Wege zum Abbau von Bürokratie – Handlungsempfehlungen
für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Gerichtsbarkeit
Weniger Bürokratie
und besseres Recht
Mitglieder des „Forums Bürokratieabbau“:
Jens Beutel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz
Dr. Michael Bürsch, MdB, SPD-Bundestagsfraktion
Dr. Michael Fuchs, MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Klaus Hardraht, Innenminister des Freistaates Sachsen a. D.
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages
Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister a. D.
Prof. Dr. Helmut Schnellenbach, Präsident des Verwaltungsgerichts a. D.
Dr. Eckart Werthebach, Innensenator a. D., Vorsitzender des Forums Bürokratieabbau
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Wege zum Abbau von Bürokratie – Handlungsempfehlungen
für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Gerichtsbarkeit
Weniger Bürokratie
und besseres Recht
Inhalt
> A.
>
> C.
Berichtsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
I.
II.
Anlass und Einsetzung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
B.
Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
I.
I.
III.
IV.
Entstehen von Bürokratie, bürokratischen Regelungen und Verfahren . .
Nutzen von Bürokratie, bürokratischen Regelungen und Verfahren . . . . .
Faktoren für Bürokratie, bürokratische Regelungen und Verfahren. . . . . .
Konkrete Ursachen für eine übermäßige Bürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
14
18
21
Empfehlungen für eine Rückführung wachsender Bürokratie . . . . . . . . . . . . . . 29
I.
Neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft
herbeiführen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1. Stärkung der Eigenverantwortung von Bürgern und Gesellschaft
gewährleisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2. Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat fortsetzen . . . . . 32
II.
Eigenverantwortliches Handeln von Unternehmen ermöglichen und
einfordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Das Kooperationsprinzip vermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Möglichkeiten von öffentlich – privaten Partnerschaften (ÖPP)
konsequent nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Formen der Privatisierung ermöglichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Regionalinitiativen nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Gestaltungsoffene Rechtsetzung praktizieren, die förmliche
Rechtsetzung modernisieren und die Gesetzesfolgenabschätzung
intensivieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Eine neue Gesetzgebungskultur ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Konsequenzen für die Gesetzgebungstechnik bedenken . . . . . . . . . . .
3. Regierungen verpflichten, stärker auf Rechtsbereinigung
hinzuwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gesetzesfolgenabschätzung systematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
34
36
38
40
42
42
44
48
50
IV. Nationale und Internationale Korrektive des Bürokratieaufwuchses
verwirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1. Nationalen Normenkontrollrat stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2. EU-Recht einbeziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Weniger Bürokratie und besseres Recht
V.
Verwaltungsabläufe vereinfachen, transparente Verantwortungsund Entscheidungszentren schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Verfahrens- und Organisationsvorschriften abbauen und
verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Klare Zuständigkeiten schaffen und damit Doppelprüfungen
vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Vereinfachung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für
Infrastrukturprojekte sowie Ersatz von Genehmigungsvorbehalten
durch Anzeigevorbehalte durchsetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Vorlagepflicht von Plänen und Statistiken reduzieren . . . . . . . . . . . . . .
5. Bürokratieabbau bei Unternehmensansiedlungen verwirklichen. . . .
6. Bürokratieabbau am Beispiel des Vergaberechts umsetzen . . . . . . . . .
54
54
55
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60
60
62
VI. Verwaltungsmodernisierung stärker vorantreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Neue Formen der Behördenkooperation nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Kostenintensive Behördenvielfalt überprüfen, insbesondere
länderübergreifende Aufgaben zusammenfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Einrichtung von Beauftragten kritisch überprüfen . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Verwaltungsaufgaben durch verschiedene Kommunen
gemeinsam erledigen lassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Leitbild der öffentlichen Verwaltung an Dienstleistungen
bzw. Serviceeinrichtungen für die Gesellschaft und Unternehmen
orientieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Einsatz von E - Government erweitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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65
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72
VII. Rolle der Mitarbeiter beim Bürokratieabbau stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Das Engagement der Mitarbeiter nutzen und fördern . . . . . . . . . . . . . .
2. Stärkere Ergebnisverantwortung vor Ort verwirklichen . . . . . . . . . . . . .
3. Aus- und Fortbildung intensivieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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76
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68
68
VIII. Judikative Verwaltungskontrolle straffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
1. Der exekutiven Eigenständigkeit nachdrücklicher Rechnung tragen . . 82
2. Verwaltungsgerichtsbarkeit effektivieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
> D.
Ergebnisse – Zusammenfassung und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Signal an Staat und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal an Gesellschaft und Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal insbesondere an die Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal an die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal an Politik und Justiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Signal an die Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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> Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Anm.: Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit wird im Text nur die männliche Form verwandt.
Selbstverständlich sind Frauen damit auch gemeint.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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6
Herausgeber:
Bundesleitung des dbb beamtenbund und tarifunion, Friedrichstraße 169/170, 10117 Berlin, www.dbb.de
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Vorwort
Die Diskussion um Bürokratieabbau hat in Deutschland nicht
zuletzt durch die vielseitigen Initiativen der Bundesregierung
einen hohen Stellenwert erhalten.
Während die öffentliche Meinung häufig eine ausgeuferte
Bürokratie mit dem Umfang von Personal in der öffentlichen
Verwaltung gleichsetzt, geht es dem dbb in dieser Diskussion
vor allem darum aufzuzeigen, dass die eigentliche Ursache für
zuviel Bürokratie die Regelungsdichte ist.
Aus diesem Grund hat die Bundesleitung des dbb im Sommer
2005 beschlossen, eine unabhängige Kommission zum Thema „Entbürokratisierung
und Deregulierung“ zu berufen und zu beauftragen, ein Konzept zu entwickeln, das zu
einem Weniger an Bürokratie führt.
Die Ergebnisse der Arbeit des Forums Bürokratieabbau werden mit dieser Publikation
der Öffentlichkeit vorgelegt. Die Kommission zeigt in ihrer Darstellung auf, dass es in
Fragen von Entbürokratisierung nicht um populistische Lösungen gehen kann. Vielmehr zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit, dass das Problem „Bürokratie“ ein komplexes
Problem im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Bürgerfreiheit darstellt.
Die in dem nachfolgenden Konzept niedergelegten Ergebnisse verdeutlichen, dass die
Fragen von Entbürokratisierung und Deregulierung nicht einer pauschalen Lösung
zugeführt werden können. Denn Bürokratie und bürokratische Verfahren finden ihre
speziellen Ausprägungen auf unterschiedlicher Ebene und im Verhältnis von Staat und
Gesellschaft, Staat und Unternehmen, aber auch innerhalb des Staates und innerhalb
der Gesellschaft. Daher sind die vorliegenden Handlungsempfehlungen auf verschiedene Adressatenkreise ausgerichtet, die allesamt einen spezifischen Beitrag leisten
müssen, wenn es zu „better regulations“ kommen soll.
Der vorliegende ausführliche Kommissionsbericht beinhaltet eine ausführliche Darstellung von Ursachen, Hintergründen und Lösungsmöglichkeiten. Er mündet in einen
konkreten Forderungskatalog mit Signalen an die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Akteure.
Auch an dieser Stelle danke ich den Mitgliedern des Forums Bürokratieabbau für ihre
wertvolle Arbeit und hoffe, dass mit ihr ein wirksamer Beitrag für neue Anregungen zu
einem erfolgreichen Konzept von Bürokratieabbau und neuer Rechtssetzung geleistet
wird.
Berlin, im Mai 2007
(Peter Heesen)
– Bundesvorsitzender –
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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Wege zum Abbau
von Bürokratie
Handlungsempfehlungen für Staat, Wirtschaft,
Gesellschaft und Gerichtsbarkeit
A. Berichtsauftrag
I. Anlass und Einsetzung der Kommission
Das oft undurchsichtige Geflecht von Vorschriften auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene, unklare und sich überschneidende Zuständigkeiten, unverständliche Formulare oder umständliche Bürokratie sind ständige Quelle von Konflikten
zwischen Bürgern und Staat. Daneben stehen erhebliche Belastungen von Unternehmen als Konsequenzen aus Berichts- und Informationspflichten sowie bis ins
Detail gehende Regulierungen.
Weniger deutlich wahrgenommen wird in der Öffentlichkeit, dass auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung selbst unter den Auswüchsen von Überregulierung, überzogenen behördlichen Verfahren und Zuständigkeitskaskaden leiden,
aber auch eine herausragende Rolle bei der Vermeidung und dem Abbau von Bürokratie spielen können.
Der dbb beamtenbund und tarifunion hat sich deshalb das Ziel gesetzt, den Abbau
überbordender Bürokratie als eigenes Thema aufzugreifen und mit eigenen Vorschlägen voranzubringen. Zu diesem Zweck wurde im Juni 2005 das „Forum Bürokratieabbau“ ins Leben gerufen, in dem Praktiker aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft eigene Vorschläge entwickeln sollten, die den Anspruch auf Realisierbarkeit und Wirksamkeit gleichermaßen erheben.
In der öffentlichen Diskussion wird häufig übersehen, dass es in jeder demokratischen Gesellschaftsordnung Vorschriften und Regeln geben muss, um Entscheidungen transparent umsetzen, um Rechtssicherheit gewährleisten und um den Einzelnen vor Willkür schützen zu können. Das eigentliche Übel sind nicht Regulierungen
und Verfahren, sondern deren normative und administrative Überdosierung.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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Nicht wenige gesetzliche Regelungen entstehen aus Vorgaben der Gerichte. Nicht
zuletzt ist auch in dem Verlangen nach Gleichbehandlung, d. h. in der Erwartung,
dass vergleichbare Sachverhalte von Kiel bis Garmisch-Partenkirchen und Stralsund
auch gleich behandelt werden, der Keim für Regulierung angelegt.
Es kann daher nicht darum gehen, Bürokratie abzuschaffen, sondern sie auf den
notwendigen Rahmen zu beschränken.
Ziel sind auch nicht „die einfachen Lösungen“; solche Forderungen sind zwar publikumswirksam, sie tragen aber nicht effektiv zum Bürokratieabbau bei. Gefragt sind
der Sache angemessene praktikable Verfahren.
Vor allem muss in Deutschland das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass nicht
nur Politik und öffentliche Verwaltung für Bürokratie sorgen, sondern dass ebenso
die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Gerichtsbarkeit dafür Verantwortung tragen. Dementsprechend setzt sich das Forum Bürokratieabbau dafür ein, dass alle
genannten Beteiligten gemeinsam gegen übermäßigen Verwaltungsaufwand vorgehen.
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II. Zielsetzung
Das „Forum Bürokratieabbau“ will den Regierungen und Parlamenten von Bund
und Ländern die Ursachen für den (unverhältnismäßigen) Bürokratieaufwuchs,
aber auch auf der Grundlage dieses Verständnisses Vorschläge zur Einschränkung
des Verwaltungsaufwandes unterbreiten. Dadurch sollen politisch Verantwortliche
in die Lage versetzt werden, sachgerechte Entscheidungen zu treffen, d. h. den Parlamenten, Regierungen, Verwaltungsinstanzen und Kommunen Vorschläge unterbreiten zu können, um die öffentliche Verwaltung im Rahmen ihres Aufgabenspektrums effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Gleichzeitig sollen Bürger und
Unternehmen – soweit es das Gemeinwohl zulässt – von behördlichen Vorgaben
und Pflichten entlastet werden.
Ein weiteres Ziel ist es, die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung von bürokratiebedingten Arbeiten zu entlasten und mit weitergehender Verantwortung zu
betrauen, damit sie stärkere Erfüllung und Motivation in ihrem Beruf finden.
Außerdem sollen den Mitarbeitern Möglichkeiten und Methoden aufgezeigt werden, wie sie selbst zum Bürokratieabbau beitragen können.
Dabei ist – gleichsam wie im Wege einer Rückkoppelung – der Zusammenhang
zwischen bürokratischem Aufwand einerseits und der Stärkung der Selbstverantwortung von Gesellschaft, Unternehmen und Bürgern andererseits herauszustellen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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Weniger Bürokratie und besseres Recht
B. Ausgangslage
I. Entstehen von Bürokratie, bürokratischen
Regelungen und Verfahren
Der wirtschaftliche Aufschwung in der Nachkriegszeit gab auch Bürokratie, bürokratischen Regelungen und bürokratischen Verfahren kräftigen Anschub.
Die mit der Wirtschaftskraft Deutschlands wachsenden öffentlichen Haushalte
waren in der Lage, der Sozialstaatsverpflichtung und dem Gemeinwohl eine Bedeutung einzuräumen, die nach und nach über die Absicherung der großen Lebensrisiken (Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Innere und Äußere Sicherheit) hinausgingen.
Deutschland entwickelte sich – wie andere OECD-Staaten auch – zunehmend zu
einem Staatswesen, in dem im Interesse des Gemeinwohls hohe Standards (z. B.
Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz) geschaffen wurden und
zugleich die Selbstverantwortung des Einzelnen, der Gesellschaft sowie der Unternehmen zurückgedrängt wurde. Zugleich wuchs die Erwartungshaltung gegenüber
dem Staat.
Die Finanznot der öffentlichen Hand, das Schwinden der Eigeninitiative und der
Rückgang von Selbstverpflichtungen von Gesellschaft und Unternehmen erzwangen in den 90er-Jahren einen Prozess des Umdenkens: Bürger, Gesellschaft und
Unternehmen sollten wieder die Freiräume erhalten und die Selbstverantwortung
übernehmen, die die Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte, dynamische
Bürgergesellschaft bilden.
Die seit Jahren bei den staatlichen und kommunalen Körperschaften bestehenden
Haushaltsdefizite hatten zur Folge, dass sich die Handlungsoptionen zur Verbesserung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reduzierten.
Die hohe Staatsquote wurde für das rückläufige Wachstum verantwortlich
gemacht.
Vielfältige Aufrufe, den „Schlanken Staat“ oder den „Aktivierenden Staat“
(wieder-)herzustellen und an die Stelle des Wohlfahrtsstaates oder Gemeinwohlstaates zu setzen, blieben bislang ohne nachhaltigen Erfolg ebenso wie die Absicht,
den bürokratischen Aufwand zu verringern und der zunehmenden Verrechtlichung
Einhalt zu gebieten.
Festzustellen ist, dass mit dem politisch gewollten, sich wandelnden Staatsverständnis in den letzten 40 Jahren Politik, Gesellschaft, Bürger und Unternehmen
den Staat stetig zur Übernahme neuer öffentlicher Aufgaben drängten. Die komplexen, neuen öffentlichen Aufgaben hatten zwangsläufig zahlreiche, komplizierte
rechtliche Regelungen zur Folge.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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II. Nutzen von Bürokratie, bürokratischen
Regelungen und Verfahren
Ganz überwiegend wird für die Behäbigkeit und Unbeweglichkeit von Staat und
Gesellschaft sowie für die latente Ablehnung staatlicher Erneuerungsprozesse der
mit dem „Wohlfahrtsstaat“ Hand in Hand gehende „Bürokratiestaat“ verantwortlich gemacht. Folglich wird nicht selten die Forderung nach weniger Bürokratie und
bürokratischem Denken als Patentrezept zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme verstanden.
In Wirklichkeit aber meint jeder, der Bürokratieabbau verlangt, etwas anderes und
verbindet nicht selten Individualinteressen mit dem Verlangen, die den Einzelnen
bzw. Unternehmen belastenden Rechtsvorschriften ersatzlos aufzuheben oder die
öffentliche Verwaltung zu verschlanken; nur so können – wie man annimmt – die
Innovationsbereitschaft und Innovationsfähigkeit von Gesellschaft und Unternehmen wachgerüttelt werden.
Dabei ist „Bürokratieabbau“ ein sehr facettenreicher Begriff, der unterschiedlich
verstanden wird; er zielt u. a.
auf eine Reduzierung öffentlicher Aufgaben,
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auf eine Verringerung von Regelungen durch die öffentliche Hand,
auf eine Verbesserung der Qualität und Verständlichkeit von
(Rechts-)Vorschriften,
auf eine Absenkung materieller Standards, z. B. in den Bereichen Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz und Umweltschutz,
auf eine Vereinfachung des Gesetzesvollzugs,
auf eine Verbesserung von Verwaltungsabläufen und
auf veränderte Denk- und Handlungsweisen von Bürgern und Unternehmen
sowie auf die Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln bei den Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung.
Allerdings:
Kein Staat dieser Welt kann ohne staatliche Bürokratie, die rechtstreu und sparsam,
effektiv und bürgerfreundlich sein soll, funktionieren, erst recht kein demokratisches Staatswesen; denn
Gesetze und Vorschriften (materieller und verfahrensrechtlicher Art) gewährleisten Berechenbarkeit staatlichen Handelns, Rechtssicherheit und Gleichbehandlung der Bürger;
vorgegebene Zuständigkeiten und Bearbeitungsregeln in Hierarchien machen
Entscheidungen sowie Verfahren transparent und kontrollierbar; sie verhindern zudem staatliche Willkür;
Weniger Bürokratie und besseres Recht
fachkundige Mitarbeiter in definierten Funktionen sind Garanten für weitgehend richtige Entscheidungen und fortdauernde kontinuierliche Entscheidungskompetenz.
Berechenbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Neutralität staatlichen Handelns sind
Ergebnis eines wohlverstandenen – demokratisch legitimierten – bürokratischen
Verwaltungshandelns.
Die Erfahrung lehrt, dass angemessene, verhältnismäßige Bürokratie und die dazugehörenden Regeln sowie Verfahren erforderlich und nützlich sind. Sie sind wesentliche Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, für Verlässlichkeit und Planungssicherheit sowie für die ordnungsgemäße Umsetzung demokratischer Entscheidungen (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 Grundgesetz).
Bürokratische Rechtsvorschriften begründen individuelle Ansprüche und sichern
vielfältige Rechtspositionen. Umgekehrt unterwerfen sie den Rechtsstaat und die
für ihn handelnde öffentliche Verwaltung festen Regeln.
Im internationalen Vergleich ist die Qualität der deutschen staatlichen und kommunalen Verwaltungen anerkannt. Sie gewährleisten eine gute Infrastruktur und
eine hohe Lebensqualität. Die Verwaltungen wurden vor allem in den letzten zehn
Jahren modernisiert und orientieren sich vermehrt an Bürgerservice, Kosteneffizienz, Wirtschaftlichkeit der Verwaltungsverfahren und an Produktivitätssteigerungen.
Unstreitig ist Deutschland aber – wie viele vergleichbare andere Länder auch – von
einem sehr engmaschigen Netz von bürokratischen Regeln und Verfahren überzogen. Dieses Netz zu entflechten, ist ein mühsamer und langwieriger, aber auch
unverzichtbarer Prozess, der im Erfolgsfall nicht einmal einhellige Zustimmung finden wird.
Weniger Bürokratie und mehr individuelle Freiräume heißt nämlich auch weniger
verbriefte Ansprüche (z. B. im Nachbarrecht) oder weniger Klagemöglichkeiten (z. B.
Verbandsklagen) und heißt ferner weniger Rückzugsmöglichkeiten auf konkret formulierte Rechtsansprüche und umfassende Rechtspositionen (z. B. im Sozial- oder
Arbeitsschutzrecht).
Mehr Freiheit erfordert darüber hinaus größere Risikobereitschaft; mehr Freiheit
reduziert die Chancen, vom Staat immer mehr fordern zu können, und hat notwendigerweise weniger Berechenbarkeit zur Folge.
Bei aller Kritik an der Bürokratie, an bürokratischen Regeln und Verfahren ist also
auch immer zu fragen: Wie viel Freiheit und Unsicherheit verträgt die nach Einzelfallgerechtigkeit strebende und zum Perfektionismus neigende Bürgergesellschaft?
Anders formuliert: Das eigentliche Übel sind nicht Regulierungen und bürokratische Verfahren als solche, sondern deren normative und administrative Überdosierung.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
15
Im Übrigen sollte bei der oft berechtigten Kritik an der Bürokratie, an bürokratischen Regelungen und bürokratischen Verfahren nicht übersehen werden, dass insbesondere viele Überregulierungen nicht auf staatlicher Initiative und Ausgestaltung beruhen. Das gilt z. B. für Vorgaben der Berufsgenossenschaften oder für das
Regelwerk im Gesundheitswesen zwischen Krankenkassen und Ärztevereinigungen
oder für die verschiedenen nationalen und internationalen Normgremien. Die allgegenwärtigen DIN-Normen reichen von der einheitlichen Kennzeichnung von
Lineaturen in Schulheften (DIN 16552-1) über Prüfnormen für den Knieschutz (DIN
EN 14404) bis zum IT-Management. Und das Europäische Komitee für Normung –
CEN – hat im März 2006 stolz den 10.000. europäischen Standard veröffentlicht.
Hinzu kommen immer mehr EU-Normen, die kompliziert und unübersichtlich
erscheinen und z. T. überflüssig sind.
Beispiele für Überregulierungen:
Verordnung ( VO) über (das Inverkehrbringen) kindergesicher ter Feuerzeuge:
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Der von der Bundesregierung betriebenen Umsetzung der genannten EU-VO
hat der Bundesrat am 13. 10. 2006 die Zustimmung versagt. Die Verordnung sieht nicht nur detaillierte Definitionen des Begriffs Feuerzeug vor, sondern schreibt folgende Testverfahren mit Kindern vor: Eine Gruppe von 100
Kindern muss ein Feuerzeug testen; die Kinder dürfen nicht älter als 51
Monate sein. Die Tests sollen für jede Gruppe an fünf verschiedenen Orten
durchgeführt werden. Alternativ können die Kinder auch zu einer zentralen
Prüfstelle anreisen. Wenn den Kindern der Raum nicht vertraut ist, muss
ihnen ausreichend Zeit gegeben werden, sich mit der neuen Umgebung
bekannt zu machen.
Fahrrad-VO des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung vom 17. 1. 2006:
In der diffizile technische Einzelheiten reglementierenden VO – z. B. niedrigster Punkt einer Schlussleuchte – wird sogar gesagt, was ein „Fahrrad“ ist.
Danach sind „Fahrräder alle Fahrzeuge mit mindestens zwei Rädern, die
durch Muskelkraft des Fahrers oder der Fahrer mit Hilfe von Pedalen oder
Handkurbeln angetrieben werden“. In derselben Vorschrift heißt es aber
auch: „Kinderfahrräder, Kinderroller und ähnliche nicht motorbetriebene,
zum Gebrauch durch Kinder bestimmte Fortbewegungsmittel sind nicht
Fahrräder im Sinne der VO“.
Wer zu Recht Veränderungen in diesem Gefüge einfordert, um mehr Freiheit und
Selbstverantwortung an Bürger, Gesellschaft und Unternehmen zurückzugeben,
Weniger Bürokratie und besseres Recht
verlangt – darüber muss Konsens bestehen – in Wirklichkeit einen Wandel im Politikverständnis, mit den Folgen,
dass öffentliche Aufgaben und die dazugehörigen Rechtsvorschriften zu reduzieren sind,
dass staatliche Vorschriften, soweit verzichtbar, aufgehoben oder, soweit Regelungsbedarf besteht, materiell und formell im Sinne einer Generalisierung
wesentlich verbessert und vereinfacht werden müssen,
dass flexible Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen sind, die von Fall zu
Fall und von Behörde zu Behörde auch voneinander abweichen können,
und dass Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse innerhalb der öffentlichen Verwaltung zu vereinfachen und zu beschleunigen sind.
Fasst man die Klagen der von der Bürokratie Betroffenen zusammen, lassen sich
folgende Forderungen festhalten:
Bürger und Gesellschaft: Sie verstehen unter Bürokratieabbau,
dass staatlicherseits weniger Rechtsregeln vorgegeben werden,
dass eine schlankere, dafür aber transparentere Administration geschaffen
wird und
dass schnellere (Gerichts-)Entscheidungen erreicht werden.
Unternehmen: Sie erhoffen sich vom Bürokratieabbau außerordentliche materielle
und personelle Entlastungen, vor allem dadurch,
dass anlagen-, personen- oder produktbezogene Genehmigungsverfahren vereinfacht,
sozial- und arbeitsschutzrechtliche Anforderungen deutlich reduziert und
Informations- und Berichtspflichten erheblich verringert werden.
Bewertet man die unterschiedlich motivierten Forderungen nach weniger Bürokratie oder nach Bürokratieabbau, so ist in der Regel nicht die Reduzierung staatlicher
Leistungen gewollt; es sollen vielmehr die administrativen Regelungen und Verfahren effizienter und effektiver auf das unbedingt Notwendige beschränkt und insgesamt nachvollziehbar werden.
Deshalb wäre es der falsche Weg, Bürokratieabbau radikal durch eine generelle
Reduzierung staatlicher Leistungen herbeiführen zu wollen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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III. Faktoren für Bürokratie, bürokratische Regelungen
und Verfahren
Nach heutigem Staatsverständnis sind die öffentlichen Aufgaben nicht abschließend bestimmt oder bestimmbar. Der Staat kann jederzeit unterschiedliche
Lebenssachverhalte staatlichen Regelungen unterwerfen oder sie auch aus der
staatlichen Verantwortung entlassen. Es gibt mithin auch keine feste Grenze zwischen notwendigen bürokratischen Regeln einerseits und dem bürokratischen
Übermaß andererseits, da auch diese Grenze von Fall zu Fall politisch zu bestimmen ist. Die entsprechenden Entscheidungen unterliegen „lediglich“ der parlamentarischen Kontrolle.
Vorrangig entscheiden Regierungen und Parlamente darüber, wie viel Staat erforderlich ist und wie viel (staatliche) Bürokratie, bürokratische Regelungen und Verfahren eingesetzt werden müssen, um die öffentlichen Aufgaben im Sinne der politischen Zielsetzung erfüllen zu können (z. B. durch die Stellenpläne der Haushalte).
Die Politik hat zu entscheiden, wo Deutschland zu viel oder zu wenig Staat hat und
wo sich die öffentliche Verwaltung zurückziehen sollte.
18
Unnötige oder unverhältnismäßige Bürokratie kann auf vielen Ebenen ausgelöst
werden, sowohl auf der Ebene des Gesetzgebers, der zu umfangreiche Kontrollen,
Anforderungen, Nachweise, Meldepflichten statuiert, als auch auf der Ebene der
Verwaltung, wenn Ermessen eröffnet ist. Innerhalb der Verwaltung kann das
Ermessen durch Verwaltungsvorschriften (Erlasse oder Richtlinien) gesteuert werden, um – nicht selten um den Preis zusätzlichen bürokratischen Aufwandes – zu
gewährleisten, dass gleichliegende Fallgestaltungen möglichst auch gleich behandelt werden.
Die politischen Verantwortungsträger entscheiden also über „Staat – Wie viel?
Wofür? Warum?“
Politische Mehrheiten bestimmen, welche Aufgaben als öffentliche anzusehen und
welche rechtlichen Regelungen erforderlich sind. Sie bestimmen zugleich, wie viel
öffentliche Verwaltung zur jeweils politisch gewollten sachgerechten Erledigung
der Aufgaben eingesetzt werden soll. Dabei ist allerdings immer wieder festzustellen, dass bei sehr vielen Entscheidungen zwar von Bürokratieabbau die Rede ist,
gleichzeitig aber neue und aufwändige bürokratische Verfahren eingeführt werden,
durch welche noch bestehende rechtsfreie Räume eingeengt werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiel:
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. 8. 2006: Das Gesetz hat zahlreiche neue Pflichten, Haftungsrisiken und Entschädigungsansprüche für
Unternehmen zur Folge; Konsequenz ist z.B. bei Neueinstellungen, dass
Unternehmen umfangreiche Dokumentationen von Bewerberunterlagen
vorhalten müssen, um ggf. eine diskriminierungsfreie Entscheidung des
Arbeitgebers nachweisen zu können.
