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stürmischen Beifall fand, und mit dem die Regierung sicher im vollen
Einverständnis stand. Nunmehr wäre es die Pflicht der gesamten
sozialdemokratischen Fraktion gewesen, sich gegen diese Annexions
pläne zu erheben und endgültig den Bruch mit der deutschen
Kriegspolitik vorzunehmen. Das sollte verhindert werden. Die
bürgerlichen Parteien stellten einen Schlufzantrag und unter starkem
Lärm wurde er vom Präsidenten als angenommen erklärt. Es kam
zu einer stürmischen Geschäftsordnungsdebatte, in der Genosse
Haase folgendes erklärte:
. . Meine Herren, gerade nach den unbestimmten, allgemeinen, viel
deutigen Aeu&erungen des Herrn Reichskanzlers und nach den letzten
Worten des Herrn Spahn ist es notwendig, dafz unser Volk und di#
Welt erfahren, dalz nicht etwa der gesamte Reichstag mit
diesen Ausführungen einverstanden ist.
Nein, meine Herren, ich erkläre für meine Person, dalz ich die Ge
meinschaft mit den Anschauungen, die hier zum Ausdruck gekommen
sind, mit aller Entschiedenheit ablehne, und ich weifz mich eins darin mit
der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes. Meine Herren, wollen
Sie denn wirklich, dafz aus diesem Gemetzel, das ja alle bedauert haben,
schliefelich als Ergebnis herauskommt ein Europa, das einen Trümmer
haufen bildet, durchtränkt von Tränen und Blut? Wir verlangen
eine Absage an alle Eroberungspläne, von welcher Seite
sie auch kommen und in welcher Form sie sich auch äulzern. Wir wollen
den Frieden."
In der Debatte wies Ledebour nach, dalz die bürgerliche Mehr
heit durch den Schlulzantrag die grölzte Partei, die Sozialdemokratie,
vergewaltigt habe, die Partei, die in diesem Augenblicke nicht nur
ihre vier Millionen Wähler hinter sich habe, sondern aller Wahr
scheinlichkeit nach die grolze Mehrheit des Volkes. Liebknecht
sagte, dalz das, was er seit jeher als Lüge und Regierungsmanöver
bezeichnet habe, der Burgfriede, heute in Wahrheit als Lüge
enthüllt sei.
Die Besprechung über die Interpellation wurde von neuem auf
genommen. Es sprach jetzt Landsberg, Statt einer offenen
Kampfansage an die Annexionisten bekam man aus seinem Munde
deren offene Unterstützung zu hören. Er stellte es so dar, als wenn
Bethmann Hollweg nichts mit den Eroberungsabsichten der bürger
lichen Parteien zu tun habe, und dalz deshalb die deutsche Regie
rung das Recht hätte, alle Annexionsabsichten abzuleugnen. Als
Liebknecht dazwischenrief, dafz an den Annexionsabsichten der
Regierung kein Zweifel herrschen könne, schleuderte Landsberg ihm
die bezeichnenden Worte zu: „Aber ich bitte Sie, meine Herren,
geben Sie doch nicht dem Auslande Waffen in die Hand." Und er
schlolz seine Rede mit heftigen Angriffen auf die Opposition in der
eigenen Partei. Es konnte nicht wundernehmen, dalz die Rede bei
den bürgerlichen Parteien stürmischen Beifall fand.