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Wie aus diesen Erklärungen hervorgeht, hatte H a a s e sein Amt
als Fraktionsvorsitzender niedergelegt. Hoch legte gleichfalls sein
Amt im Fraktionsvorstand nieder.
Die Sonderaktion der Minderheit entfesselte naturgemäße lebhafte
Diskussionen in der Presse und in den Organisationen. Die sozial-
patriotischen Blätter entrüsteten sich über den verbrecherischen
Schritt gegen die Einheit der Partei und malten besonders die Wir
kung aus, die diese Aktion auf das Ausland haben werde. Die Blätter
der Opposition verkannten den Ernst der Stunde durchaus nicht.
Zum ersten Mal, seitdem die sozialdemokratische Fraktion im Reichs
tag gröfzere Bedeutung besitze, habe eine Anzahl ihrer Mitglieder
offen einen von der Mehrheit abweichenden Standpunkt ein
genommen. Das sei ohne Zweifel ein Schritt, den nur die dringendste
Notwendigkeit zu rechtfertigen vermöge. Es sei ein Bruch mit der
Tradition, aber es gebe Dinge, die höher gewertet werden mülzten,
als die Ueberlieferung, und so wenig wie die Disziplin dürfe die Tra
dition zum Fetisch werden. Entscheidend bleibe unter allen Um
ständen das Interesse der Partei. Die 20 hätten Treue gegenüber der
Partei geübt, indem sie die Disziplin der Fraktion verletzten. Fest
gestellt wurde dabei noch, dalz sich zur Zeit Fraktionsmehrheit und
Fraktionsminderheit wie 3 zu 2 verhielten.
Es gab auch Heilzsporne in der Partei, sowohl auf der rechten wie
auf der linken Seite, die bei diesem Anlafz die Spaltung herbeiführen
wollten. So schrieb Otto Rühle in der „Pirnaer Volkszeitung“,
dalz der Spaltung in der Fraktion auch die Spaltung der Partei un
vermeidlich folgen müsse. Er wisse, dalz in der Partei viele Tausende
die unausbleibliche Spaltung auch der Partei zur Vorbedingung für
ihre fernere Betätigung als Kämpfer in den Reihen der Sozialdemo
kratie machten. Die „Leipziger Vclkszeitung“ bemerkte zu diesen
Aeulzerungen:
„Wir bedauern sie und lehnen sie entschieden ab. Die Ablehnung der
Kriegskredite und die Erklärung der 20 Abgeordneten hoben jedenfalls
mit diesen Absichten Rühles nichts zu schaffen. So
lange sich keiner der anderen 19 Abgeordneten ausdrücklich Rühle an-
schlielzt, dürfen wir annehmen, dalz sie sämtlich seinen Plan auf
Parteispaltung entschieden ablehnen und verur
teilen. Dafi; viele andere und viele Tausende in der Partei mit Rühle
die Spaltung wünschen, bezweifeln wir sehr; jedenfalls haben die Partei
organisationen, die sich für das selbständige Vorgehen der Minderheit
aussprachen, alles andere als die Absicht, die Partei zu
s p a 11 en."
Die Anhänger der Richtung Liebknecht und Rühle hatten sich
allerdings schon vorher von der Opposition getrennt und eine Propa
ganda auf eigene Faust getrieben. Sie gaben besonders die Sparta
kusbriefe heraus, die später ihrem Bunde den Namen gegeben haben.
Sie veranstalteten besondere Konferenzen und gaben sich eigene
Programme.
Es war jetzt noch eine Frage der Zeit, wann es zum offenen Bruch
zwischen Mehrheit und Minderheit in der Fraktion kommen würde.
Beide Richtungen hielten neben den gemeinsamen Sitzungen noch
regelmäßige Sonderberatungen ab. L e g i e n hatte in der Sitzung
nach der Abstimmung einen Antrag auf Ausschluß der 20 aus der