Da das Gesetz für Unternehmen zur Haftpflichtfalle werden kann, wird
inzwischen eine Haftpflichtversicherung von Ansprüchen aus Diskriminierungstatbeständen angeboten, z. B. die VH-AGG.
Hinzuweisen ist auch auf manche Probleme der „Gesetzgebungsverfahren“. Der
Gesetzgeber nimmt sich gerade bei komplizierten und politisch umstrittenen Themen zu wenig Zeit für die Vorlage von allseits möglichst abgewogenen Gesetzentwürfen, weil sachfremde Erwägungen, z. B. Wahltermine, das Tempo vorgeben.
Durch die Ergebnisse, die schließlich im Vermittlungsausschuss zustande kommen,
geraten Regelungen oft aus dem Gleichgewicht und ungewollte Widersprüche und
bürokratische Nebenwirkungen werden produziert. Das führt nicht zu klaren, verständlichen Rechtspositionen, sondern bedeutet mitunter eine Einbuße an Rechtssicherheit und erzeugt fortlaufende Nachbesserungen.
Beispiel:
Besonders anschauliche Fälle hierfür boten die 1999 beschlossenen Gesetze
für geringfügig Beschäftigte – 630-Mark-Gesetz – und das Scheinselbstständigengesetz. Die Ziele der Gesetze wurden völlig verfehlt; weder erhielten die
Sozialversicherungskassen mehr Geld – erwartet wurden Milliarden Mehreinnahmen für Rentenkassen und Krankenkassen – noch ging die Schwarzarbeit zurück, noch wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen; das Gegenteil
von allem war der Fall. Zahlreiche Änderungen und immer neue Korrekturen
der Gesetze waren in den folgenden Jahren zwangsläufig, sodass der Spiegel
(16/1999) schrieb, „mit immer neuen Korrekturen der Korrekturen wussten
selbst die Parlamentarier nicht mehr, wer wann wie viele Abgaben zahlen
muss.“ Welche Fehlentwicklungen schlechte Gesetze nehmen können,
schreibt anschaulich die Süddeutsche Zeitung am 27. 3. 1999 zum 630Mark-Gesetz: „Als Versicherungszeit (rentenrechtlich Wartezeit) werden jährlich nicht zwölf, sondern nur 1,4 Monate gutgeschrieben. Das bedeutet,
nach zehn Jahren einer solchen Tätigkeit sind 14 Monate auf dem Renten-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
19
konto; um die 60 Monate Wartezeit zu erreichen, die mindestens für eine
Rentenzahlung nachzuweisen sind, muss (theoretisch) 42 Jahre lang auf
630-DM-Basis gearbeitet werden.“ Dann ergäbe sich ein monatlicher Rentenanspruch von 175,14 DM.
Auch die öffentliche Verwaltung führt ein gewisses Eigenleben. Sie strebt (auch
aufgrund missverstandener Regelungen im Beamten- und Tarifrecht: Besoldung
bzw. Vergütung nach der Zahl der Mitarbeiter) nach mehr Aufgaben und mehr Personal, um ihr eigenes Gewicht zu halten und zu steigern.
Andererseits kann oft der notwendige Aufwand für politisch zugewiesene Aufgaben erst von der Verwaltung selbst ermessen werden, und zusätzliche Wünsche
sind oft mit einem unveränderten Personalbestand oder einer geringeren Zahl an
Mitarbeitern – jedenfalls bei gleicher Qualität – nicht zu erfüllen.
Wie viel Staat und wofür Staat notwendig ist, muss in einem demokratisch verfassten Staat der politischen Auseinandersetzung überlassen werden. Die Diskussion
darf nicht unter dem Schlagwort „Bürokratismus“ – gleichsam ohne verantwortlichen Adressaten – geführt werden.
20
Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung die „Neuentlastung von Bürgern,
Unternehmen und Behörden von einem Übermaß an Vorschriften und der damit
einhergehenden Belastung durch bürokratische Pflichten und Kosten“ als ein wichtiges Anliegen ansieht, wie der Koalitionsvertrag vom 11. 11. 2005 ausweist.
Als Sofortmaßnahme ist ein Erstes Mittelstandsentlastungsgesetz beschlossen
worden, durch das mit Wirkung zum 1. 1. 2007 u. a. Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflichten verringert sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden sollen.
Vor dem Hintergrund, dass die Bürokratiebelastungen jährlich viele Milliarden
EURO betragen und vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen treffen, ist
diese gesetzliche Maßnahme konsequent.
Den Messungen von Bürokratiekosten liegen unterschiedliche Modellrechnungen zugrunde, demgemäß werden verschiedene Ergebnisse erzielt:
Die Ber telsmann-Stiftung berechnet den Einspareffekt für Deutschland nach
dem niederländischen Actal-System auf rd. 19 Mrd. EURO.
Das Institut für Mittelstandsforschung hat nach der REFA-Methodik die Kosten für 20 von insgesamt 360 existenten Meldeverfahren von Unternehmen
Weniger Bürokratie und besseres Recht
ermittelt und dafür Kosten in Höhe von 2 Mrd. errechnet. Da nicht einmal
6 % aller Meldeverfahren untersucht wurden, ergibt sich rechnerisch eine
Belastung von ca. 36 Mrd. im Jahr 2003; nach Berechnungen auf der Basis
von Umsatzrisiken und Unternehmensangaben kommt man sogar auf ca.
46 Mrd. EURO; davon sind rd. 38 Mrd. EURO vom Mittelstand zu tragen.
Zu begrüßen ist ferner die inzwischen erfolgte Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (N KR), dem als unabhängigem Kontroll- und Beratungsgremium
u. a. die Aufgabe obliegt, die Bundesregierung bei der Reduzierung von gesetzlich
verursachten Lasten zu unterstützen und zu beraten. Den Gesetzentwürfen der
Bundesministerien werden Stellungnahmen des Normenkontrollrates beigefügt.
Bedauerlicherweise bezieht sich das Prüfrecht nicht auf Gesetzesentwürfe aus der
Mitte des Bundestages und des Bundesrates (s. Kap. C. IV.1). Darüber hinaus soll
der NKR konkrete Vorschläge unterbreiten, in welchem Umfang die von staatlichen
Stellen des Bundes veranlassten Berichts- und Informationspflichten reduziert werden können.
Regierung und Parlament werden künftig entscheiden müssen, ob auch die sehr
vielen Vorschriften und Standards mit Berichts-, Genehmigungs- und Anzeigepflichten in den Bereichen Umwelt- und Verbraucherschutz, im Bau-, Sozial- und
Arbeitnehmerschutz geändert werden sollen; gerade auf diese Standards wird
wohl die Mehrheit der Bürger nicht verzichten wollen.
IV. Konkrete Ursachen für eine übermäßige
Bürokratie
Wesentliche Ursachen für eine überbordende Bürokratie sind:
1. Stetige Zunahme von öffentlichen Aufgaben auf Grund verbindlicher Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Satzungen, Richtlinien, Verwaltungsvorschriften)
infolge des Prinzips der „offenen Staatsaufgaben“; Fehlen bzw. Nichtbeachten
nachvollziehbarer Maßstäbe, die die Wertigkeit als Staatsaufgabe bestimmen.
2. Staatliche, nicht staatliche und europäische Institutionen.
3. Schaffung von noch mehr Reglementierungen und Standards (EU, Berufsgenossenschaften, Normausschüssen, EFQM = European Foundation for Quality
Management. Beispiel: Es gibt allein 10.000 europäische Standards – Stand:
März 2006).
Weniger Bürokratie und besseres Recht
21
4. Forderungen von Bürgern, Gesellschaft und Unternehmen nach staatlichen
Zertifikaten und die vom Staat zu gewährleistenden zahlreichen
(Sicherheits-)Standards für fast alle Lebensbereiche. Dies hat zu einem Übermaß an Verrechtlichung, aber auch zu zahlreichen Schadensersatzprozessen
geführt. Der Hang zur „Vollkaskomentalität“, zum Perfektionismus und zur Einzelfallgerechtigkeit ist durch die genannten Forderungen maßgeblich gefördert
worden.
5. Überzogene föderale Verwaltungsstrukturen und Mischfinanzierungen:
Die föderale Staatsorganisation Deutschlands hat zur Folge, dass viele, in
jedem einzelnen Land gleiche Aufgaben vielfach von 16 selbstständigen (landeseigenen) Behörden wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass nicht selten die Erledigung dieser Aufgaben auf materiell unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruht.
22
Im Bereich des Umweltrechtes ist durch die Zusammenfassung und Harmonisierung der 5.000 Einzelvorschriften in ein Umweltgesetzbuch eine deutliche
Reduzierung möglich. Ein weiterer Aspekt sind die Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen in den unterschiedlichen Gesetzen, welche wegfallen könnten.
Beispielhaft wird auf die Statistischen Landesämter, Eichämter oder auch Verfassungsschutzbehörden verwiesen. Würden diese Ämter ganz oder zum Teil
im Wege von Staatsverträgen zwischen den Ländern zusammengeführt, ergäben sich beachtliche Synergieeffekte, die sowohl die öffentlichen Haushalte
entlasteten als auch zum Abbau von Bürokratie beitrügen. Zumindest sollte
angestrebt werden, dass all diese Institutionen im Wesentlichen gleiche
Rechtsgrundlagen erhalten; dies ist auf der Grundlage von sogenannten Musterentwürfen zu ermöglichen. Einzelne Länder – z. B. Hamburg und SchleswigHolstein – haben offenbar die Synergieeffekte erkannt und begonnen, solche
Aufgaben durch nur eine Behörde erledigen zu lassen (vgl. Kap. C. VI. 2).
6. Überreglementierungen, insbesondere durch
überzogene Auflagen, Gebote und Verbote,
langwierige Beteiligungsrechte im Zuge von Planungs- und Genehmigungsverfahren
unverhältnismäßige Informations- und Berichtspflichten (= Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflichten) mit erheblichen Kostenfolgen,
überzogene Einzelfallregelungen sowie
die Art und Weise des Vollzugs öffentlicher Aufgaben.
Für die derzeitige Kontrolldichte ist vor allem die zunehmende Vielschichtigkeit
und Kompliziertheit der sozialen, ökonomischen, ökologischen, kulturellen und
Weniger Bürokratie und besseres Recht
technischen Bedingungen der modernen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft verantwortlich. Die Erwartungshaltung der Bürger gegenüber dem Staat
und die zahlreichen Leistungsansprüche, die gestellt werden, ziehen zwangsläufig Rechtsetzungsakte nach sich. Dadurch werden nicht mehr nur materielle
Existenznotwendigkeiten, sondern auch übersteigerte Bedürfnisse befriedigt.
Auf diese Weise hat der Staat immer stärker die Rolle als Garant individuellen
Wohlergehens übernommen.
Die Folgen der zunehmenden Verrechtlichung zeigen sich an folgenden
Beispielen:
Entwurf eines Gesetzes über die Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen
und zur Änderung tierschutzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/29,
das Projekt „Berliner Großflughafen“, verbunden mit langwierigen Genehmigungsverfahren und endlosen gerichtlichen Verfahren (der Planfeststellungsbeschluss für den Großflughafen hatte einen Umfang von 1.171 Seiten
mit 27 Aktenordnern als Anlage),
nach Angaben des verkehrspolitischen Wirtschaftsrates schlägt bei den Kosten für einen Autobahnkilometer mehr als die Hälfte des Geldes für Planung, Genehmigung und andere bürokratische Maßnahmen zu Buche; die
Planungsphase bei Bundesstraßen dauert im Schnitt 20 Jahre, bei Landstraßen 15 Jahre.
7. Unklare Entscheidungskompetenzen, unübersichtlicher, sich teilweise widersprechender Rechtsnormenbestand, der komplizierte und unverständliche Vorschriften zur Folge hat, die überdies regelmäßig durch klarstellende und erläuternde Regelungen ergänzt werden müssen.
Beispiele:
– Komplexität des Steuer- und Sozialrechts,
– zur Durchführung des seit 1974 mehrfach geänderten Bundesimmissionsschutzgesetzes waren bisher 33 Verordnungen nötig.
Lärmschutz:
Hier ist das Beispiel Benutzung lärmerzeugender Arbeitsgeräte zu nennen.
Am 6. 9. 2002 ist die 32. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung – 32.
BImSchV, BGBl I Nr. 63, S. 3478 ff.) in Kraft getreten. Diese setzt die europäische Richtlinie 2000/14/EG in deutsches Recht um. Sie enthält unter anderem Betriebsregelungen für Geräte und Maschinen in § 7 Abs. 1 und 2. In § 7
Abs. 3 und § 8 werden die Länder ermächtigt, weitergehende landesrechtli-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
23
che Vorschriften zu erlassen bzw. bereits bestehende Schutzvorschriften der
Länder bleiben unberührt.
In Rheinland-Pfalz wurde deswegen das Landes-Immissionsschutzgesetz
geändert (durch Gesetz vom 12. 5. 2005, GVBl. S. 156). Es gibt hier landesrechtliche Verschärfungen der 32. BImSchV. Deswegen kann es z. B. zu folgenden Fallgestaltungen kommen.
1. Ein Mann mäht werktags um 14.00 U hr seinen Rasen in einem reinen
Wohngebiet mit einem nicht als lärmarm eingestuften Rasenmäher.
32. BImSchV: kein Problem, da Betriebszeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr.
§ 8 LImSchG: Verboten, da Privatpersonen zwischen 13 und 15 Uhr keine
nicht als lärmarm eingestuften Rasenmäher betreiben dürfen (landesrechtliche Sonderregelung).
2. Eine Tiefbaufirma rüttelt werktags um 6.30 U hr mit einem Verdichtungs gerät Schotter beim Straßenbau in der Innenstadt .
24
32. BImSchV: kein Problem, da Mischgebiet und somit kein geschütztes
Gebiet im Sinne des § 7 Abs. 1.
§ 9 LImSchG: Verboten, da hier nur Gewerbe- und Industriegebiete ausgenommen sind (landesrechtliche Sonderregelung).
3. Ein Heimwerker schlägt in einem reinen Wohngebiet werktags um 20.30
Uhr mit einem Fäustel und Meißel auf die Betonwand seiner alten Garage
ein. Er verzichtet auf einen motorbetriebenen Abbruchhammer, weil er
nicht gegen die 32. BImSchV verstoßen will.
32. BImSchV: kein Problem, da Betriebszeit bis 20.00 Uhr nur für Geräte im
Anhang der 32. BImSchV gilt.
§ 9 LImSchG: Verboten, da Anwendungsbereich erweitert auch um Geräte,
die nicht im Anhang der 32. BImSchV genannt sind (landesrechtliche Sonderregelung).
8. Ursächlich sind auch fehlende oder ungenügende institutionelle und methodische Prüfraster zur Einschätzung, ob neue Gesetze oder Vorschriften unerlässlich, zumindest aber zweckmäßig sind. Ganz offensichtlich fehlt es auch an
einer strikten Anwendung der entsprechenden Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung (GGO), was oft durch Zeitdruck verursacht wird (s.
S. 59 ff.).
Es fehlt eine gesamtwirtschaftliche Gesetzes- und Kostenfolgenabschätzung
nach systematischen, transparenten Verfahren. Das Standardkostenmodell
Weniger Bürokratie und besseres Recht
allein ist nicht ausreichend, da es nur einen Teilaspekt der geschätzten Kosten
(nämlich allein für Informationspflichten von Unternehmen und Bürgern)
abbildet; die Kostenfolgen für die öffentlichen Haushalte oder für die Unternehmen werden nicht mit einbezogen.
9. Schwächung der Kommunalverwaltung zu Gunsten der staatlichen Verwaltung; fehlende Freiräume der Kommunen zur eigenverantwortlichen Gestaltung
Beispiel:
Sehr kostenintensive Einzelabrechnungen statt pauschaler Abrechnungen
bei Landesförderung. Die Folge für die Stadt Mainz ist, dass der Stadt zusätzliche Personalkosten für die komplizierte Abrechnung von Landeszuschüssen
entstehen, die zu den üblichen Personalkosten in den Kindergärten hinzukommen. Tatsächlich entstehen der Stadt Mainz dadurch zusätzliche Personalkosten von rd. 65.000 Euro jährlich (1,5 Stellen).
10. Zu langer Instanzenzug: Die Problematik der Verkürzung des Verwaltungsrechtsweges – sei es durch generelle Reduzierung auf nur je eine Tatsachenund Rechtsinstanz, sei es durch Erweiterung der Kataloge erstinstanzlicher
Zuständigkeiten des Bundesverwaltungsgerichts und/oder der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe über den derzeitigen Stand
( §§ 48 ff. VwGO) hinaus – soll in diesem Bericht nicht untersucht werden. Auf
zwei Aspekte muss aber hingewiesen werden:
Zum einen sind Verzögerungen bei der Durchführung planungsrechtlicher Vorhaben nicht selten auf die extensive Ausübung von Verbandsklagebefugnissen
und auf eine überbordende Ausdehnung des Kreises subjektiv-öffentlicher
Rechte zurückzuführen. Zum anderen können Verwirklichungsdefizite ihre
Ursache naturgemäß auch in Widerständen haben, die im Wesentlichen mit
mangelnder Akzeptanz des – richterlich „abgesegneten“ – Vorhabens innerhalb des (gesellschafts-)politischen Raumes zusammenhängen.
11. Unübersichtliche Behördenvielfalt:
Zusammengehörende Aufgaben werden durch mehrere Behörden und Institutionen mit erheblichem Mehraufwand getrennt bzw. parallel bearbeitet. Doppelprüfungen hemmen Unternehmen und verursachen Mehraufwand.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
25
Beispiele:
– Arbeitsschutz – Prüfung durch Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichtsämter,
– Parallelprüfung von Bau-, Umwelt- und Denkmalschutzbehörden
12. Übermaß an Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht, das die teilweise vorzugswürdigen Instrumente der strategischen Steuerung und des Controlling außer Acht
lässt und das zu einer nicht vertretbaren Einschränkung von Führungs- und
Entscheidungskompetenzen führen kann.
13. Die Institution der Beauftragten, die in vielen Lebensbereichen von Regierungen und Parlamenten neben der Exekutive eingesetzt werden (z. B. Fahrradbeauftragte). Sie verursachen teilweise Bürokratie und aufwändige Verfahren;
außerdem erscheint die jeweils in Anspruch genommene Legitimation oft problematisch. Während der Wehrbeauftragte, die Datenschutzbeauftragten oder
die Ausländerbeauftragten spezifische Schutzfunktionen ausüben, werden in
anderen Fällen nicht selten politisch-taktische Ziele verfolgt.
26
14. Überzogene justizielle Kontrolldichte: Der verwaltungsrichterlichen Spruchtätigkeit ist die Gefahr immanent, dass sie wegen der Betonung der Verpflichtung zur übermäßigen Rechtschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) das
Gewaltenteilungsprinzip übersieht oder das Gewicht der Exekutive als zweiter
Gewalt zu gering achtet.
15. Ungenügende Beachtung der Funktionsgrenzen durch die Verwaltung, die von
ihrem Entscheidungsvorrang nicht Gebrauch macht und notwendiges eigenes
Handeln unterlässt oder unangemessen lange zurückstellt, indem sie z. B.
zuwartet, dass ihr von der Verwaltungsgerichtsbarkeit für offene Fragenkreise
ein Handlungsmuster vorgegeben wird.
16. Umfassende, z.T. überzogene Ausschreibungspflichten, die zu einem bürokratischen Vergabeverfahren führen, das Investitionen hemmt, z. B. Industrieansiedlungsverfahren.
17 . Bürgerunfreundliche Gestaltung von Formularen, Bescheinigungen, Erklärungsvordrucken und Bescheiden:
So gibt es ca. 200 verschiedene Entgeltbescheinigungen, die bei der Krankenkasse, bei Finanzämtern, Bürgerämtern oder anderen Stellen eingereicht werden müssen.
Viele der Vordrucke und Formulare sind kompliziert und ohne Hilfe nicht auszufüllen. Das gilt namentlich für die Anwendungshilfen im Steuerrecht.
Hinzu kommt die oft unverständliche, mit erheblichem Verwaltungsaufwand
betriebene Einforderung vergleichsweise unerheblicher Beträge.
(Beispiel: vgl. Anlage 1, Seite 104)
Weniger Bürokratie und besseres Recht
27
Weniger Bürokratie und besseres Recht
C. Empfehlungen für eine
Rückführung wachsender
Bürokratie
Bürokratie, bürokratische Regelungen und bürokratische Verfahren finden ihre speziellen Ausprägungen auf unterschiedlichen Ebenen, und zwar im Verhältnis von
Staat — Bürger/Gesellschaft,
Staat — Unternehmen,
Staat — Staat und
Privaten — Privaten.
Dies erklärt, warum unter der Forderung, Bürokratie abzubauen – je nach Standort
– Unterschiedliches verstanden wird und warum mit der Forderung divergierende
Erwartungen verknüpft sind.
Hieraus folgt auch, dass wegen der Interessengegensätze der erste Anschein trügt,
Bürokratieabbau sei ein gemeinsames Ziel aller gesellschaftlichen Gruppen.
Anmerkung:
Im „Forum Bürokratieabbau“ besteht Einvernehmen, dass sich erhebliche Entbürokratisierungseffekte durch
Entflechtung der Geldtransfers zwischen Bund und Ländern, insbesondere im
Bereich der Fördermittel (EU, Bund, Länder und Kommunen),
eine Länderneugliederung und
eine Harmonisierung der Wahltermine
erreichen lassen. Es besteht jedoch auch Einvernehmen, dass dieser Bericht nicht
der geeignete Ort ist, die genannten, sehr vielschichtigen Probleme unter dem
insoweit nachrangigen Aspekt des Bürokratieabbaus zu behandeln. Ergänzend wird
auf die Gründe des sog. Berlin-Urteils des Bundesverfassungsgerichts – 2 BvF 3/03
– vom 19. 10. 2006 verwiesen, in dem im Zusammenhang mit der Finanzausstattung der Länder ausdrücklich auf den verfassungsrechtlich eröffneten Weg einer
Neugliederung des Bundesgebietes aufmerksam gemacht wird.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
29
I. Neue Verantwortungsteilung zwischen Staat
und Gesellschaft herbeiführen
1.
Stärkung der Eigenverantwor tung von Bürgern und Gesellschaft gewährleisten
Um das gesellschaftspolitische Ziel zu erreichen, die Bürgergesellschaft zu stärken,
sind für die Bürger verbesserte Beteiligungschancen bei der Gestaltung und Entwicklung des Gemeinwesens zu schaffen.
Insbesondere die Kommunen sind die Kristallisationspunkte von aktiver Bürgergesellschaft und lebendiger Demokratie, in denen die neue Verantwortungsteilung
zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern rasch konkret werden kann.
30
Die Förderung von Bürgergesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement beinhaltet den Abschied von der Vorstellung der Allzuständigkeit des Staates zugunsten der Gestaltungskompetenz und Eigenverantwortung der Bürger. Ziel ist dabei
ein neues Verhältnis zwischen staatlichen und bürgergesellschaftlichen Akteuren,
das nicht in Kategorien staatlicher Planung und Steuerung von gesellschaftlichen
Prozessen, sondern in dem Sinne einer neuen kooperativen und partnerschaftlichen Verantwortungsteilung definiert wird. Der Staat bleibt dabei in der Verantwortung, nimmt sich aber immer dann zurück, wenn die Bürger eine Aufgabe in
Eigenregie übernehmen wollen und können. Die Stärkung der Bürgergesellschaft in
diesem Sinne bedeutet daher zugleich ein verändertes Verhältnis zwischen Staat
und Bürgergesellschaft und Veränderungen in den staatlichen Aufgaben und Institutionen.
Im vorstehenden Sinne ist auch das Subsidiaritätsprinzip zu verstehen: Die größere
Einheit darf eine Aufgabe nur dann übernehmen, wenn erwiesen ist, dass sie die
Aufgabe effizienter und effektiver erfüllen kann als die kleinere Einheit oder der
Bürger selbst. Dieses Leitprinzip der Aufgabenaufteilung gilt sowohl im Verhältnis
der staatlichen Ebenen als auch zwischen Staat und Bürgern.
Daher muss in der Bürgergesellschaft die Einsicht wachsen, dass ein Weniger an
staatlichen Regulierungen mit einem Mehr an bürgerlicher Eigenverantwortung,
aber auch mit Abstrichen, Ansprüche einzuklagen, einhergeht.
Damit werden für den einzelnen Bürger mehr Freiräume geschaffen, die durch die
Bürger und die Gesellschaft ausgefüllt werden müssen.
Die stärkere Inanspruchnahme von Gesellschaft und Bürgern als Reformperspektive bedeutet, dass die Spielregeln der Bürgergesellschaft – Selbstorganisation, Freiwilligkeit, Eigenverantwortung, Vertrauen und gegenseitige Unterstützung – für
alle gesellschaftlichen Lebensbereiche quasi-normative, maßstäbliche Kraft gewinnen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Generell sollte es das gemeinsame Anliegen aller gesellschaftlich relevanten Kräfte
sein, in der Bürgergesellschaft Solidarität und Bereitschaft zur Eigenverantwortung
zu stärken. Das führt nicht zu einem Rückzug des Staates, sondern zu einer neuen
Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, die auch Raum für Eigeninitiative, Selbstorganisation und Selbstbestimmung engagierter Bürger lässt. Für
eine derartige Solidarität in Eigenverantwortung muss es richtungweisend sein,
dass der Staat nicht an die Stelle der jeweils zum Handeln berufenen und befähigten Bürger tritt oder sie bevormundet, sondern dass er insoweit lediglich unterstützend tätig wird.
Ein wesentliches Signal des Bürokratieabbaus sendet mithin der moderne kooperative Staat aus, der es – wo eben möglich – unterlässt, staatliche Normen vorzugeben und der auf einseitige staatliche Handlungsanweisungen verzichtet, stattdessen aber das eigenverantwortliche, selbstregulierende Handeln der Bürgergesellschaft einfordert. Das Kooperationsprinzip sollte neben dem staatlichen Ordnungsrahmen zu einem bestimmenden Regelungs- und Steuerungsinstrument für die
Gesellschaft werden.
Insbesondere die vielschichtigen gesellschaftspolitischen Probleme, die die demografische Entwicklung zur Folge hat, werden zukünftig dem Kooperationsprinzip
eine herausragende Bedeutung geben; vor allem in den Bereichen Alten- und
Jugendfürsorge, im Gesundheitswesen und Schulwesen ist ein weites, sehr wichtiges Feld für private Eigeninitiative und Selbsthilfe eröffnet.
Beispiele für das Kooperationsprinzip:
Verstärkte Eigeninitiative und Selbsthilfe insbesondere in den Bereichen:
Alten- und Jugendfürsorge
Gesundheitswesen
Schulwesen.
Aber auch möglich: Übernahme und Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen (Schwimmbäder, Bibliotheken etc.) durch private Träger.
