10
Fritz Adler hat den Eindruck, den die Haltung der Parteimehr-.-
heit damals im Auslande machte, in der österreichischen Zeitschrift
„Der Kampf“ vom Januar 1915 in folgender Weise geschildert:
„Nur wenn man ganz erfaßt, wie teuer die deutsche Sozialdemokratie
den Genossen des Auslandes war, wie sie geradezu für jeden einzelnen
den höchsten Stolz und den Quell der Siegeszuversicht
bildete, kann man die psychologische Wirkung der Ereignisse seit Kriegs
ausbruch verstehen. Schon allein die Tatsache, dafz die deutsche Sozial
demokratie Halt machen muß, daß nicht mehr ihr Klassenkampf, sondern
der Krieg die Weltbühne beherrscht, wirkte — so wenig vorher jemand
theoretisch diese Möglichkeit bestritten hätte — plötzlich real geworden,
erschütternd. Dalz die deutschen Proletarier als Soldaten ihre
Pflicht tun werden, konnte man voraussehen, dafz aber die deutsche Ar
beiterklasse als Partei plötzlich und in aller Form mit den herrschenden
Klassen Waffenstillstand schliefzen, sich mit ihnen zu gemeinsamer
Aktion vereinigen werde, war für Freund wie Gegner eine
Ueberraschung. Wir haben an dieser Stelle nicht zu untersuchen,
ob oder inwieweit dieser Schritt unausweichlich war, sondern nur seine
psychologische Wirkung festzustellen. Sie ergriff die Sozialisten des
Auslandes mit gleicher Wucht wie die Deutschlands, obwohl in fast allen
Ländern die Partei des Proletariats oder wenigstens Teile von ihr den
gleichen Weg gegangen waren. Doch dalz dies auch in Deutschland ge
schehen konnte, dalz auch diese grobe unbeugsame Sozialdemokratie sich
beugen mußte, dafz auch die stolze Vorhut der Internationale dem Schick
sal nicht entging, das wurde für die Arbeiter der ganzen Welt zum wahren
experimentum crucis ihrer Kraft und zum Symbol der historischen
Situation.“
Nicht die ganz« Partei hatte in diesen Tagen die Besinnung ver
loren. Von Anfang an fanden sich Männer, die sich entschlossen,
dem Kriegstaumel entgegenstemmten. Auch außerhalb der Reichs
tagsfraktion regte sich sofort der Widerstand gegen die
Kriegspolitik der Instanzen. Besonders die württem-
bergischen Parteigenossen, an deren Spitze Crispien, West
meyer und Clara Zetkin standen, wandten sich von Anfang
an scharf gegen die Bewilligung der Kriegskredite und verlangten,
dafz die Reichstagsfraktion die Beschlüsse der internationalen Kon
gresse und der deutschen Parteitage respektiere. Während man aber
den Verfechtern der Kreditbewilligung die weiteste Meinungsäuße
rung zugestand, hinderte der Kriegszustand die Gegner der sozial
demokratischen Kriegspolitik an der öffentlichen Begründung ihrer
Auffassungen.
Nachdem die Reichstagsfraktion am 3. August ihren Beschluß ge
faßt hatte, gaben die Redakteure des „Vorwärts“, des
Zentralorgans der Partei dem Parteivorstand folgende Erklärun
gen ab, die während des Krieges freilich niemals veröffentlicht
worden sind:
„Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat heute, nachdem gestern
in einer Fraktionssitzung gegen 14 Stimmen der Beschluß gefaßt worden
war, der Regierung die geforderten Kriegskredite zu bewilligen, nicht nur
für die Gesetzentwürfe betreffend die Aendenmg des Bank- und Münz
gesetzes, das Darlehnskassengesetz, die Zahlungsfristverlängerung für
Wechsel und Schecks gestimmt, sondern auch für die von der
R e g i er u n g. z u m Zwecke derKriegsf ü h rung verlangten
5 Milliarden Kredite. Begründet wird diese Haltung damit, daß jetzt.