auf diesem Standpunkt auszuruhen und untätig zuzuschauen, wenn viele Menschen bestimmte Informationen aus rein sprachlichen Gründen nicht verstehen und infolgedessen weder sich selbst noch ihre Mitmenschen vor gesundheitlichen Risiken schützen können. Um das Thema „Mehrsprachigkeit“ weiter voranzutreiben, haben wir im Laufe des Jahres 2020 auch unser im Vorjahr verabschiedetes „Bezirkliches Integrationsprogramm“ in mehrere Sprachen (arabisch, englisch, persisch, russisch, spanisch und vietnamesisch) übersetzen lassen. Es liegt nicht nur bei uns im Integrationsbüro in gedruckter Fassung zur Abholung bereit, sondern kann auch in elektronischer Form auf der Website des Bezirksamtes heruntergeladen werden (vgl. https://www. berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/beauftragte/integration/artikel.830914.php). Im Zuge der Umsetzung des Integrationsprogramms wird erstmals auch ein sog. „Integrationsmonitoring“ auf den Weg gebracht. In Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen des Programms „Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften“ (BENN) sowie in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe „Sozialberichterstattung“, in der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen und Organisationseinheiten des Bezirksamtes regelmäßig austauschen, soll eine zahlen-, daten- und faktenbasierte Integrationsberichterstattung aufgebaut werden. Diese verfolgt das doppelte Ziel, sich anhand ausgewählter Parameter zum einen bessere Klarheit hinsichtlich verschiedener integrationsbzw. migrationspolitischer Sachverhalte, Zusammenhänge, Gegebenheiten und Entwicklungen auf bezirklicher Ebene zu verschaffen; zum anderen soll auf Grundlage der erzielten Ergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse der im öffentlichen Raum oftmals unsachlich ausgetragene Diskurs rund um das Themenfeld „Integration und Migration“ nach Möglichkeit etwas mehr versachlicht werden. Dazu haben im Laufe des Jahres 2020 mehrere Vorbereitungsgespräche stattgefunden. Die Veröffentlichung des ersten Integrationsberichts auf Grundlage des beschriebenen Integrationsmonitorings ist für Sommer 2021 geplant. Auch wenn es 2020 nur wenige Gelegenheiten gab, Veranstaltungen in bewährter Weise durchzuführen, so kann es dennoch als Erfolg gewertet werden, dass es auch unter diesen insgesamt arg erschwerten Bedingungen gelungen ist, dass auch wieder die „Interkulturellen Tage“ stattfinden konnten. Die anfänglichen Bedenken, es würden sich womöglich nicht genug Akteure finden, die unter diesen Umständen willens bzw. in der Lage wären, ein buntes und vielseitiges Programm auf die Beine zu stellen, haben sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet – im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahr, als von Corona noch längst nicht die Rede war, haben fast genauso viele kleinere, aber auch größere Einzelveranstaltungen stattgefunden. Einige von ihnen fanden derweil im digitalen Raum statt, waren jedoch nichtsdestotrotz bzw. gerade deswegen gut besucht. Das ist ein äußerst gutes Zeichen, denn es zeigt, dass der Wunsch, sich mit integrationsund migrationspolitischen Themen zu beschäftigen und diesbezüglich auch selbst etwas auf die Beine zu stellen, nach wie vor ungebrochen hoch ist. Wir, die Kolleginnen und Kollegen des Integrationsbüros, danken an dieser Stelle recht herzlich all denjenigen, die sich tagtäglich – ob im Haupt- oder Ehrenamt – in jeweils ganz unterschiedlicher Form für Menschen mit Migrationsgeschichte stark machen. Selbstverständlich werden wir dies auch in Zukunft jederzeit gern mit ganzer Kraft unterstützen. Demokratiebericht2020 15 Geförderte Projekte der Partnerschaften für Demokratie im Jahr 2020 Hannes Obens und Elisabeth Peters Die Partnerschaft für Demokratie Marzahn und ihre Projekte 2020 Die Partnerschaft für Demokratie Marzahn hat 2020 aus ihrem Aktions- und Initiativfonds neun spannende Projekte gefördert. Trotz der Corona-Einschränkungen konnten alle unten genannten Projekte in angepasster Form umgesetzt werden. Der Fonds für Öffentlichkeitsarbeit, Partizipation und Vernetzung wurde u.a. für die Veranstaltungsreihe „Gesellschaft zwischen Krise und Aufbruch“ genutzt. Weitere Informationen zu der Partnerschaft für Demokratie Marzahn und ihren Projekten finden Sie online unter: demokratie-mh.de/partnerschaft-marzahn Projektname Inhalt Fördersumme Träger 1 lingua - Das Sprachcafé im DRK-Begegnungszentrum Marzahn-Süd Begegnungscafé zur Förderung von Sprachkenntnissen und Integration 7.750,00 € 2 Radio selber machen fünf Workshops Radio-Workshops zur Vermittlung von Medienkompeten- 8.000,00 € zen 3 „Respekt und Neugier“-Festival 2020 Umsetzung des partizipativ gestalteten Festivals 10.000,00 € Roter Baum Berlin UG 4 fairbeatz - raise your voice! Musik-Workshops für Kinder und Jugendliche zum Themenfelder Empowerment 4.000,00 € Humanistischer Verband Deutschland, Berlin-Brandenburg 5 Jugend-Demokratie-Aka- Diskussionsveranstaltungen mit Menschen aus Politik und 5.750,00 € Wissenschaft zu von den Jugendlichen gesetzten Themen demie Marzahn Humanistischer Verband Deutschland, Berlin-Brandenburg DRK Kreisverband Berlin-Nordost e.V. radio connection e.V. 6 Radikal respektvoll - auf deine Worte folgen Taten Lerneinheiten für Grundschüler:innen zur Prävention physischer und verbaler Gewalt im Schulkontext 5.000,00 € Artikel 1 - Initiative für Menschenwürde e.V. 7 Mediationsprojekt im Jugendzentrum Betonia und der umliegenden Nachbarschaft: „Stressfreie Zone“ Peer-to-peer-Workshops für Jugendliche zur konstruktiven Konfliktlösung Kurze Lerneinheiten für Grundschüler/innen zur Prävention physischer und verbaler Gewalt 7.500,00 € Kinderring Berlin e.V. 8 Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen Projekt zur Erhöhung der Sichtbarkeit und Außenwahrnehmung der bestehenden demokratischen, zivilgesellschaftlichen Strukturen in Marzahn 15.000,00 € Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf e.V. 9 Aktionsfonds Fonds für Bürger:innen, die sich mit ihren Ideen einbringen wollen 12.000,00 € Wir fördern Engagement e.V. Gesamt 16 Das Jugendforum Marzahn wurde 2020 fachlich und administrativ durch die Jugendfreizeiteinrichtung Anna Landsberger begleitet. Dort können sich alle jungen Menschen melden, die sich in Marzahn für Toleranz und Solidarität einsetzen möchten. Demokratiebericht2020 75.000,00 € Die Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf und ihre Projekte 2020 Die Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf hat 2020 aus ihrem Aktionsund Initiativfonds zehn spannende Projekte gefördert. Trotz der Corona-Einschränkungen konnten alle unten genannten Projekte in angepasster Form umgesetzt werden. Das Jugendforum Hellersdorf steht für alle jungen Menschen offen, die sich in Hellersdorf für Demokratie und Solidarität einsetzen möchten. 2020 wurde es fachlich und administrativ durch den Träger Kids & Co. begleitet. Auch 2021 liegt die Begleitung beim Träger Kids & Co. Der Fonds für Öffentlichkeitsarbeit, Partizipation und Vernetzung wurde u.a. für die Veran- staltungsreihe „Gesellschaft zwischen Krise und Aufbruch“ genutzt. Weitere Informationen zu der Partnerschaft für Demokratie Hellersdorf und ihren Projekten finden Sie online unter: demokratie-mh.de/partnerschaft-hellersdorf Projektname Inhalt Fördersumme Träger 1 Schöner Leben ohne Nazis 2020 Das bezirkliche Demokratiefest feiert zum 12. Mal 10.000,00 € Roter Baum Berlin UG 2 Mir macht es Mut, zu erzählen, wer ich bin Multiperspektivische Ausstellung von Jugendlichen zu Diskriminierungserfahrungen 5.000,00 € Babel e.V. 3 Pen&Paper - Meine Ge- Durchführung von regelmäßigen fachlich angeleiteten schichte, unser Abenteuer und aufbereiteten Pen&Paper-Rollenspielen, die u.a. Themen wie Sucht und soziale Abgrenzung thematisieren 7.500,00 € Eastend-Berlin e.V. 4 Jugend-Demokratie-Aka- Diskussionsveranstaltungen mit Menschen aus Politik und Wissenschaft zu von den Jugendlichen gesetzten Themen demie Hellersdorf 6.000,00 € Humanistischer Verband Deutschland, Berlin-Brandenburg 5 Radikal respektvoll - auf Lerneinheiten für Grundschüler:innen zur Prävention phydeine Worte folgen Taten sischer und verbaler Gewalt im Schulkontext 5.000,00 € Artikel 1 - Initiative für Menschenwürde e.V. 6 Umwelt und Frieden im Projektwochen an Schulen zu den Themen Umwelt, Frieden und globaler Ungleichheit Atomzeitalter 3.000,00 € Friedensglockengesellschaft Berlin e.V. Aufbau einer Laientheatergruppe, die mit den Mitteln des Theaters gesellschaftliche Themen beleuchtet 4.500,00 € Klub 74 Nachbarschaftszentrum Hellersdorf e.V. 8 Kampagne „Solidarische Verschiedene Aktionen rund um die Frage „Was bedeutet Kieze“ in Marzahn-Hell- für mich Solidarität?“ ersdorf 4.000,00 € Alice-Salomon Hochschule 7 Gründung einer Theater-Initiative im Stadtteilzentrum Hellersdorf-Süd im Haus Kompass 9 Selbstbestimmt auf der Hellen Oase Workshops mit Jugendlichen zu demokratischer Mitgestaltung 20.000,00 € Kids & Co g.e.V. 10 Aktionsfonds Fonds für Bürger/innen, die sich mit ihren Ideen einbringen wollen 10.000,00 € Roter Baum Berlin UG Gesamt 77.000,00 € Demokratiebericht2020 17 „Solidarität bedeutet für mich Glück“1 Schlaglichter auf die Kampagne Solidarische Kieze 2020 Elène Misbach – AG Solidarische Kieze und Alice Salomon Hochschule Berlin Der Start der Kampagne „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“ im März 2020 fiel mit dem ersten Lockdown in der Corona-Pandemie zusammen. Wie es interessierten Anwohner*innen, verschiedenen Akteur*innen und Studierenden der Alice Salomon Hochschule Berlin dennoch gelungen ist, sich aktiv für solidarische Nachbarschaften einzusetzen, zu vernetzen, einander zuzuhören, zusammen Kiezspaziergänge zu veranstalten sowie mit Spaß und Kreativität Rassismus und extrem rechten Aktivitäten in den Kiezen entgegenzuwirken – das zeigen einige ausgewählte Schlaglichter aus dem letzten Jahr. Das Schneeballprinzip ist zur Selbstläuferin geworden! Die Menschen und Akteur*innen im Bezirk eignen sich die Kampagne an: Viele Aktivitäten im Bezirk und in den Kiezen beziehen sich auf Ziele und Motto der Kampagne und zeigen auf vielfältige und sympathische Weise „SoGehtSolidarisch“!2 #SoGehtSolidarisch – Aktionstag mit Band der Solidarität von #unteilbar am 14 Juni 2020 Die Kampagne Solidarische Kieze Marzahn-Hellersdorf war eine der Erstunterstützer*innen des bundesweiten Aktionstages am 14. Juni, organisiert vom Bündnis #unteilbar. Bundesweit haben an diesem Tag in zehn Städten mehrere zehntausend Menschen – unter Einhaltung der gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln – unter dem Motto #SoGehtSolidarisch ein Band der Solidarität ge18 Demokratiebericht2020 knüpft.3 Akteur*innen der Kampagne waren vor Ort dabei und haben im Bezirk ein sichtbares Zeichen gesetzt, indem sie an der Fassade der ASH Berlin in zeitlicher Nähe zum Aktionstag ein Banner der Kampagne mit Bezug zum Motto #SoGehtSolidarisch deutlich sichtbar über mehrere Wochen aufgehängt haben. Mit dem Blick über den bezirklichen Tellerrand hinaus übernehmen wir gleichzeitig auch Verantwortung dort, wo wir lokal ins Handeln kommen: Auf der jeweils lokalen Ebene können wir auf die sozialen Polarisierungen und Spaltungen, der vielerorts erfolgreichen Mobilisierung von rechts und dem Wachsen rechtspopulistischer Organisationen mit konkret gelebter inklusiver Solidarität antworten. Und genau das ist einer der Kerngedanken der Kampagne. „Schöner leben ohne Nazis“ am 5. September 2020 Beim jährlichen Demokratiefest „Schöner leben ohne Nazis“ hat die Kampagne Solidarische Kieze einen gemeinsamen Stand mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz gestaltet. Zusammen mit Moritz Marc von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung waren für die ASH Berlin u.a. aktiv beteiligt: das Frauen*büro, die antirassistische Registerstelle, das Antirafa-Referat des AStA, der AK gegen rechte Gewalt, engagierte Studierende sowie das ASH-Forschungsprojekt „Demokratie“ zu Aspekten sozialräumlicher Demokratieentwicklung im Bezirk. „Was heißt für Dich Solidarität?“ – Workshop mit migrantas im Naschgarten – Vorstellung der Plakatkampagne Einfach weiter so?! von #unteilbar Am 17. September 2020 fand von der Kampagne in Zusammenarbeit mit BENN4 Blumberger Damm, der ASH Berlin, dem Künstlerinnen-Kollektiv migrantas, dem bundesweiten Bündnis #unteilbar und den Gastgeberinnen vom Naschgarten im Kiezpark Schönagelstraße in Marzahn ein erfolgreicher Workshop zum Thema „Was heißt für Dich Solidarität?“ statt: Interessierte Anwohner*innen und aktive zivilgesellschaftliche Akteur*innen haben sich vernetzt und angeregt darüber ausgetauscht, wie wir uns eine solidarische, freie und offene Gesellschaft wünschen – und was wir dafür tun können. Anna Spangenberg vom Bündnis #unteilbar hat die druckfrische Plakatkampagne Einfach weiter so?!5 vorgestellt (siehe Bild 01). Was wir brauchen: Antirassismus & Solidarität statt Ausgrenzung! lautet hier eines von vier Themen. Die Teilnehmer*innen haben auf drei großen Bannern, künstlerisch gestaltet und angefertigt vom Kollektiv migrantas6, ihre Gedanken und Visionen zum Thema „Solidarität“ platziert (siehe Bild 02). „Erinnern heißt verändern“ – Kiezspaziergänge zu Stolpersteinen und für eine würdige Erinnerungskultur Im Rahmen des Jahresprogramms der vom Kooperationsforum initiier- ten Spazierblicke wurden im Rahmen der Kampagne neue Spazierblicke entwickelt und angeboten: Gemeinsam mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz hat unter dem Motto Putzen wider das Vergessen - Erinnerung pflegen im Januar 2020 ein Spazierblick zu ausgewählten Stolpersteinen in Kaulsdorf und Mahlsdorf stattgefunden7. Begeistert von dem großen Interesse an diesem Spazierblick und beeindruckt von den für uns recht „versteckten“ Orten der Stolpersteine in den Ein- und Mehrfamilienhaus-Wohngebieten in Kaulsdorf und Mahlsdorf, „stolperten“ wir hier buchstäblich nur deswegen über die Gedenksteine, weil wir sie bewusst und geführt von Steven Kelz und Henny Engels, den Bündnissprecher*innen, aufsuchten. Unsere zweite Tour, einem Putzspaziergang am 14. September 2020 im Rahmen der Berliner Freiwilligentage als Aktion und Angebot der Kampagne Solidarische Kieze, führte uns zur Lohengrinstraße 2 zu den Gedenksteinen von Heinrich Lange, Rosa Lange, Manfred Lichtenstein, Max Lange, Salo Lange und Denny Bildquelle: unteilbar Lange, zur Hannsdorfer Straße 8, wo an Emil Roth, Emilie Roth und an Hedwig Mentzen erinnert wird sowie zur Nentwigstraße 10, wo wir auch den Stolperstein für Eva Wolff von Straßenschmutz und Patina befreiten. Erinnern und Organisieren! – Solidarische Kieze entwickeln war das Thema eines weiteren Spazierblicks zu ausgewählten Orten antirassistischen und antifaschistischen Erinnerns und Handelns in Hellersdorf-Nord und -Ost. Kooperativ entwickelt vom Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf, dem AK gegen Rechte Gewalt und der antirassistischen Registerstelle an der ASH Berlin wurde dieser Kiezspaziergang als Pilot im Rahmen der Freiwilligentage sowie für die Spazierblicke-Reihe angeboten. Inspiriert von der Teilnahme entwickeln Studierende unterschiedlicher Seminare im Bachelor Soziale Arbeit als Vertiefung zu den Themen Solidarität und Antirassismus, antifaschistische Gemeinwesenarbeit und würdige Erinnerungskultur nun eigene Projektideen, die sie mit der Arbeit von Akteuren vor Ort verknüpfen und diesen für eine Weiterentwicklung zur Verfügung stellen möchten. Podcast „Im Tiefgang durch die Stadt“ Auch die Folgen des Podcasts „Im Tiefgang durch die Stadt“8, in denen Raiko Hannemann und Thomas Bryant O-Töne von Menschen im Bezirk einfangen, zeigen auf sympathische, informative und kenntnisreiche Weise: Das Engagement vor Ort, Nachbarschaften und Akteur*innen in einer solidarischen Art und Weise zusammen zu bringen, ist wichtig – und ein wunderbares Beispiel für den Schneeballeffekt und die Aneignung der Kampagne mit eigenen kreativen Ideen. Interesse mitzumachen oder eine eigene Aktion zu teilen? Kontakt und Koordinierung der Kampagne: koordinierungsstelle-mh@ pad-berlin.de Website: https://buendnis.demokratie-mh.de/solidarische-kieze/ Bildquelle: Michael Schaaf Dieses Zitat stammt von eine*r Teilnehmer*in des Workshops „Was heißt Solidarität für Dich“ am 17. September 2020 im Naschgarten im Kiezpark Schönagelstraße. Das Künstlerinnen-Kollektiv migrantas hat in Kooperation mit Akteur_innen der AG Solidarische Kieze drei große thematische Banner zum Thema Solidarität erstellt, auf die die Teilnehmer*innen ihre Gedanken und Wünsche zur Frage „Was heißt Solidarität für Dich?