Umgekehrt gilt: Der Preis für den Verzicht auf staatliche Reglementierung hat eine
gewisse Unsicherheit zur Folge. Dies kann dazu beitragen, die Selbstverantwortung
von Bürgern und Gesellschaft wieder zu beleben. Das wiederum bestätigt den Ausgangspunkt, dass die zwischen Gesellschaft, Bürgern und Staat herbeigeführte
neue Verantwortungsteilung mittelbar eine wichtige Voraussetzung zum Abbau
überflüssiger Bürokratie ist. Hinzu kommt, dass der Verzicht auf überflüssige Regu-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
31
lierungen eine besonders effiziente Form ist, bürokratische Verfahren und Kosten
zu vermeiden.
Dabei muss für die Stärkung der Eigenverantwortung von Bürgern und Gesellschaft
das Sozialstaatsprinzip Wegweiser sein; dieses Prinzip ordnet dem Staat die Verantwortung für einen Mindeststandard sozialer Gerechtigkeit zu.
2.
Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat for tsetzen
In den letzten Jahren setzt sich die Erkenntnis durch, dass die notwendige Modernisierung des Staatsapparates nicht auf einen Rückzug des Staates aus der Verantwortung zielt, sondern dass an die Stelle der staatlichen Erfüllungsverantwortung
(= der Staat, der die öffentlichen Aufgaben nicht nur gewährleistet, sondern selbst
erfüllt) die bloße staatliche Gewährleistungsverantwortung tritt.
Der sog. Gewährleistungsstaat soll einen Teil der öffentlichen Aufgaben von nichtstaatlichen Aufgabenträgern erfüllen lassen; er selbst erlässt die regulierenden
Rahmenbedingungen und überwacht die Aufgabenerledigung durch Dritte.
32
Dabei bleibt die staatliche „Auffangverantwortung“ bei Nicht- oder Schlechterfüllung des Dritten bestehen, d. h. der Staat muss auch in diesen Fällen eine hinreichende Leistungsqualität und Standardwahrung sicherstellen; bei essenziellen Versorgungsaufgaben ist die Gewährleistungsverantwortung zwingend verfassungsrechtlich vorgeschrieben (Art. 87 e Abs. 4 und 87 f Abs. 1 Grundgesetz).
Die Staatspraxis ist dem gewandelten Staats- und Aufgabenverständnis in den vergangenen Jahren von Fall zu Fall gefolgt. Die Privatisierung von Bahn, Post und
Telekommunikation sind hierfür Beispiele. In Artikel 87 e und 87 f Grundgesetz sind
die Gewährleistungspflichten des Bundes nach der Privatisierung von Bahn, Post
und Telekommunikation festgeschrieben. Art. 143 a und Art. 143 b Grundgesetz
ergänzen die Privatisierungsmodelle, unter anderem auch in Bezug auf die Rechtsstellung der bei den Nachfolgeunternehmen Tätigen und hinsichtlich der Verantwortung des (früheren) Dienstherrn.
Tatsächlich hat sich der staatliche Aufgabenkatalog in den letzten Jahren darüber
hinaus verändert. Der moderne Staat tritt immer häufiger als Dienstleister auf. Seine originären, den Staat begründenden hoheitlichen Pflichten werden zurückgedrängt oder verlieren an Bedeutung.
Der gewollte Wandel vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat kann dadurch
beschleunigt werden, dass der Staat diejenigen Vorschriften auf ihre Notwendigkeit überprüft, die ihm – außerhalb des zwingend hoheitlichen Bereichs – die
Befugnis einräumen, die öffentliche Aufgabe selbst zu erledigen und nicht nur
deren Erledigung zu gewährleisten.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beachtliche Deregulierungsfortschritte sind in verschiedenen Bundesländern im
Baurecht festzustellen. Im Wesentlichen wird damit die Zielvorstellung verknüpft,
die Verwirklichung der Bauvorhaben zu beschleunigen und die Eigenverantwortlichkeit des mündigen Bürgers zu stärken.
Die Deregulierung tritt in verschiedenen Formen auf:
teils verzichtet das – inzwischen leider weitgehend unterschiedliche – Landesrecht gänzlich auf eine Genehmigung oder Anzeige bestimmter baulicher Vorhaben,
teils reduziert es die Prüfpflicht der Bauaufsichtsbehörde auf einzelne ausdrücklich normierte Prüfungspunkte und überlässt den Rest privaten Sachverständigen,
teils hat der Bauherr sein Vorhaben der Bauaufsichtsbehörde lediglich anzuzeigen; erklärt die Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist, dass ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll, kann mit den Bauarbeiten
begonnen werden.
Die angesprochenen Deregulierungstypen verlagern das Haftungsrisiko mehr oder
weniger teilweise auf den Bauträger/Eigentümer und können namentlich im
gewerblichen und industriellen Bereich die auch für den Wirtschaftsstandort
Deutschland dringend erforderliche Kredit- und Investitionssicherheit schwächen.
Diese Gesichtspunkte wie auch die Sicherheit als Staatsaufgabe müssen deshalb
bei Reformmaßnahmen im Baurecht stets gegenüber den spezifischen Deregulierungsinteressen in die Erwägungen einbezogen und bei Orientierung insbesondere
am Verhältnismäßigkeitsprinzip untereinander und gegeneinander abgewogen
werden.
In all den Deregulierungsfällen bedeutet das nicht, dass die materiellen Baurechtsnormen nicht (mehr) anwendbar sind. Soll das Vorhaben von Vorschriften des Baurechts abweichen, ist dafür die Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen
des Bebauungsplans oder die Zulassung einer Abweichung von bauaufsichtsrechtlichen Vorschriften isoliert bei der Bauaufsichtsbehörde zu beantragen.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die Deregulierung im Baurecht durch ständige,
nicht oder nur unzureichend abgestimmte Gesetzesänderungen im Bereich der
Bundesländer konterkariert wird. Das Bauplanungsrecht des Bundes ist überdies
laufend – zumeist europarechtlich veranlasst – inhaltlichen Neu- und Überregulierungen ausgesetzt, die eine zügige Bautätigkeit unabhängig vom Verfahren selbst
erschweren.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
33
Fazit:
Es gilt, Standards abzubauen und so individuelle und gesellschaftliche Selbstverantwortung zu stärken. Der Grundsatz lautet: Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung statt Regulierung; plakative Beispiele hierfür sind: Kontrolle betrieblicher
Umweltmanagementsysteme durch (zertifizierende) Umweltgutachter nach dem
Umwelt-Audit-Gesetz oder Einrichtung von Akkreditierungsstellen zur Qualitätssicherung; dies verlangt aber ein Akkreditierungsgesetz.
Beispiele:
Der Staat muss in weiteren Bereichen den Anspruch aufgeben, nicht nur die
Rahmenrichtlinien verbindlich vorzugeben, sondern auch die Aufgabe selbst
zu erfüllen (TÜV, Bahn, Post). Er muss nicht für jede staatlich reglementierte
Lebenssituation ein „Testat“ ausstellen. So prüft und bestätigt beispielsweise
der öffentlich bestellte Schornsteinfeger die Feststellungen des Heizungsbauers; der Statiker des Bauamts prüft die Ergebnisse eines diplomierten Statikers.
34
II. Eigenverantwortliches Handeln von Unternehmen
ermöglichen und einfordern
1.
Das Kooperationsprinzip vermitteln
Entscheidende Bedeutung kommt der verstärkten Bereitschaft von Unternehmen
zu, auf gesetzlich verbindliche Vorgaben zu verzichten und stattdessen Regelungen
durch privatrechtliche Vereinbarungen, etwa im Wege von Interessenausgleichsverfahren mittels Absprachen, selbst zu treffen. Gemeinsame Vereinbarungen und
Selbstverpflichtungen können ein flexibles Instrument darstellen, um sonst gebotenes staatliches Regulierungshandeln etwa in Form von sozialen Standards zu
ersetzen.
Beispiele:
Selbstverpflichtung von Arbeitgebern, Ausbildungsplätze durch Vereinbarungen mit den Gewerkschaften bereitzustellen, statt durch gesetzliche Vorgaben
verpflichtet zu werden (Ausbildungspakt).
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Soziale Standards sind durch Übereinkommen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern erreichbar; gesetzliche Schutzvorschriften können sich
erübrigen.
Rechtsetzung durch Tarifvertragsparteien statt gesetzlicher Vorgaben.
Richtlinie für die Werbung auf dem deutschen Zigarettenmarkt; freiwillige
Selbstkontrolle der Automatenwirtschaft.
Ein weiteres Handlungsfeld ist die Vereinbarung ökologischer Standards, die Unternehmen auf freiwilliger Basis statt nach gesetzlicher Vorschrift erfüllen.
Beispiele:
Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, die CO2-Emissionen bis zum
Jahr 2005 um 20 % zu senken.
Einsetzen steuerlicher Anreize zu Emissionsminderungen, statt konkreter
technischer Vorgaben wie bei Kfz-Katalysatoren. Verfahrensbegleitende
Absprachen (z. B. Feinstaubminderung in Anlagen) Vereinbarung der Industrie mit der Bundesregierung zur Altautoentsorgung;
Einsatz von Recyclingbaustoffen im Straßenbau etc. (sog. Branchenabkommen).
Auf Vereinbarung der Beteiligten beruhende außergerichtliche Interessenausgleichsverfahren können schließlich bei Großprojekten ein geeignetes Verfahren
darstellen, Konflikte beizulegen und im Interesse aller Beteiligten zu schnellen
Ergebnissen zu kommen.
Beispiele:
Außergerichtliches Interessenausgleichsverfahren für die Abwicklung
schwieriger und langwieriger Verfahren (Mediation; z. B. Tagebau Garzweiler oder Flughafen Frankfurt/M.).
Festlegung von Untersuchungsumfang, -methode und Detaillierungsgrad
in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren (Begleitung und Unterstützung von Antragstellern, sog. Scoping-Verfahren).
Weniger Bürokratie und besseres Recht
35
Insbesondere für Unternehmensansiedlungen kann der Kooperationsgrundsatz
gegenüber solchen Lösungen vorzugswürdig sein, die allein oder überwiegend auf
einseitiges Verwaltungshandeln abstellen. Dadurch kann im freiwilligen Interessenausgleichsverfahren die Entscheidungsfindung sachnah erfolgen. Das heißt
nicht, dass stets auf einen legitimierenden staatlichen „Schlusspunkt“ (= Genehmigung durch Verwaltungsakt) verzichtet werden müsste.
2.
Möglichkeiten von Ö ffentlich Privaten Par tnerschaften (ÖPP)
konsequent nutzen
Der öffentlichen Hand – und namentlich den Kommunen – ist es durch Finanzierungs- und Liquiditätsengpässe vielfach nicht möglich, notwendige Infrastrukturprojekte durchzuführen. Angesichts der bereits vorhandenen Belastungen der Bürger gibt es kaum Spielraum für Abgaben- oder Steuererhöhungen.
Besonders hoch ist der kommunale Investitionsbedarf, den das Deutsche Institut
für Urbanistik im laufenden Jahrzehnt auf 686 Mrd. EURO errechnet hat. Eine vordringliche Aufgabe ist z. B. in fast allen Gemeinden die Sanierung von Schulen
sowie deren Unterhalt und Betrieb.
36
Vor diesem Hintergrund können gemeinsame Projekte von öffentlicher Hand und
Privaten ein geeignetes Instrument sein, öffentliche Aufgabenerfüllung mit privatem Engagement oder privatem Investment zu verknüpfen, ohne Privatisierungen
bestimmter Geschäftsfelder vornehmen zu müssen.
Dabei geht es nicht nur um eine private Finanzierung öffentlicher Aufgaben, sondern vielmehr um eine langfristige Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit privaten Institutionen/Unternehmen (über den gesamten „Lebenszyklus“ einer Infrastruktureinrichtung von 25 bis 30 Jahren). Es gibt hierfür bereits zahlreiche Beispiele – im gesellschaftlichen wie im wirtschaftlichen Bereich.
Die Rahmenbedingungen für eine engere Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung mit privaten Investoren müssen verbessert und verstärkt werden. Dies gilt
insbesondere im Bereich der Krankenhäuser-/Schulsanierungen (Projekt der Stadt
Monheim und des Kreises Offenbach), für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen und
Hochbau (Restaurierung des Stadthauses in Unna, Justizzentrum in Chemnitz).
Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich
Private Partnerschaften (ÖPP) vom 1. 9. 2005 (BGBI. I S. 2676) wurden gesetzliche
Rahmenbedingungen geschaffen, die Hemmnisse und Unklarheiten beseitigen, die
die Umsetzung von ÖPP in Deutschland bisher erschwert haben. In der amtlichen
Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 15/5668) heißt es dazu:
„Die Finanzierungsprobleme öffentlicher Haushalte, die erhebliche Belastung aus
Schuldendiensten, das hohe Leistungsniveau des Staates und der erhebliche Bedarf
Weniger Bürokratie und besseres Recht
an öffentlichen Infrastrukturen zwingen dazu, über die derzeitige Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu nachzudenken. Eine Antwort auf diese Problemlage bieten Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP). Die entscheidende Legitimation für ÖPP ist das Erzielen von Effizienzgewinnen und damit Kosteneinsparungen gegenüber den traditionellen Beschaffungsmethoden und der Eigenrealisierung
des Staates.“
Durch eine langfristig angelegte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und
privater Wirtschaft sollen öffentliche Infrastrukturprojekte schneller als bisher realisiert werden; da der Staat nicht immer in der Lage ist, die nötigen Investitionen
zu finanzieren, verblieben als Alternativen der Verkauf von Straßen, Rathäusern,
Kliniken etc. oder die Inkaufnahme ihres Verfalls. Nach Meinung von Fachleuten ist
das Geheimnis des Spareffekts der ÖPP die Investitionsdauer von über 20 und mehr
Jahren, dann erst rechne sich für den Staat, dass er Bau, Betrieb und Unterhalt
einer Straße oder eines Gebäudes auf den privaten Partner übertragen habe.
In Deutschland sind die Erfahrungen außerhalb der Hochbaubereichs bislang
gering. Experten führen dies darauf zurück, dass zwischen den Partnern noch zu
viel Misstrauen herrscht. Auf jeden Fall verschafft sich der Staat durch die Abgabe
von Kompetenzen aktuell Handlungsspielraum, ohne Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten langfristig aufzugeben.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Risiken von ÖPP auf alle am Projekt
Beteiligten angemessen verteilt werden:
Der Privatsektor trägt das Risiko für
Planung
Bau
Inbetriebnahme
Betriebsleitung
Projektfinanzierung und
Tiefgreifende technologische Änderungen.
Die ö ffentliche Hand trägt das Risiko für
Vorläufige Baugenehmigung
Diskriminierendes gesetzgeberisches Risiko
Langfristige Bindung von Haushaltsmitteln.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
37
Geteiltes Risiko von Staat und Privaten
Volumenrisiko
Inflationsrisiko
Höhere Gewalt
Detaillierte Baugenehmigung
Gesetzgeberisches Risiko.
Teilweise ergeben sich bei ÖPP-Modellen deutliche Einsparungen:
In Großbritannien gibt es Berechnungen vom National Audit Office, wonach jeder
5. öffentliche Auftrag an Öffentlichen Private Partnerschaften vergeben wird mit
einem Einspareffekt (zugunsten der öffentlichen Hand) von 17 %. Untersuchungen
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung über die Effekte
der ÖPP im öffentlichen Hochbau scheinen die britischen Erfahrungen zu bestätigen. In Deutschland werden allerdings erst 1 bis 2 % der öffentlichen Aufträge als
ÖPP vergeben.
Beispiele:
Im Kreis Offenbach werden mit Hilfe einer ÖPP-Projektgesellschaft bis 2010
alle 88 Schulen für insgesamt 350 Mio. Euro komplett saniert. Das Projektvolumen von Bau, Unterhaltung und Betrieb beläuft sich in der Vertragslaufzeit – bis Ende 2019 – auf 760 Mio. Euro. Der Kreis muss davon 370 Mio.
Euro aufwenden; Berechnungen ergeben, dass der Kreis bei einer Eigenrealisierung fast 90 Mio. Euro mehr hätte aufwenden müssen.
38
Stadt Monheim:
Von 2004 bis Ende dieses Jahres wird eine ÖPP-Projektgesellschaft alle 13
Monheimer Schulen sanieren und modernisieren lassen. Da die Stadt jährlich nur 3,15 Mio. Euro für den Betrieb zur Verfügung stellen kann, entstand
ein Instandsetzungsstau von über 27 Mio. Euro. Die Stadt geht davon aus,
dass sie bei einer Eigenrealisierung ca. 13 Mio. Euro mehr hätte aufwenden
müssen
3.
Formen der Privatisierung ermöglichen
Öffentliche Aufgabenerfüllung ist kein Dogma, ebenso wenig schafft Privatisierung
allein mehr Wirtschaftlichkeit. Ausgliederungen sind aber sinnvoll, wenn feststeht,
dass öffentliche Aufgaben in privatrechtlichen Handlungsformen oder ganz durch
Private dauerhaft besser und (auch unter Berücksichtigung von Gewährleistungsverpflichtungen seitens staatlicher Einrichtungen) kostengünstiger ausgeführt
Weniger Bürokratie und besseres Recht
werden können. Freilich dürfte zu erwarten sein, dass der konsequente Abbau
überflüssiger Bürokratie die Privatisierung öffentlicher Aufgaben weitgehend überflüssig macht, weil die Verwaltung selbst im Rahmen ihrer Modernisierung wieder
effektiver und kostengünstiger arbeitet.
Bei der Übertragung von öffentlichen Aufgaben auf privatrechtlich organisierte Einrichtungen der öffentlichen Hand (Organisationsprivatisierung; Eigengesellschaften) oder bei der Übertragung auf ein bestehendes Unternehmen Privater (materielle Privatisierung) geht es neben ökonomischen Fragen auch um die Verlässlichkeit der Aufgabenerfüllung. Ebenso spielen Aspekte der Insolvenzgefahr, der Bedingungen eines ausgeprägten Wettbewerbs, der möglichen Schaffung privater Oligopole und des Wegfalls von Gemeinnützigkeitsbindungen eine Rolle.
Elementare Leistungen der Daseinsvorsorge, deren Qualität und Berechenbarkeit
unverzichtbar für die Menschen sind (z. B. Trinkwasserversorgung), sollten grundsätzlich einer öffentlichen Kontrolle und Einflussnahme zugänglich bleiben.
Das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes lässt eine materielle Privatisierung der Versorgung mit Trinkwasser zu. Soweit ersichtlich, hat hiervon nur das Land Berlin
Gebrauch gemacht und 1999 die Wasserbetriebe als Anstalt des öffentlichen
Rechts teilprivatisiert. Da inzwischen die Wasserpreise Berlins zu den höchsten in
Deutschland zählen, stärkt das Beispiel Berlin eher die Kritiker solcher Privatisierungen.
Auch für den Bereich der Krankenversorgung ist festzustellen, dass es in den letzten Jahren zu zahlreichen materiell-rechtlichen Privatisierungen von Krankenhausbetrieben der öffentlichen Hand gekommen ist. Es ist nicht bekannt, dass dadurch
die Krankenversorgung gelitten hat.
Allerdings muss auch bei freiwilligen Leistungen vor einer Privatisierung der Blick
immer auf das wirtschaftlich günstigste, solideste und politische Verantwortung
wahrende, nicht nur auf das „billigste“ Angebot gerichtet werden.
Privatisierungen bedürfen dann einer gesetzlichen Ermächtigung, wenn die jeweilige Aufgabenzuständigkeit der Behörden zuvor durch Gesetz festgelegt worden
war.
Anstelle einer materiellen Privatisierung können Entlastungseffekte auch dadurch
erreicht werden, dass Aufgaben zur öffentlich-rechtlichen Wahrnehmung auf Private übertragen werden (sog. Beleihung). In diesem Zusammenhang kann auf das
Beispiel des TÜV bei Kfz-Zulassungen und bei Kfz-Prüfungen verwiesen werden.
Ein weiteres Feld kann die Tatsachenfeststellung bei der Erteilung von Bußgeldbescheiden für Verkehrsübertretungen sein. Schließlich kann auch eine Entstaatlichung von Aufgaben empfehlenswert sein, indem der Verwaltungsträger die Aufgabe herausgibt und dem privaten Unternehmer die Wahrnehmung mit eigenen,
also privatrechtlichen Mitteln überlässt.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
39
In diesem Zusammenhang ist das Thema einer möglichen Privatisierung von auf
die „Sicherheit“ bezogenen Staatsaufgaben gesondert zu erwähnen. Sicherheitsfunktionen, die zur effektiven Wahrnehmung zwingend Hoheitsbefugnisse verlangen, können nicht materiell privatisiert werden, also nicht auf Private übertragen
werden. Selbst im Falle einer nur funktionellen Privatisierung von Aufgaben der
öffentlichen Sicherheit muss der Staat als Gewährleistungsträger die Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben soweit regeln, wie es die Wahrung der Grundrechte der Bürger erfordert. Nur dann kann der Staat bei einer Privatisierung seiner
fortbestehenden Gewährleistungsverantwortung und -pflicht gerecht werden. Nur
dann kann er auch die rechtsstaatlichen Gebote der Objektivität und Neutralität,
der Fairness und Distanz wahren. Deshalb hat das Grundgesetz den Beamtenvorbehalt in Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz formuliert.
Beispiele:
Eine Privatisierung im Bereich des Strafvollzugs wäre allenfalls insoweit
zulässig, als die Sicherheitsaufgaben in staatlicher Hand bleiben, während
mit dem Strafvollzug im Zusammenhang stehende allgemeine Aufgaben
wie z. B. Wäscherei, Küche Privaten zur Erledigung übertragen werden könnten. Da dies überwiegend Arbeitsplätze für die Gefangenen selbst sind, ist
eine Privatisierung unter Vollzugsgesichtspunkten kontraproduktiv.
40
Im Bereich der Bundeswehr: Privatisierung der Bundeswehrküchen.
4.
Regionalinitiativen nutzen
Die Mitarbeiter der Verwaltung sind aus rechtsstaatlichen Gründen an fachlich und
örtlich bedingte Zuständigkeitsgrenzen gebunden. Das Handeln der Verwaltung ist
ferner häufig von der Schriftlichkeit der Verfahren geprägt sowie von der mehr oder
weniger einseitigen Festlegung der Rahmenbedingungen gegenüber Privaten.
Diese Umstände erschweren die Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und
der Wirtschaft, da Industrie und Handel bei ihren Aktivitäten keine kommunalen
und Ländergrenzen kennen und diese auch regelmäßig nicht zu beachten haben.
Verwaltung und Wirtschaft arbeiten teilweise isoliert voneinander. Bei Verwaltung
und Wirtschaft ist die gegenseitige Kenntnis von Problemsituationen, von Handlungszwängen sowie von Chancen der jeweils „anderen Seite“ häufig nicht besonders ausgeprägt.
Gleiches gilt im Verhältnis von Verwaltung und Wirtschaft zu Einrichtungen der
Wissenschaft. Bestehende Grenzen wurden und werden in vielfältigen Projekten
und Initiativen übersprungen. Ein flächendeckendes Verständnis für die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer mehr oder weniger informellen Zusammenar-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
beit zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft im Tagesgeschäft besteht
jedoch überwiegend – noch – nicht.
Die Mitarbeiter der Verwaltungen auf der kommunalen und staatlichen Ebene sind
an einer solchen informellen und von den Zuständigkeiten sowie von den schriftlichen Verfahren losgelösten Arbeitsweise dringend interessiert. Die häufig zu spürende Zurückhaltung gründet möglicherweise in der Ausbildung der Mitarbeiter
der Verwaltung, in mangelnder Gewohnheit, in dem von Verwaltungsvorschriften
und Dienstanweisungen geprägten Arbeitsstil sowie zum Teil in schlichtem Zeitmangel oder auch ganz einfach an fehlenden persönlich geprägten Kontakten zu
Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft.
Die beschriebenen Probleme sind in einer Vielzahl von Regionen durch die Entwicklung von zuständigkeitsübergreifenden Initiativen zu lösen versucht worden. Ziel
dieser Initiativen ist eine zuständigkeitsungebundene Zusammenarbeit zwischen
Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Zusammenarbeit zielt insbesondere
darauf, die Kenntnisse der Probleme und der Chancen der jeweils anderen Einrichtungen zu verdichten, in einer vernetzten Zusammenarbeit die Region wirtschaftlich fortzuentwickeln und im allgemeinen Wettbewerb zu stärken.
Die Notwendigkeit sowie die Chancen verstärkter regionaler Zusammenarbeit sind
politisch anerkannt. Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Kommission fördern derartige Initiativen; hinzuweisen ist insbesondere auf die Einrichtung der grenzüberschreitenden Euroregionen durch die Europäische Kommission.
Die Regionalinitiativen sind von folgenden Arbeitsweisen gekennzeichnet:
Erkennen und Lösen von Problemen zwischen Wirtschaft und Verwaltung in
einem von Moderation und nicht von Schriftlichkeit gekennzeichneten Verfahren und Beschränkung der Schriftlichkeit des Verfahrens auf die Abfassung der
endgültigen Entscheidung der Verwaltung,
Förderung des gegenseitigen Verständnisses von Verwaltung, Wirtschaft und
Wissenschaft durch persönliche Kontakte und fachliche Gesprächskreise,
Verfügbarmachung regionaler Potenziale durch die Förderung und Nutzung
der Flexibilität und Kreativität der regionalen Akteure,
die Mobilisierung von Ideenreichtum und Innovationsfreude,
die Erzielung von Synergieeffekten durch gemeinsame Aktivitäten, insbesondere bei der Planung und Umsetzung von Marketingmaßnahmen für die Region,
die Ausrichtung von Maßnahmekonzepten auf die Zukunft und die Umsetzung
von Projekten der Regionalentwicklung.
Die inhaltlichen Themen, derer sich eine einzelne Regionalinitiative annimmt, sind
regelmäßig sehr unterschiedlich. Die Auswahl hängt von den spezifischen Problem-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
41
situationen der einzelnen Regionen ab. Der Katalog reicht von der gemeinschaftlichen Planung der Verbesserung des Straßenverkehrsnetzes, der städtebaulichen
Entwicklung, der Gewinnung neuer Industrieunternehmen, des Ausbaus der bestehenden Unternehmen, der Verbesserung des Bekanntheitsgrades der Region im
Sinne eines umfassenden, auch das Ausland einbeziehenden Regionalmarketings
bis zur Einwerbung von Fördermitteln für Einzelmaßnahmen bzw. für Einzeleinrichtungen der Region und zur Organisation von Repräsentationen der Region auf Messen im Ausland.
Die informelle Weise der Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Einrichtungen und Firmen von Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in einer
vernetzten Struktur kann aufgrund der Klärung vieler Detailprobleme in einem von
Verhandeln und Moderation gekennzeichneten Verfahren zu einem deutlichen
Abbau von Bürokratie führen.
42
III. Gestaltungsoffene Rechtsetzung praktizieren, die
förmliche Rechtsetzung modernisieren und die
Gesetzesfolgenabschätzung intensivieren
1.
Eine neue Gesetzgebungskultur ermöglichen
Zu Recht wird inzwischen die Optimierung der Rechtsetzung – inhaltlich, sprachlich
und strukturell – als ein wesentlicher Punkt der Entbürokratisierungsdiskussion
angesehen.
Möglichkeiten für eine bessere Gesetzgebung sind:
Vereinfachte, auch für den juristisch nicht vorgebildeten Bürger verständliche
Rechtssprache; das gilt vor allem für die gesetzlichen Regelungen, deren weit
verbreitete Unübersichtlichkeit durch Vereinfachung und Zusammenführung
zusammengehöriger Komplexe in einem Gesetzbuch zu beseitigen ist, z. B. im
Arbeitsrecht, im Ausländerrecht, im Steuerrecht oder im Umweltrecht.
