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Full text: Schillerndes - Geschichten aus dem Kiez (Rights reserved)

Schillerndes - Geschichten aus dem Kiez Tauche ein in die schillernden Anekdoten deiner Nachbarschaft! 2017 haben wir uns im Schillerkiez nach seinen Geschichten umgehört und vielseitige Erzählungen gesammelt. Das Ergebnis birgt Wahres und Erfundenes, Aktuelles und Historisches, Persönliches und Dokumentarisches. Es wird an Kiezinstitutionen, vergangene Orte und Persönlichkeiten erinnert, die hier ihre Spuren hinterlassen haben. Es werden Bildergeschichten erzählt, Veränderungen aufgezeigt und Gedichte vorgetragen. Die Kiezgeschichten machen uns auch auf weniger Sichtbares aufmerksam und laden Dich zu Projekten und Orten ein, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft schauen. Tauche ein in die schillernden Geschichten Deines Kiezes! QM-Team Schillerpromenade Inhalt 1. Der Blick vom Balkon Seite 3 2. Sieben Kneipen gab es hier Seite 7 3. Bringe deine Sorgen nicht mit an den Tisch Seite 10 4. Von der Brachfläche zum Möglichkeitsraum Seite 12 5. Sailors Seite 14 6. Die doppelte Namensgebung Seite 17 7. Zeitreise an einer Brandwand Seite 21 8. Kiezfritzen Seite 23 9. Das Rondell Seite 25 10. Ein Leben mit Courage Seite 27 11. Fassadengeschichte im Schillerkiez Seite 30 12. Kopfstein Seite 33 13. Treffpunkte Warthestraße Seite 35 14. Quartiersmanagement - Was ist das? Seite 37 2 Der Blick vom Balkon Ausgangspunkt einer über 65 Jahre langen Brieffreundschaft Es kann kein Zufall sein, dass solch eine Geschichte an ihrer Wohnungstür klingelt. Mitten in ihren historischen Recherchearbeiten. Es klingelt an der Tür. Eine unbekannte Frau steht Zara gegenüber und fragt nach ihrer Nachbarin. Diese habe seit einiger Zeit nicht mehr auf gewisse Briefe reagiert. Aus diesem Grund wolle sie sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigen. Marias Teil der Geschichte Das Haus, in dem sie stehen, war noch nicht all zu lange errichtet, als Maria vor 85 Jahren mit ihren Eltern in die Wohnung nebenan einzog. Eine Eckwohnung im vierten Obergeschoss des Vorderhauses. Ein Balkon, von dem aus rechts die Okerstraße, links die Hermannstraße und gegenüber der Friedhof zu sehen war. Maria müsste damals drei Jahre alt gewesen sein. Und das Haus sowie das gesamte Wohnviertel dürften in etwa das Alter ihrer Eltern gehabt haben. Alles war noch neu. Maria klein. Die Bäume auf dem Friedhof gegenüber auch. Und der Blick von ihrem Balkon unendlich. Dieser phantastische Blick: über den Friedhof hinweg, in den südlichen Horizont hinein. Ein so kleines Mädchen, aus so einer Höhe, mit so einem weiten Blick. Egal, wieviele Jahre vorübergehen würden, sie würde sich immer daran erinnern können. Maria lebte in diesem Haus bis 1931 und konnte viele Erinnerungen ihrer Kindheit mit diesem Ort verbinden. Zum Beispiel ihr erstes Taschengeld, welches sie verdiente, indem sie die Blumen auf den Gräbern im Friedhof gegenüber goss oder das Wäschewaschen auf dem Dachboden. Etwas, das für Kinder, die heutzutage dieses Haus bewohnen, unverständlich wäre. Als sie acht Jahre alt war, zog Maria mit ihrer Familie weg und kehrte erst fünfzehn Jahre später mit Anfang zwanzig in diese Gegend zurück. Sie kam zu Besuch nach Neukölln und sah, dass ihr damaliges Haus den Krieg überlebt hatte. Als ob kein Tag vergangen wäre, kehrten auch die Erinnerungen zurück und sie beschloss einen Brief an die jetzige Bewohnerin ihrer Kindheitswohnung zu schreiben. Ohne zu zögern, bat Maria sie darum, ihr ein Foto mit dem Ausblick des Balkons zu schicken. Was die neue Bewohnerin auch gerne tat. Und somit begann eine Brieffreundschaft, die auch, nach über 65 Jahren, noch lebendig war. 4 Liselottes Teil der Geschichte Liselotte war im Jahr 1933 mit ihren Eltern in die Eckwohnung im vierten Obergeschoss des Vorderhauses gezogen. Sie müsste damals elf Jahre alt gewesen sein. Dementsprechend hatte sie ähnliche Kindheitserfahrungen wie Maria machen können und verspürte eine genauso tiefe Verbindung zu diesem Ort. Maria zog später nach London und die Geschichte des Hauses setzte sich in Begleitung von Liselotte fort. Mit dieser Wohnung als ihrem Zuhause vergingen 77 Jahre, die wiederum hunderte von Erfahrungen und Erinnerungen zurückgelassen haben. Aber nicht alles war nur schön und freudig in diesen fast acht Jahrzehnten. Kurze Zeit nach ihrer Hochzeit erkrankte Liselotte im Alter von 27 Jahren an Krebs. Als Konsequenz dieser Krankheit musste ihr Bein amputiert werden. Da sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ohne Hilfe aus ihrer Wohnung konnte, kümmerte sich ihr Ehemann um sie und trug sie jedes Mal nach unten, um auf die Straße zu gehen und wieder nach oben – dies über mehrere Jahrzehnte. Auch das Haus, in dem sie wohnten, erlebte im Laufe der Zeit einige Veränderungen. Die Jahre gingen nicht spurlos an diesem einst so eleganten und prächtigen Gebäude vorüber. Anfang der siebziger Jahre wurde die Außenwand des Hauses komplett saniert. Liselotte dokumentierte diese Verbesserungsmaßnahme. Die Renovierung, wie im Bild zu sehen, verwandelte eine ursprünglich gelbe, mit Stuck verzierte Fassade in eine glatte, braun-graue Oberfläche. Über die ganzen Jahre reisten Briefe aus London nach Berlin und wieder zurück. Und sogar Liselotte selbst war einmal bei Maria zu Besuch. Eine Brieffreundschaft, die im Jugendalter begann und beide über alle weiteren Lebensphasen begleitete. Bis plötzlich, Ende 2010, der Briefverkehr stoppte. von Michael Zambrano Das Eckgebäude - Ein Audioguide zur Geschichte des Hauses und des Kiezes Zara Morris, Künstlerin und Bewohnerin des Eckgebäudes (Okerstr./Hermannstr.), befasste sich über einen langen Zeitraum intensiv mit der Geschichte ihres Hauses und seiner BewohnerInnen. Die recht frei nacherzählte Geschichte, deren Ende Sie selbst herausfinden müssen, ist nur ein Bruchteil der von ihr entdeckten historischen und biographischen Schätze. Der komplette Audioguide, welcher online unter https://soundcloud.com/daseckgebaeude zu hören ist, besteht aus persönlichen Interviews und Beschreibungen und nimmt sie mit auf eine Zeitreise durch das Gebäude und den Schillerkiez. Das Projekt wurde durch das Kulturamt Neukölln, das Quartiersmanagement Schillerpromenade und die Fachschaft der Universität der Künste, Institut Kunst im Kontext, gefördert. QR-Code: Mit dem Smartphone scannen und direkt zur Seite mit den Audiodateien zum Eckhaus gelangen! 