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frage, oder wie Wissell mit seinem Plan einer Gemeinwirtschaft,
immerhin noch etwas Neues zu sagen hatten, stießen auf allgemeine
Verständnislosigkeit. Der Parteitag hatte im Hause der National
versammlung getagt, und diese äußerliche Gemeinschaft drückte sich
auch in der beiden Körperschaften gemeinsamen Ideenlosigkeit aus.
Kein Wunder, daß sich der Parteitag mit der Gewaltpolitik Noskes
solidarisch erklärte und ihn dadurch aufmunterte, die bisherigen Ge
leise weiter zu benutzen.
Noske und die Seinen ließen sich das denn auch nicht zweimal
sagen. So hatte die Unabhängige Sozialdemokratie auf den 21. Juli
große öffentliche Kundgebungen veranstaltet, gemein
sam mit den Sozialisten Frankreichs, Italiens und anderer Länder, um
für den Willen der Arbeiterklasse zum Weltfrieden, zur Völker
versöhnung zu zeugen. Noske verbot diese Kundgebungen, womit er
freilich nicht die deutsche Arbeiterschaft schädigte, sondern die Ge
waltpolitik der deutschen Rechtssozialisten vor der ganzen Welt aufs
neue bloßstellte. Die Versammlungen wurden dann in die Säle ver
legt, wo sie unter ungeheurer Beteiligung der Arbeiterschaft Berlins
in voller Ruhe, aber auch in fester Entschlossenheit, den einmal ge
wählten Weg weiterzugehen, verlaufen konnten.
Ein anderer Gewaltstreich Noskes richtete sich gegen den Voll-
z u g s r a t der Berliner A.- und S. - Räte. Kurz vorher waren
die Rechtssozialisten aus dieser Körperschaft ausgetreten und hatten
sich einen besonderen Vollzugsrat beigelegt. Noske glaubte die Ge
legenheit nicht vorübergehen lassen zu sollen, um jetzt den entschei
denden Streich gegen die Arbeiterräte, das letzte Bollwerk aus der
Revolution, zu führen. Er ließ den Vollzugsrat aus den Räumen In
den Zelten, die ihm von der Regierung selbst zugewiesen worden
waren, gewaltsam vertreiben und die Lokalitäten militärisch besetzen.
Außerdem untersagte er ihm die Ausschreibung von Neuwahlen zu
den Arbeiterräten im Wirtschaftsgebiet Groß-Berlins. An der Stel
lung, die der Vollzugsrat im öffentlichen Leben noch einnahm, hat
dieser Streich Noskes nicht viel geändert. Es waren andere Kräfte,
die sie untergruben, es war nicht zuletzt die eigene Schuld des Voll
zugsrats, daß er schließlich ganz aus dem Gesichtskreise der Arbeiter
bewegung ausscheiden mußte.
Andere Kräfte als die Gewaltpolitik Noskes und die erstarkende
gegenrevolutionäre Bewegung waren es auch, die das stolze
Gebäude der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei unterminier
ten und zum Einsturz zu Dringen suchten. Die Kommunistische
Partei, die Nachfolgerin des Spartakusbundes, befand sich in voller
Zersetzung und Auflösung. Aus dem öffentlichen Leben war sie fast
gänzlich ausgeschieden, und selbst der Spartakusschreck vermochte
keine Wirkung mehr auszuüben. Die russische Sowietregierung
brauchte aber für ihre außenpolitischen Zwecke starke Parteien im
Auslande, und da mit den bisherigen Methoden keine größere An
hängerschaft für die kommunistisch-anarchistischen Ideen zu ge
winnen war, so schlug man jetzt andere Wege ein. Diese Wege
sollten über die Spaltung derjenigen revolutionären Parteien gehen,
die sich bisher der kommunistischen Internationale nicht ange
schlossen hatten. Das erste Ziel ihres Angriffs war die Unabhängige