ablehnen würden. Der Klassencharakter zeige sich in dieser Zeit
noch schärfer als vorher. Die Regierung habe auf dem Gebiete der
Lebensmittelversorgung völlig versagt, in weiten Kreisen sei Hunger,
Unterernährung mit all ihren Folgeerscheinungen eingetreten. Das
freie Wort sei geknebelt. Der Belagerungszustand werde immer
noch aufrechterhalten. Es seien Steuergesetze eingebracht worden,
die sich gegen die besitzlosen Kreise richteten. In allen Ländern
hätten die Massen den leidenschaftlichen Willen zum Frieden. Aber
die deutsche Regierung, die sich in einer günstigen Position befinde,
tue nichts, um den Krieg zu beenden. Es spreche alles dafür, dalz
das deutsche Heer trotz seiner grolzen militärischen Erfolge die
Gegner nicht werde auf die Knie zwängen können. Am Schlulz des
fürchterlichen Ringens werde es wahrscheinlich weder Sieger noch
Besiegte, sondern nur besiegte, aus Millionen Wunden blutende
Völker geben. Wie auch das Ringen ausgehen werde, Europa gehe
seiner Verarmung entgegen. Was habe unter solchen Umständen
die Fortsetzung des Krieges noch für einen Sinn? „Wir Sozialisten,
die wir den Krieg verabscheuen und mit aller Kraft ihn zu verhindern
uns bemüht haben, widersetzen uns selbstverständlich seiner Ver
längerung. Wenn es sich nur darum handele, die Unversehrtheit
des Reiches und die Unabhängigkeit unseres Volkes aufrecht
zuerhalten, so hätten wir den Frieden schon erzielen können. Aber
immer lauter erheben sich die Stimmen, die als Ziel des Krieges die
Ausdehnung unserer Weltmacht, die Erringung der Weltherrschaft
fordern.“ Die kapitalistische Wirtschaftsordnung habe sich durch
diesen Krieg selbst das Urteil gesprochen.
Nach dieser Szene im Plenum kam die Fraktion zusammen. Der
Vorstand der Fraktion legte eine Erklärung vor, die
inhaltlich der entsprach, die den Ausschluß von Liebknecht aus der
Fraktion veranlagt hatte. Sie hatte folgenden Wortlaut:
„Die Fraktion bedauert lebhaft die Vorgänge, die sich innerhalb ihrer
eigenen Gemeinschaft in der heutigen Reichstagssitzung zugetragen
haben. In ihrer Fraktionssitzung am Vormittag wurde der einstimmige
Beschluß gefalzt, eine allgemeine politische Debatte im Plenum nach der
Behandlung des Etats des Auswärtigen Amts in der Budgetkommission
zu führen — ein Beschluß, dem noch vor Beginn der Plenarsitzung der
Seniorenkonvent widerspruchslos zugestimmt hat. Hinsichtlich der Be
handlung des Notetats hatte die Fraktion in der gleichen Sitzung be
schlossen, im Hinblick auf jene in Aussicht stehenden politischen Erörte
rungen nach altem Herkommen heute von einer politischen Debatte Ab
stand zu nehmen.
In dieser Fraktionssitzung ist Haase mehrmals ausführlich zu Wort ge
kommen, um seine Auffassung zum Notgesetz zu begründen. Nachdem
die Fraktion sich in ihrer Mehrheit gegen diese Auffassung entschieden
hatte, hat Haase auch nicht die leisteste Andeutung gemacht, dafz er gegen
diese Fraktionsbeschlüsse im Plenum Vorgehen werde. Dadurch wird sein
Disziplinbruch zugleich zum Treubruch. Nachdem die Fraktion bereits
am 12. Januar die damalige Sonderaktion aufs schärfste gerügt hatte, sieht
sie sich nunmehr gezwungen, zu erklären, dafz Haase und diejenigen
Fraktionsmitglieder, welche die gemeinsam gefalzten Beschlüsse gröblich
milzachten und öffentlich durchkreuzen, dadurch die aus der Frak
tionszugehörigkeit entspringenden Rechte verwirkt
haben.“