“ anpinnen konnten. 2 Das Spektrum der Aktivitäten und neuen Vernetzungen unter dem Dach der Kampagne „Solidarische Kieze“ ist wesentlich facettenreicher als die hier zusammengestellte Auswahl sichtbar machen kann. Und das ist auch gut so! Es lohnt sich daher, immer mal wieder einen Blick auf die Website vom bezirklichen Bündnis für Demokratie und Toleranz zu werfen. Dort wird anschaulich über aktuelle, zukünftige und vergangene Aktionen, Debatten und Aktivitäten zum Mitmachen berichtet: https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/ 3 https://www.unteilbar.org/unteilbar-aktionstag-am-14-juni-2020-sogehtsolidarisch-2/ 4 Die Abkürzung BENN steht für „Berlin entwickelt neue Nachbarschaften“. 5 www.unteilbar.org/aktionen/einfachweiterso/ 6 www.migrantas.org 7 Zum initiierten Stolpersteine-Spazierblick siehe auch: Elène Misbach (2020): Solidarität – Kooperationen zwischen ASH Berlin und Marzahn-Hellersdorf. in: alice 39, S. 88-92. 8 https://buendnis.demokratie-mh.de/aktuelles/subbotnik-solidarisches-platte-saubermachen-marzahn-sonderfolge/ 1 Demokratiebericht2020 19 Das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf (KJB) im Gespräch Die Fragen wurden von Moritz Marc von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung gestellt. Könntet Ihr Euch bitte kurz für unsere Leser*innen vorstellen? Seit wann gibt es das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro, wer ist Euer Träger und wie viele Mitarbeiter*innen habt Ihr? Das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn-Hellersdorf (KJB) ist ein Projekt des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg KdöR in der Abteilung Jugend. Es ist Ansprechpartner für alle großen und kleinen Leute, wenn es um Beteiligung und Kinderrechte geht und seit 1993 in Marzahn, seit 2002 im Großbezirk Marzahn-Hellersdorf tätig. Bis 2019 sind wir vom Bezirk aus den Fördermittel §11 KJHG mit 1,6 Stellen finanziert worden. Seit 2020 haben wir 2,2 Stellen und werden im Rahmen der zusätzlichen Mittel für die Bezirke durch das Jugendförder- und Beteiligungsgesetz finanziert. Das heißt, dass wir gerade drei Kolleg*innen in Teilzeit sind: Jörn, Ina und Frauke (Projektleitung). Nicky unterstützt uns im Rahmen des Bürgerhaushalts. Was war im Jahr 2020 arbeitstechnisch Euer Schwerpunkt? Könnt Ihr uns etwas über die Kinderjury, eure Podcastformate und den Bürgerhaushalt für Kinder und Jugendliche erzählen? Das Jahr 2020 war – wie für alle – ein anstrengendes Jahr. Viele Projekte und Aktionen, die wir geplant hatten, mussten wir ständig neu bewerten 20 Demokratiebericht2020 und umplanen. Wichtig war uns, den Kontakt zu Jugend- und Kindergruppen und Initiativen zu halten. Am 30.1.2020 haben wir den Bezirkschüler*innen-Ausschuss beim BSA-Tag im Sartre-Gymnasium unterstützt. Da haben noch einfach so 36 Schüler*innen aus verschiedenen Schulen an den Diskussionen und Workshops teilgenommen. Dann kam der Lockdown. Um eine authentische Stimme von Jugendlichen währenddessen einzufangen, erschien uns das Format Podcast von und für Jugendliche passend: We-share-our-Voice entstand. Die Idee dahinter ist, dass viel über Corona geredet wird; die Stimmen der Jugendlichen im Umgang damit werden kaum gehört. 8 Podcasts sind entstanden. Ein Ergebnis der Kinderversammlung 2019 war ja, dass die Bezirkspolitik, auf Vertreter*innen von Fridays for Future zugekommen ist und mit ihnen in den Klimagesprächen Klimaschutz-Maßnahmen und Ideen für den Bezirk besprechen wollte. Vier Klimagespräche mit den BzSt Zivkovic, Witt, Lemm haben analog und digital stattgefunden. Die Klimagespräche mit Fridays for Future sollen auch 2021 fortgesetzt werden und das KJB begleitet sie dabei. Neben einer digitalen Jugendjury und einer analogen Kinderjury haben wir auch im Sommer mit einem Hygenie-Konzept „We build this City“ – einen Bau-Workshop mit jungen Aktivistinnen auf der Brache Ma- xie-Wander-Str. veranstaltet und im Herbst einen Hingucker zum Artikel 12 der UN-Kinderrechte mit der Geisenweide Grundschule umgesetzt. Auch die Lobbygruppe für ein Kinderund Jugendparlament Marzahn-Hellersdorf haben wir begleitet. Für den BHH waren wir im jungen Bezirk unterwegs und haben über 20 Vorschläge von Kindern und Jugendlichen eingesammelt. Diese können ab dem 18.1.2021 auf mischen-sie-mit. de gevotet werden. Wir haben auch ein paar digitale Voting-Veranstaltungen vor. Neben der Arbeit mit den jungen Menschen sehen wir uns ja auch als Lobbyinstanz für das Thema Kinderund Jugendbeteiligung. D.h., wir vernetzen uns zum einen mit Multiplikator*innen in Schule und dem Jugendfreizeitbereich. 2020 und 2021 touren wir durch die Jugendfreizeiteinrichtungen, um den Auftrag des neuen Jugendförder- und Beteiligungsgesetztes mit den Kolleg*innen zu definieren. Wir sind auch Geschäftsstelle der AG78 Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk. Zum anderen arbeiten wir auch mit Politik und Verwaltung zusammen: wir sind beratendes Mitglied des Jugendhilfe-Ausschuss, der Spielplatzkommission sowie des Bündnisses für Kinder. Wir bringen uns in die Begleitausschüsse Partnerschaften für Demokratie, den regionalen Vernetzungsrunden, den berlinweiten Netzwerken wie Lakok und U18 ein. Wie ist die Kinder- und Jugendversammlung in Marzahn-Hellersdorf 2020 verlaufen? Und könnt Ihr uns etwas über euer tolles Projekt #JungesPolitikstudio berichten? Viele der oben dargestellten Initiativen und Projekte haben wir auch für eine Kinder- und Jugendversammlung 2020 mit der Bezirkspolitik angefragt. Aufgrund der neuen Corona-Beschränkungen haben wir uns von der Idee verabschiedet, eine Versammlung zu veranstalten. Stattdessen haben wir eine Art Kampagne gemacht: im jungen Politikstudio #jungespolitikstudio haben Kinder und Jugendliche ab dem 20.11. (Kinderrechte-Aktionstag)ihre Anliegen der Politik geschildert und nun warten sie auf Antwort von ihnen. Wir haben zwar wenig Presseresonanz aber viele Klicks auf Youtube bekommen. Wir hoffen, dass die Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt und mit ihren vielen Ideen eine Antwort bekommen. Alle unsere Projekte sind unter www. kijubue.de oder https://humanistisch. de/kjb oder Facebook einzusehen. Was hat sich durch die Corona-Pandemie in eurer Arbeit geändert? Wie geht Ihr mit der aktuellen Situation um, bzw. wie schätzt Ihr diese hinsichtlich der Kinder und Jugendlichen und auch der häufig alleinerziehenden jungen Mütter im Bezirk ein? Wo gibt es aktuell besondere Probleme bzw. wo seht Ihr (akuten) Verbesserungs- bzw. Hilfsbedarf? Unsere Arbeit ist komplizierter geworden, auch als Team ist es nicht mehr so einfach sich zu treffen. Wir haben versucht, uns das ganze Jahr über flexibel zu halten und alle digitalen Kanäle von Whatsapp über Insta, Facebook und Co zu bespielen. Außerdem sind wir jetzt fit mit Conferencing Tools. Die Kinder und Jugendliche, mit denen wir zu tun haben, haben ein sehr breites Problembewußtsein bzgl. Corona. Mir hat besonders gut das Motto von Fridays for Future gefallen: #fighteverycrisis. Es nutzt nichts, Corona zu leugnen oder den Kopf in den Sand zu stecken. Gleichzeitig gibt es viele andere Krisen, die wir bekämp- fen müssen: z.B. den Klimawandel, aber auch so Dinge wie Kinderarmut im Bezirk. Wir sind ja keine Einrichtung der offenen Jugendarbeit, aber die Kolleg*innen davon berichten schon, dass vor allem Kinder sich einsam fühlen. Zuwendung und Hilfe ist unter den Coronabedingungen schwer zu leisten und so verschärfen sich auch diese Krisen. Sehr anstrengend war, dass die Kinder- und Jugendarbeitenden immer als letzte informiert wurden: die JFEs waren die letzten, die erfuhren, ob sie geschlossen werden oder unter welchen Bedingungen geöffnet bleiben konnten, Coronafälle sind nicht an sie weitergemeldet worden, und Tests standen ihnen ganz lange nicht zur Verfügung. Auch das hat nochmal deutlich gemacht, wie der Stellenwert von Jugendarbeit allgemein ist. Und die Jugendarbeitenden haben sich schon viel zu lange daran gewöhnt, dass sie mit wenig Ressourcen klarkommen müssen und jeden Tag improvisieren. 2021 finden im September die Wahlen zur BVV, zum Senat und zum Bundestag statt. Welche Beteiligungsformate habt Ihr da für Kinder und Jugendliche im Bezirk in Planung? Wahljahr heißt für uns immer U18: die Wahl für alle Unter18-Jährigen. Wir sind die bezirkliche Koordinierungsstelle; das Projekt gibt es ja berlinweit (besonders prominent) und auch bundesweit. Wichtig bei diesem Format ist für uns zunächst einmal, dass Kinder und Jugendliche eine Meinung haben und diese bei U18 kundtun. In Marzahn-Hellersdorf haben in den letzten U18-Wahlen immerhin immer so ca. 2500 Kinder und Jugendliche gewählt. Das macht sie spannend für die Politik. Wir haben viele schöne und spannende Veranstaltungen in Diskussion Politik und Jugendliche wie z.B. U19-Wahlzirkus etc. gehabt. Politik reagiert meist sehr interessiert und es haben sich z.B. auch Verschiebungen bei vielen Politiker*innen ergeben: viele denken über eine Wahlaltersabsenkung nach. Unser Ansatz ist aber nicht allein, Parteiprogramme an das Kind zu bekommen. In unseren U18-Ideenfabriken geht es auch um Themen wie „das Private ist politisch“; wie sieht mein politisches Engagement aus und ganz übergeordnet zu Themen Menschen- und Kinderrechte, Anti-Diskriminierung, Antirassismus etc. Ihr seid seit 2021 auch offizielles Mitglied des Bündnisses für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf. Wie seid ihr zu dem Entschluss gekommen dort mitzumachen bzw. was wollt Ihr dort bewirken? Wir sehen uns als kleiner Baustein im Demokratiegefüge im Bezirk. Wir sitzen im Begleitausschuss um das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung mit zu denken und darin auch Verbündete zu finden. Im besten Falle ergeben sich neue Impulse oder sogar Kooperationen. Wie seid Ihr zu erreichen? Kinder und Jugendbeteiligungsbüro Marzahn Hellersdorf im HVD BB KdöR Marzahner Promenade 51, 12679 Berlin Tel: 030 9339466 Fax: 03212 – 4442061 E-Mail: kjb@hvd-bb.de Web: www.kijubue.de https://www.facebook.com/kijubue Demokratiebericht2020 21 Was macht eigentlich BENN (Blumberger Damm)? Nachbarschaftsarbeit in Zeiten der Pandemie Nachbarschaftsarbeit in Zeiten der Pandemie. Begegnungen während des Lock Downs. Wie geht das? Unser BENN Koordinator von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sagt dazu ganz trocken: „Das Leben findet analog statt.“ Heißt so viel wie: Online Angebote können eine Alternative sein, aber das Wahre ist es nicht. Und so ist es auch in unserer und sicher auch in Ihrer Erfahrung. Der Nachbarin auf einem flachen Bildschirm zuzusehen, wie sie ihren Kaffee trinkt ist nicht das Gleiche, wie miteinander Sprachübungen zu machen, sich gegenseitig den Kaffee einzuschenken und zu wissen, dass man sich im selben Raum aufhält. Echte Begegnungen funktionieren selten virtuell. Unseren wöchentlichen Sprachtreff besuchen Menschen aus der ganzen Nachbarschaft - mit und ohne Fluchtgeschichte, mit muttersprachlichen oder rudimentären Deutschkenntnissen, kürzer oder länger in Marzahn lebend. Ein Ort, an dem echte Begegnung stattfindet. Dieser Ort lässt sich nicht digitalisieren. Und doch ist es so besser als nichts - sich wenigstens kurz zu sehen, zuzuwinken und ein wenig zu plaudern. Allerdings ist selbst die Sparvariante des Sprachtreffs nicht allen Menschen zugänglich. Das liegt auch daran, dass die Internetversorgung in vielen Gemeinschaftsunterkünften für geflüchtete Menschen völlig unzureichend ist. Selbst ein kurzer Video22 Demokratiebericht2020 anruf ist häufig nicht möglich. BENN hat die Aufgabe, nachbarschaftliche Begegnungen zu fördern und die Teilhabe geflüchteter Menschen zu stärken. Deshalb haben wir uns im Lockdown dafür stark gemacht, dass die WLAN Ausstattung in den Unterkünften verbessert wird. Wir haben außerdem engen Kontakt zu unseren Nachbarinnen und Nachbarn gehalten und mit unserem Lastenrad die „Quarantäne-Engel“ des DRK-Nachbarschaftszentrums (u.a. für Einkäufe) unterstützt – alles was ging, um kurzfristig auszuhelfen. Eine Frau aus Afghanistan hat Stoffmasken für die Nachbarschaft genäht (und verschenkt), die schöner sind als alles, was man käuflich erwerben kann. Und dann kam glücklicherweise die warme Jahreszeit… und mit ihr viele kreative Ideen. Wie schön war es, hinter dem Carrée auf der grünen Wiese zu sitzen und wieder gemeinsam Kaffee trinken zu können! Der Sprachtreff wurde nach draußen verlegt. Und viele weitere Aktionen fanden statt. Einige Ergebnisse können im Kiezpark Schönagelstraße bestaunt werden. Da ist z.B. ein tolles großes Graffiti an der Turnhallenwand entstanden, das Jugendliche aus den Gemeinschaftsunterkünften und Jugendfreizeiteinrichtungen gemeinsam entwickelt und gesprüht haben. Zentral ist der Satz: „Was du hast können viele haben, aber was du bist kann keiner sein.“ Außerdem finden Sie im gleich angrenzenden Naschgarten, wo im Sommer die Pflanzen in bunter Vielfalt um die Wette blühen, kleine Schilder mit Namen. Dort haben vor allem Kinder aus den Gemeinschaftsunterkünften Kürbisse, Bohnen und Sonnenblumen gepflanzt und sich liebevoll um sie gekümmert. Wir freuen uns, derlei Aktionen anregen, begleiten und finanzieren zu dürfen! Die besten Ideen entstehen, wenn man sich die Bälle hin und her spielt. Eine der besten Ideen im letzten Jahr war die „Marzahner Spätlese“. Ein Vorlesenachmittag im Bürgerpark. Und zwar von und mit Nachbarinnen und Nachbarn und ihren selbst verfassten Geschichten. Geplant von einer aktiven Gruppe von Nachbarinnen und Nachbarn. Ein völlig neues und experimentelles Format. Anfänglich beschäftigten uns viele Fragen: Würde es funktionieren, dass © Susanne Yacoub für AG Schnorbusch Architektur/Landschaftsarchitektur+Video Menschen ihre Geschichten an BENN schicken, mit dem Ziel, dass diese von ihnen selbst öffentlich vorgelesen werden? Wer hätte an so etwas Interesse? Würden genügend Menschen in den Bürgerpark kommen und sich auf „Leseinseln“ etwas vorlesen lassen? Manchmal braucht es etwas Mut und Optimismus – auch oder vielleicht gerade in Zeiten der Pandemie. Texte auf Farsi und wurde anschließend übersetzt. Das Papiertheater zeigte eine einzigartige Darbietung. Und gerahmt wurde das Ganze durch den Poetry Slammer Daniel Hoth, der für viele Lacher sorgte. Beseelt verließen uns nach der Veranstaltung Zuhörende und Lesende. Nicht ohne sich zu wünschen, dass dies unbedingt wiederholt werden müsse! Das Lesefest war ein voller Erfolg! Tatkräftig unterstützt von etlichen Menschen aus der Nachbarschaft, erlebten wir einen unvergesslichen Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein auf der Wiese im Bürgerpark. Rund 50 Menschen unterschiedlichen Alters kamen, lauschten gebannt den Geschichten und sprachen intensiv über die Texte – fernab von Small Talk und Corona-Resignation. Kinder jagten über die Wiese oder entdeckten Geschichten auf unterschiedlichen Sprachen im Märchenzelt, das wir von der Volkssolidarität ausleihen konnten. Ein Nachbar aus Afghanistan las seine Aus der Veranstaltung ist eine Zeitung entstanden, die bei BENN Blumberger Damm abgeholt werden kann (Carrée Marzahn, Jan-Petersen-Straße 14, 12679 Berlin). Darin können die originellen, wundervollen, kuriosen, spannenden und zutiefst menschlichen Geschichten unserer vielfältigen und kreativen Nachbarinnen und Nachbarn nachgelesen werden. Die Zeitung möchte den sehr unterschiedlichen Geschichten eine Plattform geben. Sie ist eine Hommage an Nachbarschaften in Zeiten der Pandemie, weil sie zeigt, dass Phantasie und Zusammenhalt keine Grenzen kennen. Danke an alle, die uns all diese Dinge ermöglicht haben! Auf ein neues, spannendes und gesundes Jahr! Das Team von BENN Blumberger Damm Demokratiebericht2020 23 „Die Russlanddeutschen haben ein bestimmtes Image als ‚rechts‘“ Interview mit Jannis Panagiotidis, geführt von Viktoria Morasch. Lange galten Russlanddeutschen als zuverlässige Stammwähler:innen der CDU/CSU und darüber hinaus als nicht besonders politisch engagiert. Beginnend mit dem „Fall Lisa“ im Jahr 2016 änderte sich das. Einige russlanddeutsche Spätaussiedler:innen protestierten gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung. Das brachte den