Beispiel:
Der Bundesrechnungshof (BRH) stellt in seinen Empfehlungen zur Verbesserung des Vollzugs der Steuergesetze in Deutschland fest:
„Als Folge der umfangreichen und schwer verständlichen Steuergesetze werden die Veranlagungsstellen mit einer Flut von Verwaltungsanweisungen
Weniger Bürokratie und besseres Recht
und Gerichtsurteilen überhäuft. Die Bearbeiter in den Veranlagungsstellen –
wie auch die Beraterseite – sind nach Auffassung des Bundesrechnungshofes
nicht mehr in der Lage, die Steuernormen und die Fülle der hierzu herausgegebenen Anwendungshilfen in gebührendem Maße nachzuvollziehen. Als
weitere Folge müssen sich die Steuerpflichtigen und die Bearbeiter in den
Finanzämtern mit einer Vielzahl steuerlicher Erklärungsvordrucke beschäftigen, die teilweise sehr kompliziert gestaltet sind.“ (vgl. Präsident des BRH,
Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, in: Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Band 13, Kohlhammer
2006; siehe außerdem S. 79 unten)
Formulierung der Gesetze in der Weise, dass dem Rechts- und Gesetzesanwender eine rechtsgestaltende Auslegung ermöglicht wird, d. h. Gesetze sollten
stärker als bisher so gefasst werden, dass der Entscheidungsvorgang nicht in
seine Bestandteile – Erkenntnis und Bewertung – zerlegt wird, sondern dass er
im Zusammenhang mit der gestaltenden Funktion der Exekutive gesehen und
behandelt werden kann. Normen mit generalisierendem Charakter erleichtern
eine rechtsgestaltende Auslegung. Ein klassisches Beispiel ist § 242 BGB.
Für die rechtsetzenden Instanzen sollte es diesem funktionsrechtlichen Ansatz
gemäß Grund- und Leitgedanke sein, ob dem zur Entscheidung berufenen
Organ die nötige Problemverarbeitungs- und Problemlösungskompetenz
zukommt oder mindestens gleichzügig verschafft wird.
Rückführung der rechtlichen Regelungen auf die wesentlichen Kernpunkte des
Gesetzeszwecks, um die Transparenz des politischen Willens zu erhalten.
Beispielhaft wird auf die Hartz IV-Gesetzgebung verwiesen; zur Klarstellung
hat es seit 2003 bereits mehrfache Gesetzesänderungen gegeben und weitere
sind gefordert.
Ersetzung filigraner, einzelfallorientierter Regelwerke durch bloße (gesetzliche)
Zielvorgaben; das gilt vor allem, wenn in Gesetzen nicht nur die konkreten
politischen Ziele, sondern aktuelle, möglicherweise bald überholte, technische
Standards festgeschrieben werden. Ein negatives Beispiel sind die gesetzlichen
technischen Vorgaben bei der Einführung von Abgaskatalysatoren. Der Gesetzgeber hätte nur das Höchstmaß des zulässigen Schadstoffausstoßes regeln sollen. Im Übrigen wirkt die Vielzahl von Rechtsänderungen auf Grund aktueller
Ereignisse oder gerichtlicher Einzelentscheidungen wie Jahresringe, die den
ursprünglichen Gesetzeskern versteinern lassen.
Rückbesinnung der Exekutive auf ihre Stellung und Verantwortung als eigenständige Staatsgewalt. Dies setzt eine Erweiterung administrativer Beurteilungs-/Entscheidungsspielräume voraus,
Weniger Bürokratie und besseres Recht
43
um die Verantwortung und Eigenständigkeit der öffentlichen Verwaltung
und ihrer Mitarbeitern zu steigern, z. B. durch Abbau einer Vielzahl von Aufsichts- und Kontrollrechten übergeordneter Verwaltungseinheiten.
Die bloße Erweiterung der Ermessensspielräume allein reicht nicht aus.
Zugleich müssen die Gerichte die Beurteilungsspielräume der Verwaltung
durch entsprechende Reduzierung der Kontrolldichte respektieren, ohne den
verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtsschutz in Frage zu stellen.
Gewährleistung einer genügenden Rechtsförmlichkeitspüfung und Gesetzesfolgenabschätzung in jedem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens – vor
allem aber vor seinem Abschluss. Denn die gröbsten Schnitzer sind in der Vergangenheit unter Zeitdruck entstanden, vor allem in Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses, an denen die Spezialisten nicht mehr teilnahmen und
demzufolge eine Folgenabschätzung auch nicht mehr stattfinden konnte.
In der Öffentlichkeit wird zunehmend von „hingeschluderten Texten, juristischen
Schnellschüssen, Verfahren im Schweinsgalopp, von Gesetzen, an deren Ergänzungsverordnung bereits gebastelt werde“, gesprochen (s. WamS v. 10. 12. 2006,
Gesetzespannen in Serie).
44
Beispiel:
Beim Verbraucherinformationsgesetz, das vom Bundestag am 29. Juni 2006
und vom Bundesrat am 22. September 2006 beschlossen wurde, wurde
offenbar die gebotene Rechtsförmlichkeitsprüfung zu kursorisch vorgenommen sonst hätte beachtet werden müssen, dass mit der inzwischen in Kraft
getretenen Föderalismusreform diese Form der Regelung verwehrt war.
Demzufolge hat der Bundespräsident am 8. Dezember 2006 mitgeteilt, dass
das vorgenannte Gesetz nicht ausgefertigt werde.
2.
Konsequenzen für die Gesetzgebungstechnik bedenken
Zeitliche Grenzen
Eine durchgängige zeitliche Befristung von Gesetzen ist nicht zu befürworten,
weil die Akzeptanz der Rechtsordnung Schaden nehmen würde. Eine generelle
Befristung von Gesetzen vermittelt kein Vertrauen in die Beständigkeit der
Rechtsordnung; denn es entsteht der Eindruck, die Rechtsordnung sei etwas
Vorübergehendes oder Vorläufiges. Letztlich würde der Anspruch auf Dauerhaftigkeit der geschriebenen Rechtsordnung in Frage gestellt. Befristete Gesetze tragen nicht zur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und auch nicht zu
Beständigkeit und Verlässlichkeit bei.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Wo allerdings auf Grund bestimmter Ereignisse und Erscheinungsformen sondergesetzliche Regelungen zeitweise geboten sind, kommt auch eine Befristung von Gesetzen in Betracht, also bei Maßnahmegesetzen, mit denen kurzfristige und vorübergehende Ziele (z. B. sicherheits- oder sozialpolitische)
erreicht oder besonderen Situationen (z. B. Energieengpass) begegnet werden
sollen.
Beispiele:
Verkehrswege Beschleunigungsgesetz
Modellregion Ostwestfalen-Lippe (OWL):
Der Kreis Ostwestfalen-Lippe ist „Modellregion für Bürokratieabbau“ des
Landes Nordrhein-Westfalen und Partnerregion des Bundeswirtschaftsministeriums. Ausgewählte Landesvorschriften werden in der Modellregion befristet für drei Jahre außer Kraft gesetzt und Maßnahmen im Verwaltungsvollzug getestet.
Mit dem „Justizmodell in OWL“ soll die Modernisierung der Justiz im Sinne
einer bürgernahen und effizienten Rechtsgewährung weiter vorangetrieben
werden. Neue Verfahren werden entwickelt und ausprobiert, wie z. B. die
richterliche Mediation, der elektronische Rechts- und Postverkehr, das digitale Diktieren und die Spracherkennung sowie die Gerichtssteuerung über
Kennzahlen.
Wenig überzeugend wäre es darüber hinaus, Gesetze mit einem Überprüfungsdatum zu versehen, um sicherzustellen, dass vor dem Ende der Befristung eines Gesetzes eine Evaluierung durchgeführt und entschieden wird, ob
das Gesetz novelliert werden oder aber so weiter bestehen soll oder ganz aufzuheben ist; denn es versteht sich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich zu einer
fortlaufenden Kontrolle von Gesetzesvollzug und Gesetzeswirkung verpflichtet
ist und sich fortlaufend die Frage zu stellen hat, ob und in welchem Umfang
ein bestehendes Gesetz zu verändern ist.
Im Übrigen sollte der erhebliche bürokratische Aufwand nicht übersehen werden, den die Evaluierung weitreichender Gesetzeswerke zur Folge hat.
Gerechtigkeit und Regelungsdichte
Insbesondere im Sozialrecht, aber auch in anderen Rechtsbereichen (Steuerrecht!) müssen Gesetz- und Verordnungsgeber möglichst gerechte, dem
Gleichheitsgrundsatz genügende Problemlösungen finden. Damit besteht die
Gefahr, dass Leitvorstellungen und übergeordnete Zielsetzungen durch überbordende, teilweise unverständliche Detailregelungen in den Hintergrund
gedrängt und bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
45
Auf ein besonders negatives Beispiel aus dem SGB IX wird nachstehend
hingewiesen:
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen § 145 Abs. 1 Nr. 3 unentgeltliche Beförderung, Anspruch auf Erstattung von Fahrgeldausfällen
46
„Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag
nach S. 3 zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,
3. die am 1. 10. 1979 die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 und
Abs. 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und
Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr
vom 27. 8. 1965 (BGBl. I 978), das zuletzt durch Artikel 41 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 18. 3. 1975 (BGBl. I 705) geändert worden ist,
erfüllten, solange der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge der
anerkannten Schädigung auf wenigstens 50 Prozent festgestellt ist und sie
infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind; das Gleiche gilt für
schwerbehinderte Menschen, die diese Voraussetzungen am 1. 10. 1979 nur
deshalb nicht erfüllt haben, weil sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet hatten. Die Wertmarke wird nicht ausgegeben,
solange der Ausweis einen gültigen Vermerk über die Inanspruchnahme von
Kraftfahrzeugsteuermäßigung trägt. Die Ausgabe der Wertmarken erfolgt
auf Antrag durch die nach § 69 Abs. 5 zuständigen Behörden. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann die Aufgaben nach Absatz 1
Satz 3 bis 5 ganz oder teilweise auf andere Behörden übertragen. Für Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ausgabe der Wertmarke gilt § 51 Abs. 4
des Sozialgerichtsgesetzes entsprechend.“
Generelle Richtschnur für Normgeber muss sein, dass sie sich grundsätzlich
am Regelfall orientieren und nicht gehalten sind, allem denkbaren Individuellen jeweils durch mehr oder weniger stark aufgefächerte Sonderregelungen
Rechnung zu tragen. Gesetzliche Verallgemeinerungen müssen allerdings auf
möglichst weiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtungen aufbauen.
Als geeignetes, praktikables Mittel, „komplizierte Lebenssachverhalte übersichtlicher und verständlicher zu machen“, erweist es sich namentlich im
Zusammenhang mit der Bewältigung von Massenerscheinungen, bei der Fassung der Tatbestandsseite von Normen typisierend vorzugehen, d. h. untypische Abweichungen und Varianten auszuklammern.
Pauschalierende Regelungen können die Verwaltung entlasten, aber auch dazu
beitragen, die richterliche Kontrolldichte auf den Kern einer rechtsförmigen
Prüfung zurückzuführen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiele von Pauschalierungen:
Im Steuerrecht: Pauschalierte Erfassung eines Aufwandes anstelle der genauen Ermittlung des tatsächlichen Aufwands für bestimmte Tätigkeiten.
Pauschalierte Aufwandsentschädigung für Betreuer von Personen, die Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten brauchen.
Übungsleiterpauschale nach § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz für ehrenamtliche Tätigkeit im Bereich Sport, Kultur, Soziales.
Pauschalierte Berechnung des Nutzungsentgelts für die Inanspruchnahme
von Einrichtungen, Personal oder Material in einem Vomhundertsatz des aus
einer entsprechenden Nebentätigkeit erzielten Vorteils.
Optimierung „der Gesetzgebungstechnik“
Für die gesetzgebungsfachliche Umsetzung der gewollten politischen Inhalte
eines neuen Gesetzes sind allgemeine Standards entwickelt und festgelegt
worden, die in einigen Bundesländern bereits umgesetzt werden. Maßstab für
eine effiziente und ökonomische Umsetzung muss es sein, dem Fachanwender
des Gesetzes durch eine unter anderem auf Verständlichkeit und Praktikabilität gerichtete Ausgestaltung der Normen eine tragfähige Grundlage für seine
tägliche Arbeit an die Hand zu geben.
Konkretisierung wesentlicher Anforderungen an ein „handwerklich“
einwandfreies Gesetz:
Klarheit des Aufbaus
Widerspruchsfreiheit
Eindeutigkeit
Vollständigkeit unter Vermeidung von Überflüssigem
Verständlichkeit der Sprache
Konkretisierung wesentlicher, speziell anwendungsbezogener inhaltlicher
Anforderungen:
Systemverträglichkeit
Wirksamkeit
Weniger Bürokratie und besseres Recht
47
Praktikabilität – auch hinsichtlich der Vollzugstauglichkeit
Verhältnismäßigkeit bei Bevorzugung einfacher Regelungen
Transparenz
3.
Regierungen verpflichten, stärker auf Rechtsbereinigung hinzuwirken
Ziel der Rechtsbereinigung ist es, eine unübersichtlich gewordene Gesamtheit von
Rechtsnormen durch Vereinheitlichung und Vereinfachung wieder übersichtlich
und einsichtig zu machen (vgl. auch Kap. C. III. 1).
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat zur Rechtsbereinigung folgende Vorgehensweise vorgeschlagen (Informationen Nr. 15/06 vom
16. 3. 2006):
48
„... Das Projekt Rechtsbereinigung ist so angelegt, dass in einem ersten Schritt eine
zahlenmäßige Reduzierung des Normenbestandes … angestrebt wird. In einem
weiteren Schritt der Bereinigung soll der zahlenmäßig verringerte Normenbestand
inhaltlich … überprüft werden, um verständlichere, übersichtlichere und zeitgemäße Normen zu schaffen.
Die Bundesministerien müssen in der Folge ihren jeweiligen Normenbestand
durchsehen.“
Nach Auskunft des BMJ sind zum 24. 11. 2006 1.796 Bundesgesetze und 2.768
Rechtsverordnungen in Kraft. Diese Zahlen machen das Anliegen einer Normreduzierung deutlich.
Aus der Sicht des „Forum Bürokratieabbau“ darf aber bei Maßnahmen der Rechtsbereinigung schon deshalb nicht vorrangig die quantitative Minderung des Normenbestandes im Vordergrund stehen, weil nicht selten die aufgehobenen Vorschriften ohnehin nicht mehr angewendet werden; daher kommt den qualitativen
Einschnitten in die Regelungsdichte und Regelungstiefe entscheidende Bedeutung
zu.
Ratsam erscheint es, nicht den gesamten Normenbestand von Ressort zu Ressort
zu prüfen, sondern ausgehend von den staatlichen Informations- und Berichtspflichten die diesen zugrunde liegenden Vorschriften auf ihre Erforderlichkeit und
Qualität zu überprüfen. Dieser Weg verspricht konsequenter und schneller entbürokratisierend und deregulierend zu wirken. Diese Auffassung wird offenbar auch
vom neu gebildeten NKR geteilt, der die Bundesregierung gebeten hat, alle vom
Bund veranlassten Berichts- und Informationspflichten zu erfassen, um deren
Erforderlichkeit und Nützlichkeit überprüfen zu können.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Das „Forum Bürokratieabbau“ ist jedoch der Auffassung, dass dem entstandenen
und sich fortschreibenden bürokratischen Aufwand in Bund, Ländern und Kommunen nur durch eine intensive parlamentarische Kontrolle beizukommen ist.
Daher wird den Parlamenten empfohlen, durch Gesetze die betreffenden Regierungen zu verpflichten, zumindest am Ende einer Legislaturperiode zu berichten
über das Ergebnis der auf allen Ebenen erfolgten Aufgabenkritik,
über das Ergebnis der durchgeführten Rechtsbereinigung,
über die ersatzlos aufgehobenen Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) und
über die innerhalb der Legislaturperiode neu erlassenen und geänderten
Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) und deren
Erforderlichkeit (= verlangt das Gemeinwohl zwingend den Erlass neuer Vorschriften?).
Aus dem Länderbereich sind zur Rechtsbereinigung u. a. diese Beispiele
bekannt:
Saarland:
Alle Verwaltungsvorschriften, die vor 1980 erlassen wurden, haben am
31. 12. 1999 ihre Gültigkeit verloren, soweit ihre Weitergeltung nicht ausdrücklich beschlossen wurde.
Das gleiche Verfahren wird auf die vor 1990 erlassenen Verwaltungsvorschriften angewendet, die am 31. 12. 2000 auslaufen.
Nach 1990 erlassene Verwaltungsvorschriften bedürfen bis 31. 12. 2001 der
Verlängerung, wenn sie nicht unter die Verfallsautomatik fallen sollen und
damit zu diesem Datum außer Kraft treten.
Stadt Düsseldor f:
In einem „Entfesselungsgesetz NRW“ schlägt die Stadt vor, alle Standards,
Vorgaben, Subventionen, Verfahren pp. zu erfassen und zu einem festgesetzten Termin außer Kraft zu setzen.
Bis dahin sollen absolut unverzichtbare Vorschriften in jedem Einzelfall neu
nachgewiesen und dann neu erlassen werden.
Das Entfesselungsgesetz soll auch quantitative Vorgaben machen, um den
Vorschriftenbestand des Landes (z. B. um 50 %, bezogen auf die Anzahl der
Vorschriften, bis zum Jahr 2010) zu verringern.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
49
Sachsen:
Hinzuweisen ist auf die Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über den Erlass von Rechtsnormen und Verwaltungsvorschriften vom
9. 9. 2004 – zuletzt geändert durch VwV vom 14. 3. 2006 (Sächs ABl. S. 314).
In der Verwaltungsvorschrift, die auch die Einsetzung und Kompetenz des
Normprüfausschusses regelt, befinden sich präzise Anweisungen, wie die
Notwendigkeit, Wirksamkeit und Praktikabilität neuer und alter Rechtsvorschriften zu überprüfen ist und welche Anstrengungen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung zu unternehmen sind.
4.
Gesetzesfolgenabschätzung systematisieren
Ein wichtiges Steuerungsinstrument ist die sogenannte Gesetzesfolgenabschätzung, durch die festgestellt und bewertet werden soll, welche formellen und materiellen Folgen/Nebenwirkungen neue Rechtsvorschriften nach sich ziehen. Ein
negatives Beispiel: Einführung der Mautpflicht für bestimmte LKW-Klassen auf
Autobahnen und das nachfolgende Ausweichen von LKWs auf Bundesstraßen zur
Kostenvermeidung.
50
Die Anforderungen wie die Erwartungen sollten jedoch nicht überspannt werden.
Dies vor allem nicht, wenn man über die unmittelbaren Gesetzesfolgen hinaus
das Geflecht möglicher mittelbarer, erst längerfristig in Erscheinung tretender Weiterungen mit bedenkt. Regelmäßige (nachträgliche) Evaluierungen durch den
Gesetzgeber selbst – als quasi – retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung (etwa
kombiniert mit einer Nachbesserungspflicht) – können dazu beitragen, dass die
methodischen Standards für die Ermittlung und Würdigung des prognosetauglichen Tatsachenstoffes im Laufe der Zeit an Solidität und damit an Brauchbarkeit
gewinnen.
Notwendig ist in jedem Fall eine Kosten-Nutzen-Analyse (in dem Sinne, Rechtsvorschriften methodisch nach ihrer Ergiebigkeit zu bewerten), mit der Wege eröffnet
werden, um auch Ausgangs- und Randbedingungen solcher Art und ihren Rang für
die Bewältigung einer Entscheidungssituation unter Einsatz des Mittels der Prognose (wenigstens) bewusst zu machen.
Im Übrigen: Die Nachteile einer Regelung einzuschätzen und den entsprechenden
Zielkonflikt zu entscheiden, ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, und zwar
durch Aufstellen von Prüfkriterien vor Erlass von Rechtsvorschriften,
durch Probe- oder Testlauf in ausgesuchten Bereichen und Regionen vor Erlass
neuer Rechtsvorschriften (s. Kap. C. III. 2.).
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Darüber hinaus wird angeregt, in die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder eine sog. Bagatellklausel für Einzelfälle aufzunehmen, in
denen auf die Festsetzung geringer amtlicher Forderungen (Gebühren, Kosten,
Aufwendungen), Rück- oder Nachforderungen verzichtet werden kann, wenn
eine Festsetzung nur durch einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand
möglich ist.
IV. Nationale und Internationale Korrektive
des Bürokratieaufwuchses verwirklichen
1.
Nationalen Normenkontrollrat (N KR) stärken
Mit dem am 18. August 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur Einsetzung eines
Nationalen Normenkontrollrates ist auf Bundesebene ein unabhängiges Kontrollgremium eingerichtet worden, dessen vorrangige Aufgabe es ist, Rechtsetzungsvorhaben und geltende Rechtsvorschriften des Bundes auf ihre kostenmäßigen bürokratischen Auswirkungen zu überprüfen und Empfehlungen an die federführenden
Bundesressorts zu übermitteln.
51
Auch wenn der Nationale Normenkontrollrat nur beratende Funktion hat, so hat er
eine wichtige Querschnittsfunktion zwischen Exekutive und Legislative. Denn es ist
nicht seine Aufgabe, die gesamten Folgewirkungen und die Zielsetzung der überprüften Vorschriften kritisch zu beurteilen, da er weder ein Vetorecht gegen Vorlagen hat, noch im eigentlichen Sinne Normenkontrolle vornimmt. Der Normenkontrollrat überprüft nach seinem gesetzlichen Auftrag lediglich, ob die Bürokratiekosten, die das Gesetzesvorhaben verursacht, nach dem niederländischen Standardkostenmodell ordnungsgemäß von den Bundesministerien ermittelt wurden. Insoweit bezieht der Normenkontrollrat lediglich Stellung und spricht Empfehlungen
gegenüber dem federführenden Ressortminister aus.
Zu den Berichts- und Informationspflichten nach dem Normenkontrollratsgesetz
zählen alle Fälle, in denen Unternehmen, Bürger und Verwaltung die Verpflichtung
zur Erfüllung einer behördlichen Informationsanforderung – einschließlich Bereithaltungspflichten – auferlegt wird; also nicht nur gegenüber öffentlichen Stellen,
sondern auch gegenüber Dritten (Unternehmen oder Verbraucher).
Es ist zu hoffen, dass der NKR alsbald konkrete Vorschläge unterbreiten wird, durch
die (bundes-)staatlich veranlasste Berichts- und Informationspflichten entfallen
oder vereinfacht werden können.
Gegenstand der Kontrolle durch den Normenkontrollrat sind im Übrigen nur die
von der Bundesregierung initiierten bzw. erlassenen Gesetze, Rechtsvorschriften
Weniger Bürokratie und besseres Recht
und Verwaltungsvorschriften. Initiativen des Bundestages, des Bundesrates oder
Vorschläge des Vermittlungsausschusses unterliegen dagegen nicht seiner Kontrolle.
Daher spricht sich das „Forum Bürokratieabbau“ dafür aus, die Prüfungskompetenz
des Nationalen Normenkontrollrates auf Gesetzesinitiativen von Bundestag und
Bundesrat auszudehnen, um insoweit eine umfängliche Prüfung aller Gesetzesvorhaben sicherzustellen.
Die einschlägigen Bestimmungen der inzwischen wegen der Einführung des Nationalen Normenkontrollrates novellierten Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien lauten:
§ 42 Abs. 1 S. 2:
„Gibt der Nationale Normenkontrollrat eine Stellungnahme ab, ist diese der
Gesetzesvorlage beizufügen; das gleiche gilt für eine Stellungnahme der
Bundesregierung dazu.“
§ 44 Abs. 5:
52
„(5) Die Bundesministerien müssen die Bürokratiekosten im Sinne des § 2
Abs. 1 des Gesetzes zur Einsetzung eines NKR ermitteln und darstellen.“
§ 45 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2
„(1) Bevor der Entwurf einer Gesetzesvorlage der BReg. zum Beschluss vorgelegt wird, hat das federführende BM die von dem Gesetzentwurf betroffenen Bundesministerien und den NKR im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeit frühzeitig bei den Vorarbeiten und der Ausarbeitung einzubeziehen.
(2) Nimmt der NKR Stellung, prüft das federführende Bundesministerium, ob
eine Stellungnahme der Bundesregierung dazu veranlasst ist.“
Ab 1. Dezember 2006 müssen die Vorblätter zu den Gesetzen nach folgender
Gliederungsübersicht ausgefüllt werden:
A.….
B.….
C. Alternativen …
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte getrennt für
Bund, Länder und Kommunen, aufgeteilt in
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
2. Vollzugsaufwand
Weniger Bürokratie und besseres Recht
E. Sonstige Kosten (für die Wirtschaft, für soziale Sicherungssysteme, Auswirkungen auf das Preisniveau, insbes. auf das Verbraucherpreisniveau)
F. Bürokratiekosten.
Außerdem wird gefragt, ob Informationspflichten für Unternehmen, Bürger
und Verwaltung eingeführt/vereinfacht/abgeschafft werden.
2.
EU-Recht einbeziehen
Unabhängig von der befürworteten Einrichtung eines Normenkontrollrates auch
auf EU-Ebene wird es darauf ankommen, die Gremien der EU zu weiterer Deregulierung und Entbürokratisierung zu veranlassen bzw. in diesem Anliegen zu unterstützen. Das Dokument „Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“ (Kom 2006/689) stellt nach Auffassung des
„Forum Bürokratieabbau“ einen entscheidenden Schritt in diese Richtung dar. In
dem Dokument wird die Intensivierung der Folgenabschätzung durch Einsetzung
eines dem Kommissionspräsidenten unterstellten unabhängigen Ausschusses für
Folgenabschätzung vorgeschlagen. Es muss zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden nationalen Einrichtungen und diesem Ausschuss der EU
kommen. Entscheidend für den Erfolg einer solchen Zusammenarbeit wird sein, ob
es gelingt, eine enge Vernetzung zwischen den Ausschüssen mit dem Ziel sicherzustellen, auf der EU-Ebene eine überzeugende Folgenabschätzung neuer Rechtsvorschriften unter wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Aspekten anzustreben, um eine Ausschmückung, aber auch Verwässerung der Vorschriften auf
nationaler Ebene mit der Folge ausufernder bürokratischer Maßnahmen zu verhindern.
Das „Forum Bürokratieabbau“ ist davon überzeugt, dass die verwaltungs- und kostenmäßigen Folgen von neuen Rechtsetzungsakten auf EU-Ebene bei einer stringenten Kostenfolgenabschätzung entscheidend verringert werden können. Dabei
sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgerufen, ihrerseits einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung von EU-Recht zu leisten, insbesondere dort,
wo Gemeinschaftsvorschriften lediglich als Richtlinie, in denen allgemeine Regeln
und Ziele festgeschrieben sind, erlassen werden. Wie diese Ziele nach Maßgabe des
EG-Vertages und unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu erreichen sind, ist
zwar Sache der Mitgliedstaaten, die ihrerseits aber eine möglichst unkomplizierte
und Ressourcen schonende Umsetzung anstreben müssen. Dies kann nur dann
gelingen, wenn die Mitgliedstaaten die Rechtsetzung der EU entsprechend fördern.
