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Spartakusbund hinübergezogen haben. Diese nachträgliche Erklärung
hat die Sympathien sicherlich nicht vermehrt, die man bisher für
Klara Zetkin hegen mochte.
Einen noch schamloseren Diebstahl an geistigem Eigentum beging
der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei, als er im Herbst 1917
Karl K a u t s k y die „N e u e Z e i t" raubte. Die wissenschaftliche
Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie war noch weniger ein
Organ der Partei als die „Gleichheit“. Die „Neue Zeit“ war das
geistige Eigentum, war das grölzte Stück der Lebensarbeit von Karl
Kautsky. Der Parteivorstand hatte also nicht das mindeste moralische
Recht, über die Zeitschrift zu verfügen, noch viel weniger seinen Her
ausgeber aus der Redaktion zu drängen. In einem Abschiedswort
schrieb Kautsky darüber;
Die „Neue Zeit“ wurde nicht von der Partei gegründet
Den Plan zu dieser Zeitschrift falzte ich im Sommer 1882. Sie sollte dem
Marxismus dienen, seiner Verfechtung, Anwendung, Weiterentwicklung.
Ich gewann Bebel und Liebknecht für die Idee, sowie Dietz, der das Wag
nis unternahm, inmitten des wildesten Tobens des Sozialistengesetzes mit
den damals noch sehr schwachen Kräften seines jungen Verlages eine
wissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben, deren Redakteur nur in engem
Parteikreise bekannt war, und in der eine Methode und Weltanschauung
vertreten werden sollte, die erst sehr wenig begriffen wurde, und die sich
ihre allgemeine Anerkennung erst zu erobern hatte.
Es kostete uns groize Mühe, erheischte schwere Opfer von uns, unter
diesen widrigen Umständen uns zu behaupten, , durehzuhalten“, bis wir
soweit kamen, die besten Köpfe des internationalen Sozialismus zu unsem
Mitarbeitern zu zählen.
Was die „Neue Zeit" geleistet, darüber zu berichten oder ein Urteil zu
fällen, steht mir natürlich nicht zu. Für den jetzigen Moment bemer
kenswert ist nur eines: die „Neue Zeit" war von ihrem Beginn an Partei
organ insofern, als Verleger und Redakteur wie die Mitarbeiter Partei
genossen waren, mit ganzer Kraft der Partei dienten und so auch die
„Neue Zeit" selbst dem Parteiinteresse dienstbar machten. Aber dabei
war die „Neue Zeit“ Parteiorgan insofern, als sie von keiner Partei
instanz abhängig war, keine für sie irgend eine Verantwortung
trug, keine sie ökonomisch oder sonstwie unterstützte....
Freiligrath schrieb 1849, zur Zeit des unaufhaltsamen Niederganges der
Revolution, die in ihren entscheidenden Zentren überall besiegt war.
Heute dagegen gehen die politischen Kämpfe nicht einem Zustand der
Apathie und Erstarrung, sondern äußerster Verschärfung entgegen. Was
Freiligrath damals rief, ich darf es mit noch grölzerer Zuversicht den bis
herigen Lesern der „Neuen Zeit" zurufen:
Nun ade — doch nicht für immer Adel
Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!
So alt ich bin, ich gedenke noch die Zeit zu erleben, in der die Sache
siegt, der die .Neue Zeit" 85 Jahre lang treu gedient hat. Und ich hoffe,
es wird mir beschieden sein, dazu noch mein Scherflein Arbeit beitragen
zu können.
Wenn wir wieder zum Frühjahr dieses Jahres zurückkehren, so
haben wir einen Augenblick bei der Osterkundgebung Wil
helm II. zu verweilen, die endlich die „Neuorientierung" einleiten
sollte. Es wurden darin eine Reihe sehr schöner Dinge versprochen,