156
aber bald stellte es sich heraus, daß dieses Osterei überfaul
war. Die Umbildung des preußischen Landtags sollte kommen, für das
Klassenwahlrecht in Preußen sei kein Raum mehr, wurde in dem
Erlaß erklärt, die Abgeordneten sollten durch unmittelbare und
geheime Wahl bestimmt, dem Herrenhaus durch Vertreter des Volkes
neues Blut zugeführt werden. Von diesen Versprechungen ist nichts
in Erfüllung gegangen. Viele Monate lang ist zwar in Preußen um
die Reform des Landtags geschachert worden, aber die Junker und
die Schwerindustriellen wollten höchstens ein Pluralstimmrecht zu
gestehen, das ihre Macht unberührt ließ. Erst die November
revolution des nächsten Jahres hat mit dem elendesten aller Wahl
systeme endgültig aufgeräumt. Die deutsche Bourgeoisie, dumm und
kurzsichtig wie sie nun einmal in politischen Angelegenheiten ist,
hat in der Frage des preußischen Wahlrechts mit besonderer Deut
lichkeit gezeigt, daß sie lieber das ganze „Vaterland“ in Trümmer
gehen läßt, als zur rechten Zeit auch nur auf einen Teil ihrer Privi
legien zu verzichten.
Als nicht minder kurzsichtig erwies sich auch die Bourgeoisie in
Rußland. Die Revolution hatte zwar das zaristische Regime zer
brochen, aber an seine Stelle waren die Vertreter der kapitalistischen
Klassen getreten, die bisher schon die hemmungslosen Bestrebungen
des russischen Imperialismus gefördert hatten und nunmehr glaubten,
mit vermehrter Tatkraft ihre Absichten verwirklichen zu können. Sie
mußten den kriegsmüden Massen Friede und Land versprechen,
beides aber konnten sie ihnen nicht geben, wenn sie sich nicht als
Klasse selbst aufgeben wollten. Die russische Revolution blieb daher
an dem bisher erreichten Punkte nicht stehen; da aber die als Klasse
noch nicht organisierten Kleinbauern ihre Geschäfte nicht selbst
besorgen konnten, so mußten schließlich die Bolschewik!, die
allein den negativen Mut aufbrachten, vor dem deutschen Imperialis
mus zu kapitulieren, die Erbschaft der russischen Bourgeoisie
antreten.
An der Behandlung der Friedensfrage konnte man besonders
deutlich die weitere Entwicklung der russischen Revolution studieren.
Der Außenminister des ersten bürgerlichen Kabinetts Rußlands,
Miljukow, veröffentlichte am 10. April eine Erklärung, worin auf die
enge Gemeinschaft mit den Alliierten hingewiesen und gesagt wurde,
daß das russische Volk „einen dauerhaften Frieden auf Grund des
Rechts der Völker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen“, herbeiführen
wolle. Das Vaterland sei in Gefahr, alle Kräfte müßten angespannt
werden, um es zu retten. Das Hauptgewicht legte diese Erklärung
also auf die Gemeinschaft mit den Alliierten, der Gedanke eines
Sonderfriedens mit den Mittelmächten wurde damals noch nicht
erörtert. Viel entschiedener war die Erklärung, die der Kongreß der
Arbeiter- und Soldatenräte in Petersburg Ende Juni veröffentlichte.
Hier wurde als die wichtigste Aufgabe der revolutionären Demokratie
der Kampf für die schnellste Beendigung des Krieges bezeichnet.
Es solle zwar kein Sonderfriede geschlossen werden, aber man müsse
sofort Abordnungen in die alliierten und neutralen Länder schicken
und alle sozialistischen Parteien dieser Länder nach Rußland e in
laden, damit die Friedensfrage endlich gelöst werde. Die deutsche