In diesem Zusammenhang sollte der Einfluss von Bundestag und Bundeskabinett
auf die Normgebung der EU-Ebene verstärkt werden, um frühzeitig überflüssige
Regelungen und Bürokratie zu vermeiden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
53
Beispiel:
Das beim Deutschen Bundestag eingerichtete Europabüro als „Frühwarnsystem“ nutzen, um Überregulierungen frühzeitig verhindern zu können.
Begrüßt wird, dass auch die EU-Kommission mit finanziellen Schritten zum Bürokratieabbau begonnen hat. So sollen die Kosten durch EU-Vorschriften bis zum Jahr
2012 um 25 % sinken, so dass ein Einspareffekt von 150 Mrd. nach Angaben der
Kommission erreichbar ist.
Die Vorarbeiten soll ein noch einzusetzendes Gremium leisten, das sich offenbar an
der Aufgabenstellung des NKR in Deutschland ausrichten soll.
Im Weiteren ist es notwendig, die Flut europäischen Rechts nicht durch einen
nationalen Perfektionsansatz weiter aufzublähen. Folglich sollte – vorbehaltlich
vorrangigen politischen Erwägungsbedarfs – neues, zusätzliche Bürokratie auslösendes EU-Recht grundsätzlich nur inhaltsgleich in nationales Recht transformiert
werden.
54
Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung entsprechend ihren Ankündigungen entscheidende Impulse für eine Verbesserung der Rechtsetzung in der EU während der
Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 gibt und mit dazu beiträgt, dass der Europäische Rat auf seiner Frühjahrstagung ein überzeugendes Aktionsprogramm zum
dauerhaften Abbau von Verwaltungslasten verabschiedet.
V. Verwaltungsabläufe vereinfachen, transparente
Verantwortungs- und Entscheidungszentren
schaffen
Die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung
sind zu vereinfachen und zu beschleunigen. Bei Unternehmensansiedlungen, aber
auch im Rahmen des Vergaberechts sind Entscheidungen möglich, die geeignet
sind, bürokratische Verfahren zurückzufahren. Dies kann neben der generell angestrebten Rechtsbereinigung (vgl. Kap. C. III. 3) durch folgende Maßnahmen geschehen:
1.
Ver fahrens- und Organisationsvorschriften abbauen und verbessern
Die Verfahrensabläufe müssen über das bestehende Maß hinaus vereinfacht, durch
klare Vorgaben Handlungssicherheit hergestellt und Verantwortungs- und Ent-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
scheidungszentren geschaffen werden. Dabei sind die Aufgaben und Organisationsstrukturen regelmäßig auf ihre Effizienz, Effektivität und Aktualität hin zu überprüfen werden.
Beispiele:
Im Bereich des Bürgerservice stellt die Bearbeitung von einfachen Beglaubigungen einen hohen bürokratischen Aufwand dar. Die Differenzierung der
Beglaubigung einer Unterschrift bzw. einer Kopie ist durch ein 10-seitiges
gemeinsames Rundschreiben des Ministeriums des Inneren und für Sport
und des Ministeriums der Justiz geregelt.
Bei der Abrechnung von Verwendungsnachweisen mit Landes- und Bundesbehörden ist in vielen Fällen ein erhöhter bürokratischer Aufwand festzustellen. Neben den zuschussbegründenden Rechnungsunterlagen müssen oft
umfangreiche Aufstellungen gefertigt werden. Diese Unterlagen werden
vom Revisionsamt geprüft und mit einem Prüfvermerk versehen. Die Unterlagen werden beim Zuschussgeber eingereicht; Detailsprüfungen dieser
Unterlagen werden aber regelmäßig nicht mehr vorgenommen.
Eine optimierte Zuschuss-/Verwendungsnachweisabrechnung wird z.T.
schon bei der EU praktiziert. So können die EU-Mittel für das Förderprogramm „Soziale Stadt“ im vereinfachten elektronischen Verfahren bei einer
Abrechnungsstelle abgefordert werden. Auf das Einreichen von umfassenden
und detaillierten Unterlagen wird nach Prüfung durch das Revisionsamt
weitgehend verzichtet.
In diesem Zusammenhang sind maßgeblich:
die Einrichtung und der Aufbau Kunden orientierter Service-Zentren zur Beratung und zur Entlastung von der Kontaktaufnahme mit unterschiedlichen
Fachbehörden, die an einem Vorgang beteiligt sind;
die Einrichtung einer gemeinsamen Auftragsbehörde durch Kommunen (z. B.
die Einführung einer zentralen Information über Gewerbeflächen oder ein
gemeinsames Immobilienmanagement).
2.
Klare Zuständigkeiten schaffen und damit Doppelprüfungen vermeiden
Um ein mehrstufiges Befassen mit derselben Aufgabe durch verschiedene Behörden zu beseitigen und dadurch Mehrfachzuständigkeiten zu vermeiden, sind Verwaltungszuständigkeiten stärker zu bündeln und eindeutig und bestimmt und
damit transparent für den Bürger zu regeln. Denn die zuständige Behörde sollte
den jeweiligen Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden rechtlichen
Gesichtspunkten bewerten können und müssen. Auch soweit mehrere Behörden
Weniger Bürokratie und besseres Recht
55
zuständig sind, muss dem Bürger die Entscheidung aus einer Hand gewährleistet
werden. Daher sollten Genehmigungs- und Zustimmungsvorbehalte zugunsten
höherer öffentlicher Stellen nur noch ausnahmsweise und nur dann vorgesehen
werden, wenn der Zweck des Vorbehalts nicht durch interne Weisungen erreicht
werden kann.
Genehmigungen aus einer Hand sollten innerhalb einer garantierten Höchstfrist
erfolgen.
Ein Beispiel aus dem Bereich des Arbeitsschutzes zeigt anschaulich, dass die Vermeidung von Doppelprüfungen von unterschiedlichen Verwaltungen zu mehr Effizienz führen kann. Zur Überprüfung des Arbeitsschutzes sind auf der einen Seite
Berufsgenossenschaften und auf der anderen Seite die Gewerbeaufsichtsämter
(§ 21 Arbeitsschutzgesetz) zuständig. Die Folge ist, dass beispielsweise ein Treppengeländer oder die Raumhöhe ggf. von mehreren Institutionen unabhängig voneinander geprüft und bewertet werden, nämlich durch das Bauamt, die Gewerbeaufsicht und das Amt für Arbeitsschutz sowie die Berufsgenossenschaften.
Lösungsmöglichkeiten:
56
Wenn eine Institution einen Sachverhalt geprüft und bewertet hat, sollte die
nachfolgend prüfende Institution die Bewertung nicht in Frage stellen. Da in
diesem Fall die mehrfache Prüfung des Sachverhalts entfiele, könnten Kosten
eingespart werden.
In Bauordnungen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften sollten bezüglich der Arbeitssicherheit nur die Schutzziele und -maßnahmen zur Minderung
von Gefährdungen angegeben werden. Bei Bedarf sollten Hinweise auf Vorgaben in technischen Regeln bzw. Normen gegeben werden.
Abbau von konkreten Maßvorgaben:
Die Übertragung der konkreten Gestaltung beispielsweise der Raumhöhe oder
der Treppengeländer sollte in die Unternehmensverantwortung gelegt werden.
Wenn konkrete Vorgaben notwendig sind, sollte dies nur durch eine einheitliche Regelung erfolgen, die für alle Institutionen und Bereiche des Arbeitsschutzes verbindlich ist.
Konkrete Beispiele aus dem Land Rheinland-Pfalz:
Beispiel 1.
In der ArbeitsstättenVO (in den noch bis 2010 gültigen Arbeitsstättenrichtlinien) sind gegenüber den Bauordnungen der Länder immer noch unterschiedliche Maßvorgaben enthalten, z.B. für die Höhe der Treppengeländer
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Vorgaben der Landesbauordnung R P (LBauO)
§ 33 Treppen
(8) An den freien Seiten der Treppen und Treppenabsätze sind verkehrssichere
Geländer anzubringen; sie müssen 0,90 m, bei mehr als 12 m Absturzhöhe
1,10 m hoch sein.
Arbeitsstättenrichtlinie ASR 17/1,2 – Verkehrswege:
Kapitel 5 Geländer und Handläufe
Die Höhe der Geländer muss lotrecht über der Stufenvorderkante mindestens 1,0 m betragen. Bei möglichen Absturzhöhen von mehr als 12 m muss
die Geländerhöhe mindestens 1,10 m betragen.
Beispiel 2.
Raumhöhe von Arbeitsräumen (Aufenthaltsräume)
In der neuen Arbeitsstättenverordnung werden im Zuge der Deregulierung
keine maßgeblichen Mindestvorgaben für Raumabmessungen mehr vorgegeben. Die Raummaße wären somit flexibler auslegbar und sollten sich vorwiegend an der Art der körperlichen Beanspruchung und der Anzahl der
Beschäftigten orientieren. Die festgelegten Raummaße sollten bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) vom Unternehmen bewertet und bei Bedarf begründet werden.
In den Bauordnungen der Länder sind aber immer noch Maßgaben für die
Raumhöhe enthalten.
Vorgaben der Landesbauordnung R P (LBauO):
§ 43 Aufenthaltsräume
(1) Aufenthaltsräume müssen eine für ihre Benutzung ausreichende Grundfläche und eine lichte Höhe von 2,40 m haben
ArbeitsstättenVO (BGBl I 2004)
1.2 Abmessungen von Räumen, Luftraum
(1) Arbeitsräume müssen eine ausreichende Grundfläche und eine, in
Abhängigkeit von der Größe der Grundfläche der Räume, ausreichende lichte Höhe aufweisen, so dass die Beschäftigten ohne Beeinträchtigung ihrer
Sicherheit, ihrer Gesundheit oder ihres Wohlbefindens ihre Arbeit verrichten
können.
(2) Die Abmessungen aller weiteren Räume richten sich nach der Art ihrer
Nutzung
Weniger Bürokratie und besseres Recht
57
Fazit:
Auf Grund des dualen Systems im Arbeitsschutz und damit der unabhängigen Zuständigkeit der Institutionen wird ein Treppengeländer oder die
Raumhöhe eventuell von drei Institutionen unabhängig von einander
geprüft und bewertet, nämlich durch das Bauamt, die Gewerbeaufsicht –
bzw. Amt für Arbeitsschutz – und die Berufsgenossenschaft (Unfallkasse).
Bezogen auf die vorgenannten Beispiele bedeutet dies:
Geländer mit einer Höhe von 0,90 m werden vom Bauamt entsprechend der
LBauO abgenommen und bewilligt.
Bei Begehung durch die Gewerbeaufsicht und/oder durch die Unfallkasse wird
die Geländerhöhe in der Regel beanstandet oder kontrovers diskutiert. Je nach
Fall wird dann eine Nachbesserung gefordert; d. h. nachträgliche kostenintensive Aufstockung der Geländerhöhe um 10 cm auf 1 m.
Arbeitsräume mit einer Raumhöhe von z. B. 2,35 m würden bei entsprechender
Eignung von der Gewerbeaufsicht oder von der Unfallkasse derzeit bewilligt,
vom Bauamt würden diese Räume jedoch nicht abgenommen werden.
58
3.
Vereinfachung der Planungs- und Genehmigungsver fahren für Infrastrukturprojekte durchsetzen sowie Genehmigungsvorbehalte durch Anzeigevorbehalte ersetzen
Mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz ((VerkPBG) vom
16. 12. 1991 (BGBl I, 2174) wurde Anfang der 90er-Jahre ein Instrument zur Verkürzung der Planungszeiten für Verkehrswege in den neuen Bundesländern eingeführt, so dass die Verkehrsinfrastruktur so schnell wie möglich aufgebaut und auf
ein leistungsfähiges Niveau gebracht werden konnte. Das VerkPBG hat ein
zunächst bis 31. 12. 1995 zeitlich befristetes Sonderplanungsrecht geschaffen und
galt für Planungsmaßnahmen im Bereich der Bundesfernstraßen, der Bundeswasserstraßen, Flughäfen und bestimmter Straßenbahnen in den neuen Bundesländern. Durch das VerkPBG wurden unter anderem die Planfeststellungsverfahren
durch die Einführung von Fristen für die Stellungnahmen von zuständigen Behörden und durch die Verkürzung von Fristen für die Beteiligung der Öffentlichkeit
beschleunigt. Darüber hinaus wurde durch das Gesetz die Möglichkeit eröffnet,
unter bestimmten Voraussetzungen Verkehrsobjekte statt durch Planfeststellung
mit einem vereinfachten Verfahren der Plangenehmigung zuzulassen. Ferner wurden die verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch die Beschränkung des Rechtsweges auf eine Instanz verkürzt. Das Gesetz wurde in seiner Geltung mehrfach,
zuletzt bis zum 31. 12. 2006 verlängert.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Die Bundesregierung kommt in ihrem Erfahrungsbericht vom 2. 1. 2004 (vgl. BT Drs.
15/2311) zu dem Ergebnis, dass
die geltende Fassung des VerkPBG keine beschleunigenden Effekte mehr auf
die Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren habe. Es erspare der
Verwaltung lediglich eine in den alten Bundesländern ggf. erforderliche
Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Planfeststellungsbeschlüsse.
in den Verfahren, die dem VerkPBG unterliegen, Art, Inhalt und Anzahl der
erhobenen Einwendungen nicht von den Einwendungen abweiche, die in den
alten Bundesländern in Verfahren erhoben wurden, die nicht dem VerkPBG
unterliegen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass alle wesentlichen Vorschriften des VerkPBG in die bundesweit geltenden Fachgesetze und das Verwaltungsverfahrensgesetz übernommen wurden.
allerdings die Verkürzung des Rechtsweges auf die erst- und letztinstanzliche
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts – im Vergleich zu den alten Bundesländern – zu einer Beschleunigung des Verfahrens um bis zu 18 Monaten
führe.
Hinsichtlich der Klageverfahren sagt der Bericht, dass die Anzahl von Klageverfahren trotz Geltung des Sonderplanungsrechts dem Verhältnis der Anzahl von Verfahren entspricht, die nicht dem Anwendungsbereich des VerkPBG unterlägen. Generell könne jedoch gesagt werden, dass die Anfechtungen von Plangenehmigungen
und Planfeststellungsbeschlüssen gering ausgefallen seien.
Die Prozesse bei der Planung und dem Bau von Infrastrukturmaßnahmen sollten
bundesweit einheitlich gestrafft, vereinfacht und durch regelmäßige Novellierungen des Planungsbeschleunigungsgesetzes verkürzt werden.
Für alle Anträge sollte ein zweistufiges Verfahren der automatischen Genehmigung
eingeführt werden.
Zur Abkürzung von Genehmigungsverfahren sollte den Antragstellern für geeignete Bereiche ein Wahlrecht auf Genehmigung oder Anzeige ihres Vorhabens eingeräumt werden. Bei der Anzeige sollte der Antragsteller zugunsten eines Zeitgewinns auf die amtliche Bestätigung, dass ein Vorhaben allen rechtlichen Voraussetzungen entspricht, verzichten. Der Antragsteller sollte dies der Behörde gegenüber
versichern, ggf. entsprechende Bestätigungen von Sachverständigen beibringen
und eine Haftpflichtversicherung nachweisen sowie alle Kosten tragen. Jedoch sollten Genehmigungserfordernisse auf ein Minimum beschränkt und einem Anzeigeverfahren grundsätzlich der Vorzug gegeben werden. Wenn eine Behörde einem
Antrag innerhalb einer bestimmten Frist keinen Bescheid erteilt, soll der Antrag als
genehmigt gelten.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
59
Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung ein Zweites Mittelstandsentlastungsgesetz Anfang 2007 beschlossen hat.
Der Entwurf eines Mantelgesetzes enthält u. a. folgende Maßnahmen:
Anhebung der Gewinnschwelle für die Bilanzierungspflicht nach § 141 AO
Änderung Bundesstatistiken anordnende Rechtsvorschriften (Befreiung der
Existenzgründer von Statistikpflichten)
Beschränkung auf maximal drei statistische Stichprobenerhebungen pro Jahr
Einschränkung der Reisegewerbekartenpflicht
Deregulierung der Unternehmensstatistik im Güterverkehr
Vereinfachung bei der Übermittlung von Halterdaten nach dem StrVG
Wegfall von Meldepflichten nach der StrVZVO.
4.
60
Vorlagepflicht von Plänen und Statistiken reduzieren
Die Informationspflichten von Unternehmen und Bürgern gegenüber staatlichen
Stellen sowie zwischen staatlichen Stellen sollten lückenlos erfasst und auf ihre
zwingende Notwendigkeit überprüft werden.
Die Bundesressorts sind dieser Verpflichtung inzwischen nachgekommen. Die Länder und Kommunen sollten – soweit noch nicht geschehen – dem Beispiel des Bundes folgen.
Bereits vorhandene Verwaltungsdaten sollten weitgehend genutzt, Unternehmensregister aufgebaut und ein automatisierter Datenaustausch zwischen Unternehmen und statistischen Ämtern hergestellt werden. Insbesondere im Bereich der
amtlichen Statistiken könnte ein Bürokratieabbau durch Effizienz und Effektivitätssteigerungen erfolgen, ohne zu große Informationsverluste zu verursachen. Darüber hinaus sind weitere Entlastungen von Unternehmen und Bürgern von statistischen Meldepflichten durch die breite Nutzung von Register- und Verwaltungsdaten für statistische Zwecke realisierbar, was jedoch deren Öffnung und die entsprechende Ausrichtung auf solche Nutzungen erfordert. Außerdem wäre eine
beträchtliche Aufwandsreduzierung bei statistischen Meldepflichten über den
Internetweg oder mittels Datengewinnung aus dem betrieblichen Rechnungswesen möglich.
5.
Bürokratieabbau bei Unternehmensansiedlungen ver wirklichen
Die Verwaltungen sollten bei der Ansiedlung von kleinen und mittleren Unternehmen – soweit dies nicht bereits geschieht – Ämter – übergreifende Ad-hoc-Arbeits-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
gruppen unter der Federführung von ein bis zwei in derartigen Verfahren besonders erfahrenen Mitarbeitern einrichten.
Bei der Ansiedlung von Industrie- und Handelsunternehmen sind regelmäßig der
Abschluss von städtebaulichen Verträgen im Sinne des Baugesetzbuches – also von
Bauplanungs-, Baureifmachungs-, Baurealisierungs- und Folgelastenverträgen –
sowie der Abschluss eines Erschließungsvertrages und häufig auch der Vertrag über
die Durchführung des Ausgleichs von Flächen nach dem Bundesnaturschutzgesetz
notwendig. Kern der gesamten Regelungen ist die Klärung der bauplanungsrechtlichen Fragen sowie die Festschreibung der Bewilligung der finanziellen Fördermittel.
Für Großvorhaben treten regelmäßig keine bürokratisch bedingten Probleme bei
der Erarbeitung der Unterlagen und der Abwicklung des Vorhabens auf: Die notwendigen Vorarbeiten, Entscheidungen und begleitenden Beratungsvorgänge werden in speziellen Ad-hoc-Arbeitsgruppen erledigt, welchen Vertreter aller beteiligten Behörden – Kommune, Landratsamt, Regierungspräsidium, Fachministerien,
Zweckverbände, Energieversorger, Wasserunternehmen etc. – angehören. Gegenüber dem beteiligten Industrieunternehmen treten für die Arbeitsgruppe regelmäßig zwei bis vier Ansprechpartner auf, welche – gegebenenfalls unter Einschaltung
privater Projektsteuerungsunternehmen – das gesamte Vorhaben „aus einer Hand“
steuern. Für die Mitarbeiter der beteiligten Dienststellen der öffentlichen Hand
ergeben sich aus dieser dienststellenübergreifend vernetzten Arbeitsstruktur regelmäßig keine Probleme. Die Genehmigungsverfahren betragen regelmäßig drei bis
vier Monate.
Anders stellt sich die Situation bei der Ansiedlung kleinerer Unternehmen dar. Häufig werden in diesen Fällen keine dienststellenübergreifende, vernetzt arbeitende
Projektsteuerungsgruppen eingerichtet. Die Unternehmen sind angewiesen auf
den „parallelen“ Verkehr mit der jeweils zuständigen Dienststelle. Dies ist für den
Abschluss des städtebaulichen Vertrages regelmäßig die Kommune, für die
abschließende Entscheidung der bauplanungsrechtlichen Fragen, insbesondere
auch aus dem Wasser-, Naturschutz- und Umweltbereich, das Landratsamt sowie
für Fördermittelfragen in einigen Bundesländern das Regierungspräsidium (Verwaltungsdirektion) oder das Fachministerium.
Für die Unternehmen und die Mitarbeiter der einzelnen Dienststellen ist diese
Arbeitsweise häufig unbefriedigend, insbesondere wenn die Bearbeitung und Entscheidung über die einzelnen Fragen nicht im Verhandlungs-, sondern im schriftlichen Verfahren erfolgt. Oft bestehen unterschiedliche Sichtweisen bei der kommunalen Haushaltsaufsicht und bei den Fördermittelstellen. Gleiches gilt für die Festlegung von Ausgleichsflächen nach dem Bundesnaturschutzgesetz und der Klärung
der mit diesem Ausgleich in Verbindung stehenden Finanzierung der Flächen. Die
Prüfungsverfahren, die Klärung und Aufarbeitung der widersprechenden Ergebnis-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
61
se unterschiedlich beteiligter öffentlicher Einrichtungen dauern oft lange – teilweise bis zu sechs und zwölf Monate. Die Zeitdauer und die Atmosphäre der Verhandlungen sind für die Unternehmen wie auch für die Mitarbeiter der beteiligten Verwaltungen unbefriedigend.
Gesetzlicher Regelungen bedarf es zur Verbesserung der Gesamtsituation nicht.
Die Einrichtung von Ad-hoc-Arbeitsgruppen reicht aus.
Spürbarer Vereinfachung bedarf dagegen der Weg zu rechtlichen Gründung eines
Unternehmens.
Beispiel:
Im Bereich der Handelskammer Köln ist ein neues „Gründer- und Servicezentrum“ für Existenzgründer eingerichtet worden, in dem die Anmeldeformalitäten gebündelt werden. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer
Köln: Ein Firmengründer müsse ca. 600 Fragen beantworten bis er sein eigener Chef sei. In Deutschland dauerte die durchschnittliche Gründungsphase
einer GmbH 45 Tage, und es müssen neun Formulare ausgefüllt werden
nebst zeitraubenden Behördengängen; in Großbritannien dauere der Papierkrieg nur 18 Tage und in Schweden sogar nur sechs Tage. Im neuen Zentrum
werde eine spezielle Software das fehlerfreie Ausfüllen der Formulare
erleichtern. Außerdem könnten die Existenzgründer ihre Daten online ins
Internet einstellen. Damit soll es in rd. zwei Stunden möglich sein, den
„Schriftkram“ zu erledigen. Alle sieben NRW-Handwerkskammern beginnen
mit dieser „Offensive gegen Bürokratie“.
62
6.
Bürokratieabbau am Beispiel des Vergaberechts umsetzen
Der Vorwurf unnötiger Bürokratie wird häufig bei der Anwendung des Vergaberechts erhoben.
Das Vergaberecht ist von einer Zweiteilung geprägt: Für Aufträge aus dem Baubereich sowie aus dem Dienstleistungsbereich hat die Europäische Kommission in EGVergaberichtlinien Schwellenwerte – Vergabe nach gewisser Größenordnung – (bei
Bauaufträgen: 5,278 Mio. Euro, bei Dienstleistungen: grundsätzlich 0,211 Mio.
Euro) festgelegt, bei deren Überschreiten ein in den Grundzügen von der Europäischen Kommission selbst festgelegtes und in das Recht der Mitgliedsstaaten übernommenes Verfahren geregelt ist.
Für die Verfahren, welche sich auf Waren und Leistungen mit Werten oberhalb der
bezeichneten Schwellenwerte beziehen, enthalten die durch die 6. Novelle zum
GWB eingefügten §§ 97 ff. klare Regelungen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Allgemeine Unzufriedenheit herrscht dagegen bei der Anwendung der Regelungen
für Verfahren mit Waren und Lieferungen unterhalb der EU-Schwellenwerte. Die
Vielzahl der für diesen Bereich anwendbaren Vorschriften ist verwirrend: §§ 97 ff.
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB), die Verordnung über die Vergabe
öffentlicher Aufträge zur Bestimmung der Schwellenwerte, Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), VOB/A, Verdingungsordnung für Leistungen
(VOL), VOL/A, Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF), § 55 Bundeshaushaltsordnung (BHO) sowie die entsprechenden Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen, § 30 Gesetz über die Haushaltsgrundsätze des Bundes und
der Länder (HGrG), landesrechtliche Vergabegesetze sowie landesrechtliche Vergabedurchführungsverordnungen enthalten einander ergänzende Regelungen zur
Beurteilung von Einzelfällen. Der Detaillierungsgrad der Regelungen geht weit: Die
Vorschriften für die Prüfung der Eignung der Bieter sowie für die Erfordernisse zum
Nachweis der Eignung umfassen in einer der landesrechtlichen Vergabedurchführungsverordnungen zwei Druckseiten. Teilweise wird lediglich auf Vorschriften
der VOB/A oder VOL/A verwiesen.
Die Vielzahl der Einzelregelungen ergibt dabei kein geschlossenes Gesamtwerk.
Grundfragen des Vergaberechts bei Waren und Lieferungsaufträgen mit Werten
unterhalb des EU-Schwellenwertes bleiben offen. Dies gilt insbesondere für die Frage des Rechtsweges. Ein Teil der Gerichte hält den Verwaltungsgerichtsweg, ein Teil
der Gerichte den Zivilrechtsweg für gegeben. Die Fragen der Klage- und Antragsberechtigung sind unklar.
Es fehlen Regelungen für die Vergabekontrollverfahren mit Fristsetzungen und verkürzten Instanzenwegen. Es mangelt an Bestimmungen über die Rechtsfolgen
eines vergaberechtswidrigen Zuschlages für die Wirksamkeit vergaberechtswidriger Verträge für eventuelle Schadenersatzansprüche der Mitbieter.
Während für die geringe Zahl von Vergabeverfahren mit Werten oberhalb der EUSchwellenwerte praktikable Vorschriften gelten, sind die Verfahren für die massenhaft anfallenden Ausschreibungsverfahren für Vorgänge unterhalb der EU-Schwellenwerte durch lange Dauer, hohe Fehleranfälligkeit sowie durch Rechtsunsicherheit im formellen und materiellen Bereich gekennzeichnet. Bei den Mitarbeitern in
der Verwaltung steht zur Vermeidung von Fehlern bisweilen eher ein Absicherungsdenken als das Suchen nach der qualitativ besten Lösung im Vordergrund. Die
Arbeit der Mitarbeiter ist durch subtile Formulierungen der Ausschreibungstexte,
durch eine Zuschlagserteilung nach wenig angreifbaren Kriterien (häufig allein
nach dem niedrigsten Preis und nicht nach dem Angebot mit dem besten PreisLeistungsverhältnis und der Bewertung der besseren Wirtschaftlichkeit entsprechend der Bundeshaushaltsordnung) sowie durch die Abfassung von eingehenden
Begründungstexten für die Vergabeauswahl gekennzeichnet.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
63
Diese Entwicklung ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: Ausschreibungsverfahren zur Deckung des öffentlichen Bedarfs wurden ursprünglich aus dem Eigeninteresse der öffentlichen Hand an einer möglichst kostengünstigen, öffentliche Mittel
sparenden Beschaffung sowie mit dem Ziel der Vermeidung von Korruption durchgeführt. Die Vorschriften hatten den Charakter interner Anweisungen. Dies gilt insbesondere für die Verdingungsordnung für Bauleistungen und die Verdingungsordnung für Leistungen. Haushaltsrecht und interne Verwaltungsanweisungen hatten
keine Außenwirkung. Mangels Drittwirkung konnten sich nicht berücksichtigte
Mitbieter bei einem Ausschreibungsverfahren nicht gegen die erteilte Zuschlagsentscheidung wehren. Dieser Charakter des Ausschreibungsrechts hat sich mit der
Übernahme der EU-Vergaberegeln in das deutsche Recht geändert. Mit der Geltung
der EU-Schwellenwerte im deutschen Recht sind die VOB/A und die VOL/A nicht
bloße innerdienstliche Weisungen, sondern Normen mit Außenwirkung und Drittwirkung. Das Vergaberecht als internes Regelungsrecht zur Wahrung der Eigeninteressen der öffentlichen Hand an einer sparsamen Haushaltsführung ist zu einem
Teil des allgemeinen europäischen Wettbewerbsrechts geworden.