Russlanddeutschen den Ruf ein, jetzt vermehrt für rechtspopulistische und -extreme Parteien zu stimmen und sich deren Ideen zuzuwenden. Der Historiker und Migrationsforscher Jannis Panagiotidis hat sich diese Gruppe und ihr Wahlverhalten genauer angesehen. Wir haben ihn gefragt: Was ist dran an diesem Ruf? Über Russlanddeutsche heißt es, sie seien eher konservativ. Warum? In den 1990ern und frühen 2000ern, als es ein bisschen Wahlforschung zu dieser Gruppe gab, hat man beobachtet, dass Russlanddeutsche größtenteils CDU wählten. Dafür nannte man verschiedene Gründe: die religiöse Grundprägung, vor allem bei den Älteren, die vielzitierte Dankbarkeit Helmut Kohl gegenüber, weil die meisten Russlanddeutschen während seiner Regierung nach Deutschland einreisten und die Tatsache, dass die Menschen aus einem kommunistisch regierten Land, zumindest vom Anspruch her, kamen und linken Gesellschaftsentwürfen eher skeptisch gegenüberstanden. Das sind die klassischen Faktoren, die man damals identifiziert hat. Was hat sich seitdem verändert? In meiner Forschung konnte ich zeigen, dass es diese konservative Hegemonie in dem Maße nicht mehr gibt. Die Mehrzahl der Russlanddeutschen wählt immer noch rechts der Mitte, knapp unter 60 Prozent. Aber 40 Prozent wählen links der Mitte. Und links der Mitte heißt vor allem Linkspartei, was bemerkenswert ist, weil man ja immer annahm, dass Russlanddeutsche auch aus Feindseligkeit gegenüber dem Kommunismus konservativ wählten. Vielleicht hat diese Veränderung mit einem Generationenwandel zu tun oder mit einem Einstellungswandel in der Aussiedlergeneration, die inzwischen vielleicht etwas nostalgischer auf 24 Demokratiebericht2020 ihre sowjetische Vergangenheit blickt und die eher russlandfreundlichen Positionen der Linkspartei honoriert. Es könnte aber auch daran liegen, dass viele Russlanddeutsche eher prekär leben und aus dieser sozialen Lage heraus eine linke Partei bevorzugen. Lässt sich der Zeitpunkt benennen, an dem viele Russlanddeutsche anfingen, die Linkspartei zu wählen? Da gibt es leider Lücken in der Forschung. Als man nach den 1990ern mal wieder hinguckte, in den 2010ern, war da dieses starke, linke Spektrum. Wann es entstand, interessiert mich auch, weil man daraus auch auf die Beweggründe schließen könnte: Hat es mit der Verschlechterung des deutsch-russischen Verhältnisses zu tun? Der Krim-Annektion? Oder hat es mit sozialen Faktoren zu tun, den prekären Jobs vieler Russlanddeutscher? Bei der AfD lässt sich der Zeitpunkt besser bestimmen. Warum haben viele Russlanddeutsche ab 2015 beschlossen, die AfD zu wählen? Der offenkundigste Grund, der ja auch gesamtgesellschaftlich relevant war, war die sogenannte Flüchtlingskrise. Bei der Wahl 2013 war die AfD noch an der 5-Prozenthürde gescheitert. Dass relativ viele Russlanddeutsche für die AfD stimmten, wird oft mit einem Konkurrenzempfinden gegenüber den Flüchtlingen begründet. Da hört man Dinge wie: Denen gibt man alles, uns hat man nichts gegeben, wir durften die Familie nicht bringen, die dürfen das, bei uns hat niemand applaudiert am Bahnhof. Ich vermute, dass auch eine empfundene Statusverunsicherung eine Rolle gespielt hat. Weil sich viele Russlanddeutsche in ihrer Position in der deutschen Gesellschaft nach wie vor nicht sicher fühlen. Sie sehen sich durch die Neuankömmlinge zusätzlich bedroht. Ich denke, deshalb ist der Schwenk zur AfD hin noch stärker ausgefallen als in der gesamten Wählerschaft. Wie viel stärker denn? Meine und andere Studien legen Stimmenanteile von 15-20 Prozent nahe, gegenüber 12,6 Prozent in der Gesamtbevölkerung bei der letzten Bundestagswahl. Das ist also mehr als eine mediale Illusion. Es wurde zwar übertrieben in der Berichterstattung über die Russlanddeutschen, die jetzt alle AfD wählen. Das stimmte so nicht. Aber es waren mehr als in der Gesamtbevölkerung. Was auch auffällig ist: In bestimmten postsowjetisch geprägten Vierteln gibt es überdurchschnittliche AfD-Ergebnisse. Und da kann man sich fragen: Gibt es einen Echokammereffekt? Schaukeln sich dort bestimmte Grundstimmungen hoch, weil viele Menschen mit gleicher Herkunft zusammenleben? Solche neighbourhood effects hat man für andere Migrantengruppen in anderen Ländern nachgewiesen. Das wäre auch für russlanddeutsch geprägte Viertel denkbar, ist aber bisher eine Hypothese. Glauben russlanddeutsche AfD-Wähler:innen, sie würden nicht zum Ziel einer fremdenfeindlichen AfD-Politik werden? Das gehört auf jeden Fall zu den Paradoxien dieses Komplexes. Nach den Lisa-Demonstrationen 2016 haben viele Kommentatoren verwundert angemerkt: Wie kann es sein, dass Migranten gegen Migranten demonstrieren? Ich denke, dass sich speziell diese Russlanddeutschen nicht als Migranten bezeichnen würden, sondern als deutsche Heimkehrer. Dadurch, dass sie sich fremdenfeindlich positionieren, für die AfD stimmen, stellen sie sich besonders dezidiert als Inländer hin. Sie sagen: Weil wir deutsch sind, uns als deutsch empfinden und auch so gesehen werden wollen, wählen wir eine nationalistische Partei. Und die AfD hat diese Klientel ja auch durchaus geschickt angesprochen, zum Teil in russischer Sprache, was für mich immer noch eine großartige Ironie ist. Dass ausgerechnet die auf nationale Homogenität bedachte AfD den multilingualen Wahlkampf entdeckt hat! Wieso fällt es linken Parteien so schwer, Russlanddeutsche anzusprechen? Ich denke, das hat mit traditionellen Vorbehalten zu tun. Mit der Annahme: Russlanddeutsche sind ohnehin konservative CDU-Wähler, um die müssen wir uns nicht kümmern. Linke Parteien haben sich noch nie wirklich darum bemüht, eine Ansprache zu finden. Ein anderer Aspekt ist ein latentes bis immer mal wieder offen ausbrechendes Ressentiment gegenüber Russlanddeutschen. Viele Linke betrachten sie als privilegiert und lehnen sie aufgrund ihres Status als deutsche Migranten letztlich ab. Da wird eine Gruppe in Haftung genommen, stellvertretend für eine Regierungspolitik, die einem nicht gefiel. Die Russlanddeutschen haben ein bestimmtes Image als „rechts“, das bei Linken kritisch gesehen wird. Einerseits kann man solche Tendenzen zurecht kritisieren. Andererseits wird aber eine Gruppe pauschal abgestempelt. Es gibt auch in anderen Migrationsgruppen problematische Einstellungen – da würden Linke solche Pauschalisierungen aber ablehnen. Dieses Bündel aus Vorurteilen, Ressentiments und letztlich auch Desinteresse trägt dazu bei, dass es an einer passenden Ansprache mangelt. Und der SPD hängt die Figur Oskar Lafontaine nach. Oskar Lafontaine äußerte sich in den späten 1980ern bis Mitte der 1990er immer wieder abfällig über Russlanddeutsche. Er ist gewissermaßen der Stammvater des linkspopulistischen Ressentiments gegen die Russlanddeutschen. Gerade bei der Aussiedlergeneration hat das Spuren hinterlassen und die SPD verbrannt. Es gibt da Ausnahmen, das ist aber eine anekdotische Evidenz: Mir erzählte mal eine Russlanddeutsche, die schon in den 1970ern nach Deutschland immigriert ist, dass ihre Familie stramm SPD wähle. Aus dem gleichen Grund wie andere Russlanddeutsche, die später kamen, CDU wählten – aus Dankbarkeit. Denn o[s]tklick – demokratisch antworten. Russlanddeutsche für Demokratie im Netz Das Interview wurde zuerst auf www.ost-klick.de veröffentlicht. Mit dem Projekt o[s]tklick – demokratisch antworten unterstützt das Zentrum Liberale Moderne deutsche (Spät-) Aussiedler:innen aus Russland und anderen postsowjetischen Staaten dabei, ihre demokratischen Wertvorstellungen in digitalen Netzwerken sichtbarer zu machen, eigene Positionen in politische Debatten einzubringen und sich mit antidemokratischer Hetze und Desinformation auseinanderzusetzen. o[s]tklick bietet demokratische Gegenerzählungen an, die die besonderen Lebensumstände und Erfahrungen der (Spät-)Aussiedler:innen in den Blick nehmen. In Videointerviews diskutiert die Community ihre Rolle in der Gesellschaft sowie über Themen wie Demokratie, Chancen- damals war es die Regierung Schmidt, die ihnen die Ausreise ermöglicht hatte. Es gibt da wohl Loyalitäten, aber sie betreffen nur wenige Tausend Menschen. Wie glauben Sie, werden die Russlanddeutschen bei der Bundestagswahl 2021 abstimmen? Mit Prognosen muss man immer vorsichtig sein. Was man vielleicht sagen kann, um ein paar Trends zu markieren: Bei der Gesamtbevölkerung gewann die AfD zwischen 2014 und 2016 an Popularität, und verlor sie nach 2018 wieder ein Stück weit. Bei den Russlanddeutschen stieg der Trend nach 2016 weiter an. Das bedeutet nicht, dass es ein lineares Wachstum gibt, zumal die Pandemie die Karten noch mal neu gemischt hat. Und die sogenannte Flüchtlingskrise tritt im Bewusstsein der Menschen immer weiter in den Hintergrund. Es kann also auch sein, dass es zu keinem weiteren Zuwachs kommt. Einer meiner Studenten hat gerade eine interessante Studie durchgeführt, allerdings mit einem nichtrepräsentativen Sample. Es stimmten vor allem junge, hochgebildete Russlanddeutsche bei seiner Umfrage ab. Zwei Parteien kamen besonders gut weg. Überraschenderweise die CDU, da gibt es offenbar doch längerfristige Loyalitäten. Und die Grünen, als „go-to-Partei“ für junge, urbane, gebildete Menschen, die sich dort besser aufgehoben fühlen als in der SPD. Da bildet sich eine schwarz-grüne Hegemonie heraus, die ja vielleicht auch gesamtgesellschaftlich zukunftsweisend ist. gleichheit, Migration und ihre unterschiedliche(n) Geschichte(n). Das digitale Projektmaterial kann über die Social-Media- und Messenger-Kanäle von o[s]tklick abgerufen und abonniert werden. Ergänzt werden die Online-Aktivitäten durch ein Workshopangebot: In mehreren Modulen können Russlanddeutsche Kenntnisse etwa zum Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen, Meinungsfreiheit sowie zum Thema Desinformation erwerben. Mehr Informationen: www.ost-klick.de o[s]tklick ist bei Facebook, Instagram, Twitter, Odnoklassniki und VKontakte unter @ostklick zu finden. Der Telegram-Kanal kann unter t.me/ostklick abonniert werden. Demokratiebericht2020 25 Schlüssel zu einer Sozialräumlichen Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf Professor Heinz Stapf-Finé – Alice Salomon Hochschule Wer sind eigentlich die Unerreichbaren? Wie wirken formelles und informelles Demokratielernen in der Schule zusammen? Was sind geeignete sozialräumliche Verfahren zur Demokratieentwicklung? Mit diesen Hauptfragen hat sich das Forschungsprojekt zur sozialräumlichen Demokratieentwicklung an der Alice Salomon Hochschule beschäftigt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Zusammenhalt stärken in Zeiten von Krisen und Umbrüchen“. Das Projekt, das ich gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Brodowski geleitet habe, ist nun beendet, demnächst erscheint der Abschlussbericht im Verlag Barbara Budrich. Ausgangspunkt waren Ergebnisse eines Vorgängerprojekts1, welches von der Lottostiftung des Landes Berlin gefördert worden war. Wir haben eine repräsentative Befragung im Bezirk zur Haltung gegenüber der Demokratie durchgeführt. Danach bewerten viele die Demokratie an sich durchaus positiv, sind mit der derzeitigen Umsetzung aber nicht zufrieden. Je besser die Menschen ökonomisch gestellt sind, desto eher vertrauen sie Politik und Demokratie. Zudem haben wir biografische Interviews geführt, um herauszufinden, wie Demokratiedistanz entsteht. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass die Politik soziale Sicherungsversprechen nicht richtig eingehalten hat und so26 Demokratiebericht2020 mit eine distante Haltung zur Demokratie entwickelt. Schon bei den biographischen Interviews wurde aber auch deutlich, dass viele Menschen geradezu darauf warten, dass jemand sich für ihre Auffassungen und Ansichten zu Politik, Gesellschaft und Zusammenleben im Bezirk interessiert und diese ernst nimmt. Das steht im Kontrast zu den vielen Angeboten, welche Politik, Verwaltung und soziale Träger machen, welche nur auf geringes Interesse stoßen. Um diesen Widerspruch aufzulösen, sind wir der Frage nachgegangen, warum Menschen schwer erreichbar sind. Für diesen Bereich war Raiko Hannemann als wissenschaftlicher Mitarbeiter verantwortlich. Wir haben eine Reihe von Feldstudien vorgenommen, unter anderem indem eine teilnehmende Beobachtung beim Café auf Rädern, einem Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Hellersdorf. Kontrastiert mit Beobachtungen bei offiziellen Anlässen, ergibt sich, dass das Bild von den Unerreichbaren verändert werden muss. Es sind nicht die vermeintlich sozial Abgehängten, sondern es sind die etablierten Angebote, welche für viele unerreichbar sind. Die Beteiligungsbarrieren sind vielfältig: Terminierung von Gremiensitzungen, Sprechen in der Öffentlichkeit, lange Wege zu Versammlungsorten, ein anstrengendes Arbeitsleben das erschöpfend wirkt, Lebensumstände als Alleinerziehende oder geringfügig Beschäftigte. Ein Schlüssel im Abbau solcher Barrieren können Angebote aufsuchender politischer Bildung2 sein, welche die Landeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Roten Baum durchführt. Ein anderer Schlüssel ist die Belebung und Demokratisierung des unmittelbaren Nahraums in Form von Clubräumen, in denen sich die Nachbarschaften quasi im vorpolitischen Raum treffen und austauschen können. Entsprechende Erfahrungen bspw. mit der Kommunalen Wohnungsgesellschaft Erfurt3 aber auch andernorts4 sind vielversprechend. Daher haben wir mit Vertreterinnen und Vertretern der Wohnungsgesellschaften in Marzahn-Hellersdorf ein Gespräch geführt, mit welchen Unterstützungsmaßnahmen, z.B. dem Angebot von Clubräumen, die Wohnungswirtschaft die sozialräumliche Demokratieentwicklung begleiten könnte. Dies ist sicherlich ein wichtiges Thema für die künftigen Beratungen des Runden Tisches Wohnungswirtschaft, der vor einigen Jahren im Bezirk eingerichtet worden ist. Demokratie muss als Lebensform auch erlernt werden, daher hat Nele Rathke sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Fokusgruppendiskussionen mit Schülervertretungen im Bezirk mit der Frage befasst, wie formale und informelle Lernprozesse zusammen- wirken. So kann es kontraproduktiv sein, wenn im formalen Unterricht die Bedeutung von Demokratie betont wird, wenn aber das Schulleben Demokratie nicht erfahrbar und erlebbar macht. Hier können nicht alle Ergebnisse im Detail berichtet werden, aber der Faktor Zeit spielt eine wichtige Rolle. Beispielsweise die lange Zeit, die es dauert, bis ein Partizipationsprozess zu einem Ergebnis führt, aber auch die begrenzte Zeit, die für Demokratie im Schulalltag oder im Rahmen von entsprechenden Projektwochen zur Verfügung steht. Zudem hängen die Erfahrungen mit Demokratielernen stark vom Engagement von einzelnen engagierten Lehrerinnen und Lehrern ab. Die Empfehlung lautet daher, dass Demokratielernen nicht nur auf Projekte und Themenwochen beschränkt werden sollte, sondern im Sinne eines Demokratie-Mainstreamings in allen organisatorischen Prozessen an Schulen mitgedacht werden: Demokratielernen weg von der Projekt- hin zur Unterrichtskultur. Ein weiterer Schlüssel könnte die stärkere Öffnung der Schulen zum Gemeinwesen sein. Eine wichtige Herausforderung vor dem Hintergrund der Defizite, die in Corona-Zeiten deutlich hervorgetreten sind. Schließlich haben wir eine Reihe von Formaten zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ausprobiert, darunter World Cafés, Dialog nach dem Konzept der Gemeinschaftsbasierenden Konfliktlösung5 und Bürgerforen. Federführend war als wissenschaftlicher Mitarbeiter Sven Gramstadt. Es wurde noch einmal deutlich, wie stark das Potenzial an Engagement im Bezirk ist: Schon in der Umfrage hatten viele Menschen angegeben, sozial aber (noch) nicht politisch engagiert zu sein, früher stärker politisch engagiert gewesen zu sein oder sich ein solches Engagement in Zukunft vorstellen zu können. So traten viele Punkte zu Tage, für welche sich die Bürgerinnen und Bürger einsetzen wollen: ein Freibad im Bezirk, die Schaffung von weiteren Sportplätzen, der Ausbau von Radwegen, eine bessere Taktung der U5 etc. Auch das Thema Mieten spielte eine Rolle, ebenso wie die Angst vor Transformationsprozessen. In diesem Zusammenhang wurde der Bedarf nach mehr Transparenz und Mitbestimmung deutlich. Die Bezirksverwaltung wäre gut beraten, wenn sie dieses Potenzial nutzen und die etablierten Verfahren der repräsentativen Demokratie ergänzen würde um Formen der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen von Bürgerforen oder Bürgerräten. Eine weitere Erkenntnis brachten die Diskussionen ans Licht. Es bestehen zwar schon vielfältige Angebote zur Beteiligung im Bezirk und auch zur Vernetzung der Aktivitäten untereinander. Aber die Menschen müssen die Informationen hierzu selbst mühsam zusammentragen. Da die Corona-Epidemie die Fortführung der Serie von Bürgerdialogen verhinderte, wurde im Jahr 2020 die Zeit genutzt, um im Rahmen des Projektes den Webauftritt mitwirkung-marzahn-hellerdorf. de zu konzipieren und an den Start zu bringen. In einer ersten Aufbaustufe enthält der Auftritt eine Übersicht über die Angebote von Vereinen, sozialen Organisationen, Politik und Verwaltung und verschiedene Bildungsangebote. In weiteren Ausbaustufen könnte ein Kalender mit Aktivitäten oder ein Diskussionsforum hinzugefügt werden. Auch Möglichkeiten der Online-Beteiligung wären denkbar. Da das Forschungsprojekt der ASH zu Ende ist, wäre es wichtig, wenn sich ein Träger oder eine Gruppe von Trägern finden würde, um den Auftritt weiter zu pflegen. 