6 Sieben Kneipen gab es hier – Geschichten aus der Warthestraße Ach, das waren noch Zeiten. In der Warthestraße war richtig was los. Jede der Erdgeschosswohnungen hatte einen Laden, mit der Straßenbahn konnte man bis direkt an die Warthestraße fahren. Dort, wo nun Star Döner seinen mit Luftballons geschmückten Stand hat, war auch früher schon ein Imbiss, vorher ein Blumenladen. Im Seifenladen Helmke oder der Bäckerei Kraus kaufte man ein, Zahnarzt Dr. Kant zog so manchen Zahn und beim Juwelierladen drückte man sich die Nase am Schaufenster platt. Im Warthe-Mahl, dem Nachbarschaftstreff und Nachbarschaftscafé der Warthestraße, hören wir Geschichten von damals und heute. Wie es den Menschen erging nach dem Krieg, wie sie das Leben wieder genießen lernten, wo sie ihre Kohlen holten, Wäsche wuschen, Kuchen backten. „Das waren damals aber auch die Zeiten“ Eines Nachmittags kommt ein Mann ins Warthe-Mahl. 29 Jahre lang wohnte er schräg gegenüber mit seiner Mutter und drei Geschwistern. Die Häuser hatte die Wohnungsbaugesellschaft Eintracht 1940 vorrangig für Angestellte der Eisenbahn errichtet. Er kann sich noch gut erinnern, wie er als Kind immer „rollen gehen“ musste. Der Duft von Kernseife steigt ihm in die Nase, wenn er daran denkt, wie er die Wäsche über die kalten Holzrollen gemangelt hat – „das hat gepoltert“. Zu uns gesellt sich ein weiterer Herr. Gut fünfzehn Jahre älter, erinnert er sich an viele Namen und Orte, die der andere als Kind nicht so bewusst wahrgenommen hatte. Aber manche Erinnerungen verbinden eben auch über den Altersunterschied hinweg. Die beiden kommen ins Gespräch und plötzlich geht es los: Vom Tante-Emma-Laden in der Hausnummer 29 erzählen sie und dem Schuhmacher Franz rechts daneben, der immer Latein sprach, wenn er etwas getrunken hatte. Die beiden lachen viel, immer mehr Namen fallen. Sie zeigen Fotos, rufen sich Bilder und Geschichten ins Gedächtnis. „Das waren damals aber auch die Zeiten“, sagt der eine und zitiert: 8 Das Wetter ist recht gut geraten. Der Kirchturm träumt vom lieben Gott. Die Stadt riecht ganz und gar nach Braten und auch ein bisschen nach Kompott. Am Sonntag darf man lange schlafen. Die Gassen sind so gut wie leer. Zwei alte Tanten, die sich trafen, bestreiten rüstig den Verkehr. Sie führen wieder mal die alten Gespräche, denn das hält gesund. Die Fenster gähnen sanft und halten sich die Gardinen vor den Mund. (Erich Kästner) Kuriose Fakten über die Warthestraße, diesen Ort, den wir heute in seiner Vielfalt zu kennen glaubten, kommen zu Tage. Doch wo war der Kuhstall nun nochmal? Welcher Hauseingang war es, wo Herr Palumski mit viel „palums“ die Milch mit einer Blechschüssel in die Kannen schöpfte? Und wie viele Kneipen gab es wirklich? Von vier ist die Rede, nein sieben! Dank des ansässigen SC Tasmania waren diese auch immer gut gefüllt. Ab und zu huscht ein dunkler Schatten über sein Gesicht. Eine Erinnerung an den Krieg kommt hoch, an die Angst im Luftschutzkeller unten im Haus, an Sirenengeheule, flackerndes Licht – doch dann folgt sogleich wieder eine Anekdote. Das berühmte Foto mit Kindern an der Luftbrücke, die auf die Rosinenbomber warten – einer der Herren, der uns im Warthe-Mahl von seinen Erlebnissen erzählt, erkennt sich darauf wieder – „allerdings nur von hinten“. Und wer hätte gedacht, dass auch Weltmeister in der Warthestraße lebten? Ob im Frisörwesen oder als Boxer, die Straße beherbergte Prominenz allerhöchsten Grades. Stehrennfahrer oder Berühmtheiten wie „Wüste“ Hoffmann, ein Profi im Fliegerrennen, waren Gäste in den Kneipen. Musiker zogen durch die Straßen, das Geld wurde in Zeitungspapier verpackt zu ihnen hinunter geworfen. Wiedersehen wollen sich die beiden noch einmal. Gemeinsam die Straße entlang schlendern und die Erinnerungen schweifen lassen. Die Autorin Marieke Piepenburg, die 2013 das Projekt „Historische Warthestraße“ als Anwohnerin mit begleitete, brachte NachbarInnen und ihre Erinnerungen im Warthe-Mal zusammen. Die Ergebnisse in Form einer Fotoausstellung sind vor Ort zu betrachten und auch der ein oder „Bringe Deine Sorgen nicht mit an den Tisch!“ Aus dem Kiez, mit dem Kiez, für den Kiez: Der Mittagstisch im Nachbarschaftstreff im Schillerkiez. Nachdem Zehra zwei Jahre alle mit gelungenen Köstlichkeiten verwöhnt hat, zwischenzeitlich Beate, Charly, Mario, Christine, Hartmut und Elvis die Küche am Laufen hielten, bekocht jetzt Lydia löffelführend die Mittagsgäste. Von Auflauf über Königsberger Klopse bis Zupfkuchen gibt es alles ,was die knurrenden Mägen begehren, außer Schweinefleisch. Alle Gäste packen in irgendeiner Form mit an: kaufen teilweise ein, schnippeln Gemüse klitzeklein, decken den Tisch und räumen ihn ab oder bringen Obst, Kekse und selbstgebackene Kuchen mit. Wer den Essensraum betritt, hat das Gefühl in einer WG gelandet zu sein: Essen steht auf dem Tisch, jeder nimmt sich, was er möchte, einer hat zwei Gabeln, dafür kein Messer und alles schnattert durcheinander. Es gibt nur einen Grundsatz zu beachten: „Bringe Deine Sorgen nicht mit an den Tisch.“ Diese werden nach dem Essen beim Kaffee oder Tee ausdiskutiert. „Gib ‘mal bitte das Salz rüber“, sagt Joana zu Olli, der sich gerade seine Portion ausgiebig nachgewürzt hat. Er reicht Joana das Salz, hängt dabei seinen Hemdärmel in die Suppe und flucht lautstark. Dagmar schielt mit vollem Mund schon einmal nach dem Schokokuchen, den es zum Nachtisch gibt. Mechthild erkundigt sich nach dem Rezept vom vortägigen Flammenkuchen und Michas Augen 10 beginnen zu tränen, weil wohl eines der vielen Chilikörnchen zu scharf gewesen ist. Sangeeta passt auf, dass ihr Sprößling nicht mit den Fingern in den Salat tatscht und wirft dabei ihr Wasserglas um. Marios Handy klingelt zum achten Mal und nach einem kurzen „Ich bin gleich wieder zurück, Ware kommt“, rennt er los und schiebt sich noch rasch ein Stück Brot in den Mund. Als er kurze Zeit später zurückkehrt, legt er eine Riesentüte mit Weintrauben auf den Tisch. „Bin ich nicht dran vorbeigekommen“, nuschelt er, schon wieder Brot kauend. Oft werden die Gespräche ruhiger und ernster. Alle sind traurig, dass Marie-Luise, die Gründerin von „Lesen & Schreiben“, dem Neuköllner Verein zur Alphabetisierung, gestorben ist. Die Sorgen um die Krankheiten werden geteilt, für die Probleme der Kinder wird Rat gesucht. Tipps und Hinweise werden ausgetauscht, Anteil aneinander genommen. Als Otto von seinen Fluchterlebnissen aus Afghanistan berichtete, waren alle traurig und bestürzt. Jetzt lernt er fleißig Deutsch, arbeitet ehrenamtlich und radelt die Stadt ab. Das schönste ist, dass sich in der gemütlichen Atmosphäre, die Elif behutsam ständig verbessert, alle wohl, angenommen und gut aufgehoben fühlen. Wer Lust hat, sich dazu zu gesellen, ist jederzeit herzlich willkommen! Jeden Mittwoch und Donnerstag von 12.30 bis 14.00 Uhr im Nachbarschaftstreff in der Mahlower Straße 27. Ein Beitrag von Beate Storni Vom Brachland zum Möglichkeitsraum „In ferner Zukunft werden aus den Friedhöfen vielleicht Parkanlagen geworden sein, und der Chronist wird ebenfalls einen Frühlingsaufsatz über die Hermannstraße schreiben.