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Hungersnot, Massensterben, bedeutet eine entsetzliche Katastrophe, die erst
recht den Zwang zur Unterzeichnung herbeiführt. Es sind die Proletarier,
die am fürchterlichsten unter den Folgen zu leiden hätten.
Der Frieden, so hart und drückend er auch immer sein mag, ist die not
wendige Voraussetzung für die Lebensmöglichkeit sowie für den Aufbau
unseres Gesellschafts- und Wirtschaftslebens, im Geiste des revolutionären
Proletariats.
Wie der Friede von Brest-Litowsk und Bukarest nur von kurzer Dauer
Die Unabhängige Sozialdemokratie lielz es nicht bei Worten be
wenden, sondern sie rief das Proletariat zur Tat auf. Und sie hatte
die Genugtuung, dalz die' Arbeiterklasse ihren Ruf verstand und in
f ewaltigen Kundgebungen von der Regierung die Unterzeichnung des
riedens verlangte. In der Nationalversammlung gebrauchte
Scheidemann das Wort von der Hand, die verdorren solle, die
diesen Vertrag unterschreibe. H a a s e dagegen stellte als Ver
pflichtung derjenigen Parteien, die die Kriegspoiitik unterstützt hatten,
auch den Abschluß des Krieges herbeizuführen fest. Durch sechs
Wochen zog sich der Kampf um den Friedensvertrag hin. Scheide
mann muizte zurücktreten, denn mit einer verdorrten Hand hätte er
nicht länger regieren können. Eine andere Regierung wurde gebildet,
nachdem sich auch die Rechtssozialisten und ein Teil des Bürger
tums zu der Ueberzeugung durchgerungen hatten, dalz die Unter
zeichnung des Friedensvertrages eine absolute Notwendigkeit sei. ln
einem Aufruf konnte die USPD. feststellen, dalz es nur der Wachsam
keit und Entschlossenheit der revolutionären Arbeitermassen, die sich
in wachsender Zahl um die Unabhängige Sozialdemokratie scharten,
zu danken sei, wenn das Furchtbare verhütet wurde, das die Verant
wortlichen für den Krieg über das deutsche Volk zu verhängen ge
dachten.
Befestigte sich durch diese erfolgreiche Arbeit das Vertrauen der
Arbeiterschaft in die Unabhängige Sozialdemokratie in ständig zu
nehmendem Malze, so muizte die rechtssozialistische
Partei die Wirkungen ihrer Politik bald am eigenen
Leibe spüren. In der Pfingstwoche hielt sie ihren Parteitag in Weimar
ab. Schon in den Mitgliederversammlungen, die sich mit den Be
ratungsgegenständen des Parteitags beschäftigten, machte sich eine
tiefe Unzufriedenheit bemerkbar, besonders mit dem Kurse, der unter
dem Namen der Noske und Heine gesteuert wurde. Wiederholt wurde
dort geäußert, man müsse sich schämen, mit Leuten von dieser Gat
tung in einer Partei zu sitzen. Zahlreich waren die Anträge an den
Parteitag, die heftige Kritik an der bisherigen Politik übten. Freilich
wurde die Kritik nicht von großen und schöpferischen Gedanken be
wegt, sondern sie bängte sich mehr an einzelne und äußere Erschei
nungen, ohne den Mut zu finden, die Rückkehr zum Klassenkampf,
das Aufsagen des Bündnisses mit der Bourgeoisie zu fordern. Auf
dem Parteitag selbst setzte sich diese verdrossene Stimmung in hoff
nungslose geistige Versumpfung und Teilnahmslosigkeit um. Die
S oßen Probleme, die die Revolution aufgeworfen hatte und die die
rbeiterbewegung in ihren Tiefen aufwühlten, weckten dort nur ein
schwaches Echo. Die wenigen Leute, die, wie Cohen für die Räte