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zurück; nicht nur durch ihre gesellschaftliche Stellung,
sondern vor allem durch seine Liebe, durch ihre Kinder.
Das Tantchen dagegen erzieht sich keine Stütze für
sein Alter, es sieht nicht sein eigenes Fleisch und Blut
wachsen und werden, es lebt nur für die Kinder Fremder,
wenn es hoch kommt, für die seiner Verwandten. Sind
die Kinder klein, können sie nicht unterscheiden zwischen
häßlich und hübsch, alt und jung, dann lieben sie das
Tantchen wohl zärtlich, sie streicheln seine welken Wangen
ebenso gern, wie die frischen der jungen Mädchen, sie
küssen seine knochige, arbeitsame Hand, als sei es die
einer Königin. Denn von allen Händen der Bekannt—
schaft brachte ihnen diese das meiste mit; sie war immer
gut gegen die Kleinen, ja bereit, letztere bei gelegent⸗
lichen Unfällen, zerrissenen Hosen, beschmutzten Staats—
röckchen, zerbrochenem Hausgerät vor Papas und Mamas
Zorn zu schützen. Kinder sind Egoisten, sie sehen ihre
Umgebung nur daraufhin an, wie viel sie ihnen nützt.
Aber dann kommt eine Zeit, in der die Kinder
Tantchen auch „komisch“ finden, genau wie die Großen,
welche sagen: sie sei eine brave tüchtige Person, doch
sehr sonderbar. Diese Zeit ist eine sehr schwere für
Tantchen. Sie vergießt nun manch' heimliche Thräne
über den Undank ihres Verzugs, ihres Lieblings. Denn
als echtes Weib hat sie wenig Anlage zur Philosophie.
Wenn wir uns aus den Verpuppungshülsen dieses
Jahrhunderts befreit haben werden, wird es anders sein.
Ein weiblicher Richter, Arzt oder Bürgermeister wird
nicht mehr Zeit finden, um die Kinder anderer Leute
eine Thräne zu weinen; ja, er wird vielleicht einen Prinz⸗