“ Es scheint als hätte sich diese Vision aus dem Zeitungsartikel „Neuköllns Friedhöfe im Frühling“ vom 5. August 1939 (!) zumindest teilweise erfüllt: Mit der Einweihung des Anita-Berber-Parks und dem Anlegen einer Streuobstwiese wurden Teile der ehemaligen Friedhofsfläche im südlichen Schillerkiez bereits umgenutzt. Ein zentraler Akteur ist „Die Gärtnerei“, ein experimentelles Gartenund Gestaltungsprojekt von und mit Geflüchteten auf der Brachfläche des ehemaligen Friedhof Jerusalem. An der Hermannstraße reiht sie sich ein in eine Mischung aus Falafelbude, Steinmetz-Werkstatt, Blumen- und Zauberladen. Tomaten statt Tulpen – denn Tulpen kann man nicht essen! Tulpen über alles! Bei den Planungstreffen der „Gärtnerei“, ging es immer wieder um Blumen. Ein Meer von Blumen würde sich über die ehemalige Friedhofsbrachfläche erstrecken – Reihen von Tulpen und anderen wunderschönen Blumen. 12 Die Beete nach Farbgebung gegliedert. Kein Gemüse, aus Rücksicht, dass sich der zukünftige Garten Eden ja auf einem Friedhofsgelände befindet. Tomaten mit Gurke auf dem Grab? Das geht vielleicht in die falsche Richtung. Immerhin war die vorgesehene Gartenfläche umgeben von noch aktiven Gräbern, eben zwischen Heinz, Gertrud oder Walter und Marta. Wie die Garten-Crew das erste Mal Blumen hörte und eben kein Gemüse, war die Enttäuschung groß. Man konnte sie auch nicht so recht damit vertrösten, dass Blumen doch wunderschön und es eine Augenweide für unseren künftigen Besucher sein könnten. Denn Blumen kann man nicht essen. Ich verwies auf die Kapuzinerkresse oder andere essbare Blumen, aber das ist nun mal keine Tomate, Chilli, noch besser Aubergine. Und ungewollt kam es dann doch so… Die gepflügte Brache gestaltete sich recht zügig zu einer Anlage von Beeten, mit dem Gemisch aus Kompost, Pferdemist und Muttererde. Es sollte natürlich gepflanzt werden, aber was? In diesem Moment erfuhren wir, dass unsere Kistenaussaat von einer Schneckenarmada komplett aufgefressen wurde. Nur einige Sonnenblumen und Erbsen hatten das Szenario überlebt und: unzählige Tomatenpflanzen! So wurden, wo es auch immer nur irgendwie möglich erschien, Tomaten ausgesät. Yasser, der Betreiber von Falafel to go und passionierter Gärtner, legte im Vordergarten bei guten Luftverhältnissen ein großes Tomatenareal an. Ausgerechnet der Kohlrabi auf Martas Grab wurde ebenso punktuell von Schnecken befallen und die Löcher, Spuren des Schneckenbefalls, lagen nebeneinander wie Augen. Versehen mit dem Schild von Marta. Es wurde natürlich entfernt. Hauptmerkmal unseres Gartens wurde 2015 die Mischung aus bis zu 4 Meter hohen Sonnenblumen, Dalien, Gladiolen, Chillis und Tomaten. Eine Anekdote von Sven Seeger Wo bist du zu Hause? Auf welchem Weg hat es dich hierher verschlagen? Wohin als nächstes? Sailors ist ein Film über Schicksal, Bestimmung und das Streben nach etwas anderem. Es ist 12 Uhr. Die Sonne steht senkrecht am Himmel, während eine Fahrradfahrerin im fünften Gang über den frisch geteerten Radweg des Columbiadamms hetzt. Neben ihr fährt ein Longboardfahrer zum Tempelhofer Feld, um der erdrückenden Großstadt zu entfliehen. Ein Polizist steigt in den 104er Bus und hat soeben seine Nachtschicht beendet. Ein junges Elternpaar wartet auf ihr quengelndes Kind, da es vom Spazierengehen in der gegenüberliegenden Hasenheide von der sommerlichen Mittagshitze müde geworden ist. Eine große Traube von Menschen befindet sich vor der Moschee, während der Aufruf zum Mittagsgebet das hektische Rauschen der großspurigen Straße durchbricht. Einsam und imposant ragen die Türme der Minarette als einzige hohe Orientierungspunkte am weiten Horizont des Tempelhofer Felds in den Himmel. Mit dem Wind steigen in der Ferne Drachen auf. Irgendwo zwischen dem vorbeischnellenden Verkehr, den entschlossen Vorbeilaufenden und den parkenden Lastwagen – die fast aussehen wie riesige Containerschiffe, die am Straßenrand ihre Anker geworfen haben – riecht es plötzlich nach köstlichem Essen. An einem Klapptisch sitzen vier Männer unterschiedlichen Alters. Direkt auf dem Parkplatz – der sich wie eine vom Verkehr umgebene Insel emporhebt – rührt einer von ihnen mit dem Löffel im Topf herum, welcher auf einem wunderschön blau bemalten Gaskocher steht. Es dampft. Obwohl sie sich angeregt unterhalten, scheint sie außer uns niemand zu bemerken. Zu groß ist der Drang in die Tempelhofer Freiheit, zu hektisch die Zeit zum nächsten Termin und zu ablenkend das unnötige Spiel auf dem Smartphone. 14 Nach einiger Zeit blickt einer der Männer freundlich in unsere Richtung und lächelt uns einladend an. Als wir versuchen ins Gespräch zu kommen wird schnell deutlich, dass wir improvisieren müssen. Englische, spanische, türkische, deutsche und italienische Worte fliegen umher und sorgen für eine äußerst lustige und gleichzeitig unbeholfene Situation. Richtig witzig wird es aber erst, als wir versuchen Sätze mit unseren Smartphones zu übersetzen. Großes Gelächter. Schnell wird klar, dass wir uns alle mehr zu erzählen haben als uns möglich ist. Mittlerweile steht die Sonne tiefer am Horizont und die Massen sind bereits weggespült. Mit ihnen ist das Gewusel der Straße abgeklungen. Ersin, Turan, Kazim und Lutfi sind Fernfahrer. Sie sind hier als ein Teil der weltweiten Handelslogistik - unverzichtbar für die heutige Konsumgesellschaft. Fast komplett unbeachtet halten sie hier am Columbiadamm um sich von ihrer langen Fahrt zu erholen und auf den nächsten Auftrag zu warten. Wie lange? - darüber herrscht Ungewissheit. Der Columbiadamm bie- tet ihnen einen kostenlosen Stellplatz mitten in der Stadt und in der Moschee gibt es die Möglichkeit sich zu waschen und frisches Wasser zu holen. Wir werden für den nächsten Tag zum Frühstück eingeladen. Als wir morgens ankommen, dampft es wieder zwischen den Lastwagen. Nun wird Tee gekocht. Diesmal haben wir eine Freundin gefragt, ob sie für uns übersetzen kann. Wir haben uns vorgenommen den ganzen Tag zusammen zu verbringen. Während Ersin etwas abseits mit seiner Verlobten telefoniert, sitzen Kazim und Lutfi auf den Campingstühlen und erzählen uns von Abenteuern und vom Leben als Fernfahrer. Turan schaut hinter seiner Zeitung hervor, beobachtet die beiden schweigend und lenkt dann seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Zigarette. Sie selbst kannten sich eigentlich gar nicht, sondern haben sich auch gerade erst hier am Columbiadamm kennengelernt. Sie reden über Familie und Freundschaft, über Heimat und Sehnsucht, über das Alleine sein und über Freiheit. Sailors erzählt die Geschichte von vier Männern aus der Türkei, die alle ein Leben auf Rädern führen - zwischen Straße und Fahrerkabine. Sie kommen zusammen um gemeinsam zu essen, zu lachen und einen Hauch von Zuhause zu erzeugen. Während ihrer Rast am Columbiadamm werden sie Freunde. Sie tauschen Erinnerungen aus, erzählen sich Geschichten und vertrauen sich Gedanken und Fragen an, die sie während der Fahrt begleiten. Im Sommer 2016 drehten wir mit Ersin, Turan, Kazim und Lutfi unseren ersten Dokumentarfilm für die filmArche