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Ausblick.
Es ist eine Binsenwahrheit, dalz grolze Bewegungen nicht von
einzelnen Personen gemacht werden können, sondern dalz sie von
historischen Notwendigkeiten getragen sein müssen. So ist auch die
Unabhängige Sozialdemokratie das legitime Kind ihrer
Zeit, nicht der Bastard irgendwelcher Quertreiber und Unzufriedener,
wie es eine Zeitlang von der Rechten her behauptet wurde. Vielleicht
hätte sich die Zerreißung der deutschen Arbeiterbewegung verhindern
lassen, wenn man den verschiedenen Anschauungen in ihr während
des Krieges einen größeren Spielraum gewährt hätte. Auch in den
Arbeiterparteien anderer Länder gingen die Meinungen über die
Kriegspolitik auseinander; aber wie in Frankreich und in Oesterreich
gelang es dort doch, die Einheit der politischen Organisation der
Arbeiterklasse zu bewahren und sie bis in die Nachkriegszeit hinein
zu erhalten. Es wäre müßig, danach zu fragen, wie die politische
Entwicklung sich in Deutschland vollzogen haben würde, wenn die
Spaltung nicht gekommen wäre, wie ja überhaupt die Geschichte nicht
dazu dient, um über ihren Verlauf nachträglich zu jammern, sondern
um daraus die Lehren für unsere zukünftige Arbeit zu schöpfen. Aber
ohne Zweifel wäre die Stellung der deutschen Arbeiterklasse heute
viel stärker, wenn sie eine geschlossene politische Einheit darstellte.
Soll das nun soviel sagen, dafz die Unabhängige Sozialdemokratie
nunmehr ihre historische Aufgabe erfüllt habe und
jetzt wieder verschwinden müfzte, um der einen großen sozialistischen
Partei Platz zu machen? Es hieße den Sinn der grolzen Bewegung,
die sich in der Unabhängigen Sozialdemokratie verkörpert, gänzlich
verkennen, wenn wir diese Frage mit Ja beantworten wellten. Man
lese doch nach, was erst die Opposition in der alten sozialdemokrati
schen Partei und hernach die Unabhängige Sozialdemokratie in ihren
zahlreichen Aufrufen und Kundgebungen gesagt hat; sie wollte das
Proletariat auf dem Beden des Klassenkampfes sammeln, sie wollte,
dafz es seine Kämpfe nach den Grundsätzen der sozialistischen Er
kenntnis führe, sie wollte kurzum, dafz der Gegensatz zwischen bürger
licher und proletarischer Auffassung nicht verwischt werde, sondern
den Arbeitern in unauslöschlicher Erinnerung bleibe. Denn so oft
auch B urgeoisie und Proletariat eine Einheitsfront gebildet oder
einen Bur frieden geschlossen haben, sei es in nationalen, sei es in
sozialen Fragen: immer waren die Arbeiter die Geprellten, stets hat
das Bürgertum seine Vorteile daraus gezogen, noch jedesmal ist die
kapitalistische Wirtschaftsordnung aus einer Periode des Zusammen-
arbeitens zwischen Bourgeoisie und Proletariat gestärkt hervor