1 Stapf-Finé, Heinz (Hrsg.) (2019) Demokratienähe und -distanz. Das Forschungsprojekt Demokratieferne Einstellungen in einer Kommune. Berlin: Logos-Verlag. 2 https://www.roter-baum-berlin.de/de/berlin-aktiv/hellersdorf-aktiv/ 3 https://www.fh-erfurt.de/fhe/fileadmin/Material/Institut/ISP/PDFs/169_4-2013_Schneider-Sinning_17.07.pdf 4 https://minor-wissenschaft.de/herausforderung-zusammenleben-im-quartier-vertiefungsstudie/ 5 https://gbkl.eu/index.html Demokratiebericht2020 27 Ausstellungseröffnung zum internationalen Tag der Menschenrechte Sabine Schwarz, Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf Von den Medien kaum erwähnt, ging am Donnerstag, dem 10. Dezember 2020 der 72. Tag der Menschenrechte vorüber. Allein in Afrika werden tagtäglich bedenkenlos, rücksichtslos Kinder mit lebensgefährlichen Giftstoffen in die Kakaoernte geschickt. Nur so schmeißt die Kakaoproduktion die größten Gewinne ab, damit die Schokolade hier im „zivilisierten“ Europa massenhaft konsumiert werden kann. Unbemerkt blieb der Gedenktag für die unteilbaren Menschenrechte dank der Akteur*innen eines Projekts des Quartiersmanagements Hellersdorfer Promenade hier nicht. Im kalten Dezemberwind trafen sie sich mit der Bürgermeisterin, Dagmar Pohle am Nachmittag vor dem Bunten Haus und eröffneten eine bemerkenswerte Ausstellung. Henny Engels, Sprecherin des Bündnisses für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf eröffnete sie und dankte allen Mitstreiter*innen. Auf 9 Rollups waren verschieden Aspekte der unteilbaren Menschenrechte dargestellt. Die Kaulsdorfer Künstlerin Antje Püpke hatte sie gestaltet. Zu den Artikeln verschiedener Konventionen und Verordnungen hatten Marzahn-Hellersdorfer Aktivist*innen, die Künstler*innen der Frauen-Kunstkaravane, Kirchenleute 28 Demokratiebericht2020 der Kaulsdorfer Kirchengemeinde, Vertreter*innen vom Bündnis Unteilbar, der Frauenrechtsbewegung, von LesLeFam, Theaterleute des Inklusionstheaters Marzahn und die Leiterin des Bunten Hauses ihre eigenen Gedanken zum Ausdruck gebracht und die Gestaltung jeweils eines Rollups übernommen. Henny Engels betonte, dass mit dieser Ausstellung ein Anfang gemacht ist und die Absicht besteht, sie weiter zu führen, Menschen zu animieren sich zu weiteren Aspekten der unveräußerlichen Menschenrechte und, wie sie sie ganz konkret erleben, zu äußern. Beide, die Bündnissprecherin und die Bürgermeisterin machten mit ihren Worten auf die Aktualität und die Vielschichtigkeit des Themas aufmerksam. Sie verwiesen darauf, wie heute, jetzt, in jeder Minute Rechte von Menschen verletzt werden und wie dringend geboten ist, sich dagegen zu stellen und eben diese unteilbaren Menschenrechte für Jede*n und überall einzufordern. Die Ausstellung kann hier online besucht werden: https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/ausstellung-menschenrechte-sind-unteilbar/ Respekt und Neugier Festival 2020 Martin Kleinfelder, Roter Baum Am 3.10.2020 fand im Wiesenpark Marzahn, in unmittelbarer Nachbarschaft der „Anna Landsberger – internationales Jugendzentrum“, das Respekt und Neugier Festival statt. 1501 Personen besuchten die Veranstaltung. Weitere 146 waren an der Umsetzung beteiligt. Ursprünglich hätte es im Juni stattfinden sollen. Um das Festival umsetzen zu können waren einige Vorkehrungen notwendig, die vor allem darauf abzielten, den Besucherzustrom zu kontrollieren, die Kontaktdaten datenschutzkonform zu erfassen und einen Abstand zwischen Menschen auf dem Gelände zu ermöglichen. Besonderen Ausdruck erhielt dies durch die Einzäunung des Geländes sowie den Zwang für Besucher:innen eine Ticketreservierung unter Angabe der Kontaktdaten vorzunehmen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Hygienemaßnahmen getroffen, wie etwa die Ausstattung der Mobiltoiletten mit fließend Wasser, Desinfektion und Licht, die Aufstellung von Desinfektionsspendern an zentralen Punkten auf dem Gelände, Abstandsmarkierungen, Spuckschutz und Gesichtsvisire etc. Das Respekt und Neugier Festival sollte Menschen dazu aufmuntern, sich zu informieren und aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Aktuell ist unser Zusammenleben geprägt von Resignation, von Unzufriedenheit und zumindest virtuell auch von Hass. Wir wollen dem entgegenwirken und Menschen einladen sich einzumischen. Hierfür wurden verschiedene Workshops angeboten, die zum Nachdenken und aktiv werden einluden. Wir haben dabei darauf geachtet, dass verschiedene Angebote mit unterschiedlichem Anspruch vorgehalten wurden: • Bekennershirt mit Stil – Linoldruckworkshop: Die Teilnehmenden waren eingeladen sich darüber Gedanken zu machen, was ihnen • • • • wichtig ist und in kurze Slogans zu fassen, die sie sich mittels Buchstaben und Motivstempeln auf T-Shirts und Beutel drucken lassen können, die kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden. Siebdruck mit dem Hellersdorfer Zentrum für Kultur, Demokratie und Politik: Das Angebot wollte auf Themen wie z.B. strukturellen Rassismus, intersektionalen Queerfeminismus, Armut und Antidiskriminierungsarbeit aufmerksam machen. Das Angebot wurde durch das Projekt Siebdruckwerkstatt des Vereins Kultur Demokratie und Politik e.V. in Hellersdorf durchgeführt. Der Verein nutze es auch, um mit den Nutzer:innen in den Austausch zu treten und neue Kontakte zu Interessierten herzustellen. Spraytment: Hierfür wurde eine Graffitiwand aufgestellt, die die Frage stellte „Welche Werte sind Dir wichtig“ Die Teilnehmenden konnten ihre Gedanken dazu mittels Tagg auf die Fläche sprühen. Dabei haben wir auch motiviert, aufeinander zu reagieren. #übereinkommenüberseinkommen: In diesem Workshop haben sich die Teilnehmenden über Vor und Nachteile von Grundsicherungsmodellen unterhalten. Dabei wurden verschiedene Modelle vorgestellt und die Teilnehmenden konnten Vor und Nachteile sammeln und erörtern. Queer @ school: Sensibilisierung und Empowerment Jugendlicher und junger Erwachsener zu Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Sexualität war das Ziel dieses Workshops. Die TN sollten nach dem Workshop in der Lage sein, Diskriminierung zu erkennen und gegen sie vorzuge- • hen, bzw. sich Unterstützung zu holen. Es wurde die Relevanz von Geschlecht in der Gesellschaft vermittelt. Awareness through Clowning „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“ oder eben nicht?! Immer häufiger nimmt diskriminierende Sprache und verletzendes Handeln Einzug in unsere Gesellschaft, in unseren Alltag. Wir fragen uns, wie kann ich dem begegnen? Was kann ich sagen? Was kann ich machen? Diese Fragen wurden durch experimentelles Lernen beantwortet. Der Vorschlag bestand darin, durch Clowning, also lustiges Überspitzen, diskriminierende Äußerungen (nicht die Menschen) lächerlich zu machen. Weitere Angebote waren: Infostand Seebrücke, Fotobox, Longboard fahren, Percussionworkshop, sowie Klimperlichtung (interaktive Klanginstallation). Auch die Auswahl der Künstler:innen folgte dem Willen, Menschen mitzureißen, sie aufzumuntern und mit ihrer Kunst Diskussionsangebote zu unterbreiten. Gleichzeitig waren es Künstler:innen, die auch zum Feiern einladen und bei denen „komplett aus dem Häuschen sein“ dazu gehört. Bühnenkünstler:innen waren: Razzones, B2b Crew, Afterlife, Phase X, Berlin Boom Orchestra, TCHIK. Wir haben bei dem Bühnenprogramm darauf geachtet, dass die Vielfältigkeit der Gesellschaft Ausdruck erhielt. Das bezog sich vor allem auf Geschlechterverteilung und Diversität. Am 19./20.6.2021 findet das nächste Respekt & Neugier-Festival in Marzahn statt. Es werden noch freiwillige Helfer*innen gesucht: www.roter-baum-berlin.de/de/rundn Demokratiebericht2020 29 Buchempfehlungen der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Moritz Marc An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen im Kurzdurchlauf eine Auswahl von insgesamt sechs Büchern, welche wir im vergangenen Jahr gelesen haben und Ihnen persönlich sehr ans Herz legen möchten. Es geht um Themen wie die zukünftige Gestaltung unserer Demokratie, den Umgang mit Verschwörungserzählungen bzw. –Ideologien, Klassenfragen und der Gefährdung der Demokratie durch extrem rechte Bedrohungsallianzen. In der Koordinierungsstelle können auch weiterhin viele Bücher kostenfrei ausgeliehen werden. Bei Interesse schreiben Sie an: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de Status quo des deutschen Selbstverständnisses, entwirft Czollek nun das Modell für eine veränderte Gegenwart: Wie muss sich die Gesellschaft wandeln, damit Menschen gleichermaßen Solidarität erfahren? Welche liebgewonnenen Überzeugungen müssen wir alle dafür aufgeben? Wie kann in einer fragmentierten Welt die gemeinsame Verteidigung der pluralen Demokratie gelingen? Max Czollek trifft ins Herz des Jahres 2020 – diese Polemik ist sein Schrittmacher. Max Czollek: Gegenwartsbewältigung Nach Max Czolleks Bestseller „Desintegriert euch!“ liefert er nun ein Manifest für die plurale Gesellschaft, das Antworten auf die politische Gegenwart gibt. Robert Misik: Die falschen Freunde der einfachen Leute Alte Parteien verschwinden, neue tauchen auf, die Leitplanken des Diskurses verschieben sich. So chaotisch die politische Situation sich darstellt, so unübersichtlich ist das Angebot an Deutungen für den Aufstieg des autoritären Nationalismus: Die einen erklären ihn mit Politikverdrossenheit und amorpher Wut, andere mit ökonomischen Faktoren wie Globalisierung und wachsender Ungleichheit, wieder andere führen ihn auf die vermeintliche kulturelle Abwertung von In Zeiten der Krise leiden Gesellschaft und Vielfalt. Für Max Czollek bieten staatstragende Konzepte wie „Leitkultur“ oder „Integration“ darauf keinerlei Antwort. Seit 2018 wird viel diskutiert über Max Czolleks Streitschrift „Desintegriert euch!“. Beschrieb sie den 30 Demokratiebericht2020 Erschienen: 17.8.2020, Hanser Verlag, ISBN: 3446267727, 20,00 Euro Menschen mit konventionellen Werten und Lebensstilen zurück. Für sich genommen, so Robert Misik, ist jede dieser Erklärungen viel zu simpel gedacht. Ökonomische und psychopolitische Dynamiken schaukeln sich hoch. Die verborgenen Verwundungen in einer Klassengesellschaft brauchen multikausale Erklärungen – und radikale Antworten. Erschienen: 11.11.2019, Edition Suhrkamp 2741, Taschenbuch, 138 Seiten ISBN: 978-3-518-12741-4 Klaus Dörre: In der Warteschlange Die Umfrageforschung belegt, dass vor allem männliche Arbeiter bei den Sympathisierenden rechtsradikaler Parteien und Bewegungen weit überdurchschnittlich präsent sind. Über die Ursachen wird in den Sozialwissenschaften wie auch in den politischen Öffentlichkeiten heftig gestritten. Viele dieser Kontroversen blieben jedoch ohne empirische Fundierung. Gegen luftige Konstruktionen setzt Klaus Dörre Forschungen, denen er über vier Jahrzehnte hinweg in – teilweise gewerkschaftsnahen – Arbeitermilieus nachgegangen ist. Dokumentiert wird eine rechte Tiefengeschichte, die sich im Zeitverlauf radikalisiert. In der Gesamtschau der Texte zeigt sich, dass eine starre Entgegensetzung von sozioökonomischen und kulturellen Ursachen der Wirklichkeit des Ar- beiterlebens nicht gerecht wird. Rechte Orientierungen in der Arbeiterschaft sind kein bloßes Ergebnis einer Spaltung in kulturelle Metaklassen, in Anywheres und Somewheres. Sympathie für die radikale Rechte entsteht, weil sich erhebliche Teile der Arbeiterschaft von den Mitte-Links-Parteien im Stich gelassen fühlen. Sie entsteht, weil Arbeiter*innen in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht wurden. Und sie entsteht, weil ein Denken in Klassenkategorien wissenschaftlich wie politisch aus der Mode gekommen ist. Eine demobilisierte Klassengesellschaft bildet den Nährboden, den die radikale Rechte für eine Umdefinition sozioökonomischer und kultureller Spaltungen nutzt. Erschienen: 2020, Westfälisches Dampfboot, ISBN: 978-3-89691-0486, 355 Seiten, 30,00 Euro Katharina Nocun & Pia Lamberty: Fake Facts Einfache Wahrheiten für eine komplizierte Welt: „Corona ist eine Erfindung der Pharmaindustrie! Menschen, die daran erkranken, müssen so für ihre Sünden büßen! Oder: Das Virus wurde in chinesischen Geheimlaboren gezüchtet!“ Verschwörungstheorien verbreiten sich nicht nur im Netz wie Lauffeuer und sind schon lange kein Randphänomen mehr. Katharina Nocun und Pia Lamberty beschreiben, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen. Welche Rolle spielen neue Medien in diesem Prozess? Wie schnell wird jeder von uns zu einem Verschwörungstheoretiker? Und wie können wir verdrehte Fakten aufdecken und uns vor Meinungsmache schützen? Erschienen: 2020, Quadriga, ISBN-10: 3869950951, 352 Seiten, 19,90 Euro Wilhelm Heitmeyer: Rechte Bedrohungsallianzen Nach Ereignissen wie dem Mord an Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle oder den rassistischen Morden in Hanau im Februar 2020 wird regelmäßig darüber diskutiert, inwiefern es sich um isolierte Einzeltäter handelt oder ob ein Zusammenhang zu bestimmten Parteien und Ideologien besteht. Der renommierte Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer hat dazu bereits 2012 das Modell eines konzentrischen Eskalationskontinuums präsentiert: ganz außen stehen menschenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung, im Zentrum terroristische Zellen, dazwischen organisierte Akteure, »Vordenker«, systemfeindliche Milieus und Unterstützernetzwerke. Die Gewaltbereitschaft nimmt von außen nach innen zu, die jeweils äußere Schicht liefert ihrer inneren Nachbarin Legitimation. In dieser hochaktuellen Studie zeigt Wilhelm Heitmeyer zusammen mit Manuela Freiheit und Peter Sitzer u. a. am Beispiel der Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018, wie sich innerhalb dieses Kontinuums Allianzen herausbilden und wie diese die offene Gesellschaft immer stärker bedrohen. len, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden. Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien. Erschienen: 17.8.2020, Suhrkamp, 284 Seiten, ISBN: 9783-518-42963-1, 22,00 Euro Erschienen: 12.10.2020, Edition Suhrkamp 2748, ISBN: 978-3-518-127483, 325 Seiten, 18,00 Euro Deniz Ohde: Streulicht Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die FertigungshalDemokratiebericht2020 31 Interview mit der Koordinatorin für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf Die Fragen stellte Lia Kynaß von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Seit wann gibt es die Stelle? Welche Träger und oder Vereine sind für sie zuständig? Seit Wann Sind sie Koordinatorin für die Großsiedlungen Marzahn-Hellersdorf? Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen führt von 2020 bis 2023 in Zusammenarbeit mit den betreffenden Bezirken das Programm „Stärkung Berliner Großsiedlungen“ durch. Ziel ist es, durch unterstützende Projekte Großsiedlungen sowie ihre Bewohner*innen zu stärken und dadurch das nachbarschaftliche Miteinander und die Lebensqualität weiter zu erhöhen. Die Förderkulisse des Programms umfasst 24 Großsiedlungen in Berlin, die außerhalb des S-Bahn Rings liegen, nicht in die Förderkulisse Sozialer Zusammenhalt fallen, also nicht über ein eigenes Quartiersmanagement verfügen und nach 1960 erbaut wurden. Die Koordinationsstelle ist ein Projekt im Rahmen des Programms „Stärkung Berliner Großsiedlungen“. Der Bezirk wählte in einem Interessenbekundungsverfahren mit anschließender Jurysitzung den Träger Mittendrin Leben e.V. aus. Die Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination (kurz OE SPK), des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf ist auf der Ebene der Verwaltung für die Koordinationsstelle zuständig und eine wichtige und enge Austauschpartnerin. In diesem habe Kontext habe ich meine Tätigkeit Mitte September 2020 aufgenommen. 