in Neukölln, wo wir seit 2015 selbstverwaltet und selbst organisiert Dokumentarfilmregie studieren. Noch immer sind wir von dieser Begegnung und Erfahrung verzaubert unter durch die finanzielle Unterstützung des QM Schillerkiez haben wir die Möglichkeit gehabt unsere motivierten und engagierten Übersetzer_innen, die uns bei den vielen Stunden Filmmaterial geholfen haben, zumindest für ihren Aufwand zu entschädigen. Durch die Arbeit an unserem Filmprojekt konnten wir uns mit vielen Nachbarn in Neukölln vernetzen und hatten jede Menge Spaß. Nach der Festivalauswertung des Films werden Filmvorführungen in Neukölln geplant werden. Ein Film von Diana Thorimbert, Daniela Pomar und Julian Luis Müller www.facebook.com/SailorsDocumentary 16 Die doppelte Namensgebung Der Ringer Werner Seelenbinder und der Sportpark Neukölln Nur wenige Wochen nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur und der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands regte sich auf notdürftig instandgesetzten Sportplätzen und in den Turnhallen Berlins bereits wieder das sportliche Leben. Bereits Ende Juni 1945 lud das Neuköllner Sportamt zum ersten Nachkriegs-Sportfest ins Stadion Neukölln ein. Das Stadion mit Platz für bis zu 20.000 Zuschauern war 1930 als zentraler Bestandteil des zwei Jahre zuvor angelegten Ensembles von Sport- und Spielplätzen entlang der Oderstraße eröffnet worden. Damit hatte der dicht besiedelte Neuköllner Norden endlich die lange schon geforderten Sport-, Grün- und Erholungsflächen erhalten. Die städtischen Neuköllner Anlagen wurden aber nicht nur von der starken Arbeitersportbewegung der Weimarer Republik als Wettkampfstätte genutzt, sondern auch als politische Bühne. So fanden hier im vollbesetzten Stadion mehrmals zwischen 1930 und 1932 die „Roten Arbeitersporttage“ und antifaschistische Kundgebungen von SPD wie KPD statt. Einer der vielen Arbeitersportler, die sich auch nach 1933 am illegalen, lebensgefährlichen Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligten, war der Ringer Werner Seelenbinder. Geboren 1904 in Stettin, lebte er seit 1909 bei seinen Eltern in Berlin-Friedrichshain. Seine sportliche Heimat war seit 1919 der SC Berolina 03 Neukölln, der seit Mitte der 1920er Jahre in der Schulturnhalle Thomasstraße (heutige Konrad-Agahd-Schule) trainierte und für den Seelenbinder Siege und Meisterschaften bei Arbeiter-Sportfesten, der Arbeiter-Olympiade und der Spartakiade in Moskau erringen konnte. Kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war Seelenbinder – inzwischen Mitglied der KPD – in einen bürgerlichen Friedrichshainer Sportverein gewechselt, um weiterhin seinen Sport auszuüben. Das tat er wieder sehr erfolgreich: In seiner Gewichtsklasse gewann Seelenbinder zwischen 1933 und 1941 sechsmal die Deutsche Meisterschaft. 1936 nahm er an den Olympischen Spielen teil, errang aber leider nur den undankbaren vierten Platz. Dies alles geschah neben seiner beruflichen Tätigkeit als Transportarbeiter, erst in einem Treptower, dann bei einem Marienfelder Industriebetrieb. Obwohl Seelenbinder wegen illegalen Flugblattverteilens bereits im September 1933 im Columbiahaus, dem späteren KZ Columbia inhaftiert war, hielt er weiter aktiven Kontakt zum Widerstand gegen die Nazis und schloss sich 1937/38 der Gruppe um Robert Uhrig an. Nachdem Seelenbinder 1941 einem KPD-Funktionär Quartier verschafft hatte, wurde er Anfang Februar 1942 bei der Verhaftungsaktion gegen die Uhrig-Gruppe verhaftet. Die gnadenlose Nazi-Justiz verurteilte ihn zum Tod unter dem Fallbeil. Werner Seelenbinder starb im Zuchthaus Brandenburg-Görden am 24. Oktober 1944. Im Sommer der Befreiung des Jahres 1945 war die Erinnerung an Seelenbinder – gerade in Neukölln – noch sehr lebendig. Auch die aus den Lagern und Gefängnissen heimkehrenden Kampfgefährten Seelenbinders trugen mit dazu bei. Um ihn zu ehren, erhielt das bislang namenlose Neuköllner Stadion am 29. Juli 1945 im Rahmen eines Sportfestes Seelenbinders Namen und eine Urnengrabstätte mit der Asche des Sportlers am Stadioneingang. Seine einstigen Sportkameraden und Widerstandskämpfer schilderten bei der Veranstaltung den Lebensweg dieses mutigen und bescheidenen Mannes. Er ist ein „Vorbild und Mahner der Jugend“, so stand es auf dem schlichten Holzkreuz auf seiner Grabstätte. Am 9. September 1945, dem ersten Gedenktag für die Opfer des Faschismus, demonstrierten dann nahezu Hunderttausend Berlinerinnen und Berliner in einer ersten großen antifaschistischen Kundgebung nach Kriegsende zur Werner-Seelenbinder-Kampfbahn. Doch der antifaschistische Konsens zerbrach ebenso wie die Kriegskoalition der Siegermächte im aufziehenden Kalten Krieg. 1948/49 stand Berlin mit Blockade und Luftbrücke im Zentrum dieses weltpolitischen Konfliktes. Der Bezirk Neukölln gehörte zum amerikanischen Sektor der Viermächtestadt Berlin und die dort Verantwortlichen unterstützten die Bindung an den Westen vehement und vorbehaltlos. Als Antwort auf politische Verfolgungen und Repressionen im Ostsektor kam es nun in Neukölln zu Massenentlassungen und Verhaftungen der „Anhänger Moskaus“. Auch der Name des Kommunisten Seelenbinder für das Neuköllner Stadion sollte damals getilgt und seine Grabstätte auf einen entfernteren Britzer Friedhof oder gleich nach Ost-Berlin verlegt werden. Seelenbinders Vater gab jedoch dazu kein Einverständnis und so verblieb das Grab weiter an seinem angestammten Ort, der längst in die politische Auseinandersetzung geraten war. Während in Ost-Berlin und der gesamten DDR Werner Seelenbinder durch zahlreiche Benennungen, Gedenkveranstaltungen und publizistische Veröffentlichungen zur wohl bedeutendsten Denkmalfigur des 18 Arbeitersports im kommunistischen Widerstand wurde, verboten und behinderten zu Anfang der 1950er Jahre die West-Berliner Behörden Gedenkfeiern an Seelenbinders Grab. Immerhin stellte die Bezirksverwaltung als Ersatz für das Holzkreuz zum 10. Todestag 1954 einen Gedenkstein auf, der sich dort heute noch befindet. Aber im September 1961 konnten jedoch ungehindert jugendliche Randalierer die Teilnehmer der Seelenbinder-Ehrung attackieren, so als ob dieser auch am Bau der Berliner Mauer mitschuldig sei. In den späteren 1960er Jahren wurde es dann ruhiger um die SeelenbinderGrabstätte. Zu seinen Gedenktagen tauschten hier an dem unscheinbaren Gedenkort häufig alte Sportkameraden und Widerstandskämpfer aus Ost und West Erinnerungen aus. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) bereitete die Feiern vor und Anwohner wie der Geschichtsaktivist Werner Gutsche aus der Oderstraße schmückten dazu das Grab. 1970 forderte die VVN bei einer der Gedenkfeiern die Wiederbenennung des Neuköllner Stadions nach Werner Seelenbinder und dessen Würdigung bei den Neubauten für die Olympischen Spiele in München. Tatsächlich erhielt er 1972 im Olympischen Dorf einen Weg mit seinem Namen. Doch die Stadionbenennung ließ auf sich warten. 