Einleitung
VII
krieg konnte die Menschheit von dieser Verblendung ge
heilt werden.
„Persönliche Freiheit und Minderung der Feudal
lasten", das war der Befreiungsschrei, mit dem der deutsche
Bauernaufstand 1525 begann. Alles andere, was man
noch verlangte, war nebensächlich. Persönliche Freiheit,
das war gleichbedeutend mit Gewissensfreiheit. Denn
der Herrschende setzte nicht nur die magere Speise und
die dumpfe Wohnung des Untertanen fest, sondern auch
seinen Glauben. Und die Nitterschaft der Adligen, die
alles fruchtbare Land an sich riß, alles ertragreiche Vieh
und jede kostbare Naturquelle, hielt sich mit Petarde und
Pulver die Sehnsucht der Millionen nach Erlösung und
Atcmfreiheit und Geistesentfesselung vom Leibe. Um die
Mitte des 16. Jahrhunderts ist solcher Früh-Kapitalismus, '
der nur ein Nehmen und keinerlei Geben kennt, zu seiner
höchsten Macht gelangt. Besonders in den Ländern, die
schon eine entwickelte Industrie pflegten.
Im vlämischen Antwerpen lebten um diese
Zeit schon zwanzigfache Millionäre. Und gleichzeitig
wurden in den Tuchmachereien 4—6 jährige Kinder mehr
als 12 Stunden lang beschäftigt. „Die Pfähle und Säulen
in den Straßen, die Türpfosten vor den Wohnungen
und die Hecken in den Feldern hingen voll von Ske
letten, von Erdrosselten, Verbrannten und Enthaupteten.
In den Baumgärten auf dem Lande trugen die Bäume
menschliche Leichname als grauenvolle Frucht." Das war
nach zeitgenössischer Schilderung die Folge, als die
Massen aus solcher Gebundenheit herauswollten. Die
Handwerker, z. B. die Schlächter und Bäcker, weigerten
sich, all den Steuerzins zu
zahlen, der ihre Lebensfrei
heit zum äußersten ein
dämmte. Sie wurden durch
Befehl des königlichenStatt-
halters auf der Schwelle
ihrer Läden und Werkstät
ten hingerichtet.
England, das seit
dem Elisabethanischen Zeit
alter sehr schnell ein In
dustrie- und Handelsstaat
wurde, sah diese Greuel
des Bürgerkrieges fast ein
Jahrhundert lang. Erst
wollen die Feudalen, die
für ihre Sache bald einen
ehrgeizigen Bürgerstand ge
winnen, nichts von ihren
Ausbeutungsmethoden des
Proletariates aufgeben.
Sie sind froh, daß in den
Staatsgesetzen fast alle Ge
genstände und Nahrungs
mittel des täglichen Lebens
durch Steuern unendlich
verteuert und derart den
Proletariern fast unzugäng
lich gemacht werden. Der
Staat sichert sich fast jedes Monopol. Rücksicht auf Ge
meinwohl gilt nicht, Verbrecher können sich durch Geld
vom Zuchthaus und sogar vom Schafott loskaufen. Der
König ist ein Mann, der jeden Tag betrunken ist. Sein
erster Berater ist ein Mann, den man des Giftmordes
überführt hat. Sogar die Natur wird den Menschen
geraubt. Denn Tausende von Landesruten werden hoch
umzäunt oder gar rimmauert. Kaninchen und Hirsche
dürfen in diesem grünen Paradiese allein wohnen, nicht
aber die Menschen, die in ihren schlechten, luftleeren
Häusern eingepfercht bleiben. Damit das Proletariat
verschwindet, wird es zu manchen Zeiten massenweise
hingerichtet. König Jakob, der sein Volk derart behan
delte und nun nach Jahrzehnten von den Mißhandelten
doch gefaßt und unter den Galgen geführt wurde, wachte
erst in seinen letzten Stunden aus dem täglichen Rausche
zur letzten Klarheit auf. Und er sprach die Worte: „Ver
lasset euch nicht auf Fürsten! Sie sind Menschensöhne,
und es kommt kein Heil von ihnen!"
Der König, der als Erbe dieser allzu späten Einsicht
folgte, mußte ebenfalls seinen Kops verlieren. Und man
erinnere sich, aus welcher Stimmung heraus die Massen
auch nach diesem Opfer schrien: Geschrieben wurde
(den Januar 1649 zählte man): „Wenn wir den König
neunundneunzigmal schlagen, bleibt er doch König.
Ebenso werden seine Nachkommen noch nach ihm König
sein. Wenn aber der König uns nur ein einziges Mal
schlägt, werden wir alle gehängt, und unsere Nach
kommen werden Sklaven sein "
Hier bekundet sich das tiefe und verbitterte Prole
Zturm
klus äem Zyklus „Ein Weberaufftonä"
Nach einer Radierung von Käthe Kollwitz. 9H(t Erlaubnis dco Verlages Emil Richter, Dresden