32 Demokratiebericht2020 Was genau machen Sie als Koordinatorin für die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf? Wozu bedarf es der Stelle? Die Koordinationsstelle ist eine Beratungsstelle und ganzjährige Anlaufstelle für Bewohner*innen, Initiativen und lokale Akteur*innen rund um das Thema Beteiligung und Nachbarschaftliches Zusammenleben. Sie berät und informiert über bestehende sozio-kulturelle Angebote und aktuelle Beteiligungsformate in den Großsiedlungen. Sie ermittelt Bedarfe, aktualisiert sie und setzt in Zusammenarbeit mit der OE SPK Beteiligungsinstrumente um, wie beispielsweise ganz aktuell das Stadtteilbudget „ Wat Willste Machen“ Die Koordinationsstelle ist eine explizite Schnittstelle zwischen der Verwaltung und den Bewohner*innen in den Gebieten der Großsiedlungen. Sie sucht die Menschen dort auf, wo sie leben, um mit ihnen vor Ort über das Zusammenleben in den Großsiedlungen und die Bedarfe und Begehren, die in den einzelnen Gebieten bestehen, in‘s Gespräch zu kommen. Mit dem Bürgerhaushalt, dem Stadtteilbudget, den Aktionsfonds, den Stadtteildialogen etc. werden ja bereits zahlreiche Beteiligungsformate mit und für die diverse Stadtgesellschaft angeboten. Instrumente, die es den Bürger*innen ermöglichen sollen ihre Lebensumwelt und den Bezirk aktiv(er) mitzugestalten ,über politische und verwaltungstechnische Prozesse mitzuentscheiden und in einen gemeinsamen Austausch zu kommen. Die Koordinationsstelle möchte in diesem Rahmen eben auch jene Menschen in den Großsiedlungen erreichen, die von diesen Möglichkeiten noch nichts wissen oder die sich aus bestimmten anderen Gründen nicht daran beteiligen können oder wollen. Es geht also darum eine diverse Stadtgesellschaft zu informieren, zu beraten und zu begleiten bzw. eine lebendige und diverse Beteiligungskultur zu stärken, in enger Zusammenarbeit mit anderen Trägern und der Verwaltung. D.h. Beteiligung nicht nur punktuell zu ermöglichen, sondern zu einem dauerhaften und verlässlichen Bestandteil der kommunalen Entscheidungsprozesse zu machen und hierfür einen Rahmen zu schaffen. Warum genau Marzahn-Hellersdorf? Gibt es hier einen besonderen/bestimmten Anlass? Marzahn-Hellersdorf entspricht zum einen den Förderkriterien dieses Programms. Zum anderen sind vor allem Marzahn und Hellersdorf durch einen starken Zuzug gekennzeichnet. D.h. es entstehen gerade und fortwährend Konstellationen neuer Nachbarschaften, die u.a. durch unterstützende Programme und im besten Fall solidarische Strukturen und Netzwerke begleitet und gestärkt werden müssen. Was sind ihre Tätigkeiten? Gibt es ein Ziel oder ein Hauptanliegen? Wie wollen Sie diese erreichen? Hauptanliegen ist zum einen die Stärkung von (Selbst)Organisation und Selbstermächtigung der Bewohner*innen in den Großsiedlungen. D.h. daran mitzuwirken Strukturen mit herzustellen, die es den Menschen ermöglichen an bestehenden Beteiligungsinstrumenten zu partizipieren. Durch Informationsveranstaltungen, die mobilen Sprechstunden im öffentlichen Raum oder die projekteigene Webseite. Zum anderen bestehende Infrastrukturen und Netzwerke zu stärken und diese noch intensiver miteinander an unterschiedlichen Schnittstellen zu verbinden bzw. sie noch bekannt(er) -in den jeweiligen Aktionsräumen zu machen. Außerdem ist es der Koordinationsstelle ein besonderes Anliegen den Öffentlichen Raum als Begegnungs- und Versammlungsort stärker in den Fokus zu rücken und in Zusammenarbeit mit anderen Trägern Akteur*innen und Bewohner*innen zu aktivieren. Was hat es mit dem Lastenrad auf sich? Mobile Sprechstunden, für wem und warum? Das Lastenrad ist das Beteiligungsmobil der Koordinationsstelle und dem Projekt „Unsere Platte“. Es stellt eine Möglichkeit dar, den öffentlichen Raum stärker in die Zusammenarbeit einzubeziehen und ist essentiell für die Stelle, welche von Anfang an gezielt mobil und aufsuchend konzipiert war. Während der offenen Sprechstunden können sich alle Anwohner*innen, in den Großsiedlungen über Beteiligungsformate und sozio-kulturelle Angebote informieren und beraten lassen, Mitstreiter*innen für ihre Ideen finden oder einfach über ihre Anliegen und Bedarfe rund um das Nachbarschaftliche Zusammenleben sprechen. Entlang unterschiedlicher Thementage oder Veranstaltungen von Trägern der Gemeinwesenarbeit ist die Koordinationsstelle mit dem Lastenfahrrad mit Aktionen zu den Themen Nachbarschaft, Selbstorganisation und kollektiver Stadtentwicklung präsent. Das Projekt haben wir „Unsere Platte“ genannt, um die spezifische Bauweise und das Wohnumfeld der Großsiedlung zu thematisieren und positiv zu besetzen. Der Blick soll deshalb auf die vielgestaltigen und engagierten, bereits bestehenden und sich bildenden (solidarischen) Strukturen gelenkt werden. Das Projekt wendet sich ganz bewusst der Vielfalt und Gemeinschaft (in) der Platte zu und widersetzt sich damit bewusst Kategorien wie Monotonie und Anonymität. Wissen Sie schon Standorte, Termine oder Ähnliches für die mobilen Sprechstunden? Los gehen soll es ab April. Wann genau ist zum einen von dem gerade laufenden Genehmigungsverfahren abhängig als auch von den aktuellen Corona Bestimmungen. Sobald es soweit ist, steht das Lastenfahrrad regelmäßig auf öffentlichen Plätzen in den beiden Großsiedlungen. In Marzahn sind beispielsweise der Victor-Klemperer-Platz, Helene-Weigel-Platz, Otto-Rosenberg-Platz oder der Platz vor der Grünen Geiß geplant und in Hellersdorf unter anderem der Theaterplatz, Alice-Salomon-Platz, Cottbusser Platz oder der Platz am Feldberger Ring 5. Weitere Plätze kommen im Laufe der Zeit dazu. Das Lastenrad steht auch an Gemeinschaftsgartenprojekten, BENN Büros Spielplätzen oder Jugendclubs im Gebiet der Förderkulisse. Die Termine für die Sprechstunden werden auf der Homepage des OE SPK, bei Kooperationspartner*innen und auf der projekteigenen Webseite sowie auf Social Media Kanälen des Projektes wie Instagram und der Facebook-Seite von Mittendrin Leben e.V. bekannt gegeben. Demokratiebericht2020 33 Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn“ Moritz Marc, Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen!“ Beim Ende 2020 über einen Sondertopf des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderten Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen“ handelt es sich um eine temporäre Arbeitsgruppe des Bündnisses für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Ziel war die Erhöhung der Sichtbarkeit und Außenwahrnehmung der bestehenden zivilgesellschaftlichen Strukturen in Marzahn und im ganzen Bezirk und eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses für Demokratie und Toleranz. Für die inhaltliche und organisatorische Realisierung gab es in den Monaten bis Dezember mehrere Beratungen im Team, bei denen Ideen gesammelt und konkrete Verabredungen getroffen wurden. Ein wesentlicher Baustein des Projekts war die Erstellung einer professionellen neuen Website (https://buendnis. demokratie-mh.de) für die Arbeit des Bündnisses für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf und den demokratischen und zivilgesellschaftlich engagierten Partner*innen in der Großregion Marzahn. Hierbei ist auch viel Arbeitszeit u.a. der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf eingeflossen. Der Entwurf wurde durch alle Kooperationspartner*innen begutachtet und teilweise mit Vorschlägen verbessert, bevor er endgültig fertig gestellt wurde. Am 17.9.2020 fand in Zusammenarbeit mit der Kampagne Solidarische Kieze, BENN Blumberger Damm, der Alice Salomon Hochschule, Migran- 34 Demokratiebericht2020 tas, Unteilbar, der Kiezgruppe gegen Rassismus u.a. ein erfolgreicher Workshop zum Thema „Was heißt für Dich Solidarität?“ im Paradies-/Nachgarten in Marzahn statt. Weitere – ursprünglich geplante - Veranstaltungsformate konnten Corona bedingt nicht stattfinden. (30.11. Lesung im Fair mit Heinz Bude - verschoben ins Frühjahr 2021, Lesung im Rahmen unserer Gedenkveranstaltung zum Holocaust konnte wegen Corona ebenso wie die geplante Veranstaltung mit der Kiezgruppe zur Eröffnung der neuen GU Murtzaner Ring nicht stattfinden.) Auch im Social Media Bereich sollte die Wahrnehmbarkeit der Zivilgesellschaft des bunten Marzahns verbessert werden – dazu gehören die Erstellung eines Twitter-Accounts, einer Facebookseite und eines Instagram-Profils, um noch mehr Menschen im Bezirk zu erreichen. Alle drei Accounts wurden mittlerweile erstellt und sind oben rechts auf der Startseite des Bündnisses in Form von Social Media Buttons verlinkt. Es wurden zudem die verschiedensten mit Logos des Bündnisses bedruckten langlebigen Werbematerialien hergestellt wie bspw. Transparente, Bündnispavillon, Notizbücher, Saatkugeln etc. Die Giveaways werden zukünftig kostenfrei über unseren Bündnisstand auf Nachbarschaftsfesten und anderen Veranstaltungen im Bezirk an die hier lebenden Menschen verteilt werden. Für die Bildungs- und Aufklärungsarbeit an Schulen im Bezirk konnten wir zudem zwei Klassensätze des hoch aktuellen neuen „Buch vom Antirassismus“, das vor allem junge Leute anspricht, finanzieren, welche bei Interesse über das Bündnis ausgeliehen werden kann. Zudem wurde eine mobile Lautsprecheranlage erworben, die auch den demokratischen, zivilgesellschaftlichen Partner*innen für eigene Veranstaltungen im Bezirk zur Verfügung steht. An der Planung und Umsetzung der Website und der Öffentlichkeitsmaterialien waren die verschiedensten Projektpartner*innen gleichberechtigt beteiligt. Insgesamt konnten wir bezüglich unserer Erolgsindikatoren die Verbesserung und den Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit, bezüglich der Aktivitäten des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und der engagierten Zivilgesellschaft in Marzahn erfolgreich umsetzen. Auch eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Strukturen in Marzahn in Form von Aufklärungs- und Bildungsarbeit wird neben unseren zum Teil bereits umgesetzten Veranstaltungsformaten erfolgreich durch die enorm erhöhte Informationsdichte und politische Bildung über unsere neuen Social Media-Kanäle und zukünftig auch über die neue Bündnisseite umgesetzt. Damit einhergehend wird perspektivisch auch der weitere Auf- und Ausbau demokratischer Strukturen in Marzahn gefördert werden. Es konnten zuletzt auch neue Bündnismitglieder über die Aktivitäten auch dieses Projekts gewonnen werden. Wenn Ihr Interesse an unseren Öffentlichkeitsmaterialien, der mobilen Lautsprecheranlage oder unserem Bildungsangebot („Buch über Antiras- sismus“) für Eure Aktivitäten im Bezirk habt, kontaktiert bitte die Geschäftsstelle des Bündnisses in Form der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de Schlussfolgerungen und Perspektiven Die gemeinsame Planung, Gestaltung und Umsetzung von neuen Öffentlichkeitsmaterialien war für alle Betei- ligten ein spannender Prozess. Mensch kann dabei viel Lernen, es entstanden einige neue Kooperationen. Die Workshopveranstaltung am 17.9. im Naschgarten/ Paradiesgarten hat gezeigt, welch spannenden Orte wir für Outdoor-Formate im Bezirk haben. Gerade hier konnte auch hinsichtlich der diversen Teilnehmer*innen sichtbar gemacht werden, welche Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen eines bunten und solidarischen Marzahn bestehen. Hieran gilt es auch in der Zukunft anzuknüpfen. Gerade auch in Form von gemeinsamen Kampagnenformaten wie z.B. der Kampagne Solidarische Kieze. Ab Januar 2021 wurde mit einer vierteiligen Veranstaltungsreihe der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Motto „Robuster Bezirk“ an unser Projekt angeknüpft, in welcher es vor allem auch um die Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft und der Ermöglichung gemeinsamer Kampagnen und Aktivitäten ging. Unser Projekt „Buntes und solidari- sches Marzahn“ hat für uns sichtbar gemacht, wie viel emanzipatorisches Potential in den zivilgesellschaftlichen Strukturen hier vor Ort liegt. Gerade in (Post-)Coronazeiten und der sich weiter verschärfenden gesellschaftlichen Polarisierung erscheint es und wichtiger denn je, gemeinsam solidarische und inklusive Nachbarschaften in den Kiezen aufzubauen. Aktuell entsteht ein Kiezteam der Berlin weiten Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ im Bezirk. Auch hier besteht die Möglichkeit weiterhin gemeinsames solidarisches Handeln anhand der Praxis zu erlernen und zu verbreitern. Vielleicht entstehen durch diese und andere Projekte und Kampagnen zukünftig neue, zarte Pflänzchen der Zivilgesellschaft - selbst-organisiert und von unten - die sich an solidarischen Orten im Bezirk zu neuen demokratischen Beteiligungsformaten z.B. in Form von Bürger*innenräten in den Kiezen verdichten (könnten). Das wäre eine Perspektive, die Demokratiemüdigkeit überwinden und neue, solidarische Beteiligungsmöglichkeiten aller hier lebenden Menschen wieder gedeihen lassen könnte. Inklusiv, divers, intersektional und solidarisch! Wir bedanken uns an dieser Stelle für die finanzielle Unterstützung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und die sehr gute Zusammenarbeit mit den Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf. Demokratiebericht2020 35 Vielleicht wird alles viel_leichter? weltgewandt. Institut für interkulturelle politische Bildung e.V. im Jahr 2020 Sophia Bickhardt, Projektleiterin weltgewandt e.V. beit”. Das Projekt sah eine Reihe von 13 Treffen vor, bei denen die Teilnehmer:innen lernen, ein Vorhaben vom Konzept über die Durchführung und Bewerbung bis hin zur Nachbereitung zu realisieren. Dabei sollten digitale Kompetenzen der gemeinsamen Organisation von Events erprobt werden. Die LSK-geförderte Reihe war komplementär zu einer größeren italienisch-deutschen Bürgerbegegnung gedacht. Sie sollte im Mai 2020 stattfinden, gefördert vom Programm Europa für Bürgerinnen und Bürger. weltgewandt e.V. hatte das Grundkonzept mit Aktiven des Stadtteils entwickelt, nachdem diese zwei Mal die Partnerorganisation in Rom besucht hatten. Zu Beginn des Jahres waren noch alle Signale auf “grün” gestellt. Die gedeihliche Entwicklung der Projekte von weltgewandt e.V. würde sich fortsetzen können. Der Neujahrsempfang am 06. Februar im Berliner Tschechow-Theater stand denn auch unter dem Titel: “Vielleicht wird alles vielleichter. Die Kunst zu leben”. Der Germanistik-Professor Jean-Paul Barbe aus Nantes/Frankreich und zwei schreibende Bewohner:innen aus Marzahn-Nord lasen dazu aus eigenen Texten. Im anschließenden Gespräch mit dem zahlreich erschienenen Publikum ging es schnell ums Übersetzen: zwischen Sprachen, aber auch Menschen verschiedener Regionen, Kulturen oder gesellschaftlicher Gruppen. Lebenskunst, das meint zwischen Welten zu wandern und daran zu wachsen. Ganz weltgewandt 36 Demokratiebericht2020 eben. Weiterhin monatlich lud der Verein zum DIALOG-Café ein. Es bietet ein offenes Forum für Begegnung und Diskussion. Hervorgegangen aus früheren Sprachcafés und Theaterprojekten wurden die Treffen mit Übungen aus der freien Theaterarbeit eingeleitet. Die Rückmeldungen bestätigen das Konzept: “In zwei Stunden haben wir so viel erlebt. Gelacht, geredet, gespielt, Ideen gesammelt.” “Ich kann jetzt besser akzeptieren, dass es länger dauert, um mit Deutschen in echten Kontakt zu kommen.” Im Februar 2020 startete die Workshopreihe “Abenteuer Erfolg.Von der genialen Idee zum krönenden Abschluss. Einführung in Projektmanagement und Öffentlichkeitsar- Doch dann standen die Signale auf “rot”. Sowohl die Bürgerbegegnung als auch die Workshopreihe mussten abgesagt werden. Das DIALOG-Café wurde ins Freie verlagert. Aus den Vorschlägen von Beteiligten erwuchs das Projekt “Kommunikation im Kiez”, ko-finanziert durch den Aktionsfonds Partnerschaften für Demokratie Marzahn. Alt- und Neu-Berliner:innen suchten gemeinsam interessante Orte in Marzahn auf. Den Auftakt bildete das Stadtwerk Marzahn und ein Gespräch mit Vera Fritsche. Weitere Begegnungen fanden u.a. im Jugendzentrum Anna Landsberger und dem Kulturhochhaus statt. Auf europäischer Ebene nahm weltgewandt Themen