1986 veranstaltete eine Initiative zur Rückbenennung des Stadions einen Volkslauf, der von der tschechischen Läuferlegende Emil Zatopek gestartet wurde. Im gleichen Jahr machte ein Besuch von Willi Daume, dem Vorsitzenden des Nationalen Olympischen Komitees, am Grab von Werner Seelenbinder auf das Schicksal des Olympia-Teilnehmers von 1936 aufmerksam. Zu den Organisatoren und Teilnehmern der 1987 und 1988 erneut stattfindenden Seelenbinder-Gedächtnisläufe gehörte auch Werner Gutsche. Zusätzlich erhöhte eine Unterschriftenaktion den Druck auf den Bezirk, der dann 1992 eine Gedenktafel für Seelenbinder an der Konrad-Agahd-Schule initiierte. An die Würdigung der ungleich bedeutenderen Gedenkstätte, der Werner-Seelenbinder-Kampfbahn, traute der Bezirk sich offenbar noch nicht heran. Erst 2004, zum 100. Geburtstag und am 60. Todestag von Werner Seelenbinder, enthüllte der damalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowski die Namenstafel am Eingang der Sportanlage an der Oderstraße, die seitdem „Werner-Seelenbinder-Sportpark Neukölln“ heißt. Zur Geschichte des Seelenbinder-Gedenkens ist von dem Autor Matthioas Heisig ein ausführlicher Beitrag in folgendem Sammelband erschienen: „Da müsst ihr euch mal drum kümmern“ Werner Gutsche (1923-2012) und Neukölln. Spuren, Erinnerungen, Anregungen. Herausgegeben von Frieder Boehne, Bernhard Bremberger und Matthias Heisig, Metropol Verlag, Berlin 2016. 20 Zeitreise an einer Brandschutzwand Für viele ist sie das Eintrittsschild zum Schillerkiez – die Brandschutzwand des Wohnhauses der Hermannstraße 36, welche sich bestens von Flughafenstraße und Hermannstraße einsehen lässt. Während sie in den 90er Jahren noch als brave Werbefläche verwendet wurde, ist sie vielen mit „Kiez statt Kies“ in Erinnerung geblieben. Nach nur kurzer Zeit in weißer Farbe während einer Renovierungsphase zu Beginn des Jahres, hat die Berliner Graffiti Crew 1UP die weiße nun neu „bespielt“. Die Brandschutzwand ist an dieser Stelle allerdings kein Zufall und keineswegs die Einzige entlang der nördlichen Grenze des Schillerkiez. Radikalmoderne, autogerechte Stadtplanungsparadigmen der 1950er und 60er Jahre führten zu ambitionierten Ausbauplanungen der Stadtautobahn. Berlin sollte von sieben sechsspurigen Zubringern dem „KFZ-Ring“, und vier sechs- bis achtspurigen Tangenten durchzogen werden. Die sogenannte 1960 - 1990 – 1994 - 2014 – 2017 Osttangente (A102) sollte dem Flächennutzungsplan (FNP) 1965 zufolge das südöstliche Westberlin von Kreuzberg bis Buckow durchqueren. Die Hasenheide wäre somit zum riesigen Autobahnkreuz geworden (siehe Abbildung FNP). Mit der Flughafenstraße als Teilstück eines der zahlreichen Zubringer ergab sich der Bedarf der Fahrbahnausweitung. 1957 wurden Mittel für den Abriß vom Senat bereitgestellt und mit der Entmietung begonnen. Bereits 1960 war die Verbreiterung der vorher nur 15 Meter schmalen Flughafenstraße auf 43 Meter abgeschlossen und weit über 100 Wohnungen und ein Kino verschwunden – übrig blieben eine Reihe prominenter Brandschutzmauern. Weder der KFZ-Ring noch die Autobahn wurden später tatsächlich gebaut. Alle weiteren Planungen wurden mit dem neuen Flächennutzungsplan von 1984 aufgegeben, die „autogerechte“ Stadt war nicht mehr durchsetzbar. Aktuell werden im Zuge der vielen benötigten Wohnungen in Berlin Ideen zum Rückbau diskutiert und damit möglicherweise in Zukunft das alte Stadtbild des Schillerkiezes wiederhergestellt. Wir sind gespannt! Falls Sie weitere Stadien der Brandschutzwand über die Jahre dokumentiert haben, freuen wir uns über mehr Fotos in der Reihe. Gerne per mail an info@quartiersmanagement.de. 22 KIEZFRITZEN Michaela Hamann, aktive Nachbarin im Warthekiez, und Jehan El Rhomri, von den Integrationsmachern von „interkular“, sprechen mit uns über die nachbarschaftliche Vernetzungsarbeit der „Kiezfritzen“ – ein Format, das im Rahmen des QM-Projekts „Akteursnetzwerk im südlichen Schillerkiez“ entstanden ist. Aufgezeichnet von Alina Schütze Im südlichen Schillerkiez gibt es viele aktive private und institutionelle Akteure, an deren besserer Vernetzung untereinander „interkular“ momentan mit vielseitigen Methoden arbeitet. In einer ersten Phase des Projekts, der Bedürfnisanalyse der Ansässigen, wurde die Idee der „Kiezfritzen“ geboren. Die BewohnerInnen im Südkiez sollten innovativ und niedrigschwellig zu ihrer Situation befragt werden. Es wurde bald klar, dass das Befragungsteam die Vielfalt der zu Befragenden natürlich wiederspiegeln musste, um die verschiedenen Lebenswelten im Kiez abzubilden. „Das ist erstmal eine total schöne Idee, aber auch eine kleine Herausforderung“, betont Jehan im Gespräch. Denn ebenso existierte im Projekt der Anspruch, auch zukünftige BewohnerInnen des Kiezes und Geflüchtete in die Befragung miteinzubeziehen. Und natürlich sollte niemand zur Befragung gezwungen werden. Das Team sollte also mehrsprachig, generationsübergreifend und von unterschiedlicher Motivation geprägt sein. Fragebögen wurden in Deutsch und Arabisch verfasst und bei Bedarf auch auf Englisch übersetzt, womit der Austausch unterstützt werden sollte. Mit Hilfe des „Warthe-Mahls“, einem der zentralen Kieztreffpunkte (siehe Treffpunkte im Warthekiez, Seite 35), fand sich das Team der „Kiezfritzen“ schlussendlich zusammen: Michaela, die seit Jahren im Kiez engagiert ist und sich mit kreativ-künstlerischen Angeboten in der Nachbarschaft einbringt, und Billy, im Herzen Musiker und langjähriger, erfahrener Kiezbewohner, treffen auf Bahta, Mohammad und Abdulrahman, die seit circa zweieinhalb Jahren in Berlin sind und über die Perspektivcoaches in der Unterkunft Tempelhof mit „interkular“ in Kontakt gekommen sind. Bahta ist ursprünglich aus Eritrea, ebenfalls Musiker und neben der Schule auch an der Perspektivcoachakademie von „interkular“ beteiligt. Mohammad und Abdulrahman aus Syrien gehen ebenfalls in Berlin zur Schule, machen Praktika und sind seit ihrer Zeit in Tempelhof im Kiez aktiv. In einem vorbereitenden Workshop wurde erarbeitet, was zum Beispiel der Begriff Nachbarschaft in Deutschland, Eritrea und Syrien bedeutet und wie unterschiedlich er aufgefasst werden kann. Geschweige denn die Begriffe Nachbarschaftsgefühl oder Nachbarschaftsarbeit! Warum man aktiv an einem Nachbarschaftsgefühl arbeiten müsse, war nicht allen von Anfang an klar. Die teilweise sehr abstrakten Diskussionen im Workshop thematisierten außerdem die Themen der lokalen Identität und Partizipation und auf welchen Ebenen diese stattfinden und unterstützt werden könnten. Von Haus über Straße und Kiez bis hin zur Bezirksebene sind die Wege manchmal weit. Am Einfachsten ist es doch, mit seiner direkten nachbarschaftlichen Umgebung zu beginnen. So zogen die fünf Kiezfritzen gemeinsam los, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Für Mohammad und