14 Das Freiheitsbild in der Kunst und seine Vorgeschichte
Einer ist vor Neugierde bis aus die Brüstung geklettert.
Ausgezeichnet ist auch M e ck e n e m s Stich „Der
Kampf um die Hosen", auch „die eifersüchtige Gattin"
genannt. Eine hart und böse gesonnene junge Ehefrau
schlägt mit dem Besen auf den zu Boden gerutschten
Mann ein, und ein furchtbar schetisäliger Drache scheint
aus der Luft der Wütenden noch Stimmung zu machen.
Eine Reihe von kostbaren Sittenschilderungen haben
wir dann vom Meister des Hausbuches, und
zwar in jenem Werke, nach welchem man ihn benennt,
dem Hausbuche der Fürsten Waldburg-Wolfegg in
Wolfegg. Ihre witzige Frische unterscheidet sie schon sehr
wesentlich von den neutralen Sittenschilderungen bis
hinauf zu den Teppichen von Bayeux oder den Reliefs
der Trajanssäule.
Dürer streift mit seiner Wochenstube das Gebiet
des objektiven Sittenbildes, aber C r a n a ch greift
direkt hinein in den sittlichen Kamps der Zeit. Ich er
wähne nur seine Holzschnitte zu der Satire „Passional
Christi und Antichristi", die 1521 in Wittenberg ohne
Namen des Verfassers, Illustrators und Druckers erschien,
auch ohne Jahreszahl. Der Gedanke der Schrift dürfte
von Luther selbst herrühren, die Texte zu den Bil
dern sind aber nicht von ihm, sondern von Melan-
ch t h o n und Schwertfeger. Schon Wiklif hatte
das Leben und Treiben des Papstes, des Statthalters
Christi auf Erden, kontrastiert mit den Taten und dem
Wandel des Heilandes. Die Bilder Cranachs nehmen
dieses Thema mit bitterem Hohne auf. Da sehen wir
etwa den Papst, der mit Ablatzzetteln Handel treibt, auf
der einen — und auf der anderen Seite Christus, der die
Wechsler aus dem Tempel jagt. Oder Cranach zeigt uns
den Papst, der sich mit hochmütiger Plumpheit von
Kaisern und Königen die Fühe küssen lützt — und auf der
anderen Seite Christus, der seinen Jüngern die Füße
wäscht. Christi Himmelfahrt — des Papstes Höllenreise
machen den Beschluß.
Aus dem Kreise der deutschen Kleinmeister sei wenig
stens auf Sebald Behams „Bauernschlägerei" hin
gewiesen, das nicht jenen Ton saftiger Freude an aller
Schlägerei hat, wie die späteren Holländer sie lachend
an den Tag legten, vielmehr mit rücksichtsloser Bitter
keit das Toben der Roheit gibt.
„Haust du mich, so stich ich dich"
steht auf dem Spruchband.
Da uns das kritische Sittenbild ja nur insoweit angeht,
als es dem politisch tendierenden Kunstwerk als Weg
bereiter vorangegangen ist, erübrigt es sich für uns, das
Sittenbild chronologisch wei
ter zu verfolgen. An der
Stelle, wo die großen Fla
men HieronymusBosch
und Pieter Breughel
es im 16. Jahrhundert auf
den Gipfel führten — Hiero
nymus Bosch im „Heu-
wagen", in den „Freuden
der Welt"; Breughel in der
„Bauernhochzeit", in den
„Bauern, die unter dem
Galgen tanzen", der „Faul
heit" —, können wir das
Sittenbild verlassen, das in
unübersehbarer Breite sich
lückenlos bis zu den er
wähnten Wahlrechtsszenen
desHogarth entwickelte—und
von diesen in die Gegenwart.
Nehmen wir aber zurück
blickend das Sittenbild in
seiner kritischen anklagenden
Fassung als eine Einheit, so
erkennen wir, daß ihm mit
Notwendigkeit vorausgehen
mußte die Aufnahme der
Armen, Müh.seligen
und Beladenen, der
Ausgestoßenen und
der Paria in den Stosfkreis der Kunst. Um aber
wieder solche Darstellungen möglich zu machen, mutzte
für die Kunst zunächst gewonnen werden die Möglichkeit,
das Häßliche darzustellen.
Gehen wir kurz auf diesen Zusammenhang ein.
In der. ä g y p t i s ch e n K u n st ist die Gestalt des
Kriegsgefangenen und des Sklaven sehr häufig, wenn
auch zumeist in jenem rein historischen Sinn, der hier
noch außerhalb unseres Interesses bleibt. Ein Schiff mit
asiatischen Gefangenen, die zum Teil sehr stark gefesselt
sind, finden wir in dem Totentempel des Sahure in Abusir,
aus der Zeit der 5. Dynastie. Aus derselben Zeit kennen
wir die Darstellung einer Sphinx im Relief, die unter
der einen Tatze den Kopf eines Asiaten, unter der anderen
den eines Puntiers zertritt. Im Museum zu Leiden
befindet sich ein sehr interessantes Relief der 18. Dynastie,
aus welchem asiatische Gefangene vor den König geführt
werden. Die Schärfe der Beobachtung, mit welcher
hier die Rassenmerkmale, die Besonderheiten der Tracht
gegeben sind, hat häufig Bewunderer gefunden. Männer
und Frauen, viele mit jungen Kindern aus dem Rücken,
gefesselt, manche laut sprechend, einige stöhnend, die meisten
Die großen Fische fressen äie kleinen
Nach Hieronymus Bosch, gestochen von H- Lock