64
Durch die Teilung in einen Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte und einen
Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte ergeben sich in der Rechtsanwendung
Brüche. Die Verfahrensregeln mit Drittwirkung schränken die Wahl- und Abschlussfreiheit der verpflichteten öffentlichen Stellen ein, erschweren eine flexible Reaktion auf veränderte Marktverhältnisse und hindern den öffentlichen Auftraggeber,
im Rahmen seiner allgemeinen wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit seine Nachfrage an ein verändertes Auftragsprofil anzupassen.
Damit hat die öffentliche Hand einen Teil ihrer Steuerungsfreiheit verloren. Die
Schwerfälligkeit der öffentlichen Verwaltung ist im Bereich der Auftragsvergabe
durch diesen Übergang vom bloßen internen Vergaberecht in ein Vergaberecht
mit Drittwirkungsqualität bedingt. Die mit diesem Übergang vom Gesetzgeber
verfolgte Intention, die Vergabe öffentlicher Aufträge in einem übersichtlichen,
nachvollziehbaren und fairen Wettbewerbsverfahren durchzuführen und damit
Unternehmen des Mittelstandes umfassend an Aufträgen der öffentlichen Hand
teilhaben zu lassen, hat sich durch die Einführung der Klagebefugnis für nicht
berücksichtigte Mitbieter als nur schwer erreichbar herausgestellt. Die Vergabeverfahren dauern im Regelfall in Bereichen unterhalb der EU-Schwellenwerte lange.
Die Anfechtung der Zuschlagsentscheidungen ist mit erheblichen inhaltlichen
und formellen rechtlichen Unsicherheiten behaftet. Die mittelständischen Unternehmen sehen wie die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung das derzeit geltende Vergaberecht für den Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte als unbefriedigend an.
Eine zusammenfassende gesetzliche Neuregelung ist zwingend notwendig.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
VI.Verwaltungsmodernisierung stärker vorantreiben
Die Verwaltungsmodernisierung kann nur dann wirksam vorangetrieben werden,
wenn es zu einem Dreiklang von Politik, Verwaltung und Technik kommt. Verwaltungsmodernisierung muss zu einem politischen Schwerpunkt werden, der die
Mitarbeiter einbezieht und ihre Kompetenzen beim Bürokratieabbau nutzt.
Verwaltungsbehörden benötigen fachpolitische Orientierung: Politische Ziele müssen nachhaltig formuliert und über Zielvereinbarungen mit entsprechender Ressourcenregelung bestimmt werden. Aufgabe der Verwaltungsebene ist es, die politischen Zielvorgaben messbar zu konkretisieren und zu realisieren.
Verwaltungsbehörden müssen Leitbilder und Umsetzungsstrategien mit dem Ziel
entwickeln, ergebnis- und kundenorientiert zu handeln. Entscheidungsspielräume
müssen politisch akzeptiert und von den Behörden genutzt werden.
Ein beachtlicher Störfaktor im Modernisierungsprozess in wichtigen Bereichen der
öffentlichen Verwaltung ist die zunehmend komplizierter werdende, ständig geänderte Gesetzgebung. Folge der umfangreichen und schwer verständlichen Gesetze
ist eine Flut von Verwaltungsvorschriften mit unausweichlich nachfolgenden zahlreichen Gerichtsurteilen.
Wenn der Beauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung in seiner Schrift
„Probleme beim Vollzug der Steuergesetze“ (Band 13, 2006) feststellt, dass es den
Mitarbeitern des Finanzamtes aus den zuvor genannten Gründen nicht mehr möglich ist, sich einen Überblick über die geltende Rechtslage zu verschaffen und folglich ein Großteil der Steuererklärungen nicht mehr ordnungsgemäß geprüft werden kann, dann ist dies nicht nur schwer verständlich, sondern erschwert auch
jede Verwaltungsreform (siehe auch das Beispiel in Kap. C. III. 1., Empfehlungen
des BRH).
1.
Neue Formen der Behördenkooperation nutzen
Neue Verwaltungsgemeinschaften müssen innerhalb, aber auch zwischen den
Gebietskörperschaften unter Zuhilfenahme der modernen Informationstechnologien gebildet werden. Ein denkbares Modell ist die Bündelung von gleichartigen,
internen Serviceleistungen an einer Stelle in zentralen Dienstleistungszentren (Shared Service Center). Die Zentralabteilungen der öffentlichen Verwaltung könnten
durch die Einrichtung solcher Dienstleistungszentren, die im Wettbewerb zueinanderstehen, mit erheblichen Qualitäts- und Effizienzgewinnen auf Lenkungs- und
Steuerungsstäbe konzentriert werden. Auf politischer und administrativer Ebene
muss es gelingen, das bisherige Ressortdenken zu überwinden.
Mit einer solchen Konzeption kann die Wertschöpfung der öffentlichen Verwaltung
durch Leistungssteigerung verbessert, durch Kostensenkung kann ein erheblicher
Einsparungseffekt erreicht werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
65
Das Forum sieht es als sinnvoll an, alle An- und Abmeldungen von Kraftfahrzeugen
zentral über das Kraftfahrzeugbundesamt zu vollziehen; außerdem sollte erwogen
werden, wie in vielen europäischen Ländern bereits üblich, ein Kraftfahrzeug mit
einem „lebenslang“ gültigen Kennzeichen zu versehen – unabhängig davon, wie
oft der Eigentümer wechselt oder in welche Stadt er zieht. Diese „Dauer-Kennzeichen“ würden außerdem das aufwendige Zulassungsverfahren im Onlineverkehr
vereinfachen und beschleunigen.
Eine solche Zentralisierung im Kfz-Bereich böte nicht nur enorme Einsparpotenziale. Es würde zudem einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten.
Ein erster Schritt ist getan: Die Bundesregierung hat im April 2006 das Zulassungsrecht neu geordnet. Danach soll bis zum 1. 9. 2008 eine Onlineverbindung der örtlichen Register mit dem Zentralen Register beim Kraftfahrtbundesamt eingeführt
werden, sodass alle Zulassungsvorgänge dort unmittelbar gespeichert und abgerufen werden können. Außerdem werden die Länder ermächtigt, beim Wechsel des
Zulassungsbezirks innerhalb des Landes auf die Zuteilung eines neuen Kennzeichens zu verzichten.
2.
66
Kostenintensive Behördenvielfalt überprüfen, insbesondere länderübergreifende Aufgaben zusammenfassen
Als Alternative zu einer aus politischen Gründen in absehbarer Zeit wahrscheinlich
nicht erreichbaren Länderneugliederung sollte die gegenwärtige politische Diskussion über die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden,
um staatliche Aufgaben der Länder länderübergreifend zu bündeln.
Eine Zusammenlegung würde zu einer Reduzierung von Behörden führen und
damit zu einem Abbau von Bürokratie. Die Zusammenlegung würde auch Kosteneinsparungen bewirken. Letztlich entspricht eine Zusammenlegung von Aufgaben
der Notwendigkeit einer angemessenen Reaktion auf den teilweise erheblichen
Rückgang der Bevölkerungszahl. Dies gilt insbesondere für ostdeutsche Länder.
Als Beispiele für eine Aufgaben- oder Behördenbündelung sei auf folgende Einrichtungen hingewiesen:
Statistische Landesämter
Verfassungsschutzämter
Landeskriminalämter
Landesvermessungsämter
Oberbergämter
Landesforstverwaltungen
Landesämter für Landwirtschaft.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Hervorzuheben sind die vielfältigen Kooperationsabkommen, die die Länder Hamburg (HH) und Schleswig-Holstein (S-H) betreiben, z. B.:
Fusion der Statistischen Landesämter zum Statistischen Amt Nord
NDR-Staatsvertrag
Gastschulabkommen
Fusion der Eichämter
Fusion der Landesbanken zur HSH Nordbank
Fusion der Landesversicherungsanstalten (unter Beteiligung von MecklenburgVorpommern )
Gemeinsames E-Government/IT-Angebot
Gemeinsame Beschaffung von Waren und Dienstleistungen
Fusion des Landesamtes für Informationstechnik, der Abteilung IuK des
Senatsamtes für Bezirksangelegenheiten und der Datenzentrale SH zu Dataport
Gemeinsames Prüfungsamt für juristische Staatsexamen
Gemeinsame Rechtspflegerausbildung
67
Gemeinsames Prüfungsamt zur Abnahme der Prüfung für die Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft
Gemeinsame Zuständigkeit des LG HH für Rechtsstreitigkeiten über technische
Schutzrechte
Zusammenfassung des Strafvollzugs für weibliche Jugendliche
Gemeinsame Vertretung („Hanse-Office“) in Brüssel
Gemeinsame Landessammelstelle für radioaktive Stoffe
Gemeinsame Gesellschaft zur Beseitigung von Sonderabfällen
Gemeinsame Nutzung einer Abschiebehaftanstalt.
Darüber hinaus gibt es zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein in vielen Verwaltungsbereichen weitere Kooperationen unterhalb einer Behördenzusammenlegung.
Gegen die Aufgaben- oder Behördenbündelung kann nicht eingewendet werden,
dass – wenn dies der Fall ist – die Aufgaben und Behörden gesetzlich festgelegt seien. Notwendig wären dann eben Änderungen der einschlägigen Gesetze, oder die
Bündelung müsste unter Beibehaltung der nominellen Zuordnung erfolgen. Im
Übrigen gilt es dazu jeweils länderübergreifende Verträge abzuschließen, mit
Weniger Bürokratie und besseres Recht
denen die Zusammenarbeit und/oder die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf das andere Land geregelt werden.
3.
Einrichtung von Beauftragten kritisch überprüfen
Die Einrichtung von Beauftragten dokumentiert ein weit verbreitetes Misstrauen
gegenüber der Exekutive. Für den Abbau unverhältnismäßiger Bürokratie ist aber
wichtig, den handelnden Institutionen wieder mehr Vertrauen entgegenzubringen.
Insbesondere müssen die Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die in aller Regel
einer Aufsicht der öffentlichen Verwaltung unterliegen, in Richtung auf mehr Verantwortlichkeit der Mitarbeiter verändert werden.
Auch sollte die Einrichtung bestimmter Beauftragter wieder abgeschafft werden,
wenn ein Missstand, für dessen Behebung er eingesetzt wurde, behoben ist.
Beispielhaft wird auf die nachstehende Liste der Beauftragten der Stadt Mainz hingewiesen (vgl. Anlage 2).
4.
68
Verwaltungsaufgaben durch verschiedene Kommunen gemeinsam erledigen
lassen
Die bisherigen Erfahrungen der Stadt Mainz mit den Umlandgemeinden waren
eher ernüchternd. Vorzeigbare Ergebnisse sind wohl nur erreichbar, sofern sich eine
„Win-Win-Situation“ für alle beteiligten Kommunen ergibt; das ist selten der Fall.
Trotzdem gibt es eine enge Zusammenarbeit von Mainz mit den Nachbargemeinden beispielsweise in den Bereichen:
Arbeitsmarktförderung
Ausbildung von Nachwuchskräften
Einkauf von IT-Büromaterial.
Im Übrigen funktioniert die Interkommunale Zusammenarbeit dann, wenn fiskalische Gesichtspunkte zurücktreten. Dies ist jedenfalls die Erfahrung in sogenannten
Metropolregionen.
Beispiel: Interkommunale Zusammenarbeit
Die Planungen zur Flächennutzung im kommunalen Bereich umfassen zunehmend
größere Bereiche. Dies gilt für die Grundsatzplanung, für die Durchsetzung von
Naturschutz, die Planung zum weiteren Wohnungsbau sowie für die Ausweisung
von Flächen für Industrie- und Gewerbeansiedlung.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Die Größe der Kommunen ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Teilweise
wurden aufgrund von Gemeindegebietsreformen relativ großflächige kommunale
Einheiten geschaffen; teilweise ist es bei relativ kleinen Gemeinden verblieben.
Regelmäßig werden von Flächennutzungsplanungen die Gebiete mehrerer Kommunen betroffen. Die Abstimmung der unterschiedlichen Interessen der Gemeinden ist dabei nicht immer ganz einfach. Hinzu kommt, dass den Planungen häufig
eine Vielzahl von staatlichen Sonderbehörden sowie die Rechtsaufsichtsbehörden
einzuschalten sind. Aus der Anzahl der zuständigen Gemeinden und Behörden
ergeben sich für die Mitarbeiter dieser Verwaltungseinheiten oft erhebliche Probleme beim Ausgleich der jeweiligen Interessen. Die Planungen führen ferner wegen
der Notwendigkeit, die jeweils zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien auf
der kommunalen Ebene in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, bisweilen zu
erheblichen zeitlichen Verzögerungen. Für Unternehmen und Bürger, welche mittel- und langfristig an einer Nutzung der zu beplanenden Flächen interessiert sind,
besteht die Schwierigkeit, den jeweils zuständigen Ansprechpartner in den Kommunen bzw. im Bereich der staatlichen Behörden zu finden. Da keine gegenüber
den Unternehmen und Bürgern einheitlich zuständige Ansprechstelle gesetzlich
bestimmt ist, sehen sich die an einer Nutzung der Flächen interessierten Unternehmen und Bürger einer „Wand von Bürokratie“ gegenüber.
Bei größeren Industrieansiedlungsverfahren wird den Problemen durch die Gründung von „Ad-hoc-Arbeitsgruppen“ abgeholfen (vgl. Kap. C. V. 5.). Bei kleineren Vorhaben und generellen, von der Ansiedlung von Einzelunternehmen wegen des zeitlichen Vorlaufs noch unabhängigen Planungen sind die aufgezeigten Probleme verwaltungstechnisch nur schwer lösbar. Die Einrichtung von größeren Einheitsgemeinden bietet sich als Lösung an. Soweit die Gründung bzw. Erweiterung von Einheitsgemeinden nicht auf freiwilliger Basis erfolgen kann, sind entsprechende
gesetzliche Entscheidungen regelmäßig nur schwer und vor allem nur mit mehrjährigen Vorlaufzeiten durchsetzbar. Einfacher ist die Gründung von Verwaltungsgemeinschaften, wie sie in den Gesetzen über kommunale Zusammenarbeit der
einzelnen Länder als Organisationsform vorgesehen sind. Die Rechtsform der Verwaltungsgemeinschaft hat sich jedoch in den vergangenen Jahrzehnten nicht in
jedem Fall bewährt. Das Bestehenlassen hoheitlicher Befugnisse in den Mitgliedsgemeinden bei einer gleichzeitigen Zentralisierung der bloßen technischen Verwaltung bei der erfüllenden Gemeinde führt sehr häufig zu Reibungsverlusten. Gleiches gilt mehr oder weniger für die Organisationsform des Verwaltungsverbandes.
In den letzten Jahren hat sich zunehmend eine Lösung der aufgezeigten Probleme
durch eine verstärkte „interkommunale Zusammenarbeit“ abgezeichnet. Ziel der
interkommunalen Zusammenarbeit ist es, im Rahmen einer arbeitsteiligen Aufgabenwahrnehmung in einem Gemeindeverbund durch eine Gemeinde für die anderen Gemeinden deren Aufgaben für einen bestimmten Aufgabenblock erledigen zu
lassen, während eine der anderen Gemeinden die Aufgaben für die erste und die
Weniger Bürokratie und besseres Recht
69
70
dritte Gemeinde für einen weiteren Zuständigkeitsbereich übernimmt sowie die
dritte Gemeinde ein zusätzliches Aufgabengebiet für die erste und die zweite
Gemeinde erfüllt. Grundlage dieser Zusammenarbeit ist – wenn auch nicht zwingend – der Abschluss eines Gemeinschaftsvertrages gemäß § 13 des Raumordnungsgesetzes. Dieser öffentlich-rechtliche, landesplanerische Vertrag hält die Zielsetzung der Zusammenarbeit im Einzelnen fest. Er bildet die Grundlage für die
Anerkennung des Verbundes nach dem jeweiligen Landesplanungsrecht. Der entsprechende Verbund wird regelmäßig im Landesentwicklungsplan ausgewiesen
und anerkannt. Solche Verträge und Vereinbarungen zur Vorbereitung und Verwirklichung der Raumordnungspläne gemäß § 13 Raumordnungsgesetz entwickeln keine Drittwirkung zwischen den Gemeinden und Firmen bzw. Bürgern. Verträge nach
§ 13 Raumordnungsgesetz haben lediglich planerische Wirkung. Diese Verträge
sind insbesondere keine Zweckvereinbarungen im Sinne der Gesetze über kommunale Zusammenarbeit nach dem jeweiligen Landesrecht. Für die Begründung der
internen Zuständigkeitsübertragungen in Gemeindeverbundsystemen ist deshalb
neben einem – nicht zwingenden – Gemeinschaftsvertrag nach § 13 Raumordnungsgesetz der Abschluss einer umfassenden oder von mehreren einzelnen
Zweckvereinbarungen im Sinne der jeweiligen Vorschriften der Gesetze über kommunale Zusammenarbeit nach Landesrecht notwendig. Mit dem Abschluss einer
solchen Zweckvereinbarung gehen die Rechte, Pflichten, Aufgaben und Befugnisse
der übrigen Beteiligten auf die jeweils beauftragte einzelne Gemeinde über. Diese
Gemeinde vertritt die übrigen Kommunen im Außenverhältnis. Sie ist für die aufgrund der Zweckvereinbarung übertragenen Zuständigkeiten für den Erlass von
hoheitlichen Entscheidungen mit Drittwirkung allein zuständig. Örtliche Zuständigkeitsregelungen durch Zweckvereinbarungen gemäß den Vorschriften der
Gesetze über kommunale Zusammenarbeit nach Landesrecht entsprechend dem
Rechtsstaatsgebot für hoheitliches Verwaltungshandeln mit Drittwirkung.
Die Vereinbarungen können sich auf einzelne Aufgabengebiete beschränken. Damit
ist über ein „Kettensystem“ von den entsprechenden Zweckvereinbarungen – die
Umstellung der Verwaltung in einem Gemeindeverbund auf ein arbeitsteilig angelegtes System in zeitlichen Raten möglich.
Für die Mitarbeiter der Verwaltungen der beteiligten Gemeinden ergibt sich damit
eine deutliche Reduzierung in der Abstimmung der gegenseitigen Interessen. Für
die Unternehmen und Bürger reduziert sich die Anzahl der Ansprechpartner auf der
kommunalen Ebene erheblich.
Systeme der vorbezeichneten Zusammenarbeit setzen regelmäßig gleichgroße
Gemeinden in den jeweiligen Verbundsystemen voraus. Damit dürften sich derartige Verbundsysteme im Stadtumlandbereich von Großstädten nur eingeschränkt
umsetzen lassen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Insbesondere bei Stadtumlandregionen mit einer nicht überragend großen Kernstadt werden die aufgezeigten Verbundsysteme erfolgreich sein können.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Mit entsprechenden Systemen werden in verschiedenen Regionen bislang außerhalb von sogenannten Metropolregionen positive Erfahrungen erzielt. Dies gilt
zum Beispiel für den Städteverbund „Sachsenring“ zwischen den Städten Hohenstein-Ernstthal, Oberlungwitz und Lichtenstein in Sachsen.
5.
Leitbild der öffentlichen Verwaltung an Dienstleistungen bzw. Serviceeinrichtungen für Gesellschaft und Unternehmen orientieren
Modernisierungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung sind erfolgreich, wenn
alle Beteiligten aktiv mitwirken.
Das gilt in besonderer Weise für die in den letzten Jahren in vielen Behörden entstandenen Leitbilder. Sie sind dann identitätsbildend und fördern nachhaltig die
aufgabengerechte Zielsetzung der Institution, wenn das Leitbild gemeinsam von
Behördenleitung und Mitarbeitern erarbeitet wird.
Ein Beispiel hierfür ist das „Leitbild der Stadtverwaltung München“.
In einem ganzheitlichen Konzept wird hier das jeweilige Selbstverständnis der verschiedenen Beteiligten von den Stadträten über die Bürgermeister bis zu den Mitarbeitern dargestellt und als Leitlinie für die eigene Arbeit und als Anspruch
gegenüber der Öffentlichkeit bestimmt.
Das „Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ legt im Verhältnis zu
den Bürgern u. a. fest:
„Wir verstehen uns als Partner der Bürgerschaft, gehen auf die Menschen freundlich zu und greifen ihre Wünsche und Probleme engagiert auf. Ihre Anliegen werden zügig, vorurteilsfrei und sachkundig behandelt.
Beim Vollzug der Gesetze werden vorhandene Auslegungsspielräume berücksichtigt. Dabei halten wir stets den Rahmen ein, der uns durch Gesetze und Stadtratsentscheidungen gezogen ist, und beachten unsere Verpflichtung gegenüber dem
Gemeinwohl.
Unsere Entscheidungen erläutern wir durch nachvollziehbare Begründungen, insbesondere, wenn wir Anliegen nicht erfüllen können oder Eingriffe notwendig sind.
Wir informieren über unsere Arbeit und unsere Angebote zielgruppenorientiert
und verständlich, sachlich und umfassend. Wir wollen auch dadurch Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen.“
Vergleichbare Leitbilder gibt es bereits in vielen Behörden; sie sollten überall eingeführt werden, da sie das Ansehen der Mitarbeiter und der Behörden stärken.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
71
6.
Einsatz von E-Government erweitern
Kritisch anzumerken ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich in der
Umsetzung des E-Government deutlich zurückliegt. Hierfür ist vor allem die föderale Vielfalt verantwortlich, die bei den Ländern und den Kommunen Hunderte
nicht kompatibler „Insellösungen“ hervorgebracht hat. Die Erweiterung des Einsatzes von E-Government (als neue Formen der Information und Interaktion) nach
dem Grundmodell von Bund-Online 2005 ist ein brauchbares Modell auch für die
Länder, soweit dort nicht bereits entsprechende Anstrengungen eingesetzt haben.
Die Bundesregierung strebt eine gemeinsame E-Government-Strategie von Bund,
Ländern und Kommunen – Deutschland – Online – an.
Mit dem Einsatz von E-Government ist die Dienstleistungs- und Serviceorientierung der öffentlichen Verwaltung zu verstärken, u. a. durch
Informationen im Netz über die für eine Antragstellung erforderlichen Unterlagen
Formulare, die leicht verständlich sind und eine interaktive Kommunikation
ermöglichen,
72
Standardisierung von Prozessen und Entwicklung einheitlicher Strukturen und
Formate, die es ermöglichen, Daten und Dokumente wieder zu verwenden,
Schaffung einer Gebühreneinzugszentrale für mehrere Kommunen,
zentrale Erstellung von Verwaltungsprodukten (Führerschein etc.).
Einmaliges Erheben von Basisdaten bei Bürgern, Unternehmen etc. (z. B. einheitliche Wirtschaftsnummer, JobCard); die Verwaltung ist so zu organisieren,
dass die entsprechenden Daten mit zweckgebundenen Zugriffsrechten allen
Behörden zur Verfügung stehen; beispielsweise muss ein „Zahlentransfer“ zwischen den Finanzämtern und den Statistischen Ämtern rechtlich und tatsächlich ermöglicht werden, sodass Unternehmen ihre Berichts- und Informationspflichten nur einmal – gegenüber dem Finanzamt – erfüllen müssen. Die
erwünschte Folge wäre, dass aktuelle Statistiken vorhanden wären, die Mitteilungspflichten jedoch wesentlich reduziert würden; so ist es die Absicht der
Bundesregierung, elektronische Meldungen statistischer Daten aus dem
betrieblichen Rechnungswesen an die Statistischen Ämter über eStatistik.cor
zu steuern. Außerdem können durch elektronische Antrags- und Genehmigungsprozesse und automatisierte Standardvorgänge die Transaktionskosten
für Unternehmen gesenkt werden.
Durch E-Government sollen im Bund neue Zugangskanäle zu den Dienstleistungen geschaffen werden. Medienbrüche sollen reduziert, Bearbeitungszeiten
verringert werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
E-Government bietet die Chance, dezentrale Organisation und ein einheitliches Auftreten gegenüber Wirtschaft und Bürgern miteinander zu verbinden.
Beispiel auf der kommunalen Ebene:
Die Stadt Mainz nutzt konkret folgende elektronische Verfahren:
E-Procurement (elektronische Vergabe)
Um das teure und zeitaufwendige „Papierverfahren“ zu reduzieren,
nutzt Mainz die am Markt vorhandenen Instrumente zur elektronischen
Ausschreibung. Über Ausschreibungsplattformen im Internet ist es möglich, Leistungsbeschreibungen in digitaler Form für die Anbieter bereitzustellen. Die Angebote können ohne Medienbruch erstellt und, ebenfalls digital, bei der Verwaltung eingereicht werden. Z.zt. bedient sich
die Stadt der Plattform „subreport-ELVIS“. Dieser elektronische
Geschäftsverkehr erfordert zur Verschlüsselung und Signatur der Daten
lediglich die Anschaffung einer Signaturkarte sowie eines Kartenlesegerätes, um die Echtheit und Sicherheit der Daten zu gewährleisten (Federführung liegt bei der Finanzverwaltung).
Onlineformulare (Formularserver)
73
Die Stadt hält sowohl für den internen als auch für den externen
Bereich eine Vielzahl von Onlineformularen vor. Hierbei handelt es sich
sowohl um einfach ausfüllbare Formulare als auch um html-Formulare,
deren Daten direkt in Datenbanken geschrieben werden, umso den Verwaltungsaufwand (erheblich) zu reduzieren und die Bearbeitungszeiten
zu verringern.
Formulare für den Bürger gibt es z. B. in den Bereichen Steuern und
Finanzen, Standesamtsdienstleistungen und Verkehrswesen.
Es laufen bereits in Mainz Planungen, diese und weitere Formulare über
einen sog. Formularserver zur Verfügung zu stellen, welcher Teil der landesweiten E-Government-Plattform der sog. rlp-Middleware ist.
Mit Hilfe des Formularservers können Formulare rechtssicher mit elektronischer Signatur eingereicht werden. Das genannte Programm bietet
zusätzliche Funktionalitäten an, wie Zeitstempeldienste, virtuelle Postfächer, Signatur- und Verschlüsselungsprüfung.
