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Von der nationalen zur sozialen Revolution
Schon August III. wurde auf Betreiben und mit Hilfe
Rußlands zum König gewählt. Die Patrioten wollten
einen Polen auf den Thron erheben und Leszczynski
galt als ihr Kandidat, doch der Gesandte Löwenwolde
erklärte, Rußland werde die Wahl Leszczynskis nicht an
erkennen. Dieser Erklärung schloß sich der österreichische
Gesandte Wilczek im Namen seiner Regierung an. Denn
Lepzczynski war der Schwiegervater Ludwigs XV., und
Frankreich sollte die polnische Politik nicht mitbestimmen,
auf die polnischen Verhältnisse keinen Einfluß haben.
Drei Wochen nach der Wahl Leszczynskis wurde (An
fang Oktober 1753) von der gegnerischen Vartei, die
Rußlands Unterstützung hatte, August III. zum König
ausgerufen. Es waren russische Soldaten unter General
Lacy, die seine Wahl schützten. Leszczynski mußte auf
den Thron verzichten, August III. behauptete sich, mit
ihm.der Einfluß Rußlands in Polen. Es sind Zeiten
des Niederganges, des Verfalls der Sitten, der poli
tischen Machtlosigkeit. Der Begriff „polnische Wirtschaft"
kommt auf und will nicht schwinden, die Könige, die
man sich aus Sachsen geholt hatte, August II. und sein
Sohn, trugen schon ihr Teil dazu bei, daß die Verhält
nisse arg wurden, chaotisch, unlösbar.
„Anter dem König aus dem Sachsenland
Friß, sauf und schnall recht weit das Gürtelband",
pflegte man zu sagen, und man handelte danach.
Man kanr dem Abgrund immer näher.
Jeden Versuch, der zur Wiederherstellung der Ord
nung im Lande hätte führen können, haben die Nach
barstaaten systematisch verhindert. Denn sie sahen schon
Polen als sichere Beute an, und die Beute fiel ihnen um
so leichter zu, je größer die Desorganisation war, je
schwächer das Land wurde. Dur war man nicht dar
über einig, wer das größte Beutestück erhalten sollte.
Der Landhunger Rußlands war mächtig, aber auch
Österreich und Preußen zeigten Appetit. Friedrich der
Große und Joses II. mußten befürchten, Katharina
könnte ganz Polen annektieren. Bei der Besprechung
in Neiße (1769) verständigen sich die beiden über die
Teilung Polens, und Prinz Heinrich, der Bruder Fried
richs des Großen, soll nach Petersburg gehen, um noch
Katharina für den Teilungsplan zu gewinnen.
Katharina lehnt ab.
Sie will mit Polen allein fertig werden.
Denn nicht Stanislas August Poniatowski,
den Katharina nach dem Tode Augusts III. zum König
wählen ließ, regiert in Polen, sondern im Namen
Katharinas der russische Gesandte, der Generalmajor
Fürst Nikolaus Repnin. Der König tut, was Repnin
befiehlt, und der Gesandte kann auch nach Petersburg
melden, daß der König „unsere Angelegenheiten zweifels
ohne zu seinen eigenen macht".
Stanislas August Poniatowski war der Liebhaber
Katharinas, als diese noch die Frau des Thronfolgers
war, von der Imperatorin erhielt er die polnische
Krone, und es war mehr als eine Formalität, daß seine
Krönung am Namenstag Katharinas am 25. No
vember (1764) stattgefunden hat. Man erzählt, daß
die alte Krone Boleslaus des Tapferen, die der Primas
ihm aufs Haupt setzen sollte, erst wattiert werden
mußte, denn sie war ihm zu weit, es zeigte sich auch
bald, daß das alte Reichszepter ihm zu schwer wurde.
Stanislas August war ein Schwächling, in entschei
denden Augenblicken versagte er vollständig. Er führte
gehorsam das russische Diktat aus, war das Werkzeug
Repnins, nach dessen Abgang das Werkzeug des Ge
sandten Baron Stackelberg. Wenn er nur den Ver
such machte, sich vom russischen Druck zu befreien,
schüchterte man ihn mit der Drohung ein, man werde
ihn entthronen, und das genügte. Sogar moralisch
kam er in russische Abhängigkeit, die Summen, die er
aus dem russischen Staatsschatz geliehen hatte, mußte
Katharina für ihn bezahlen.
Katharina rechnete darauf, sie werde ganz Polen mit
Rußland vereinigen können und mit Preußen und
Österreich nicht zu teilen brauchen. Ihre Kreatur saß
auf dem Throne, im Landtag war die russische Partei
stark, in allen Versammlungen der Schlachtn machten
gekaufte Individuen Propaganda für die „hohe Alliantin",
und was das wichtigste war, eine große russische Armee
stand in Polen und konnte jederzeit allen Wünschen
Nachdruck verleihen.
Aber Preußen und Österreich warteten nur aus ein n
Vorwand, um einzugreifen.
Ein Attentat, durch das der König bedroht wurde,
bot die Gelegenheit zur Einmischung.
Gegen Rußland hatte sich ein Teil der Schlachtn in
Bar konsöderiert (Februar 1768), und diese antirussische
Partei trat auch in Opposition zum König. Man pro
klamierte scgar seine Entthronung, und als dieser Akt
keinen Erfolg hatte, entschloß man sich, zur Gewalt zu
greifen (1771). Man wollte Stanislas August aus
Warschau nach Czenstochau entführen und ibn dort zum
Thronverzicht zwingen. Die Verschworenen hatten in
Erfahrung gebracht, daß der König am 3. November
den Abend beim Kanzler Czartoryski verbringen werde.
Auf dem Heimweg wurde in der Miodowagasse der
König überfallen. Er wurde auf ein Pferd gesetzt, und
die Verschworenen ritten mit ihm eilig von dannen.
Auf der Landstraße kamen sie in der Dunkelheit aus
einander, nur einer, ein gewisser KuLma, blieb beim
König, ließ sich äber überreden und gab ihn frei.
Im zerrissenen Reck, nnt Kot bedeckt, Kratzwunden im
Gesicht und die Allongeperücke in Unordnung, so kehrt
am nächsten Morgen der König in die Residenz zurück.
Stanislas August läßt den europäischen Höfen die
Nachricht zukominen, daß ein Anschlag auf sein Leben
unternommen worden sei. Preußen und Österreich er
klären daraufhin, sie könnten es nicht ruhig hinnehmen,
daß die Majestät beleidigt würde, würden es nicht zu
lassen, daß die geheiligte Person des Monarchen ge
fährdet werde. Sie müßten Garantien erhalten, daß
der königliche Bruder sich auf dem polnischen Thron
sicher fühle. Wenn cs notwendig sei, werde man Mittel
und Wege finden, um in einem Lande, in dem so Un
geheuerliches geschehen konnte, Ordnung zu schaffen.
Das sollte Katharina sich gesagt sein lassen.
Die Imperatorin verstand.
Österreich suchte sich mit der Türkei zu verständigen,
Frankreich unterstützte die Konföderierten von Bar,
schickte ihnen Geld, Munition und Generäle (Dumouriez,
Baren de Viomenil), der politische Himmel bewölkte
sich, Katharina mußte verhandeln.
Preußen und Österreich sollten Genugtuung erhalten,
sich nicht länger beunruhigt fühlen: Katharina willigte
in die Teilung Polens ein.
Am 6. Februar 1772 wurde in Petersburg zwischen
Katharina und Friedrich dem Großen der Teilungs-
vertrag geschlossen, und noch in demselben Monat trat
Maria Theresia diesem Vertrag bei.