Abdulrahman war die Befragung auch eine berufliche Orientierung. Die „alten Hasen“ wie Michaela und Billy konnten in den gemischten Befragungsgruppen auch erstmals arabischsprachige NachbarInnen erreichen: „Mit Mohammad bin ich dann losgezogen, um die arabischen Frauen auf dem Wartheplatz anzuquatschen, das hat wunderbar funktioniert! Wir waren ein gutes Team“, erinnert sich Michaela und betont, wie schnell sich das Team der Kiezfritzen schon im vorbereitenden Workshop näher gekommen war. So sind während der Befragung viele schöne kleine Begegnungen erfolgt, Sprachbarrieren und andere Verständnisse und Konzeptionen wurden überwunden und der Aushandlungsprozess zwischen den Interessengruppen sowohl im Kiezfritzen-Team als auch mit und unter den BewohnerInnen neu angepasst und übertragen. Aber auch weitere innovative Methoden, wie zum Beispiel ein Positionsbarometer wurden angewandt, mit dem man sich schnell und ohne sprachliche Verständigung ausdrücken kann. So wurden Anderssprachige und Analphabeten erreicht und alle, denen der Fragebogen zu lange ging. Auch die Burano-Methode wurde von den Kiezfritzen angewendet: Ein Instrument, mit dem zentrale Orte und wichtige Bewegungsströme ausgemacht werden können. Beim interkulturellen Kiezfest sind dann alle noch einmal zusammengekommen. Auch musikalisch: Bahta an der Krar, Billy an der Mundharmonika und Abdulrahman als Rapper. Jehan und das Team von „interkular“ hoffen, dass das erfolgreiche Format auch zukünftig weiterentwickelt werden kann. Wir freuen uns auf die Kiezfritzen 2.0! 24 Das Rondell Wo einem früher die Flugzeuge zu Füßen flogen, ist ´ne runde Bank gelandet. Drauf sitzt, wer will, „schweigend ins Gespräch vertieft“, draußen vor dem Tor zum Flugfeld, die Sehnsuchts-Silhouette im Blick. Es kreisen hier auch Kiezgeschichten, vielleicht solche wie diese: Trifft ein Hund ´ne Schildkröte. Die steht oben auf zwei Steinblöcken. Fragt der Hund die Schildkröte: Was machst du denn da? Sagt die Schildkröte: Ich will abheben. Fliegen. Nach Panama - „Oh wie schön ist Panama!“ Fragt der Hund: Wie soll das gehen? Na bis hierher bin ich ja auch schon gekommen. Der Rest wird sich finden. Na dann viel Glück, meint der Hund kopfschüttelnd und trollt sich. Und tatsächlich am Abend - weg ist sie. Wo ist sie hin? Wer was weiß, erzählt´s am Rondell. Regine Schütz Szene 1 Löwenzahn-Fallschirme schwarmweise ostwärts übermütige Junikäfer Ahornnasen sanft gestupst Szene 2 Hulatänzerin hüftschwingend Dudelsackpfeifer kariert irritiert Darbouka-Trommel kommentiert orientalisch Szene 3 erlahmter Westwind über staubtrockener Wiese Abendsonne ruht auf der Wolkenbank Türkishimmel zu Füßen Wolfgang Endler - Kiezpoet: 26 Ein Leben mit Courage Erinnerungen an Werner Gutsche Als ich im Jahr 1999 eine Stelle beim Museum Neukölln antrat, hatte ich das große Glück, bald die Bekanntschaft von Werner Gutsche zu machen, der damals schon über 75 Jahre alt war. Im Museum wurde damals zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus gearbeitet und er kannte zahlreiche Informationen zu einzelnen Personen und Gruppierungen aus dem Neuköllner Widerstand. Als ich mich dann auf Zwangsarbeit im Bezirk spezialisierte, wusste er sehr interessante Details, etwa über die bei National Krupp am Hertzbergplatz untergebrachten Franzosen. Er wies mich auf das eine oder andere unbekannte Lager hin wie das in der Braunauer Straße (heute: Sonnenallee), Ecke Hobrechtstraße oder das Kriegsgefangenenlager am Britzer Kanal an der Blauen Brücke. (Leider gelang es mir erst nach seinem Tod, auch die entsprechenden Belege in Archiven zu finden.) Zwangsarbeiterkolonne in der Grenzallee. Die Neuköllner KFZ-Firma Gaubschat stellte Fahrzeuge für den kommunalen Dienst (z. B. Omnibusse) her, während des Kriegs für jede Truppengattung und ist berüchtigt für die „Gaswagen“ – mobile Gaskammern, in denen Zigtausende ermordet wurden (Zeichnung Werner Gutsche). Der 1923 geborene Werner Gutsche war von Kind an ein begeisterter Schwimmer. Seine sportliche Heimat fand er beim Schwimmverein „Möwe“, der 1933 in der „Schwimm-Union Neukölln“ aufging. Der Verein hatte seinen Schwimmplatz am östlichen Ufer des Teltowkanals, nahe der Grenzallee, dort wo heute die Autobahn verläuft. Auch im Fronturlaub blieb er dem Sport und seinem Verein treu, und deshalb konnte er später einige seiner Beobachtungen mit dem Stift festhalten. Wenn Werner vom Widerstand in Neukölln erzählte, so konnte man meinen, er sei dabei gewesen. Dabei war er 1923 in Kreuzberg geboren, in der Falkensteinstraße aufgewachsen und erst nach der Kriegsgefangenschaft nach Neukölln gezogen und zwar zu Marie Müller in der Oderstraße 47. Tatsächlich war es „Mariechen“, die mit ihrem in Griechenland gefallenen Mann Alfred Müller im Neuköllner Widerstand gelebt hatte. Werner Gutsche sorgte dafür, dass ihre Erfahrungen und ihr Wissen erzählt und nachwachsenden Generationen weitergegeben wurden und so auch einen Einzug in die lokale Geschichtsschreibung fanden. Bei zahlreichen Veranstaltungen war Werner Gutsche anzutreffen, ich hatte den Eindruck, dass die Galerie Olga Benario in der Richardstraße fast sein zweites Wohnzimmer war. Er konnte etliches beitragen zu Neuköllner Reformschulen in der Weimarer Zeit, recherchierte zur Rütligruppe (einer aus der gleichnamigen Schule hervorgegangenen Widerstandsgruppe), stellte Ausstellungen zusammen (etwa zum Kriegsende in Neukölln), machte Führungen zur Lokalgeschichte (zu nennen ist der so genannte Blutmai, die blutige Niederschlagung der Maidemonstrationen von 1929 um das Rollbergviertel). Besonders lag ihm die Grabstelle des Ringers und Widerstandskämpfers Werner Seelenbinder am Herzen: Die Asche des im Zuchthaus Brandenburg Hingerichteten fand bald nach Kriegsende am Eingangsbereich des Stadions in der Oderstraße ihre letzte Ruhe. Bei einer Gedenkveranstaltung konnte ich ihn dort als Sänger im Arbeiter- und Veteranenchor erleben. Und er interessierte sich für Schalmeien, was ich als Musikforscher natürlich besonders toll fand. Werner Gutsche, der bis in sein hohes Alter ein drahtiger Sportler blieb, verstarb Anfang Dezember 2012 nach einem tragischen Unfall in der Sauna. Er liegt auf dem St. Thomas- „Da müsst ihr euch mal drum kümmern“ Werner Gutsche (1923–2012) und Neukölln Spuren, Erinnerungen, Anregungen Herausgegeben von Frieder Boehne, Bernhard Bremberger und Matthias Heisig 28 Werner Gutsche verteilt Flugblätter vor dem Rathaus Neukölln Kirchhof an der Hermannstraße begraben. Sehr bald nach seinem Tod kam die Idee auf, ein Erinnerungsbuch zusammenzustellen, in dem einerseits seine biographischen Spuren zusammengestellt werden, in dem ferner Freunde und Wegbegleiter ihre Erinnerungen festhalten und wo schließlich die Neuköllner Themen, für die sich Werner interessierte, dargestellt und vertieft werden sollten. Dabei stellten wir fest, dass wir alle nur einen winzig kleinen Teil von Werners Leben kannten. Matthias Heisig machte sich auf seine Spuren in den Archiven und konnte eine erstaunliche Biographie zusammenstellen: von seiner Kreuzberger Jugend bis zur Kriegsgefangenschaft hatte er schon selbst einen kleinen Text veröffentlicht. Dort nahm er an Antifa-Schulungen teil, wo er sich „vom Wehrmachtssoldaten zum Kommunisten“ wandelte. 