zogen, aber von Liebknecht aufgenommen und verteidigt. Er ver
fiel gegen 7 Stimmen der Ablehnung.
Wie am 3. August so weig erte sich Ilnase auch am 30. No
vember hartnäckig gegen die Verlesung der Mehrheitserklärung. Nach
langem Drängen liefe er sich jedoch auch diesmal umstimmen.
Wie die am 3. August beschlossene Erklärung, so wurde auch die jetzige
den bürgerlichen Parteien und der Regierung alsbald unterbreitet. Wäh
rend die Regierung zunächst keine Einwendung erhob, drängten die bür
gerlichen Parteien und schliefelich auch die Regierung am 1. Dezember,
an dem die Verhandlungen der glorreichen freien Kommission begannen,
auf Streichung oder Abänderung der Sätze über den Belagerungszustand,
die Annexionspolitik und die belgische Frage. Staatssekretär Delbrück
bemerkte dabei zu den Fraktionsvertretem: ihm hätten Fraktionsmit
glieder gesagt, sie seien bereit, ohne jede Erklärung der Fraktion für die
Kredite zu stimmen; und der Volksparteiler Payer: er wisse aus dem
Munde von sozialdemokratischen Abgeordneten, dafe sie keineswegs
grundsätzlich Gegner von Eroberungen seien. Eine in der
Fraktionssitzung vom 2. Dezember ergangene Aufforderung, die be
treffenden Genossen möchten sich melden, blieb erfolglos.
Als die auf Aenderung der Erklärung gerichteten Machenschaften am
Abend des 1. Dezember in der Fraktion bekannt wurden, versammelten
sich auf Veranlassung Hochs etwa 20—30 Fraktionsmitglieder
und beschlossen feierlich, falls die Fraktionsmehrheit dem Willen der
bürgerlichen Parteien und der Regierung nachgebe, sich dem ö f f e n t -
lichzu widersetzen und die am 30. November abgefafete Erklärung
in der Plenarsitzung vom 2. Dezember als Minderheitsvotum vorzutragen.
Es sollte jedoch beim guten Willen bleiben. Die Drohung genügte; die
heroische Tat blieb der Weltgeschichte erspart.
Im Plenum stimmte Liebknecht als einziger Abgeordneter gegen
die Kriegskredite. Er versuchte eine Erklärung zu Protokoll zu
geben, was vom Präsidenten aber verhindert wurde. Am nächsten
Tage schrieb er dem Fraktionsvorstand, dafe er sich in einer Zwangs
lage befunden habe. Er habe sich bemüht, von der Fraktion die
Erlaubnis zu einer abweichenden Abstimmung zu erwirken. Die
Fraktion habe sie versagt, obwohl der jetzige Fall, sowohl seiner
Bedeutung wie seinen inneren Schwierigkeiten nach, ein ganz einzig
artiger gewesen sei. In diesem Gewissenskonflikt habe Liebknecht
die Pflicht der Fraktionsdisziplin, so hoch er sie schätze,
der Pflicht zur Vertretung des Parteiprogramms unterzuordnen.
Er hoffe, dafür bei den Genossen in- und aufeerhalb der Fraktion
Verständnis zu finden. Dieses Verständnis fand Liebknecht nicht.
Am 3. Dezember veröffentlichte der „Vorwärts" folgende Erklärung
des Fraktionsvorstandes, die mit sechs gegen eine Stimme
beschlossen wordefc war:
„Der Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion stellt fest,
dafe der Genosse Karl Liebknecht entgegen dem alten Brauch der Frak
tion, der durch einen ausdrücklichen Beschlufe für den vorliegenden Fall
erneuert wurde, gegen die Kriegskreditvorlage gestimmt hat. Der Vor
stand bedauert diesen Bruch der Disziplin, der die Fraktion noch
beschäftigen wird, aufs tiefste."
Die Situation in der Partei- schien sich äufzerlich noch nicht erheb
lich geändert zu haben; aber doch hatte sich seit dem 4. August i m
Innern der Partei eine erhebliche Wandlung vollzogen.