Dle Befreiung der Menschheit II
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Die Kommune
Von QI. Conrady
I. Aus den Zeiten des zweiten Kaiserreichs
ie Pariser Kommune wird gewöhnlich recht unver
mittelt in den Gesichtskreis des Geschichtsbetrach
ters gerückt. Verständlich wird sie nur durch einen
Blick aus ihre Vorgeschichte, der wenigstens bis in, die
ersten Zeiten des zweiten Kaiserreichs auszudehnen ist.
Schon in jenen stärksten Zeiten des Bonapartismus
war es Eingeweihten kein
Geheimnis, daß im Pro
letariat die oberflächlich
erstickte Glut der revolutio
nären, sozialistischen und
kommunistischen Ideen im
stillen fortglimme. Wohl
erklärteReybaud im Jahre
1853 den Sozialismus für
tot und behauptete, von
ihm reden hieße eine
Leichenrede halten. Aber
die mit der Beobachtung
der öffentlichen Meinung
betrauten Amtsstellen
wußten ganz gut, daß im
Proletariat, wenn es auch
nach außen hin mund
tot gemacht und der Wort
führer beraubt war, nach
wie vor Empfänglichkeit
für sozialrevolutionäre
Propaganda bestand.
Zahlreiche offizielle Be
richte sind dem Dunkel
der Archive entzogen
worden, die darin über
einstimmen, daß im Pro
letariat immer noch kom
munistische Neigungen be
stehen, und daß sich unter
der Asche das Feuer der
Revolution erhält. Da
mit steht nicht in Wider
spruch die zweifellose Tatsache, daß ein beträchtlicher Teil
des Proletariats zeitweilig hinter dem vermeintlichen Ar
beiterkaisertum Napoleons III. herlief, berauscht durch die
materielle Prosperität, die seit dem Staatsstreich einge
treten war und auch von der handarbeitenden Klasse emp
funden wurde in Gestalt von vermehrter Arbeitsgelegen
heit, erhöhtenLöhnen, verbesserten Wohnungsverhältnissen
usw. Die aber auf ihre Art den Standpunkt einnahmen,
daß der Mensch nicht von Brot allein lebt, fanden sich
bei numerischer Schwäche und fehlender Bewegungs
freiheit in engen Kreisen zusammen und verfielen
konspiratorischen Tendenzen, wobei Zusammenhänge
mit Flüchtlingsorganisationen im Auslande bestanden.
Viel machte schon seit 1852 von sich reden eine
derartige Verbindung, die ihren Mittelpunkt in London
hatte und sich revolutionäre Kommune nannte. Rote
Republikaner von 48, mit Felix Pyat an der Spitze,
waren die Seele dieser Verbindung, die ihr Vorbild in
der Schreckenszeit von 1793—94 suchte, aber auch an
Vorgänge aus der Zeit der zweiten Republik anknüpfte.
Schon bald nach der Februarrevolution kam eine Zeit
lang ein Preßorgan heraus, das den Titel „Pariser
Kommune" führte, und ini Sommer 1849 herrschten
schon Bestrebungen, neben die offizielle Regierung eine
proletarische Kommune zu setzen. Dabei handelte es
sich also um revolutionäre
Diktaturabsichten mit ter
roristischem Beigeschmack,
und diesen Charakter trug
denn auch die Kommune
idee bei den Londoner
Konspirations-undPutsch-
politikern, die mit ihren
Umsturz- und Attentats
projekten Material für
Prozesse und Insassen für
die Gefängnisse lieferten.
Nicht weniger Beschäf
tigung lieferte den Ge
sellschaftsrettern des zwei
ten Kaiserreichs eine
andere revolutionäre Or
ganisation, die Marianne,
die unter blanquistischem
Einfluß stand. Die Jünger
des „Eingeschlossenen"
schworen trotz aller Ent
täuschungen immer noch
auf den Gedanken eines
Minderheitsputsches zur
Inszenierung der sozialen
Revolution. Davon gibt
die beste Vorstellung ein
blanquistischer Plan revo
lutionärer Organisation,
der beim Marianneprozeß
von 1855 zum Vorscheine
kam. Danach wurden im
Namen der Revolution
alle früheren Gesetze unterdrückt, alle konstituierten Körper
schaften aufgelöst, eine Revolutionsarmee an Stelle des
stehenden Heeres gesetzt, die öffentlichen Verkehrsmittel
für Eigentum der Republik erklärt, weiter das Erbrecht
abgeschafft, die Expropriierung der Besitzenden verfügt.
Die Nation ist alleinige Eigentümerin des Bodens und von
allem, was er einschließt, hervorbringt oder einträgt, und
garantiert jedem Bürger Existenz, Erziehung und Arbeit.
In jeder Kommune wird ein Inventar aller Produkte
jeder Art aufgestellt, die unter der Obhut des Volkes
im Schoße der Kommune niederzulegen sind. An solchen
Versuchen, eines Tages auf dem Verordnungswege eine
neue Welt zu schaffen, hatte die große Masse nicht teil.
Auch kann nicht behauptet werden, daß in den 5Oer
Jahren überhaupt eine proletarische Massenbewegung
irgendwelcher Art existiert-habe. Indessen schuf die ma
terielle und soziale Entwicklung dieser Zeit die Voraus
setzungen für eine solche.
Die großen Fortschritte der industriellen Entwicklung
Die Straße cies ILaiserreichs
Nach einer Lithographie von Honore Daumier