1949 kehrte er nach Berlin zurück, fand seine Wohnung in Neukölln und trat in die SED ein. Metallarbeiter und Parteifunktionär, nach der Wende für „Die Linke“ im Neuköllner Rathaus – das sind einige seiner Lebensstationen, die wir erst bei der Arbeit am Buch und besonders durch die intensive Recherche von Matthias Heisig kennenlernen konnten. So lange ich Werner Gutsche kannte, kümmerte er sich liebevoll und aufopfernd um seine Lebensgefährtin. Den ganzen Tag über besuchte und betreute er „Mariechen“ im Heim; frühmorgens und spätabends fand er Zeit für seine weiteren Aktivitäten. Unvergesslich sind die persönliche Wärme, die er in allen Begegnungen ausstrahlte und sein kräftiger Händedruck. Wenn wir telefonierten, dann versäumte er nie, sich mit „Grüß dein Frauchen!“ zu verabschieden. Er durfte das so sagen. Von Bernhard Bremberger Fassadengeschichte im Schillerkiez 1990 vs. 2017 Weise Ecke Selchower Hermannstraße 30 Allerstraße Allerstraße Weisestraße Oderstraße Oker Ecke Weise Okerstraße 32 Kopfstein Das Kopfsteinpflaster schimmert wie Schuppenhaut im Licht. In der Sonne, im Regen, im Licht der Straßenlaternen erglänzen die steinernen Köpfe, abgerundet und poliert durch Millionen Räder und Schritte. Kopf oder Zahl. Die gepflasterten Nebenstraßen führen von hier ins Licht über dem Tempelhofer Feld und rollen die Rollberge hinunter zur Karl-Marx-Straße. Kopfsteinpflaster ist Kunst, wie Christos Installationen. Ein Haus aus Ziegelsteinen bauen und eine Straße aus Steinen legen ist Kunst. Für Fahrradfahrer sind solche Straßen sicher erschütternd, für Betrachter sind sie wunderbar. Die Bürgersteige sind aus kleineren, faustgroßen Steinen gelegt. Der Pflasterer erklärt dem staunenden, arbeitslosen Passanten: Kopfsteinpflaster meint die großen Steine auf der Straße und Mosaiksteinpflaster die kleinen Steine auf den Bürgersteigen. Kein einziger Pflasterstein ist gleich wie der andere, das haben sie mit den Menschen gemeinsam. Jeder Stein findet seinen Platz in den unregelmäßigen Fußbodenmosaiken. Er, der Arbeitslose, schaut gern den Pflasterern zu, die ihn sicher verfluchen würden, wüssten sie von diesem Müßiggänger ohne Muße. Ein Schriftsteller schrieb von einem Moment der Gefahr, als er sich in Kriegszeiten auf den Bürgersteig werfen musste und eine Maschinengewehrgarbe das Pflaster neben ihm auffurchte. Er schrieb von dieser besonderen Schärfe der Wahrnehmung im Moment der Gefahr, er sah genau, wie sich um ihn die Mosaikpflastersteine unter dem Aufprall der Kugeln wie Igelstacheln sträubten. Am Abend geht groß die Sonne unter, dort, im Westen, jenseits des Tempelhofer Feldes und strahlt wie ein Scheinwerfer grell und gleißend in die Herrfurthstraße. Das Licht schlittert über das Kopfsteinpflaster der gewölbten Straße, ein bald hundertjähriger Dinosaurierrücken, dessen versteinerte Schuppenhaut im Sonnenlicht sich zu sträuben scheint und glänzt. Ein Sturm weht aus dem Paradies her und reißt Blätter aus den Linden, die gelb und dann kupferrot auf den verstümmelten Turm der Genezareth Kirche zutreiben. Die roten Ziegelsteinwände der Kirche leuchten verheißungsvoll und drinnen braust die kirchenschiffhohe Orgel hinter dem brennenden Dornbusch aus Glas und Stahl. Der liebe Gott knipst als letzter das Licht aus. Die Kirche und die Herrfurthstraße liegen jetzt im Dunkel, spärlich beleuchtet von Straßenlaternen. Die Kopfsteine schlafschwer träumen von Pferdehufen, Fuhrwagen, Autoreifen und Millionen Schritten. Im Westen über dem Flughafenfeld noch ein heller, orangerot gefärbter Himmel. Und es ward ein anderer Tag. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Der Straßenbauarbeiter, der mit einem Bagger die Straße aufreißt, sagt dem Arbeitslosen, der schon wieder müßig mit den Händen in den Hosentaschen herumschlendert, dass eine Frau aus der Kolonie Odertal beinahe geweint hätte, als sie hörte, dass die Steine weggetragen werden und die Straße asphaltiert wird. Warum. Ja, warum. Weil es billiger ist. Wer fragt schon nach Schönheit, wer nach Mustern und Strukturen, wer nach Geschichte. Was glauben Sie wie viele Arbeitsstunden das gibt, diese Kopfsteinpflastersteine zu legen? Das ist zu teuer, viel zu viel Arbeit. Der Arbeitslose verspürt auch nicht gerade große Lust, die Steine zu legen. Er denkt an seinen Rücken. Mit einer Maschine ist das an einem Tag wieder asphaltiert. Wenigstens bleiben die Steine in den Randstreifen liegen. Wie Spielzeugwürfel schaufelt der Bagger die kopfgroßen Steine auf einen Lastwagen, wo sie polternd und dröhnend in den Stahlcontainer fallen. Unter den Steinen liegt der märkische Sand. Hier weht jetzt ein anderer Wind. Die Straße führt auf das Haupttor des Flughafenfeldes zu. Was glauben Sie wie viele Autos, wie viele Fahrradfahrer, bepackt mit Skateboards, Windsurfbrettern und Drachen hier durchfahren. Dort liegt die große Spielwiese der Stadt, auf der allein die Windkraft die Menschen über die Start- und Landepisten treibt und die vielfältig geformten Drachen in der Luft hält. Hier recken die Menschen ihre Gesichter in den Himmel und die Wolken malen täglich andere Himmelslandschaften. Die Falken jagen die Krähen oder die Krähen die Falken. Beitrag zum Literaturwettbewerb Schillerkiez 2013 von Franz Joseph Hödl 34 Michaela Hamann erzählt uns von alten und neuen Treffpunkten im südlichen Schillerkiez, an denen die NachbarInnen zusammen kommen: Der ehemalige Kiosk am Tempelhofer Feld Direkt neben dem buntgestrichenen Eingang zur Kinderwelt am Feld war früher ein Kiosk zu finden. Nach einem Gang auf dem Tempelhofer Feld traf man sich hier mit Nachbarn aus dem Warthekiez auf einen Kaffee oder ein Bier. Mittlerweile gibt es den Kiosk nicht mehr, aber die alten Herren, die sich früher dort trafen, kann man manchmal ein paar Meter weiter an der runden Bank treffen. Das Bier kann man jetzt bei Mauro, dem Eismann, kaufen. Das Warthe-Mahl Ende der 90er Jahre war im heutigen Warthe-Mahl noch eine klassische Neuköllner Eckkneipe zu finden. Bier und Futschi für 1,50 DM wohlbemerkt. Nach einer mysteriösen Umbauphase wurde die ehemalige Kneipe in eine Art Kiosk verwandelt, mit Stehtischen und einer netten fülligen Dame hinter dem Tresen. Die Kinder der Warthestraße kamen hier regelmäßig vorbei. Unter Bedingung eines höflichen „Bitte“ und „Danke“ wurden ihnen ihre Süßigkeiten gegeben. Nachdem die alte Dame gestorben war, stand die Ladenfläche wieder leer. Bis 2006 das Warthe-Mahl einzog. Heute dient das Warte-Mahl als der Treffpunkt im Warthekiez. Seit über zehn Jahren ist es eine feste Instanz im Kiez und Ort vieler Angebote wie der Lehrküche, des Nähkurses, der Mieterberatung und zahlreicher Veranstaltungen. Wer die „Urgesteine“ aus dem Warthekiez kennen lernen möchte, ist im Warthe-Mahl an der richtigen Adresse. Alte wie neue Kiezbewohner treffen sich hier. Michaela hofft, dass das Warthe-Mahl irgendwann wieder länger am Abend öffnet. Treffpunkte im Warthekiez Der Wartheplatz Was ist das Besondere an der Warthestraße? „Dass es so schön grün ist!