Elektronischer Rechtsverkehr mit den Gerichten
Mit dem Einsatz von Signaturkarten des Rechts- und Ordnungsamtes
(Amt 30) wurde der erste Schritt zur Nutzung der elektronischen Kom-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
munikation mit den Gerichten begonnen. Für den elektronischen
Rechtsverkehr des Amtes 30 wurde eine gesonderte E-Mail Adresse eingerichtet (gerichtspost@stadt.mainz.de). Auf diesem Weg werden alle
verschlüsselten und signierten elektronischen Posteingänge und -ausgänge mit den Gerichten abgewickelt. So ist das Amt 30 in der Lage,
z. B. dem Oberverwaltungsgericht komplette Gerichtsakten und sonstige
Vorgänge rechtssicher elektronisch zu übermitteln oder von dort zu
empfangen. Die Arbeitszeiten werden dadurch wesentlich verkürzt.
Digitales Bauantragsverfahren
Die Stadtverwaltung unterhält eine „digitale Bauakte“. Mit dem System
der Fa. ots und der Einbindung des elektronischen Bauantrags in Form
eines mit logischen Feldern bestückten und mit Schnittstellen programmierten Formulars können komplett digitale Bauanträge entgegengenommen und mit Hilfe der Signatur digitale rechtsgültige Baubescheide
erzeugt werden.
Vorteile des Systems:
Enorme Zeitersparnis und Effizienzsteigerung bei der Abwicklung
74
Durchlaufzeiten werden um 90% verkürzt und damit das Verfahren
enorm beschleunigt,
Baugenehmigungen werden schneller erteilt (= wirtschaftlicher
Standortvorteil),
Die hohe Auskunftsfähigkeit gewährleistet Bürgerfreundlichkeit (=
schnelle und parallele Zugriffszeiten),
Kostensenkung durch Ablösung von Papierarchiven,
Bauherr kann über Internet Bauantrag stellen,
Tag und Nacht kann der Verfahrensstand via Internet abgefragt werden.
Auch externe Fachstellen haben über Internet schnellen und kostengünstigen Zugriff auf das Baugenehmigungsverfahren,
Baukontrolleure haben mit ihrem Laptop Online-Zugriff via Internet.
Geo-Daten/Geo-Government
Die Stadtverwaltung besitzt umfangreiche geodätische Basisdaten; mittels der Intranet-Anwendung „Mapbender“ können diese Daten über
einen interaktiven Zugriff abgerufen werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Zur Verfügung stehen:
Altlastverdachtsflächen (spezieller Zugriff),
Altablagerungen (spezieller Zugriff),
Verdachtsflächen und -standorte (spezieller Zugriff),
Biotopkartierung,
Klimafunktionskarte,
Lärmbelastung,
Straßenverkehr Tag und Nacht,
Thermalbefliegung 1998,
Bebauungsplan,
Flächennutzungsplan 2000 u 2004,
Mobilfunkstandorte Intranet,
Stadtgrundkarte (Grundlagenkarte, Topografie, Kataster, Grundstücksflächen),
Bodenrichtwerte,
75
Bewohnerparken,
Parkscheinautomaten,
Parkhäuser, Tiefgaragen, Parkplätze,
Fahrradabstellplätze,
Abwasser (Haltungen, Hausanschlüsse, Schächte).
Auf die meisten Basisdaten können Bürger und Unternehmen via Intranet zugreifen, sodass lästige Behördengänge erspart werden (elektronische Dienstleistung).
Zu beachten bleibt: Ein erheblicher Teil der Bevölkerung verfügt (noch) nicht über
einen Internetzugang, daher müssen Anlaufstellen (Bürgerämter) möglichst ortsnah erhalten bleiben oder geschaffen werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
VII. Rolle der Mitarbeiter beim Bürokratieabbau
stärken
1.
Das Engagement der Mitarbeiter nutzen und fördern
Die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung haben in besonderem Maße
einen Überblick über unnötige Vorschriften und bürokratische Hemmnisse in
ihrem Bereich. Dieses Potenzial wird bislang zu wenig ausgeschöpft. Hier
sollten verstärkt Wege geöffnet werden, diese praktischen Erfahrungen bei
der Umsetzung und der Anwendung von Gesetzen zu nutzen: Es geht um die
Förderung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung, um die Bereitschaft,
Ermessen auszuüben und dafür Verantwortung zu übernehmen, andererseits aber auch um dazu passende Anreizsysteme.
Das Engagement der Mitarbeiter muss durch ein modernes Personalmanagement genutzt und gefördert werden. Dies setzt eine intensive Einbeziehung der Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse voraus.
76
Eine gute Möglichkeit Verantwortung, Vertrauen und Identifikation mit der
eigenen Verwaltung zu erreichen ist das strukturierte Mitarbeitergespräch,
bei dem losgelöst von der Alltagssituation systematische und strategische
Aspekte des Führens und der Personalentwicklung im Vordergrund stehen.
Entsprechende Zielvereinbarungen sichern dabei weitergehende Handlungsspielräume der Mitarbeitern und verdrängen zunehmend Einzeleingriffe in
der Sachbearbeitung.
Selbstständigkeit und Teamarbeit müssen durch Delegation von Verantwortung gefördert, Wissensmanagement muss aufgebaut, mehr Arbeitszeitsouveränität durch flexible Arbeitszeitsysteme muss eingeräumt, leistungsgerechte Förderung und Bezahlung müssen angestrebt werden.
Interne, die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hemmende und oftmals
nicht durchschaubare Aufsichts- und Überwachungsmechanismen müssen
abgebaut werden. Unnötige Kompetenzbeschränkungen und widersprüchliche
Weisungen, die die Mitarbeiter als Gängelung empfinden, müssen beseitigt,
Verfahrens- und Organisationsvorschriften müssen abgebaut bzw. angepasst
werden.
Beispiel:
Die Verwaltungsvorschriften müssen klare Hinweise dahin enthalten, dass
sie lediglich Teilaspekte für Ermessensausübungen und keine abschließend
verbindlichen Regelungen beinhalten.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Die Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter der Verwaltung müssen möglichst weit gefasst werden, um deren Entscheidungsfreiheit und Verantwortungsbereitschaft zu stärken. Haushaltstitel müssen entsprechend globalisiert
werden.
Beispiel:
Umfassendere Bestimmung der Haushaltstitel, Einführung weitergehender
Deckungskreise, weitflächigere Deckungsvermerke.
Die öffentliche Verwaltung ist im Wesentlichen durch Zielvorgaben und Zielvereinbarungen sowie durch Sicherstellung der entsprechenden Ressourcen zu
steuern.
Entscheidungszuständigkeiten in Haushalts- und Fachfragen müssen dezentralisiert werden.
Reste von Haushaltsmitteln zum Jahresende bei Investitionsmitteln sowie
investitionsähnlichen Mitteln (Leasingkosten, Kosten für Aus- und Fortbildung)
müssen automatisch übertragen werden.
Bisher in den waagerechten und senkrechten Hierarchieebenen übliche Mitzeichnungsleisten bei schriftlichen Entscheidungsfindungen sollen möglichst
durch mündliche Entscheidungsdiskussionen in fachbezogen gebildeten ad
hoc-Arbeitsgruppen ersetzt werden.
Die Aus- und Fortbildung aller Mitarbeiter muss quantitativ und qualitativ
deutlich verbessert und gefördert werden. Vor allem das eigenverantwortliche
Handeln der Mitarbeiter muss gestärkt werden; die Fähigkeit, neue Aufgaben
innovativ anzugehen, muss umfassend trainiert werden.
Beispiel:
Verstärkte Unterrichtung in Fächern mit starker technischer und wirtschaftlicher Entwicklung.
Die Flexibilität der Mitarbeiter beim Einsatz auf verschiedenen Dienstposten
im Rahmen der allgemeinen Personalbewirtschaftung muss gefördert, sie
müssen entsprechend ihrer Qualifikation gezielt eingesetzt werden.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
77
Beispiel:
Einführung von flächendeckenden Personalgesprächen mit Stärken-/Schwächenanalyse sowie Einbeziehung der persönlichen Lebensplanung der
betroffenen Mitarbeiter.
Gemeinsame Festlegung von Fortbildungsplanungen.
Bei den leitenden Mitarbeitern der Verwaltung muss auf die Übernahme
umfassender Verantwortung hingewirkt, die selbstständige Rolle der Verwaltung als Exekutive im Gewaltenteilungsprinzip muss betont werden. Die Stellung der leitenden Mitarbeiter muss in den jeweiligen Behörden deutlich
gestärkt werden. Wer führt, trägt besondere Verantwortung und hat Entscheidungsmacht. Das Führungspersonal muss das Leitbild in der Verwaltung repräsentieren und vermitteln sowie die Werte authentisch und überzeugend leben.
Beispiel:
Fortbildung der leitenden Mitarbeiter in den Bereichen Personalführung,
Personalmotivation, Konfliktbewältigung.
Veränderungsprozesse initiieren und steuern.
78
Neue Herangehensweisen an neue Aufgabenstellungen entwickeln.
Es müssen zur insgesamt sparsameren Verwendung von Haushaltsmitteln
durch die Mitarbeiter Anreize geschaffen werden.
Beispiele:
Einrichtung von aufgabenbezogenen Mitarbeitergruppen zur dezentralen
Verwendung der Haushaltsmittel unter Nutzung von Benchmarkingverfahren.
Finanzierung von Investitionen für Informationstechnik, Fortbildung und
Ausstattung für Mitarbeitergruppen aus von ihnen erwirtschaften Einsparerfolgen.
Prämien für Mitarbeitergruppen aus von ihnen erwirtschafteten Einsparerfolgen.
Die Mitarbeiter sollten für Leistungsvergleiche mit anderen vergleichbaren Verwaltungen nach transparenten Messkriterien gewonnen werden.
Moderne, IT-gestützte Controllingverfahren müssen verstärkt eingeführt werden, um die Effektivität der zunehmend dezentral angelegten Entscheidungen
zur Ressourcenverwendung und fachlichen Gestaltung nachvollziehbar zu
Weniger Bürokratie und besseres Recht
machen und auf Verbesserungsmöglichkeiten hin auswerten zu können. Insgesamt müssen die Möglichkeiten zu einer intensiveren Nutzung von IT dazu dienen, Verwaltungsabläufe von der Initiierung bis zum Abschluss medienbruchfrei elektronisch zu gestalten (s. auch Unterabschnitt „E-Government“, s. Kap.
C. VI. 6.). Daher muss moderne Informationstechnik verstärkt zur Onlinebearbeitung von Aufgaben genutzt werden.
Beispiel:
Online-Antragstellung bei Bauanzeige- und Baugenehmigungsverfahren.
Anschließende verwaltungsinterne sternförmige Onlinebearbeitung der
Anträge, insbesondere unter Einbeziehung und Verwendung von digitalisierten Katasterunterlagen und digital gesteuerten Umweltkarten.
2.
Stärkere Ergebnisverantwortung vor Ort verwirklichen
Die gesetzliche Regelungshäufigkeit und Regelungsdichte belasten auch in besonderer Weise die Kommunen; sie sollten zurückgeführt werden. Gesetzesausformende Normen und Standards verengen nicht nur den kommunalen Gestaltungsspielraum und die vor Ort wahrzunehmende Verantwortung, sondern beeinträchtigen
auch die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung.
Es ist daher eine Daueraufgabe, Normen auf ihre unabweisbare Notwendigkeit,
Regelungsdichte und Vollzugsfähigkeit zu überprüfen.
Städte, Kreise und Gemeinden müssen grundsätzlich selbst über die Art und Weise
und die Intensität der von ihnen auszuführenden Aufgaben entscheiden. Bund und
Länder müssen dabei Unterschiede in der Wertung und Wahrnehmung von Aufgaben und damit ein gewisses Leistungsgefälle als Ausdruck des Ziels der Herstellung
gleichwertiger, nicht aber einheitlicher Lebensverhältnisse respektieren. Auf diese
Weise können sowohl die Eigenverantwortung der kommunalen Selbstverwaltung,
ihre politisch-demokratische Funktion und Integrationskraft gestärkt als auch die
Diskrepanz zwischen derzeit zu hohem öffentlichen Aufgabenwahrnehmungsniveau und den dauerhaft ausschöpfbaren öffentlichen Einnahmen vermindert werden.
Eine weitere Reduzierung von Bürokratie lässt sich dadurch erreichen, dass die
Zuständigkeiten von staatlichen Behörden, insbesondere von Sonderbehörden auf
die unmittelbare kommunale Ebene übertragen werden. Dies gilt insbesondere für
den Bereich der Bauaufsicht, der Gewerbeaufsicht und des Gaststättengewerbes,
teilweise auch für Fragen des Umweltrechts. Durch eine solche Dezentralisierung
von Zuständigkeiten aus staatlichen Behörden auf die unmittelbare kommunale
Ebene und die Bündelung dieser Zuständigkeiten mit der bereits aufgezeigten Kon-
Weniger Bürokratie und besseres Recht
79
zentration von Zuständigkeiten zwischen den Kommunen auf eine einzige Kommune lassen sich erhebliche Vereinfachungen in der Arbeit für die zuständigen Mitarbeiter der Verwaltung erreichen. Vor allem haben Unternehmen und Bürger bei
Antragsverfahren im Regelfall nur mit einem Ansprechpartner bzw. nur noch mit
sehr wenigen Ansprechpartnern im Einzelnen zu tun.
Nach – zum Teil bereits wiederholter – Durchführung kommunaler Gebietsreformen in allen Bundesländern sind dezentral wahrnehmbare öffentliche Aufgaben
grundsätzlich der kommunalen Ebene und nicht staatlichen Sonderbehörden zuzuweisen.
Auf die Errichtung neuer Sonderbehörden mit eigenem Verwaltungsunterbau sollte
grundsätzlich verzichtet werden. Vorhandene Sonderbehörden sollten möglichst in
die Stadt- und Kreisverwaltungen eingegliedert werden, weil auf diese Weise eine
schnelle, effiziente, mit anderen öffentlichen Aufgaben und Belangen austarierte
Aufgabenerledigung gefördert werden kann. Eine Bündelung von Aufgaben insbesondere auf der Ebene der kreisfreien Städte und Landkreise ordnet Zuständigkeiten für Bürger und Unternehmen klar und nachvollziehbar zu und schafft Transparenz und Verantwortlichkeit. Planungs-, Entscheidungs-, Vollzugs- und Kontrollkompetenzen können so zusammengeführt werden, was zu effizient ausgestalteten Verfahrens- und Entscheidungsabläufen führt.
80
Staatliche Aufgabenübertragungen ermöglichen eine Stärkung und Verknüpfung
der ohnehin bestehenden Schwerpunkte der kommunalen Aufgabenwahrnehmung.
Dies betrifft beispielsweise die Sozialverwaltung, die die Betreuung älterer Menschen, die Eingliederungshilfe für Behinderte sowie Hilfen für Langzeitarbeitslose
umfasst.
Die Kommunen können verstärkt durch Aufgabenübertragungen seitens des Staates die notwendige Mitte zwischen Bürgernähe einerseits und unverzichtbarer
fachlicher Spezialisierung andererseits gewährleisten. Gleiches gilt für den Bereich
der Kinder- und Jugendhilfe oder für das Gesundheitswesen. Auch im Bereich von
Bildung und Schule können bestehende Doppelzuständigkeiten zwischen staatlichen und kommunalen Einrichtungen durch Ausbau der kommunalen Verantwortung aufgelöst werden.
Die Kommunalisierung von Aufgaben setzt
bei den Kommunen die Bereitschaft zu größerer Verantwortungsübernahme
und
auf Staatsebene den Willen zur Verantwortungsübertragung
voraus.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Bedingung für solche Aufgabenübertragungen ist ein rechtlich verbindlicher – pauschalierbarer – Belastungsausgleich für die übertragenen Aufgaben. Um den
Grundsätzen der Ausgabenveranlassung und -verantwortung im Bundesstaat wieder Geltung zu verleihen und eine Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung
zu verhindern, muss bei der Aufgabenfinanzierung das Prinzip gelten, dass die Ebene, die öffentliche Ausgaben veranlasst, die für die Aufgabenfinanzierung notwendigen Ausgaben dann zu tragen hat, wenn sie der ausführenden Behörde Aufgabenumfang und Aufgabenerfüllungsstandards vorschreibt und ihr keine nennenswerten Ermessensspielräume einräumt. Durch das Zusammenführen von Aufgabenveranlassung und Kostenlast werden die Transparenz der Finanzwirtschaft, die
Ebenenverantwortung im Bundesstaat und die Prinzipien der Folgenverantwortung
und Folgenfühlbarkeit gestärkt. Auf diese Weise wird wegen der eintretenden Folgenverantwortung die Aufgabenkritik auf jeder Ebene systemimmanent.
Die landesverfassungsrechtlich in den letzten Jahren eingeräumten Ansprüche auf
Mehrbelastungsausgleich für übertragene Aufgaben bilden hierfür eine gesicherte
Basis. Wichtig ist dabei, dass es nicht zu starren Kostenerstattungsregelungen, sondern zu auf Indikatoren basierenden Pauschalierungen kommt, damit nicht Ausgabewilligkeit und Ineffizienz vor Ort belohnt werden.
Fazit:
Die Kommunen sind die Kristallisationspunkte von aktiver Bürgergesellschaft und
lebendiger Demokratie, in denen die neue Verantwortungsteilung zwischen Politik,
Verwaltung und Bürgern konkret werden kann.
Ergänzend ein Zitat aus einem Papier der Stadt Düsseldorf:
„Nicht mehr die ,bequeme‘ Sicht überschaubarer Zuständigkeitsmodelle, der
Instanzen und Strukturen ist gefragt, sondern die Bereitschaft, für mehr Selbstverwaltung und Selbstorganisation vor Ort ,oben‘ Selbstbeschränkung zu üben, mehr
Türen ,unten‘ aufzumachen und gezielt Hemmnisse zu beseitigen.“
3.
Aus- und Fortbildung intensivieren
Eine quantitative und vor allem eine qualitative Steigerung der Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit dem Ziel, das Grundlagenwissen
zu erneuern und die Kenntnisse in den Fachbereichen fortzuschreiben, ist dringlich.
Insbesondere in den Bereichen Steuerrecht, Informations- und Kommunikationstechnik ist ohne eine regelmäßige Weiterbildung in kurzer Zeit eine sachgerechte
Aufgabenerfüllung nicht zu erwarten. Außerdem muss es das Ziel der Fortbildungsmaßnahmen sein, die Verantwortungs- und Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter zu erweitern. Lebenslanges Lernen muss ein wesentlicher Faktor künftiger
Leitbilder werden. Das „Lernen vom Besten“ und „der Blick über den Zaun“ sind zu
intensivieren.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
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Stattdessen ist festzustellen, dass der ohnehin karge Haushaltstitel „Fortbildung“
bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) von 4, 380 Mio. EURO
um 900 000 EURO in 2006 gesenkt wurde. Für das Haushaltsjahr 2007 ist keine
Erhöhung vorgesehen.
VIII. Judikative Verwaltungskontrolle straffen
1.
82
Der exekutiven Eigenständigkeit nachdrücklicher Rechnung tragen
Bei den Schwierigkeiten, zeitnah effektive Ergebnisse der Behördenarbeit zu liefern,
spielt auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Rolle. Zwar ist sie nicht – wie plakativ mitunter gesagt wird – der entscheidende oder eigentliche Verursacher bürokratischer Erschwernisse, aber sie gehört unzweifelhaft in den „diabolischen Kreislauf“ der Hemmnisse und Verzögerungen mit hinein: Der Gesetzgeber erlässt
unklare oder komplizierte Regeln, die Verwaltung wendet diese umständlich und
inkonsistent an, der betroffene Bürger will auf jeden Fall seine Rechtsschutzmöglichkeiten ausreizen, und die entsprechend ins Spiel gebrachte Rechtsprechung
setzt ihren Kontrollmaßstab dann im Blick auf die Rechtsschutzgarantie intensiv
an; und so dreht sich der Schuldzuweisungszirkel weiter. Dabei kann und muss die
Rechtsprechung immerhin auf Art. 19 Abs. 4 GG verweisen, der jedem durch die
Verwaltung (vermeintlich) Rechtsbeeinträchtigten effektiven Rechtschutz garantiert. Über die anzuwendende Kontrolldichte und die Ausfächerung des gerichtlichen Verfahrens besagt das aber noch nichts.
Der verwaltungsrichterlichen Spruchtätigkeit ist dabei offenbar die Gefahr immanent, dass sie wegen der strengen Beachtung der Verpflichtung zur Rechtsschutzgarantie das Gewaltenteilungsprinzip zu gering gewichtet. Die Funktionsgrenzen
der Rechtsprechung sind nicht nur in Bezug auf die eigentliche Ermessensprüfung
zu sehen; sie verlangen vielmehr schon dort Beachtung, wo es um die Frage der
Letztverbindlichkeit der Interpretation und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf einen Sachverhalt geht. Beispiele für Einschätzungsprärogativen der Verwaltung (mit der Folge einer reduzierten gerichtlichen Kontrolldichte) sind etwa
Prüfungsentscheidungen, dienstliche Beurteilungen, Entscheidungen durch unabhängige Sachverständige und Ausschüsse sowie unabhängige Prognosen bei Planungsentscheidungen. Die Besinnung auf die Funktionsgrenzen sollte aber für die
Verwaltung unter anderem auch bedeuten, dass sie von der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht (wie es oft geschieht) originäre Handlungsmuster erwartet und im
Vertrauen hierauf notwendiges eigenes Handeln unterlässt oder unangemessen
zurückstellt.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Vielfach wird gefordert, zur Verkürzung eingelegter Rechtsbehelfsverfahren das
Widerspruchserfordernis abzuschaffen oder zu begrenzen. Diese Forderung wurde
in einzelnen Bundesländer (z. B. Bayern) bereits umgesetzt. Dabei ist allerdings
jeder Rigorismus fehl am Platze. Das Widerspruchsverfahren kann durchaus Befriedungs- und Entlastungsfunktion haben. Dennoch muss nach effizienzsteigernden
gesetzlichen und administrativen Möglichkeiten gesucht werden, diese Wirkung
stärker zur Geltung zu bringen, ohne den Verwaltungsaufwand darüber unnötig zu
vermehren. Soweit eine Optimierungsstrategie letztlich nicht doch einen (partiellen) Verzicht auf das Widerspruchsverfahren nahe legt, müssen die Überlegungen
vor allem darauf gerichtet sein, die Zuständigkeit für die Entscheidung über den
Widerspruch dort anzusiedeln, wo dies in Würdigung der bereichsspezifischen
Besonderheiten jeweils angeraten erscheint. Auch eine Zuständigkeit der Erstbehörde kann sich je nach Sachgebiet als vorzugswürdig erweisen.
Zur Eindämmung gerichtlicher Nachprüfung könnte auch etwa der Suspensiveffekt
(=aufschiebende Wirkung) von Rechtsbehelfen (vgl. §§ 80, 80a, VwGO), dessen Herbeiführung häufig der einzige Grund für Klageerhebungen ist, überprüft werden.
Die Notwendigkeit eines Suspensiveffektes für Rechtsbehelfe gegen belastende
Verwaltungsakte wird man grundsätzlich akzeptieren müssen. Die Anforderungen
an einen gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dürfen aber nicht
überspannt werden, und behördliche Vollziehungsanordnungen müssen je nach
Fallgestaltung einfacher möglich sein.
2.
Verwaltungsgerichtsbarkeit effektivieren
Die Problematik der Verkürzung des Verwaltungsrechtsweges – sei es durch generelle Reduzierung der Gerichtsstufen auf nur je eine Tatsachen- und eine Rechtsinstanz, sei es durch neuerliche Erweiterung der Kataloge erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Bundesverwaltungsgerichts und/oder der Oberverwaltungsgerichte /
Verwaltungsgerichtshöfe – zu erörtern, gehört nicht zur zentralen Aufgabenstellung dieser Untersuchung.
Auf zwei Aspekte ist in diesem Rahmen jedoch aufmerksam zu machen: Zum einen
können Verwirklichungsdefizite ihre Ursache schon im politischen Raum haben,
wenn es nämlich am Durchsetzungswillen bzw. an einer „Rückendeckung“ bei der
Umsetzung richterlich „abgesegneter“ Vorhaben mangelt. Die Verschleppungsursache liegt dann also nicht bei den Gerichten. Zum anderen sind Verzögerungen bei
der Durchführung planungsrechtlicher Vorhaben nicht selten auf die extensive
Ausübung von Verbandsklagebefugnissen und auf eine überbordende Ausdehnung
des Kreises subjektiv-öffentlicher Rechte zurückzuführen. Beide Faktoren für die
Prozessführungsberechtigung sind auf den Prüfstand zu stellen. Hier wäre jedenfalls eine gewisse Reduzierung anzuraten.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
83
Schließlich gehört auch die Frage der institutionellen Reform der Gerichtsbarkeit
für öffentliche Streitgegenstände nicht zum unmittelbaren Untersuchungsauftrag
dieses Berichts. Wenn eine – auch partielle – Zusammenführung der Finanzgerichtsbarkeit und/oder Sozialgerichtsbarkeit mit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angestrebt oder erreicht werden sollte, sind aber jedenfalls die
Anstrengungen weiterzuführen, eine einheitliche Prozessordnung zustande zu
bringen.
Eine derartige einheitliche Prozessordnung könnte die Verwaltung vornehmlich bei
der Erteilung zutreffender Rechtsauskünfte und bei der Erstellung fehlerfreier
Rechtsbehelfsbelehrungen wie auch bei der Führung von Rechtsstreitigkeiten entlasten. Dies betrifft etwa die Beachtung verfahrensrechtlicher Erfordernisse, zum
Beispiel der Einhaltung von Fristen. Verweisungsfälle ließen sich leichter handhaben; die Streitverfahren könnten einfacher und risikofreier fortgesetzt und auch im
übrigen – nicht zuletzt im Interesse der Verwaltung – prozessual weniger kompliziert und sicherer abgewickelt werden.
Dadurch würden manche Vereinfachungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten
genutzt, weil in Verweisungsfällen die Verfahren unproblematischer fortgesetzt
werden könnten und Beteiligte wie Richter sicherer mit den spezifischen Prozessinstrumenten umgehen würden.
84
Weniger Bürokratie und besseres Recht
85
Weniger Bürokratie und besseres Recht
D. Ergebnisse – Zusammenfassung
und Forderungen
Signale und Mechanismen zur Reduzierung wachsender Bürokratie
Eine Analyse des facettenreichen Begriffs „Entbürokratisierung“ zeigt, dass er von
Politik, Unternehmen und Gesellschaft unterschiedlich verstanden und inhaltlich
wesentlich von den spezifischen Interessen von Unternehmen, Gesellschaft und
Bürgern geprägt wird.
Grundsätzlich gilt: Der Bestand allgemeingültiger Regeln ist Kern des Demokratieund Rechtsstaatsgebotes; förmliche Verfahren und vorgegebene Zuständigkeiten
sind zwingende Voraussetzungen für Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Transparenz staatlicher Entscheidungen.
Für die durchaus zu spürende Unbeweglichkeit und teilweise Ineffizienz von Staat,
Unternehmen und Gesellschaft wird häufig die (vermeintlich) ungebremst
wuchernde Bürokratie verantwortlich gemacht, die alle Erneuerungsprozesse ersticke. Als weitere negative Konsequenzen von Überregulierung und Bürokratie werden Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft, Abgabenbelastung sowie die Dauer von
Planungs- und Genehmigungsverfahren genannt.
