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eingeschlichen, denen nicht an der Verwirklichung bestimmter sozia
listischer Forderungen, sondern mehr an der Befriedigung persön
licher Bedürfnisse gelegen war. Dem Einflüsse der Unabhängigen
Sozialdemokratie ist es zu danken, daß die Bewegung, wenn auch
nicht mit einem vollen Erfolg der Arbeiterschaft, so doch mit einem
Ergebnis liquidiert wurde, das einen neuen Aderlaß an der Arbeiter
klasse verhütete.
Einen neuen schmerzlichen Verlust erlitt die Partei, erlitt die
Arbeiterbewegung mit dem Tode von Emanuel Wurm. Ein
Menschenalter hatte er seine Kenntnisse und seine Fähigkeiten in
den Dienst des Proletariats gestellt. Auf den Gebieten der Wirt
schaft und der Steuergesetzgebung war er eine unbestrittene Autorität.
Frühzeitig schon hatte ihn die alte Partei auf die vordersten Posten
gestellt, und niemals haben die Arbeiter eine Enttäuschung an ihm
erlebt. Er war kein hinreißender Redner. Aber wenn er sprach,
dann fesselte er seine Hörer durch den Inhalt seiner Ausführungen,
dann gewann er die Aufmerksamkeit durch die Fülle seiner Kennt
nisse. In der Partei, im Parlament war er ein unermüdlicher Arbeiter.
Er besaß den Willen zur Tat, und er vermochte, wie nur wenige außer
ihm, sozialistische Erkenntnis mit der Einsicht in die Möglichkeiten
des Tages zu verbinden. Sein Tod riß in die Partei eine schmerzlich
empfundene Lücke.
Der Kapp-Putsch und seine Folgen hatten die Kräfte der Partei
außerordentlich in Anspruch genommen, sie aber zugleich sammeln
und nutzen gelehrt. Mochten nach dem Abbruch des Kampfes ge
wisse Mißstimmungen übriggeblieben sein, weil besonders der so-
P enannte linke Flügel der Meinung war, der Kampf hätte von der
artei auch isoliert von der übrigen Arbeiterschaft weitergeführt
werden müsen, so drängte doch die Notwendigkeit, auf dem nächsten
Kampffelde geschlossen aufzutreten, diese Differenzen bald wieder
in den Hintergrund. Die nun zu verrichtende Arbeit galt den Neu
wahlen für den Reichstag. Die Partei eröffnete den Wahl
kampf mit einem Aufruf, in dem sie den Arbeitern sagte, daß
sie ihre Interessen gemeinsam wahren, daß sie sich nicht gegen
einander ausspielen und mißbrauchen lassen dürften. Aus dem Zu
sammenbruch, in den die Welt durch Kapitalismus und Militarismus
geführt worden sei, gebe es nur eine Retti ng, den Kampf für den
Sozialismus. Mit ihrem Programme sammle die Unabhängige Sozial
demokratie die Massen des Proletariats, sie vertrete es jetzt auch
im Wahlkampf. Gegen das einheitlich und geschlossen handelnde
Proletar.at könne in L-eutschland keine Macht aufkommen. Als sofort
zu erfüllende Uebergangsmaßnahmen wurden dann
gefordert:
1. Entwaffnung und Auflösung aller konterrevolutionären
Formationen. Mannschaftsersatz aus den Reihen der organisierten
Arbeiterschaft, politisch zuverlässige Führer.
2. Aufhebung des Ausnahmezustandes. Freilassung
aller verhafteten Revolutionskämpfer und umfassende Amnestie.
3. Bestrafung aller an dem Kappschen Umsturz beteiligten
Gegenrevolutionäre und der für das Hinmorden von revolutionären
Kämpfern Verantwortlichen.