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sondern ein junger, eine Bekanntschaft aus allerjüngster
Zeit. Seit Frau Rieke hinter dem Marmortische in
krachendem Atlas hantierte und sich kurze Löckchen über
die ersten Falten ihrer Stirn krauste, war ein junger
Mann regelmäßig in den Laden gekommen. Es mußte
ein sehr solider Herr sein, denn er aß sein Frühstück
und Abendbrot stets zu Hause und kaufte dazu je ein
Viertel Knackwurst ein. Als er mit der appetitlichen
Witwe näher bekannt geworden, wurden aus der ge—
wöhnlichen Knackwurst Delikatessen wie: Zunge, Lachs,
Roastbeef, sämtlich ohne Preiserhöhung. Auch wog ihm
die Chefin stets das bewußte Viertel selbst ab und drückte
mit dem Daumen nicht helfend auf die Wagschale,
sondern ließ das Viertel stets zum halben Pfunde werden.
Der junge Herr war zu höflich und galant; er hatte
eine Art, die Kringel über die Schinken hinweg und
zwischen den baumelnden Würsten hindurch so feurig
und ehrerbietig zugleich anzusehen, daß es ihr von ihrem
gepanzerten Herzen bis zu den Fußspitzen rieselte.
Er hieß Fedoro Mummi und war hübsch, hatte
keinen Schnurrbart, dagegen einen Brillantring am
kleinen Finger und war sehr gebildet. Vieles, was er
sagte, verstand die Kringel nicht, aber darum gefiel es
ihr um so mehr. Waos seine Lebensstellung betraf, so
wurde er Herr Doktor genannt und die Leute sagten,
er sei ein Schriftsteller (die richtigen Berliner sprechen
das wie Schriftstehler aus), er selbst nannte sich Dichter.
Doktor und Dichter zugleich — das war überwältigend,
überwältigend auf die melancholisch kühne Art, mit der
er seine schwarzen langen Haare in den Nacken warf.