Das Bürgertum im Mittelalter
Von Arthur Ernst Antra
ine zeitliche Abgrenzung des Bürgertunis läht
sich nicht geben, sein Werdeprozeß ist permanentes
Hervorströmen, das in seinen Anfängen bis zur
Antike, dem griechischen und dem römischen
civis zurückführt, ein Emporwachsen aus bestehenden
übergeordneten Ständen und deren in stetem Kampf
sich messenden Gegensätzlichkeiten. Der Wortbildung des
Goten Wulfila, her für seine Bibelübersetzung die
Worte baurgs und burger prägte,
lag der Begriff des Bürgers, wie
er sich später kristallisierte, noch
nicht zugrunde, aber der Sinn, von
dem sie abgeleitet wurden, blieb
Sinnbild seines späteren Trägers,
seiner Bergung in Umfriedungen,
Bürgschaft in Verkehr und Han
del suchenden Gewohnheiten.
Die Schichtungen karolingischer
Feit, die das Volk nach Geburt in
Freie und Knechte schieden, hatten
sich mit dem Wegfall der Bedeu
tung, die der Grundbesitz brachte,
verändert, als ständebildende Grund
lage rückte ein anderes Hörigkeits
verhältnis in den Vordergrund, das,
nach Dienst und Beruf scheidend, neue
Bildungen begünstigte. Zum geist
lichen Stand, dem orcio equestris,
der aus dem Dienst zu Pferde her
vorging und erst zur Zeit der
Staufen Nitterbürtigkeit zur Vor
aussetzung hatte, und der mit den
Ministerialen den Stand der Ade
ligen darstellte, gesellte sich als
dritter schwerwiegender Faktor der
Bürgerstand, der aber im Gegen
satz zu den beiden anderen, aus Abhängigkeiten hinaus
strebend, Lösung aus starren, beherrschenden Prinzipien
brachte und neue Freiheiten schuf. Er trat gewisser
maßen als Ablöser an Stelle des Ackerbau treibenden,
freien Bauern, der immer mehr gegenüber dem
waffentragenden Ritter an Bedeutung verlor und end
lich in die Untertänigkeit geistlicher und weltlicher Herren
geriet, in der ihn einschneidende Leistungen und Ab
gaben dauernd festhalten mußten.
Die Notwendigkeit für die Entstehung und Entwicklung
des Bürgerstandes war aber nicht bloß durch den Wechsel
in der Gruppierung der mittelalterlichen Gesellschaft
gegeben. Wie auf der einen Seite infolge der Span
nungen ein Vakuum entstand, das ausgefüllt werden
muhte, so verlangten andererseits in die Zeit neu ein
tretende Momente nach einem Geist, der sie begriff,
nach einer Kraft, die sie verwerten konnte. Durch die
Kreuzzüge war die seit der Römerzeit verlorengegangene
Beziehung zum Orient wiederhergestellt worden, ein
Strom von Ideen und Möglichkeiten flutete ins Abend
land zurück. Der in den Kümpfen immerhin gelichtete
Ritterstand erwies sich zu ihrer Aufnahme zu schwach,
fühlte sich aber auch durch mehr oder minder erreichten
Zweck, durch Waffengänge und das ins Morgenland
getragene Kreuzeszeichen gesättigt. Die italienischen
Dle Befreiung öer Menschhelt II
Städte, die als erste auf ihre Selbständigkeit bedacht,
sich zu größeren Gemeinwesen, ja Staatlichkeiten durch
gerungen hatten, waren cs daher vor allem, die sich die er
schlossenen Wege in den Orient zunutze machten und durch
ihre maritime (Venedig) oder dem Meer leicht zugäng
liche Lage begünstigt, Verkehr und Handel zur Blüte
brachten. Erst dadurch legten sie den Grundstein für
Macht und Reichtum, die in der Folge ihre erste Stellung
im Reiche begründeten und sie vor
bildlich für die zeitlich später ent
standenen deutschen Städte machten.
Die äußere Entwicklungsgeschichte
der italienischen Städte führt aber
nicht, wie die Vermutung naheliegt,
direkt auf die Stadtbildungen des
alten römischen Imperiums zurück.
Wohl bestanden an den alten Stät
ten der römischen eoloniae Sied
lungen im 8. und 9. Jahrhundert,
die jedoch vornehmlich den Charakter
von Landgemeinden trugen, der sich
auch im äußeren Gepräge: aus
einander liegenden Bauerngehöften
mit hölzernen Blockhäusern, zeigte.
Aufgabe dieser Niederlassungen blieb
Regelung des Verkehrs, Aufrecht
erhaltung-der Sicherheit und Vor
sorge für Bestand von Brücken und
Mauern. Im Wesen aber war das
fränkische Reich eine städtelose Mon
archie. Erst allmählich, durch Er
richtung von Bistümern und könig
lichen Pfalzen in schon bevölkerten
Gegenden, besonders im IO. Jahr
hundert angelegte Befestigungen um
kirchliche Heiligtümer, durch mer
kantilen Verkehr und Einrichtungen für Münze, Maß
und Gewicht, entwickelte sich aus den Landgemein
den jener Typ einer bevorzugten Gemeinschaft, die
man mit dem Namen Stadt bezeichnen kann.. Dieser
Prozeß erscheint in Deutschland im 11. Jahrhundert
abgeschlossen, während die Zeit planmäßiger Städte-
gründungcn erst in das 13. und 14. Jahrhundert zu ver
legen ist. Die Tätigkeit Heinrichs I., dem die Geschichte
den Beinamen des Städtegründers gegeben hat, blieb
hauptsächlich auf Schaffung befestigter militärischer
Stützpunkte beschränkt, die allerdings in einzelnen Fällen
den Ursprung von Städten gebildet haben. Sein größeres
Verdienst bleibt aber, daß er der zumeist aus Leibeigenen
und Sklaven hervorgegangenen Bevölkerung solcher
Städte bis zu einem gewissen Grade die Rechtsfähigkeit
verlieh, daß er durch Gewährung des Münzrechtes und
das Gebot der Verlegung von Volksversammlungen und
Feierlichkeiten in die Städte, ihre Bedeutung anerkannte.
Das äußere Bild, das die Städte boten, gewann natur
gemäß nur allmählich den diesem Begriff angepaßten
Charakter. Ihr vorwiegend agrarisches Gesicht wich erst
im 12. Jahrhundert den durch immer stärker in den
Vordergrund tretende Industrie- und Handelsbeziehun
gen geforderten Merkmalen. Sic kamen aus der Peri
pherie, nicht aus der Stadt selbst, in die sie sich erst Ein-