Der Gewerkschafts- und Genossenschastsgedanke
Von Paul Kampffmeyer
I. Die Gewerkschaftsbewegung
* der Geschichte der Freiheitsbewegung der deut-
C \ schen Arbeiterklasse ist die Tätigkeit der Gewerk-
\J schäften bahnbrechend gewesen. Diese haben die
Grundlagen einer neuen Arbeitsverfassung gelegt, die
an die Stelle des absolutistischen Herrentums im kapita
listischen Getriebe den Fabrikkonstitutionalismus sehte.
Der eigentlich revolutionäre, das Wesen des Kapitalis
mus umwälzende Charakter des Gewerkschaftswesens ist
den deutschen sozialistischen Arbeitern relativ spät ausge
gangen. Weit über ein Jahrzehnt standen sie zumeist unter
dem Banne der Lassalleschen Lehre, daß nur in der Staats
hilfe der Weg für die Befreiung der Arbeiterklasse gegeben
sei, und daß der gewerkschaftliche Kampf sich lediglich als
ein „hoffnungsloser Versuch der Ware Arbeitskraft" dar
stelle, „sich als Mensch zu gebärden". Die Lassalleaner be
kämpften sogar eine Zeitlang grundsätzlich die Gewerkschafts
bewegung. So tagte im
Jahre 1874eineGeneral-
versammlung des Lassal
leschen.„deutschen Arbei
tervereins", die unter an
derem die Bestrebungen
aller Korporativvereine
Deutschlands, die angeb
lich den Schutz der Ar
beiter gegen die maß
lose Bedrückung durch
die Kapitalmacht be
zweckten, für durchaus
ungeeignet zur Erfül
lung dieses Zweckes .er
klärte. Nach der An
sicht der Urheber dieser
Erklärung gefährdete der
durch die Korporativ
vereine geführte un
gleiche Kampf, der le
diglich die Selbsthilfe
zur Basis hatte, nicht
nur die Widerstands
kraft der Arbeiter, son
dern auch die radikalen
sozialpolitischen Bestre
bungen des Allgemeinen
Deutschen Arbeiterver
eins im höchsten Grade.
Die Generalversamm
lung „brandmarkte alle
die als .Verräter' an
der Arbeiterklasse, die
,meist aus eigennützigen
Absichten' —fortfahren,
die Gewerkschaftsbewe
gung, entgegen den Be
schlüssen der General-
versammlung des All
gemeinen Deutschen Ar-
beitervereins zu Berlin
im Jahre 1872 und zu
Frankfurt a. Main 1873, in den Vordergrund der Arbeiter
bewegung zu drängen und dadurch die Agitation des
Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in unverantwort
licher Weise zu schädigen". Die Generalversammlung sprach
sich weiter für die Auflösung aller innerhalb der Partei
bestehenden gewerkschaftlichen Verbindungen aus.
Die Bedeutung der Gewerkschaften im Befreiungs
kämpfe des Proletariats ging erst völlig dem Arbeiter
führer K. Hillinann auf, der zu den ersten Jüngern der
sozialistischen Bewegung in Deutschland zählte. In
seinem Schriftchen „Die Organisation der Massen" (1875)
verknüpfte er die politische Emanzipation der Arbeiter
klasse auf das engste mit der ökonomischen Befreiung
dieser Klasse. „Die Geschichte lehrt uns," so führte er in
seiner Schrift aus, „daß die Organisation der Zünfte den
Handwerkern ein zuverlässiger Schlüssel für ihre Ämter
in der Gemeinde und in
den Ratsstuben wurde,
daß sie dem Siege des
Bürgertums im Staate
die Bahn ebnete, und daß
mithin den Gewerksge-
nossenschaften und der
Arbeiterpartei diegleiche,
wenn nicht höhere Auf
gabe zufällt, wie ihren
Vorgängern im Mittel
alter." In der politischen
Partei sah K. Hillmann
die Trägerin des Prin
zips, in der Gewerkschafts
bewegung der Praxis in
der Arbeiterbewegung.
Die deutsche sozialde
mokratische Arbeiterbe
wegung war nun bis zum
Jahre 1875 zerklüftet,
und die Gewerkschafts
bewegung teilte ihr
Schicksal. Kraftvolle ge
werkschaftliche Organi
sationen kamen erst nach
der Vereinigung der
streitenden sozialdemo
kratischen Parteien, der
Lassalleaner und der Ei
senacher, und nach dem
Falle des Ausnahme
gesetzes gegen die So
zialdemokratie empor.
Anverkennbar hat die
englische Gewerkschafts
bewegung die deutsche
nicht unwesentlich beein
flußt. Frühzeitig wurde
die deutsche Arbeiter
schaft in die eigenartigen
Ausgaben und Funktio
nen der englischen Ge
6.rlm, «>cn 19. Mi 1907.
Titelblatt zur Aestnummer cles „Saurier"
Das Verbanäsblatl äer Hanäelshilfsarbeiter erreichce im fahre 1907 eine
Auflage von hunclerrkausencl Exemplaren