Von der nationalen zur sozialen Devolution
'LOS
Diesem Freimaurertum, das dieselben Tendenzen wie
das Freimaurertum in anderen Ländern Europas hatte,
wollte Lukasineki einen nationalen Charakter geben
und ihm nationale Fiele setzen. So gründete er am
3. Mai (!) 1819 einen nationalen Frei
maurerbund.
Der patriotische Charakter wurde bei den Zeremonien
zum Ausdruck gebracht, es gab wohl wie in anderen
Freimaurerlogen
auch hier drei Grade,
den des Lehrlings,
des Gesellen und
des Meisters, doch
jeder Grad weihte
immer mehr in den
Plan des vaterlän
dischen Wiederauf
bauens ein, ent
hüllte immer mehr
das Geheimnis des
nationalen Zieles
und steigerte die
Verpflichtung zum
patriotischen Han
deln. Der Meister
belehrte den Lehr
ling, datz er die
Loge mit dem Feuer
der Vaterlandsliebe
erleuchte, und der
Lehrling — bei der
Aufnahme nach sei
nem Namen be
fragt — gab nicht
nach allgemeinem
Freimaurerbrauch
„Tubalcain" zur
Antwort, sondern er
klärte, datz er „Ste
fan Batory" heiße
und bekundete sein
Polentum durch die
Namensnennung
des Königs, der einst
ein starkes Polen
regiert hatte. Der
Geselle hieß „Boles-
laus der Tapfere",
er wußte, daß die
Genossen sich „am
Altar des Vater
landes versammelten, der oben zwar beschädigt sei, dessen
Fundamente jedoch feststehen und die Inschrift aciliuc 8tat
tragen". Er leistete den Schwur, daß — sollte man
diesen Altar in seiner ganzen Pracht nicht aufstellen
können — man wenigstens seinen Verfall nicht zulassen
werde. Für das Wohl des Vaterlandes sich jederzeit
zu opfern, mußte der Meister bereit sein.
Der nationale Freimaurerbund war eine geheüne und
unlegale Vereinigung. Doch inan muß dabei berück
sichtigen, daß in jener Zeit in ganz Europa geheime
Freimaurerlogen weit verbreitet und verzweigt waren,
gm Pariser Freimaurerprozeß vom August 1822, der
dadurch wichtig und berühmt geworden ist, daß in ihm
zum erstenmal öffentlich die Organisation des Frei
maurerbundes erörtert wurde, machte der Änkläger, der
Generalprokurator Marchange, genaue Angaben über d i e
internationale Ausbreitung des Frei
mau r e r t u m s. Dazu kommt, daß oft Leute in höchster
Stellrmg und Angehörige der Aristokratie Mitglieder der
Freimaurerlogen waren. So war seit 1818 — also noch
vor der Gründung des Lukasinskischen Freimaurer
bundes — Decazes, der in die Würde eines Pairs von
Frankreich und eines
Herzogs von Glücks
burg erhoben wor
den ist, dieser Po
lizeiminister der Re
stauration zugleich
Generalmeister der
französischen Frei
maurerlogen (8ou-
vemin Omnck Lom-
manckeurj.UndMon-
archen, wenn es in
ihrepolitischenPläne
paßte, duldeten die
Freimaurergesell
schaften, zeigten
ihnen Wohlwollen
oder ließen ihnen
sogar Unterstützung
angedeihen. Zar
Alexander I., der
Mann der liberalen
Worte und der re
aktionären Taten,
tolerierte auch eine
Zeitlang die frei
maurerischen Ver
einigungen in Ruß
land und in Polen.
Als ihm im Juli
1821 Fürst Wasil-
czykow über die ge
heimen Gesellschaf
ten Bericht erstat
tete, sagte Alexan
der l., daß er „selbst
diese Illusionen ge
teilt und zu diesen
Fehlern ermuntert
habe und sie nicht
zu bestrafen ge
denke". Man muß
auf diese Äußerung
Hinweisen, denn für diese Fehler, zu denen der Zar
ermuntert hatte, sollte Lukasinski grausam bestraft
werden.
Man ziehe noch in Betracht, daß Lukasinski den Mani
festen, die Alexander 1. an die Polen gerichtet und in
denen er ihnen den Schutz ihrer Nationalität zugesichert
hatte, Glauben geschenkt habe. Lukasinski ließ sogar
die Büste Alexanders I. in der Loge aufstellen, und bei
der Aufnahme wurde der Lehrling belehrt, daß Alexander 1.
der Erwecker des Vaterlandes sein werde. Dieses war
ganz in dem Sinne jener Erklärung, die Alexander 1.
im Frühjahr 1818 in Warschau bei Eröffnung des pol
nischen Landtages abgegeben hatte, in der davon die
Rede war, daß „eure Hoffnungen und meine Wünsche
Der Ausftanä im Jahre 1830
Symbolische Darstellung
Nach einer Lithographie von jules Daoiä