der gesellschaftspolitischen Bildung auf und legte den Schwerpunkt auf die Bereiche poli- tisch-ökonomische Bildung, Digitalisierung, Integration und Wahrnehmungen von Geschichte. Auch hier standen ab März 2020 die Signale auf “rot”. Im noch häufigeren digitalen Austausch wurde das Behelfsmedium zur Arbeitsplattform – und der Charme transnationaler Zusammenarbeit zweidimensional. Gleichwohl sind Bildungsmaterialien und Artikel u.a. zum aktuellen Strukturwandel von Öffentlichkeit, Big Data – Big Democracy? und zur Geschichte der Digitalisierung entstanden. Sie sind über die Rubrik “Veröffentlichungen” der Website von weltgewandt e.V. (https://weltgewandt-ev.de) aufrufbar. Veröffentlicht wurde auch ein Online-Kurs zur Einführung ins Programmieren, der im Rahmen des Projekts “NO GENDER GAP” entstanden ist. Alle Texte und Kursinhalte sind in offener Lizenz frei zugänglich und richten sich an interessierte Bürger:innen – auch in Marzahn. der Ökonom Prof. Jan Priewe und die Künstlerin Elske Rosenfeld im Rahmen der “Talk ohne Show”-Reihe zu “Bittersüße Freiheit. Der Vereinigungsprozess und die Folgen”. Frau Rosenfeld stellte ihren Text: „Wackliges Gedenken. Die ostdeutsche Revolution ist eine unvollendete Geschichte. Hätte man das verstanden, gäbe es heute keine AfD“ vor. Jan Priewe bilanzierte in Zahlen – vorwiegend positiv. Er fragte aber auch, was heute aus dieser Zeit für uns wichtig sein könnte angesichts der „schwersten Krise des Kapitalismus“, von Unsicherheit, Umweltzerstörung und sozialer Polarisierung. Das Gespräch kann über die Website von weltgewandt nachgehört werden (“Aktuelles”). Gesellschaftspolitische Bildung, das zeigte das Jahr 2020 einmal mehr, ist nötig, gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen. Es besteht ein Bedürfnis nach Orientierung, nach Verstehen, was vor sich geht. Und es besteht die Herausforderung, zurecht zu kommen mit Vielfalt, Komplexität, Angst, Widersprüchen, Sorgen, (gefühlter) sozialer Demütigung. Gesellschaftliche und politische Bildung, wie weltgewandt sie auffasst, geschieht unabhängig von politischen Parteien und bietet keine festen Antworten, die einfach übernommen werden mögen. Es geht um die Anstiftung zum Selbstdenken und zu verantwortungsbewusstem Handeln. In Marzahn haben wir weltgewandten auch 2020 vielfach einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Demokratie wahrgenommen. Dies bietet dafür eine gute Anknüpfung – stehen die Signale nun auf “rot” oder hoffentlich bald wieder “grün”. Weitere Informationen: https://weltgewandt-ev.de/, Facebook @weltgewandt.polis, Telegram/Whatsapp +49 (0)176 29930406. In insgesamt zehn europäischen Kooperationen, unter anderem einer zum Klimawandel, dem Projekt “Frischer Wind für die Ökonomie”, jenem zu gesellschaftspolitischer Bildung mit Geflüchteten, aber auch dem zu “Perspektiven von Frauen auf gesellschaftliche Spaltungen”, zu “Bewegte Geschichte” mit dem Fokus auf Umbruchserfahrungen und einem zur Förderung des Museumsbesuchs durch Menschen, die dies weniger tun, wurde die Arbeit an Online-Kursen und Lernplattformen fortgesetzt bzw. begonnen. Im Frühherbst bot sich ein Zeitfenster für eine öffentliche Veranstaltung in der Stadtteilbibliothek Heinrich von Kleist. Am 7. Oktober diskutierten Demokratiebericht2020 37 Ein Jahr Corona: Das Bündnis für Demokratie und Toleranz MarzahnHellersdorf positioniert sich Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf Ein Jahr Corona – und Deutschland hat es bisher nicht geschafft, die Ausbreitung des Virus maßgeblich einzuschränken. Besonders bedenklich ist darüber hinaus: Zahlreiche Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung haben das gewohnte Leben erheblich verändert. Und: Die Einschränkungen treffen Menschen unterschiedlich hart. Für Menschen mit kleinen Einkommen oder im Transferleistungsbezug ist der Wegfall von Schulspeisungen und Tafeln eine enorme zusätzliche Belastung des Budgets. Oft sind die finanziellen Mittel, die für die Lebenshaltung zur Verfügung stehen, bereits Mitte des Monats verbraucht. Um das Familieneinkommen zu si- 38 Demokratiebericht2020 chern, müssen Eltern, meistens die Mütter, weiter ihrem Beruf nachgehen und gleichzeitig ihre Kinder im Vorschulalter zuhause betreuen. Schulkinder müssen ganz oder zeitweise zuhause unterrichtet werden. Das bringt viele an den Rand ihrer physischen und psychischen Kräfte. Dadurch sind besonders Alleinerziehende belastet. Zudem stehen Familien mit geringen Einkommen häufig die für den Online-Unterricht notwendigen Endgeräte nicht zur Verfügung. Werden diese aus staatlichen Mitteln zur Verfügung gestellt, fehlen oft die technischen Voraussetzungen zu einer störungsfreien Verwendung. Bei kleinen und mittleren Unternehmen kommen die versprochenen staatlichen Hilfen häufig zu spät an. So wurden die so genannten Novemberhilfen häufig erst im Januar oder Februar ausgezahlt. In vielen Fällen reichen sie auch nicht aus, um die Einbußen wirklich auszugleichen und den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Beratungsstellen für besonders verletzliche Menschen, etwa Menschen mit Gewalt- oder mit Flucht- und Migrationserfahrung, können ihren Aufgaben nicht in der gewohnten Art und Weise nachkommen. Zudem sehen sie sich mit völlig neuen, kaum zu bewältigenden Aufgaben konfrontiert. Viele, besonders alleinlebende Menschen, vereinsamen durch die Kontaktbeschränkungen. Besonders betroffen sind ältere Menschen, weil viele von ihnen nicht mit den virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten vertraut sind. Hinzu kommt: Ältere Menschen klagen darüber, dass ihnen – obgleich fit und aktiv – in der Krise durch die Etikettierung „besonders gefährdet“ ein Bild als „Opfer“ zugeschrieben wird, das ihrem Selbstbild nicht entspricht. Mit dieser Situation hat sich das Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf auseinandergesetzt. Und hält fest: Diesen Herausforderungen haben sich zahlreiche Menschen im Bezirk mit Engagement und Fantasie gestellt. • Gemeinsam mit den Stadtteilzentren koordiniert die FreiwilligenAgentur Marzahn-Hellersdorf nachbarschaftliche Hilfe über eine Corona Hotline. Über Webseite und Telefon können Hilfesuchende und Freiwillige, die Unterstützung geben wollen, sich dort melden. Zwischen den Gemeldeten werden Kontakte hergestellt. • Seit Februar 2021 gibt es den telefonischen Besuchsdienst für Senior:innen, organisiert vom Seniorenbüro mit Unterstützung der FreiwilligenAgentur MH. • Alle Stadtteilzentren machen Angebote und vermitteln zu Nachbarschaftshilfen, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Tafel. • „Quarantäne-Engel“ vom DRK Nordost helfen, wenn Menschen in der Corona-Pandemie Hilfe benötigen. Sie stehen für Nachbarschafts- und Einkaufshilfe ebenso zur Verfügung wie zum Verteilen von Lebensmittelpaketen. Durch die Feldküche wird kostenloses warmes Essen bereitgestellt, und am Bürgertelefon werden Informationen vermittelt und Fragen beantwortet. • Auch die im Bezirk politisch Verantwortlichen reagieren auf die Situation. Beispielsweise sind Jugendfreizeiteinrichtungen und Stadtteilzentren für Beratungsangebote geöffnet. Das gilt auch für das Bezirksamt, insbesondere das Gesundheitsamt. Über die Stadtteilzentren werden auch die vom Senat von Berlin für besonders Bedürftige zur Verfügung gestellten medizinischen Masken verteilt. Bei all diesen Angeboten müssen Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Zugleich hält das Bündnis fest: Zu fordern ist, dass auf Bundesund Landesebene generell • Hilfen tatsächlich unbürokratischer und schneller als bisher zur Verfügung gestellt werden; • Beratungsstellen und Hilfesysteme aktuell und nachhaltig besser ausgestattet werden; • passgenaue Hilfen für die besonders stark Betroffenen angeboten werden. Es hilft nicht bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, • mit den Ängsten von Menschen zu spielen; • die Lage zu nutzen, um sich parteipolitisch zu profilieren, populistisch zu hetzen und damit den im Kampf gegen die Pandemie notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu torpedieren; • Verschwörungserzählungen zu verbreiten, die die Gefährlichkeit der Situation, die durch das Virus und seine Mutanten entstanden ist, verharmlosen; • wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse ohne nachvollziehbare Begründung in Frage zu stellen • oder gar lächerlich zu machen; lautstark zu protestieren, ohne Alternativen aufzuzeigen. Was vielmehr hilft, ist • Unterstützung jedweder Art anzubieten – und anzunehmen; • Kontakte mit denjenigen, die unter Einsamkeit leiden, unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen zu pflegen; • konstruktive Kritik zu üben; • das Gespräch miteinander zu suchen, gerade auch mit denjenigen, die sich durch Kritik an der Kritik unter Druck gesetzt fühlen; • besonnenes Handeln, um sich selbst und andere zu schützen; • die Hygienemaßnahmen einzuhalten, um sich und andere zu schützen und das Gesundheitssystem nicht übermäßig zu strapazieren; • dafür zu werben, dass die Menschen die hoffentlich bald für alle zur Verfügung stehenden Impfungen nutzen – zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz aller anderen. Wir stehen ein für ein solidarisches Miteinander in den Nachbarschaften und Kiezen von Marzahn-Hellersdorf. Dies versuchen wir unter anderem im Rahmen unserer Bündniskampagne „Solidarische Kieze in Marzahn-Hellersdorf“ (https://buendnis.demokratie-mh.de/was-wir-tun/ kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/) umzusetzen und freuen uns sehr über eine aktive Beteiligung. Demokratiebericht2020 39 Schöner Leben ohne Nazis 2020 AG Schöner Leben ohne Nazis Ein Grund zu feiern: Unser mittlerweile 12. Demokratiefest „Schöner leben ohne Nazis“ am 5. September 2020 wurde von über 700 Menschen besucht! Die Zahl lässt sich für das Jahr 2020 erstmals genau durch die Corona bedingten Teilnehmer*innenlisten ermitteln. Organisator*innen und Standbetreuer*innen sind bei diesen Zahlen noch nicht einmal eingerechnet. Das vielseitige Bühnenprogramm und die zahlreichen Informations- und Aktionsstände aus der Marzahn-Hellersdorfer Zivilgesellschaft wurden 40 Demokratiebericht2020 sehr positiv von den Besucher*innen aufgenommen. Das alles kann als ein voller Erfolg bezeichnet werden und zeigt wie sehr unser Demokratiefest schon in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert ist! versammlung, zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag am 26.9.2021 stehen. Wir freuen uns wie jedes Jahr über eine breite Beteiligung aus der Zivilgesellschaft und dem Gemeinwesen von Marzahn-Hellersdorf. Für einen ausführlichen Bericht empfehlen wir Euch die tolle Sendung von Radio Connection zum Nachhören. Auch das Schöner Leben ohne Nazis im Jahr 2021 wird wieder am ersten Septemberwochenende (4.9.2021) stattfinden und dieses Jahr unter dem Zeichen der kurz darauf stattfindenden Wahlen zur Bezirksverordneten- Wenn Ihr Euch aktiv an der vorbereitenden Arbeitsgruppe des Bündnisses für Demokratie und Toleranz beteiligen oder anderweitig einbringen möchtet, wendet Euch bitte an die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung: koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de …nicht extra für, sondern gemeinsam mit… Inklusionsberatung in Marzahn-Hellersdorf Im Jahr 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Überarbeitung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zur Folge. Hierdurch soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessert werden. Ein wichtiger Bestandteil bei den Maßnahmen ist die Inklusion. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft sind und die gleichen Möglichkeiten haben sollen, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Dies betrifft das Arbeitsleben, die Bildung sowie das soziale Leben. Inklusion stärkt somit den Zusammenhalt in der Gesellschaft, weil die Stimmen und Bedürfnisse von allen Menschen gehört werden und Ausgrenzung entgegengetreten wird. Um die Inklusion in Marzahn-Hellersdorf voranzutreiben, haben Ende 2020 vier Inklusionsberater*innen die Arbeit im Bezirk aufgenommen. Sie sind aufgeteilt nach den sogenannten Prognoseräumen Biesdorf, Kaulsdorf/ Mahlsdorf, Marzahn und Hellersdorf und sind verortet in den jeweiligen Stadtteilzentren. Dadurch sind sie Ansprechpartner*innen mit kurzen Wegen, die die Nachbarschaft kennen und das Engagement vor Ort stärken. Die Berater*innen haben drei Aufgaben: Sie bieten Beratung für Menschen mit Behinderungen aller Altersklassen sowie deren Angehörige an und informieren über (Freizeit-)Angebote im Sozialraum, die offen für alle sind. Sie bieten Beratung für Angebote im Sozialraum, die inklusiv(er) werden wollen und unterstützen bei der Maßnahmenplanung. Sie decken Barrieren im Sozialraum auf, kommunizieren diese an entsprechende Stellen und forcieren deren Abbau. Sie erreichen die Inklusionsberatenden wie folgt: Region Biesdorf Yvonne Full Tel.: 0176 86 19 68 55 Mail: inklusionsberater@ball-ev-berlin.de Region Kaulsdorf/Mahlsdorf Jutta Stelbrink Tel.: 030 56 58 87 62 Mail: stz-kaulsdorf@ev-mittendrin.de Region Marzahn Nils Paganetti Tel.: 030 99 89 502 / 0151 15 08 87 97 Mail: inklusionsberatung-berlin@ volkssolidaritaet.de Region Hellersdorf Beate Marquardt Tel.: 0163 132 15 67 Mail: marquardt@klub74.de Demokratiebericht2020 41 Zunehmende verschwörungsideologische Radikalisierung im Zuge der Corona-Pandemie muss verhindert werden Moritz Marc und Lia Kynaß von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Die Demonstration gegen die Corona-Politik der Bundesregierung am 29. August in Berlin muss als eine der größten antidemokratischen und verschwörungsideologischen Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik bewertet werden. Die Demonstration war in großen Teilen deutlich verfassungsfeindlich geprägt und rechtsextreme Verschwörungsnarrative erfuhren massive Verbreitung unter den Teilnehmenden. Die Amadeu Antonio Stiftung rät dringend, die Auseinandersetzung mit verschwörungsideologischer Radikalisierung zum Bestandteil der bundesweiten Strategie zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu machen. (https://www.amadeu-antonio-stiftung. de/wp-content/uploads/2020/09/ Deradikalisierung-bedeutet-Infektionsschutz.pdf) • • • • • • Wir haben hier für Euch das im September 2020 verfasste Strategiepapier der Amadeu Antonio Stiftung zusammengefasst: • Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen  geplante, inszenierte rechtsextreme Raumnahme. • Breites Spektrum der Demonstrierenden ohne deutliche Abgrenzung zu Rechtsextremismus  ähnlich wie bei der Demonstration in Chemnitz 2018 welche die rechtextreme Gruppe „Revolution Chemnitz“ beflügelte und 42 Demokratiebericht2020 • • den Mörder von Walter Lübcke. Verschwörungsideologien beinhalten starkes Identifikationsangebot und wirken stark handlungsmotivierend  schnelle Radikalisierungsverläufe sind häufig damit verbunden. Verschwörungserzählungen gleichen in ihrer Funktion und Struktur dem Antisemitismus Oft sind sie offen antisemitisch  wie auch bei den Anti-Corona-Demonstrationen zu beobachten ist. Bei den Protesten werden demonstrativ und systemisch Hygieneund Abstandsregeln missachtet  Gefahr von Nachahmungseffekt. Massenhafte Verstöße gegen Hygiene-Auflagen haben bisher keine Konsequenzen. Vertrauensverlust in Politik und Wissenschaft, durch Verschwörungserzählungen und Desinformationen  verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation für breite Teile der Bevölkerung, wird hierin eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie gesehen. Von der Reichsbürgerbühne aus (29.08.2020 Berlin), kam die Aufforderung „Sturm auf den Reichstag“  seit 2013 rufen sie jährlich dazu aus. Demoteilnehmer*innen zeigen bewusste Differenzierung, z.B. Rechtsextreme und Querden- • • • • • • • • ker*innen  wirken harmlos aber im Kern demokratiefeindlich und weil scheinbar harmlos, gefährlich. Grundlegendes Problem: Polizei und Verfassungsschutz beobachten rechtsextreme Organisationen, Gruppen und Tatbestände. Wissenschaft und Zivilgesellschaft hingegen beziehen sich insbesondere auf rechte Ideologie und Einstellung, welche bis in Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Vernetzung und Desinformationen im Internet  Radikalisierungsmotor Digitale Parallelgesellschaft, abgeschottete Kommunikationsräume = Schneeballprinzip Fehlende Medienkompetenzen. Demonstrationsteilnehmer*innen