Gemeinhin wird die Forderung nach weniger Bürokratie und bürokratischem Denken als Patentrezept zur Lösung gesellschaftlicher und ökonomischer Probleme
angesehen.
Hinter der Forderung, die öffentliche Verwaltung zu verschlanken, Unternehmen
von bürokratischen Rechtsfesseln zu befreien und Bürger belastende Rechtsvorschriften ersatzlos aufzuheben, steht nicht selten die Absicht, auch materielle
Standards beispielsweise in den Bereichen Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz
und Umweltschutz zu reduzieren.
Hier sind aber Regelungstiefe und bürokratischer Aufwand in der Regel zwingende
Folge der Entscheidungen von Bund, Ländern und der Europäischen Union.
Mit diesen politischen Fragen setzen sich die hier vorgelegten Vorschläge zur Reduzierung wachsender Bürokratie nicht auseinander. Vielmehr bieten sie konkrete
Maßnahmen zum Bürokratieabbau jenseits politischer Grundentscheidungen an.
Vor allem muss in Deutschland wieder das Bewusstsein geweckt werden, dass
nicht nur Staat und öffentliche Verwaltung, sondern auch Gesellschaft, Bürger und
Unternehmen in vielfacher Weise sowohl „Opfer“ als auch „Täter“ einer stetig
wachsenden Bürokratie sind:
Weniger Bürokratie und besseres Recht
87
Wer vom Staat und seinen Organen reglementierende Eingriffe in die Beziehungen gesellschaftlicher Gruppen und Interessen verlangt, verursacht damit
zwangsläufig Gesetzesregelungen, Verfahrensvorgaben und gerichtliche Überprüfung, z. B. im Arbeitsrecht, im Sozialrecht, beim Datenschutz und im
Gesundheitswesen.
Wer im (wirtschaftlichen) Geschäftsverkehr verlangt, technische Abläufe und
die Qualität von Produkten allgemeingültig zu bestimmen, provoziert notwendigerweise Bürokratie und Kontrolle, z. B. durch DIN-Normen, Einbindung der
Berufsgenossenschaften oder durch Verbraucherschutzmaßnahmen.
Wer verlangt, dass sogar individuelle Restrisiken von der Allgemeinheit zu tragen sind, ruft ebenfalls nach zusätzlichen Regulierungen, die vielfältige Verwaltungsverfahren und eine Einengung bürgerlicher Freiheiten nach sich ziehen, z. B. in Form zunehmend verschachtelter steuerrechtlicher Ausnahmetatbestände zur Härtefallbegrenzung, in der Komplexität sozialrechtlicher
Bestimmungen oder in komplizierten Regelungen zum familienrechtlichen Versorgungsausgleich.
Ein Verzicht auf zusätzliche Regulierungen und ein Abbau von Regelungsdichte
auf diesem Gebiet sollen nicht dazu führen, das Sozialstaatsprinzip einzuschränken oder soziale Standards abzubauen.
88
Wer jeden alltäglichen Streit letztendlich durch die Gerichte entscheiden lässt,
trägt dazu bei, generalisierende Regeln immer mehr durch Einzelfallgebote
und Einzelfallverbote zu ersetzen. Die teilweise überzogene Rechtsprechung zu
staatlichen Verkehrssicherungspflichten oder zur Interpretation des Gleichbehandlungsgebots dokumentiert diese Gefahr zur Überregulierung.
Wer Informations- und Berichtspflichten vorschreibt oder deren Einführung
verlangt, verursacht nicht nur – bisher unkalkulierte – Folgekosten, sondern
auch bürokratische Verfahren. Das gilt sowohl für Informationspflichten von
Bürgern und Unternehmen gegenüber staatlichen Stellen als auch innerhalb
der öffentlichen Verwaltung.
Wer beinahe jedes öffentlichkeitswirksame Schadensereignis, das Streben
nach Einzelfallgerechtigkeit und eine Vielzahl gerichtlicher Einzelentscheidungen zum Anlass nimmt, Veränderungen des geltenden Rechts zu verlangen,
verhindert eine rechtsgestaltende Auslegung und lässt das Recht erstarren.
Und dennoch sind dem Grunde nach nicht Regulierungen und bürokratische Verfahren das eigentliche Übel, sondern deren (normative und administrative) Überdosierung; denn materielle Rechtsvorschriften, Informationspflichten und festgelegte
Verfahren sind in gewissem Umfang unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaftsordnung in Deutschland, aber auch in der Europäischen Union,
von der unser Rechtssystem zunehmend stärker geprägt wird.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
In der Konsequenz bedeutet dies für das Eindämmen überschießender Regelungen
und überflüssiger Bürokratie sowie deren Kostenfolgen, dass die Politik die Ausgestaltung staatlicher Aufgaben und die Gesellschaft die Forderungen an den Staat
auf das notwendige Maß zurückführen. Ziel ist letztlich eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat, Gesellschaft, Bürgern und Unternehmen.
In vielen Fällen muss der Dienstleistungen anbietende Staat immer wieder prüfen,
wo er sich zum schlichten Gewährleistungsstaat wandeln sollte und wo verzichtbare Dienste nicht mehr angeboten werden sollen. Damit kann in stärkerem Maße
das bürgergesellschaftliche und eigenverantwortliche Handeln von Gesellschaft,
Bürgern und Unternehmen an seine Stelle treten.
Wenn also die einzelnen Menschen, Unternehmen und Gruppen nicht nur „Opfer“
der Bürokratie sind, sondern auch selbst für den steigenden Verwaltungsaufwand
Verantwortung tragen, sind sie verpflichtet, auch unmittelbar Einfluss auf bürokratische Fehlentwicklungen zu nehmen.
Die Signale und Mechanismen zum Abbau von Bürokratie müssen deshalb zielgenau an den jeweiligen Verursacher gerichtet sein:
89
1.
Signal an Staat und Politik
Den versorgenden Staat entlasten
Den Wandel vom allzuständigen Staat zum gewährleistenden Staat vorantreiben.
Beispiel:
Der Staat muss in weiteren Bereichen den Anspruch aufgeben, nicht nur die
Rahmenrichtlinien verbindlich vorzugeben, sondern auch die Aufgabe selbst
zu erfüllen (TÜV, Bahn, Post). Er muss nicht für jede staatlich reglementierte
Lebenssituation ein „Testat“ ausstellen. So prüft und bestätigt beispielsweise
der öffentlich bestellte Schornsteinfeger die Feststellungen des Heizungsbauers; der Statiker des Bauamts prüft die Ergebnisse eines diplomierten Statikers.
Bürger, Gesellschaft und Unternehmen vermehrt die bisher staatlich übernommenen und formulierten Risiken selber tragen, soziale Standards aber unberührt lassen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiele:
Bundesweites „schlankes“ Bauen mit bloßer Pflicht zur Anzeige von Bauvorhaben statt bis ins letzte Detail festgelegter Genehmigungsverfahren,
die ein Verwaltungsakt abschließt (wird bislang erst in einigen Ländern
umgesetzt);
Rückführung überzogener Verkehrssicherungspflichten.
Die engagierten Bürger fördern, nicht bevormunden.
Beispiele:
Privates Engagement nicht durch detaillierte Vorgaben einengen;
in Kindertagesstätten nicht die Standards für jedes Detail, z. B. Höhe der Kleiderhaken, vorgeben.
Die Politik zur gestaltungsoffenen Rechtsetzung drängen.
Beispiel:
90
Das neue Berliner Ladenöffnungsgesetz sieht eine großzügige Öffnung der
Läden auch an Sonntagen vor. Zugleich wird geregelt, dass weibliche
Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen auf Verlangen
von einer Beschäftigung nach 20 Uhr bzw. an verkaufsoffenen Sonn- und
Feiertagen freigestellt werden dürfen.
Die Verwirklichung des Arbeitnehmerschutzes könnte stattdessen ortsnah
durch betriebliche Vereinbarungen erreicht werden.
Die Exekutive gesetzlich zur strikten Rechtsbereinigung und zum Abbau überflüssiger Bürokratie verpflichten.
Die Länder zur Einrichtung unabhängiger Normenkontrollausschüsse anhalten.
2.
Signal an Gesellschaft und Bürger
Eigenverantwor tliches Handeln der Bürgergesellschaft stärken
Insbesondere im Hinblick auf die demografische Entwicklung mehr Mut zur
Eigeninitiative, Selbsthilfe, Selbstorganisation und Selbstverantwortung einfordern: Mehr Freiheitsräume für Bürgerinnen und Bürger bedingen weniger
Rechtsvorschriften, aber auch einen Zuwachs an Pflichten, die die Gesellschaft
Weniger Bürokratie und besseres Recht
allein, überwiegend oder mindestens ergänzend zur öffentlichen Verwaltung
wahrnehmen muss.
Beispiele:
Verstärkte Eigeninitiative und Selbsthilfe insbesondere in den Bereichen:
Alten- und Jugendfürsorge
Gesundheitswesen
Schulwesen.
Aber auch möglich: Übernahme und Unterhaltung öffentlicher Schwimmbäder durch Private.
Abstandnehmen von dem ausgeprägten Verlangen nach gesetzlichen Regelungen, mit denen Einzelfallgerechtigkeit angestrebt wird; stattdessen sind eine
neue Verantwortungsteilung sowie weniger und einfachere Vorschriften notwendig. Deshalb sind Generalisierungen in einem gewissen Umfang hinzunehmen.
91
Beispiel:
Statt detaillierter Regelungen, z. B. im Umzugs- und Reisekostenrecht, Entscheidungen nach allgemeiner Erfahrung auf der Grundlage von Mindeststandards und mit geeigneten Pauschalierungen (vergleiche Regelsätze der
sozialen Grundsicherung).
3.
Signal an Unternehmen
Den Staat durch freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen entlasten
Verstärkte Bereitschaft von Unternehmen, ihre Konflikte durch privatrechtliche
Vereinbarungen selbst zu lösen, d. h. Interessenausgleichsverfahren mittels
Absprachen statt gesetzlich verbindlicher Vorgaben fördern.
Beispiele:
Festlegung von Untersuchungsumfang, -methode und Detaillierungsgrad
in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren (Begleitung und Unterstützung von Antragstellern, sog. Scoping-Verfahren);
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Außergerichtliches Interessenausgleichsverfahren für die Abwicklung
schwieriger und langwieriger Verfahren (Mediation; z. B. Tagebau Garzweiler oder Flughafen Frankfurt/M.);
Verfahrensbegleitende Absprachen (z. B. Feinstaubminderung in
Anlagen);
Vereinbarung von Unternehmen mit der Bundesregierung zur Altautoentsorgung; Einsatz von Recyclingbaustoffen im Straßenbau etc. (sog.
Branchenabkommen.
Verstärkte Einbindung von Unternehmen auf Grund freiwilliger Vereinbarungen statt gesetzlich verbindlicher Vorgaben
Beispiele:
Selbstverpflichtung von Arbeitgebern, Ausbildungsplätze durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bereitzustellen statt
durch gesetzliche Vorgaben verpflichtet zu werden (Ausbildungspakt);
92
Richtlinie für die Werbung auf dem deutschen Zigarettenmarkt; freiwillige Selbstkontrolle der Automatenwirtschaft.
Ökologische und soziale Standards durch Unternehmen auf freiwilliger Basis
statt nach gesetzlicher Vorschrift erfüllen.
Beispiele:
Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, die CO2-Emissionen bis zum
Jahr 2005 um 20% zu senken;
Einsetzen steuerlicher Anreize zu Emissionsminderungen statt konkreter
technischer Vorgaben wie bei Kfz-Katalysatoren.
Beteiligung Privater an öffentlichen Aufgaben nach Maßgabe klarer Vereinbarungen ausweiten: Öffentlich Private Partnerschaften sind dazu ein geeignetes
Mittel.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiele:
Öffentliche Infrastruktur:
Straßenbauwesen
öffentliche Gebäude
Kulturbereich (z. B. Festivals, Museen).
Die Privatisierung einzelner öffentlicher Aufgaben durchführen, wenn erkennbar und nachweisbar ist, dass bestimmte öffentliche Aufgaben durch Private
auf Dauer besser und kostengünstiger erledigt werden können.
Beispiele:
Energie
Krankenhauswesen
Personen- und Güterverkehr
Öffentliche Grünpflege
93
Immobilienverwaltung.
Das Rechtsinstitut der Betrauung Privater mit Befugnissen öffentlich-rechtlicher Aufgabenwahrnehmung (= Beleihung) stärker nutzen.
Beispiele:
Dort, wo es um Gefahrenabwehr geht, aber die technische Ausführung
Schwerpunkt der Tätigkeit ist, ist es sinnvoll, Privatunternehmen einzusetzen, die mit öffentlichen Entscheidungsbefugnissen betraut sind (z. B. private Dienste zur Fluggastkontrolle auf Flughäfen);
Kraftfahrzeugüberwachung durch den TÜV;
Statik- und Brandschutzprüfung bei Hochbauten;
Gesundheitsvorsorge;
Beleihung eines Privatunternehmens mit der Überwachung der Abfallentsorgung.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
4.
Signal insbesondere an die Verwaltung
Bürokratiekosten reduzieren
Durch Verzicht auf unnötige oder überzogene Reglementierungen oder Administration Bürokratiekosten vermeiden.
Beispiel:
Mit Pauschalabrechnung von Zuschüssen Kosten einsparen und damit Aufgaben effizienter und wirtschaftlicher erledigen (z. B. Landesunterstützung
für kommunale Kindertagesstätten).
Das eingeführte Standard-Kostenmodell beschleunigt fortschreiben; dabei
sind nicht nur die von staatlichen Stellen verlangten Informationspflichten,
sondern generell – mit dem Ziel der Kostensenkung – überbordende Bürokratie
und überzogene Rechtsvorschriften zu erfassen, die Bürger, Unternehmen und
öffentliche Verwaltung unverhältnismäßig belasten.
94
Für Bund und Länder allgemeingültige Kriterien entwickeln, anhand derer für
die Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe einheitliche Bemessungen für
die Erforderlichkeit der Aufgabe sowie für die Kosten der jeweiligen Aufgabenerledigung bundeseinheitlich möglich werden.
Beispiel:
Bundeseinheitliche Festlegung von Produktkostenziffern für die einzelnen
kommunalen und staatlichen Verwaltungsleistungen unter gleichzeitiger
Einführung entsprechender Informationstechnik.
Die Informationspflichten von Unternehmen und Bürgern gegenüber staatlichen Stellen sowie zwischen den öffentlichen Dienststellen vollständig erfassen, auf ihre Notwendigkeit (Häufigkeit, Ausführlichkeit) überprüfen, die durch
die Informationspflicht entstehenden Kosten berechnen und die Zahl der
Berichte auf den zwingend erforderlichen Umfang beschränken.
Beispiel:
Verzicht auf oder Vereinfachung der Beteiligungsberichte der Kommunen
und des Staates, soweit sich diese auf Gesellschaften beziehen, welche in privatrechtlicher Rechtsform organisiert sind (GmbH, Aktiengesellschaft). Die
Weniger Bürokratie und besseres Recht
entsprechenden Informationen und Daten können den ohnehin bei den
Registergerichten von diesen Gesellschaften einzureichenden Bilanzen und
Berichten entnommen werden.
Das Handbuch des Statistischen Bundesamtes in der Weise ausbauen, dass aus
ihm anhand bundeseinheitlicher Messkriterien die Ermittlungs- und Reduzierungsmöglichkeiten von Bürokratielasten verstärkt zum Ausdruck gelangen.
5.
Signal an die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst
Verwaltungsmodernisierung stärker vorantreiben, insbesondere das
Engagement der Mitarbeiter nutzen und fördern
Interne, die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hemmende und oftmals
nicht durchschaubare Aufsichts- und Überwachungsmechanismen abbauen;
unnötige Kompetenzbeschränkungen und widersprüchliche Weisungen, welche die Mitarbeiter als Gängelung empfinden, beseitigen; Verfahrens- und
Organisationsvorschriften abbauen bzw. anpassen.
95
Beispiel:
Klare Hinweise in den Verwaltungsvorschriften, dass diese lediglich Teilaspekte für Ermessensausübungen und keine abschließend verbindlichen Regelungen beinhalten.
Die Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter der Verwaltung möglichst weit
fassen, um die Entscheidungsfreiheit und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter zu stärken. Haushaltstitel globalisieren.
Beispiel:
Umfassendere Bestimmung der Haushaltstitel, Einführung weitergehender
Deckungskreise, weitflächigere Deckungsvermerke.
Bisher in den waagerechten und senkrechten Hierarchieebenen übliche Mitzeichnungsleisten bei schriftlichen Entscheidungsfindungen ersetzen durch
mündliche Entscheidungsdiskussionen in fachbezogen gebildeten Ad-hocArbeitsgruppen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Die Aus- und Fortbildung aller Mitarbeiter quantitativ und qualitativ deutlich
fördern, dabei vor allem das eigenverantwortliche Handeln der Mitarbeiter
stärken sowie die Fähigkeit der Mitarbeiter, neue Aufgaben innovativ anzugehen, umfassender schulen.
Beispiele:
Verstärkte Unterrichtung in Fächern mit starker technischer und wirtschaftlicher Entwicklung.
Austausch von Mitarbeitern der Verwaltung mit solchen der freien Wirtschaft.
Einrichtung von Kommunikationskreisen für Vertreter der Verwaltung mit
Mitarbeitern der Wirtschaft und der Wissenschaft.
Die Flexibilität der Mitarbeiter beim Einsatz auf verschiedenen Dienstposten
im Rahmen der allgemeinen Personalpolitik fördern.
96
Beispiel:
Einführung von flächendeckenden Personalgesprächen mit Stärken-/Schwächenanalyse sowie Einbeziehung der persönlichen Lebensplanung der
betroffenen Mitarbeiter, ferner gemeinsame Festlegung von Fortbildungsplanungen.
Bei den leitenden Mitarbeitern der Verwaltung auf die Übernahme umfassenderer Verantwortung sowie auf das Wiederbewusstwerden der Rolle der Verwaltung im Gewaltenteilungsprinzip hinwirken.
Beispiel:
Fortbildung der leitenden Mitarbeiter in den Bereichen Personalführung,
Personalmotivation, Konfliktbewältigung sowie bei der Planung und Gestaltung von Veränderungsprozessen.
Mitarbeiter der Verwaltung entsprechend ihrer Qualifikation gezielt einsetzen.
Anreize zur insgesamt sparsameren Verwendung von Haushaltsmitteln durch
die Mitarbeiter schaffen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiele:
Einrichtung von aufgabenbezogenen Mitarbeitergruppen zur dezentralen
Verwendung der Haushaltsmittel unter Nutzung von Benchmarkingverfahren.
Finanzierung von Investitionen für Informationstechnik, Fortbildung und
Ausstattung für Mitarbeitergruppen aus von ihnen erwirtschafteten Einsparerfolgen.
Prämien für Mitarbeitergruppen aus von ihnen erwirtschaften Einsparerfolgen.
Die öffentliche Verwaltung im Wesentlichen durch Zielvorgaben und Zielvereinbarungen sowie durch Sicherstellung der entsprechenden Ressourcen steuern.
Beispiele:
Kontrolle von Jahreszielen;
Quartalsweise Besprechungen zur Kontrolle und Veränderung der
Zielabsprachen.
Entscheidungszuständigkeiten in Haushalts- und Fachfragen dezentralisieren.
Beispiel:
Automatische Übertragbarkeit der Reste von Haushaltsmitteln zum Jahresende bei Investitionsmitteln sowie investitionsähnlichen Mitteln (Leasingkosten, Kosten für Aus- und Fortbildung).
Moderne, IT-gestützte Controllingverfahren einführen, um die Effektivität der
verstärkt dezentral angelegten Entscheidungen zur Ressourcenverwendung
und fachlichen Gestaltung nachvollziehbar zu machen und auf Verbesserungsmöglichkeiten hin auswerten zu können.
Moderne Informationstechnik verstärkt zur Onlinebearbeitung von Aufgaben
nutzen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
97
Beispiel:
Online-Antragstellungen bei Bauanzeige- und Baugenehmigungsverfahren.
Anschließende verwaltungsinterne, sternförmige Onlinebearbeitung der
Anträge, insbesondere unter Einbeziehung und Verwendung von digitalisierten Katasterunterlagen und digital gesteuerten Umweltkarten.
6.
Signal an Politik und Justiz
Die Verschiebung von Verantwortung und Verzögerungseffekte durch die Verwaltungsrechtsprechung verringern
Das Bewusstsein der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die eigenständige Rolle
der Verantwortungsebene Verwaltung wachhalten.
Beispiele:
98
Verstärkte Selbstbeschränkung der gerichtlichen Kontrollbefugnisse, vornehmlich bei der richterlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen,
von dienstlichen Beurteilungen, von Entscheidungen durch unabhängige
Sachverständige und Ausschüsse sowie von Prognosen bei Planungs- und
Risikoentscheidungen (Stichworte: gerichtsfreier Bewertungsspielraum
des Prüfers; Beurteilungsermächtigung des Dienstherrn);
Freiräume für spezifisch künstlerische, moralisch-ethische oder pädagogische Wertungen;
„Einschätzungsvorrechte“ der Verwaltung.
Verwaltungsgerichtliche Fachgerichtsbarkeiten (Verwaltungs-, Sozial- und
Finanzgerichtsbarkeit) möglichst zusammenführen, eine einheitliche Verwaltungsprozessordnung schaffen.
Die Verbandsklagebefugnisse zurückfahren; den Kreis subjektiv-öffentlicher
Rechte (Klagebefugnisse) nicht ausweiten, sondern im Gegenteil bei der künftigen Fortschreibung einschlägiger Vorschriften jeweils auf den Prüfstand
stellen.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Beispiele:
bei den sog. nachbarschützenden Normen im Bau(planungs-)recht;
bei den sog. Konkurrentenklagen, die einen Streit in Wettbewerbssituationen
namentlich im Gewerbe- und im Berufsrecht, im Investitionsvorrangsrecht
und im Medienrecht zum Gegenstand haben;
bei bloßen Verfahrens- oder Verfahrensbeteiligungsrechten.
Zur Beschleunigung von Verwaltungs- und Verwaltungsstreitverfahren die
gesetzlichen Tatbestände für einen Ausschluss des Suspensiveffekts bei Bedarf
erweitern sowie die rechtlichen Anforderungen an eine behördliche Vollziehungsanordnung verringern.
Die Ausschlussfolgen verspäteten Vorbringens im Verwaltungsverfahren und in
der ersten Gerichtsinstanz erweitern.
7.
Signal an die Europäische Union
Auch EU-Recht in Entbürokratisierung einbeziehen
99
Die verwaltungs- und kostenmäßigen Folgen neuer Rechtssetzungsakte auf
EU-Ebene vorab messen und reduzieren.
Beispiel:
Einen unabhängigen europäischen Normenkontrollrat einrichten.
Die Gremien der Europäischen Union zur weiteren Deregulierung und Entbürokratisierung veranlassen.
Die Einflussnahme von Bundestag und Bundeskabinett zur Vermeidung von
Überregulierungen auf EU-Ebene verstärken.
Beispiel:
Das beim Deutschen Bundestag eingerichtete Europabüro als „Frühwarnsystem“ nutzen, um Überregulierungen frühzeitig verhindern zu können.
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Europäische Rechtsetzungsinitiativen einzelner Mitglieder unter Kabinettvorbehalt stellen.
Beispiel:
Flaschenpfand
Vorbehaltlich vorrangiger politischer Erwägungen: Neues, zusätzliche Bürokratie auslösendes EU-Recht grundsätzlich nur inhaltsgleich in nationales Recht
transformieren.
Beispiel:
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
100
Weniger Bürokratie und besseres Recht
101
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Anhänge
103
Weniger Bürokratie und besseres Recht
104
Weniger Bürokratie und besseres Recht
105
Weniger Bürokratie und besseres Recht
106
Weniger Bürokratie und besseres Recht
107
Weniger Bürokratie und besseres Recht
108
Weniger Bürokratie und besseres Recht
109
Weniger Bürokratie und besseres Recht
110
Weniger Bürokratie und besseres Recht
111
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Große Anfrage 14/4417
Formblatt zu Frage 9
Kommune: Stadt Mainz
Art der Beauftragung
Zeitpunkt der
erstmaligen Bestellung
Anzahl der Beauftra
31. 12. 1990
112
Abfallbeauftragter
AU-Beauftragter
Beauftragte für den Zivildienst
Beauftragte für Landespflege
Beauftragte Personen für Gefahrgut
Beauftragter für AKK-Angelegenheiten
Beauftragter für Datenschutzangelegenheiten
des Amtes 80
Beauftragter für den Bundes-/ Landeshaushalt
Beauftragter für den Umgang mit Prüfstrahlern
Behindertenbeauftragte/r
Brandschutzbeauftragter
Datenschutzbeauftragter
Datensicherheitsbeauftragter
Datensicherheitsbeauftragter Feuerwehr
Gefahrstoffbeauftragter
Geheimschutzbeauftragter
Gesundheitsbeauftragter
Gewässerschutzbeauftragter
Gleichstellungsbeauftragte
Halterbeauftragter
Immissionsschutzbeauftragter
Jugendschutzbeauftragter
Konversionsbeauftragter
Leiternbeauftragter
Mobilfunkbeauftragter
Radfahrbeauftragter
Risikomanagementbeauftragter
Sicherheitsbeauftragter
SP-Beauftragter
Strahlenschutzbeauftragter
Umweltmanagementbeauftragter
Gesamt:
Weniger Bürokratie und besseres Recht
1984/2003
1996
vor 1990
1994
2001
vor 1980
1
0
5
0
0
1
1978
60er Jahre
70er Jahre
1987
1999
1985
2003
1992
2000/2003
1963
1991
1998
1995
vor 1990
1998
1984
1992
2001
2001
1980
2002
vor 1990
1999
vor 1990
2003
1
1
1
1
0
1
0
0
0
1
0
0
0
1
1
1
1
0
0
1
0
65
0
1
0
84
Hauptamtliche
Ausübung
Anzahl der
hauptamtlichen
Mitarbeiter
2
1
5
10
11
1
nein
nein
ja
nein
nein
nein
0
0
5
0
0
0
Abfallwirtschaftsgesetz
StVZO
ZDG
LpflG
GbV
Freiwiliige Aufgabe
1
1
1
1
2
1
1
1
2
1
1
4
12
1
2
1
1
2
1
1
1
80
1
3
1
nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein
ja
nein
nein
nein
nein
ja
nein
nein
nein
nein
nein
nein
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nein
nein
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Landesdatenschutzgesetz
BHO / LHO
n.f.
Initiative der Verwaltung
Arbeitsschutzgesetz
Landesdatenschutzgesetz
----Gefahrstoffverordnung
n.f.
--Wasserhaushaltsgesetz
Landesgleichstellungsgesetz
StVO
Bundesimmissionsschutzgesetz
SGB VIII
Freiwiliige Aufgabe
GUV 6.4
Beschluss des Bauausschusses
keine
KonTraG; AktG
UVEG - SGB VII
StVZO
Strahlenschutzverordnung
n.f.
gten zum Stichtag
1. 7. 2005
154
Rechtsgrundlage
für die Bestellung
7
Weniger Bürokratie und besseres Recht
113
114
Weniger Bürokratie und besseres Recht
Signale für einen erneuerten Bürgerstaat
Weniger Bürokratie
und besseres Recht
Forum
Bürokratieabbau