Das Freiheitsbild in der Kunst und seine Vorgeschichte
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Einstellung der Christusfigur in das moderne Prole
tarierdasein, etwa in seinem „schweren Gang", der
Maria und Joseph aus dem Wege nach Bethlehem zeigt,
den Iimmergesellen und das arme Mädchen aus dem
Volke auf einer nebligen deutschen Dorfstraße. Nicht
die Versetzung der Christusfigur in das Leben der eigenen
Zeit erregt hier Anstoß, denn dasselbe taten mit selbst
verständlicher Freiheit alle schöpferischen Zeiten, und erst
in der Hochrenaissance begann die Tradition des halb
antiken Idealgewandes für die Gestalten der Bibel —
sondern vielmehr die bewußte Absichtlichkeit,
mit der cs hier in s e n t i m e n t a l e m Sinne geschah.
Häufig ist die Umwelt
des modernen Proletariers,
die trostlose Landschaft der
Straßen und die kahle Häß
lichkeit der unbebauten'Ge
genden vor der Stadt, zum
Thema genommen worden.
Der früh verstorbene Hugo
K r a y n könnte genannt
werden. Klingers frühes
Gemälde „Spaziergänger"
stellt uns auf eine Bau
parzelle vor der Großstadt.
Strolche haben einen Spa
ziergänger umstellt, der
wenigstens seinen Rücken
durch die unerbittlich ein
same Dacksteinmauer, die
in der prallen Sonne alle
Fugen leuchten läßt, zu
decken sucht. Sein Revolver
hält vorläufig die vier
Knüppel in Schach. Das
Bild erschien 1877 auf der
Großen Berliner Kunst
ausstellung.
Die eigentümliche land
schaftlich-proletarische Welt
an der, Rändern Berlins
hat Rudolf Grohmann
besonders in seiner Litho
graphienmappe „Um Ber
lin" zum Thema gewühlt.
Ich hatte schon erwähnt,
daß, um Darstellungen der
Armut und des Elends
künstlerisch möglich zu
machen, zunächst für die
Kunst das Gebiet des Häß
lichen hat angenommen
werden müssen.
Wir haben hier eine rein
historische Aufgabe vor, kön
nen uns also nicht auf die
vielfach verschlungenen Wege
der Ästhetik begeben, die
init dem Begriff des „Häß
lichen" übrigens genau so
wenig fertig wird, wie mit
dem des „Schönen" — was
ja auch weiter kein Wunder
ist. Es ist nur so viel zu
sagen, daß nichts häß- -Nach
Die Befreiung der Menschheit IV
lich für unserGefühl ist, was künstlerische
Form und Ge st altgewann! Die schwären
bedeckten Krüppelglieder auf dem „Trionso della morte"
sind nicht häßlich — sie sind schön, weil sie nicht
stofflich-materiell abgemalt sind, sondern zu Trägern
einer starken Empfindung wurden. Häßlich ist im Grunde
genommen jede st o f f l i ch gebliebene, empfindungslose
Abklatschung nach irgendwelchen Formen der Natur —
gleichviel, ob diese an sich nach dem gemeinen Urteil zu
den schönen oder zu den häßlichen Formen rechnen. Nur
bleibt uns, sehen wir einen getreu nachgemalten schönen
Gegenstand, immer eine gewisse Freude noch an dem
Arbeiter
dm Gemälde von Hans Baluschek