Path:
VI. Die "feine Fleischwarenfrau"

Full text: Das weibliche Berlin / Beaulieu, Gertraut Chales de (Public Domain)

74 
sondern ein junger, eine Bekanntschaft aus allerjüngster 
Zeit. Seit Frau Rieke hinter dem Marmortische in 
krachendem Atlas hantierte und sich kurze Löckchen über 
die ersten Falten ihrer Stirn krauste, war ein junger 
Mann regelmäßig in den Laden gekommen. Es mußte 
ein sehr solider Herr sein, denn er aß sein Frühstück 
und Abendbrot stets zu Hause und kaufte dazu je ein 
Viertel Knackwurst ein. Als er mit der appetitlichen 
Witwe näher bekannt geworden, wurden aus der ge— 
wöhnlichen Knackwurst Delikatessen wie: Zunge, Lachs, 
Roastbeef, sämtlich ohne Preiserhöhung. Auch wog ihm 
die Chefin stets das bewußte Viertel selbst ab und drückte 
mit dem Daumen nicht helfend auf die Wagschale, 
sondern ließ das Viertel stets zum halben Pfunde werden. 
Der junge Herr war zu höflich und galant; er hatte 
eine Art, die Kringel über die Schinken hinweg und 
zwischen den baumelnden Würsten hindurch so feurig 
und ehrerbietig zugleich anzusehen, daß es ihr von ihrem 
gepanzerten Herzen bis zu den Fußspitzen rieselte. 
Er hieß Fedoro Mummi und war hübsch, hatte 
keinen Schnurrbart, dagegen einen Brillantring am 
kleinen Finger und war sehr gebildet. Vieles, was er 
sagte, verstand die Kringel nicht, aber darum gefiel es 
ihr um so mehr. Waos seine Lebensstellung betraf, so 
wurde er Herr Doktor genannt und die Leute sagten, 
er sei ein Schriftsteller (die richtigen Berliner sprechen 
das wie Schriftstehler aus), er selbst nannte sich Dichter. 
Doktor und Dichter zugleich — das war überwältigend, 
überwältigend auf die melancholisch kühne Art, mit der 
er seine schwarzen langen Haare in den Nacken warf.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.