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wesentlich von der Leistung des Hauptdarstellers ab, Es ist sicher kein belangloser Zufall, daß Anschüßz,
so daß man die geringe Zahl der Wiederholungen, die der diesen Stil begründet hat, von der Universität zur
diese Aufführungen erlebten, schon als Maßstab ansehen Bühne kam. Laube hat von ihm gesagt, er sei „der
kann für das Nichtausreichen der schauspieleris<hen Träger des Worts, des bedeutungsvollen Worts, der
Leistung. Träger des Ernstes und der Gewissenhaftigkeit für Sinn
Die Lüde, die teils dur< den Austritt von Haase und Geist des ernsten Stückes“.
und Höder entstand, teils =- in bezug auf erwähnte Förster ging denselben Weg. Nach Abschluß seiner
Rollen -- gewissermaßen von vornherein vorhanden Universitätsbildung wurde er Schauspieler, dann wie
war, füllte bis zum Ende der Direktion L'Arronge Anschütz Regisseur, und wie dieser ein Mentor des
Dr. Max Pohl aus, der als junger Schauspieler am Burgtheater-Ensembles war, wurde er schließlich am
Ende der ersten Spielzeit den „Franz Moor“ als Gast „Deutschen Theater“ Lehrer der jungen Schauspieler*?).
dargestellt und gefallen hatte und dauernd engagiert Selbst der reife Paul Nollet, der bedeutendste unter
worden war. Frei von aller virtuosenhaften Mäßhen- den Bäter-Spielern (Mathes, Eppens u. a.), mußte sich
spielerei verkörperte er, unbeirrt von allen Stilmoden von der Kritik sagen lassen: „Wir wissen dem sehr
und -launen, die klassischen Charakterrollen „Mephisto“, begabten Schauspieler einen guten Rat. So oft Herr
„Gö6“, „König Philipp“, „Alba“ und „Nathan“, ferner Förster beschäftigt ist und sei es nur mit „die Pferde
„Macbeth“, „Lear“, „König Claudius“, „Heinrich IV.“ sind gesattelt“ =- so stehe Herr Nollet vorn in der ersten
u. w. Er gehörte auch zu den Schauspielern, die niht Reihe und wende kein Auge von ihm. Wahrheit!
„unmodern“ werden, - die keiner bestimmten Epoche Natürlichkeit ! 2).“
angehören, da ihre Begabungen aus der Fülle ihrer Förster spielte biedere, rauhe, polternde, gütige,
schauspielerischen Temperamente wachsen. Ihre Ent- humoristische und ernste Bäter, stets reife, geschlossene,
wiklung ist nicht an eine äußere Bervollkommnung der eindeutige Menschen. Seine Glanzrollen waren wie bei
technischen Mittel, sondern an eine innere Reife, wie Heinrich Anschüß sein „Musikus Miller“ und sein „Meister
sie Beruf und Leben mitteilt, gebunden. Anton“. In klassischen Stüden stellte er dar „Just“,
1886 trat Oskar Höker wieder in das Ensemble des „Arkas“, „Dorfrichter Adam“, „Lerma“, „Reding“,
„Deutschen Theaters“ ein, spielte jedoch in erster Linie „Kurfürst“ (Homburg), „Nathan“ und „Siebel“, von
ernste und humoristische Bäter. Bon den übrigen Shakespeare: „Kent“ (Lear), „Lorenzo“ (Romeo und
Darstellern des Charakterfachs sei hier noch besonders Julia) und „Polonius“, Calderons „Richter von Zala-
Max Pategg genannt. mea“ und Molieres „Eingebildeten Kranken“ und
I< habe bereits darauf hingewiesen, daß sich ge“ bewies damit eine fast unerschöpfliche Gestaltungskraft.
legentlich die verschiedenen Rollenkreise, insbesondere Charakterdarsteller, die „Komische Charaktere“, „Bä-
bei individuellen Darstellern von starker Persönlichkeit, terspieler“, die „Humoristisc<e Bäter“ übernehmen,
überschneiden. Die individuelle Besezung war eben das machen anscheinend das Engagement eines besonderen
Tdeal, das sich aber nur bis zu der Grenze verwirklihen Komitkers überflüssig. Aber wenn diese Schauspieler an
ließ, die durch Berücsichtigung der aus den Ensemble- die Gestaltung einer solchen Rolle herangehen, so ist
verhältnissen entstehenden Zwangslagen gezogen wurde. ihr Ziel das Jndividuell-Charakteristishe und ihre
Fachbesezung und individuelle Besezung sind polare Wirkung sozusagen erst mittelbar komisch. Der Fach-
Prinzipien, zwischen denen in der Praxis des Theaters komiker sucht zunächst das Typisch-Komische, das sich
die zahlreihen und vieldeutigen Einzelfälle liegen. keineswegs in Absonderlichkeiten in bezug auf Gang,
Diese Einschränkung ist stets bei unserer Betrac<tung Haltung, Stimme und lächerlichen Angewohnheiten zu
des Ensembles zu machen. erschöpfen braucht. Für dieses Fach war am „Deutschen
Demzufolge ordnen sich die Gestalten, die Förster Theater“ Georg Engels engagiert, der in kurzer Zeit
geschaffen hat, auch nur in ihren Grundzügen in das neben Kainz die wichtigste Stelle im Ensemble einnahm
Fach der „Bäter“ ein. Dr. August Förster hatte am und zur Hauptstüße des Lustspielrepertoires wurde. Er
Burg-Theater -- bewahrt vor allen Schäden der Gast“ kam vom „Wallner-Theater“, hatte dort in Possen und
spielerei =- das Erbe von Anschüß angetreten. =- Von Volksstü>en gespielt und Couplets gesungen. Anfangs
diesem reicht ein Gestaltungsprinzip über Baumeister konnte er seine Herkunft nicht ganz verleugnen, aber
und Förster. und den abwegigen Naturalismus, der im er entwidelte sich mit den Aufgaben, die ihm hier gestellt
lezten auch an diese Tradition anknüpft, bis in unsere wurden, zu einem Charakterkomiker ersten Ranges.
Zeit. Es ist ein Realismus, der nicht auf die einzelne Dabei kam ihm seine unmittelbare Komik, die aus dem
Nuance abzielt und dadurch, wie bei den Birtuosen, auf breiten Lachbedürfnis des Volkstheaters gewachsen war,
Kosten der Naturwahrheit geht, sondern der die un- glänzend zustatten. Fast allen Stüden seines Direktors
bedingte Lebensechtheit durch Gestaltungsfülle be- L'Arronge verhalf er zum Erfolg, aber auch lohnendere
reichern will. Diese Darstellungskunst kennt keinen Aufgaben wie Hauptmanns „Wehrhahn“, vor allem
hemmungslosen Strom des Temperaments, wie ihn aber „College Crampton“, verdienen genannt zu werden.
genial die Niemann zeigte, sondern sie entspringt einer Bon klassischen Rollen seien erwähnt: „von Kalb“, der
zwar widerstandslosen Beherrschung, doch klugen Ber- -
wendung schauspielerisher Mittel. Sie wählt die - 22) LArronge über Försters Ausscheiden: „I< hatte in
mimische Nuance unmittelbar aus der Empfindung Förster einen vortreffüchen Schauspieler, einen freuen Berater
und pflegt die sprachlihe Pointe aus Gewissen- Deutsches Theater und deuts<e Schauspielkunst“, S. 77.
haftigkeit. 283) „Das Kleine Journal“ vom 30. 9. 1883.