sorgten für Angst unter marginalisierten Gruppen. Diese trauten sich zum Teil nicht auf die Straße zu gehen. Intern wurde gewarnt sich nicht in Nähe der Demonstration zu begeben. Gegendemonstrant*innen wurden verbal attackiert, körperlich bedrängt. Freie Presse-Berichterstattung wurde behindert (19 verbale Attacken und körperliche Angriffe). Deutliche Abwesenheit von Polizeipräsenz auf den Demonstrationen in Berlin. Zugleich wurden die Gegendemonstrationen von Polizei abgeschirmt, durften zum Demokratiebericht2020 43 • Teil nicht betreten oder verlassen werden. Kinder werden seit jeher von rechtextremen oder rechts-alternativen Kreisen für politische Zwecke instrumentalisiert. Auf die Demos wurden Kinder bewusst und im Vorfeld geplant mitgebracht, Begründung: „Antifa und Polizei werden keine Kinder angreifen“ (Kinder als Schutzschild). Forderungen: • Ein mit finanziellen Mittel ausgestattetes Bundesprogramm zur Bekämpfung von Antisemitismus und Verschwörungserzählungen. • Flächendeckende Gefährder*innenanalyse in Online-Communities. • Radikalisierungspräventionen von Desinformationen und Verschwörungserzählungen in der staatlichen Strategie zu Corona-Maßnahmen aber auch im Gesundheitsbereich. • Reichbürger*innen-Thema muss höhere Priorität haben in der inneren Sicherheit. • Sicherheitsbehörden müssen entschlossener handeln, juristische Konsequenzen + Blick erweitern durch z.B. Einbeziehung von Expertise. • Polizeiausbildung erweitern, Module zu Rechtsextremismus/ Reichsbürger + regelmäßige Weiterbildungen. • Bundesregierung muss Arbeitsdefinition von Rechtsextremismus erweitern an der sich orientiert werden kann. • Digitale Räume sollten als Frühwarnsystem genutzt und verstanden werden. Verfolgungsdruck durch Netzwerkbetreiber, besser geschulte Sicherheitsbehörden durch Fortbildungen. • Polizei muss Demonstrationen besser im Griff haben. Gegenproteste müssen ermöglicht werden und sogar gewünscht sein. • Beratungsbedarf gestiegen  Hilfsangebote müssen aufgestockt und bundesweites Netzwerk an Trägern aufgebaut werden  Beratungsangebote auch an Schulen und Jugendtreffs  44 Demokratiebericht2020 • • • • Fortbildung für Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen. Unabhängige wissenschaftliche Analysen in Verfassungsschutzbehörden würden bereichern. Expertise zu Reichs- und Verschwörungsideologien, Esoterikszene usw. bündeln und Handlungsstrategien entwickeln. Für Demokratie werben. Kinder und Jugendliche bei Selbstwirksamkeit und demokratischer Willensbildung fördern. Politik und Verwaltung sollen ihr Handeln transparent machen und für Fragen und Anliegen von Bürger*innen erreichbar sein. Schulung von Medienkompetenzen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. „Internetführerschein“, Einführung eines entsprechenden Schulfachs. Das Maßnahmenpapier der Stiftung umfasst elf Bereiche und findet sich hier. (https://www. amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/09/Deradikalisierung-bedeutet-Infektionsschutz.pdf) Ebenfalls lesenswert zum Thema Verschwörungsideologien: Broschüre zum Umgang mit Corona-Verschwörungsmythen In dieser Handreichung finden Sie hilfreiche Infos und Hinweise zu Funktion und Wirkweisen von Verschwörungsmythen sowie nützliche Tipps für den Umgang aus der Praxis für die Praxis. Download hier. (https://www.mbt-berlin.de/mbt/publikationen/Broschueren/ SPI_MBT_Verschwoerung_2_Auflage_ WEB_barrierefrei.pdf) Seit Ende 2020 bzw. Anfang 2021 finden auch in Marzahn-Hellersdorf regelmäßig verschiedene Protestformate von Pandemieleugner*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien z.B. in Form von Autokorsos und „Montagslichterspaziergängen“ statt. Auch zum Jahrestag der verschwörungsideologischen Großdemonstration ist am 29.8.2021 erneut eine Demonstration von Querdenken und anderen Akteur*innen in Berlin angemeldet. Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf und das Bündnis für Demokratie und Toleranz berichten regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen im Bezirk und darüber hinaus und auch die entsprechenden zivilgesellschaftlichen Gegenaktivitäten: https://buendnis.demokratie-mh.de Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf – Fazit, Handlungsbedarf & Perspektiven Moritz Marc Insgesamt zeigen auch die Praxisbeispiele in diesem Bericht erneut die Vielschichtigkeit der bezirklichen Akteur*innen und deren zahlreiche zivilgesellschaftliche Aktivitäten auf. Es gelingt über die verschiedenen Ansätze der aktiven Gemeinwesenarbeit zunehmend Marzahn-Hellersdorf divers und weltoffen zu gestalten. Es konnten erneut viele spannende Formate solidarischen Handelns in den Nachbarschaften der bezirklichen Kieze vorgestellt werden. Diese positiven Ansätze werden sich – trotz weiterbestehender Vorurteile und Rassismen - auch in den kommenden Jahren verstärken und verstetigen. Marzahn-Hellersdorf wächst aktuell weiter, wird bunter in seiner Bewohner*innenschaft und durch seine wachsende Vielheit hoffentlich auch offener im täglichen Miteinander. Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und konkreter Handlungsbedarf Die sozialen Herausforderungen in der Coronapandemie Die diverse soziale Situation ist ebenso wie das Vorhandensein extrem rechter Strukturen und rassistischer Diskurse auch im Jahr 2020 weiterhin eine Herausforderung für die Entwicklung einer menschenrechtsorientierten Kultur im Bezirk. Dies haben u.a. die aktuelle Auswertung der bezirklichen Registerstelle Marzahn-Hellersdorf, die „Dunkelziffer unbekannt“ sowie die bezirkliche Sozialberichterstattung (https:// www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/qua- litaetsentwicklung-planung-und-koordination-des-oeffentlichen-gesundheitsdienstes/downloads/ kurzbericht-soziale-lage-2020-barr. pdf) und das neu erschienene Monitoring soziale Stadtentwicklung (https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/politik-und-verwaltung/ service-und-organisationseinheiten/ qualitaetsentwicklung-planung-und-koordination-des-oeffentlichen-gesundheitsdienstes/downloads/mss-2019fuer-mh-endfassung.pdf) bewiesen. Zudem ist zu erwarten, dass sich die soziale Situation im Bezirk aufgrund der Folgen der Coronapandemie in Form von erneut wachsenden Arbeitslosenzahlen eher wieder verschlechtern wird. Im Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf berichteten im August 2020 sowohl Frau Marion Augustin vom Bezirksamt in Form des aktuellen bezirklichen Sozialberichtes als auch der Arche-Gründer Herr Bernd Siggelkow über die sich verschärfende Situation im sozialen Bereich in Zeiten von Corona. Umso wichtiger bleibt es auch weiterhin mit einem sozialräumlichen Ansatz die Problemlagen im Bezirk zu bearbeiten und demokratische, progressive Strukturen des Engagements in der Gemeinwesenarbeit weiter zu stärken. Anhand des Monitoring Soziale Stadtentwicklung (2019) (https://www. stadtentwicklung.berlin.de/planen/ basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/2019/index.shtml) lassen sich für den Bezirk zwar weiterhin Aufwärtstrends erkennen. Dennoch befinden sich insbesondere die Indikatoren bezüglich Kinderarmut und Transferbezug nach wie vor in einigen Sozialräumen des Bezirks auf hohem Niveau (u.a. in Hellersdorf-Nord und Teilen von Marzahn-Nord). Das Gelbe Viertel in Hellersdorf-Süd kam als Gebiet mit besonderen Aufmerksamkeitsbedarf neu hinzu. Wir zitieren aus der Zusammenfassung des Monitorings Soziale Stadtentwicklung für Marzahn-Hellersdorf von Frau Marion Augustin: „Eine deutliche Verbesserung der sozialen Situation ist im Boulevard Kastanienallee zu verzeichnen. Hier ist der Anteil der Transferbezieher*innen so stark gesunken, dass der Planungsraum nicht mehr der sehr niedrigen, sondern der niedrigen Statusgruppe zugeordnet werden konnte. Trotz positiver Entwicklungstendenzen bleibt die soziale Lage in einigen Gebieten der Großsiedlungen, vor allem in Hellersdorf, schwierig. Besonders die Alte Hellersdorfer Straße und die Hellersdorfer Promenade, beides Gebiete mit einem Quartiersmanagement, sind besonders stark von sozialer Benachteiligung betroffen. Sie entwickeln sich allerdings seit Jahren positiv (bereits im Monitoring 2017). Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Daten den Stand von 2018 und die Entwicklung zu 2017 abbilden. Inwieweit die Corona-Pandemie die wirtschaftliche und damit die soziale Situation und Entwicklung beeinflusst, ist noch nicht abzuschätzen, aber negative Veränderungen sind absehbar. Es sind in starkem Maße Personen mit geringem Bildungsgrad und in „einfachen“ Berufen, die von den AusDemokratiebericht2020 45 wirkungen des Lockdowns betroffen sind. In Marzahn-Hellersdorf hat ein größerer Teil der Bevölkerung einen geringeren Bildungsgrad als in anderen Berliner Bezirken. Insofern werden spätere Daten die soziale Lage zum gegenwärtigen Zeitpunkt und die Entwicklungen realistischer widerspiegeln.“ Die soziale Frage im Bezirk wird auch in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle hinsichtlich der Demokratieentwicklung spielen. Ohne soziale Teilhabe und Gerechtigkeit hinsichtlich Bildungschancen, fairen Löhnen und bezahlbaren Mieten ist eine weitere gesellschaftliche Polarisierung zu befürchten. Die zunächst weitverbreitete Hoffnung auf ein nachhaltiges solidarisches Miteinander in der Krise hat sich leider nur vorübergehend bzw. partiell durch die verschiedensten Formen von Nachbarschaftshilfe und Vernetzung in den Kiezen (https:// koordinierungsstelle-mh.de/solidarische-und-selbstorganisierte-nachbarschaftsstrukturen-in-zeiten-der-corona-krise/) erfüllt: „Zu Beginn der Pandemie, die als „Coronakrise“ in die Geschichte eingeht, gab es noch eine Reihe von Hoffnungen. Die Krise würde zu mehr Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlich-solidarischer Einrichtungen führen, zu mehr Wertschätzung für Ärzte und Pflegepersonal, zu mehr Solidarität in den Bevölkerungen. (…) Kurz: die Krise wäre zugleich mit den Gefahren vielleicht auch eine Geburtshilfe für neue Chancen. Mit zunehmender Dauer müssen wir uns indes auch von den Hoffnungen für eine bessere Post-Krisen-Welt verabschieden. (…) Die Hoffnungsblasen platzen und es zeichnet sich ab: Die Gewinner der Vor-Krise werden wieder die Gewinner der Nach-Krise sein (mit etlichen Verschiebungen, Verstärkungen und Vermittlungen.) Die Verlierer sollen weitere Verluste in Kauf nehmen – ganz im Dienste des „Systems“.“ (Seeßlen, Georg: „Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist vor der Krise – Die Post-Corona-Gesellschaft und was sie uns über die Zukunft erzählt, Bahoe Books, 2020). 46 Demokratiebericht2020 Die Koordinierungsstelle hat sich dieser Entwicklung zusammen mit Kooperationspartner*innen aus der Zivilgesellschaft in Marzahn-Hellersdorf mit einer auf mindestens zwei Jahre angelegten Kampagne unter dem Motto „Solidarische Kieze“ (https:// buendnis.demokratie-mh.de/waswir-tun/kampagne-solidarische-kieze-in-marzahn-hellersdorf/) mit vielen Veranstaltungs- und Aktionsformaten ein Stück weit erfolgreich entgegenstellen können. Mit zahlreichen Angeboten und einer entsprechenden Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist es der Kampagne im Jahr 2020 gelungen einige positive Akzente zu setzen und den Menschen in den Kiezen ein solidarisches Gegenangebot zu Verschwörungserzählungen und/oder rassistischen Ansätzen zu machen. An diesem erfolgreichen Ansatz wird die Koordinierungsstelle auch im Jahr 2021 zusammen mit seinen Kooperationspartner*innen weiterarbeiten und versuchen im bevorstehenden Superwahljahr solidarische Narrative rassistischen und verschwörungsmythischen Erklärungsmustern entgegenzustellen. Mit dem offenen Kampagnenansatz wird versucht die zivilgesellschaftliche Vernetzungsarbeit noch weiter voranzutreiben und die Akteur*innen aus der Gemeinwesenarbeit und den verschiedenen sozialen Trägern sowie Einrichtungen aktiv miteinzubeziehen. Handeln gegen Rassismus und extreme Rechte Aktuell zeigen die rassistisch und rechtsterroristisch motivierten Anschläge von Kassel, Halle und Hanau sowie die anhaltend hohen Zahlen von rechter Gewalt bundesweit auf, was für eine massive Gefahr weiterhin für die Demokratie von Seiten der extremen Rechten ausgeht. Auch die Agitation der AfD, die in allen Landtagen, im Bundestag und auch in den Kommunalparlamenten sitzt, wird sichtbar schärfer und aggressiver. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf versucht die AfD die Zivilgesellschaft und demokratische Akteur*innen durch regelmäßige und zielgerichtete Angriffe kontinuierlich zu verunsichern und einzuschüchtern. Hier im Bezirk steht die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung den Betroffenen von rassistischen und (extrem) rechten Angriffen aufklärend und beratend zur Seite. Es gab und gibt verschiedene Workshop- und Weiterbildungsformate, die auch im laufenden Jahr verstetigt bzw. ausgebaut werden sollen. Während sich die Situation rund um die Unterkünfte für Menschen mit Fluchterfahrung im Bezirk mittlerweile relativ beruhigt hat – auch dank der miteinander verzahnten und kontinuierlichen Arbeit des Demokratie- und Integrationsbereiches in den vergangenen Jahren – besteht aktuell die Gefahr, dass auch hier im Bezirk die Zahl der Anhänger*innen von rechtsoffenen bis extrem rechten Verschwörungserzählungen im Zuge der Coronakrise weiterwächst. Ein Beispiel aus den vergangenen Monaten sind die wöchentlichen Autokorsos (seit Januar 2021) und „Montagslichterspaziergänge“ (seit Dezember 2020), deren Akteur*innen sich weiter zu radikalisieren scheinen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf besitzt – wie viele Ostberliner Bezirke – eine Vergangenheit, die auch durch die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit extrem rechten Akteuren und Strukturen geprägt ist. In den letzten Jahren ist ein Erstarken extrem rechter und rechtspopulistischer Aktivitäten zu verzeichnen. Debatten um Migration oder die Hygienemaßnahmen werden genutzt menschenverachtende Positionen im Mainstream zu verankern. Dem wurde durch zivilgesellschaftliche und politische Intervention – zum Teil erfolgreich – begegnet. An diese Erfolge knüpft die Koordinierungsstelle auch weiterhin an und entwickelt neue Formate wie das Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen“. Ähnlich wie im bundesweiten Kontext existieren in der Bevölkerung menschenfeindliche Einstellungsmuster. Diese werden u.a. anhand der Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD), die immer wieder nationalistische, rassistische und abwertende Argumentationen vertritt, offensichtlich. Die AfD hat bei den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2016 im Bezirk das berlinweit höchste Ergebnis erreicht. Sie saß zwischenzeitlich als zweistärkste Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung und stellt den stellvertretenden Bürgermeister. Auch bei den Europawahlen im Jahr 2019 konnte die AfD ihre Wahlergebnisse auf ähnlich hohem Niveau wie im Jahr 2016 halten. In einer Wahlumfrage vom 19.1.2021 wird die AfD in der BVV als stärkste Kraft auf 25,5 % der Stimmen taxiert (siehe: https://www.wahlkreisprognose.de/trends-in-Berlin/). Hinsichtlich der bevorstehenden Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen, sowie der Bundestagswahl im Herbst 2021, ist zu befürchten, dass sich das gesellschaftliche Klima zuspitzt. Themen wie Migration, Coronakrise und ihre wirtschaftlichen sowie sozialen Folgen können im Superwahljahr eine gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben. Umso wichtiger erscheint es uns die verschiedenen zivilgesellschaftlichen und demokratischen Akteur*innen im Bezirk noch stärker und kontinuierlicher zu vernetzen, um rechten und diskriminierenden Inhalten etwas entgegen zu setzen. Die Koordinierungsstelle unterstützt seit Ende 2020, ermöglicht über Fördermittel des Bundesprogramms Demokratie Leben, die Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf (siehe Beitrag über das Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen“). Zudem wurden mit einer neuen, zentralen Demokratiewebsite (https://buendnis.demokratie-mh.de/) auch die Informations- und Teilhabemöglichkeiten der Bürger*innen im Bezirk an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten verbessert. Im Rahmen unserer langjährigen Expertise in der Auseinandersetzung mit extrem rechten Akteur*innen, stellen wir weiterhin eine große Verunsicherung bei vielen zivilgesellschaftlichen sowie politischen Akteuren und der bezirklichen Verwaltung im Umgang mit rechtpopulistischen (Kommunikations-)strategien fest. Dies bedeutet für die Arbeit der bezirklichen Koor- dinierungsstelle, Handlungssicherheit in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Phänomenen zu vermitteln. Hierzu gab es u.a. im Februar 2020 ein gut besuchtes Fachgespräch für Mitarbeiter*innen in Jugendfreizeiteinrichtungen, Stadtteilzentren und bei sozialen Trägern. Zugleich müssen auf einer präventiven Ebene, u.a. im Rahmen politischer Bildung, Akteur*innen für Rassismus und alle Formen von Menschenfeindlichkeit sensibilisiert werden. Auch dies geschieht bereits in Form von gemeinsamen Veranstaltungen und Bildungsformaten in Zusammenarbeit mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz, eigenen Formaten (Lesungen bzw. Fachgesprächen) und in Kooperation mit den Berliner Fachund Netzwerkstellen (Fachgespräche, Fachtag, Diskussionsveranstaltungen, Publikationen). Anknüpfend an bestehende Strukturen und Aktivitäten ist es ein wesentlicher Ansatzpunkt der bezirklichen Koordinierungsstelle, gemeinsam mit Engagierten aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft Aushandlungsprozesse anzuleiten, um sich Fragen des solidarischen Zusammenlebens, der Beteiligungsmöglichkeiten und der alltäglichen Verankerung demokratischer Werte zu nähern. Um die Beteiligungsstrukturen im Bezirk weiter zu stärken und auszubauen, müssen die Teilhabechancen der neuen und alteingesessenen Nachbar*innen in den einzelnen Sozialräumen weiter gestärkt werden. Integration kann nur gelingen, wenn allen hier lebenden Menschen gleichermaßen eine soziale, politische und kulturelle Teilhabe am Alltagsleben ermöglicht wird. Die Koordinierungsstelle sieht sich hier als eine wichtige vermittelnde und aktivierende Instanz. Die bereits bestehenden Kooperationen sollen auch im Jahr 2021 weiter ausgebaut bzw. verstetigt werden. Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie „Wir stehen vor einer Zeitenwende: Ein Virus breitet sich aus, doch es ist der Kapitalismus, der aus ihm eine globale Krise macht. Die Pandemie verstärkt die wirtschaftliche Rezession zu einer weltweiten Depression. Der Klimawandel verschärft sich weiter. Eine dramatische Verdichtung gesellschaftlicher Krisen erschüttert unser Leben. Verantwortungslos haben die Regierenden anfänglich die Gefahr einer Pandemie ignoriert. Zu spät, ungenügend, einseitig und autoritär haben sie dann reagiert. Die Interessen der Wirtschaft stehen vor dem Schutz der Menschen. Die Konzerne sichern sich immense staatliche Unterstützung. Zugleich nimmt die Bereitschaft vieler Menschen zu, über Alternativen zum bestehenden gesellschaftlichen Ist-Zustand nachzudenken. Ein solidarischer und ökologischer Umbau der Wirtschaft ist notwendig.“ (aus: Verena Kreilinger / Winfried Wolf / Christian Zeller: „Corona, Krise, Kapital - Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie“) Aufgrund von Platzmangel empfiehlt die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung folgende Literatur zum Thema Corona und den Umgang mit den sozialen und politischen Folgen: Verena Kreilinger / Winfried Wolf / Christian Zeller: „Corona, Krise, Kapital Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie“, 2020, Papy Rossa, ISBN 978-3-89438739-6 Heike Kleffner/Matthias Meisner (Herausgeber*innen): „Fehlender Mindestabstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“, 2021, Herder, ISBN: 9783451390371 Georg Seeßlen: „Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist vor der Katastrophe“, 2020, Bahoe Books, ISBN 978-3-903290-37-2 Robert Misik: „Die neue (Ab)normalität: Unser verrücktes Leben in der pandemischen Gesellschaft“, 2021, Picus Verlag D.F. Bertz (Herausgeber): „Die Welt nach Corona: Von den Risiken des Kapitalismus, den Nebenwirkungen des Ausnahmezustands und der kommenden Gesellschaft“, 2021, Bertz und Fischer, ISBN: 978-3865057631 Slavoj Zizek: „Pandemie!: COVID-19 erschüttert die Welt“, 2020, Passagen Verlag, ISBN: 978-3-70920-441-2 Demokratiebericht2020 47 Schlussfolgerungen für die Demokratieentwicklung im Bezirk Marzahn-Hellersdorf und Handlungsideen Mit Hinblick auf die im Herbst 2021 bevorstehenden Abgeordnetenhausund BVV-Wahlen und die anhaltende Corona-Krise ist ein politisch und gesellschaftlich turbulentes Wahlkampfjahr zu erwarten. Die sozialen Folgeschäden der Pandemie werden verstärkt zu Tage treten und die extreme Rechte wird versuchen die schwierige gesellschaftliche Gesamtsituation zu nutzen, um noch mehr Hass und Hetze zu betreiben und durch die verschiedensten Agitationsformen im Netz und auf der Straße die Ängste der Menschen weiter zu einem Gegeneinander statt einem solidarischen und inklusiven Miteinander zu instrumentalisieren. Dem müssen wir uns als weltoffene und diverse Zivilgesellschaft auch im Bezirk auf den verschiedenen Ebenen unseres Gemeinwesens entgegenstellen. • Ein paar Handlungsideen für die weitere Demokratieentwicklung im Bezirk: • • 48 Die vielseitigen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Bezirk sollten noch besser vernetzt und sichtbarer gemacht werden. Es werden niedrigschwellige und inklusive Angebote für alle Menschen im Bezirk benötigt, um ein eindeutiges Zeichen für ein solidarisches Miteinander und gegen Hass und Menschenverachtung zu setzen, welches gerade in Zeiten der Coronakrise wichtiger denn je ist. (Kampagne solidarische Kieze fortführen, an Projekt „Buntes und solidarisches Marzahn sichtbar machen“ anknüpfen und die Öffentlichkeitsmaterialien nutzen, neue Formate entwickeln.) Auch auf digitaler Ebene muss die Zivilgesellschaft im Bezirk gestärkt werden. Es ist wichtig, dass die Akteur*innen auch in den sozialen Medien Farbe für einen toleranten und vielfältigen Bezirk bekennen und sich jeder Demokratiebericht2020 • • Form von menschenverachtenden Äußerungen aktiv entgegen stellen. (Hierzu läuft aktuell eine vierteilige Veranstaltungs- und Fortbildungsreihe der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung in Zusammenarbeit mit der Amadeu-Antonio-Stiftung). Das Zusammenspiel von Akteur*innen in den Bereichen der Integrationsarbeit und der Demokratieentwicklung sollte weiter ausgebaut und verstetigt werden. Positive Ansätze aus den migrantischen Communities und von Migrant*innen(selbt) organisationen wie z.B. die Prideparade in Marzahn (Quarteera: www.facebook.com/Quarteera) oder dem Projekt „Ostklick“ (www.ost-klick.de) sollten verstärkt in die bezirkliche Arbeit mit eingebunden werden. Auch die BENN-Standorte im Bezirk und offene interkulturelle Anlaufpunkte wie das LaLoKa oder der Frauentreff Rosa sollten genutzt werden, um die Bereiche Integration und Demokratieentwicklung weiter zu verzahnen und möglichst viele Menschen inklusiv in ihren Nachbarschaften einzubeziehen (niedrigschwellige Begegnungsformate, aber auch politische Bildung und Beteiligungsmöglichkeiten). Ausbau der politischen Bildungsarbeit für ein menschenrechtsorientiertes Miteinander an Schulen. Bei der demokratischen Meinungsbildung von Schüler*innen und bei der Vermittlung demokratischer Werte einer modernen Gesellschaft könnte durch externe Projekte Unterstützung geleistet und für Themen wie Menschenrechte und Partizipation geworben sowie Rassismus und Diskriminierungsformen jeglicher Art bearbeitet werden. Mittels Projektarbeit könnte so gezielt die demokratische Kultur gefördert werden. Ein interfraktioneller Antrag wurde hierzu Anfang 2021 in der BVV auf den Weg gebracht. Auch der Ausbau von Kulturprojekten im Bezirk kann die Vielfalt und Offenheit • weiter stärken. Es gibt bereits eine Vielzahl gut ausgestatteter Kulturhäuser, Klubs, Ausstellungszentren (https://www. kultur-marzahn-hellersdorf.de/ ausstellungszentrum-pyramide) und Projekträume (https:// www.kultur-marzahn-hellersdorf. de/projektraum-galerie-m), Galerien (https://www.kultur-marzahn-hellersdorf.de/schloss-biesdorf), Kinos und Kleinbühnen (LInk kaputt) sowie ein Regionalmuseum (https://www.kultur-marzahn-hellersdorf.de/bezirksmuseum-marzahn-hellersdorf) und eine Jugendkunstschule (https:// www.kultur-marzahn-hellersdorf. de/jugendkunstschule). Darüber hinaus erscheinen aber auch gerade offene Outdoor-Formate wie das zentrale bezirkliche Demokratiefest Schöner Leben ohne Nazis, das Respekt & Neugier-Festival, die Angebote der Station urbaner Kulturen im öffentlichen Raum („Place Internationale“), Graffiti-Projekte aus dem Umfeld der Jugendfreizeiteinrichtungen oder Formate wie das „Berlin Mural Fest“ (2019), Lesebegegnungen in Parks, wie die „Marzahner Spätlese“ (BENN Blumberger Damm) oder neue Kulturformate wie das „114 ÜBER MARZAHN“ (2019) und das „HellD – Festival für Kultur am Stadtrand” (2020) als gute Ansätze im öffentlichen Raum, um die Vielfalt und auch die kulturelle Diversität im Bezirk stärker sichtbar zu machen. Gerade aufgrund der vielen Freiflächen sollte der Bezirk diese vorhandene Attraktivität – insbesondere auch in Pandemiezeiten – verstärkt ausspielen. Eine weiter auszubauende bzw. zu bewerbende Möglichkeit zur Begegnung der Bürger*innen im öffentlichen Raum sind die mittlerweile zahlreichen Nachbarschafts-, Gemeinschafts-und Kleingärten sowie Umweltbildungsorte im Bezirk. Die Grüne Liga Berlin hat vergangenes Jahr erneut eine „Gartenkarte“ (http:// www.grueneliga-berlin.de/the- • • men-projekte2/stadtbegruenung/ integrierte-urbane-gaerten/gartenkarte-fuer-den-bezirk-marzahn-hellersdorf) mit über 40 Standorten in Marzahn-Hellersdorf entworfen. An diesen Orten kann die interkulturelle Begegnung und das nachbarschaftliche, demokratische und solidarische Miteinander eingeübt werden. Die Kampagne Solidarische Kieze hat z.B. im Sommer 2020 einen tollen Workshop zum Thema Solidarität (https://buendnis.demokratie-mh. de/aktuelles/17-9-2020-naschgarten-was-heisst-fuer-dich-solidaritaet-workshop-und-mal-aktion/) in Kooperation mit Migrantas, dem Unteilbar-Bündnis und Bürger*innen im „Naschgarten“ in Marzahn umgesetzt. Gerade in Zeiten der Pandemie kann diese Vielfalt von gemeinschaftlichen Garteninitiativen und grünen Lernorten für Naturerfahrung, Begegnung und Erholung im Bezirk genutzt werden. Und natürlich auch als solidarische Orte, an denen die Menschen im Bezirk gemeinsam über ökologische und soziale Fragen streiten, diskutieren, sich gegenseitig zuhören und über gesellschaftliche Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Die zahlreichen Stadtteilzentren im Bezirk könnten als solidarische Orte politische Diskussions- und Beteiligungsformate ausbauen. Als Knotenpunkte lokaler Engagementnetzwerke und Häuser mit einer niedrigen Zugangngsschwelle bieten die dazu viel Potential. Vor allem können sie helfen politikferne Menschen zu erreichen. Die Koordinierungsstelle kann nachfrageorientiert bei politischen Bildungsangeboten in Form von Workshops, Lesungen und ähnlichem fachlich und organisatorisch unterstützen. Initiierung einer Vernetzung der Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk hinsichtlich politischer Bildungsarbeit und der Auseinandersetzung mit jeglichen Diskriminierungs- formen. Hier wird die Koordinierungsstelle den Prozess anstoßen und fachlich begleiten. Diese Vernetzung soll angelehnt sein an den erfolgreichen Ansatz der Fachaustauschrunde „JFEs gegen Diskriminierung“ in Lichtenberg, die dort seit 2009/2010 beseht, und in der sich regelmäßig Mitarbeiter*innen der offenen Kinder- und Jugendarbeit austauschen und kollegial zum Umgang mit Diskriminierung beraten oder fortbilden. Die Koordinierungsstelle bedankt sich abschließend bei allen, die aktiv einen Beitrag zu diesem Demokratiebericht geleistet haben. Wir wünschen uns weiterhin ein entschlossenes und solidarisches Zusammenstehen der Zivilgesellschaft, der Akteur*innen der Gemeinwesenarbeit, der demokratischen Parteien, des Bezirksamtes und der sozialen Träger im Bezirk. „Will man die plurale Gesellschaft, in der wir leben, zur Grundlage politischen Denkens machen, so müssen Gleichberechtigung und Teilhabe für jede*n gleichermaßen gelten. Darum darf die Einsicht in das produktive Potenzial völkischen Denkens in Ostdeutschland auch nicht zur Förderung sozialer Integrationsprojekte für Nazis führen, sondern zu der von Antirassismus und Empowerment.“ (aus: Max Czollek: „Gegenwartsbewältigung“, Hanser Verlag, 2020, S.136). Moritz Marc – Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf, April 2021 Demokratiebericht2020 49 Kontakte Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Neue Grottkauer Straße 5 12619 Berlin Telefon: 0152 - 31771383 (WhatsApp/ Signal/Telegram) und 030 – 92257140 E-Mail: koordinierungsstelle-mh@ pad-berlin.de Facebook: www.facebook.com/koordinierungsstellemh Internet: https://koordinierungsstelle-mh.de Twitter: https://twitter.com/demokratiemahe Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin Integrationsbeauftragter Herr Dr. Bryant Alice-Salomon-Platz 3, 12627 Berlin Telefon: 030 - 90293-2060 E-Mail: thomas.bryant@ba-mh.berlin.de Externe Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaften für Demokratie Marzahn und Hellersdorf Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle Marzahn-Hellersdorf Neue Grottkauer Straße 3, 12619 Berlin Telefon: 030 - 99 27 50 98 Handy: 0152 061 99 495 E-Mail: pfd-mh@stiftung-spi.de Koordinatorin für Flüchtlingsfragen Frau Hermenau Telefon: 030 - 90293-2019 Fax: 030 - 90293-2055 E-Mail: susan.hermenau@ba-mh.berlin. de BENN (Berlin Entwickelt Neue Nachbarschaften) Blumberger Damm Jan-Petersen-Straße 14, 12679 Berlin Büro: 030 39 72 13 63 Mobil & Whatsapp: 0152 53415144 info@BENN-BlumbergerDamm.de Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf E-Mail: buendnis_mh@web.de Internet: http://buendnis.demokratie-mh.de Facebook: www.facebook.com/buendnismahe Twitter: https://twitter.com/buendnismh 50 Demokratiebericht2020 Koordinator für Flüchtlingsfragen Herr Cárdenas Ruiz Alice-Salomon-Platz 3 12627 Berlin Telefon: 030 - 90293-2062 E-Mail: FranciscoJose.CardenasRuiz@ ba-mh.berlin.de weltgewandt. institut für interkulturelle politische Bildung e.V. weltgewandt. institute for intercultural civic education Flämingstr. 122 12689 Berlin Telefon: 030 - 22 80 82 35 und 0176 29930406 (WhatsApp) E-Mail: info@weltgewandt-ev.de Internet: www.weltgewandt-ev.de Facebook: www.facebook.com/weltgewandt.polis Instagram: www.instagram.com/weltgewandt.polis ASH Forschungsprojekt Raiko Hannemann Alice-Salomon-Hochschule Alice-Salomon-Platz 5 12627 Berlin Tel.: +49 (0)176 44 289 603 E-Mail: Hannemann@ash-berlin.eu Kampagne Solidarische Kieze E-Mail: koordinierungsstelle-mh@ pad-berlin.de Facebook: www.facebook.com/solidarischekiezemh Koordinierungsstelle Großsiedlungen Kompetenzzentrum Großsiedlungen e.V. Riesaer Straße 2 12627 Berlin Telefon: 030 - 9940-1242 Fax: 030 - 9940-1244 E-Mail: info@gross-siedlungen.de Ostklick Zentrum Liberale Moderne Reinhardtstraße 15 10117 Berlin E-Mail: ostklick@libmod.de Alice Salomon Hochschule Elene Misbach Fritz-Lang-Platz (Raum H11) 12627 Berlin Telefon: 030 - 99245-149 E-Mail: misbach@ash-berlin.eu Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro MH Marzahner Promenade 51 12679 Berlin Telefon: 030 9339466 E-Mail: kjb@hvd-bb.de Roter Baum Berlin Stendaler Straße 43 12627 Berlin Telefon: 030 99281840 E-Mail: info@roter-baum-berlin.de Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf ist in Trägerschaft der: Finanziert durch: pad präventive, altersübergreifende Dienste im sozialen Bereich gGmbH Das Register Marzahn-Hellersdorf und die Partnerschaften für Demokratie sind in Trägerschaft der: Finanziert durch: Impressum Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf Neue Grottkauer Straße 5 12619 Berlin Web: Facebook: Twitter: E-Mail: Telefon: vielfalt-mh.pad-berlin.de www.facebook.com/koordinierungsstellemh @demokratiemahe koordinierungsstelle-mh@pad-berlin.de 030 - 92 25 71 40 0152 - 31 77 13 83 (Signal/WhatsApp) Verantwortlich für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die jeweiligen Autor*innen und deren Strukturen. Wenn nicht anders angegeben liegen die Bildrechte bei der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf. Für die Inhalte der Verlinkungen sind die jeweiligen Herausgeber*innen der Seiten verantwortlich. V.i.S.d.P.: Andreas Wächter, pad gGmbH, Kastanienallee 55, 12627 Berlin Demokratiebericht2020 51
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