“ Das grüne Herz der Warthestraße ist ohne Zweifel der zentrale Wartheplatz. Hier treffen sich sämtliche Anwohner auf dem Weg zum Tempelhofer Feld, auf dem Rückweg von der Kita oder vom Warthe-Mahl oder einfach zum Verweilen. Schön wäre es, wenn es eine Überdachung über den Sitzbänken gäbe, die den Platz auch bei Regen nutzbar machte. Da nicht alle Wohnungen in der Warthestraße den Luxus eines Balkons genießen, wäre dies ein optimaler Ausweichraum. Auf dem Wartheplatz hat Michaela durch die Befragung mit den Kiezfritzen (siehe Seite 23) auch die arabischen Mütter kennen gelernt, welche den Platz ebenfalls viel nutzen. Der Idee einer Überdachung stimmen alle zu. Die Treppenhäuser Im Rahmen von 48 Stunden Neukölln fanden im wunderschönen dreieckigen Treppenhaus der Warthestraße 48 einige Treppenhauskonzerte statt. Die gute Akustik und besondere Atmosphäre eignet sich optimal für Cello- oder Percussionkonzerte. Allerdings soll gerade dieses besondere Treppenhaus einen Personenaufzug bekommen. Die Bewohner versuchten, sich dagegen zu wehren, aber das Treppenhaus unter Denkmalschutz zu stellen, ist ein sehr langwieriger Prozess und leider nicht mehr möglich. Neue Lokale Neben den alteingesessenen Treffpunkten gibt es mittlerweile auch einige neue Lokale in der Warthestraße, in denen die Nachbarn zusammenkommen. Ins „La Plume“ werden zum Beispiel neben Sprachkursen auch regelmäßig Kiezakteure für Konzerte, Lesungen oder Ähnliches eingeladen (zum Beispiel Veronika Otto oder Wolfgang Endler). Auch das französische Lokal „Lipopette“ ist mit der Zeit zum neuen Treffpunkt geworden. Und im Sommer trifft man sich auch beim leckeren „Lauter Eis“ oder bei „Tante Frizzante“ in der Hermannstraße. Somit findet jeder seinen Lieblings-Kieztreffpunkt. 36 Quartiersmanagement Schillerpromenade Sie wohnen und arbeiten schon lange im Schillerkiez oder sind gerade hierher gezogen? Vielleicht sind Sie auch nur mal zu Besuch? Sicherlich finden Sie die schönen Fassaden und die repräsentative Schillerpromenade mit ihren Spielplätzen genauso nett, wie die kleinen Cafés und Kneipen. Und vielleicht haben Sie auch schon unser Vor-Ort-Büro direkt an der Schillerpromenade entdeckt und sich gefragt: „Was ist das eigentlich, ein Quartiersmanagement? Wozu ist es da und was kann ich damit anfangen?“ Auch wenn man es vielleicht nicht auf den ersten Blick bemerkt: Der Schillerkiez und seine BewohnerInnen brauchen Unterstützung und Förderung. • • • Mehr als die Hälfte seiner Bewohnerschaft ist arm, hat keine oder nur sehr schlecht bezahlte Arbeit Aufgrund fehlender Berufsabschlüsse oder Langzeitarbeitslosigkeit benötigen viele BewohnerInnen zusätzliche Hilfe, um im Berufsleben wieder Fuß fassen Die Kiezschulen müssen weit mehr leisten, als nur Wissen zu vermitteln. Um allen Kindern einen guten Start zu ermöglichen, benötigen sie daher besondere Unterstützung Genau hier setzt das Quartiersmanagement an, indem es auf die Stärken und Potenziale des Gebiets schaut und diese entwickelt. Das größte und wichtigste Potenzial eines Gebiets ist seine Bewohnerschaft. Deshalb setzen wir auf die aktive Mitwirkung der hier lebenden und arbeitenden Menschen. Im Quartiersrat und der Aktionsfondsjury kommen sowohl Anwohnerinnen und Anwohner als auch Vertreterinnen und Vertreter von Schulen, konfessionellen Einrichtungen oder Vereinen zusammen und entwickeln neue Ideen, die den Kiez voran bringen sollen. Das Quartiersmanagement befindet sich an der Schnittstelle zwischen Kiez und Verwaltung. Das Team ist direkt vor Ort jederzeit für die Bewohnerschaft erreichbar. Seine Aufgaben sind: • • • Erstellung einer Gebietsstrategie zur nachhaltigen Entwicklung des Quartiers Einbeziehung der Bewohnerschaft (Partizipation) und der Akteure (Netzwerkarbeit) Initiierung und Umsetzung von Projekten zur Gebietsentwicklung Entsprechend der Schwerpunktsetzung im Integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzept (IHEK) arbeitet des Quartiersmanagement an der Einrichtung und Sicherung eines Nachbarschaftszentrums für das Quartier, um langfristig eine funktionierende Stadtteilarbeit zu gewährleisten. Daneben begleitet das Quartiersmanagement die Arbeit an den Kitas und Schulen, die bereits in der Vergangenheit mit erheblichen Mitteln der „Sozialen Stadt“ aufgewertet wurden. Mitmachen! Sie planen ein Hoffest mit Ihren Nachbarinnen und Nachbarn? Sie wollen eine Baumscheibe bepflanzen? Sie wollen für die Kinder Ihrer Einrichtung neu Spielgeräte anschaffen? Dann können Sie Mittel aus dem Aktionsfonds beantragen und damit ihr ehrenamtliches Engagement unterstützen lassen. Antragsberechtigt sind alle Anwohnerinnen und Anwohner sowie Initiativen und Vereine. Über die Vergabe der Mittel entscheidet die Aktionsfondsjury, die sich aus engagierten Anwohnerinnen und Anwohnern des Quartiers zusammensetzt. Nähere Informationen finden Sie auf unserer Website www.schillerpromenade-quartier.de oder Sie kommen einfach in unser Vorortbüro. Wir beraten Sie gerne und helfen Ihnen bei der Antragsstellung. Impressum: Fotonachweis: Redaktion: Gunnar Zerowsky, Alina Schütze Layout & Satz: Gunnar Zerowsky 12/2017 Zara Morris: Seite 4 Lieselotte Ochmann: Seite 5 Museum Neukölln: Seite 7, 9, 17, 18, 29, 36 Beate Storni: Seite 10 Julian Luis Müller: Seite 14, 15, 16 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: Seite 21 Regina Schütz: Seite 25 Werner Gutsche: Seite 27 Julia Zerowsky: Seite 1, 36 Sabine Stoessel: Rückseite Quartiersmanagement Schillerpromenade Schillerpromenade 10, 12049 Berlin Tel.: 030 - 621 16 02 Fax: 030 - 621 10 54 info@quartiersmanagement.de www.schillerpromenade-quartier.de Träger: BSG Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbH Ludwig-Richter-Str. 23, 14467 Potsdam Geschäftsführer: Dipl.-Ing. Michael Schipper, Dipl.-Ing. Jens Lüscher Eingetragen: Amtsgericht Potsdam Stadt, HR-Nr.: HRB 3454 Amtsgericht Potsdam Bremberger, Heisig, Boehne: Seite 28 Frieder Boehne, Bernhard Bremberger, Matthias Heisig (Hrsg.): „Da müsst ihr euch mal drum kümmern“ – Werner Gutsche (1923–2012) und Neukölln. Spuren, Erinnerungen, Anregungen. ISBN:978-3-86331-322-7, 312 Seiten, Berlin (Metropol) 2016, € 22.00. Inhalt: http://metropol-verlag.de/wp-content/ uploads/2016/05/Heisig_Gutsche_Inhalt.pdf. Alle sonstigen Fotos: QM Team 38 www.schillerpromenade-quartier.de
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