203
Heimtücke, aber doch aus Ueberzeugung getrieben haben; zum min«
desten kam ihnen selbst nicht zum Bewufztsein, daß sie damit gegen
revolutionäre Arbeit leisteten. Vor der Geschichte werden sie jedoch
als diejenigen dastehen, die der Arbeiterklasse hundertfach größeren
Schaden zufügten, als es den Noskes und Heines, den Generalen
Lüttwitz und Märcker je gelungen war. Wenn die revolutionäre Be
wegung, nachdem sie durch das stolze Anwachsen der Unabhängigen
Sozialdemokratie und deren Konsolidierung einen prächtigen Auf
schwung genommen hatte, wieder zum Versumpfen verurteilt war, so
trägt die Schuld daran jene von Moskau ausgegangene Unduldsam
keit, die das geistige Leben der Arbeiterbewegung nur in die eine
Schablone pressen wollte, die von ihnen selbst ausgegeben worden
war.
Die erste Phase der Revolution war in Deutschland
zum Abschluß gekommen. Was aus der Novemberzeit an Errungen
schaften noch übriggeblieben war, mutzte von der Arbeiterschaft mit
Zähnen und Klauen verteidigt werden. Die veränderte Situation er
forderte auch eine veränderte Taktik der Unabhängigen Sozialdemo
kratie. Das wollte aber der sogenannte linke Flügel nicht einsehen,
der sich unter Revolution nur gewaltsame Erhebungen, bewaffnete
Zusammenstöße, offenen Bürgerkrieg und ähnliche Dinge vorstellen
konnte, die von jeher das geistige Arsenal aller Revolutionsroman
tiker gebildet hatten. Die politischen Arbeiterräte hatten ihre Be
deutung vollständig verloren; die Müller und Däumig aber beschimpf
ten jeden als Verräter, der nicht unbedingt an dem „reinen Räte
gedanken" als den alleinseligmachenden Glauben der Revolution fest
hielt. Die Kämpfe um den Einfluß auf den Staat wurden längst wieder
in den Parlamenten ausgefochten; das hatte selbst die Kommunisti
sche Partei veranlaßt, ihre bei der Gründung der Partei ausgegebene
Parole der Wahlenthaltung wieder aufzugeben. Der „linke Flügel“
dagegen hoffte von Monat zu Monat auf einen neuen revolutionären
Ausbruch, und darum überschüttete er jeden mit Hohn und Spott,
der dafür eintrat, daß die Arbeiterklasse sich auch des Parlamentaris
mus als einer Waffe in ihrem Kampfe bediente. Die Gewerkschaften
waren wieder zu den Hauptträgern der wirtschaftlichen Bewegung der
Arbeiterschaft geworden; die Richtung Müller aber verlangte, daß
man ihnen fernbleibe und abseits der großen Organisationen der
Arbeiterschaft im luftleeren Raum eine wirtschaftliche Räteverfassung
aufstelle.
Der Hauptgegenstand des Streits war aber die Frage der Inter
nationale. Seit der Beendigung des Krieges waren wiederholt
Versuche gemacht worden, die internationalen Beziehungen der
Arbeiterklasse wieder herzustellen. Es mußte jetzt alles darauf an
kommen, das revolutionär gesinnte Proletariat der ganzen Welt auf
einem einheitlichen Boden zu versammeln und die reformistischen
und nationalistischen Elemente zu isolieren. Die Bolschewiki hatten
aber aus innen- und außenpolitischen Gründen keine Zeit, um den
Ablauf dieses Prozesses abzuwarten. Sie gründeten eine neue
Internationale, die sie die dritte nannten und die schon durch
ihren Sitz in Moskau zeigte, daß sie einen starren dogmatischen, auf
die kommunistischen Heilslehren eingeschworenen Charakter tragen
sollte. Die Unabhängige Sozialdemokratie hatte dagegen an zwei