Die sozialistischen Ideen und Gemeinbildungen vor dem 19. Jahrhundert
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Das Schlaraffenland
Nach dem ©emolde von Pietec Bruegel
verstiegen der von Mato moralisch anempfohlene Staat, so
vernünftig und solid, aber auch einigermaßen trocken ist
die Darstellung des von dem Engländer erfundenen
Phantasiestaates. Die Insel Utopia besteht aus 24 gleich
artig angelegten Städten, in der Entfernung von je einer
Tagereise zueinander, wie es um diese Feit vielfach wirk
lich zutraf, so z. B. in Süddeutschland, da jede Stadt
(Markt) der Landbevölkerung in einem halben Tage er
reichbar sein mußte. Die Bevölkerung besteht aus „Fa
milien" von je 40 Personen —die „Familien" adoptieren
und geben Überschüsse ab — unter der Führung eines Haus
vaters und einer Hausmutter. (Die Utopie ist bekanntlich
lateinisch geschrieben und verwendet darum auch die Aus
drücke des Familienrechts in dem mehr sozialen antiken
Sinn.) Je 20 Personen wechseln jährlich in Landwirt
schaft und städtischem Gewerbe ab. Die Erträgnisse von
Land und Stadt werden gemeinsam aufgespeichert und
frei nach dem Bedürfnis verteilt, und zwar wechselweise
zwischen Ackerbauern und Städtern (die ja keine verschie
denen Stände sind!). Die notwendige Produktion wird
alljährlich in der Hauptstadt festgestellt, die einzelnen Ge
biete helfen einander aus; nur der Überschuß des Landes
wird gegen Geld, das es natürlich im Inland wedergibt
noch geben kann, ins Ausland verkauft. Aus dem Aus
land kommen auch die wenigen (fünf Prozent) Knechte
und Gefangenen, die zusammen mit den Verbrechern die
schwersten Arbeiten verrichten. Die Verwaltung des
Landes ist demokratisch unter einer Beamtenhierarchie;
in den Städten gibt es Speisepaläste für je 30 Fa
milien. Alles, die Tischordnung» die Versorgung und
die Erziehung der Kmder ist klug geregelt. Es gibt all
gemeine Arbeitspflicht, Wechsel, wie man sah, von Land
arbeit und Gewerbe, freie Wahl des letzteren und —
Sechsstundentag. Die „ütopie" hat bis in die Gegenwart
zahllose Nachfolger gehabt, die vorläufig letzten bekannt
lich Bellamy und Hertzka, alle zumeist mehr Abenteurer-
als wirkliche Staatsromane, und auch diese letztem —
unter deren Verfassern sich Albrecht von Haller, derBischos
Fön Aon, der König Stanislaus Leszczynski, Schwieger
vater Lridwigs XV., befinden —sind nur zum Teil „so
zialistisch". Hier sei nur noch der berühmte „Sonnen
staat" des E am p an e l l a erwähnt, der aber wieder
mehr platonische als sozialistische Züge aufweist. Einer
der wichtigsten Punkte ist die Aufzucht der kriegerischen
Bewohner, ihre Eugenie. Campanella, der ketzerische
Mönch, Naturphilosoph, Verschwörer, unbeugsame Cha
rakter, Astrolog, der Mann, der sein Leben im Kloster
beziehungsweise in 27jähriger Gefangenschaft zugebracht
hatte und zuletzt irrsinnige Spielereien zu treiben schien,
dieser geniale Künstler wird mit Unrecht zu den Vätern
des Sozialismus gezählt. Auch die zeitgenössische mön
chische Wirklichkeit des „I e s u i t e n st a a t e s" in P a-
raguay ist keine eigentliche sozialistische zu nennen,
sondem eine allerdings auch religiös gerichtete Zwangs
verwaltung einer tributären Bevölkerung ohne Sonder
eigentum, eine patriarchalische Sklavenwirtschaft also mit
Benutzung älterer kommunistischer Landessitten, der ge
meinsamen Feldbestellung „für die Sonne" (das Kirchen-
und Staatsgut). Die „ütopie" hatte in England selbst
lange keine Nachfolger. Sogar die englische Übersetzung
aus dem Lateinischen erschien später als die deutsche.
Erst die große englische Nevolution brachte zwei Autoren