Das Freiheitsbild in der Kunst und seine Vorgeschichte
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zu, und das Mittel, die verschiedenen Monate zu cha
rakterisieren, stellt in der Hauptsache die in den Monat
fallende wichtigste Arbeit. Auf diese Weise — Ähn
liches finden wir ja in unseren Kalendern noch heute —
haben wir zahllose Arbeitsschilderungen erhalten, die
sich durch viele Jahrhunderte erstrecken. Die Wahl der
Szenen ist nicht immer und überall die gleiche. Der
byzantinische und der abendländische Kunstkreis trennen
sich wie in so vielen Dingen, so auch in diesem Punkte.
Einige Stichproben seien kurz mitgeteilt. Schweine
schlachten charakterisiert im Byzantinischen den Januar.
Der Februar wird im Abendland durch das Okulieren
eines Baumes gegeben.
Der Juni bringt hier wie
dort den Schnitter, die
Ernte. Der Juli hier wie
dort den Drescher. Der
August stellt im Abend
land Pflügen oder auch
Böttcherarbeit vor. Für
den September sind wie
der beide Kreise gleich in
der Wahl der Weinlese
oder des Weinkelterns.
Der Oktober wird im
Abendland durch einen
Sämann oder auch durch
einen Weinfüller personi
fiziert. Der November
bringt für den Westen
das Schweincschlachten,
das im Osten den Ja
nuar illustrierte. Der
Dezember ist in Byzanz
durch den Sämann, im
Abendland durch einen
Holzhacker vertreten. (Die
nicht erwähnten Monate
führen Bilder, die nicht
aus dem Arbeitsleben ent
nommen sind.)
Einige besonders wert
volle der zahllosen Bei
spiele seien aufgeführt:
Dem IO. bis 11. Jahr
hundert gehören die Zeich
nungen aus einem angel
sächsischen Manuskript, das
Henry Show in sei
nen „Dresses and decora-
tions of the Middle Ages"
veröffentlichte — auster-
ordentlich reizvoll gezeich
nete Figuren, mit einer
Ornamentale gezeichnet.
Schon in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts führen
uns die Reliefs in den Arkaden des Baptisteriums zu
Parma, der Fries unter der Loggia an der Domfassade
von Cremona und die sechs erhaltenen Stücke im Dom zu
Ferrara und die besonders zierlichen Reliefs am Haupt
portal von San Marco zu Venedig. Graf Vitzthum
hat diese Arbeiten trefflich zu charakterisieren gewußt.
Anzuschließen als eine Arbeit ebenfalls des 13. Jahr
hunderts wären die Reliefs in der Vorhalle des Doms
zu Lucca.
Als nächste Gruppe wären die köstlichen Buchmalereien
des 14. bis 1v. Jahrhunderts zu nennen, denen C o u l i n
einen didaktischen Charakter zusprechen möchte,
womit er sie nach seiner Dcfinierung „in den engeren
Bereich sozialer Kunst" einordnet. In den „Livres
d'beures" des Herzogs von Berry, einem
Kleinod der Pariser Sammlungen, ist der Sämann ge
zeichnet, der langsam über das Feld schreitet; ein reitender
Bauer zieht die Egge über die Fläche. Der Sack mit dem
Samen liegt vorn am Rain, Vögel machen sich in seiner
Nähe zu schaffen. Weiter zurück liegt ein Feld mit kreuz
und quer gezogenen Fäden gegen die Spatzen und einer
Vogelscheuche, die einen
gespannten Bogen in der
Hand hält. Dann folgt
eine Gruppe von niedri
gen Weiden, ein Flüßchen,
und den Hintergrund fül
lend ein herrliches Schloß.
Kavaliere promenieren am
Ufer, und dieser Gegen
satz von Arbeit und Mü
ßiggang zieht sich eigent
lich durch alle diese
Darstellungen. Sind ja
auch im Zyklus von vorn
herein einige Monate dem
eleganten Nichtstun vor
behalten. Auf den in der
Hitze mähenden Schnitter
folgt am Hauptportal von
San Marco als Repräsen
tant des Augusts ein
leicht angezogener Jüng
ling, der auf einem zier
lich geschmückten Stuhle
eingeschlafen ist und in
der linken Hand einen
Fächer hält. Aus dem
Monatsbildc des April
im Breviarium
Qrimani freilich mit
dem pflügenden Bauer,
das um 1500 anzusetzen
ist, in der Marcusbiblio-
thek zu Venedig, fehlt
jeder Müßiggang. Hin
weisen dürfen wir an
dieser Stelle wohl auch
noch einmal auf die uns
schon bekannte Zeichnung
des Hausbuchmei-
st e r s mit den fahrenden
Gauklern, die gleichfalls ein Monatsbild ist. Und schließ
lich sei der Holzschnittfolge des Hans Sebald
B e h a m gedacht, der in seinem z. V. unter dem
Zeichen des Planeten Merkur stehenden Blatte die
freien Künste arbeiten läßt.
Jenes Gegeneinanderausspielen von Arbeit und Müßig
gang finden wir wieder in einer Reihe von monu
mentaleren Werken, zu denen die b u r g u n d i s ch e n
Teppiche mit arbeitenden Bauern, die Marburg
1SO6 besonders behandelt hat, überleiten könnten. Zu
nächst sei der Wandbilder im A d l e r t u m zu Trient
gedacht, die Burger „vielleicht die großartigste künst-
Die Lasterhaften stemmen sich vergebens gegen die nieäersinkenäe
Grabplatte
Nach einer Radierung von Francisco äe 8oga
Aue dem Zyklus der „Copridjos"
großen Begabung für das